Azzurro

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Inhaltsverzeichnis

(Toto Cutugno)

 

»Die Lage ist aussichtslos, aber nicht ernst.«

(Ennio Flaiano)

Was einen in jungen Jahren packt, das wird man nicht mehr los.

Ich war zwölf oder dreizehn, als mich meine Eltern erstmals mit nach Italien nahmen. Das Land erschien mir wie ein riesiger, von der Sonne verwöhnter Vergnügungspark. Alles stand in einem anderen Licht. Beziehungsweise: Gar nichts stand. Es wuselte und wimmelte nur so, wie schneller gedreht. Mir gefiel dieses Tempo.

Ich mochte auch, wie die Leute miteinander umgingen, wie sie einander beim Reden anfassten, überhaupt: wie sich die Menschen hier bewegten, die Theatralik. Alles schien auf einer Bühne zu passieren – nichts war offenbar Selbstzweck, sondern auch immer Schauspiel für andere. In meinen Augen entsprach das einer Idealform des Seins, von deren Erreichen man bei uns daheim in Bergisch Gladbach noch weit entfernt war. Was ich erlebte, war ein einziges großes Zuviel: zu viel Sonne, zu viel Hektik, zu viel Essen, zu viel Schönheit, zu viel alles. Italien ist ein Zuviel-Land, und ich bin – das wurde mir damals klar – sehr empfänglich für dieses Zuviel. Ein Zuviel-Mensch.

Mit offenem Mund saß ich da und starrte. Ich verstand genau, was meine Eltern meinten, wenn sie unentwegt von dolce vita sprachen. Ständig gab es gelato. Ich war hin und weg.

 

Schon damals war der Soundtrack wichtig. Musik war hier schließlich auch überall. Ein paar Sachen kannte ich aus dem Fernsehen, aus Sendungen wie disco oder Bananas: Alice, Ricchi e Poveri oder Adriano Celentano, der im Partykeller meiner

Zum Glück reisten meine Eltern immer wieder mit mir ins gelobte Land: Jeden Sommer knatterte Familie Pfeil mit dem vollbeladenen Auto über den Brenner, den Diesel der LKW in der Nase, im Kassettenrekorder stets die aktuelle »Italo Top 20«-Zusammenstellung. Mit jeder Reise wuchs meine Begeisterung. Später, als ich mit der Schule fertig war, kam ich alleine wieder her, und ich kann nicht behaupten, dass ich auf meinen Interrail-Reisen Anlass zur Desillusionierung gehabt hätte.

 

Wenn aber aus Verknalltheit irgendwann Liebe wird, kommt man nicht umhin, das eigene Bild des geliebten Gegenübers zunehmend einem Realitätsabgleich zu unterziehen. Italien, so musste ich Anfang der 90er feststellen, war nicht nur ein Land, in dem sich gutaussehende Menschen vor barocker Pracht unter wildem Gestikulieren Köstlichkeiten in den Mund schoben und das Wichtige dem Schönen in bewundernswerter Manier unterordneten. Es war auch ein Ort, an dem Korruption und Vetternwirtschaft prächtig gediehen, nichts wirklich voranzugehen schien, Nord und Süd auf beispiellose Art im Clinch miteinander lagen und Frauen bisweilen die Funktion eines dekorativen Elements zugewiesen wurde. Und dann tauchte Berlusconi auf.

 

 

Wer versuchen will, Italien zu verstehen, kann dies auf vielerlei Art tun: beispielsweise durch Fernsehschauen. Man kann sich auch einen Tag lang auf eine piazza stellen. Oder ein Buch über das risorgimento lesen. All das mag hilfreich sein. Wer das Land in seiner dröhnenden Komplexität und grellen Widersprüchlichkeit aber wirklich begreifen will, der oder die handele so wie die Italiener auch und konzentriere sich auf das vermeintlich Unwichtige: die Musik.

Die canzone italiana entstand bereits Mitte des 19. Jahrhunderts und ist nationales Kulturgut – in all ihren Ausprägungen und Spielarten vom neapolitanischen Lied über die alljährlich beim Festival di Sanremo dargereichten Sommerhits bis hin zu Italo-Disco oder den Liedern der cantautori, Italiens Singer/Songwritern. Musik ist an der Geschichtsschreibung des modernen Italien essenziell beteiligt, die canzoni bilden den Kitt, der das mit sich selbst so herrlich verkrachte Land zusammenhält. »Wir Italiener sind Spatzen und Nachtigallen. Alle singen

 

Meinen Leserinnen und Lesern Italien zu erklären, mag ich mir nicht anmaßen. Was ich Ihnen aber anbieten kann, ist, mir dabei zuzuhören, wie ich versuche, mir selbst Italien zu erklären. Ich möchte Sie in diesem Buch mit auf eine Reise nehmen. Im Gepäck nichts mehr als 100 Lieder, die tiefe Einblicke gewähren in ein Land, das uns oft nah und dann wieder so fremd vorkommt. Mein Tipp: Basteln Sie sich eine Playlist zu diesem Buch, sie wird Ihnen bei der nächsten Italienreise hilfreich sein. Und schauen Sie sich im Internet die beschriebenen Auftritte der Sängerinnen und Sänger an: Sie werden aus dem Augenreiben nicht mehr herauskommen.

