Mörderwege: 7 Top Thriller
Published by BEKKERpublishing, 2021.
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Mörderwege: 7 Top Thriller | von Horst Bieber
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Ein Ruhrpottkrimi: Sackgasse
Table of Contents
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Sackgasse | - Ein Ruhrpott-Krimi - | von Host Bieber | Klappentext:
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Die Hauptpersonen
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Ein Hauch von Wahrheit
I. Meike wirbelt Staub auf
II. Lene und der Keltenkönig
III. Wenn die Kirche brennt
VERLORENE SICHERHEIT
Personen:
1.Teil
2. Teil
3. Teil
4. Teil
MORD BEGINNT IM HERZEN
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BOLZENSCHÜSSE
Teil 1
Teil 2
NIEMAND KOMMT SO LEICHT DAVON!
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...acht, neun, aus?
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Further Reading: 10 Ferien Thriller: Krimi-Lesefutter für lange Nächte
Also By Horst Bieber
About the Publisher
Über dieses Buch:
Dieses Buch enthält folgende Krimi-Titel von Horst Bieber:
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Sackgasse - Ein Ruhrpott Krimi
Ein Hauch von Wahrheit
Verlorene Sicherheit
Mord beginnt im Herzen
Bolzenschüsse
Niemand kommt so leicht davon
...acht, neun, aus?
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Krimi-Spannung pur - auf über 1000 Taschenbuchseiten!
Alle Titel auch einzeln lieferbar.
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Ein Mord ist ein Mord und bleibt ein Mord - kein Vertun! Doch was den ermittelnden Beamten wie ein einfacher Fall erscheint, entpuppt sich als der Stich in ein Wespennest.Ein toter "Verfahrenstechniker", ein revolutionärer neuer Kunststoff und der "Bolzen", ein sicherer Akku mit ungeahnten Speicherleistungen, die uns endlich die Unabhängigkeit von den weltweiten Erdöllieferanten ermöglichen würden - das sind die Zutaten zu Biebers neuem Roman.Irgendwann hängt alles an einem seidenen Faden. Politik, internationale Konkurrenz, die Polizei. Gewalt überall, wo sich die Konfliktparteien in die Quere kommen - und nur ein vorbestrafter Taschendieb bleibt als Zünglein an der Waage übrig.Nicht alle Beteiligten werden überleben, aber vielleicht glückt es ja Gero Ackermann, der immer wieder auf der falschen Seite zu stehen scheint.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
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Alles rund um Belletristik!
Ein Ruhrpottkrimi: Sackgasse
Horst Bieber
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––––––––
Sabine Kehlin, jung, hübsch, beruflich erfolgreich und überdies reich wird in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Alle Indizien sprechen für Selbstmord, Hinweise auf Fremdeinwirkung nicht vorhanden. Aus Sicht der Essener Polizei ist damit der Fall geklärt und abgeschlossen.
Für Irene Kehlin, die Schwester der Toten, nicht: Warum?, fragt sie; wo ist das Motiv für diese Tat? Sie beauftragt die sehr unterschiedlich gearteten, sich eben darum gut ergänzende Privatdetektive Peter Altmann und Walter Müller, die Suizid-Theorie von Hauptkommissar Martens zu widerlegen oder, falls er recht haben sollte, Sabines Motiv herauszufinden.
Das Umfeld der Toten wird untersucht; Bekannte und Arbeitskollegen vehement befragt und »durchleuchtet«. Ergebnis: Sabine war gehemmt, eigenbrötlerisch, verschlossen; sie war ein bisschen spießig, ein bisschen prüde und alles in allem ziemlich langweilig. Entsprechend erfolglos sind die Detektive bei ihren Ermittlungen: Sie kommen keinen Schritt voran. Aber dann wird die Sache höchst sonderbar: Peter Altmann wird mehrfach von einem blauen Opel verfolgt, eine mühsam gefundene Bekannte der Toten gibt falsche Kontaktdaten an. Und schließlich führt eine Spur in die Unterwelt ...
Die Frage ist nur: Wie passt Sabine Kehlin, jung, hübsch, reich, prüde und ziemlich langweilig in dieses Puzzle? Altmann und Müller finden die Antwort. Aber damit haben sie keineswegs die Lösung des Problems gefunden – sondern nur weiteren Ärger!
***
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author
© Cover: Christian Dörge
Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
A Faint Cold Fear Thrills Through My Veins – William Shakespeare
Sabine Kehlin: war jung, schön, reich und ziemlich langweilig. Jetzt ist sie tot: Überdosis Schlaftabletten.
Irene Kehlin: ihre Schwester – glaubt nicht an Selbstmord.
Peter Altmann und Walter Müller: werden von ihr beauftragt, die Selbstmordtheorie der Polizei zu widerlegen oder, wenn sie doch stimmt, das Motiv zu finden.
Siegfried Braun: sieht alles, hört alles, weiß alles und ist ein ganz mieser Typ.
Marianne (»Sylvi«) Nolte: ist kein Kind von Traurigkeiten.
Regine Bellinger: reist viel und ist schwer anzutreffen.
Heinz-Peter Mack: sieht gut aus und reist auch viel.
Dr. Richard Kaufmann: ist blind und spielt Schach.
Dietmar Loyscha: stirbt, aber nicht wegen seines Tante-Emma-Ladens.
Charlotte Cartier: steht nicht im Telefonbuch.
Der Macker: unterhält einen lukrativen Dienstleistungsbetrieb.
Hauptkommissar Martens: hat keine Ahnung, aber er behält recht.
Johnny Wunderlich: ist kooperativ und weiß dann nicht, wie ihm geschieht.
***
Dies ist ein Roman. Darum sind Personen und Ereignisse (fast) frei erfunden.
(H. B.)
Im Ruhrgebiet, Sommer 1982
Die junge Frau wurde ungeduldig: »Nun, wie ist es? Haben Sie Zeit?« Nach der Stimme konnte ich sie mir gut vorstellen: jung, selbstbewusst, energisch, aktiv, kein Mensch, der viel Geduld besaß. Leise seufzend nahm ich den schweißfeuchten Hörer in die andere Hand: »Um was geht es denn?«
»Das würde ich Ihnen lieber in einem persönlichen Gespräch erzählen.«
»Ja, aber in großen Zügen müssen Sie’s mir schon am Telefon sagen.«
Am anderen Ende blieb es einen Moment still. Dann brach es aus ihr heraus: »Ich habe heute meine Schwester begraben. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt und hat Selbstmord begangen. Das behauptet wenigstens die Polizei. Aber ich glaube das nicht, nie und nimmer. Für mich war das Mord, und Sie sollen den Mörder finden.«
Nachdenklich starrte ich zum weit geöffneten Fenster hinaus. Auf den Tennisplätzen gegenüber herrschte reger Betrieb; die dicht belaubten alten Platanen versperrten zwar die Sicht, aber man hörte die Zurufe und das dumpfe, regelmäßige Plopp der Tennisschläger. Für die Spieler hatte am Freitagnachmittag um vier Uhr bereits das Wochenende begonnen, und wenn es nur nach mir gegangen wäre, hätte ich auch schon längst das Büro geräumt. Seit Tagen stand die Luft in der Stadt, stickig, schmutzig, klebrig-feucht. Die Leute flüchteten sich in die Schwimmbäder.
