Vorwort.

Der Plan zu dieser Erzählung bot sich dem Autor schon vor Jahren dar, obgleich die Einzelnheiten insgesammt von neuer Erfindung sind. Ich theilte einem Verleger die Idee mit, Seeleute und Wilde unter Verhältnissen, welche den großen Seen eigenthümlich wären, mit einander in Verbindung zu bringen, und übernahm somit gewissermaßen gegen denselben die Verpflichtung, seiner Zeit das Gemälde auszuführen: eine Verpflichtung, deren ich mich nun hiermit — freilich spät und unvollständig — entledige.

In dem Hauptcharakter dieser Novelle wird der Leser einen alten Freund unter neuen Umständen finden. Sollte es sich erweisen, daß die Wieder-Einführung dieses alten Bekannten unter veränderten Verhältnissen ihn in der Gunst der Lesewelt nicht sinken läßt, so wird dies dem Verfasser ein um so größeres Vergnügen gewähren, als er an der fraglichen Person warmen Antheil nimmt, gleich als hätte sie einmal unter den Lebenden gewandelt. Es ist jedoch kein leichtes Unternehmen, denselben Charakter mit Beibehaltung der bezeichnenden Eigenthümlichkeit in vier Werken durchzuführen, ohne Gefahr zu laufen, den Leser durch Gleichförmigkeit zu ermüden, und der gegenwärtige Versuch ist eben so sehr in Folge derartiger Besorgnisse, als aus irgend einem andern Grunde so lange verzögert worden. Freilich, in diesem, wie in jedem andern Unternehmen, muß das Ende das Werk krönen.

Der indianische Charakter bietet so wenig Mannigfaltigkeit dar, daß ich es bei der gegenwärtigen Gelegenheit vermied, allzu lange dabei zu verweilen; auch fürchte ich, die Verbindung desselben mit dem des Seemanns wird mehr neu als interessant erscheinen.

Dem Neuling mag es vielleicht als ein Anachronismus auffallen, daß ich schon in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Schiffe auf den Ontario versetze. In dieser Beziehung aber werden Thatsachen die poetische Licenz hinreichend rechtfertigen. Zwar haben sich die in diesen Blättern erwähnten Fahrzeuge weder auf dem Ontario noch auf einem andern Gewässer je befunden; aber ganz ähnliche befuhren dieses Binnenmeer in einer noch viel früheren Zeit, und dieß mag als hinreichende Berechtigung gelten, jene in ein Werk der Poesie einzuführen. Man erinnert sich vielleicht nicht allgemein des bekannten Umstandes, daß es längs der Linie der großen Seen vereinzelte Stellen gibt, welche eben so lange als viele der ältesten amerikanischen Städte bewohnt sind, und die lange, noch ehe der größere Theil selbst der ältern Staaten der Wildniß entrissen wurden, einen gewissen Grad von Civilisation aufzuweisen vermochten.

Der Ontario ist in unsern Tagen der Schauplatz wichtiger nautischer Entwickelungen gewesen. Wo sich vor einem halben Jahrhundert nur eine öde Wasserfläche zeigte, haben Flotten manövrirt, und der Tag ist nicht fern, wo diese Kette von Seen als der Sitz einer Macht und mit Allem befrachtet erscheinen wird, dessen die menschliche Gesellschaft bedarf. Ein Rückblick auf das, was diese weiten Räume ehedem waren, und wäre es auch nur durch die farbigen Gläser der Dichtkunst, mag vielleicht einen Beitrag zu der Vervollständigung des Wissens geben, das uns allein zu einer richtigen Würdigung der wunderbaren Mittel führen kann, deren sich die Vorsehung bedient, um dem Fortschritt der Civilisation über das ganze amerikanische Festland Bahn zu brechen.

Im Dezember 1839.


Erstes Kapitel.

Der Rasen gebe des Altares Duft, 

Zum Tempel  wölben sich des Himmels Räume, 

Der Opferrauch sei mir der Berge Luft, 

Und mein Gebet des Herzens stille Träume.

Moore.  

Es tritt jedem Auge nahe, in welch' enger Verbindung das Erhabene mit dem Unermeßlichen steht. Die tiefsten, die umfassendsten und vielleicht die reinsten Gedanken erfüllen die Phantasie des Dichters, wenn  er in die Weiten eines unbegränzten Raumes schaut. Selten erblickt man zum ersten Mal die endlose Fläche des Oceans mit Gleichgiltigkeit, und selbst in der Dunkelheit der Nacht findet die Seele eine Parallele zu der Größe, die unzertrennlich von Bildern zu sein scheint, welche die Sinne nicht in Rahmen zu fassen vermögen. Mit solchen Gefühlen der Verwunderung und Ehrfurcht, den Sprößlingen des Erhabenen, blickten die verschiedenen Personen, mit welchen ich die Handlung dieser Erzählung eröffnen muß, auf die vor ihren Augen liegende Scene. Die Gesellschaft bestand aus zwei Männern und zwei Weibern, welche, um eine freiere Aussicht auf ihre Umgebung zu gewinnen, einen Haufen Bäume zu ersteigen versuchten, welche der Sturm umgestürzt hatte. Man nennt solche Stellen in jenen Gegenden Windgassen, und da nur an solchen das Licht der Sonne in die dunkeln, dunstigen Wäldergründe zu dringen vermag, so bilden sie eine Art von Oasen in der feierlichen Dunkelheit der jungfräulichen Wälder Amerika's.

Die genannte Windgasse lag auf einer sanften Ansteigung, welche, obgleich sie nur unbedeutend war, dem, der ihren höchsten Punkt erstiegen hatte, eine weithin reichende Aussicht, deren sich Wanderer in den Wäldern nur selten erfreuen können, darbot. Der Umstand, daß die Gasse auf einem Hügel lag, und daß die Waldlücke sich abwärts zog, gewährte dem Auge ungewöhnliche Vortheile. Die Physiker haben es bis jetzt noch nicht vermocht, das Wesen der Kräfte zu ergründen, welche so oft Stellen auf die beschriebene Weise verwüsten, und sie haben es bald in den Wirbelwinden, welche auf dem Meere die Wasserhosen erzeugen, bald in plötzlichen und heftigen Durchzügen elektrischer Strömungen zu finden geglaubt. Wie dem übrigens sei — die Erscheinung selbst ist eine in den Wäldern wohlbekannte Thatsache. Am oberen Saume der genannten Waldlücke hatte jener unsichtbare Einfluß Baum auf Baum in einer Weise aufgethürmt, daß nicht nur der männliche Theil der Gesellschaft im Stande war, sich etwa dreißig Fuß über den Boden zu erheben, sondern daß auch die furchtsameren weiblichen Genossen sich durch einige Nachhilfe und Ermuthigung zur Theilnahme veranlassen ließen. Die ungeheuern Stämme, welche die Gewalt des Sturmes zerbrochen und fortgetrieben hatte, lagen wie Strohhalme untereinander gemengt, indeß die Zweige mit den duftenden, welkenden Blättern sich untereinander verflochten, und den Händen hinreichende Anhaltspunkte boten. Ein Baum war vollkommen entwurzelt und das untere Ende zu oberst gekehrt, so daß es mit der in den Wurzelzwischenräumen befindlichen Erde für unsere vier Abenteurer, als sie die gewünschte Höhe erreicht hatten, eine Art von Gerüste bildete.

