Harry Cliff
Was macht das Quark im Apfelkuchen?
Auf der Suche nach dem Rezept für unser Universum
Aus dem Englischen von Jörn Pinnow
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Harry Cliff ist Teilchenphysiker an der Universität Cambridge und arbeitet am CERN bei Genf. Er war sieben Jahre Kurator am Science Museum in London und begeistert regelmäßig im britischen Fernsehen und Radio, aber auch auf Youtube mit so erhellenden wie unterhaltsamen Vorträgen ein Millionenpublikum für Fragen der Astrophysik.
Jörn Pinnow arbeitet seit vielen Jahren als Übersetzer für Sachbücher und Belletristik.
Der berühmte Satz des amerikanischen Astrophysikers Carl Sagan fordert in Cambridge den jungen Physiker Harry Cliff heraus: Er begibt sich auf die tollkühne Suche nach dem ultimativen Rezept für Apfelkuchen und damit auf eine rasante Tour durch das All und die Geschichte der Physik.
Dieses Buch ist ein wilder Ritt durch die faszinierenden Gefilde der Teilchenphysik – erzählt aus erster Hand. Der Spaß, den Harry Cliff daran hat, die Materie, aus der Sonne, Mond, Sterne und Apfelkuchen gemacht sind, in ihre kleinsten Bestandteile zu zerlegen, um sie anschlie end wieder zusammenzusetzen, ist spürbar und ansteckend.
Prof. Dr. Heino Falcke, Astrophysiker und Bestsellerautor von ›Licht im Dunkeln‹
© 2022 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2021 Harry Cliff
Titel der englischsprachigen Originalausgabe:
How to Make an Apple Pie from Scratch: In Search of the Recipe for Our Universe
Deutschsprachige Ausgabe:
© 2022 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Redaktion: Martin Zwilling, Berlin
Umschlaggestaltung: dtv nach einem Umschlagentwurf von Michael J. Windsor
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eBook-Herstellung: Fotosatz Amann, Memmingen (01)
eBook ISBN 978-3-423-44077-6 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-26326-9
ISBN (epub) 9783423440776
Eigentlich war es der russische Universalgelehrte Michail Lomonossow, der den Massenerhaltungssatz bei eigenen Versuchen schon viele Jahre früher erkannte, doch Lavoisiers enormer Einfluss auf die Entwicklung der modernen Chemie sorgte dafür, dass der gute alte Lomonossow fast vergessen ist.
Menschen, die die natürliche Welt studierten, nannte man bis ins 19. Jahrhundert hinein »Naturphilosophen«. Erst dann begann man sie nach und nach als »Wissenschaftler« zu bezeichnen.
Priestley machte nie Geld mit seinen Erfindungen, doch seine Technik wurde später von Johann Jacob Schweppe übernommen, um kohlensäurehaltiges Mineralwasser herzustellen – Geschäftsmodell der 1783 in Genf gegründeten Firma Schweppes.
Dalton wollte nichts davon wissen und lehnte Davys Werben rundweg ab. Der stolze nordenglische Radikale hatte keine Zeit für die Royal Society, die er als Teil des korrupten politischen Establishments ansah. Ihr Präsident, Joseph Banks, hatte die Society mit seinen Freunden aufgefüllt, und zu dieser Zeit wurde Kritik an der Royal Society laut, sie sei nichts weiter als ein verklärter Herrenclub für dilettierende Aristokraten, die sich in Wissenschaft versuchten. Dalton trat erst 1822 bei, als einige seiner Freunde ohne sein Wissen seinen Namen dort ins Spiel brachten.
Neben anderen Erfolgen kann die kinetische Gastheorie eine theoretische Basis liefern für die bekannte Regel: »Wer den Pups zuerst gerochen, dem ist er aus dem Po gekrochen.«
Ihr größter Triumph war die gegen jegliche Intuition verlaufende Vorhersage, dass die Viskosität oder die »Zähigkeit« eines Gases sich nicht erhöht, wenn man die Dichte eines Gases erhöht. Das wurde auch recht schnell experimentell bestätigt. Beim ersten Nachdenken klingt dies jedoch ziemlich seltsam; denn es bedeutet, dass ein schwingendes Pendel in einem Raum mit gewöhnlicher Luft nicht mehr Widerstand erfährt als ein Pendel, das in einem luftdichten Behälter schwingt, aus dem die Hälfte der Luft abgesaugt worden ist.
Wenn man es ganz genau nimmt, hatte ich nur bewiesen, dass die stechend riechende gelbe Flüssigkeit, die aus dem Apfelkuchen austrat, aus Molekülen bestand, denn es waren ja Moleküle in der Flüssigkeit, die kontinuierlich gegen die schwarzen Teilchen prallten und die wackelnde Bewegung verursachten.
Er bestand darauf, dass sein Bart und seine Haare nur ein Mal im Jahr geschnitten würden, was ihn zu einer perfekten Mischung aus Gandalf dem Grauen, Leonardo da Vinci und Charles Dickens’ Fagin machte.
Einen dritten Typus, mit noch höherem Durchdringungsvermögen, entdeckte Paul Villard im Jahr 1900: die Gammastrahlung.
Der Detektor war der Vorgänger des modernen Geigerzählers, der noch heute zur Messung des Strahlungspegels genutzt wird, indem er ein klickendes Geräusch von sich gibt – was Regisseure von Katastrophenfilmen ungemein lieben.
Enkel des berühmten Naturforschers Charles Darwin, der die Evolutionstheorie aufstellte.
Eigentlich war sich Rutherford zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob das Zentrum des Atoms eine positive oder negative Ladung besitzt – dies klärte sich erst einige Jahre später.
Das Wort »Proton« wurde von William Prouts Hypothese inspiriert, dass alle chemischen Elemente aus Wasserstoffatomen bestehen – er hatte sie »Protyle« getauft, als er 1815 zum ersten Mal seine Idee veröffentlichte.