»Hallo, sind Sie noch dran?«
»Wenn es Mord war, ist die Polizei zuständig«, wehrte ich ab.
»Aber ich sage Ihnen doch, die Polizei hält es für Selbstmord. Sie hat den Fall abgeschlossen.«
»Dann weiß ich nicht, was ich da noch machen soll.«
»Herrgott!«, sagte sie scharf. »Sind Sie immer so schwer von Begriff? Nachforschen sollen Sie, recherchieren – so heißt das doch? Sind Sie nun Privatdetektiv oder nicht?«
Langsam ärgerte mich ihr Ton. »Natürlich kann ich nachforschen. Aber wenn die Polizei sagt, es war Selbstmord, dann war es Selbstmord. Darauf können Sie sich verlassen, und falls Sie mich jetzt engagieren, um den angeblichen Mörder Ihrer Schwester zu finden, schmeißen Sie nur Ihr Geld zum Fenster hinaus. Was Sie mit Ihrem Geld anstellen, kümmert mich nicht, aber ich nehme grundsätzlich keine unlösbaren Aufträge an.« Wütend schnaufte ich. »Ich verplempere nicht gern meine Zeit.«
Plötzlich lachte sie. »Das hat Herr Martens auch gesagt.«
»Wer?«
»Herr Martens, ein Kriminalbeamter. Ich glaube, er ist Leiter der Mordkommission, nicht wahr? Er hat mir Ihr Büro empfohlen.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich habe ihm sehr deutlich erklärt, dass ich mit der Selbstmordtheorie nicht einverstanden bin, und wenn die Polizei sich damit zufriedengebe, würde ich Privatdetektive anheuern, und wen er mir da empfehlen könne.«
»Und er hat uns vorgeschlagen?«
»Sag ich doch – deswegen hab’ ich Sie ja angerufen.«
Das verschlug mir erst einmal die Sprache. Ausgerechnet Hauptkommissar Martens, Leiter der Essener Mordkommission, sollte uns empfohlen haben, die Privatdetektei Peter Altmann & Walter Müller, uns, seine langjährigen Intimfeinde? Welche hinterlistige Teufelei hatte er da wieder ausgeheckt?
»Hallo, Herr Altmann«, unterbrach sie meine Grübelei, »sind Sie eigentlich mundfaul?«
»Nein«, fuhr ich sie an, »ich überlege gerade, das kommt bei mir gelegentlich vor, auch wenn Sie’s stören sollte.«
»Aha!«, machte sie trocken. »Und über was denken Sie nach?«
»Dass Martens unsere Detektei genannt hat, muss nicht unbedingt ein Kompliment für uns sein.«
Sie kicherte schadenfroh: »Dasselbe hat Herr Martens auch gesagt. Er kann Sie nicht leiden, was?«
»Das ist noch sehr vornehm ausgedrückt.«
»Ach, so läuft das. Trotzdem: Nehmen Sie den Auftrag an?«
Wieder zögerte ich, bis sie leise stöhnte.
»Also schön – Herr Martens hat mich schon gewarnt, dass Sie nicht gleich Feuer und Flamme sein würden. Aber er bietet Ihnen Folgendes an: Sie rufen ihn an, lassen sich erklären, was die Polizei denkt und weiß, und dann sprechen wir noch einmal miteinander. Ist das ein faires Angebot?«
»Okay«, willigte ich ein.
»Danke!«, sagte sie schnell und diktierte mir ihre Telefonnummer.
Mord – Martens spürte meine Zweifel, für so etwas besaß er einen siebten Sinn – und knurrte gereizt: »Stellen Sie sich nicht an; ich will Ihnen nichts am Zeug flicken.«
»Wenn ich das nur glauben könnte!«, murmelte ich.
Er schnaubte. »Herr Altmann, wir wollen eines gleich klarstellen. Mit Ihren Methoden war und bin ich nicht einverstanden, daran hat sich nichts geändert, ich nehme immer noch jede Wette darauf an, dass Sie und Ihr Partner sich Informationen auf ungesetzlichem Weg beschaffen, dass Sie Telefone anzapfen und Wanzen installieren und ...«
»Na, na«, protestierte ich automatisch, »das können Sie doch nicht so mir nichts, dir nichts behaupten.«
»Behaupten schon, aber leider nicht beweisen«, parierte er kühl. »Aber darum handelt es sich hier nicht. Noch einmal: Ihre Methoden missfallen mir, aber ich habe nie angenommen oder unterstellt, dass Sie Ihre Klienten übers Ohr hauen und ausnehmen.«
»Das freut mich«, bedankte ich mich ironisch, »aber was hat das mit ...«
»Moment!«, fiel er mir ins Wort. »Eins nach dem anderen. Das spielt in diesem Fall schon eine Rolle.«
»Na schön«, brummte ich, »also raus mit der Sprache. Zuhören kann ja nicht schaden.«
Martens holte tief Luft: »Zum Teufel, Sie ... Ach was, lassen wir’s. Ich hatte wieder einmal Besuch von einer Frau Kehlin, Irene Kehlin. Sie hat heute Morgen ihre ältere Schwester begraben.«
»Mord?«
»Nein, Selbstmord. Einwandfrei Selbstmord.«
»Was hat dann die Mordkommission damit zu schaffen?«
Er beherrschte sich mühsam. »Langsam. Die Schwester – sie hieß übrigens Sabine – hat am Sonntagnachmittag einen Abschiedsbrief geschrieben, eingeworfen und dann eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt. Irene Kehlin hat den Brief am Montagabend in ihrem Briefkasten gefunden – ach so, das wissen Sie ja nicht: Irene Kehlin lebt in Stuttgart ... Sie hat also den Brief gegen achzehn Uhr gelesen, sofort die Polizei in Stuttgart alarmiert, die Kollegen haben uns benachrichtigt, und wir haben natürlich einen Streifenwagen hingeschickt.«
»Wo wohnte denn die Schwester?«
»Am Bahnhof Stadtwald. Die beiden Streifenpolizisten wollten sich die Wohnungstür aufschließen lassen, mussten sie dann aber aufbrechen. Sie haben die tote Sabine Kehlin gefunden.«
Ich wunderte mich: »Ich verstehe noch immer nicht – war es nun Selbstmord oder Mord?«
»Ohne jeden Zweifel Selbstmord. Die Wohnungstür war von innen verschlossen, der Riegel war innen vorgeschoben, am Wasserglas und am Tablettenröhrchen haben wir nur die Fingerabdrücke der Toten gefunden. Keine Spuren eines Einbruchs. Die Leiche wies ebenfalls keine Spuren von Gewaltanwendung auf, und außer den Schlaftabletten hat die Gerichtsmedizin keine Fremdstoffe im Körper entdeckt. Der Pathologe sagt übrigens das Gleiche: Einwandfrei Selbstmord.«
»Was ist mit dem Abschiedsbrief?«
»Die Schwester und unser Graphologe sagen ohne Vorbehalt, dass Sabine Kehlin ihn geschrieben hat.« Er stockte einen Moment und setzte dann griesgrämig hinzu: »Bevor Sie mich löchern, will ich Ihnen lieber gleich sagen, dass der Pathologe auch nichts anderes gefunden hat: Sie war nicht schwanger, hatte keine lebensbedrohenden Krankheiten und auch keinen Gehirntumor. Eine kerngesunde Tote sozusagen.«
»Was stört Sie dann an dem Fall?«
»Mich stört gar nichts. Für die Kripo ist der Fall abgeschlossen. Wir haben die Leiche schon am Mittwoch freigegeben.«
»Ja, aber warum dann ein Privatdetektiv?«
Er grunzte ärgerlich. »Das Motiv: In dem Abschiedsbrief steht nicht drin, warum sie ... Und wenn man der Schwester glauben will, hatte Sabine überhaupt keinen Grund, sich umzubringen.«
»Kann die Polizei ihr nicht helfen?«
»Nein. Wir haben den Fall abgeschlossen.«
Wir überlegten beide eine Weile, bis er einräumte: »Sehen Sie, Herr Altmann, mir passt es auch nicht, dass sich kein Motiv entdecken lässt. Auf der anderen Seite kann ich nicht bei jedem Selbstmord tage- und wochenlang herumstöbern, bis wir einen einleuchtenden Grund entdeckt haben. Wenn alle Indizien dafür sprechen, dass jemand die Tabletten selbst und freiwillig geschluckt hat, muss ich die Untersuchung abbrechen.«
»Und damit will sich Schwesterchen Irene nicht zufriedengeben«, ergänzte ich.