Der Leser darf sich bei der ihm vorgeführten Gruppe keine Leute von Stand denken. Es waren Reisende in der Wildniß, denen man auch unter anderen Verhältnissen angesehen haben würde, daß ihren frühern Gewohnheiten und ihrer wirklichen gesellschaftlichen Stellung vieles von den Bedürfnissen der höhern Stände fremd geblieben war. In der That gehörten auch zwei von der Gesellschaft, ein Mann und ein Weib, zu den eingebornen Eigenthümern des Bodens; sie waren Indianer aus dem bekannten Stamme der Tuscaroras. Das dritte Glied der Gesellschaft trug die Eigenthümlichkeiten und Abzeichen eines Mannes, der seine Tage auf dem Ocean zugebracht hatte und, wenn er anders auf irgend eine Stellung Anspruch machen konnte, keine viel höhere, als die eines gemeinen Seemanns einnahm. Der weibliche Gefährte des letzteren war ein Mädchen, aus einer nicht viel höheren Klasse als die seinige, obgleich ihre Jugend, das Anmuthige ihrer Gesichtsbildung und eine bescheidene, aber ausdrucksvolle Miene ihr den Charakter des Verstandes und jener Verfeinerung ausprägten, welche so viel zu der Hebung weiblicher Reize beiträgt. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit leuchteten in ihrem vollen blauen Auge die erhabenen Gefühle, welche das großartige Schauspiel in ihr erzeugte, und ihr angenehmes Gesicht zeigte jenen Ausdruck des Nachdenkens, mit welchem alle tiefen Gemüthsbewegungen, obgleich gerade sie das größte Vergnügen gewähren, die Gesichtszüge geistvoller und gedankenreicher Personen beschatten.

Und wahrlich, die Scene war hinreichend geeignet, einen tiefen Eindruck auf die Phantasie des Beobachters zu üben. Das Auge streifte gegen Westen, in welcher Richtung allein die Aussicht frei war, über ein Meer von Blättern, das in dem herrlich wechselnden, lebhaften Grün einer kräftigen Vegetation, beschattet von den üppigen Ästen des zweiundvierzigsten Breitegrades prangte. Die Rüster mit ihren zierlichen, hängenden Zweigen, die reichen Varietäten des Ahorns, am meisten aber die edlen Eichen der amerikanischen Urwälder, mit den breitblättrigen Linden, welche man in diesen Gegenden unter dem Namen des Unterholzes kennt, bildeten durch die Verschlingung ihrer Wipfel einen breiten, endlosen Blätterteppich, der sich gegen Abend hinzog, bis er den Horizont begränzte und sich mit den Wolken mischte, ähnlich den Wellen des Oceans, die am Saume des Himmelsgewölbes sich an die Wolkenmassen reihen. Hin und wieder gestattete eine durch Stürme oder durch die Laune der Natur erzeugte Lücke unter diesen riesenhaften Waldesgliedern einem untergeordneten Baume aufwärts zu streben gegen das Licht, und sein bescheidenes Haupt nahezu in ein gleiches Niveau mit der ihn umgebenden grünen Fläche zu bringen. Von der Art war die Birke, ein Baum, der in minder begünstigten Gegenden schon eine Bedeutung hat, die Zitterpappel, einige kräftige Nußbäume und verschiedene andere, so daß das Unedle und Gemeine ganz zufällig in die Gesellschaft des Stattlichen und Großartigen geworfen zu sein schien. Hie und da durchbohrte der hohe gerade Stamm der Fichte die ungeheure Ebene, hoch über sie wegragend, gleich einem großartigen Denkmal, welches die Kunst auf einer grünen Fläche errichtete.

Es war das Endlose der Aussicht, die fast ununterbrochene Fläche des Grüns, was dem Ganzen den Charakter der Größe, aufprägte. Die Schönheit des Anblicks zeigte sich jedoch in den zarten Tinten, gehoben durch den Wechsel des Lichts und des Schattens, indeß die feierliche Stille die Seele mit heiliger Scheu erfüllte.

„Onkel," sagte das freudig erstaunte Mädchen zu ihrem männlichen Gefährten, dessen Armes sie sich mehr wie eines Berührungspunktes, als einer Stütze bediente, da sie selbst auf sicheren Füßen stand, „wie sehr erinnert dieser Anblick an den Ocean, der Euch so theuer ist."

„So viel, als sich eben ein unwissendes Mädchen einbilden mag, Magnet," (es war dies ein Ausdruck der Zärtlichkeit, dessen sich der Seemann oft als einer Anspielung auf die persönlichen Anziehungskräfte seiner Nichte bediente,) „aber nur ein Kind kann eine Aehnlichkeit zwischen dieser Handvoll Blätter und dem wirklichen atlantischen Ocean finden. Nimm alle diese Baumwipfel zusammen, sie würden nichts weiter, als einen Strauß für Neptuns  Jacke geben."

„Ich denke, Eure Phantasie versteigt sich, Onkel. Schau nur, hier ist Meile an Meile, und doch sehen wir nichts als Blätter. Was kann uns ein Blick auf den Ocean mehr geben?"

„Mehr?" erwiederte der Onkel, und berührte sie in ungeduldiger Bewegung mit dem Ellbogen, da er die Arme gekreuzt und die Hände in dem Busen eines rothlinnenen Wamses, wie man es damals trug, verborgen hatte, „mehr, Magnet? Sage lieber, was weniger? Wo sind denn die kräuselnden Wellen, die blauen Wasser, die Rollwogen, die Brandungen, die Walfische, die Wasserhosen, und die endlose Bewegung in diesem bischen Walde da, mein Kind?"

„Und wo sind die Baumgipfel, die festliche Stille, die duftigen Blätter auf dem Ocean, Onkel?"

„Weg damit, Magnet! Wenn du etwas von solchen Dingen verstündest, so wüßtest du, daß grünes Wasser dem Seemann Gift ist. Kaum einen Grünschnabel kann er weniger leiden."

„Aber grüne Bäume sind ganz andere Dinge. Horch! Dieser Ton ist das Säuseln des Windes in den Blättern."

„Da solltest du einen Nordwest sausen hören, Mädchen; aber, freilich, einen Wind auf dem Achterdecke kannst du dir nicht denken. Ha, wo sind die Kühlten, die Orkane, die Passat- und Ostwinde und ähnliche Erscheinungen aus diesem Waldfleckchen hier? und was für Fische schwimmen unter dieser zahmen Fläche?"

„Daß es hier Stürme gegeben hat, zeigt die Gegend rund um uns her hinreichend, und, wenn auch nicht Fische, so sind doch Thiere unter diesen Blättern."

„Ich weiß das nicht!" erwiederte der Onkel mit dem absprechenden Tone eines Seemanns. „Man erzählte uns zu Albany manche Geschichten von wilden Thieren, mit denen wir zusammentreffen könnten, und doch haben wir nicht so viel gesehen, als ein Seekalb erschrecken könnte. Ich zweifle, ob eines von diesen Landthieren sich mit einem Aequatorhay vergleichen läßt."