Allerdings gibt es eine verwirrende Ausnahme – Wasserstoff selbst, der eine Masse von 1,008 hat. Dieses kleine bisschen Zusatzmasse stellte sich als Quelle des Sonnenlichts, des Sternenlichts und schlussendlich aller anderen Elemente des Universums heraus. Wir werden uns das in Kapitel 5 genauer ansehen.
Das vierte Element im Periodensystem nach Wasserstoff, Helium und Lithium – ein seltenes weiches, silbriges Metall.
Eine Sonnenmasse (die Masse der Sonne) ist rund 2 Millionen Billionen Billionen Kilogramm, das heißt, ich wiege ungefähr 0,000000000000000000000000000039 Sonnenmassen. Keine sehr zweckmäßige Art, das menschliche Gewicht zu bestimmen, das sehen Sie sicherlich ganz so wie ich. Auf der anderen Seite dürfte diese Zahl jedwede Sorge über ein paar Kilo zu viel in ein ganz anderes Licht stellen.
Vergessen Sie nicht, dass laut Rutherford ein Neutron aus einem Proton und einem Elektron besteht.
Kernfusionsreaktoren würden kein Kohlenstoffdioxid erzeugen und im Gegensatz zu Kernspaltungsreaktoren, die Energie aus dem Aufbrechen von Urankernen gewinnen, keinen lange strahlenden radioaktiven Müll produzieren.
Wir werden uns später noch damit beschäftigen, dass beim Erzeugen von Elementen, die schwerer als Eisen sind, Neuronen doch eine Rolle spielen. Sogar beim Erzeugen von Gold.
E=mc2 taucht in Einsteins Aufsatz gar nicht auf. Stattdessen kombiniert er Symbole und Worte, um diesen Zusammenhang deutlich zu machen.
Ähnliches wurde etwa zur gleichen Zeit von den beiden Amerikanern Clinton Davisson und Lester Germer an den Bell Labs in New York entdeckt. Davisson und G.P. Thomson teilten sich einen Nobelpreis.
Oder ist sich überhaupt einig, ob das notwendig ist. Eine großartige Darstellung dazu findet sich in Beyond Weird von Philip Ball.
Die US-Amerikaner Ronald Gurney und Edward Condon kamen zur selben Zeit wie Gamow auf dieselbe Idee.
Der spätere »Vater der Atombombe«.
Der heutzutage allgemein anerkannte Wert.
Damals glaubte Bethe fälschlicherweise, der CNO-Zyklus sei die vorherrschende Energiequelle der Sonne. Das lag daran, dass man die Kerntemperatur der Sonne überschätzte.
Dachte ich zumindest. Bis sich herausstellte, dass es Mr Kipling nie gab. Er ist ein Fake, ein Schwindel, wie der Zauberer von Oz oder Ronald McDonald, erfunden in den 1960er-Jahren von Markenberatern, um Backwaren zu verscherbeln. Wobei dann immer noch richtig ist, dass diese Markenberater ebenfalls kohlenstoffbasierte Lebensformen sind (mein Bruder gehört zu ihnen), weshalb meine Behauptung so stehenbleiben kann.
Hoyle wird auch die Erfindung des Begriffs »Big Bang« zugeschrieben, den er 1949 bei einem Radiointerview mit der BBC erstmals verwendete. Manche sagen, der Ausdruck sei als Beleidigung gemeint gewesen, doch Hoyle beharrte darauf, er habe nur ein einleuchtendes Bild heraufbeschwören wollen.
Eine Plutonium-Implosionsbombe wurde am 16. Juli 1945 erfolgreich in der Wüste von New Mexico getestet. Ein weitere Plutoniumbombe detonierte wenige Wochen später, am 9. August, über der japanischen Stadt Nagasaki und tötete zwischen 39000 und 80000 Menschen.
Ein MeV ist ein Megaelektronenvolt, die Energie, die ein Elektron erhält, wenn man es mit einer Million Volt aufheizt.
Der Grund dafür, dass unterschiedliche chemische Elemente charakteristische Frequenzen von Licht aufsaugen und abgeben, findet sich in der Quantenstruktur der Atome. Wie in Kapitel 3 besprochen, umkreisen Elektronen den Atomkern in einzelnen quantisierten Energieniveaus, die für jedes chemische Element einzigartig sind. Macht ein Elektron nun einen Quantensprung auf ein anderes Energieniveau, muss es entweder ein Photon absorbieren oder eines abgeben, und dabei muss die Energie dieses Photons der Differenz zwischen diesen beiden Niveaus entsprechen. Um auf ein höheres Energieniveau zu springen, muss das Elektron ein Photon absorbieren; fällt es zurück auf ein niedrigeres Energieniveau, emittiert das Elektron ein Photon. Nun hängt die Energie eines Photons direkt von dessen Frequenz ab (höhere Frequenz = mehr Energie), und ein bestimmtes Atom wird daher Photonen in den spezifischen Frequenzen aufsaugen oder abgeben, die genau zur Gestaltung seines unverwechselbaren Turms aus Energieniveaus passt.
Allerdings ist das Leben auf Erden schon viel früher recht unangenehm geworden – denn mit dem Alter wird die Sonne kleiner und heißer. Schon in nur einer Milliarde Jahren wird die Erde so heiß geworden sein, dass ihre Ozeane anfangen zu kochen. Aber nur, falls wir selbst das nicht schon früher hinbekommen haben.
Der Ausdruck »planetarischer Nebel« wurde Ende des 18. Jahrhunderts geprägt, als Astronomen noch nicht wirklich ahnten, was genau sie da in den Blick genommen hatten. Sie dachten, es sehe aus wie verblassende Planeten.
Kurz nach meinem Ausflug nach Apache Point tauchten wilde Spekulationen auf, Beteigeuze stünde kurz vor dem Knall, denn er hatte sich im Winter 2019/2020 unvermittelt verdunkelt. Schlussendlich stellte sich heraus, dass dies nur mit Staub zu tun hatte, der sein Licht blockierte.
