»Hat sie recht?«

Fußnoten

  1. Amnesty International empfiehlt die Schreibweise mit großem S.

  2. Diese Schweizer Redewendung, die aus der Zeit stammt, als ein »Weggli«, ein Milchbrötchen, noch 5 Rappen kostete, beschreibt den Wunsch, zwei Vorteile zu erlangen, die sich gegenseitig ausschließen. In Deutschland und Österreich würde man sagen: auf zwei Hochzeiten tanzen wollen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vergangenen sieben Jahren, in denen ich rund 350 Ratgeberkolumnen geschrieben habe, bin ich einige Male gefragt worden, was mich eigentlich dazu befähige. Ich sei ja kein Psychologe oder so was.

Stimmt. Bin ich nicht. Aber wir erteilen einander alle ständig Ratschläge, oft sogar durchaus hilfreiche. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich eingeladen worden bin, es öffentlich zu tun.

Das führt allerdings dazu, dass ich nicht nur durch mich selbst und mein Umfeld mit allerlei drängenden Fragen konfrontiert werde, sondern auch aus der Ferne. Viele Menschen haben mir von immensem seelischem Leid berichtet, das sich verstörenderweise vor allem dort abspielt, wo es am wenigsten hingehört: in Familien, Beziehungen und Freundschaften.

Das ist eine der Einsichten aus meiner kolumnistischen Tätigkeit: Wenn einander Zugewandte schon so grausam miteinander umgehen, sind bewaffnete Konflikte, Tierleid und Umweltzerstörung nur die logische Folge.

Und: Alles beginnt und endet bei uns selbst. Wenn wir uns nicht achten, wenn wir nicht nett sind zu uns selbst, wird unser Leben zur Hölle.

Und: Schmerz auszuhalten ist eine richtig schlechte Idee. Man gewinnt damit weder Glück noch einen Orden für besondere Tapferkeit.

Aber auch: Menschen wollen froh sein. Das ist unser aller Wunsch. Wir wünschen uns Geborgenheit und Harmonie, und wenn das Gegenteil herrscht, wollen wir es unbedingt zum Guten hin verändern. Das misslingt zwar immer wieder, weil uns oft der Mut für die wesentlichen Veränderungen fehlt, aber das ändert nichts an unserer ureigenen Aufgabe: dem Leid, wo immer es herrscht, ein liebevolles Ende zu setzen. Unserem eigenen, jenem unserer Kinder, unserer Geliebten, und schließlich, vielleicht, irgendwann, jenem der Natur.

 

Thomas Meyer, im Mai 2021

 

 

PS: Ich danke dem Ringier Verlag von Herzen für seine Treue, die mir – neben derjenigen von Leser:innen und Veranstalter:innen – gestattet, was alle Autor:innen sich wünschen: vom Schreiben leben zu können. Und dem Diogenes Verlag dafür, dass meine im SonntagsBlick-Magazin publizierten Gedanken noch weitere Kreise ziehen dürfen. Am Ende dieses Bandes gibt es übrigens ein Register, damit Sie alle Texte zu einem bestimmten Thema sogleich finden.

 

: Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie mir, ich werde eine persönliche und möglichst hilfreiche Antwort für Sie verfassen, unter Wahrung der Diskretion: blitzbrief@me.com

Sie haben ein klassisches Dilemma, also eine Zwangslage, in der Sie zwischen zwei ähnlich unangenehmen Wegen wählen müssen: Entweder Sie fühlen sich schlecht, weil Sie Ihren Job weiter ausführen, oder Sie fühlen sich schlecht, weil Sie ihn kündigen und daraufhin mit Existenz- und Zukunftsangst konfrontiert sind. Viele Menschen, vielleicht die meisten, entscheiden sich in einer solchen Situation gegen die Veränderung, aus simplem Grund: Das alltägliche Missbehagen spielt sich in einem vertrauten und damit berechenbaren Rahmen ab – Sie wissen exakt, was Sie morgen bei der Arbeit erwartet. Was hingegen auf Sie zukommt, wenn Sie morgen kündigen, entzieht sich Ihrer Kenntnis, und das verunsichert Sie. Ihr Verstand wird Ihnen deshalb das Gleiche erzählen wie Ihr Umfeld: dass man nicht alles haben könne, dass Sicherheit wichtiger sei als gute Laune, dass man in jedem Job Kompromisse eingehen müsse, dass Sie als Familienvater Verantwortung zu ‌tragen hätten, dass man manchmal auf die Zähne beißen müsse. Das klingt alles sehr vernünftig. Aber vernünftig ist nicht immer weise.

