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Gerhard Wagner

Das geht auf
keine Kuhhaut

Redewendungen aus dem Mittelalter

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressum

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Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Ritterliches
„Hieb- und stichfest“
Von Pechnasen und großen Füßen

Kapitel 2: Gerichtliches
„Mit Hängen und Würgen“
Von Kerbhölzern und Daumenschrauben

Kapitel 3: Historisches
„Hinz und Kunz“
Von Windmühlen und Schildbürgern

Kapitel 4: Kirchliches
„Jetzt schlägt’s 13“
Von Ölgötzen und Gardinenpredigten

Kapitel 5: Gewerbliches
„Alles in Butter!“
Von Tretmühlen und Zapfenstreichen

Kapitel 6: Öffentliches
„Auf Heller und Pfennig“
Von Fersengeld und Kuhhäuten

Kapitel 7: Häusliches
„Immer die alte Leier“
Von Maulaffen und Brotkörben

Stichwortverzeichnis

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

 

 

 

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Vorwort

Auf einigen Burgen werden die Führungen an passenden Stellen mit Redewendungen aufgelockert, denn Formulierungen wie Etwas im Schilde führen oder Mit offenem Visier kämpfen kann man sehr gut angesichts von Ritterrüstungen erläutern. Es ist dann für die Burgbesucher immer wieder verblüffend zu erfahren, dass viele unserer Redensarten bereits ihre Wurzeln vor Hunderten von Jahren haben. Viele Menschen benutzen solche Redewendungen nämlich selbstverständlich, ohne zu wissen, wann sie entstanden oder auf welche historischen Tatsachen sie zurückzuführen sind. Eine Burg ist deshalb ein guter Ort, anhand von Gegenständen oder Tätigkeiten, Räumlichkeiten oder Bauwerken zu erläutern, woher Redewendungen wie Auf großem Fuße leben oder In die Bresche springen stammen.

Während die älteren Besucher meist aufmerksam den Erklärungen lauschen und amüsiert die Bedeutung von Redewendungen zur Kenntnis nehmen, die sie zwar benutzen, deren Ursprung sie aber in der Regel nicht kennen, lässt sich besonders bei Schulklassen ein auffälliges Maß an Unverständnis feststellen, wenn Redewendungen wie Auf die hohe Kante legen oder Die Tafel aufheben zur Sprache kommen. Bei den Älteren sind solche Begriffe noch in aller Munde, aber jüngeren Jahrgängen muss man neuerdings erklären, was man meint, wenn man von einem Zeitgenossen behauptet, er habe das Heft in der Hand oder er sei auf den Hund gekommen; solche Redensarten sind bei vielen mittlerweile sogar aus dem passiven Wortschatz verschwunden.

Dieses Buch will da eine Eselsbrücke bauen und Ross und Reiter nennen. Es fasst in 250 Artikeln knapp 300 Redewendungen zusammen, die meist auf das Mittelalter oder die frühe Neuzeit zurückgehen und auch heute noch populär sind. Es ist unterteilt in Kapitel, die sich mit unterschiedlichen Bereichen des damaligen Lebens beschäftigen. Unter „Ritterliches“ werden Redewendungen vorgestellt, die aus dem Bereich der Wehrhaftigkeit, des Militärischen und anderer dem Ritter zugeordneten Aspekte kommen. „Gerichtliches“ stellt Redensarten vor, die aus juristischen Zusammenhängen wie Urteil oder Strafe entstanden sind. Im Abschnitt „Historisches“ werden Redewendungen behandelt, die auf konkrete Ereignisse oder Personen der Geschichte Bezug nehmen. In „Kirchliches“ findet sich alles, was mit Religion, Aberglaube und Jenseitigem zu tun hat. In „Gewerbliches“ kommen Redewendungen aus historischen Berufen zur Sprache, denn die Fachsprachen der Handwerker haben viele Spuren hinterlassen. „Öffentliches“ nennt Redensarten, die allgemein gebräuchliche Tatsachen und Handlungen betreffen, während „Häusliches“ die privaten, intimen Dinge als Quellen für Redewendungen untersucht.