 

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit meinem Reiseführer ohne Sehenswürdigkeiten, dafür aber mit ganz viel Musik. Öffnen wir unter anheimelndem Knirschen die Schatztruhe der canzone italiana und schauen wir unseren Freundinnen und Freunden aus dem Süden gemeinsam tief in die Seele.

Aida (1976)

Rino Gaetano

Seltsam, aber Italien: Meine erste Begegnung mit dem Sehnsuchtsland habe ich dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zu verdanken. Es war zu Beginn der 80er-Jahre, als meine Eltern beschlossen, dass es an der Zeit sei, eine Rom-Reise zu unternehmen. Mit allem Pipapo: Papstaudienz, Kolosseum-Besichtigung, acht Kugeln gelato vorm Pantheon und dergleichen.

Da es an Geld stets mangelte, kam eine von der Bergisch Gladbacher CDU veranstaltete Rom-Reise gerade recht. Meine Eltern waren zwar Überzeugungssozis, aber eben auch pragmatisch: Die SPD war die Partei, die man wählte, die CDU kutschierte einen nach Rom. Möglich, dass der Niedergang der Volksparteien bereits damals seinen Anfang nahm.

Bosbach, in den 80ern bereits eine Bergisch Gladbacher Politgröße, leitete die Reise. Meist saß er vorne beim Busfahrer und kommentierte durch die knarzende Anlage die am Fenster vorbeiziehende Pracht, wobei er sich keineswegs zu schade war, auch auf humoristische Evergreens zurückzugreifen: »Wir befinden uns jetzt auf der Via Garibaldi. Sie wissen schon: Garibaldi – der Erfinder des Schnellkochtopfs.« Der Bus barst vor Hysterie.

Mir waren Bosbach, CDU und Schnellkochtopf ziemlich wurscht. Denn: Ich hatte mich verliebt. Gleich zweifach. Zum einen in Elena, die Tochter eines ebenfalls mitreisenden Paares. Eine unglückliche, zudem einseitige Schwärmerei, wie

Meine andere Liebe aber sollte mich umso reicher belohnen, es war eine Liebe fürs Leben: Hier, auf einer Fahrt der CDU-Ortsgruppe Bergisch Gladbach nach Rom, entflammte meine große Leidenschaft für Italien. Doch so dankbar ich Bosbach für die Erstbegegnung mit dem Bel Paese bin, so wenig vermochte er mir dieses Land zu erklären. Klar, er ist ja auch CDU-Mann und kein italienischer Sänger.

 

Halten wir uns also lieber an Rino Gaetano. Der komponierte schon 1976 das schönste Lied, das je über die Apennin-Halbinsel geschrieben wurde. Sein Stück »Aida« (im Titel angelehnt an Verdis gleichnamige Oper und inspiriert von Bernardo Bertoluccis Film »1900«) ist eine Collage, die assoziativ italienische Geschichtsereignisse und Tragödien des 20. Jahrhunderts verknüpft. Gaetanos »Aida« ist keine Frau, sondern, wie es der Sänger formulierte, »alle Frauen«: Großmütter, Mütter, Freundinnen, Töchter. Und all diese Frauen erzählen beim Durchblättern eines imaginären Fotoalbums in einem nicht abreißenden Gedankenfluss von siebzig Jahren Leben in Italien.

Vom Katholizismus ist die Rede, von Madonnen und Rosenkränzen; von Tausenden Meeren (»mille mari« – ein Hinweis auf die Seefahrt ebenso wie auf Italiens Kolonialgeschichte) und vom Alalà, dem Schlachtruf der italienischen Faschisten. Wir sind beim Eintritt des Landes in den Zweiten Weltkrieg dabei und beim Kampf der mutigen Partisanen. Dann bricht es aus dem Sänger heraus: »Aida, come sei bella!« (Aida, wie schön du bist!). Wie so häufig in Italien ist an dieser

Die zweite Strophe führt in die Nachkriegszeit, die geprägt ist von Armut, niedrigen Löhnen und dem Ausschluss der Kommunisten von der Macht. Vor allem aber ist sie geprägt von jenen, die Macht haben: den Politikern, Unternehmern und den Protagonisten des Showgeschäfts, die der Sänger als Antilopen, Schakale und Kaninchen darstellt. Und wieder dieser Schrei aus rauer Kehle: »Aida, come sei bella!«

 

Der 1981 mit nur dreißig Jahren verstorbene Kalabrese Rino Gaetano war ein Meister dieser assoziativen Gedankenstrom-Lieder und ein unberechenbarer Charakter, dessen widerspenstige Art wenig mit dem Gebaren der von ihm besungenen Kaninchenfellträger des Kulturbetriebs zu tun hatte. Heute genießt er in seiner Heimat Kultstatus; 2008 produzierte Adriano Celentanos Frau Claudia Mori einen TV-Zweiteiler über den Sänger, der auch »Aida« wieder in die Charts spülte. Der Sänger und sein früher Tod werden uns später noch ausführlicher beschäftigen.