Was Beziehungen anbelangt, existiert eine Reihe von bemerkenswerten Glaubenssätzen, die das Handeln von Millionen bestimmen – allerdings meist zum Schlechten. Einer dieser Glaubenssätze lautet: »Wenn zwei sich lieben, können sie jede Schwierigkeit meistern.« Und das ist ein fataler Irrglaube. Liebe bedeutet nicht automatisch, dass man zueinander passt. Sie bedeutet lediglich, dass man einander zugeneigt ist. Liebe kann jedoch keine Schwierigkeiten lösen, sie kann einen diese nur erdulden lassen – und das leider beinahe grenzenlos. Man sagt nicht umsonst, dass sie blind mache. Blind gegenüber der Inkompatibilität und dem Schmerz.

Natürlich muss man sich nicht »immer gleich« trennen. Das macht allerdings auch kaum jemand – obschon immer wieder zu hören ist, dass die Leute heutzutage beim ersten Konflikt davonliefen. Im Gegenteil, die Menschen möchten, dass ihre Beziehung funktioniert, und versuchen, ihre Probleme zu lösen. Aber es gibt eben Probleme, die nur deshalb entstanden sind, weil sich da zwei zusammengetan haben, die nicht zusammen sein sollten. Und dieses

Man muss sich im Klaren sein darüber, was man von einer Beziehung erwartet und was für einen inakzeptabel ist. Und wenn man jemanden kennenlernt, muss man diese Fragen zu zweit erörtern. Denn an den Antworten wird sich nie etwas ändern. Nie hat jemand aufgehört zu sein, wie er ist. Man ist daher gut beraten, seine Verliebtheit mit einer guten Portion Nüchternheit zu würzen, bevor es ernst wird. Romantiker:innen leben nämlich bald sehr ungesund.

Leider nichts. Ihre Kindheit ist wie das Drehbuch eines bereits produzierten Films. Andere haben vor langer Zeit entschieden, was geschieht, und was Sie heute zum Ergebnis sagen, ändert nicht das Geringste daran. Sie können nichts dagegen tun. Aber Sie können damit etwas tun, indem Sie es nämlich umdeuten vom Fluch zum Segen, von der Last zur Fähigkeit, vom Schmerz zur Kraft.

Gehen Sie – bloß als Gedankenspiel, es muss nicht Ihrer Haltung entsprechen – davon aus, dass Ihre ungeborene Seele sich Folgendes überlegt hat: Was möchte ich erleben auf der Erde? Woran möchte ich wachsen, inwiefern möchte ich mich entwickeln? Versuchen Sie Ihre Eltern nicht als unfähige Grobiane zu sehen, auch wenn sie es gewesen sind, sondern als Lehrmeister, die Sie darin unterrichtet haben, über den Schmerz und die Furcht hinauszuwachsen. Und das geht eben nur durch Schmerz und Furcht. Was könnte also die Lektion sein, die Ihre Eltern Ihnen vermittelt haben? Was ist aufgrund dessen Ihre Aufgabe im Leben? Inwiefern profitieren Sie und andere von

Was Ihre Beziehungen angeht, müssen Sie sich damit anfreunden, dass Sie einen seelischen Schaden haben. Vielleicht hilft es Ihnen zu wissen, dass fast alle einen haben, weil von fast allen Elternpaaren mindestens einer der beiden einen therapiewürdigen Knall hat. Reden Sie mit künftigen Partnern oder Ihrem aktuellen einfach offen darüber. Es ist nicht sinnvoll, so zu tun, als sei man souverän, wenn man es nicht ist. Eine Beziehung kann nur funktionieren, wenn man um die Schwachstellen des anderen weiß und sich bemüht, möglichst achtsam damit umzugehen. Wie auch mit den eigenen.