Aber was sind Redewendungen eigentlich? Sie sind kleine, meist aus nur einem oder mehreren Wörtern bestehende Ausdrücke, die auf Termini aus anderen, oft historischen Zusammenhängen zurückgreifen und gleichnishaft eine Situation, eine Handlung oder ein Gefühl beschreiben und deutlich machen. Sie sind kleine Parabeln. Sie dürfen nicht verwechselt werden mit Sprichwörtern, die meist aus einem abgeschlossenen Satz bestehen. Allen anderen Konstruktionen ist eine gewisse Verständlichkeit gemein, die Redewendungen oft auf den ersten Blick vermissen lassen. So haben Ausländer, die sich eine fremde Sprache durchaus angeeignet haben mögen, oft große Probleme, Redewendungen dieser Sprache, auch „Idiomatismen“ genannt, zu verstehen und selbst richtig anzuwenden.

Redewendungen sind wie Brücken in die Vergangenheit. Auf ihnen gehen heutige Menschen ständig zurück in eine in vielerlei Hinsicht fremde Welt vor sechs- oder siebenhundert Jahren, allerdings meist, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn Redensarten gehören so fest zu unserer alltäglichen Sprache, dass wir viele gar nicht mehr als solche erkennen. Ob es nun Wörter wie Hänseln, Aufdecken oder Überführen sind oder Denkzettel, Prügelknabe oder Garaus, sie sind assimiliert und den meisten Zeitgenossen so vertraut wie Kind und Kegel. Warum aber steigt man ins Bett und schlägt ein Buch auf?

Diese sprachlichen Brücken gehen leider immer mehr verloren, weil viele Bezüge, auf die Redensarten zurückgreifen, heute weitgehend unbekannt oder in Vergessenheit geraten sind. Wer hat jemals eine Tretmühle in Aktion gesehen, wer könnte noch mit einem Heller bezahlen, und wer hätte eine Verwendung für ein Kerbholz?

Es wäre aber falsch anzunehmen, dass die älteren Semester, zu deren aktivem Wortschatz sie noch gehören, wüssten, woher diese Formulierungen ursprünglich kommen und unter welchen Umständen sie einmal entstanden sind. Denn Gegenstände wie Bockshorn oder Daumenschraube sind in unseren Breiten schon ziemlich lange nicht mehr im Gebrauch.

Bei der Quellenforschung ist allerdings Vorsicht geboten. Die Herkunft vieler mittelalterlich klingender Redensarten erweist sich bei näherem Hinsehen nämlich als nicht wirklich historisch. Eine ganze Reihe ist auch erst im 19. Jahrhundert in Gebrauch gekommen, einige scheinbar alte sind auch noch deutlich jünger.

Viele aber sind im 18. Jh. schriftlich bezeugt und sicher sehr viel älter; die Entstehungszeit wird oft mit „früher“ oder „aus alter Zeit“ angegeben. Und tatsächlich stammen doch sehr viele Redensarten aus der Zeit der Ritter und Minnesänger, also dem sogenannten Mittelalter. Da die Quellen des 9. bis 11. Jahrhunderts fast ausschließlich in Latein geschrieben wurden, ist, was Redewendungen betrifft, erst Mittelhochdeutsch ergiebig, denn in dieser Sprache des Hochmittelalters, also der Zeit zwischen 1050 und 1250, war die höfische Literatur verfasst – Walther von der Vogelweide ist der bekannteste Vertreter. Unsere Sprache hat seitdem noch mehrere Wandlungen mitgemacht. Für die Zeit nach dem 14. Jahrhundert spricht man von Frühneuhochdeutsch; das bekannteste Textzeugnis dieser Sprachstufe ist Luthers Bibelübersetzung von 1545 mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache. Der Beginn des Neuhochdeutschen, also unserer heutigen Sprache, wird auf die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert.

Es muss auch stets berücksichtigt werden, dass in Deutschland in den fraglichen Jahrhunderten immer mehrere Sprachen neben- bzw. übereinanderher existierten, besonders Latein, Französisch und auch Jiddisch. Alle haben Einfluss gehabt auf unsere Sprache, allein das Jiddische, also die Alltagssprache der mitteleuropäischen Juden, hat über 50 Begriffe wie Schlamassel, meschugge, Schmiere oder Stuss hinterlassen, die wir bis heute aktiv verwenden, meist ohne uns über ihre Abstammung im Klaren zu sein. Aus Platzgründen musste darauf verzichtet werden, an dieser Stelle diesen großen Schatz, der ebenfalls auf die mittelalterliche Epoche zurückgeht, zu heben. Ebenfalls konnte nicht auf Redensarten mit Wurzeln im Rotwelsch oder anderen Sprachen gesellschaftlicher Randgruppen eingegangen werden. Sehr viele Wendungen gehen auf biblische Stellen bzw. die schon erwähnte Luther’sche Bibelübersetzung zurück wie Perlen vor die Säue, Zur Salzsäule erstarren oder Die Hände in Unschuld waschen. Ihnen sind schon eigene Kompendien gewidmet worden. Verzichtet worden ist auch auf Redensarten, die sich mit etwas Nachdenken selbst erklären, wie Jemanden matt setzen, Über den Berg sein oder Den Braten riechen.