»Nein, sie will das Motiv wissen. Sie hat mir eben vor einer Stunde zu diesem Punkt sehr gründlich die Meinung gegeigt – Moment, ich hab’ mir Notizen gemacht ...« Ich hörte Papier rascheln. »Ah ja, hier. Also, Sabine war gesund, hübsch, sie hatte eine gute Figur und Erfolg in ihrem Beruf. Sie hatte Freunde und auch Liebhaber, sie war nicht einsam, nicht unglücklich verliebt, interessierte sich für vieles, sie hatte keine Feinde und war reich, sogar sehr reich. Außerdem weiß die Schwester mit absoluter Gewissheit, dass Sabine nicht in eine Straftat verwickelt war und nicht erpresst wurde. Sie hatte keinen Kummer und ist nie in psychiatrischer Behandlung gewesen ... Wollen Sie im Ernst behaupten, solch ein Mensch begeht Selbstmord?! Ausrufezeichen, Fragezeichen ... So Irene Kehlin«, setzte er grimmig hinzu.
»Die Dame scheint resolut und gründlich zu sein.«
»Auf beides können Sie Gift nehmen!«, bestätigte er.
»Was will sie also?«
»Ein Motiv erfahren. Oder mit hundertprozentiger Sicherheit wissen, dass es eine Kurzschlusshandlung war, obwohl sie diese Erklärung im Augenblick noch weit von sich weist. Eines von beiden. Um jeden Preis.«
»Um jeden Preis ...«, wiederholte ich gedehnt.
Wir verstanden uns ohne Worte. »Der Auftrag schmeckt Ihnen nicht?«, fragte er ruhig.
»Nein, im Augenblick überhaupt nicht. Ich habe übrigens noch nicht zugesagt.« Danach warteten wir beide, aber er war zäher als ich, und weil er die letzte Unklarheit nicht freiwillig ausräumte, musste ich sie ansprechen: »Herr Martens, wie kommen Sie überhaupt dazu, einer fremden Frau einen Privatdetektiv zu empfehlen? Schließlich gibt’s im Telefonbuch ein Branchenverzeichnis, in dem wir auch stehen.«
Man musste schon sehr genau hinhören, um das winzige Zögern mitzukriegen. »Ich will sie endlich loswerden, sie rennt mir sonst die Bude ein.«
»So ist das also!«, sagte ich ausdruckslos.
Er räusperte sich nur. Wieder verging fast eine Minute, und diesmal kapitulierte Martens: »Na schön, dann sollen Sie auch den Rest erfahren. Es gibt noch zwei – nein, drei unklare Punkte ... Zuerst der Abschiedsbrief.«
»Ich denke, der ist koscher?!«
»Schon, aber seien Sie doch nicht immer so ungeduldig. Passen Sie auf: Haben Sie schon einmal am Sonntag Post in einen Briefkasten geworfen, die am nächsten Tag pünktlich ausgeliefert wurde?«
»In letzter Zeit selten.«
»Eben. Am Bahnhof Stadtwald, drei Minuten Fußweg von der Kehlinschen Wohnung, steht ein Briefkasten, der sonntags um zwanzig Uhr dreißig geleert wird. Gut, aber was macht unsere Sabine Kehlin? Sie setzt sich in die S-Bahn, fährt zwei Stationen zum Hauptbahnhof und wirft ihren Brief um sechzehn Uhr vierzig in den Kasten an der Hauptpost ein, der ständig geleert wird. Das geht zweifelsfrei aus dem Stempel hervor.«
»Hm ... Woher wissen Sie übrigens, dass sie mit der S-Bahn gefahren ist?«
»Erstens hat sie ihr Auto am Freitag zur großen Inspektion in ihrer Werkstatt abgeliefert, und zweitens haben wir in ihrer Handtasche zwei S-Bahn-Fahrkarten gefunden.«
»Seltsam.«
»Kann man wohl sagen. Und der dickste Hammer: Am Sonntag hat sie in einer Konditorei am Stadtwaldplatz Kuchen gekauft, und zwar so viel, dass sie ihn nie und nimmer allein aufessen konnte. Nun mag sie ihren Appetit überschätzt und den Rest weggeworfen haben, aber die Bedienung in der Konditorei, die Sabine Kehlin ganz gut kannte, schwört Stein und Bein, dass so etwas ausgeschlossen sei.«
»Mit anderen Worten: Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass Sabine Kehlin am Sonntagnachmittag Besuch hatte ...«
»... der sich bis jetzt noch nicht gemeldet hat!«, ergänzte er schnell.
»Keinerlei Hinweis darauf, wer es gewesen sein könnte?«
»Nein.«
Das Wort knallte wie ein Pistolenschuss, und ich rieb mir geistesabwesend mein schmerzendes Ohr. Schließlich erkundigte ich mich vorsichtig: »Kennt Irene Kehlin diese Einzelheiten?«
»Ja, das ließ sich nicht vermeiden.«
Im letzten Moment verkniff ich mir ein höhnisches Glucksen. Martens hatte also auf der ganzen Linie vor der resoluten Schwester nachgeben müssen. »Na schön«, murmelte ich endlich; »ich werde die Kehlin anrufen und zwei, drei Tage an den Fall hängen.«
»Viel Spaß«, knurrte er.