Was die Anspruchskrankheit anbelangt, sind Sie offenbar ein milder Fall. Erstens, weil Sie erkannt haben, dass Sie selbst nicht verschont bleiben von den Erwartungen, die Sie an die Welt stellen. Und zweitens, weil Sie nicht fragen, wie Sie Ihre Mitmenschen dazu bringen, mehr zu leisten, sondern wie Sie es schaffen, Ihre Vorstellungen der Realität anzupassen. Ein echter Anspruchsjunkie würde genau das Gegenteil versuchen. Ihre Heilungschancen stehen also sehr gut. Doch das Bemühen um Großzügigkeit wäre reine Symptombekämpfung.

Die Frage ist ja nicht, was Sie unternehmen können, um Ihre Strenge loszuwerden – sondern woher Sie diese überhaupt haben. Die Antwort liegt auf der Hand: aus Ihrer Kindheit. Auf die eine oder andere Weise, verbal und nonverbal, werden Ihre Eltern Ihnen vorgelebt haben, dass Liebe etwas ist, das man sich hart erarbeiten muss: Nur wer brav und fleißig ist, nur wer durch eindrückliche Leistung hervorsticht, ist ein guter Mensch und somit einer, der Zuwendung verdient hat.

Schreiben Sie auf, welche Glaubenssätze Sie im Zusammenleben mit Ihren Eltern erlernt haben. Streichen Sie dann durch, was Ihnen Missbehagen beschert, und ersetzen Sie es durch etwas, das Sie froh macht. Vielleicht so: »Liebe ist immer da für mich.« Oder: »Ich bin gut, wie ich bin, und alles ist gut, wie es ist.«

Sie sind die Herrin Ihrer Wahrheit, niemand sonst. Und großzügig werden Sie, indem Sie verstehen, warum Sie ungroßzügig geworden sind. Niemand kommt streng und hartherzig zur Welt.

Doch, unbedingt. Bevor man sich ernsthaft aufeinander einlässt, sollte man in der Tat prüfen, ob die Beziehung das Potential besitzt, im Alltag zu bestehen. So machen es die frommen Juden, wenn sie Interesse aneinander haben: Sie treffen sich für ein offenes, radikal ehrliches Gespräch darüber, was sie von einer Beziehung erwarten, was für sie unerlässlich ist und was inakzeptabel – und gehen je nachdem wieder auseinander. Sie heiraten nur, wenn sie überzeugt sind, jemanden vor sich zu haben, mit dem sie sich auch wirklich verstehen.

Alle anderen jedoch vertrauen allein auf ihre Empfindungen. Und die sind anfangs immer großartig. Man kann gar nicht anders, als daraus eine sonnige Zukunft abzuleiten, aber das ist ein fataler Fehler, denn Anziehung und Kompatibilität sind nicht dasselbe. Darum fangen so viele Ehen märchenhaft an und enden schon bald im Fiasko: Weil die beiden Partner aus Liebe heiraten – statt aus Freundschaft – und erst danach entdecken, wie verschieden sie sind (oder sie wissen es und heiraten aus Trotz).

Damit ist er leider nicht allein. Eine ganze Reihe von einst vernünftigen Menschen ist in der Pandemie dem Glauben anheimgefallen, es gebe eine Verschwörung, die nur sie durchschauten, dank ihrer »Recherchen« auf YouTube – übrigens ein herrlicher Widerspruch. Leidenschaftlich empören sie sich über die Machenschaften »der Rothschilds« sowie über die Dummheit der »Schlafschafe«, die einfach nicht einsehen wollen, »was wirklich geschieht«. Ihrer Ansicht nach existiert Covid-19 gar nicht, sondern ist nur eine Lüge von »den Eliten«, um »Geheimpläne« ins Werk zu setzen.

Mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren, da sie von den Märchen, die sie durch nichts belegen können, aber trotzdem pausenlos verbreiten, felsenfest überzeugt sind und jedes Gegenargument nur als Beweis werten, dass man den Lügen der »Propagandamedien« aufgesessen ist. Diese geistige Verirrung hat zwei Gründe: Erstens fehlt es den Betroffenen – meist infolge traumatischer Erfahrungen –

Und zweitens sind diese Leute ziemlich eitel. Sie halten sich für klüger als den Rest der Welt. Mythen, die scheinbar nur den Scharfsinnigsten zugänglich sind, sind da natürlich sehr willkommen – im Gegensatz zu allen, die eine andere Meinung haben und darum mit Links zu bizarren Videos und Texten bombardiert werden, damit sie endlich »aufwachen«. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern ein Af‌front, auf den leider nur mit dem totalen Bruch zu antworten ist. Aus dem Reich der Verrückten ist ohnehin noch nie einer zurückgekehrt.

