Madame Therese

Emile Erckmann 

Inhaltsverzeichnis
Madame Therese
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
Impressum

Madame Therese



 

 

I.

Wir lebten in tiefem Frieden im Dorfe Anstatt, mitten in den deutschen Vogesen, mein Oheim der Doktor Jakob Wagner, seine alte Magd Lisbeth und ich. Seit dem Tode seiner Schwester Christine hatte Onkel Jakob mich zu sich genommen. Ich ging in’s zehnte Jahr und war blond, rotbäckig und frisch, wie ein Posaunenengel. Ich trug eine baumwollene Mütze, ein kurzes Wams von braunem sammt, das aus alten Beinkleidern meines Onkels gemacht war, Hosen aus grauer Leinwand und Holzschuhe, oben mit Wollflocken eingefaßt. Man nannte mich im Dorf den kleinen Fritzel, und jeden Abend, wenn Onkel Jakob von seinen Ausgängen heimkam, nahm er mich auf seinen Schooß, um mich in der Naturgeschichte des Herrn von Buffon französisch lesen zu lehren.

In Gedanken bin ich noch in unserer niederen Stube mit ihrer von schwarz geräucherten Balken gestreiften Decke. Ich sehe links die kleine Gangthüre und den eichenen Schrank; rechts den mit einem grün serschenen Vorhang abgeschlossenen Alkoven, hinten den Eingang zur Küche, daneben den eisernen Ofen, mit seinen dicken, die zwölf Monate vorstellenden Platten, dem Widder, den Fischen, dem Steinbock, dem Wassermann etc., und nach der Straßenseite zu die zwei kleinen Fenster, die zwischen Rebenlaub hindurch auf den Platz mit dem Brunnen blicken.

Ich sehe auch den Onkel Jakob, eine hohe Gestalt mit freier Stirne, schönem blondem, über seine breiten Schläfe anmuthig herabfallendem Haar, leichter Adlernase, blauen Augen, gerundetem Kinn und weichen und gutmüthigen Lippen. Er trägt Beinkleider von schwarzem rauhem Tuch, einen himmelblauen Rock mit messingenen Knöpfen und weiche Stiefel mit hellgelben Kappen, über welche eine seidene Eichel herunter hängt. sitzend in seinem ledernen Armstuhl, die Arme auf den Tisch gestützt, liest er, während der Schatten der Nebenblätter auf seinem etwas langen und von der frischen Luft gebräunten Gesicht leicht hin und her schwankt.

Er war ein gefühlvoller, friedfertiger Mensch, nahe an den Vierzigen, und galt für den besten Arzt der Umgegend. Ich habe seit der Zeit erfahren, daß er sich gerne mit Theorien über die allgemeine Verbrüderung beschäftigte, und daß die Bücherpäcke, die ihm der Bote Franz von Zeit zu Zeit brachte, diesen wichtigen Gegenstand betrafen.

Ich sehe dies alles, ohne unsre Lisbeth zu vergessen, eine gute Alte, lächelnd und runzlich, mit kurzer Juppe und blau leinenem Unterrock, wie sie in einer Ecke spinnt. Auch unsres Katers Roller muß ich gedenken, wie er auf seinem Schwanze hinter dem Ofen sitzt und spinnt, mit großen, eulenartig durch die Dunkelheit leuchtenden, goldenen Augen.

Noch ist mir’s, ich dürfe nur über den Gang gehen und mich in den Obstgarten mit seinen guten Gerüchen schleichen; ich glaube noch, ich dürfe nur die hölzerne Stiege aus der Küche in meine Kammer erklettern, wo wir die Meisen hatten, mit welchen wir, der kleine Hans Adam, des Holzschuhmachers Sohn und ich, unsern Vogelfang betrieben. Es waren blaue und grüne drunter. Die kleine Elisa Meyer, die Tochter des Bürgermeisters, kam oft, unsere Vögel zu sehen und mir davon abzubetteln; und wenn Hans Adam, Ludwig, Franz Seppel, Karl Stenger und ich mit einander die Kühe und die Geißen zur Weide führten, dort hinten neben dem Birkenwald, so klammerte sie sich an mein Wams und sagte:

»Fritzel, laß mich deine Kuh führen, scheuch mich nicht fort!«

Und ich gab ihr meine Geißel; wir machten Feuer auf dem Rasen und brieten Kartoffeln in der Asche.