»Danke, den werd’ ich schon haben ... Halt! Bevor Sie auflegen, könnten Sie mir noch einen Gefallen tun. Wie lautete denn der Abschiedsbrief?«
»Hm«, brummelte er, »der war verdammt kurz. Wo ist ... Also: Liebe Irene, es tut mir leid. Dir Kummer bereiten zu müssen. Aber wenn Du diesen Brief liest, habe ich mit allem Schluss gemacht. Ich kann es nicht mehr länger ertragen und scheide freiwillig aus dem Leben. Dir wünsche ich alles Gute. Grüße Vater von mir. Deine Sabine.«
»Überströmend gefühlsvoll. Und sehr verzweifelt.«
»Warten Sie nur ab, bis Sie die Schwester kennengelernt haben«, beschied er mich spöttisch. »Die Familie Kehlin hält nicht viel von Gefühlsduseleien, das werden Sie noch merken.«
»Auch das noch ... Aber erklären Sie mir doch bitte: Was konnte sie nicht länger ertragen?«
»Keine Ahnung«, gab er zu. Es klang verstimmt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass ihm die energische Schwester dieselbe Frage auch schon unter die Nase gerieben hatte.
»Wenn das stimmt mit dem Reichtum, ich meine, wenn die tote Sabine tatsächlich über viel Geld verfügte, möchte man natürlich erfahren, wer den ganzen Schmutz erbt.«
»Schwester Irene. Die beiden haben gleichlautende Testamente gemacht und jeweils die andere als Alleinerbin eingesetzt.«
»Könnte das ein Motiv sein?«
»Unwahrscheinlich«, urteilte er, »und dann – was heißt hier Motiv? Für einen Mord? Verdammt, Herr Altmann, es war Selbstmord. Sie hat die Tabletten selbst geschluckt und niemand hat sie dazu gezwungen.«
»Na dann, vielen Dank und auf Wiedersehen.«
Er sparte sich eine Antwort.
»Fein.« Irene Kehlin freute sich. »Kommen Sie sofort?«
»Es dauert noch etwas. In anderthalb Stunden, einverstanden?«
»Natürlich!« Als sie mir die Adresse durchgab, kam mir flüchtig die Idee, dass sie wohl daran gewöhnt war, immer ihren Kopf durchzusetzen.
Nina Sehlbach, unsere rothaarige und rotzfreche Sekretärin, war im Vorzimmer mit der Ablage beschäftigt. Weiß der Henker, ob sie wieder einmal das Telefongespräch mitgehört hatte oder nur ihren berüchtigten siebten Sinn entwickelte, jedenfalls blinzelte sie mir schadenfroh zu: »Na, Peter, noch Arbeit? Ich bin gleich fertig und geh ins Schwimmbad.«
»Pass nur auf, dass du nicht zu viel Wasser schluckst«, entgegnete ich patzig.
»Hach«, machte sie verächtlich, und ich ärgerte mich, dass mir nichts Besseres eingefallen war. Nina schwamm nämlich wie ein Fisch, wie ich aus leidvollen, weil verlorenen Wettkämpfen sehr wohl wusste. Am meisten verblüffte mich dabei immer, dass ihre äußerst knappen Bikinis das aushielten und sich nicht selbständig machten, und mit dieser Sorge – oder Hoffnung – stand ich nicht allein. Nur ganz junge und ganz alte Knaben drehten sich nicht nach ihr um.
»Na schön, viel Spaß!«, lenkte ich ein.
»Willst du nicht nachkommen?«
»Nein, ich habe eine neue Kundin an der Hand, und ich fürchte, das wird ein paar Stunden dauern.«
»Ist sie wenigstens hübsch?«
»Keine Ahnung, ich kenne sie nur vom Telefon. Aber das klang ganz gut.«
Sie runzelte die Stirn und schoss mir einen scharfen Blick zu. Ich konnte mir schon denken, was in ihrem hübschen Kopf vorging. Unsere Affäre lag nun Jahre zurück, aber mit dem Gedanken, dass ich nach ihr keinen Zölibatseid abgelegt hatte, konnte sie sich einfach nicht anfreunden, das widersprach ihrem ausgeprägtem Besitztrieb. Schließlich lächelte sie schmal:
»Ich werde sie ja wohl mal sehen, oder?«
»Warum nicht?«
Sie murmelte etwas Unverständliches und drehte mir den Rücken zu; die Partie stand unentschieden, also hätte ich gehen können. Aber weil es einen Sieger geben musste, ärgerte ich sie:
»Hör mal, Nina, du musst alle Zeitungen dieser Woche durchstöbern. Am Montag ist in Essen-Stadtwald ein Selbstmord entdeckt worden, die Tote heißt Sabine Kehlin. Such mal alles raus, Meldungen, Todesanzeigen und so weiter.«
»Jetzt noch?«
»Ja, ich brauch’s heute noch.«
Einen Augenblick lang schien sie mir an den Hals springen zu wollen, dann beherrschte sie sich, und weil ich meinen Triumph gehabt hatte, gab ich ihr die Telefonnummer unserer neuen Klientin, damit sie das Ergebnis ihrer Recherchen dorthin melden konnte.
Zu Hause, unter der Dusche, gestand ich mir ein, dass Mord-Martens seinen Ruf als gefährlicher Fuchs wirklich verdiente. Dieser Kerl hatte mich doch tatsächlich dazu gekriegt, das zu erledigen, was er als Polizist wegen seiner Dienstvorschriften nicht erledigen konnte, aber erledigt haben wollte – nämlich ein Motiv für den Selbstmord auszugraben.
Wie versprochen bremste ich eine Stunde später vor dem Domizil der verblichenen Sabine Kehlin und stieß erst einmal einen halb bewundernden, halb neidvollen Pfiff aus. Das vierstöckige Haus verriet vom untersten Naturweiß-Ziegel bis zum kupfergedeckten Schrägdach Geld, Geld und nochmals Geld. Um den Garten und den Rasen hatte sich ein erstklassiger Gärtner gekümmert, die Halle war blitzsauber und der Aufzug funktionierte lautlos.
Sabine Kehlin hatte im obersten Stock gewohnt, ihre Schwester stand in der Tür und sah mir neugierig entgegen. Die gegenseitige Musterung stellte uns beide zufrieden.
Sie war dunkelhaarig und dunkeläugig, und der Hosenanzug betonte ihre gute Figur, deren sie sich sehr genau bewusst war. Mein grauer Anzug kaschierte meinen kleinen Bierbauch vorzüglich, musste er auch, schließlich hatte er mich allerhand Geld gekostet.
Bei der schwülen Hitze empfand ich die Wohnung angenehm kühl. Sie war groß und hell und war geschmackvoll, aber für meine Begriffe zu demonstrativ teuer eingerichtet. Irene Kehlin lächelte kurz, als sie meinen Inspektions-Rundblick bemerkte, und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass sie mich durchschaute.