„Seht!" rief die Nichte, welche sich mehr mit der Betrachtung des endlosen Waldes, als mit ihres Onkels Argumentationen beschäftigte, „dort ringelt sich Rauch über den Gipfeln der Bäume. Mag der wohl aus einem Hause kommen?"

„Ja, ja; 's ist das Aussehen von 'was Menschlichem in diesem Rauch," erwiederte der alte Seemann, „was mehr werth ist, als tausend Bäume. Ich muß ihn Arrowhead [Pfeilspitze] zeigen, der bei seinem Rennen wohl an einem Hafen vorbeifahren würde, ohne ihn zu erkennen. Wo Rauch ist, da muß auch wahrscheinlich ein Küchenraum sein."

Als er ausgesprochen, zog er die Hand aus dem Busen, berührte den Indianer, welcher in der Nähe stand, leicht an der Schulter und deutete auf eine dünne Dunstsäule, welche sich in der Entfernung von ungefähr einer Meile [Es sind durch das ganze Werk immer englische Meilen gemeint.] langsam aus der Blätterwildniß emporstahl und in fast unmerklichen Nebelstreifen in der bebenden Atmosphäre verlor. Der Tuscarora war eine von jenen edeln Kriegergestalten, welche man unter den Ureinwohnern dieses Kontinents vor einem Jahrhundert häufiger antraf, als dieses gegenwärtig der Fall ist, und ob er gleich oft genug mit den Kolonisten in Berührung gestanden hatte, um mit ihrer Sprache und ihren Sitten vertraut zu sein, so hatte er doch wenig oder gar nichts von der wilden Größe und der einfachen Würde eines Häuptlings verloren. Zwischen ihm und dem alten Seemann hatte zwar ein freundschaftlicher, doch etwas entfernter Verkehr stattgefunden, denn der Indianer war zu oft mit den Offizieren der verschiedenen militärischen Posten zusammengekommen, um nicht die subalterne Stellung seines gegenwärtigen Reisegefährten zu kennen. Die ruhige Zurückhaltung des Tuscarora hatte auch in der That ein solches Uebergewicht auf Charles Cap [Cap bedeutet in der Schiffssprache das dicke Holz an jedem Absatz eines  Mastes, das sogenannte Eselshaupt.], denn so war der Name des Seemanns, geübt, daß Letzterer selbst in seiner fröhlichsten Laune oder in seinen dünkelvollsten Augenblicken sich keine Vertraulichkeit erlaubte, obschon ihr Verkehr bereits über eine Woche anhielt. Der Anblick des aufsteigenden Rauchs jedoch hatte ihn wie die plötzliche Erscheinung eines Segels auf der See ergriffen, und das erste Mal während ihres Zusammenseins wagte er es, den Krieger auf die eben bezeichnete Weise zu berühren.

Das schnelle Auge des Tuscarora warf einen raschen Blick auf den Rauch. Dann erhob er sich leicht auf die Zehenspitzen und stand eine volle Minute mit erweiterten Nüstern da, gleich dem Reh, das in der Luft Gefahr wittert, mit einem Blick, ähnlich dem des gut dressirten Hühnerhundes, der auf den Wink seines Herrn lauert. Dann senkte er die Ferse mit einem schwachen, kaum vernehmbaren Ausruf in der sanften Tonweise, welche einen so eigenthümlichen Contrast mit dem rauhen Kriegsgeschrei der Indianer bildet. Seine Züge waren ruhig, und sein schnelles, dunkles Auge flog über das Blätterpanorama, als ob er mit einem Blick jeden Umstand, der ihm Auskunft ertheilen konnte, erfassen wollte. Die lange Reise, welche sie durch den breiten Gürtel der Wildniß unternommen hatten, war, wie Onkel und Nichte wohl wußten, nothwendig mit Gefahr verbunden, obgleich sie nicht gerade bestimmen konnten, ob die Spuren von menschlicher Nachbarschaft gute oder schlimme Vorzeichen seien.

„Es müssen Oneida's oder Tuscarora's in unserer Nähe sein, Arrowhead," sagte Cap, indem er sich mit der gewöhnlichen Benennung an seinen indianischen Gefährten wandte. „Wird es nicht gut sein, Gesellschaft mit ihnen zu machen, um ein behagliches Nachtlager in ihrem Wigwam zu gewinnen?"

„Dort kein Wigwam," antwortete Arrowhead in seiner unbeweglichen Weise, „zu viel Baum."

„Aber Indianer müssen da sein; vielleicht einige von Euren alten Kameraden, Meister Arrowhead."

„Kein Tuscarora — kein Oneida — kein Mohawk — Blaßgesichtsfeuer."

„Der Teufel ist es! — Wohl, Magnet! Das übersteigt eines Seemanns Philosophie. Wir alten Seehunde können reden von eines Soldaten und eines Schiffers Tabakskaue, und das Soldatengat von der Hängmatte eines Kameraden unterscheiden, aber ich glaube nicht, daß der älteste Admiral von seiner Majestät Flotte einen Unterschied finden wird zwischen dem Rauch eines Königs und dem eines Kohlengräbers."

Der Gedanke, in diesem Meer von Wildniß menschliche Wesen zu Nachbarn zu haben, hatte das Roth aus den blühenden Wangen des schönen Geschöpfes, welches ihm zur Seite stand, und den Glanz ihrer Augen noch erhöht. Doch schnell kehrte sie den überraschten Blick zu ihrem Verwandten, und da sie Beide zu oft die Kenntnisse, wir möchten fast sagen, den Instinkt des Tuscarora bewundert hatten, so sprach sie mit Zögern:

„Ein Blaßgesichtsfeuer? Gewiß, Onkel das kann er doch nicht wissen?«

„Zehn Tage früher, Kind, würde ich darauf geschworen haben; aber jetzt weiß ich wahrlich nicht, was ich glauben soll. — Ich möchte mir die Freiheit nehmen, zu fragen, warum Ihr Euch einbildet, daß der Rauch, welchen wir sehen, der eines Blaßgesichts und nicht der einer Rothhaut ist?"

„Feucht Holz," erwiederte der Krieger mit einer Ruhe, ähnlich der eines Pädagogen, welcher seinem ungelehrigen Zögling eine arithmetische Demonstration klar zu machen sucht. „Viel feucht — viel Rauch; viel Wasser — schwarzer Rauch."

„Aber, Vergebung, Meister Arrowhead, der Rauch ist weder schwarz, noch ist dessen viel vorhanden. So viel ich erkennen kann, ist es ein so lichter und leichter Rauch, als nur je einer aus eines Kapitäns Theekessel stieg, wenn zum Brennmaterial nichts Anderes als einige Schnitzel von den Ballastunterlagen zu finden waren."

„Zu viel Wasser," entgegnete Arrowhead mit einem leichten Kopfnicken. „Tuscarora zu schlau, als zu machen Feuer mit Wasser, Blaßgesicht zu viel Buch, und brennt Alles; viel Buch — wenig Wissen."