O! die schöne Zeit! Alles war ruhig und friedlich um uns her und ging seinen regelmäßigen Gang, ohne die geringste Störung. Montag, Dienstag, Mittwoch, alle Tage, die Gott gab, verliefen einer wie der andere.

Jeden Tag stand man zu derselben Stunde auf, zog sich an und legte sich zu Lisbeths guter Mehlsuppe nieder. Der Onkel ritt dann fort, und ich machte Schläge und Schlingen für Drosseln, Sperlinge, Finken, je nach der Jahreszeit.

Mittags waren wir wieder zurück. Da gab’s Kraut mit Speck, Nudeln oder Knöpflen. Nachher ging ich Vieh hüten, nach meinen Schlingen sehen, oder ging’s auch wohl, wenn es heiß war, zum Bad in die Queich.

Abends hatte ich guten Appetit, der Onkel und Lisbeth auch, und wir dankten bei Tisch dem Herrn für seine Wohlthaten.

Alle Abende, gegen das Ende des Nachtessens, wenn es anfing, im Zimmer dunkel zu werden, ertönte ein schwerer schritt durch den Gang, die Thüre öffnete sich, und ein untersetzter, viereckiger Mann, von breiten Schultern, einen großen Filz auf dem Kopfe, erschien auf der Schwelle mit den Worten:

»Guten Abend, Herr Doktor!«

[4]

»Setzt Euch, Mauser,« antwortete der Onkel, »Lisbeth mach’ die Küche auf!«

Lisbeth öffnete die Thüre, und die rothe auf dem Herd flackernde Flamme zeigte uns den Maulwurffänger unsrem Tische gegenüber, wie er mit seinen kleinen grauen Augen betrachtete, was wir aßen. Er hatte ganz das Aussehen einer Feldmaus, lange Nase, kleinen Mund, zurücktretendes Kinn, vorstehende Ohren und einen Schnurrbart von vier gelben, zerzausten Haaren. sein Kittel von grauer Leinwand ging ihm kaum bis zu den Lenden; seine große rothe Weste mit tiefen Taschen schlotterte um seine Schenkel und seine ungeheuren Schuhe, welche stets die Farbe des Erdreichs trugen, hatten große Nägel, die von den dicken Sohlen herauf wie Krallen glänzten.

Der Mauser konnte fünfzig Jahre haben; seine Haare fingen an grau zu werden; große Runzeln furchten seine geröthete Stirne, und weiße Augbrauen mit einem goldenen Anflug fielen ihm bis auf den Augapfel herab.

Man sah ihn immer auf den Feldern beschäftigt, seine Fallen zu stellen, oder auch wohl an der Thüre seines Bienenstandes am Abhang in der Birkenwaldheide mit seiner Drahtmaske, seinen dicken Leinenen Handschuhen und seinem großen schneidigen Löffel, mit dem er den Honig von den Stöcken löste.

Zu Ende des Herbstes verließ er auf einen Monat das Dorf, seinen Zwerchsack über dem Rücken. Vorne hatte er den Honig drin, hinten das gelbe Wachs in Platten, das er den Pfarrern der Umgegend zu Wachskerzen zum Verkaufe trug. Das war der Mauser. Nachdem er wohl über den Tisch hingeblickt hatte, hub er an:

»Da habt ihr Käs; das da sind Haselnüsse!«

»Ja,« antwortete der Onkel. »Greift zu.«

[5]

»Dank schön, ich rauche jetzt lieber eine Pfeife.«

Damit zog er eine schwarze Pfeife mit kupfernem an einem Kettchen hängenden Deckel aus der Tasche. Er stopfte sie bedächtig, indem er seine Augen fortwährend umherlaufen ließ, ging dann in die Küche, nahm eine glühende Kohle in seine hohle schwielige Hand und legte sie auf den Tabak. Ich meine ihn noch zu sehen, mit seinem Rattengesicht, wie er, die Nase in der Luft, vor dem purpurnen Herde große Wolken blies, und wie er dann wieder hereinkam und sich im Schatten des Ofenwinkels mit verschränkten Beinen niedersetzte.