Viele herkömmliche Redewendungen sind inzwischen durch neue ersetzt worden, denn Deutsch ist eine lebendige Sprache, und Einflüsse aus anderen Sprachen, dem Internet und der populären Massenkultur verändern sie auch heutzutage mehr denn je; besonders die Medien tragen zu dieser Entwicklung bei. So sind in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich auch neue Redensarten wie Auf Konfrontationskurs gehen, Auf Draht sein, Die gleiche Wellenlänge haben oder Auf dem Schirm haben entstanden. Gleichzeitig fallen viele historische Redewendungen und Ausdrücke dem Wandel der Sprache zum Opfer, und nicht mehr benutzte Redensarten sterben natürlich aus.

Bei der Suche nach Erklärungen von Redewendungen ist übrigens Vorsicht geboten, denn vor allem im Internet schießt die Phantasie bisweilen sehr ins Kraut. Da reimen sich auf einschlägigen Seiten „Nutzer“ oft Bedeutungen zusammen, die manchmal mehr oder weniger aus der Luft gegriffen sind. Aber leider sind auch entsprechende Handbücher nicht immer befriedigend in ihrer Recherche; sie helfen dadurch mit, falsche Informationen zu verfestigen. Deshalb wurde hier auch die Gelegenheit genutzt, einige Wendungen als nicht historisch und ihre üblichen Erklärungen als falsch zu entlarven – die bekanntesten dürften Einen Zahn zulegen und Die Klappe halten sein. Auch wenn die allenthalben, vor allem in Burgen und Domen kolportierten Erklärungen gerade dieser beiden Redensarten uns schon lieb geworden sind, soll hier der Wahrheit die Ehre gegeben werden. Es kann auch reizvoll sein, eine für richtig gehaltene Erklärung einmal durch eine korrekte zu ersetzen.

Wohlgemerkt – dieses Buch hat nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches Werk zu sein. Die Fakten sind zwar sorgfältig recherchiert, differenziertere Erklärungen, Ersterwähnungen und Nachweise von historischen Quellen seien aber der Fachliteratur vorbehalten. Dem speziell Interessierten sei insbesondere Röhrichs immer noch grundlegendes Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten empfohlen. In dem vorliegenden Band sollen vielmehr auf unterhaltsame Weise interessante Informationen über die in unserer Sprache so verbreiteten Floskeln und Redewendungen geboten werden; er kann dadurch vielleicht etwas dazu beitragen, dass einige bedrohte (Redens-)Arten vor dem Aussterben bewahrt werden.

Denn auch wenn sie den Älteren das Wasser nicht reichen können, ist Hopfen und Malz noch nicht verloren und die jungen Leute haben ja kein Brett vor dem Kopf oder sind auf dem Holzweg, und bevor wir den Teufel an die Wand malen und sie Scherereien bekommen, werden wir sie nicht in Bausch und Bogen verdammen, sondern ein Auge zudrücken und nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, und wenn sie erst mal alles aus dem Effeff beherrschen, darf man sie über den grünen Klee loben, auch wenn sie sich wie gerädert fühlen. Dann ist alles in Butter und wir haben noch mal Schwein gehabt!