LIGO steht für Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, also Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium.
»Wir sind Sternenstaub (Milliarden Jahre alter Kohlenstoff) / Wir sind aus Gold (gefangen in einem Geschäft mit dem Teufel) / Und wir müssen zurückgelangen / Zurück in den Garten.«
Heute geht man von einer noch größeren Zahl aus: 2,5 Millionen Lichtjahre. Ein Lichtjahr ist die Entfernung, die das Licht in einem Jahr zurücklegt, also rund 9,5 Billionen Kilometer, was mehr als 60000 Mal dem Abstand zwischen Erde und Sonne entspricht.
Er war tatsächlich so verdammt sauer darüber, dass er alle Ergebnisse seiner einjährigen Forschung zerriss und die Toilette hinunterspülte.
Sie wissen nicht, was Dunkle Materie ist? Keine Sorge, das wissen Physiker auch nicht. Wir kommen darauf zurück …
Und ein paar Spuren eines dritten Elements, Lithium.
Das hat mit der Heisenbergschen Unschärferelation in der Quantenmechanik zu tun, was zu erläutern aber für den Fortgang unserer Geschichte hier eher ein Umweg wäre. Lassen Sie mich später darauf zurückkommen.
Ein Gigaelektronenvolt entspricht einer Milliarde Elektronenvolt, also der kinetischen Energie eines Elektrons, das von einer Milliarde Volt beschleunigt wurde.
Zur damaligen Zeit galt die Röhre als das geradeste Objekt der Welt.
Bevor Sie nun einen Einbruch ins CERN ins Auge fassen, sollte ich vielleicht erwähnen, dass es dort inzwischen ein bisschen strenger zugeht.
Heute wissen wir von insgesamt sechs Quarks: Das Up-, Charm- und Top-Quark haben eine elektrische Ladung von +2⁄3 und das Down-, Strange- und Bottom-Quark eine elektrische Ladung von –1⁄3.
Hier gibt es allerdings eine Feinheit zu beachten – die Photonen, die die Teilchen in meinem Beispiel abfeuern, sind keine echten, beobachtbaren Photonen, wie sie etwa eine Glühbirne produziert. Sie sind vielmehr das, was wir »virtuelle« Teilchen nennen. Virtuelle Teilchen sind absolut nicht nachweisbar und wirklich nur eine gedankliche Hilfe, um sich besser vorstellen zu können, wie Kräfte zwischen Teilchen wechselwirken. Unter uns: Ich finde das Konzept der virtuellen Teilchen nicht besonders hilfreich – eine weitaus bessere Erklärung ist mit dem physikalischen Gebilde namens »Quantenfeld« verbunden, auf das wir noch zu sprechen kommen werden –, doch für die Absicht dieser Analogie ist es durchaus nützlich.
In diesem Fall ist ein Ion ein Atom, dem man einige Elektronen weggenommen hat, was es insgesamt positiv geladen werden lässt.
Sie mögen Abkürzungen? STAR steht für Solenoidal Tracker at RHIC.
Der Hauptgrund, weshalb es wenig wahrscheinlich war, dass der RHIC die Welt zerstörte, lautete, dass kosmische Strahlung mit weit höheren Energien, als die Kollisionen am RHIC sie haben, seit Milliarden von Jahren die Erde, den Mond und andere Himmelskörper bombardiert. Wäre dadurch die Erzeugung von erdverschlingenden Schwarzen Löchern, seltsamer Materie oder Multiversen möglich, wäre das schon längst passiert, und wir würden gar nicht existieren.
Wollen Sie wissen, wofür PHENIX steht? Nun, das heißt anscheinend Pioneering High Energy Nuclear Interaction eXperiment.
ALICE steht für A Large Ion Collider Experiment – ein seltenes Beispiel dafür, dass das Akronym eines Teilchenphysikexperiments auch mal wirklich hinhaut.
Noch ein missbrauchtes Wort. »Mikro« bezieht sich auf den millionsten Teil eines Längenmeters; ein Proton hat jedoch den Durchmesser von 10-15 Metern, weshalb der korrekte Begriff hier »femtoskopisch« wäre.
Nur mal so zum Vergleich – meine trug den Titel »A measurement of the Bs0 to K+K-lifetime at the LHCb Experiment«. Nun raten Sie mal, welche Arbeit mehr Einfluss hatte.
Die beiden sind die Stars in vielen physikalischen Analogien und tauchten zum ersten Mal 1978 in einem Aufsatz von Ron Rivest, Adi Shamir und Leonard Adleman über Kryptografie auf.
Hatte er nicht. Es gibt heute eine große Gemeinschaft von Forschern, die ihre Zeit damit verbringen, genau darüber nachzudenken.
Alle Materieteilchen, darunter das Elektron, haben insgesamt den Spin ½, der entweder nach »oben« gerichtet (Spin +½) oder nach »unten« gerichtet sein kann (Spin −½).
Um ehrlich zu sein: Diese Version der Gleichung nutzt eine noch kompaktere Notation als die doch noch etwas mehr einschüchternde Version, die Dirac zuerst festhielt. Dabei sind die Physik und die Struktur der beiden Gleichungen identisch.
Offenbar ist die Piccadilly Line der schlimmste Übeltäter.
Auch wenn sich das hier womöglich ein bisschen zu sehr nach Neil deGrasse Tyson, dem populären Astrophysiker, anhört, bedeutet dies auch, dass wir mit einer Menge unangenehmer Dinge eins sind: etwa dem Ebolavirus, Hundescheiße und Donald Trump.
Na ja, um fair zu sein: Wir haben gelernt, wie man die Stärke der Gravitationskraft misst, indem man einen Ball eine Schräge hinunterrollen lässt. Das stellte sich als ausgezeichnetes Training für eine Karriere als Physiker heraus (sofern man im 17. Jahrhundert lebte).
»Kompakt« ist, vermutlich, einfach relativ. Ein anderes Experiment am CERN, das am gegenüberliegenden Teil des Rings liegt, ATLAS, ist fast zwei Mal so hoch, breit und lang wie das CMS.