»Aida« (kurioserweise musikalisch inspiriert von Bob Marleys »No women, no cry«!) ist ein Lied zum Einrahmen. Nichts wird auserzählt, alles wird nur kurz angestupst. So schön wie in diesem Vier-Akkord-Wunder von einem Song wurde – trotz vieler redlicher Versuche – nie wieder über Italien gesungen. Ein Wahnsinnstyp, dieser Rina Gaetano! Wahrscheinlich hätte er mir auch die Sache mit Elena erklären können.

A me piace vivere alla grande (1979)

Franco Fanigliulo

Es ist die beste Idee ohne direkten floristischen Bezug, die einem ligurischen Blumenhändler je in den Sinn gekommen ist.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird in Italien nach Möglichkeiten gesucht, das wieder erstarkende kulturelle Treiben gewinnbringend abzubilden. In Sanremo wird zu diesem Zweck eine Kommission ins Leben gerufen, der auch der Florist Amilcare Rambaldi angehört. Der Musikfreund schlägt vor, im Casino von Sanremo ein Jazzfestival auszurichten. Das mit dem Jazz löst bei der Kommission zwar nicht unbedingt Ekstase aus, dafür wird auf Basis des Vorschlags die Idee eines nationalen Gesangswettbewerbs geboren, in dessen Rahmen das jeweils beste Lied des Jahres zu küren sei. 1951 findet das erste Festival della Canzone Italiana statt.

Gut siebzig Jahre später ist es der älteste Popmusik-Wettbewerb Europas, und noch immer sorgen die Auftritte der cantante alljährlich für massiven Gesprächsstoff auf den piazze und in den bars. Die Übertragung des Festivals hat Einschaltquoten wie sonst nur Topfußballspiele; im Jahr 2020 kleben an den fünf Austragungstagen bis zu 14 Millionen Menschen an den Bildschirmen. Bis heute werden hier die ganz großen Hits gemacht, wobei sich das Regelwerk ebenso häufig ändert wie die Konstellation der italienischen Regierung. Hier an der Blumenriviera entscheidet sich, welche Lieder zum Soundtrack des Sommers werden. Und hier, unweit der Grenze zu

Manche nehmen es auch zu wichtig. 1967 kommt es zur Tragödie, als sich der Sänger Luigi Tenco nach seinem Ausscheiden in seinem Hotelzimmer das Leben nimmt. Zu diesem Zeitpunkt erfüllt das Festival eine nicht zu unterschätzende Funktion für das italienische Selbstverständnis. Und so wächst sich der Selbstmord zum nationalen Trauma aus: Ist der Sänger auch als Opfer einer erbarmungslosen Hit-Maschinerie zu betrachten? Wieder tritt der musikbegeisterte Blumenhändler Rambaldi auf den Plan. Er schlägt vor, eine weitere Veranstaltung zur Auszeichnung anspruchsvoller Stücke ins Leben zu rufen. 1972 schließlich kommt es zur Gründung des Club Tenco, der sich die Förderung und Lobpreisung anspruchsvoller Autorenlieder zur Aufgabe macht.

Das Festival della Canzone Italiana selbst bleibt bis heute die große Leistungsschau einer der wichtigsten italienischen Handwerkskünste, der musica leggera, der leichten italienischen Musik. Doch auch hier kommt es in den Folgejahren immer wieder zu künstlerisch komplexeren Darbietungen, Provokationen und Regelverstößen. Und im Jahr 1979 zum Auftritt Franco Fanigliulos.

 

Ein wenig gemahnt der bärtige Langhaarige auf der blumendekorierten Bühne an ein Mitglied einer Hippie-Sekte, das sich als Pantomime auf Kindergeburtstagen sein Salär aufbessert. Er trägt ein Leibchen und Flatterhosen, seine Gesten sind ausladend; der verklärte Blick legt die Vermutung nahe, der spindeldürre Kerl habe soeben eine Marienerscheinung gehabt und sei vor Schreck in die LSD-Suppe gefallen. Oder geht man hier einer Provokation auf den Leim? Es liegt

Franco Fanigliulo präsentiert an diesem Januarabend des Jahres 1979 sein Lied »A me piace vivere alla grande« (Mir gefällt es, im großen Stil zu leben), es geht um Jesus, um »Bleichbäder« und um einen Hirnschlag. Der caso Fanigliulo zählt zu den seltsamsten und tragischsten Geschichten des italienischen Musikbetriebs. Es ist die Geschichte eines Außenseiters: das große »Was hätte sein können?« der italienischen Musik.

 

Fanigliulo, in der ligurischen Hafenstadt La Spezia aufgewachsen, erweist sich früh als Naturbursche: Der Sohn einer Pianistin und eines Marinefunkers heuert für mehrere Jahre als Seemann an, bis rheumatische Probleme dem maritimen Dasein ein Ende setzen. Er arbeitet daraufhin unter anderem als Holzfäller, Vertreter für Schönheitsprodukte und Landwirt, nebenbei macht er Musik, allerdings ohne offensichtliche Karriereambitionen.