Außer den Maulwürfen und den Bienen, dem Honig und dem Wachs hatte der Mauser noch eine andere ernste Beschäftigung; er weissagte die Zukunft nach dem Vogelflug, der Menge der Heuschrecken und Raupen, und gewissen in ein großes Buch mit hölzernem Deckel eingeschriebenen Ueberlieferungen, das er von einer alten Tante zu Geming geerbt hatte, und das ihm über zukünftige Dinge Aufschluß gab.

Aber um ihn auf das Kapitel seiner Wahrsagungen zu bringen, war ihm die Gegenwart seines Freundes Koffel nöthig, des Schreiners, Drehers, Uhrenmachers, Hundsscheerers, Thierarztes, kurz des größten Genies von Anstadt und Umgegend. Koffel trieb alles; er flickte das zersprungene Geschirr mit Eisendraht, er verzinnte die Pfannen, er reparierte altes verdorbenes Hausgeräthe, er stellte die Orgel in stand, wenn Pfeifen und Blasbalg in Unordnung waren; Onkel Jakob hatte ihm selbst verbieten müssen, gebrochene Beine und Arme einzurichten, denn er hielt sich auch für einen geschickten Mediziner. Der Mauser zollte ihm viele Bewunderung und sagte manchmal: Wie schade, daß Koffel nicht studiert hat,’s ist ewig schad’! und alle Gevatterinnen auf dem Lande betrachteten ihn als ein Universalgenie.

[6]

Aber all dies stieg ihm nicht zu Kopf, und die sicherste seiner Einnahmsquellen Floß im Herbst: da ging er krauteinschneiden, seinen Krauthobel, wie einen Butten auf dem Rücken, und rief von Thüre zu Thüre: Kraut einschneiden! Der Krauteinschneider!

Da sah man’s, wie große Geister belohnt werden.

Koffel, ein kleiner magerer Mann, schwarz von Bart und Haar, mit langer, dünner wie ein Entenschnabel niederhängender Nase, säumte auch nicht zu erscheinen, die Hände in den Taschen seines runden Kittels, die Zipfelmütze im Nacken, die Zottel zwischen den Schultern, mit kurzen Hosen und dicken blauen Strümpfen voll Leimflecken, schlotternd um seine spindeldürren Beine, und mit schlurfen, die an mehreren Stellen aufgerissen waren, um seinen Schwielen Platz zu machen. Er trat einige Augenblicke nach dem Mauser herein, schritt mit kleinen Schritten vorwärts und sagte mit ernsthafter Miene:

»Guten Appetit, Herr Doktor!«

»Wenn’s Euch beliebt,« antwortete der Onkel.

»Danke vielmal; wir haben diesen Abend Salat gegessen; das ist mein Leibessen.«

Nach diesem Gespräche setzte sich Koffel hinter den Ofen und rührte sich nicht, bis der Onkel anhub:

»Flink, Lisbeth, zünde das Licht an und nimm das Tischtuch weg.«

Dann stopfte auch der Onkel seine Pfeife und rückte zum Ofen. Man schickte sich an, vom Regen, vom schönen Wetter, von den Ernten etc. zu reden. Der Maulwurffänger hatte im Lauf des Tags so und so viel Fallen gestellt, er hatte während des Gewitters das Wasser von irgend einer Wiese abgeleitet; er hatte so und so viel Honig aus seinen Bienenständen gewonnen; seine Bienen sollten bald schwärmen, hängten sich schon vor dem Korbe an, und der Mauser rüstete daher bereits neue Körbe, um die jungen schwärme aufzunehmen.

Koffel aber kaute immer irgend einer Erfindung wieder;, er sprach von seiner Uhr ohne Gewicht, an der die zwölf Apostel schlag zwölf Uhr erscheinen mußten, während der Hahn krähte und der Tod mähte; oder sprach er von seinem Pflug, der, aufgezogen wie eine Uhr, ganz allein marschieren sollte oder von einer ähnlichen, wunderbaren Erfindung.

Der Onkel hörte ernsthaft zu; er gab mit einem Zeichen des Hauptes seinen Beifall, dachte aber wohl zugleich an seine Kranken.