»Setzen Sie sich doch! Kaffee, Tee, Bier oder Wein?«
»Wenn Sie Whisky hätten ...«
»Haben wir.«
»Dann mit viel Eis und viel Soda bitte!«
Geschickt und schnell bediente sie mich, und ich hatte kaum den ersten winzigen Schluck getrunken, als sie auch schon loslegte:
»Nehmen Sie den Auftrag an?«
»Das weiß ich noch nicht«, dämpfte ich ihren Eifer. »Ich habe mit Herrn Martens gesprochen, und ich will Ihnen lieber gleich vorwegsagen, dass ich nicht an Ihre Mordtheorie glaube. Wenn Martens behauptet, es war Selbstmord, dann war es einer.«
»Mord! Selbstmord!«, wiederholte sie aufgebracht. »Herr Altmann, wir müssen erst einmal die Begriffe klären. In meinen Augen ist derjenige ein Mörder, der meine Schwester veranlasst hat, die Tabletten zu schlucken. Auch wenn er juristisch dafür nie belangt werden kann oder ...«
»Das ist eine sehr eigenwillige Interpretation«, fiel ich ihr ins Wort.
»Schön, mag sein. Vielleicht gefällt es Ihnen nicht. Aber für mich ist sie richtig und deswegen ...«
»Moment!«, unterbrach ich sie energisch. »Bevor wir uns in die Haare kriegen, einigen wir uns doch darauf, dass Sie den Grund für den Tod Ihrer Schwester erfahren wollen. Okay?!«
»Einverstanden«, stimmte sie zu, immer noch erregt.
Temperament hatte sie ja, aber hoffentlich nicht zu viel. Solche Kunden brachten nur Ärger. »Fein«, bekräftigte ich deswegen rasch, »aber dann wollen wir noch eins klären: Es wird ein teurer Spaß werden ... Okay, okay, entschuldigen Sie das unpassende Wort, ein teures Unternehmen.«
»Geld spielt keine Rolle«, erklärte sie.
Der herablassende Ton ärgerte mich: »Wie Sie meinen. Dann wollen wir gleich mit der Arbeit anfangen. Wo ist eine Steckdose?«
Sie half mir, das Tonbandgerät anzuschließen und die Mikrophone aufzubauen. »Also dann!«, kommandierte ich. »Erzählen Sie mir alles über Ihre Schwester.«
»Wo soll ich da anfangen?«
»Am besten bei der Geburt.«
Wieder blitzte sie mich an, gehorchte aber. »Sabine Kehlin war meine ältere Schwester, geboren am 18. April 1952 in Wiesbaden. Sie war das erste Kind, ich wurde am 3. September 1953 geboren, ebenfalls in Wiesbaden. Mein Vater heißt Eberhard Kehlin, geboren 1890 in Ratibor. Meine Mutter hieß Nora Kehlin, geborene Sedrusch, Geburtsjahr 1935; wo sie zur Welt kam, weiß ich allerdings nicht.«
»Was bedeutet: hieß?«
»Ich verstehe Sie nicht ...«
»Sie sagten eben, Ihre Mutter hieß. Was bedeutet die Vergangenheitsform? Ist sie gestorben?«
Einen Augenblick blinzelte sie unschlüssig: »Das kann ich nicht sagen. Ist das denn wichtig?«
»Vielleicht. Woher soll ich das jetzt schon wissen?«
»So, ja. Nun, ich habe keine Ahnung, ob sie noch lebt. Soviel ich weiß, haben sich meine Eltern drei Monate nach meiner Geburt scheiden lassen.«
»Warum denn das?«
Ihr Gesicht verfinsterte sich jäh. »Darüber möchte ich nicht sprechen; das geht niemand was an.«
»Schön, dann kann ich ja zusammenpacken.«
»Was soll das heißen?«, fuhr sie auf.
Mit dem letzten Rest von Geduld, den ich noch besaß, setzte ich ihr auseinander: »Es hat keinen Sinn weiterzumachen. Sie wollen von mir ein Motiv für den Tod Ihrer Schwester erfahren. Dazu muss ich sie bis in die letzten Winkel durchleuchten, ohne Rücksicht auf irgendwelche Empfindlichkeiten. Oder Peinlichkeiten. Aber Sie legen sich schon bei der simplen Frage quer, warum sich Ihre Eltern haben scheiden lassen. Wie soll ich da was rausfinden?«
Sekundenlang funkelte sie ihn geradezu gefährlich an; dann gab sie nach. »Sie haben recht, entschuldigen Sie. Ich werde alle Fragen beantworten.«
»Hm, hoffentlich. Also: Warum haben sich Ihre Eltern scheiden lassen?«
»Mein Vater hat nur einmal angedeutet, dass ein anderer Mann im Spiel war. Aber davon hat er nur einmal gesprochen, sonst wurde meine Mutter nicht erwähnt. Jedenfalls trennten sie sich, und ich habe meine Mutter nie gesehen.«
»Nie? Nicht ein einziges Mal?«
»Nein, ich habe sie nie bewusst gesehen. Sabine übrigens auch nicht. Einmal habe ich von ihr einen Brief bekommen, an meinem einundzwanzigsten Geburtstag. Sie fragte mich, ob wir uns nicht einmal treffen könnten ... Ich habe nach langem Überlegen nicht geantwortet. Verstehen Sie? Sie war eine Fremde für mich, und irgendwie glaubte ich, es solle so bleiben. Ich vermisste sie nicht.«
»Hm. Ihr Vater lebt noch?«
»Ja, in Wiesbaden.«
»Was war er oder was ist er von Beruf?«
»Verleger und Drucker. Mit siebzig hat er sich zur Ruhe gesetzt und den Verlag und die Druckerei verkauft.« Unversehens schmunzelte sie: »Sehr gut verkauft. Er ist ein reicher Mann, und wir sind reiche Erbinnen. Um Ihr Honorar brauchen Sie sich nicht zu sorgen.«
»Na fein. Erzählen Sie mehr von Sabine.«
»Ja, was soll ich erzählen? Eine jüngere Schwester meines Vaters hat uns großgezogen, Tante Hilda. Wir sind zur Volksschule gegangen, dann aufs Gymnasium. Sabine hat 1970 ihr Abitur bestanden und ist dann für zwei Jahre in die Vereinigten Staaten gezogen, auf irgendein mathematisches Institut – die Zeugnisse müssen da im Schreibtisch liegen–, und hat Programmieren gelernt ... Ja, gucken Sie nicht so erstaunt; sie verstand eine ganze Menge von Mathematik und Computern und all dem Kram.« Sie rümpfte die Nase, und ich dachte mir meinen Teil. »Ende 1972 ist sie zurückgekommen, hat bis zum Herbst 1973 noch irgendwelche Lehrgänge mitgemacht und ist dann Anfang 1974 nach Essen umgezogen.«
»Dann war das ihre erste Stelle hier?«
»Ja, bei der Bauco. Das ist so ein Ingenieurbüro für Konstruktionen oder was weiß ich, und sie hat in der EDV gearbeitet.«
Wieder krauste sie unwillkürlich die Nase. »Offenbar mit Erfolg, man ist ... Man war mit ihr zufrieden. Das hat sie jedenfalls immer behauptet. Na ja, dafür spricht auch, dass sie sich Ende 1974 diese Wohnung gekauft hat. Sie wollte hierbleiben.«
»Schön. Und was haben Sie nach dem Abitur angefangen?«
»Erst bei einer Zeitung volontiert, dann ein Jahr Lokalredakteurin gespielt, bis ich die Nase voll hatte. Seitdem arbeite ich freiberuflich – Zeitung, Funk oder auch mal ein Fernsehfilm.«
»Kann man davon leben?«
Sie lachte laut auf. »Ich kann, ich muss aber nicht. Ach, Sie kapieren manchmal schwer. Wir sind ... Ich bin und Sabine war eine reiche Erbin. Mein Vater hat uns an dem Tag, an dem wir unsere Ausbildung abgeschlossen hatten, unser Erbe überschrieben, und allein von den Zinsen könnte ich in Saus und Braus leben ... Ja, natürlich galt das auch für Sabine. Sie hat nur einmal das Kapital angegriffen, als sie diese Wohnung kaufte, aber sonst – Sabine hat sogar die Zinsen gespart, sie war ein solides, gewissenhaftes, sparsames Mädchen.«
»Verdiente sie so gut?«
Etwas wie Ärger oder Eifersucht flog über ihr Gesicht. »O ja!«, entgegnete sie kurz.