Wenn wir vom Ablösungsprozess sprechen, meinen wir damit unsere Kinder. Dabei sind die Eltern genauso davon betroffen – und es fällt ihnen oft wesentlich schwerer. Vor allem den Müttern, die ihren Daseinszweck häufig auch dann noch in der Rundumbetreuung ihrer Kinder sehen, wenn das denen nur noch lästig ist.

Dass Ihr Sohn Sie ablehnt, ist nicht gegen Sie gerichtet, sondern gegen Ihr Verhalten. Sie sagen, dass Sie »einfach nur gut auskommen« möchten mit ihm – da liegt wohl der Hund begraben. Was tun Sie genau? Fragen Sie nach Dingen, die Sie nichts angehen? Geben Sie Tipps, die er nicht braucht? Sehen Sie in ihm generell den kleinen süßen Jungen, der er mal war und der sich nicht mehr knuddeln lassen will – oder eine erwachsene, unabhängige Person? Und kann es sein, dass Sie fürchten, ihn für immer zu verlieren, wenn Sie sich nicht ständig um ihn bemühen?

Lassen Sie sich gesagt sein: Ihr Sohn ist immer noch an einer guten Beziehung mit Ihnen interessiert. Das war als Kind so, das ist jetzt so, und das wird immer so sein. Aber

Beziehungen funktionieren am besten, wenn die beiden Partner einander in den zentralen Aspekten ähnlich sind. Wenn sie also einen ähnlichen Humor haben, eine ähnliche Weltanschauung, ähnliche Lebensumstände – und eine ähnliche Vision der gemeinsam verbrachten Zeit. Andernfalls herrscht ein endloses Gezerre darum, wer nun rechthabe und sich durchsetze, und das ist dann keine Partnerschaft, sondern ein Machtkampf, der täglich Kraft vernichtet und Schmerz generiert. Ein zentraler Aspekt ist beispielsweise die Kinderfrage: Will der eine welche, der andere aber nicht, wird die Beziehung daran zerbrechen – oder derjenige Partner, der nachgeben musste, um sie weiterzuführen. Die Ferienfrage ist hingegen nebensächlich, zumal sie ja nur wenige Wochen im Jahr betrifft. Solange Ihre Beziehung ansonsten gut funktioniert, Sie sich also wohlfühlen miteinander und nur diesen einen Streitpunkt haben, sollten Sie ihn nicht zum Zentralaspekt erheben. Dann sind Sie sich bezüglich der Feriengestaltung eben nicht ähnlich.

Ihre Ex scheint ein zutiefst selbstunsicherer Mensch zu sein, der sich in seelischer Not nicht anders zu helfen weiß, als zu Psychoterror zu greifen. Das ist ebenso ‌tragisch wie therapiewürdig – aber wie das eben so ist mit den ‌tragischen Fällen: Sie gehen nie in Therapie, weil sie überzeugt sind, dass ihre Probleme sich lösen, wenn die Umwelt ihre Ansprüche erfüllt. Folglich setzen sie alles daran, dass die Umwelt das endlich kapiert.

Ihre Ex hat die Trennung anscheinend nie bewältigt, sondern betrachtet sie als Phase der Distanz oder gar als paradoxe Maßnahme zur Rettung der Beziehung, aber nicht als deren Ende. Nun, da Sie sich einer anderen Frau zugewandt haben, wird ihr bewusst, was Sache ist, weswegen sie gewaltsam versucht, die Realität ihren Idealvorstellungen anzupassen. Warum sie glaubt, das tun zu müssen, weiß sie vermutlich selbst nicht, jedenfalls scheint es ihr völlig egal zu sein, was Sie wollen. Sie ignoriert auch, dass Stress und Manipulation eine denkbar schlechte Basis für einen

Machen Sie nicht den Fehler, auf diese Forderung einzugehen. Sie würden damit jeglichen Respekt verspielen, vor allem jenen vor sich selbst. Eine Beziehung soll man eingehen, weil man mit diesem Menschen zusammen sein will und nicht, weil man glaubt, das tun zu müssen. Sie brauchen auch keine Angst zu haben, dass Sie Ihre Kinder nicht mehr sehen. Sie sind der Vater und haben ein Anrecht darauf, sie hälf‌tig zu betreuen. Wer Ihnen dieses Recht streitig machen will, ist ein niederträchtiger, herzloser Mensch. Das sollten Sie sich immer wieder vor Augen führen, wenn Sie erwägen, dem infantilen Drängen Ihrer Ex nachzugeben.