„Vernünftig, ich geb' es zu," sagte Cap, der eben kein Freund von Büchern war, „das ist ein Stich auf dein Lesen, Magnet. Der Häuptling hat nach seiner Weise verständige Ansichten von den Dingen. Wie weit aber, Arrowhead, entfernt uns Eure Berechnung noch von der Pfütze, welche Ihr den großen See nennt, und auf die wir nun schon so viele Tage lossteuern?"

Der Tuscarora blickte auf den Seemann mit ruhiger Ueberlegenheit und sprach:

„Ontario gleich dem Himmel; eine Sonne und der große Reisende wird es erfahren."

„Wohl, ich kann's nicht läugnen, daß ich ein großer Reisender gewesen bin, aber von allen meinen Reisen war diese die längste, die am wenigsten einträgliche und die entfernteste auf dem Lande. Wenn dieser Frischwasserbehälter so nahe und zu gleicher Zeit doch so groß sein soll, Arrowhead, so sollte man doch glauben, daß ein Paar gute Augen ihn aufzufinden vermöchten; denn es hat den Anschein, als ob man Alles, was innerhalb des Raumes von dreißig Meilen liegt, von diesem Lug-aus sollte sehen können."

„Sieh," sagte Arrowhead, indem er einen Arm mit ruhiger Würde vor sich ausstreckte, „Ontario."

„Onkel, Ihr seid gewöhnt zu schreien ,Land ho'! aber nicht Wasser ho', und seht es deßhalb nicht," rief die Nichte mit Lachen, wie die Mädchen über ihre eigenen eitlen Einfälle zu thun pflegen.

„Wie, Magnet! Glaubst du, daß ich mein angeborenes Element nicht kennen würde, wenn ich es zu Gesicht bekäme?"

„Aber der Ontario ist nicht Euer angeborenes Element, lieber Onkel, denn Ihr kommt von dem Salzwasser, und dieses Wasser ist süß."

„Das könnte allenfalls für einen jungen Schiffmann einen Unterschied machen, aber nirgends in der Welt für einen alten. Ich würde das Wasser kennen, wenn ich es in China zu Gesicht bekäme."

„Ontario," wiederholte Arrowhead mit Begeisterung, und deutete mit der Hand gegen Nordwest.

Cap blickte auf den Tuscarora zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft mit einem gewissen Anflug von Verachtung, obgleich er nicht ermangelte, der Richtung von Auge und Arm des Häuptlings zu folgen, welche allem Anschein nach auf eine leere Stelle des Himmels in kleiner Entfernung über der Blätterfläche hinwiesen.

„Ja, ja: es entspricht ganz der Erwartung, die ich mir machte, als ich die Küste verließ, um einen Süßwasserteich aufzusuchen," erwiederte Cap mit Achselzucken, gleich einem Manne, der mit sich im Reinen ist und alle weitern Worte für unnöthig hält. — „Der Ontario mag da, oder meinetwegen in meiner Tasche sein. Wohl, ich will auch annehmen, daß er Raum genug gibt, unser Canoe aus ihm zu handhaben, wenn wir ihn erreichen. Aber, Arrowhead, wenn Blaßgesichter in unserer Nachbarschaft sind, so hätte ich wohl Lust, sie anzubreyen."

Der Tuscarora gab durch ein ruhiges Kopfnicken seine Zustimmung, und die ganze Gesellschaft verließ schweigend die Wurzeln des umgestürzten Baumes. Als sie den Boden erreicht hatten, deutete Arrowhead seine Absicht an, gegen das Feuer hin zu gehen, und sich über die Lage desselben Sicherheit zu verschaffen. Zugleich hieß er sein Weib und die beiden andern Reisenden zu dem Canoe, welches sie in dem nahen Strome gelassen hatten, zurückkehren und seine Wiederkunft erwarten.

„Warum, Häuptling?" erwiederte der alte Cap. „Das möchte wohl angehen auf dem Ankergrund und in der Landweite, deren Fähre man kennt. Aber in einer so unbekannten Gegend, wie diese, halte ich es nicht für räthlich, den Lootsen sich so weit vom Schiff entfernen zu lassen, und wir wollen deßhalb, mit Eurer Erlaubniß, unsere Gesellschaft nicht trennen."

„Was verlangt mein Bruder?" fragte der Indianer ernst, ohne sich jedoch durch dieses offen ausgesprochene Mißtrauen beleidigt zu achten. 

„Eure Gesellschaft, Meister Arrowhead, und nichts weiter. Ich will mit Euch gehen und diese Fremden sprechen."

Der Tuscarora willigte ohne Bedenken ein und beauftragte sein geduldiges, unterwürfiges Weibchen, welche selten ihr volles, reiches, schwarzes Auge anders als mit dem gleichen Ausdruck der Achtung, der Furcht und der Liebe auf ihn richtete, sich zu dem Boot zu begeben. Nun erhob aber Magnet eine Schwierigkeit. Obgleich muthig und, da wo es galt, von ungewöhnlicher Energie, war sie doch ein Weib, und der Gedanke, in der Mitte einer Wildniß, von deren Unabsehbarkeit sie eben erst ihre eigenen Sinne überzeugt hatten, von ihren beiden männlichen Beschützern verlassen zu werden, wurde ihr so peinigend, daß sie den Wunsch ausdrückte, ihren Onkel zu begleiten.

„Die Bewegung wird mir, nachdem ich so lange in dem Canoe gesessen, gut bekommen, lieber Onkel," fügte sie bei, als das Blut langsam auf die Wangen zurückkehrte, welche, ungeachtet ihrer Bemühung, ruhig zu erscheinen, erblaßt waren, „und vielleicht sind auch Frauen bei den Fremden."

„So komm denn, Kind. Es ist ja nur eine Kabelslänge, und wir werden wohl eine Stunde vor Sonnenuntergang zurück sein."

In Folge dieser Erlaubniß schickte sich das Mädchen, deren wirklicher Name Mabel Dunham war, an, die Männer zu begleiten, indeß das Weib des Indianers, Dew of June [Junithau], welche zu sehr an Gehorsam, Einsamkeit und das Düster der Wälder gewöhnt war, um Furcht zu fühlen, geduldig ihren Weg gegen das Boot richtete.

Die Drei, welche in der Windgasse zurückgeblieben waren, suchten nun ihren Weg rings um die verwickelten Irrgänge derselben, und gelangten in der erforderlichen Richtung an den Saum des Waldes. Einige Blicke des Auges genügten Arrowhead; aber der alte Cap berieth sich über die Richtung des Rauches mit einem Taschencompaß, ehe er sich dem Schatten der Bäume anvertraute.

„Dieses Steuern nach der Nase, Magnet, mag wohl für einen Indianer gut genug sein, aber ein rechter Seemann kennt die Tugend der Nadel," sagte der Onkel, indeß er sich mühte, dem leicht dahin schreitenden Tuscarora auf der Ferse zu folgen. „Auf mein Wort, Amerika würde nie entdeckt worden sein, wenn Columbus nichts als seine Nasenlöcher gehabt hätte. Freund Arrowhead, habt Ihr je eine Maschine, wie diese hier, gesehen?"