Seine Kelleraufnahmen geraten in die Hände der einstigen Beat-Ikone Caterina Caselli, die seit Mitte der 70er als Labelmanagerin tätig ist. 1977 entsteht ein erstes Album, dessen Musik wenig bis nichts mit dem Zeitgeist zu tun hat: Fanigliulo zeigt sich geprägt von Chanson, Kunstlied und Theatermusik, sein Vortragston ist, gelinde gesagt, gespreizt. Im selben Jahr hat der Sänger einen Gastauftritt in dem Film »Berlinguer, ti voglio bene« (Berlinguer, ich liebe dich sehr), in dem auch der junge Komiker Roberto Benigni (als gutgläubiger Toskaner mit Ödipuskomplex) seinen ersten großen

1979 kommt es dann zur Landung von Fanigliulos Freak-Raumschiff in Sanremo. Sein spöttisch-surrealer Text sorgt schon im Vorfeld für Trara: Eingangs ist von einem Herrn namens Guglielmo die Rede, der nachts gerne einen BH trägt. Doch es sind die folgenden Zeilen, die anecken: »Adesso che Gesù ha un clan di menestrelli / Che parte dai blue jeans e arriva a Zeffirelli« (Heute hat Jesus einen Clan von Minnesängern / Die in Jeans losziehen und bei Zeffirelli ankommen). Die Zeile, die auf die Jeans-Marke Jesu und den Jesus-Verfilmer Franco Zeffirelli abhebt, dünkt vielen religionsverachtend. Eine weitere Passage muss sogar geändert werden: Das Wort »Kokainblätter« wird durch »bagni di candeggina« (Bleichbäder) ersetzt. Am Ende soll aber eine andere Zeile am längsten nachhallen: »Ho un nano nel cervello, un ictus cerebrale« (Ich habe einen Zwerg im Gehirn, einen Hirnschlag), singt Fanigliulo.

Der Song landet zwar nur auf Platz sechs, Fanigliulo wird aber von der Presse zum moralischen Sieger ausgerufen. Es erscheint ein zweites Album, doch trotz anhaltenden Kritikerlobs über diese seltsamen Kunstlieder stellt sich kein Erfolg ein. Nach einem dritten Album mit dem bemerkenswerten Titel »Ratatam pum pum« und einer EP hat der Sänger keine Lust mehr. Die nächsten viereinhalb Jahre verbringt Fanigliulo auf seinem neuerworbenen Bauernhof bei Vezzano in Ligurien. Hier, am grünen Busen der Natur, lebt er glücklich zwischen Hunden und Pferden, Katzen und Schafen. Neue Musik gibt es keine.

1987 taucht er plötzlich wieder auf. Für das Label von Italiens Pop-Rüpel Vasco Rossi nimmt er zwei neue Songs auf. Der Sound hat sich drastisch verändert, aber Franco ist ganz

 

Am 12. Januar 1989 verstirbt Franco Fanigliulo überraschend im Alter von nur 44 Jahren infolge einer Hirnblutung. Einige wenige erinnern sich: War das nicht dieser seltsame Sonderling, der in Sanremo von einem »Zwerg im Gehirn« gesungen hatte? Für viele Jahre gerät er in Vergessenheit; inzwischen beziehen sich wieder junge Musiker auf den Drop-out mit dem entrückten Blick.

Ancora Tu (1976)

Lucio Battisti

Es war einmal ein unschuldig dreinblickender Lockenkopf aus dem latinischen Dorf Poggio Bustone …

Lucio Battisti wird von seinen Landsleuten als das Genie der musica leggera verehrt. Wenn irgendwo plötzlich Lucio läuft, werden viele Italienerinnen und Italiener ganz still, andere singen wässrigen Auges mit. Irgendjemand sagte mal, Lucio Battisti und sein langjähriger Texter Giulio Rapetti alias Mogol (Mogul) seien Italiens Lennon/McCartney, womit Irgendjemand wohl recht haben dürfte. Celentano schlug in den frühen 60ern den Weg frei und erlöste den italienischen Pop vom Diktum des Belcanto, aber es war Battisti im Verbund mit Mogol, der ab Ende der 60er die musikalischen Möglichkeiten der italienischen Liedtradition bis in alle Tiefen

 

Bei dem 1943 geborenen Battisti faszinieren Musik und Persönlichkeit in gleichem Maße und sind kaum voneinander zu trennen. Dennoch taten sich Presse und Öffentlichkeit anfangs schwer mit ihm. Battisti wurde regelmäßig von Kritikern, Kollegen und dem italienischen Publikum angegriffen: Sein vermeintlich schiefer Gesang stieß viele ab, und seine Weigerung, in Interviews über Privates zu sprechen, wurde ihm nicht selten als Arroganz ausgelegt. Auch der Umstand, dass sich Battisti dezidiert unpolitisch gab, sorgte nicht überall für Begeisterung. Schon Anfang der 70er brach er den Kontakt zur Presse nach etlichen heftigen Auseinandersetzungen ganz ab.