Gerhard Wagner

 

 

 

 

 

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Kapitel 1: Ritterliches

„Hieb- und stichfest“

Von Pechnasen und großen Füßen

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„Steinreich sein“

sehr wohlhabend sein

Nicht nur im Mittelalter, sondern weit bis ins 19. Jahrhundert war es ganz normal, dass die Häuser der einfachen Leute aus Holz gebaut waren, Fachwerkhäuser eben, wobei „Fach“ ein alter Ausdruck für Wand ist, enthalten auch in Unter Dach und Fach. Nur Reiche konnten sich Steine aus Steinbrüchen leisten, die behauen werden mussten und deshalb teuer waren. Reich war im Mittelalter der Adel, dem das Land gehörte. Er bevorzugte es, in Steinhäusern zu residieren, denn nur Häuser mit steinernen Wänden waren so stabil, dass sie auch einem Überfall von Feinden, zornigen Leibeigenen oder missgünstigen Nachbarn oder Verwandten standhalten konnten. Aus diesen festen Häusern, oft in Turmform erbaut, entwickelten sich die Burgen. Als auch die Bürger im späten Mittelalter zu Wohlstand kamen, konnten sie sich ebenfalls prächtige Steinhäuser leisten. Sie waren nun steinreich. Burgen und Schlösser als Statussymbol blieben jedoch dem Adel vorbehalten.

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„Holzauge, sei wachsam!“

Aufgepasst!

Für die Herkunft dieses Ausdrucks gibt es mehrere Theorien. Die erste Herleitung bezieht sich auf das holzverarbeitende Handwerk. Beim Hobeln muss man aufpassen: Ansätze von Ästen, auch Augen genannt, sind härter als das umgebende Holz, die Klinge des Hobels könnte an ihnen Schaden nehmen. Aus dem Warnruf „Ein Holzauge! Sei wachsam!” kann sich mit der Zeit die heutige Redewendung entwickelt haben. Unter Sprachwissenschaftlern ist diese Theorie anerkannter, Phantasie anregender ist aber die zweite: In der Fortifikation von Burgen spielten Schießscharten eine große Rolle, ermöglichten sie es dem Verteidiger doch, aus kleinen Öffnungen heraus beim Feind großen Schaden anzurichten.

Tatsächlich nennt man eine spezielle Form von Scharten „Holzaugen“. In der Maueröffnung steckten hölzerne Kugeln, die in der Mitte ein Loch hatten. Durch dieses konnte beobachtet, aber auch eine Feuerwaffe gesteckt und wie in einem Kugelgelenk bewegt werden.

„Das Wasser abgraben“

von Informationsquellen abschneiden

Höhenburgen waren meist durch ihre steile Lage vor feindlichen Attacken geschützt. Bei den Burgen in der Ebene mussten sich die Baumeister etwas anderes einfallen lassen, um Angreifer auf Abstand zu halten. Man umgab die Burg daher mit einer Sperre, die gerade gepanzerte Krieger nur sehr mühsam überwinden konnten: mit einem Wassergraben. Er verwandelte die Burg in eine Insel. Ihre Mauern zu attackieren, war fast unmöglich, denn im Wasser konnte kein Belagerungsturm errichtet werden. Die Lösung war, das Wasser zu entfernen. Wenn die Umgebung es zuließ, konnte man einen Kanal graben, das Wasser floss ab und die Burg stand auf dem Trockenen. Möglicherweise deutet die Redewendung auch auf die – für die Burgbewohner höchst gefährliche – Unsitte hin, der Burg, wenn sie keinen eigenen Brunnen innerhalb der Mauern besaß, das Trinkwasser abzuleiten. Eine dritte, mehr zivile Erklärung der Redensart lautet, dass ein Müller ruiniert war, wenn der Graben, der Wasser auf sein Mühlrad brachte, angestochen wurde – von der Konkurrenz womöglich – und auslief.

„In die Bresche springen“

in der Not beistehen

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Wie erobert man eine Burg? Man macht ein Loch in die Mauer. Einfacher gesagt als getan, aber das Ergebnis einer solchen Gewaltanwendung nennt man „Bresche“, wie so viele Wörter der Militärsprache aus dem Französischen (brèche = Öffnung, Spalt). Aus Sicht der Verteidiger ist nun höchste Gefahr angesagt, denn die unliebsamen Besucher neigen dazu, hereinzudrängen und in der Burg Feuer zu machen, und zwar überall. Die Burgbesatzung, die einen Versicherungsfall ohne Versicherung vermeiden will, muss sofort etwas unternehmen. Bevor man darangeht, die Öffnung wieder mit Baumaterial zu schließen, muss jemand die unerwünschten Gäste aufhalten, bevor sie die Burg betreten und Schaden anrichten. Wenn die Öffnung zu Beginn noch relativ schmal ist, ist das Mittel der ersten Wahl, dass ein Ritter in die Bresche springt, der den Engpass wie ein wehrhafter eiserner Korken unpassierbar macht.