Im Sommer saßen die Nachbarinnen auf der steinernen Bank vor unsern offenen Fenstern und plauderten mit Lisbeth über Haushaltungsgegenstände. Die eine hatte letzten Winter so und so viel Ellen Leinwand gesponnen, einer andern Hennen hatten täglich so und so viel Eier gelegt.

Ich, meines Theils, benutzte einen guten Augenblick, um zu Klipfel’s Schmiede zu laufen, deren Flamme von weitem her, am Ende des Dorfs, durch die Nacht glänzte. Hans Adam, Franz Seppel und mehrere andere hatten sich dort schon versammelt. Wir sahen zu, wie die Funken wie Blitze unter den Hammerschlägen davon flogen. Wir pfiffen beim Lärmen des Amboßes. Brachte man eine alte Mähre zum Beschlagen, so halfen wir ihr den Fuß halten. Die Aeltesten unter uns versuchten Nußblätter zu rauchen, bis es ihnen übel wurde; einige andere rühmten sich, schon alle Sonntage zum Tanz zu gehen; das waren Burschen von fünfzehn bis sechs zehn Jahren. sie setzten den Hut auf’s Ohr und rauchten mit wichtiger Miene, die Hände in den Taschen.

[8]

Endlich um zehn Uhr zerstreute sich die ganze Bande; jeder zog seiner Heimath zu.

So verliefen die gewöhnlichen Wochentage; aber am Montag und Freitag erhielt der Onkel die »Frankfurter Zeitung« und an diesen Tagen war das Haus besuchter. Außer Mauser und Stoffel sahen wir unsern Bürgermeister, Christian Meyer, und Herrn Karolus Richter, den Enkel eines alten Bedienten des Grafen Salm-Salm, herbeikommen. Weder der eine noch der andere wollte auf die Zeitung abonnieren, aber sie hörten sie gerne umsonst vorlesen.

Wie oft habe ich mich seitdem unsres dicken Bürgermeisters mit seinen scharlachrothen Ohren, seinem wollenen Camisol und seiner weißen baumwollenen Mütze, im Lehnsessel, an des Onkels gewöhnlichem Platze sitzend, erinnert. Er schien über tiefe Dinge nachzudenken; aber seine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, die Neuigkeiten wohl zu behalten, damit er sie seiner Frau, der tugendsamen Barbara, mittheilen könne, welche die Gemeinde in seinem Namen regierte.

Und dann der große Karolus, eine Art Windhund, in seinem Jagdhabit, und mit seiner Kappe von gesottenem Leder, der größte Wucherer des Landes, der alle Bauern von oben herab ansah, weil sein Großvater Lakai bei Salm-Salm gewesen, der sich einbildete, den Leuten einen Gefallen zu er weisen, wenn er von ihrem Tabak stopfte, und der unaufhörlich von Parks und Fasanerien, von Hetzjagden und von den Rechten und Privilegien des gnädigsten Herrn von Salm-Salm sprach. Wie oft habe ich ihn in unsrem niedrigen Zimmer aus- und eingehen sehen. Da saß er mit gerunzelten Augenbrauen und schien zuzuhören, aber plötzlich fuhr er mit der Hand in die große Rocktasche des Onkels, holte sein [9] Tabakspäckchen heraus und stopfte sich seine Pfeife, die er am Licht »Mit Erlaubnis« anzündete.

Ja, alle diese Dinge stehen mir noch lebhaft vor den Augen.

Armer Onkel Jakob! Der gute Mann ließ sich seinen Tabak wegrauchen und merkte es nicht einmal, mit so viel Aufmerksamkeit las er die Tagesneuigkeiten. Die Republikaner nahmen damals die Pfalz weg und zogen den Rhein hinab; sie wagten es, sich den drei Kurfürsten, dem König von Preußen und dem Kaiser Joseph gegenüber zu stellen.

Alle Zuhörer des Onkels entsetzten sich über ihre Kühnheit.

Herr Richter sagte, das könne von keiner Dauer sein, diese Lumpen werden bis auf den legten Mann ausgerottet werden.