Der Indianer drehte sich um, warf einen Blick auf den Compaß, welchen Cap auf eine Weise hielt, daß er die Richtung ihres Weges anzeigte, und antwortete ernst:

„Ein Blaßgesichtsauge. Der Tuscarora sieht in seinen Kopf. Das Salzwasser (denn so benannte der Indianer seinen Gefährten) nun ganz Auge; keine Zunge."

„Er meint, Onkel, daß wir Ursache hätten, stille zu sein. Vielleicht traut er den Personen nicht, mit denen wir zusammenzutreffen beabsichtigen."

„Ach, es ist dies die Gewohnheit eines Indianers, wenn er sich bewohnten Quartieren nähert. Du siehst, daß er die Pfanne seines Gewehrs untersucht, und es wird wohl gut sein, wenn ich bei meinen Pistolen das Gleiche thue."

Ohne bei diesen Vorbereitungen Unruhe zu verrathen, da sie während ihrer langen Reise durch die Wildniß an dieselbe gewöhnt worden war, hielt sich Mabel mit einem Schritt, so leicht und elastisch, als der des Indianers, dicht an ihre Gesellschafter. Während der ersten halben Meile beobachteten sie, außer einem tiefen Schweigen, keine weitere Vorsichtsmaßregel. Als sie sich aber mehr der Stelle näherten, wo sie das Feuer finden mußten, wurde eine größere Sorgfalt nöthig.

Der Urwald stört unter den Baumkronen gewöhnlich die Aussicht fast durch nichts Anderes, als durch die schlanken, geraden Baumstämme. Alle Vegetation hatte sich zum Licht emporgehoben und unter dem Laubhimmel ging man wie durch ein weites natürliches Gewölbe, welches sich auf Myriaden roher Säulen stützte. Diese Säulen oder Bäume dienen oft dazu, den Abenteurer, den Jäger oder den Feind zu verbergen, und je mehr Arrowhead mit schnellen Schritten sich der Stelle nahte, wo ihn seine geübten, unfehlbaren Sinne den Aufenthalt der Fremden erwarten ließen, desto leichter wurden seine Tritte, desto wachsamer sein Auge, desto größer die Sorgfalt, seine Person zu verbergen.

„Sieh, Salzwasser," sprach er triumphirend, indem er auf eine Oeffnung zwischen den Bäumen deutete, „Blaßgesichtsfeuer!"

„Bei Gott, der Bursche hat Recht," brummte Cap. „Da sind sie, sicher genug, und verzehren ihr Mahl so ruhig, als ob sie sich in der Kajüte eines Dreideckers befänden."

„Arrowhead hat nur halb Recht," flüsterte Mabel, „denn dort sind zwei  Indianer und nur ein Weißer."

„Blaßgesichter," sagte der Tuscarora, und hob zwei Finger in die Höhe: „rother Mann," fuhr er fort, indem er mit einem Finger zeigte.

„Gut," erwiederte Cap, „es ist schwer zu sagen, wer Recht oder Unrecht hat. Einer ist ganz weiß und ein feiner, anständiger Bursche, mit einem respektablen Aussehen; der Andere ist eine so gute Rothhaut, als nur Farben und Natur hervorzubringen vermögen; aber der dritte Kunde ist halb aufgetakelt und weder Brigg noch Schooner."

„Blaßgesichter," wiederholte Arrowhead, indem er wieder zwei Finger erhob: „rother Mann," nur einen zeigend.

„Es muß wahr sein, Onkel, denn sein Auge scheint nie zu irren. Aber es ist nun dringend nöthig, zu wissen, ob wir mit Freunden oder Feinden zusammentreffen. Es könnten Franzosen sein."

„Eine einzige Begrüßung wird uns bald über diesen Umstand in's Klare setzen," entgegnete Cap. „Stelle dich hinter diesen Baum, Magnet, damit sich's die Spitzbuben nicht in den Kopf setzen, eine Lage zu geben, ohne zu Parlamentiren. Ich will bald erfahren, unter was für einer Flagge sie segeln."

Der Onkel hatte seine beiden Hände in der Form eines Trompetenbechers an den Mund gesetzt und war daran, die verheißene Begrüßung zu geben, hätte nicht Arrowhead durch eine rasche Handbewegung seine Absicht vereitelt, indem er das extemporirte Instrument in Unordnung brachte.

„Rother Mann, Mohikan," sagte der Tuscarora; „gut; Blaßgesichter, Yengeese."

„Das ist eine Himmelspost," flüsterte Mabel, welche an der Aussicht auf einen tödtlichen Kampf in dieser abgelegenen Wildniß wenig Geschmack fand. „Laßt uns mit einander auf sie zugehen, lieber Onkel, und uns als Freunde vorstellen."

„Gut," sagte der Tuscarora, „rother Mann, kalt und klug; Blaßgesicht übereilt und Feuer. Laßt die Squaw gehen."

„Was!" rief Cap erstaunt, „den kleinen Magnet als Lugaus voranschicken, während zwei faule Schlingel, wie Ihr und ich, stillliegen, um zu sehen, was sie für ein Land anthun wird? Ehe ich das zugebe, will ich —"

„Es ist das Klügste, Onkel," unterbrach ihn das hochherzige Mädchen, „und ich habe nichts zu fürchten. Kein Christ wird auf ein Weib, welches er allein auf sich zukommen sieht, Feuer geben, und meine Gegenwart wird als eine Bürgschaft friedlicher Gesinnungen gelten. Laßt mich vorangehen, wie Arrowhead wünscht, und es wird Alles gut werden. Wir sind bis jetzt unbemerkt geblieben, und werden die Fremden, ohne Unruhe zu erregen, überraschen."

„Gut," erwiederte Arrowhead, welcher seinen Beifall über Mabels Muth nicht verhehlte.

.Die Sache sieht so gar nicht seemännisch aus," antwortete Cap, „aber da wir hier in den Wäldern sind, so weiß ja Niemand darum. Wenn du glaubst, Mabel —"

„Onkel, ich verstehe. Es ist kein Grund vorhanden, für mich Besorgnisse zu hegen. Und wäre es auch, Ihr seid ja nahe genug, mich zu beschützen."

„Gut, aber nimm eine von den Pistolen mit, denn —"

„Nun, ich verlasse mich besser auf meine Jugend und meine Schwäche," sagte das Mädchen lächelnd, indeß eine augenblickliche Aufregung die Farbe ihrer Wangen erhöhte. „Unter christlichen Männern ist ihr Anspruch auf Schutz des Weibes bester Schirm. Ich verstehe mich nicht auf Waffen, und wünsche ihren Gebrauch nicht kennen zu lernen."