„Luftschlösser bauen”

unrealistische Pläne machen

Auch andere Länder kennen „Luftschlösser“. In England heißen sie „castles in the air“, in Holland „luchtkastelen“. Im Mittelhochdeutschen, der Sprache der Ritter, gibt es schon den Begriff „Schloss“, gleichbedeutend mit „Burg“. Womit wir bei der oft gestellten Frage wären, was der Unterschied zwischen Burg und Schloss ist. Eine Burg war ein militärischer Zweckbau, der befestigte Wehrbau eines Adligen. Nach der Einführung der Feuerwaffen spalteten sich diese Funktionen – einerseits wehrhaft, andererseits wohnlich – auf; ab dann bezeichnete „Schloss“ den luxuriösen Fürstensitz, während „Festung“ den militärisch-wehrhaften Teil übernahm. Im 16. Jahrhundert sprach man bei Phantastereien von einem „Schloss in der Luft“, was hundert Jahre später zu der heutigen Redensart führte. Kein Wunder, dass dafür ein filigranes, verziertes Schloss viel eher geeignet war als eine wuchtige, steinerne Burg!

„Pech gehabt!“

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Viele Burgführer zeigen über dem Burgtor eine „Pechnase“ und weisen darauf hin, dass daher der Ausdruck Pech gehabt stamme. Seit dem 19. Jahrhundert glaubte man, dass die Verteidiger einer Burg heißes Pech auf die Angreifer geschüttet hätten. Diese gruselig-romantische Vorstellung entspricht allerdings nicht den Tatsachen, denn die Burgenforschung hat mittlerweile nachgewiesen, dass zum Flüssigmachen von Pech Temperaturen nötig gewesen wären, die in einem Torhaus nicht hätten erzeugt werden können. Der fälschlicherweise „Pechnase“ genannte Erker war also eine Verteidigungsvorrichtung, aus der man Steine warf oder Pfeile schoss. Redewendungen, in denen der Begriff „Pech“ vorkommt, haben deshalb nichts mit Burgen zu tun. Ein Pechvogel war zum Beispiel ein Singvogel, den man auf einer mit klebrigem Pech bestrichenen Rute fing, um ihn anschließend zu verspeisen – Pech gehabt! Und wenn heute jemand auf etwas erpicht ist, dann ist er darauf fixiert, wie mit Pech daran festgeklebt.

„Sich die Sporen verdienen“

sich auszeichnen, sich würdig erweisen

Bevor ein adliger Knabe den Ritterschlag erhalten konnte, der ihn zu einem vollwertigen Mitglied dieser Adelsschicht machte, musste er sieben Jahre als Page dienen, um Erfahrungen im Umgang bei Hofe zu sammeln – er musste lernen, höflich zu sein. Sieben weitere Jahre diente er als Knappe bei einem Ritter, bei dem er das Waffenhandwerk erlernte. Er führte schon Waffen, trug auch schon Sporen und durfte an Kampfspielen teilnehmen. Mit 21 Jahren empfing er die Schwertleite, die im 14. Jahrhundert durch den Ritterschlag abgelöst wurde, wenn er sich durch Mut und Treue ausgezeichnet hatte. Dabei wurden ihm goldene Sporen angelegt. Dass er diese Würde verdient hatte, musste er in der nächsten Schlacht in der ersten Kampflinie beweisen. Auch heute noch sagt man von jemandem, dem sein Chef Anerkennung ausgesprochen hat, dass er den Ritterschlag bekommen habe. Echte Ritterschläge gibt es heute noch in England, wenn Stars wie Paul McCartney oder Sean Connery zum „Sir“ ernannt werden.

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„Hand und Fuß haben“

vollständig, in Ordnung sein

Diese Redensart geht auf eine altdeutsche Rechtsformel zurück, in der allerdings nur die rechte Hand und der linke Fuß gemeint waren. Warum? Ein Ritter, also ein wehrhafter Mann, war nach damaligem Verständnis nur kriegstüchtig, wenn er noch die rechte Hand und den linken Fuß besaß. Mit der rechten Hand führte er das Schwert, und der Fuß, mit dem er in den Steigbügel trat, um sein Pferd zu besteigen, war der linke. Es war eine äußerst schwere, aber oft verhängte Strafe, wenn ein Missetäter dazu verurteilt wurde, eines der beiden oder gar beides abgeschlagen zu bekommen, denn es wurden ihm auf diese Weise nicht nur Hand und Fuß, sondern auch seine Mannhaftigkeit genommen. Linkshänder taten übrigens gut daran, diese „Andersartigkeit“ zu verschweigen, denn Minderheiten waren gerade im Mittelalter suspekt und konnten leicht auf dem Scheiterhaufen landen.