»Aha. Wie stand denn Sabine zu Ihnen? Und zu Ihrem Vater?«
»Das lässt sich nicht mit einem Satz beschreiben. Wissen Sie, in punkto Temperament war sie immer mein genaues Gegenteil: Sehr beherrscht, sehr kühl, sehr ausgewogen. Ich liebe meinen Vater, und dann hasse ich ihn wieder manchmal so, dass ich ihn umbringen könnte. Sabine hat wohl auch an ihm gehangen, sich dann aber von ihm gelöst ... Naja, sie ist halt ihre eigenen Wege gegangen ... Nein, nein, keine Verstimmung, kein Zorn; eine allmähliche, vielleicht ganz natürliche Trennung eben.« In ihren Augen spiegelten sich Gedanken wider, die sie mir nicht verriet.
»Und wie vertrugen Sie sich mit Sabine?«
Zu meinem Erstaunen überlegte sie sich die Antwort, während sie die leeren Gläser nachfüllte. Schließlich meinte sie zögernd: »Ja, wie? Eigentlich waren wir ja fast gleichaltrig, aber irgendwie ist sie im Laufe der Jahre immer mehr zur älteren, zur wirklich älteren Schwester geworden. Gelegentlich hat es mich mächtig gestört, aber vielleicht musste es so sein ...« Sie brach ab und trank in Gedanken versunken.
Ich räusperte mich schließlich, um sie in die Gegenwart zurückzuholen. »Haben Sie Kontakt miteinander gehabt?«, fragte ich.
»Wie ...? O ja, doch. Allerdings meist nur telefonisch. Ich muss beruflich so viel schreiben, dass ich mich gern vor Briefen drücke.«
»Sabine schrieb auch nicht gern?«
»Nein, sie tat sich schwer damit, sie rief auch lieber an.«
»Gut. Dann berichten Sie mir etwas über das Privatleben Ihrer Schwester.«
Sie seufzte. »Da gibt’s nicht viel zu berichten. Sabine arbeitete viel und lange; sie hatte ein paar Bekannte, sie ging ab und zu ins Theater oder in die Oper. Ach ja, den Tennisclub darf ich nicht vergessen. Und einmal die Woche ritt sie, irgendwo in Mülheim, das weiß ich nicht so genau. Aber Sie werden alle Unterlagen im Schreibtisch finden. Sabine war sehr ordentlich.« Wider Willen setzte sie hinzu: »Ganz anders als ich.«
Mühsam verkniff ich mir ein Lächeln, aber sie bemerkte meine Erheiterung und strahlte mich plötzlich an, dass es mich fast aus dem Sessel haute. Mit Temperament war sie im Übermaß gesegnet, jetzt wurde mir klar, dass sie auch umwerfend charmant sein konnte.
»Schön, Frau Kehlin, dann ... Im Klartext gefragt: Hatte Ihre Schwester keinen Freund? Keinen Liebhaber?«
Unschlüssig drehte sie ihr Glas: »Ich weiß es nicht. Ich kann’s beim besten Willen nicht sagen, ich müsste raten.«
»Dann raten Sie.«
Sie schaute mich an, ohne mich zu sehen. »Freunde? Ich kann’s mir irgendwie nicht vorstellen, dass passte nicht zu ihr. Und auch kein Geliebter, nein, das hätte ich wohl gemerkt ...«
»Wann gemerkt? Wo?«
»Am Telefon. Sie hat mir zwar nicht gerade ihr Herz ausgeschüttet, aber ... Warten Sie, einmal hatte sie jemand getroffen, der ihr wirklich gefiel – na ja, es schien ernster zu werden. Das hat sie mir wohl erzählt. Aber das endete dann ziemlich abrupt. Nein, von einem festen Freund wüsste ich bestimmt. Allerdings ...«
»Ja, allerdings?«, ermunterte ich sie.
»Sie hatte jemand kennengelernt. Richtig, ich erinnere mich, aber anscheinend hat es wohl nicht gleich geklappt. Oder sie bekam Bedenken, jedenfalls wurde sie sehr einsilbig, wenn ich sie danach gefragt habe ... Nein, keine Ahnung, wer das war.«
»Hat sie nie einen Namen genannt?«
»Nein, so etwas verschwieg Sabine gern. Mein Freund – oder auch: mein Bekannter, das war alles ... Halt, das stimmt nicht, jetzt fällt mir wieder ein, dass sie einmal sagte, sie sehe ihn sehr häufig.«
»Ein etwas dünner Hinweis, finden Sie nicht auch?«
Verlegen und zugleich unwillig nickte sie: »Ja.«
»Aber Ihre Schwester hatte doch bestimmt Freundinnen, Bekannte?«
»Schon ...« Sie zögerte. »Aber ich kenne praktisch niemand davon. Sie müssten mal Sabines Adressbuch durchtelefonieren.«
»Haben Sie das noch nicht getan?«
»Nein!« Es klang sehr abweisend, und bevor ich nachfassen konnte, klingelte das Telefon. Hastig nahm sie ab, offenkundig froh, vor meiner nächsten Frage Zeit gewonnen zu haben. »Kehlin ... Guten Abend ... Ja, er ist hier. Einen Moment.«
Nina war unüberhörbar schlecht gelaunt. »Nichts!«, bellte sie mich an.
»Was heißt ›nichts‹?«
»Nichts in den Zeitungen, keine Berichte, keine Todesanzeigen. Eben gar nichts ... Zufrieden, du altes Ekel? Kann ich jetzt endlich ins Bad gehen?«
»Hau schon ab!«, knurrte ich, und sie knallte den Hörer hin, dass mein Trommelfell juckte. Nachdenklich gab ich Irene Kehlin den Hörer zurück: »Sagen Sie einmal, Sie haben keine Todesanzeige aufgegeben?«
»Nein«, bestätigte sie verwundert.