 

Begonnen hatte seine Karriere in den späten 60ern als Komponist für Sänger wie Sergio Endrigo oder Mino Reitano. 1966 kam es zur folgenschweren Begegnung mit dem umtriebigen Textdichter Mogol, der Battisti ermutigte, seine Stücke selbst zu singen. Gemeinsam mit Mogol schrieb er von nun an Hit um Hit, wobei die beiden zusehends experimenteller wurden und sich ab Anfang der 70er im unweit des Lago di Como gelegenen Studio verstärkt auf die Produktion von konzeptionell durchdachten Alben konzentrierten. Zwischendurch bereisten die ungleichen Freunde im heißen Sommer 1970 Italien zu Pferde, was man als erfolgreiches italienisches Songschreibergespann eben so tat. Der Ritt führte die Freunde von Mailand über La Spezia nach Rom, Ziel der Unternehmung: im Einklang mit einem idealisierten ländlichen Italien Inspiration zu schöpfen. (Als Mogol im Folgejahr vorschlug, nun auch noch gemeinsam den Po bis zu seinem Delta zu

Lucios Glanzphase begann 1972 mit dem Album »Il mio canto libero« (Mein freies Lied), das Psychedelia auf süffige Melodik knallen ließ. Das nächste Album, »Il nostro caro angelo« (Unser lieber Engel), ist noch großartiger. 1973 entstand auch ein deutschsprachiges Album; für die Übersetzung der Texte versicherte sich Mogol der Dienste eines hiesigen Nachwuchstalents, dem er an drei rotweinschwangeren Abenden in Mailand den Inhalt der Lieder darlegte. Der Name des jungen Übersetzers: Udo Lindenberg. In den Folgejahren wandte Battisti sich erst brasilianischen Einflüssen (auf dem komplett abgefahrenen »Anima latina«), später dann Funk und Disco zu. Nach dem Bruch mit Mogol zu Beginn der 80er zog sich der öffentlichkeitsscheue Musiker in seine Villa bei Molteno zurück und kündigte an, fortan nur noch über seine Alben kommunizieren zu wollen. Die letzten Fotos, die den Sänger zeigen, stammen aus dieser Zeit. 1997 führte eine TV-Sendung auf Rai Uno eine Rubrik ein, in der Zuschauer mögliche Sichtungen des untergetauchten Genies melden konnten.

Nur ein Jahr später starb Lucio Battisti, die Todesursache wurde nie bekannt gegeben.

 

»Ancora tu« (Schon wieder du), die erfolgreichste Single in den italienischen Charts des Jahres 1976, ist ein flirrendes Disco-Wunder, bei dem sich noch der härteste Asphalt zu wellen beginnt. Battisti singt wie einer, den der Sommer von allen Zwängen, Grübeleien und Eitelkeiten befreit hat.

Mogols Text, den Battisti mit zunehmender Dauer des Stücks immer irrer interpretiert, ist ein Meisterstück der schnappschussartigen Alltagspoesie: »E come stai? Domanda

 

Auf geht’s also in die Disco Battisti! Möge »Ancora tu« allen, die diesen Wundermusiker noch nicht kennen, als Ausgangspunkt ausgedehnter Seelenerforschung dienen. Ma state attenti: Lucio Battisti ist ein Planet, von dem man, wenn man ihn offenen Herzens bereist, verändert zurückkehrt. Oder gar nicht mehr.

Anna e Marco (1979)

Lucio Dalla

Sollte Ihr Kind eines Tages den Wunsch äußern, cantautore oder cantautrice werden zu wollen – seien Sie auf der Hut: Es gibt kaum einen anstrengenderen Beruf.

Zunächst einmal ist cantautore ein technischer Begriff: ein Neologismus aus cantante (Sänger) und autore (Autor), der beschreibt, dass ein Sänger oder eine Sängerin selbstverfasste Lieder singt, ein in Italien bis Ende der 50er eher seltenes Phänomen. Erfunden wurde der Begriff 1960 für den Musiker Gianni Meccia, allerdings setzte er sich erst nach dem tragischen Tod Luigi Tencos durch, der gemeinhin als erster echter cantautore gehandelt wird. Man hat es beim cantautore (und seiner seltenen weiblichen Variante, der cantautrice) also der Form nach mit der Entsprechung zum angloamerikanischen

Cantautori sind so viel mehr als Singer/Songwriter: Sie sind Italiens moderne Dichter. Sie sind Soziologe und Psychologe. Soziales Gewissen und Leitbild. Sprachrohr und Botschafter. Sie sitzen ihrem Land auf der Bettkante und fühlen ihm den Puls. Im Gegensatz zum dahergelaufenen Interpreten, der Lieder fremder Autoren singt, schreibt man dem cantautore Authentizität zu: Er lebt gewissermaßen, was er singt. Es lastet also ein ziemliches Gewicht auf den Schultern dieses Berufsstands. Zudem zeigt sich ab Mitte der 70er eine völlig überhöhte Erwartungshaltung an die italienischen Lieddichter, die, wie Sie noch lesen werden, oft bizarre Blüten treibt. Wohl auch darum erkennt man einen cantautore am besten daran, dass er gar keiner sein will. Lucio Dalla ist in mancher Hinsicht ein quintessenzieller Vertreter dieser Zunft. Gleichzeitig ist Dalla derjenige, der am deutlichsten klarmacht, dass ihm das begriffliche Jäckchen viel zu eng sitzt.