„Hieb- und stichfest“

unangreifbar, absolut sicher

Nicht nur heute, sondern auch und besonders in früheren Zeiten war Aberglaube weit verbreitet. Dazu zählten magische Sprüche und Rituale, die einen Mann für den Kampf unverwundbar machen sollten. Man nannte diesen Brauch „Festmachen“. Die Zwillingsformel Hieb- und stichfest gehörte zu diesem Zauber. Sie sollte den Besprochenen gegen jede Art der typischen mittelalterlichen Kampfverletzungen gefeit machen. Auch heute noch segnen Priester in den Krieg ziehende Soldaten, um sie unter den Schutz Gottes zu stellen. Es ist immer wieder merkwürdig, dass über Jahrhunderte, ja Jahrtausende an die Wirkung derlei transzendentaler Praktiken geglaubt wurde, obwohl die unübersehbare Zahl der Getöteten und Verwundeten in den Kriegen der Geschichte eindeutig ihre Nutzlosigkeit beweist.

„Gerüstet, gewappnet sein“

vorbereitet sein

Was wäre ein Ritter ohne Rüstung? Der Ritter legte sich diese Schutzkleidung, die bis zu dreißig Kilogramm wiegen konnte, mit Hilfe seines Knappen an und war dann für den Kampf gerüstet. Der Ritterpanzer diente zur Verteidigung. Wie auch heute noch entwickelte sich die Defensive immer als Antwort auf die Offensive, das heißt, neue stärkere Angriffswaffen erforderten wirksamere Verteidigungsmaßnahmen: Langbogenpfeile durchdrangen den Lederwams des frühen Mittelalters; das gegen Pfeile noch schützende Kettenhemd war gegen Armbrustbolzen machtlos, der dann vom Harnischmacher erfundene Plattenharnisch schützte nicht gegen Kanonenkugeln, und so weiter und so weiter. Gewappnet war man bewaffnet, denn das Wort „Wappen” war im Mittelalter eine Nebenform von „Waffe” und wurde erst ab dem 16. Jahrhundert im heutigen Sinn gebraucht. Ob gerüstet oder gewappnet – nach dem Einsatz kam es zur Abrüstung, denn die Herren liefen zu Hause in der Burg ja nicht in Eisen herum. Wenn sich heute jemand eine neue Fotoausrüstung oder ein Wappen zulegt, hat das zum Glück nichts mehr mit Kriegführen zu tun.

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„In Harnisch bringen“

jemanden zornig machen

Ein Harnisch ist der Brustteil der Rüstung und zusammen mit dem Helm der wichtigste Teil der Schutzkleidung des Ritters. Den Harnisch legte er bei den täglichen Kampfübungen, aber vor allem im Kriegsfall und für das Turnier an. Dann war er bereit zum Kampf. Auch ein Turnier war eine ernste Sache – Graf Diether IV. von Katzenelnbogen, einer der prominentesten Adligen des Reiches, starb 1315 auf dem Turnier des Baseler Hoftages. Die Redensart ist seit 1626 belegt. Gemeint ist, dass der, den man so zornig gemacht hat, dass er den Harnisch angelegt hat, der also in Harnisch geraten ist, bereit und willens ist zu kämpfen. Im übertragenen Sinn bedeutet die Redensart heute so viel wie „überaus engagiert“ oder auch „in Rage“, also bereit, ohne Angst vor Widerstand seine Meinung zu vertreten, nicht so sehr mit Taten, aber wohl mit Worten. Deshalb nennt man auch eine Rede oder einen Brief, in denen jemand seinen Zorn zum Ausdruck bringt, geharnischt.