Der Onkel beschloß immer seine Vorlesung mit irgend einer verständigen Betrachtung. Er sagte:

»Loben wir den Herrn, daß wir mitten in Wäldern leben und nicht im Weinland, auf rauhem Gebirg und nicht in der fruchtbaren Ebene. Diese Republikaner glauben nichts bei uns erwischen zu können; darauf beruht unsere Sicherheit; wir können uns in Frieden auf’s Ohr legen. Aber wie viele andere sind ihren Räubereien ausgesetzt! Diese Leute wollen alles mit Gewalt durchsetzen; aber die Gewalt hat nie etwas Gutes erzeugt. sie sprechen uns von Liebe, Gleichheit, Freiheit; aber sie bringen diese Grundsätze nicht zur Anwendung; sie verlassen sich auf ihre Fäuste und nicht auf die Gerechtigkeit ihrer Sache. Vor ihnen und lang vorher sind andere gekommen, um die Welt zu befreien; diese schlugen nicht und tödteten nicht; sie gingen den Tausenden nach zu Grunde, und an ihre Stelle trat im Verlauf der Jahrhunderte das Lamm, [10] welches die Wölfe verschlungen hat. Man sollte glauben, von diesen Menschen sei kein Andenken mehr übrig; aber nein: sie haben die Welt überwunden; sie haben nicht das Fleisch, sie haben die Seele des Menschengeschlechts erobert, und die Seele, das ist alles. Warum folgen diese nicht demselben Beispiel?«

Da rief Karolus Richter mit verächtlicher Miene:

»Warum? Weil sie selbst an keine Seele glauben, und weil sie die Mächtigen der Erde beneiden. Und dann! alle diese Republikaner sind Atheisten, vom ersten bis zum letzten; sie achten weder Thron noch Altar; sie haben Dinge um gestürzt, die seit dem Ursprung der Zeit bestanden; sie wollen keinen Adel mehr, wie wenn der Adel nicht das Wesen der Dinge auf Erden und im Himmel wäre; als ob es nicht anerkannt wäre, daß unter den Menschen die einen zur Sklaverei, die andern zum Herrschen geboren sind; als ob man diese Ordnung nicht selbst in der Natur gewahrte: die Moose stehen unter dem Gras, das Gras unter dem Busch, der Busch unter den Bäumen und die Bäume unter dem Himmelsgewölbe. Ebenso stehen die Bauern unter den Bürgern, die Bürger unter dem Richterstand, der Richterstand unter dem Geburtsadel, der Geburtsadel unter dem König und der König unter dem Papst, der von seinen Kardinälen, Bischöfen und Erzbischöfen repräsentiert ist. Das ist die natürliche Ordnung der Dinge. Man mag wohl reden; aber nie wird sich eine Distel zur Höhe eines Eichbaumes erheben, und nie wird ein Bauer das Schwert führen, wie der Abkömmling eines erlauchten Geschlechts von Kriegern.

»Diese Republikaner haben einige vorübergehende Erfolge erzielt, wegen der Ueberraschung, die sie durch ihre wahrhaft unglaubliche Kühnheit und Sinnlosigkeit der Welt bereitet haben. [11] Indem sie alle Doktrinen und alle bestehenden Prinzipien leugneten, haben sie alle vernünftigen Leute mit Betäubung geschlagen; das ist die einzige Ursache dieser Umwälzungen. Gerade wie man manchmal einen Ochsen und selbst einen Stier plötzlich beim Anblick einer jählings aus der Erde schlüpfenden flinken Natter still stehen und fliehen sehen kann, so sehen wir unsere Soldaten verblüfft und selbst in unordentlicher Flucht vor einer solchen Kühnheit. Aber alles dies kann nicht lang dauern, und wenn die erste Ueberraschung einmal vorüber ist, so bin ich versichert, unsre alten Generale vom siebenjährigen Krieg schlagen diese zusammengerafften Barfüßler in Grund’s Boden hinein, und es kommt keiner wieder in sein unglückliches Vaterland zurück.«

Nachdem er solches gesprochen, zündete Herr Karolus seine Pfeife wieder an und ging auf und ab, die Hände auf dem Rücken, mit der Miene großer Selbstbefriedigung. Alle andern dachten über das nach, was sie soeben gehört hatten, und endlich nahm der Mauser das Wort:

»Alles was geschehen soll, geschieht,« sagte er. »Daß diese Republikaner ihre Herrn und ihre Geistlichen verjagt haben, das stand im Himmel geschrieben seit dem Anfang der Zeiten. Gott wollte es! Zu wissen, ob sie wieder umkehren, das hängt davon ab, was unser Herrgott für gut findet; ob er die Todten wieder erwecken will, hängt von ihm ab. Aber vergangenes Jahr, als ich meine Bienen arbeiten sah, bemerkte ich, daß einstmals diese kleinen Dinger, so sanft und hübsch, sich auf die Drohnen stürzten, sie stachen und aus dem Stock schleiften. Das wiederholt sich alle Jahre. Diese Drohnen zeugen die Jungen und die Arbeitsbienen unterhalten sie, so lange der Stock ihrer bedarf; aber dann tödten sie sie. Es ist abscheulich; aber doch, wie’s geschrieben steht. Indem ich [12] das betrachtete, dachte ich an die Republikaner. sie sind im Zug, ihre Drohnen zu tödten; aber seid ruhig, man kann sie nicht entbehren; es werden andere nachkommen; man wird ihnen wieder aufhelfen und sie ernähren, und die Bienen werden sich wieder aufs Neue erbosen und sie wieder dem Hundert nach umbringen. Man wird glauben, jetzt sei alles fertig; aber es werden wieder andere nachkommen; und so fort und fort; es muß so sein; es muß so sein!«.

Der Mauser warf den Kopf auf, und Herr Karolus, mitten im Zimmer stehend, rief:

»Was nennt Ihr Drohnen? Die wahren Drohnen sind dieses übermüthige Geschmeiß, das sich zu allem für befähigt hält, und nicht die Herren und die Geistlichen.«

»Mit Verlaub, Herr Richter,« entgegnete der Mauser, »die Drohnen sind die, die nichts schaffen wollen und doch alles genießen. Die, welche. ohne einen andern Dienst zu leisten, als um die Königin zu sumsen, verlangen, daß man sie reichlich füttere. Man füttert sie. Aber endlich, so steht’s geschrieben, wirft man sie hinaus. Das ist tausend und tausendmal vor gekommen, und es kann sich nicht fehlen, daß es sich immer wiederholt. Die Arbeitsbienen voll Ordnung und Sparsamkeit können keine Wesen ernähren, die zu nichts nütz sind. Es ist unglücklich; es ist traurig; aber es ist so. Wenn man Honig macht, so möchte man ihn gerne auch für sich behalten.«

»Ihr seid ein Jakobiner!« schrie Karolus entrüstet.

»Nein, im Gegentheil, ich bin ein Bürger von Anstatt, Maulwurffänger und Bienenzüchter; ich liebe mein Land, so gut wie sie; ich würde mich für dasselbe aufopfern, vielleicht besser als sie. Aber ich bin genöthigt, zu sagen, daß die wahren Drohnen die sind, die nichts arbeiten, und daß die Bienen die sind, die schaffen, weil ich es hundertmal gesehen habe.«

[13]

»Ah,« rief Karolus Richter, »ich will wetten, daß Koffel die nämlichen Ideen hat, wie Ihr.«

Darauf antwortete der kleine Schreiner, der bis jetzt nicht gesprochen hatte, mit blinzelndem Auge:

»Herr Karolus, wenn ich das Glück hätte, der Enkel eines Bedienten von Peri-Peter oder Salm-Salm zu sein, und wenn ich ein reicher Erbe wäre, wie sie, daß ich in Ueberfluß und Nichtsthun leben könnte, dann würde ich sagen, daß die Drohnen die Arbeiter und die Bienen die Müßiggänger sind. Aber so wie ich bin, habe ich die ganze Welt nöthig, um zu leben und ich sage nichts. Nur denke ich, jedem sollte das beschieden sein, was er mit seiner Arbeit verdient.«