»Haben Sie denn Todesanzeigen verschickt?«
»Nein«, antwortete sie zögernd.
»Und warum nicht?«
Sie sah mich schräg an: »Ich wollte nicht ... Ach, das ist schwer zu erklären. Ich wollte einfach nicht ... Verstehen Sie doch, so schön finde ich es auch nicht, aller Welt mitzuteilen, dass meine Schwester Selbstmord begangen hat.«
»Vorhin haben Sie noch behauptet, es sei Mord gewesen«, stichelte ich.
Und prompt explodierte sie: »Müssen Sie darauf herumreiten?«
»Nein, schon gut ... Wen haben Sie denn vom Tod Ihrer Schwester benachrichtigt?«
Sie schnaufte kurz: »Hier in Essen nur die Firma. Ach ja, und die Hausverwaltung hier.«
»Sabines Freunde wissen also noch nicht Bescheid?«
»Ich nehme doch an, dass es sich mittlerweile rumgesprochen hat«, konterte sie bissig.
»Schön, lassen wir das, kümmern wir uns wieder um Sabines engere Freunde – wenn es sie gab. Wer kann mir etwas über ihr Privatleben erzählen? Mit wem war sie gut genug befreundet?«
Angestrengt dachte sie nach und schüttelte schließlich resigniert den Kopf: »Tut mir leid, Herr Altmann – ich weiß es einfach nicht. Bestimmt nicht. Im Schreibtisch habe ich ein Adressbüchlein gefunden, vielleicht hilft Ihnen das weiter. Hier im Hause hatte sie wohl kaum Kontakt ... Das heißt, nein, das stimmt nicht. Nebenan wohnt ein freundlicher älterer Herr, ein pensionierter Richter. Er ist blind, und Sabine hat ihn wohl öfters besucht – ihm vorgelesen, Post erledigt oder für ihn eingekauft. Als Einziger aus dem Haus hat er sehr nett kondoliert; ich glaube, er trauert meiner Schwester wirklich nach. Ach ja, und dann existiert da noch eine Nachbarin, ich meine, sie heißt Regine ... nein, den Nachnamen weiß ich nicht ... mit der hat Sabine wohl häufiger verkehrt ... Nein, diese Regine scheint nicht da zu sein, jedenfalls ist sie noch nicht bei mir gewesen.«
»Hatte sich Sabine in der Firma enger an jemand angeschlossen?«
»Nein, enger nicht. Es gab da einen Kollegen, den sie häufiger erwähnt hat, Waldi mit Spitznamen, aber sie wollte nicht, hat ihm einen Korb gegeben, worauf er offenbar gekündigt hat. Nein, in der Firma ist es seitdem bei rein beruflichen Kontakten geblieben.«
»Sie haben einen Tennisclub erwähnt«, erinnerte ich sie.
»Ach ja, da ging sie ganz gern hin, aber ich meine ...« Wieder klingelte das Telefon, und sie nahm rasch ab: »Kehlin ... Hallo, wer ist dort? ... Hallo! ... Ach, zum Teufel.« Wütend legte sie auf.
»Was ist los?«, erkundigte ich mich verwundert.
»Irgend so ein Spinner. Der ruft schon die ganze Zeit über an, sagt aber nie einen Ton, sondern hängt gleich wieder ein.«
»Vielleicht einer von Sabines geheimen Verehrern?«
»Na, dann ist der aber von der schüchternen Sorte.« Wir lachten, und sie fuhr fort: »Also, im Tennisclub hatte sie sich mit einem älteren Ehepaar angefreundet, Scholz heißen sie. Und beim Reiten hatte sie auch eine junge Frau kennengelernt, eine Evelyn Sowieso, den Namen habe ich vergessen. Mir fällt nur wieder ein, dass sie diese Evelyn glühend beneidet hat, weil sie so selbstsicher ist.«
»Mich wundert, dass Ihre Schwester hier im Haus so wenig Kontakte hatte.«
Irene Kehlin zuckte die Achseln und bemerkte wahrscheinlich gar nicht, dass es sehr abschätzig aussah: »Mit Anschluss hat sich Sabine immer schwergetan.«
»Gilt das nur für Männer oder allgemein?«
»Ach, allgemein. Bis Sabine mit jemand warm wurde, vergingen Jahre, das war schon früher so.«
»Dann hat sie also ihre Freizeit im Allgemeinen allein verbracht? Was trieb sie denn so abends oder an Feiertagen?«
Verlegen lächelte sie mich an: »Nun, Herr Altmann, offen gesprochen: Wenn ich ein Feature über meine Schwester schreiben müsste, wüsste ich mir auch nur mit der Floskel zu helfen: Sie ging in ihrer Arbeit auf.«
Naja, das klang wie ein gequälter Nachruf, aber diese Erkenntnis behielt ich lieber für mich. Mit Irenes Hilfe machte ich mich dann über den Schreibtisch her. Sabine Kehlin war in der Tat eine sehr ordentliche junge Frau gewesen, systematisch und bis zur Langeweile korrekt. Die Bankauszüge bestätigten übrigens die Behauptung der Schwester: Reich war sie gewesen, sogar stinkreich. Ihr Aktien-, Anleihe- und Obligationen-Besitz konnte sich sehen lassen; auf einer besonderen Liste hatte Sabine die Zinsen und Dividenden addiert – Zahlen, die meinen heimlichen Neid erweckten. Bis mir einfiel, dass sie sich trotzdem umgebracht hatte.
Die Korrespondenz war, natürlich alphabetisch abgeheftet, schlicht und ergreifend nichtssagend – Geschäfte, ihre Vereine, Zahlungen, das Auto. In einer besonderen Ledermappe lag alles Wichtige griffbereit: Versicherungen, Krankenkasse, Testament, Zeugnisse, Pass, die Unterlagen ihrer Erbschaft, Kfz-Brief. Vielleicht war es auch nur der dritte Whisky, aber mich bedrückte diese sterile Ordnung auf fast unbeschreibliche Art. Ein ganzes Leben füllte keine zwei Aktenordner, alles amtliche oder formelle Papiere, die nichts über die Sorgen und Nöte oder Vorlieben oder Freuden der lebenden Sabine Kehlin verrieten. Alles war immer glatt, kantenlos, anstandslos über die Bühne gegangen.
»Sie müssten mal meinen Schreibtisch sehen«, warf Irene Kehlin plötzlich halblaut ein, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ich antwortete nicht. Auch die wenigen Bilder in dem leinengebundenen Fotoalbum waren von grandioser Ausdruckslosigkeit: Abitur, Prüfungen, Kollegen, Weihnachten mit dem Vater, Treffen mit Schwester Irene. Andere Familienmitglieder. Das Elternhaus in Wiesbaden. Nur die beiden letzten Porträts zeigten eine menschliche, eine lächelnde Sabine Kehlin.