Der Onkel ließ sie gewähren, und nachdem ihr der Tuscarora einige Vorsichtsmaßregeln empfohlen hatte, faßte Mabel all ihren Muth zusammen und ging allein auf die in der Nähe des Feuers sitzende Gruppe zu. Obgleich das Herz des Mädchens schneller schlug, so war doch ihr Schritt fest, und ihre Bewegungen ließen kein inneres Widerstreben erkennen. Eine Grabesstille herrschte in dem Wald, denn Diejenigen, welchen sie sich näherte, waren zu sehr mit der Befriedigung jenes mächtigen Naturtriebes, den man Hunger nennt, beschäftigt, als daß sie nur einen Moment ihren Blick dem wichtigen Werke, in welchem Alle mit einander begriffen waren, hätten entziehen mögen. Als jedoch Mabel dem Feuer auf ungefähr hundert Fuß nahe gekommen war, trat sie auf einen trockenen Ast, und so schwach auch das Geräusch war, das durch ihren leichten Tritt veranlaßt wurde, so war es doch hinreichend, den Indianer, welchen Arrowhead als einen Mohikan bezeichnet hatte, und seinen Gefährten, über dessen Charakter man nicht hatte einig werden können, mit Gedankenschnelle auf die Beine zu bringen. Ihr Blick fiel zuerst auf ihre an einen Baum gelehnten Gewehre; aber Beide standen still, ohne den Arm auszustrecken, als ihnen die Gestalt des Mädchens vor die Augen trat. Der Indianer murmelte seinen Gefährten einige Worte zu und nahm dann, so ruhig als ob gar keine Unterbrechung vorgefallen wäre, den Sitz beim Mahle wieder ein. Der weiße Mann dagegen verließ das Feuer und ging Mabel entgegen.

Letztere sah, als der Fremde sich näherte, daß sie sich hier wirklich an einen Mann von ihrer Farbe zu wenden hatte, obgleich sein Anzug aus einer so sonderbaren Mischung der Trachten beider Rassen bestand, daß es wohl eines näheren Blickes bedurfte, um sich Gewißheit zu verschaffen. Er war von mittlerem Alter, und sein zwar nicht schönes Gesicht trug den Ausdruck einer biedern Offenheit, fern von jedem Zuge der Arglist, so daß sich Mabel schnell überzeugen konnte, es drohe ihr hier keine Gefahr. Demungeachtet blieb sie stehen, indem sie vielleicht der Macht der Gewohnheit, vielleicht auch einem inneren Gefühle gehorchte, welches sie verhinderte, unter Verhältnissen, wie die ihrigen waren, so ohne alle Umstände auf eine Person des andern Geschlechtes zuzugehen.

„Fürchten Sie nichts, junge Frau," sagte der Jäger; denn als solchen mochte ihn sein Anzug bezeichnen; „Sie sind in der Wildniß mit Christen und Männern zusammengetroffen, die Alle, welche zum Frieden und zur Gerechtigkeit geneigt sind, auf eine liebevolle Weise zu behandeln wissen. Ich bin ein Mann, der wohlbekannt in diesen Gegenden ist, und vielleicht hat einer meiner Namen Ihr Ohr erreicht. Bei den Franzosen und den Rothhäuten auf der andern Seite des großen See's heiße ich Ia longue Carabine, bei den Mohikanern, deren Stamm, so viel von ihm noch übrig ist, ein gutgesinnter und aufrichtiger ist, bin ich Hawk-eye, indeß die Truppen und Jäger auf dieser Seite des Wassers mich Pfadfinder nennen, weil es bekannt ist, daß ich nie das eine Ende einer Fährte, mochte es die eines Mingo's oder die eines meiner Hülfe bedürftigen Freundes sein, verlor, wenn ich das andere gefunden hatte."

Er brachte dieß Alles nicht in prahlerischem Tone, wohl aber mit der treuherzigen Zuversicht eines Mannes vor, welcher wohl wußte, daß er, mochte er unter was immer für einem Namen bekannt sein, keine Ursache hatte, sich desselben zu schämen. Der Eindruck auf Mabel war ein augenblicklicher. Sobald sie den letzten Beinamen gehört halte, schlug sie die Hände lebhaft zusammen und wiederholte das Wort —

„Pfadfinder!"

„So nennt man mich, junges Frauenzimmer, und mancher große Herr ist zu einem Titel gekommen, den er nicht halb so gut verdiente; obgleich, wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich mir mehr darauf einbilden möchte, meinen Weg zu finden, wo kein Pfad ist, als einen zu finden, der vor mir liegt. Aber die regulären Truppen nehmen es nicht so genau und wissen meist keinen Unterschied zu machen zwischen einem Pfad und einer Fährte, obgleich sie den einen vor Augen haben, und von der andern wenig mehr als der Geruch vorhanden ist."

„So seid Ihr der Freund, den mein Vater uns entgegen zu senden versprochen hat?"

„Wenn Sie Sergeant Dunhams Tochter sind, so hat der große Prophet der Delawaren nie ein wahreres Wort gesprochen."

„Ich bin Mabel, und dort, hinter den Bäumen verborgen, ist mein Onkel Cap und ein Tuscarora, Namens Arrowhead. Wir hofften Euch erst in größerer Nähe des See's zu treffen."

„Ich wünschte, ein besser gesinnter Indianer wäre Euer Führer gewesen," sagte der Pfadfinder; „denn ich bin kein Freund der Tuscarora's, die immer zu weit weg gewandert sind von den Gräbern ihrer Väter, um sich des großen Geistes noch zu erinnern, und Arrowhead ist ein ehrgeiziger Häuptling. Ist Dew of June bei ihm?"

 „Sein Weib begleitet uns. Sie ist ein demüthiges und sanftes Geschöpf."

„Und ein treues Herz obendrein, was mehr ist, als man von Arrowhead rühmen kann, wenn man ihn kennt. Nun gut! wir müssen den Gefährten nehmen, wie ihn die Vorsehung uns gibt, indeß wir der Fährte des Lebens folgen. Ich glaube, daß man einen schlechteren Wegweiser hätte finden können, als den Tuscarora, obgleich er zu viel Mingoblut hat für einen Mann, der stets in der Gesellschaft der Delawaren lebt."

„Es ist vielleicht ein glücklicher Zufall, daß wir zusammengetroffen sind."

„In jedem Fall kein unglücklicher; denn ich habe dem Sergeanten versprochen, sein Kind wohlbehalten in seine Garnison zu bringen, und wenn ich darüber zu Grunde gehen müßte. Wir hofften euch zu treffen, ehe ihr die Wasserfälle erreicht, wo wir unser eigenes Canoe gelassen haben; doch wir dachten, ihr würdet euch nicht darob grämen, wenn wir einige Meilen weiter heraufkämen, um im Nothfalle zu euern Diensten zu sein. Es ist übrigens gut, daß wir es thaten, denn ich zweifle, ob Arrowhead der Mann ist, durch die Strömung zu fahren."

„Hier kommt mein Onkel und der Tuscarora; unsere Parthieen können sich daher jetzt vereinigen."

Als Mabel geendet hatte, kamen Cap und Arrowhead näher, denn sie sahen, daß die Verhandlung freundschaftlich war. Einige Worte genügten, sie von dem, was das Mädchen von den Fremden erfahren hatte, in Kenntnis zu setzen. Sobald dies geschehen war, begab sich die Gesellschaft zu den Zweien, welche ruhig bei ihrem Feuer geblieben waren.


Zweites Kapitel.