 

Dalla, Linker und Christ, Bauchmensch und Intellektueller, ist eines jener Künstlerexemplare, die in ihrem Heimatland gerade wegen ihrer Widersprüchlichkeit so geliebt werden. Dem kleinen Dalla ist zeit seiner Karriere nichts zu groß, vorausgesetzt, es passiert zu seinen Bedingungen: Er komponiert eine Umdeutung von Puccinis »Tosca«, fährt Autorennen, tourt mit seinem Freund Francesco De Gregori Ende der 70er durch Fußballstadien und betreibt eine Kunstgalerie. Sein Markenzeichen ist zunächst das Jazzrock-Strickmützchen, ab Ende der 80er trägt er Hut, und in seinen späten Jahren hat er plötzlich wieder Haare. Was für ein Teufelskerl! Überhaupt Haare: Videos aus den späten 70ern erhärten den Eindruck, bei Dalla könnte es sich um den Musiker mit der weltweit

Zwar wird Dalla, ursprünglich ein Jazzer und zu Beginn der 60er Mitglied bei einer Band namens Flippers, schon 1964 von Gino Paoli als Solist entdeckt. Allerdings findet er erst gut zehn Jahre später zu seinem unverwechselbaren Stil, einer Art überschwänglichem funky Jazzpop, der nicht zuletzt vom expressiven Gesang des Pianisten und Saxofonisten lebt. Man müsse die Stimme loslassen, keinesfalls dürfe man sie schützen, sonst erreiche man nichts, sagte er mal in einem ARTE-Interview und klimperte dazu nachdrücklich mit den Äuglein.

Schon in den 60ern beim Festival di Sanremo fällt Dalla auf – wenngleich nicht positiv: Das Publikum kann mit dem verlottert auftretenden Sänger wenig anfangen und bewirft ihn mit Tomaten. Nach einer Beat-Phase wandelt er sich ab Beginn der 70er langsam zum cantautore. Mit dem Album »Come è profondo il mare« (Wie tief das Meer ist) beginnt seine Glanzphase. In Italien bricht eine regelrechte Dalla-Mania aus; auch Dario Fo und Fellini geben sich als Bewunderer zu erkennen. Der ironische Melodramatiker kann jetzt machen, was er will. Sogar ein Zuckerbäckerlied wie »Caruso« schreiben, das längst zu einem modernen italienischen Evergreen geworden ist.

 

Am 1. März 2012 stirbt Lucio Dalla im Alter von 68 Jahren während einer Tournee überraschend an einem Herzinfarkt. 50.000 Menschen nehmen bei der Trauerfeier in Bologna Abschied. Fragen nach seiner sexuellen Orientierung war Dalla zeit seines Lebens ausgewichen; die Abschiedsrede seines

Dallas beste Songs haben trotz ihrer musikalischen und textlichen Raffinesse eine ungemeine Lässigkeit. Ein besonderes Lied entstehe von selbst, hat er einmal gesagt, und so klingt seine Musik oft, als wäre ihr Autor einfach nur einem Geruch oder ein paar Geräuschen hinterherspaziert. Das Zupackende der Stücke entsteht dann im Zusammenspiel mit anderen Musikern: Dalla ist sicher einer der physischsten Bühnenkünstler Italiens, und wenn der stets aus den Tiefen des Bauchs röhrende Sänger ins obere Register wechselt, kann das bei empfindsamen Zeitgenossen so einiges anstellen.

 

Im vorliegenden Lied begegnen wir Anna und Marco, die sich, beide zermürbt vom tristen Alltag in der Vorstadt, eines Abends in einer miesen Disco begegnen und ineinander verlieben. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Anna ist eine Trabantenstadt-Schönheit, Marco ein unbeholfener Hänger. Am liebsten wollen sie das alles hinter sich lassen, aber: »Dov’è la strada per le stelle?« (Wo ist der Weg zu den Sternen?). Und so wohnen wir ihren kleinen Fluchten bei: »Anna bello squardo non perde un ballo / Marco che a ballare sembra un cavallo« (Anna mit dem schönen Blick, die keinen Tanz auslässt / Marco, der beim Tanzen einem Pferd ähnelt). Während sie sprechen, tauschen die beiden ihre Haut, wie Dalla formuliert, und scheinen gemeinsam tatsächlich für einen Moment zu fliegen. Unter der Discokugel des schäbigen Ladens wird kurz so etwas wie Freiheit möglich.