»Die nehme ich mit«, entschied ich, »Sie kriegen sie wieder, wenn wir Abzüge gemacht haben.«
»Lassen Sie sich Zeit!«, entgegnete sie rasch.
Auf dem Schreibtisch lag ein Terminkalender mit herzlich wenigen Eintragungen, daneben ein neuer, kaum gebrauchter Notizblock für das Telefon, das auf einem Brokat-Zierdeckchen stand. Das einzig Persönliche fand sich in einer Schreibtisch-Schublade: ein Ringbuch mit mehreren großen, durchnummerierten Blättern, auf die Sabine mir unbekannte, merkwürdige Symbole gemalt und mit unverständlichen Buchstaben oder Silben beschriftet hatte.
Irene kannte das: »Das ist ein Programmentwurf für einen Computer. Oder Pläne dazu. Auf jeden Fall etwas Berufliches.«
»Aha ... Man lernt eben nie aus.«
Das Adressbüchlein hielt lange nicht das, was ich mir davon erhofft hatte – insgesamt höchstens fünfundzwanzig Namen und Anschriften, darunter aber auch ihr Hausarzt, ihre Frauenärztin, ihr Zahnarzt, ihre Bankfiliale, ein Börsenmakler. »Hat Ihre Schwester spekuliert?«, fragte ich erstaunt.
»Ganz selten, das meiste erledigte die Bank«, gab sie zurück, und mir fiel auf, dass sie sich selten in die Gegenwartsform verirrte.
»Eigentlich recht wenige Anschriften«, meinte ich.
»Ja, erstaunlich wenige.«
»Kann ich das Büchlein mitnehmen?«
»Ungern.« Sie zögerte sichtlich.
»Na schön. Wenn Sie es nicht aus der Hand geben wollen, müssen Sie alle Angaben auf meinen Block übertragen.«
»Ja, gern.« Während sie schrieb, durchsuchte ich flüchtig den Rest des Schreibtisches. Briefpapier, Umschläge, Briefmarken – selbstverständlich nach Wert geordnet –, ein Rechenblock, Locher, Hefter, Schere – es hätte nicht büromäßiger sein können, obwohl alle die Kinkerlitzchen, die sich in einem Büro unvermeidlich ansammeln, hier fehlten.
Die wenigen Bücher in dem hellen, teuren Regal jagten mir Schauer über den Rücken. Liebesromane, die bekanntesten Bestseller, einige Krimis, Schundromane. Eine Ersatzwelt? Schätzungsweise achtzig Zentimeter Bücherbrett waren mit Fachliteratur belegt, die als Einzige auch Spuren häufigen Gebrauchs aufwies. In einem separaten Fach stapelten sich Zeitschriften, etwas über Dataprozesse, also Computertechnisches, auf Englisch. Die Tonbänder, sauber beschriftet, enthielten Schlager, Schnulzen, Karnevalslieder, Fischer Chöre und Operetten, die meisten allerdings in Querschnitten. Mich grauste, und Irene zwinkerte mir spöttisch zu.
»Was hat Ihre Schwester eigentlich abends, nach Dienstschluss, unternommen?«
Stumm deutete sie auf die beeindruckende Stereoanlage und den riesigen Farbfernseher. Natürlich waren auch diese Geräte das Beste vom Besten, und wie ich erwartet hatte, hatte ein Fachmann die Kabel unter Putz verlegt, die Bänder waren sorgfältig beschriftet, die Platten systematisch geordnet. Nur keine Unordnung, schoss mir durch den Kopf. Schwesterchen Irene hatte wohl für Durcheinander gesorgt, aber trotz ihrer überall herumliegenden Sachen wirkte das Zimmer immer noch spartanisch aufgeräumt.
Vorerst suchte ich nicht weiter; schon der erste, flüchtige Rundblick hatte gezeigt, dass Sabine Kehlin nichts Privates oder Überflüssiges aufgehoben hatte. Je länger ich mich umschaute, desto mehr erinnerte mich die Wohnung an ein Hotelzimmer – vor dem Einzug des Gastes.
»Darf ich mal sehen, was Ihre Schwester in der Handtasche hatte?«
Auch das lohnte kaum die Mühe. Führerschein, Reparatur-Auftragsbestätigung einer Werkstatt ganz in der Nähe, Visitenkarten, drei schmale Schlüsselbunde, Notizblock mit goldenem Kugelschreiber, Personalausweis, Scheckkarte, Portemonnaie mit etwas über zweihundertachtzig Mark, ein Taschenflakon mit einem angenehm frischen Parfüm, Lippenstift, Taschentuch mit Monogramm – aus.
»Wissen Sie, was das für Schlüssel sind?«
Unsicher schüttelte sie den Kopf. »Der eine Bund ist fürs Auto, der andere passt auf Haus und Wohnungstür und der Rest – das nehme ich wenigstens an – sind Büroschlüssel. Oder auch vom Tennisclub.«
Brummend steckte ich alles zurück und inspizierte die anderen Zimmer; eine gründliche Suche schenkte ich mir. Wie schon festgestellt – die tote Sabine hatte immer das Beste und Teuerste gekauft, aber auch das Unpersönlichste. Über die Küche ärgerte ich mich geradezu: Perfekt eingerichtet, aber offenkundig selten oder nie benutzt. Eine Verschwendung! Die Krümel und Abfälle stammten – das brauchte sie mir gar nicht zu bestätigen – von Schwesterchen Irene: »Ja, ich habe die Küche benutzt.«
»Oft?«
»Naja, seit Mittwoch.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Als ich den Abschiedsbrief gelesen hatte, bin ich sofort losgefahren.«
»Hierhin? In diese Wohnung? Haben Sie die ganze Zeit über hier geschlafen?«
»Nein, nein – als ich ankam, war die Wohnung versiegelt, weil die Polizei sie noch untersuchen wollte. Aber sie hat nichts gefunden, und ich habe etwas gedrängelt. Da haben sie mich am Mittwoch einziehen lassen.«
»Konnten Sie’s im Hotel nicht mehr aushalten?«
»Doch, aber warum sollte ich?«
»Hm ...«
Mein Kopfschütteln quittierte sie mit der bissigen Bemerkung: »Ich fürchte mich nicht vor Gespenstern.«
»Wie Sie meinen.«
Das ärgerte sie, und prompt fuhr sie mich an: »Was wollen Sie am Kleiderschrank?«
»Mir die Sachen Ihrer Schwester ansehen.«
»Warum denn das?!«
Im Stillen zählte ich bis zehn, um mich zu beherrschen. »Liebe Frau Kehlin, ich muss Ihre Schwester sozusagen postum kennenlernen. Sehr genau sogar. Dazu gehören auch Sabines Kleider. Und ihre Wäsche. Welche Pille sie benutzte, ob sie schwitzte und wie sie sich im Bett benahm. Sollte sie an Verstopfung gelitten haben, wird mich das auch interessieren. Alles klar?«
Einen Augenblick lang dachte ich, sie beginne wie ein tödlich gereizter Tiger zu fauchen, doch dann presste sie die Lippen zusammen und beschränkte sich auf stummes Zuschauen.