So lange nicht dein Heiligthum entweiht 

Und harmlos dir sein Opfer streut, 

Natur! Dein ärmster Sohn, 

Ist er ein Fürst, der Erde Segen 

Ist ausgestreut auf seinen Wegen, 

Sein Sitz ein Wolkenthron.

Wilson. 

Der Mohikan fuhr fort zu essen; der zweite weiße Mann jedoch erhob sich, und nahm vor Mabel Dunham höflich die Mütze ab. Es war ein junger, gesunder, kräftiger Mann und trug einen Anzug, der, obgleich weniger starr gewerbsmäßig als bei dem Onkel, in ihm den Schiffsmann nicht verkennen ließ. In der That sind auch die Seeleute eine von den übrigen Menschen ganz verschiedene Klasse. Ihre Ideen, ihre gewöhnliche Sprache, ihr Anzug, Alles ist so streng bezeichnend für ihren Beruf, als Meinungen, Sprache und Tracht bezeichnend sind für den Muselmann. Obgleich der Pfadfinder kaum mehr in der Blüthezeit des Lebens stand, so schloß sich Mabel doch mit einer Festigkeit an ihn, welche wohl darin ihren Grund haben mochte, daß ihre Nerven auf diese Zusammenkunft vorbereitet waren; aber wenn ihre Augen denen des jungen Mannes am Feuer begegneten, so senkten sie sich vor dem Blicke der Bewunderung, mit welchem er, wie sie sah oder zu sehen glaubte, sie beobachtete. In der That fühlten auch Beide ein gegenseitiges Interesse für einander, welches die Aehnlichkeit des Alters, der Stellung und der Neuheit ihrer Lage bei jungen offenen Gemüthern wohl zu erwecken geeignet war.

„Hier," sagte der Pfadfinder mit einem ehrlichen Lächeln zu Mabel, „sind die Freunde, welche Ihr würdiger Vater Ihnen entgegensendet. Dies ist ein großer Delaware, der zu seiner Zeit ein hochgestellter Mann war, und viele Gefahren und Mühen gesehen hat. Er hat einen, für einen Häuptling ganz geeignete indianischen Namen, den aber eine unerfahrene Zunge nur schwer auszusprechen vermag, weßhalb wir ihn auch in's Englische übertragen haben und ihn big Serpent [Große Schlange] nennen. Glauben Sie aber ja nicht, man wolle damit sagen, daß er verrätherisch sei, wie dieß bei den Rothhäuten jenseits des See's der gewöhnliche Fall ist, sondern, daß er weise und schlau ist, wie es einem Krieger ziemt. Arrowhead weiß, was ich meine."

Während der Pfadfinder diese Worte sprach, betrachteten sich die beiden Indianer eine Weile mit festen Blicken. Dann trat der Tuscarora näher und redete den Andern anscheinend mit freundlichen Worten an.

„Ich sehe," fuhr der Pfadfinder fort, "die Begrüßung zweier Rothhäute in den Wäldern so gerne, Meister Cap, als Ihr den Gruß freundlicher Schiffe auf dem Ocean. Aber weil wir gerade vom Wasser sprechen — es erinnert mich dies an meinen jungen Freund da, den Jasper Western, der einiges von solchen Dingen verstehen muß, da er seine Tage auf dem Ontario zugebracht hat."

„Freut mich, Euch zu sehen, Freund," sagte Cap, indem er dem jungen Süßwassersegler herzlich die Hand drückte, „aber Ihr mögt wohl noch Manches zu lernen haben in der Schule, in die man Euch schickte. Dieß ist meine Nichte, Mabel. Ich nenne sie Magnet, aus einem Grunde, von dem sie sich nichts träumen läßt, obgleich Ihr vielleicht Erziehung genug habt, es zu errathen; denn ich vermuthe, daß Ihr doch einigen Anspruch darauf macht, einen Compaß zu verstehen."

„Der Grund ist leicht aufzufinden," sagte der junge Mann, indem er dabei unwillkürlich sein scharfes, dunkles Auge auf das erröthende Antlitz des Mädchens richtete, „und ich fühle sicher, daß der Schiffer, der mit Eurem Magnet steuert, nie ein falsches Land anthun wird."

 „Ah, Ihr bedient Euch einiger unserer Kunstausdrücke, und mit Verstand und Anstand, wie ich merke, obschon ich fürchte, daß Ihr mehr grünes als blaues Wasser gesehen habt."

„Es darf nicht überraschen, daß wir einige Phrasen, die auf das Land Bezug haben, kennen, da wir es selten länger als auf vier und zwanzig Stunden aus dem Gesicht verlieren."

„Das ist Schade, Junge, recht Schade. Ein ganz kleines Stück Land muß weit reichen für einen Seefahrer, und wahrlich, ich glaube, Meister Western, es ist mehr oder weniger Land rund um Euern See herum."

„Und ist nicht mehr oder weniger Land um den Ocean herum, Onkel?" erwiederte Magnet schnell, denn sie fürchtete eine unzeitige Entwicklung des dem alten Seemann eigenthümlichen Dogmatismus, wenn man es nicht lieber Pedanterie nennen will.

„Nein, Kind, es ist mehr oder weniger Meer um das Land herum; das ist's, was ich dem Ufervolk sagen will, junger Bursche. Man lebt, so gut es gehen will, mitten im Meere, ohne es zu wissen, eigentlich nur geduldet, möchte ich sagen, denn das Wasser ist mächtiger und in viel größerer Masse vorhanden. Allein 's ist des Dünkels kein Ende auf dieser Welt. Ein Kerl, der nie Salzwasser sah, bildet sich oft ein, er wisse mehr als Einer, der das Cap Horn umsegelt hat. Nein, nein, die Erde ist weiter nichts als eine ziemlich große Insel, und alles Uebrige, kann man mit Wahrheit sagen, ist Wasser."

Der junge Western hatte einen großen Respekt vor den Seeleuten des Oceans, nach welchem er sich oft gesehnt; aber er hegte auch eine natürliche Verehrung gegen die breite Fläche, auf der er sein Leben zugebracht hatte, und die in seinen Augen ihre eigenen Reize besaß.

„Was Ihr sagt," antwortete er bescheiden, „mag, was das atlantische Meer anbelangt, wahr sein; aber wir, hier oben, um den Ontario, verehren das Land."

„Das macht, weil Ihr überall vom Land eingeschlossen seid," erwiederte Cap mit herzlichem Lachen; „aber dort ist der Pfadfinder, wie man ihn nennt, mit einigen dampfenden Schüsseln, der uns einlädt, am Mahle Theil zu nehmen, und ich will nur gestehen, daß einem auf dem Meere ein Wildbraten nicht zu Gesicht kommt. Meister Western, Höflichkeit gegen Mädchen kommt in Euren Jahren so leicht als das Schlaffwerden der Flaggenfall-Taue, und wenn Ihr ein Auge haben wollt auf ihre Bequemlichkeit, während ich mich mit dem Pfadfinder und Euren indianischen Freunden zum Mahle vereinige, so zweifle ich nicht, daß sie es Euch gedenken wird."