Heute wissen wir, dass Neutronen und Protonen aus Quarks bestehen, genauer gesagt im Fall des Neutrons aus Up-Down-Down und im Fall des Protons aus Up-Up-Down. Was also auf Elementarebene passiert, ist, dass ein Down-Quark sich in ein Up-Quark, ein Elektron und ein Neutrino verwandelt.
Natürlich würde dies nicht stimmen, wenn Sie zu nahe an einem massereichen Körper wie der Erde vorbeifliegen. Die Gravitation der Erde definiert eine bevorzugte Richtung im Raum, die die Rotationssymmetrie zerstört.
Nicht-quantenmechanisch betrachtet hängt der Drehimpuls von der Größe, Form und Masse eines Objekts ab sowie von der Geschwindigkeit seiner Rotation. Auch subatomare Teilchen können einen Drehimpuls besitzen, dann spricht man vom Spin.
Wenn Sie genauer wissen möchten, wer was dazu beigetragen und wer mehr oder weniger Ruhm verdient hat, dann empfehle ich Ihnen das Buch The Infinity Puzzle von Frank Close.
Eine wichtige Einschränkung dabei ist, dass das Higgs-Feld nur den Elementarteilchen der Materie, darunter Elektronen und Quarks, Masse verleiht. Dennoch stammt der überwiegende Teil der Masse von Protonen und Neutronen nicht aus den Quarks, aus denen sie bestehen, sondern von der Energie, die in den Gluonfeldern gespeichert ist, die die Quarks zusammenhalten. Das bedeutet, der Großteil der Masse eines Atoms beruht auf der starken Wechselwirkung und nicht auf dem Higgs.
Das steht für Anderson, Brout, Englert, Guralnik, Hagen, Higgs, Kibble, ’t Hooft.
Wu hatte ihr Experiment mit äußerster Sorgfalt durchgeführt, und doch erhielt sie für ihre Entdeckung keinen Nobelpreis, was in meinen Augen eine Schande ist. Ausgezeichnet wurden stattdessen die beiden Theoretiker, die als Erste vorhergesagt hatten, dass die schwache Wechselwirkung womöglich die Spiegelsymmetrie verletze.
Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, ein derart riesiges Antiatom zu erzeugen. Das bislang schwerste war ein Antihelium, das 2011 nach einer vom RHIC in Brookhaven produzierten Kollision beobachtet wurde.
Baryo- bezieht sich auf die Baryonen, eine Klasse von Teilchen, die aus drei Quarks bestehen – zu ihr gehören das Proton und das Neutron; -genese meint »Ursprung«.
Schuldig im Sinne der Anklage.
1999 schätzte die NASA, dass ein einzelnes Gramm Antiwasserstoff (und so viel bräuchte man in etwa, um eine stadtzerstörende Bombe zu bauen) etwa so viele Jahre zur Herstellung benötigen würde, wie das Universum alt ist. Der Kostenpunkt läge bei rund 62,5 Billionen US-Dollar. Es wäre für die Illuminati also wesentlich günstiger, den Vatikan einfach zu kaufen und dann eine Armee aus Bauarbeitern zu beschäftigen, die ihn Stein für Stein abträgt.
Man könnte glauben, dass Neutrinos alle Bedingungen dazu erfüllten, doch sie sind zu leicht und sausen mit zu hohem Tempo durch den Kosmos, als dass sie zu den uns bekannten Daten der Dunklen Materie passen würden.
Hier haben wir es außerdem noch mit einem weiteren großen Problem der Grundlagenphysik zu tun – dem sogenannten Problem der kosmologischen Konstante (oder auch der Vakuumkatastrophe). Die Energie dieser Vakuumfluktuationen müsste eigentlich dafür sorgen, dass sich das All derart schnell ausdehnt, dass sich keine Sterne oder Galaxien bilden könnten. Warum diese unvorstellbare Menge an Vakuumenergie das Universum nicht in Stücke reißt, ist noch immer eines der größten Rätsel der Physik.
Eine moderne Legende besagt, dass die Mitarbeiter des ATLAS-Experiments einmal eine Arbeitsgruppe gründeten, die nach Wegen suchen sollte, die Zahl der Meetings zu reduzieren. Das führte nur zu weiteren Problemen, als sie anfing, sich regelmäßig zu diesem Thema zu treffen.
Hierbei handelt es sich um arXiv.org – ein Online-Magazin, in das wissenschaftliche Artikel eingestellt werden, noch bevor sie durch Peer-Review geprüft oder in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wurden.
Genau das ist der Fall, wenn ein Neutron in ein Proton zerfällt. Dies läuft über das W-Boson-Feld ab, obgleich das W-Boson-Teilchen mehr als 80-mal schwerer als ein Neutron ist und daher viel zu massereich, als dass es direkt bei dem Zerfall erzeugt werden könnte.
Einstein war berüchtigt dafür, dass er sich weigerte, Socken zu tragen. Er beschwerte sich, sein großer Zeh würde ausnahmslos Löcher hineinbohren.
Nur kurz zur Auffrischung: Die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung des Standardmodells scheinen von lokalen Symmetrien in den –Naturgesetzen herzurühren, die wir entsprechend U(1), SU(2) und SU(3) nennen.
Bitte nicht mit den Anomalien verwechseln, die bei Experimenten auftreten und wie wir sie im vorhergehenden Kapitel behandelt haben.
Ich kann Ihnen empfehlen: Brian Greene: Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel, München 2015.
Lassen Sie uns hier jetzt nicht in eine Diskussion über Pluto einsteigen.
Okay, damit man mir nicht den Vorwurf des Physik-Imperialismus machen kann, gebe ich an dieser Stelle zu: Genauer gesagt kann sie jeden Prozess beschreiben, der mit Elementarteilchenphysik oder Gravitation zu tun hat. Möchte man so etwas Kompliziertes wie Biologie, Wirtschaft oder Liebe erklären, ist Physik vermutlich keine große Hilfe.