„Ross und Reiter nennen“

klare Angaben machen

Jeder kennt das Ritual, wenn vor einem Boxkampf die Kontrahenten vom Ringsprecher namentlich vorgestellt werden. Dieser Brauch ist nicht neu. Schon im Mittelalter wurden die Ritter, die im Turnier gegeneinander antraten, vor Kampfbeginn dem Publikum genannt. Die Vorstellung wurde von einem Herold vorgenommen, denn dieser war zuständig für die Identifizierung der Ritter, die ja durch ihre Rüstung unkenntlich waren, anhand ihrer Wappen. Er orientierte sich an zu diesem Zweck angefertigten Wappenrollen, die die Unterscheidung und Zuordnung der Wappen ermöglichten. Im Unterschied zu den Boxern traten die Ritter nicht allein an, sondern waren in hohem Maße von der Leistungsfähigkeit ihres Streitrosses abhängig. Deshalb war es nur fair, dass auch der Name dieses wertvollen Tieres ausgerufen wurde, Ross und Reiter eben. Dass der mittlerweile veraltete Begriff „Ross“ statt „Pferd“ in diesem Fall immer noch im Gebrauch ist, verdanken wir dem schönen Stabreim.

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„Das Heft in der Hand haben“

die Leitung innehaben

Auch wenn die Assoziation zum Lehrer, der das Klassenarbeitsheft in der Hand hat und damit eine gewisse Macht verkörpert, sich förmlich aufdrängt, hat dieser Ausdruck mit dem von uns heute Heft genannten dünnen Papierstapel nichts zu tun. „Heft“ nannte man ursprünglich die Halterung oder den Griff eines Gerätes. Im engeren Sinne wurde so auch der Griff eines Schwertes, Messers oder Dolches bezeichnet. Es ist einleuchtend, dass sich aus der Position, ein Schwert am Griff halten zu dürfen, im übertragenen Sinn ein Begriff für „Gewalt und Macht haben“ bildete. Erst im 18. Jahrhundert bildete sich in Anlehnung an den Aspekt der Halterung bzw. Befestigung die heute gebräuchliche Bedeutung des Wortes Heft – eine Anzahl gebundener, „gehefteter“ Papierbögen – aus, die mit der Redensart nichts mehr zu tun hat.

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„Vom Leder ziehen“

sich scharf äußern

Die Arbeit eines Barbiers erfordert ein möglichst scharfes Rasiermesser – haarscharf eben. Den letzten Schliff verpasst ihm der Meister mit Hilfe eines Lederriemens, auf dem er die Klinge unter Druck hin und her gleiten lässt. Auch wenn es so scheint, hat die Redewendung damit nichts zu tun. Sie weist vielmehr auf die Bewaffnung des Kriegers mit Hieb- und Stichwaffen zurück. Dolche, Messer und vor allem Schwerter steckten, wenn sie nicht gerade in Benutzung waren, in ledernen Scheiden, damit sich der Träger nicht versehentlich an ihnen verletzen konnte. Wenn der Ritter das Schwert vom Leder, also aus der Scheide zog, wurde es ernst, denn es war eine tödliche Waffe. Luther hat den Ausdruck um 1500 herum wörtlich verwendet, auch im „Simplicissimus“, dem berühmten Roman über den Dreißigjährigen Krieg, wird das Ziehen des Schwertes noch so genannt. Erst danach entwickelte sich die übertragene Bedeutung.

„Mit offenem Visier kämpfen“

anständig verhandeln

Der Kopf des Ritters war sehr gefährdet, denn alle möglichen Waffen in Krieg und Turnier konnten ihm schaden. Ein dem heutigen Integralhelm des Motorradfahrers nicht unähnlicher Metalltopf erfüllte anfänglich gute Dienste. Schmale Schlitze und Löcher ermöglichten nur ein Minimum an Ausblick, denn gegen Armbrustpfeile konnten sich auch scheinbar kleine Öffnungen als verhängnisvolle Lücken erweisen. Wenn man im Kampf dort hindurchblickte, musste man schon ein Auge riskieren. Die Luftversorgung in einem solchen Helm genügte oft nicht den Minimalanforderungen, weshalb es tatsächlich manchmal zu Erstickungsfällen kam. Um den Helm außerhalb des Schlachtfeldes leichter öffnen zu können, erfand man im 14. Jahrhundert das Visier. Das konnte man mittels eines Scharniers hochklappen. Die Redewendung bezieht sich darauf, dass der Gerüstete bei geschlossenem Gesichtsschutz unidentifizierbar und schlecht einzuschätzen war, während das offene Visier Ehrlichkeit und Anständigkeit suggerierte. Die Redensart, jemanden ins Visier zu nehmen, hat mit den Rittern nicht zu tun, sondern meint die Zielvorrichtung bei modernen Schusswaffen.

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Der militärische Gruß

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