Niemand will ins Altersheim! Es sind oft ziemlich triste Orte, und der Umzug dorthin ist nur ein vorbereitender Akt für den endgültigsten aller Umzüge – die Beerdigung. Es ist nichts anderes als vernünftig, sich dagegen zu wehren. Wer will schon von lauter alten Knackern umgeben sein und mit ihnen auf den Tod warten? Und wer will sich schon eingestehen, selber einer zu sein und sein Leben nicht mehr allein meistern zu können?

Für Sie ist die Sache ebenso unerträglich: Ihre Eltern, die Sie einst behütet und beschützt haben, benötigen nun selbst Umsorgung, und das kann schnell zu einem 200-Prozent-Job ausarten, von der emotionalen Belastung gar nicht erst zu reden. Es ist auch aus Ihrer Sicht nur vernünftig, einen Platz in einem Heim zu suchen für die beiden (ob Sie innerhalb nützlicher Frist einen finden, ist eine andere Frage). Womit einander zwei unvereinbare Positionen gegenüberstehen.

Mit logischen Argumenten werden Sie Ihre Eltern nicht überzeugen können, das haben Sie bestimmt schon versucht. Führen Sie lieber ein persönliches Gespräch: Fragen

Zwar kennen alle dieses eine glückliche Tinder-Paar, aber üblicherweise berichten Singles fast ausschließlich von verstörenden Kontakten mit eleganten verheirateten Männern, die offen fremdgehen wollen, und von schönen Asiatinnen, die Investoren für dubiose Geldgeschäfte ködern. Und immer wieder passiert, was Sie beschreiben: Man gibt jemandem einen »Like«, freut sich über die Gegenseitigkeit, die in einem »Match« resultiert, schreibt – und hört nichts mehr. Und fragt sich: Warum liken, wenn man dann nicht weitermacht? Viele werden in solchen Fällen von Selbstzweifeln geplagt: Habe ich was falsch gemacht? Hat er oder sie sich meine Fotos nochmals genauer angeschaut und gemerkt, dass ich gar nicht so toll aussehe? Diese Fragen sind jedoch unbegründet, da nicht alle, die auf Dating-Apps aktiv sind, tatsächlich eine Beziehung suchen. Viele haben gerade eine hinter sich und wollen nur ihren Marktwert prüfen, andere suchen einfach ein bisschen Unterhaltung und gucken Tinder-TV, und eine ganze Reihe von Nutzer:innen hat schlicht keine Ahnung, was sie überhaupt

Die Frage ist hier vor allem: Was können Sie tun, um sich zu helfen? Es ist nobel, dass Sie jemanden in Not unterstützen, aber man sollte das nur bedingt tun, da erstens tatsächlich der Sozialdienst dafür da ist, und zweitens die Probleme oft viel tiefer liegen. Niemand, der in Not steckt, ist über Nacht da hineingeraten. Da lagen schon vorher destruktive Verhaltensweisen und falsche Entscheidungen vor, deren Konsequenzen sich über Jahre aufeinandergestapelt haben. Wenn Sie also nun kommen und eine dieser Schichten ab‌tragen, indem Sie beispielsweise aktuelle Mietschulden tilgen, dringen Sie damit nicht zur Wurzel des Übels vor, sondern verschaffen diesem lediglich eine Atempause.

Hier wirkt ein negatives System, und wie alle Systeme will auch dieses überleben. Im Falle Ihres Bekannten heißt

Wie gesagt: Das ist edel. Aber ist es auch klug? Helfen Sie Ihrem Freund damit wirklich – oder halten Sie ihn nicht vielmehr in seiner Unfähigkeit fest, sein Leben in den Griff zu bekommen? Helfen ist gut und richtig, aber nicht, wenn es missbraucht wird. Sie sollten Ihre Unterstützung sofort einstellen, auch auf der freundschaftlichen Ebene. Überlassen Sie die Behandlung dieses Falles den Profis und kümmern Sie sich wieder um sich selbst und um Dinge, die Ihnen guttun, statt Sie herunterzuziehen.