Ja, genau der, der ein Jahresgehalt darauf gewettet hatte, dass man das Higgs-Teilchen finden werde.
Technisch gesprochen handelt es sich dabei um »weakly interacting massive particles« (schwach wechselwirkende massereiche Teilchen, kurz WIMPs), die hypothetisch im Feuerball des Urknalls erzeugt wurden.
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Jon Austin, »What is CERN doing? Bizarre clouds over Large Hadron Collider prove portals are opening«, Daily Express, 29. Juni 2016, www.express.co.uk.
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Für Vicky und Robert, danke.
Möchte man aus dem Nichts einen Apfelkuchen machen,
muss man erst das Universum erfinden.
Carl Sagan
An einem frostigen Morgen im März 2010 steuerte ich meinen Wagen auf ein umzäuntes Gelände in den Außenbezirken der französischen Gemeinde Ferney-Voltaire. Ein an das stählerne Eingangstor geschraubtes Schild verkündete:
CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung) SITE 8
ACCÈS RÉSERVÉ AUX PERSONNES AUTORISÉES (ZUTRITT NUR FÜR BEFUGTE)
Ungeschickt lehnte ich mich über den Beifahrersitz meines Rechtslenkers hinweg aus dem Fenster und zog meinen Sicherheitsausweis über das Lesegerät. Das Tor öffnete sich nicht. Hmmm … hatte ich die Sicherheitsüberprüfung nicht bestanden? Hinter mir bildete sich bereits eine Autoschlange, weshalb ich zunehmend hektisch wieder und wieder meine Karte über den Scanner zog. Nichts. Gerade wollte ich aussteigen, um in meinem ungelenken Schulfranzösisch mit dem Wachpersonal zu verhandeln, als sich zu meiner großen Erleichterung knirschend das Tor öffnete.
Ich parkte hinter der großen Versuchshalle mit Blick auf den Maschendrahtzaun, der das Gelände von der Startbahn des Genfer Flughafens trennt. Als ich ausstieg, bildete mein Atem in der kalten LuftLuft Wölkchen, und ich nahm den seltsam süßlichen Geruch der Parfumfabrik war, der aus dem nahe gelegenen Schweizer Meyrin herüberzog. Die Hände tief in die Jackentaschen gebohrt, machte ich mich auf zum Gebäude 3894 – hinter diesem prosaischen Namen verbirgt sich ein einstöckiger Stahlcontainer für die frühmorgendlichen Meetings.
Im Innern saßen bereits die meisten Teilnehmer dicht gedrängt um den langen Tisch. Einige plauderten mit ihren Nachbarn auf Englisch, Französisch, Deutsch oder Italienisch; andere nippten an einem Kaffee oder beugten sich über ihren Laptop. Ich fand einen Platz in der zweiten Stuhlreihe hinter dem Tisch und hoffte, dass mich hier niemand ansprechen würde.
Rund hundert Meter unter unseren Füßen befand sich ein ringförmiger Betontunnel, so lang, dass er um eine ganze Stadt herumreichen würde. In ihm erwachte gerade die größte und mächtigste Maschine zum Leben, die je gebaut wurde: der Large HadronHadron ColliderLarge Hadron Collider (LHC) (LHC, Großer HadronenHadron-Speicherring). In wenigen Tagen wollten Forscher in dem TeilchenbeschleunigerTeilchenbeschleuniger subatomare TeilchenTeilchen mit derartiger Wucht aufeinanderschießen, dass sich für einen kurzen Augenblick Zustände ergeben, wie sie unmittelbar nach dem UrknallUrknall geherrscht haben.
Diese winzigen, aber katastrophalen Zusammenstöße würden dabei von vier riesigen Teilchendetektoren aufgezeichnet werden: Auf dem LHC-Ring mit einigen Kilometern Abstand verteilt, stehen diese gewaltigen Maschinen in unterirdischen Höhlen, in die problemlos ganze Kirchen passen würden. Einer dieser Detektoren befand sich direkt unter uns – er trägt den Namen »Large HadronHadron ColliderLarge Hadron Collider (LHC) beauty Experiment« (LHCb) – 6000 Tonnen Stahl, Aluminium, Silikon und Glasfaserkabel, wie ein Sprinter im Starterblock eingerastet, bereit für den Einsatz.
Und er hatte lange auf seinen Augenblick gewartet. Einige meiner Kollegen hatten ihr gesamtes Arbeitsleben damit verbracht, diesen Moment Wirklichkeit werden zu lassen. Zwanzig Jahre Planung, Finanzierungsverhandlungen, minutiöses Entwerfen, Testen und Konstruieren hatten zu einem der technisch fortschrittlichsten Teilchendetektoren geführt, die je gebaut worden waren. In den kommenden Tagen sollte das Ergebnis all dieser Bemühungen endlich einer Probe unterzogen werden, wenn die Ingenieure des LHC zum ersten Mal TeilchenTeilchen im Ring beschleunigen und innerhalb des Detektors zur Kollision bringen wollten.
Wenige Wochen zuvor war ich als 24-jähriger Doktorand im zweiten Jahr nach Genf gekommen, um den ersten von zwei dreimonatigen Arbeitsaufenthalten zu beginnen. Mein neues Zuhause war das CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung), die Europäischen Organisation für Kernforschung, mit dem größten und fortschrittlichsten Teilchenlabor der Welt. Inzwischen fand ich mich immer besser in diesem Labyrinth aus Bürogebäuden, Werkstätten und Laboren zurecht, die auf dem weitläufigen CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung)-Gelände verteilt waren. Ich hatte gegen Februar-Schneestürme angekämpft und erfahren müssen, dass man in der Schweiz eine Standpauke vom Nachbarn riskiert, wenn man nach 22 Uhr noch die Toilettenspülung benutzt. Auch mit meinen neuen Aufgaben beim LHCb war ich inzwischen recht gut vertraut – ich trug die Verantwortung für eines der Subsysteme, die alle einwandfrei würden funktionieren müssen. Sollte auch nur eines versagen, könnten sich die so lang erwarteten Daten als unbrauchbar erweisen.