Azzurro (1968)

Adriano Celentano

Die Legende will, dass sich Paolo Conte so sehr in Adriano Celentanos Stimme verliebt hatte, dass er ihm dieses Lied über sommerliche tristezza 1967 auf den Leib komponierte. Celentano, gelernter Uhrmacher und laut Eigenaussage »vom Rock ’n’ Roll traumatisiert«, war in den 60ern wie eine Urgewalt über Italien gekommen und hatte mit einer vollkommen neuartigen Mischung aus Rock-’n’-Roll-Manierismen, Urwüchsigkeit, Sozialbewusstsein und ungezügeltem Charisma alles verändert. Italiens Jugend stand auf den Stühlen. Und auch der einem bildungsbürgerlichen Milieu entstammende Jazzer Conte war ganz hin und weg vom hemdsärmeligen Plauderton des Mailänders.

 

Mitte der 60er, mit etwa dreißig Jahren, beginnen die beiden Karrieren des Paolo Conte aus der piemontesischen Schaumweinhochburg Asti: 1965 schließt er sein Jurastudium ab; gleichzeitig bekommt der Auftragssongschreiber einen Fuß bei Celentanos Label Clan Celentano in die Tür. Selbst als Sänger aufzutreten, kommt für Conte nicht infrage: Im Land der großen Melodiker glaubt er mit seiner unbehauenen Nichtstimme nicht reüssieren zu können. Drei Lieder kann er beim Clan unterbringen: den religiös beatmeten Beat-Schlager »Chi era lui?« (Wer war er?), den Hochzeitswalzer »La coppia più bella del mondo« (Das schönste Paar der Welt) und eben »Azzurro« (Azurblau). Conte ist sich sicher: Mit Celentanos Stimme würde

Es ist ein genialer Song mit seinen mollenen Strophen, dem hymnischen Refrain und einem Text, der in bisweilen rätselhaften Bildern amourös aufgeladene Sommerschwere heraufbeschwört. Das Stück wäre aber nur halb so wirkungsvoll, wenn es nicht so fantastisch gesungen wäre. Celentano bekommt es hin, ähnlich wie auf der ebenbürtig prachtvollen B-Seite »Una carezza in un pugno« (Die Zartheit in einer Faust), gleichzeitig lässig und anrührend zu klingen. Die Strophen nölt er sonor und leicht schief, im Refrain packt er den Volkssänger aus.

Das Lied erzählt von einem, der in der Gluthitze einer sommerlichen Großstadt an die Geliebte denkt, die irgendwo am Strand liegt. Ein italienisches Trauma. Die Situation ist trist: Der Erzähler findet »neanche un prete per chierar« (nicht einmal einen Priester für ein Schwätzchen). Der Text stammt von dem Lombarden Vito Pallavicini, der drolligerweise auch unter dem Pseudonym Calimero wirkte.

Adriano Celentano ist zum Veröffentlichungszeitpunkt längst ein Superstar ganz eigener Prägung: Nach seiner Rock-’n’-Roll-Frühphase hatte er sich ab etwa 1965 zum sozialkritischen Freigeist entwickelt, der aus dem Ruder laufende Städteplanung, Hochrüstung und Umweltzerstörung zum Thema seiner Lieder machte. Ausgerechnet im aufgeheizten politischen Klima des Jahres 1968 erscheint dann das wenig aufrührerische »Azzurro« und beschert dem Sänger seinen zwölften Nummer-eins-Hit in Italien sowie den ersten Charterfolg in Deutschland. Man könnte das Timing seltsam finden, doch das Treiben von Studentenbewegung und Hippies war dem unideologischen Rebell Celentano ohnehin suspekt, wie

 

»Azzurro«-Komponist Conte traut sich erst 1974 zu einem selbstgesungenen Album. Der Durchbruch für den großen Rauner kommt zu Beginn der 80er. Da ist er bereits in seinen Vierzigern. 2018 berichtet die SZ von Contes Konzert anlässlich des 50. Jubiläums von »Azzurro«, das in den Caracalla-Thermen in Rom stattfindet – jenem Ort, wo Federico Fellini 1958 für »La dolce vita« die Szene mit Adriano Celentano drehte, die dem Mailänder zum Durchbruch verhelfen sollte. »Azzurro« sei immer in seinem Herzen, hatte Conte vor dem Konzert die Journalisten informiert. Als kurz nach dem Orchestereinsatz am Himmel eine Sternschnuppe zu sehen ist, vergisst der Routinier Conte die Eingangszeile – und erntet stürmischen Applaus für diesen raren Moment.