Meister Cap hatte mehr gesprochen, als zu dieser Zeit klug war. Jasper Western achtete sorgsam auf Mabels Bedürfnisse, und lange gedachte sie dem jungen Seemann die zarte und männliche Aufmerksamkeit, die er ihr bei Gelegenheit dieses ersten Zusammentreffens bewiesen hatte. Er bereitete ihr auf einem Baumstrunk einen Sitz, besorgte ihr ein köstliches Wildpretstückchen, holte Wasser von der Quelle, und da er ihr ganz nahe gegenüber saß, so gewann er durch die höfliche aber freie Manier, mit der er seine Sorgfalt an den Tag legte, einen festen Weg zu ihrer Achtung. Frauen wünschen immer Huldigung zu empfangen, aber nie ist sie ihnen so angenehm und schmeichelhaft, als wenn sie den Ausdruck einer männlichen Höflichkeit trägt, und von einem jugendlichen Altersgenossen dargebracht wird. Der junge Western war, wie die Meisten , welche ihre Zeit fern von der Gesellschaft des sanfteren Geschlechts zugebracht haben, ernst, einfach und zart in seinen Aufmerksamkeiten, die einen reichen Ersatz für alle die conventionellen Verfeinerungen gewährten, welche Mabel vielleicht nicht einmal vermißte. Doch wir wollen die beiden unerfahrenen, arglosen jungen Leute ihren Gefühlen überlassen, durch die sie sich gegenwärtig wohl eher als durch Worte, den Ausdruck der Gedanken, befreunden konnten, und kehren zu der Gruppe zurück, in welcher der Onkel, mit der anmaßenden Vertraulichkeit, welche ihn nie verließ, bereits eine Hauptperson geworden war.

Die Gesellschaft hatte sich um eine zum gemeinschaftlichen Gebrauche aufgestellte Schüssel mit Wildpretstücken niedergelassen, und natürlich trug die Unterhaltung das charakteristische Gepräge der dabei betheiligten Individuen. Die Indianer waren still und emsig: der Wildpret-Appetit der ureingebornen Amerikaner schien unstillbar. Die zwei weißen Männer waren mittheilend und gesprächig, geschwätzig sogar, und Beide starrsinnig in ihrer Weise. Da jedoch die Unterhaltung, welche sie führten, den Lesern mit manchen Thatsachen bekannt machen kann, welche zum besseren Verständniß der nachfolgenden Erzählung beitragen, so wird es geeignet sein, dieselbe nicht zu übergehen.

„Ich zweifle nicht, Meister Pfadfinder," begann Cap, als der Hunger des Reisenden so weit beschwichtigt war, daß er nun anfing, sich unter den übrigen nur die saftigeren Stückchen auszulesen, „daß ein Leben wie das Eurige viel Befriedigung gewähren muß. Es hat einiges von den Wechseln und Zufällen, welche der Seemann liebt, und wenn bei uns Alles Wasser ist, so ist bei Euch Alles Land."

„Ha, wir haben auch Wasser auf unsern Reisen und Märschen," erwiederte sein weißer Gesellschafter. „Wir Gränzleute handhaben das Ruder und die Fischgabel fast eben so oft als die Büchse und das Waidmesser."

„Ah, aber handhabt ihr auch die Brasse und die Bugleine, das Steuerrad und die Leitleine, die Reffseising und das Windreep? Das Ruder ist ein gutes Ding, ohne Zweifel, für ein Canoe; aber wozu kann man es in einem Schiff brauchen?"

„Ich respektire jeden in seinem Beruf, und ich kann wohl glauben, daß alle die Dinge, die Ihr da erwähnt habt, zu etwas nütze sind. Ein Mann, der, wie ich, mit so vielen Stämmen gelebt hat, weiß wohl einen Unterschied zu machen unter den Gebräuchen.

Der Mingo malt seine Haut anders als der Delaware, und wer einen Krieger in dem Anzug einer Squaw zu sehen hofft, wird sich wohl täuschen. Ich bin zwar noch nicht besonders alt, aber ich habe in den Wäldern gelebt und mir einige Vertrautheit mit der Menschennatur erworben. Auf das Wissen derer, die in den Städten wohnen, habe ich nie viel gehalten, denn ich habe von dorther noch keinen gesehen, der ein Auge für eine Büchse oder eine Fährte gehabt hätte."

„Das ist bis auf's Garn meine Art zu räsonniren, Meister Pfadfinder. Durch die Straßen laufen, Sonntags in die Kirche gehen und eine Predigt anhören, das hat nie aus einem menschlichen Wesen einen Mann gemacht. Aber sendet den Knaben hinaus auf den weiten Ocean, wenn Ihr seine Augen öffnen wollt; laßt ihn fremde Völker, oder, wie ich es nenne, das Angesicht der Natur sehen, wenn Ihr wollt, daß er seinen Charakter kennen lernen soll. Da ist nun mein Schwager, der Sergeant: er ist in seiner Weise ein so guter Bursche, als nur je einer Zwieback gebrochen hat; aber was ist er im Ganzen? — nichts, als ein Soldat, — ein Sergeant zwar: aber das ist doch nur so eine Soldatenart, wie Ihr wohl wißt. Als er die arme Bridget, meine Schwester, heirathen wollte, sagte ich dem Mädchen, was er sei, wie er von seinen Pflichten in Anspruch genommen werde, und was sie von einem solchen Ehemann zu hoffen habe; aber Ihr wißt ja, wie es ist mit den Mädchen, wenn eine Liebschaft ihren Verstand in die Klemme bringt. Es ist wahr, der Sergeant ist in seinem Beruf gestiegen, und man sagt, daß er ein bedeutender Mann im Fort sei; aber sein armes Weib hat's nicht erlebt, all das zu sehen, denn es ist nun schon an vierzehn Jahre, daß sie todt ist."

„Des Soldaten Beruf ist ein ehrenwerther Beruf, vorausgesetzt, daß er nur auf der Seite des Rechts kämpft," entgegnete der Pfadfinder, „und da die Franzosen immer schlecht sind und Seine geheiligte Majestät und diese Kolonien immer recht handeln, so behaupte ich, daß der Sergeant ein eben so gutes Gewissen hat, als er einen wackeren Charakter besitzt. Ich schlief nie süßer, als wenn ich einen Kampf mit den Mingo's ausgefochten hatte, obgleich ich es mir zum Grundsatz gemacht habe, stets wie ein weißer Mann, und nie wie ein Indianer zu kämpfen. Der Serpent da hat seine Gewohnheiten, und ich die meinigen; und doch haben wir so manche Jahre mit einander Seite an Seite gefochten, ohne daß Einer dem Andern seine Weise verdachte. Ich erzähle ihm, daß es, trotz seiner Traditionen, doch nur einen Himmel und eine Hölle gibt, obschon die Wege zu beiden vielfältig sind."

„Das ist vernünftig, und er muß Euch glauben, obschon ich denke, daß die Wege zur letzteren meist auf dem trockenen Lande liegen. Das Meer ist, wie meine arme Schwester zu sagen pflegte, ein Reinigungsort, und man ist außer den Wegen der Versuchung, wenn man außer der Sicht des Landes ist. Ich zweifle, ob man eben so viel zu Gunsten Eurer Seen da oben sagen kann."