Eineinhalb Jahre zuvor hatte ich den LHCb zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen. Mein Betreuer Uli, ein deutscher Postdoc-Forscher, der Vollzeit am CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung) arbeitete, hatte mir durch die komplizierte Prozedur geholfen, ohne die man dem Detektor nicht nahe kommen kann. Nachdem ich einen Badge an meiner Kleidung befestigt hatte, der die Strahlung maß, der ich während meines Aufenthalts unter Tage ausgesetzt war, musste ich einen eher launischen Iris-Scanner davon überzeugen, mich eine Reihe leuchtend grüner, als Luftschleusen konstruierter Türen passieren zu lassen. Dann schaukelte mich ein kleiner Metallfahrstuhl die 105 Meter hinunter in den »pit«, die »Grube«, wie die etwas bedrohliche, hier allgemein gebräuchliche Bezeichnung lautet.
Hinter den Aufzugtüren öffnete sich eine seltsame unterirdische Welt voll surrender Maschinen mit in den Primärfarben bemalten Metallgerüsten und dem Betontunnel, durch den kilometerlange Kabel und Röhren führten. Noch eine Reihe Sicherheitstüren, dieses Mal leuchtend gelb und beklebt mit Warnhinweisen zu gefährlicher Strahlung, dann ein enger Durchgang durch eine 12 Meter dicke Schutzmauer, und mit einem Mal standen wir in einer enormen Betonkaverne.
Das Erste, was einen beeindruckt, ist die schiere Größe. Der LHCb ist gewaltig: 10 Meter hoch und 21 Meter lang, womit er die gesamte Breite der Kaverne ausfüllt. Auf den ersten Blick versteht man kaum, was man da vor sich hat. Die Sicht wird durch grün und gelb gestrichene Treppen, Stahlplattformen und Gerüste versperrt, die zum einen die Anlage stützen, zum anderen den Zugang zu wichtigen Bauteilen des Detektors ermöglichen. Freien Blick hat man allerdings auf fast keines von ihnen. Über die Wände des Tunnels verlaufen im Zickzack Kabel, die entweder dem Detektor Strom zuführen oder die Sturzflut an Daten abtransportieren, die von Millionen winziger, ungemein präzise konstruierter Sensoren erzeugt werden. Der LHCb kann für Tausende subatomarer TeilchenTeilchen zugleich aufzeichnen, welche Wege sie nach den Kollisionen haarscharf unter LichtgeschwindigkeitLichtgeschwindigkeit nehmen, mit einer Genauigkeit von wenigen Tausendsteln eines Millimeters. Und das in Intervallen von Millionen Bruchteilen einer Sekunde.
Doch das Bemerkenswerteste am LHCb ist die Art und Weise, wie er errichtet wurde. Wie alle vier großen LHC-Detektoren an dem Ring entstand er durch eine Kooperation, die einem modernen Babel glich: Jede Komponente wurde in einem internationalen Zusammenspiel von Physikern und Ingenieuren an Dutzenden Universitäten rund um die ErdeErde entwickelt und konstruiert, von Rio de Janeiro bis nach Nowosibirsk. Dann wurden die Teile in das riesige Loch im Boden unter Genf geliefert, um zu einem einzigen, unglaublich komplexen Instrument zusammengesetzt zu werden. Die Tatsache, dass diese vier Riesen überhaupt laufen, wirkt für mich noch heute wie ein Wunder.
Meine Kollegen in Cambridge hatten die letzten zehn Jahre damit verbracht, die Elektronik zu entwerfen, zu bauen und zu testen, mit der die Daten dieses Subdetektoren verarbeitet werden, dessen Aufgabe es ist, die unterschiedlichen Teilchenarten bei der Kollision auseinanderzuhalten. Mein Job wiederum bei all dem war, sicherzustellen, dass die Software zur Überwachung dieser Elektronik ihren Dienst ohne Absturz oder sonstige Fehler tut, sobald die Maschine läuft. Zwar war ich nur ein kleines Rädchen in dieser gigantischen Maschinerie, doch war ich mir sehr bewusst, dass zwanzig Jahre Anstrengung von Hunderten Physikern aus siebzig Ländern und 65 Millionen Euro Investitionen aus mehr als einem Dutzend nationaler Finanzierungstöpfe auch davon abhingen, dass ich meinen Job gut erledigte. Ich wollte nicht derjenige sein, der in letzter Minute alles ruinierte.
Das Geplauder im Konferenzraum verstummte abrupt, als der Projektleiter des ersten Rundlaufs die Sitzung eröffnete. Ich sah mich nach meinen Kolleginnen und Kollegen um. Viele von ihnen sahen aus, als hätten sie in den letzten Tagen nicht viel Schlaf bekommen. Mir war klar, dass nun die wichtigsten Tage in meiner bisherigen Karriere vor mir lagen. Das Meeting begann mit einem Bericht über die Arbeiten, die über Nacht am LHC stattgefunden hatten, den die Menschen am CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung) schlicht als »die Maschine« bezeichnen. Und auf diese Maschine warteten wir nun alle.