Baciami ancora (2011)

Jovanotti

Lorenzo Cherubini, den ganz Italien nur Jovanotti nennt, muss als Kind in ein Fass voll guter Laune geplumpst sein. Anders ist die positive Energie, die der Mann verströmt, nicht zu erklären. Nun kann die gute Laune anderer Menschen ja durchaus enervierend sein, zumal wenn sie – wie im Falle Jovanottis – ihren Ausdruck in hochkommerziellen Popsongs findet und sich dabei mit einem nicht unbeträchtlichen Sendungsbewusstsein verbindet. Aber bei dem Mann mit dem

 

1988, er ist gerade 22, spült es ihn im Zuge des grassierenden Hiphop-Booms an die Spitze der Charts. Sein Credo: »Mi chiamo JOVANOTTI, faccio il deejay/Non vado mai a dormire prima delle sei« (Mein Name ist JOVANOTTI, ich mach den DJ/Vor sechs Uhr bin ich nie im Bett). Schon zu Beginn sind sein Charme und seine Dreistigkeit hoch entwickelt; als Rapper ist sein Talent freilich überschaubar. Im Verlaufe der 90er vollzieht der Sympath dann eine bemerkenswerte Wandlung: Nach und nach lässt er vom Rap und wandelt sich zum cantautore, der Pop als kulturelle minestrone begreift, in die alles hineingeworfen werden kann, was gerade herumliegt. Mit großer Lässigkeit rührt er seinen Stücken Funk, Clubmusik, aber auch afrikanische und lateinamerikanische Elemente unter. Damit einher geht in den 90ern seine Hinwendung zu sozialem Engagement und politischen Statements. Jova verkörpert jetzt eine Art Bruder Leichtfuß mit sozialem Gewissen.

 

Entscheidend ist – wie so oft in Italien – die scheinbare Mühelosigkeit, mit der dies geschieht. Im Interview mit dem Fernsehsender TG1 verweist Jovanotti 2013 auf Orson Welles, der einmal das Wesen Federico Fellinis mit zwei einfachen Worten definiert habe: »Er tanzt.« Wenn auf diese Art jemand über ihn spräche, so der Sänger, würde er sich sehr geehrt fühlen. Kann er haben. Denn das ist wahrscheinlich die beste Erklärung für seinen großen Erfolg: Bei Jovanotti wirkt alles immer, als würde er tanzen. Ganz gleich, ob er unter dem Motto

 

Das alles würde freilich nur halb so gut funktionieren, wenn Lorenzo Cherubinis Musik einfach nur dem Hiphop davongelaufener Ethno-Pop mit hoher Haltungsnote wäre. Jovanottis Songs sind Pop mit säulenhohem Ausrufungszeichen, kein zeitgenössischer Sound, den er sich nicht einverleiben würde – auf der letzten Platte gar mithilfe des amerikanischen Produzenten-Schwergewichts Rick Rubin. Das ist im Ergebnis meist hochkommerziell, woran sich stoßen soll, wer mag. In der Regel reicht aber ein Grinsen des freundlichen Zeremonienmeisters durch den verstrubbelten Bart, und man tanzt bereitwillig mit.

Ein besonders stimmgewaltiger Sänger ist Jovanotti nicht, auch kein virtuoser Musiker. Aber er hat seinen ureigenen Ton gefunden. Er beschwört die »Ragazza magica« (Magische Freundin), versichert der Liebsten, gemeinsam sei man »Il più grande spettacolo dopo il Big Bang« (Das größte Spektakel nach dem Urknall), und verkündet, am Tag des Jüngsten Gerichts im goldenen Smoking aufzukreuzen. Seine Lieder sind italienische Blockbuster, die allesamt über mehr Seele verfügen als der gesamte deutsche Mainstream-Pop der letzten dreißig Jahre. Sein starkes Gewand ist das empathische Beleuchten zwischenmenschlichen Agierens. Jovas Thema ist das

Häufig arbeitet er mit dem Stilmittel der assoziativen Aufzählung, das er schon zu Hiphop-Zeiten etablierte. Besonders erfolgreich kommt dies in »Baciami ancora« (Küss mich noch einmal) von 2011 zum Ausdruck: für mich das schönste italienische Liebeslied der letzten zwanzig Jahre – kein trockenes Auge im Haus! Zwar bittet der Sänger im Titel des Liedes um einen weiteren Kuss. Dabei schweift Jovas Blick aber ins große Ganze. Das Lied beschwört die Liebe als einziges universelles Konzept, das in der Lage ist, die Dinge zusammenzuhalten. Der Rest sind Erinnerungen, Schicksale, Stationen eines Lebens, oft auch nur Augenblicke: »Una mamma, un amante, una figlia/Un impegno, una volta una nuvola scura/Un magnete sul frigo, un quaderno di appunti/Una casa, un aereo che vola« (Eine Mutter, ein Liebhaber, ein Kind/Eine Verpflichtung, einmal eine dunkle Wolke/Ein Kühlschrankmagnet, ein Notizbuch/Ein Haus, ein Flugzeug, das abhebt).

 

Er singe »über Menschen, die den Funken suchen«, hat Jovanotti vor Jahren einmal gesagt. Versetzt man sich in Empfangsbereitschaft für seine Lieder, könnte es gelingen, diesen Funken dann und wann sogar für einen Moment zu finden. Eine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Konzept »Weltumarmender Pop« ist hierbei definitiv hilfreich. Das Tragen einer flamboyanten Kopfbedeckung vermutlich auch.