Nach drei Jahrzehnten Arbeit ist der LHC ein Wissenschaftsprojekt, wie es zuvor keines gegeben hat. Fast alles an ihm ist extrem. Er ist das größte je gebaute Messinstrument, in gewisser Weise die größte je gebaute Maschine überhaupt: Er misst 27 Kilometer im Umfang, weshalb der Ring die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz vier Mal unterquert (man hat an diesen Stellen im Tunnel sogar die entsprechenden Flaggen an die Wände gemalt). Die Strahlrohre, in denen die TeilchenTeilchen umhersausen, sind leerer als der interstellare Raum, und die Tausenden von supraleitenden Magneten, die die Teilchen um den Ring lenken, arbeiten bei einer atemberaubend niedrigen Temperatur von -271,3 Grad Celsius, weniger als 2 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Um das zu erreichen, braucht man die weltgrößte Tieftemperaturanlage: Sie benötigt mehr als 10000 Tonnen flüssigen StickstoffStickstoff und so viel Elektrizität wie eine Großstadt, um 120 Tonnen supraflüssiges HeliumHelium[1] zu erzeugen. Dieses wird dann intravenös durch die Magnete des LHC gepumpt. Ein paar Tage nach unserem morgendlichen Meeting sollte diese gewaltige Maschine subatomare Teilchen, sogenannte ProtonenProton, auf 99,999996 Prozent der LichtgeschwindigkeitLichtgeschwindigkeit beschleunigen, um sie dann schnurstracks an vier Stellen des Rings, darunter der LHCb, zusammenkrachen zu lassen. So sollten Formen von MaterieMaterie entstehen, die in so großen Mengen seit einer Billionstelsekunde nach dem Beginn des UniversumsUniversum nicht mehr vorkamen.
All dies, die vielen Jahre Entwicklungsarbeit und Finanzierungsbemühungen, die Mobilisierung einer globalen Gemeinschaft von Tausenden Physikern, die Bauingenieurleistung (zu der das Graben durch einen unterirdischen Fluss gehörte, der zuvor mit flüssigem StickstoffStickstoff eingefroren worden war), ganz zu schweigen von der Herstellung, dem Testen und der Installation von Millionen Einzelteilen, vom 35 Tonnen schweren Magneten bis zum kleinsten Silikonsensor, all dies dient nur einem einzigen Zweck: der Befriedigung unserer Neugier. Ganz gleich, was Ihnen die Boulevardpresse einreden möchte – etwa der britische Daily Express, der unaufhörlich suggeriert, das CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung) würde den LHC für ruchlose Zwecke einsetzen. Soll hier das Portal in eine weitere, »unheimliche« Dimension[2] geöffnet werden (womöglich war das Tor zur »anderen Seite« aus Stranger Things also in Wirklichkeit ein Fehler des CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung))? Oder dient der LHC dazu, mein Lieblingszitat, »Gott herbeizurufen«[3]? Tatsächlich wurde der LHC allein dazu gebaut, um fundamentale Fragen über die grundlegenden Bausteine unserer Welt beantworten zu können sowie der Frage auf den Grund zu gehen, wie es dazu kam, dass unser UniversumUniversum existiert.
Und es gibt einige wirklich große Fragen, auf die wir Antworten suchen. Die derzeit gültige Theorie darüber, woraus die Welt auf dem untersten Level besteht, ist als »StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik« der Teilchenphysik bekannt – ein enttäuschend langweiliger Name für eine der größten intellektuellen Leistungen der Menschheit. In Jahrzehnten gemeinsamer Anstrengung von Tausenden Theoretikern und Experimentalphysikern entwickelt, erklärt uns das StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik, dass alles, was wir um uns herum sehen – Galaxien, SterneSterne, Planeten und Menschen –, aus ein paar wenigen unterschiedlichen TeilchenTeilchen besteht, die innerhalb von Atomen und MolekülenMolekül durch einige wenige elementare Kräfte zusammengehalten werden. Das StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik ist eine Theorie, die alles erklärt, etwa warum die SonneSonne scheint und warum Dinge eine Masse haben. Außerdem hat sie bisher jede experimentelle Überprüfung bestanden, der wir sie im letzten halben Jahrhundert unterzogen haben. Ohne Zweifel: Das StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik ist die erfolgreichste wissenschaftliche Theorie, die je zu Papier gebracht wurde.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf muss nun gesagt werden, dass das StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik falsch ist – oder zumindest in erheblichem Maße unvollständig. Wenn es um die tiefsten Geheimnisse geht, vor denen die heutige Physik steht, kann diese Theorie nur mit den Schultern zucken oder einen Haufen Widersprüche anbieten anstelle von Antworten. Folgendes Beispiel soll genügen: Nach jahrzehntelangem Starren in den Himmel sind sich Astrophysiker und Kosmologen inzwischen recht sicher, dass 95 Prozent des UniversumsUniversum aus zwei unsichtbaren Substanzen bestehen, die »Dunkle EnergieDunkle Energie« und »Dunkle MaterieDunkle Materie« heißen. Aus was auch immer sie bestehen – und wir haben in beiden Fällen noch nicht die leiseste Ahnung –, keinesfalls sind es die TeilchenTeilchen aus dem StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik. Und als wäre diese 95-prozentige Lücke an sich nicht schon schlimm genug, so vertritt das StandardmodellStandardmodell der Teilchenphysik zudem noch die eher verwirrende Ansicht, dass alle existierende MaterieMaterie eigentlich innerhalb der ersten Mikrosekunden nach dem UrknallUrknall in einem katastrophalen Kollaps durch AntimaterieAntimaterie hätte ausgelöscht werden müssen – zurückgeblieben wäre ein UniversumUniversum ohne SterneSterne, ohne Planeten, ohne uns.
Es ist daher ziemlich unzweifelhaft, dass wir bei unserer Theorie bis dato irgendetwas übersehen haben, vermutlich in Form bislang unentdeckter ElementarteilchenTeilchen, die uns erklären könnten, warum das UniversumUniversum so ist, wie es ist.
Hier kommt der Large HadronHadron ColliderLarge Hadron Collider (LHC) ins Spiel. Als wir an jenem Morgen im März 2010 um den Konferenztisch herumsaßen, herrschte riesige Zuversicht: Wir würden schon bald etwas ganz und gar Neues oder Unerwartetes beobachten können, das sich aus den im LHC herbeigeführten Kollisionen ergeben würde. Sollte es dazu kommen, wäre dies der Beginn eines Prozesses, der einige der größten Rätsel der Wissenschaft würde lösen können.
Als ich mich Anfang 2008 für meine Promotion einschrieb, war mir bewusst, dass meine Anfänge in Teilchenphysik damit zusammenfielen, dass der LHC zum ersten Mal eingeschaltet wurde. Ich war von der Vorstellung fasziniert, einer der allerersten Studenten zu sein, die Daten von einer Maschine zu sehen bekommen würden, die seit den späten 1970ern entwickelt worden war und mehr als 12 Milliarden Euro[4] gekostet hat. Am 10. September 2008, nur wenige Tage bevor ich mein neues Labor im englischen Cambridge bezog, wurde der LHC unter großer Anteilnahme der Medien eröffnet. In Gegenwart von Fernsehteams und Fotografen jagte man zum ersten Mal ProtonenProton durch den 27 Kilometer langen Ring. Champagnerflaschen wurden geköpft, als Physiker und Ingenieure eine der größten wissenschaftlichen Leistungen der Geschichte feierten; und die Elementarteilchenphysik schaffte es kurz in die Nachrichten.
Weniger Tage später war der LHC aus einem anderen Grund wieder Gesprächsthema. Gegen Mittag des 19. September – man führte gerade letzte Tests an den Elektromagneten des KollidierersKollidierer durch – kam es zur Katastrophe. Ingenieure des LHC-Kontrollzentrums – im CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung) das, was bei der NASA die Mission Control ist – mussten ungläubig mitansehen, wie in dem großen Raum ein Monitor nach dem anderen grellrot aufleuchtete. Ein Ingenieur, mit dem ich später darüber sprach, erzählte mir, dass anfangs so viele Alarme losgingen, dass sie glaubten, es sei etwas mit der Software nicht in Ordnung, die den Beschleuniger überwachte. Stunden später, als man endlich in den Tunnel hinunterkonnte, erkannten er und seine Kollegen das wahre Ausmaß der Verwüstung.
Eine einzige lose Verbindung hatte einen elektrischen Defekt verursacht. Daraufhin war es zu einer physikalischen Explosion gekommen, die das zur Kühlung der Magneten eingesetzte flüssige HeliumHelium erreichte und eine Schockwelle erzeugte, die auf einer Strecke von 750 Metern entlang des Beschleunigerrings[5] ein Werk der Zerstörung hinterließ. 15 Meter lange und bis zu 35 Tonnen schwere Elektromagnete waren aus ihren Verankerungen gerissen und im Tunnel verschoben worden. Die fehlerhafte Verbindung war verdampft und hatte in beide Richtungen schwarzen Rauch mehrere hundert Meter weit in die ultrasauberen Strahlrohre hineingepustet.
Die Reparaturarbeiten dauerten mehr als ein Jahr. So niedergeschlagen sie anfangs waren, schüttelten die CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung)-Mitarbeiter ihre Enttäuschung schnell ab und machten sich wieder an die Arbeit. Am 20. November 2009, vierzehn Monate und 25 Millionen Euro später, schickten sie zum ersten Mal seit dem, was nur »der Zwischenfall« genannt wird, vorsichtig wieder ProtonenProton rund um den LHC. Das war jedoch nur ein Probelauf, bei dem der Beschleuniger nur einen Bruchteil seiner maximal verfügbaren EnergieEnergie einsetzte.
Im März 2010 näherten wir uns endlich dem Moment, an dem die Maschine in bislang unerforschtes Gebiet vorstoßen würde. Wir wollten Kollisionsenergien erreichen, die uns die Suche nach Dunkler MaterieMaterie, dem Higgs-BosonHiggs-Boson, mikroskopisch kleinen Schwarzen Löchern und vielleicht anderen exotischen Objekten erlauben würde, von denen sich bislang niemand eine rechte Vorstellung machen konnte. Ich denke, jeder, der an diesem Morgen rund um den Tisch saß, spürte das Gewicht dessen, was wir vorhatten.
Der Projektleiter fuhr mit seinem Bericht fort und hielt nur dann mehrfach kurz inne, wenn das Dröhnen eines startenden Flugzeugs vom benachbarten Flughafen ihn übertönte. Abgesehen von einem kurzen Stromausfall waren die nächtlichen Arbeiten am LHC problemlos verlaufen, und wir waren auf gutem Wege, die Kollisionen in ein paar Tagen versuchen zu können. Dann erteilte er der Runde das Wort, woraufhin Physiker aus den Niederlanden, Spanien, Russland, Deutschland und Italien in perfektem Englisch ihre Updates lieferten. Es gab einen kurzen Eurovisionsmoment, als ein französischer Physiker den Bericht in seiner Muttersprache ablieferte. Trotz des Augenrollens rund um den Konferenztisch fuhr der Physiker stur fort, was nicht unberechtigt war, denn Französisch ist eine der beiden offiziellen Sprachen des CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung), und schließlich waren wir hier ja in Frankreich. Trotzdem finden fast alle CERNCERN (Europäische Organisation für Kernforschung)-Meetings auf Englisch statt, und da mein Französisch nicht sehr ruhmreich ist, konnte ich der technischen Diskussion über einige Aspekte des Experiments – dafür hielt ich die Wortmeldungen zumindest – nicht ganz folgen.
Ich spürte meinen Herzschlag, als immer näher heranrückte, dass ich an der Reihe war. Ein paar Tage zuvor hatten wir ein kleineres Problem mit der Software zur Überwachung der Elektronik gehabt, was bei Anbruch des Morgens einen Panikschub im Kontrollraum ausgelöst hatte. Schließlich hatten wir das Problem mit dem üblichen Vorgehen gelöst – ausschalten und neu starten –, und seitdem lief alles glatt. Dennoch nagte in meinem Hinterkopf die Tatsache, dass ich der Ursache des Fehlers nicht nachgegangen war.
»Aus den letzten 24 Stunden gibt es nichts zu berichten«, sagte ich und hoffte, es würde keine Nachfragen geben. Zu meiner Erleichterung wandte sich der Projektleiter an das nächste Subsystem, und nach ein paar weiteren kurzen Berichten war klar: Der LHCb war startbereit.