»Meine lieben Freunde,« hob nun der Onkel mit Ernst an, »sprechen wir nicht von diesen Dingen; denn wir werden uns nicht verständigen. Friede, Friede, das ist, was uns noth thut. Der Friede gibt den Menschen den Wohlstand und stellt alle Wesen auf ihren rechten Platz. Im Krieg sieht man die schlechten Neigungen vorherrschen: Mord, Raub und was sonst daran hängt. Es lieben auch alle Menschen von schlechtem Lebenswandel den Krieg; er ist für sie das einzige Mittel, etwas zu scheinen. In Friedenszeiten wären sie nichts, man würde zu leicht gewahr, daß ihre Gedanken, ihre Erfindungen und ihre Wünsche nichts weniger als genial sind. Gott hat den Menschen zum Frieden, zur Arbeit, zur Liebe seiner Familie und seiner Mitmenschen geschaffen. Weil nun der Krieg gegen alles dieß anlauft, so ist er eine wahre Geißel. Nun schlägt es aber soeben zehn Uhr; wir könnten bis morgen fortdisputiren, ohne uns besser zu verständigen. Ich schlage daher vor, schlafen zu gehen.«

Hierauf erhoben sich alle, und der Bürgermeister, seine dicken Fäuste auf die Arme seines Lehnstuhls stützend, rief:

[14]

»Gebe der Himmel, daß weder die Republikaner, noch die Preußen, noch die Kaiserlichen hier durch kommen, denn alle diese Leute haben Hunger und Durst. Und wie es angenehmer ist, seinen Wein selbst zu trinken, als ihn von andern hinunterstürzen zu sehen, so ist es mir lieber, diese Dinge aus der Zeitung zu erfahren, als sie mit eigenen Augen zu schauen. Das sind meine Gedanken!«

Auf diese Bemerkung hin wandte er sich zur Thüre. Die andern folgten.

»Gute Nacht,« rief der Onkel.

»Guten Abend,« antwortete der Mauser, die dunkle Straße hinwandelnd.

Die Thüre schloß sich, und der Onkel sagte mit bekümmerter Stimme:

»Allons Fritzel, mach daß du gut schläfst.«

»Gleichfalls, Onkel.« Damit stiegen Lisbeth und ich die Treppe hinan.

Eine Viertelstunde später herrschte das tiefste Stillschweigen im Hause.


II.

An einem Freitag Abend im Monat November 1793 knetete Lisbeth nach ihrer Gewohnheit den Teig, um Hausbrod zu backen. Da es zugleich auch Fladen und Aepfelkuchen geben sollte, so hielt ich mich bei ihr in der Küche auf und sah ihr zu, indem ich mich den angenehmsten Betrachtungen hingab.

Als der Teig fertig war, setzte man Bierhefe zu, kratzte ringsherum den Backtrog ab und deckte eine dicke Federdecke darüber, um ihn gehen zu lassen. Dann breitete Lisbeth die Gluthen des Herds im Ofen aus und schob mit der Stange drei große trockene Reisigbündel hinein, die alsbald unter dem [15] finstern Gewölbe zu flammen anfingen. Als nun das Feuer gut brannte, schloß sie das Schürloch und sagte zu mir:

»Jetzt, Fritzel, wollen wir zu Bett gehen; morgen, wenn Du aufstehst, wird’s Kuchen geben.«

Wir stiegen also in unsere Kammern hinauf. Onkel Jakob schnarchte schon seit einer Stunde hinten in seinem Alkoven. Ich legte mich nieder, an die guten Sachen denkend, und brauchte nicht lange, um wie ein seliger einzuschlafen.«

Das dauerte schon ziemlich lange, es war noch Nacht und der Mond glänzte voll in mein kleines Fenster, als ich durch einen sonderbaren Lärm geweckt wurde; es war, wie wenn das ganze Dorf zum Märchen geworden wäre; in der Ferne öffneten und schlossen sich Thüren; eine Menge von Schritten ging durch die kothigen Pfützen der Straße hin und wider. Zugleich hörte ich auch in unserem Haus kommen und gehen, und purpurne Reflexe spielten auf meinen Scheiben.

Man denke sich mein Erstaunen.

Nachdem ich gelauscht hatte, stand ich behutsam auf und öffnete ein Fenster. Die ganze Straße war voll Menschen, und nicht allein die Straße, sondern auch die kleinen Gärten und Gäßchen rings umher: nichts als große muntere Bursche, mit ungeheuren dreieckigen Hüten, mit langen blauen, roth auf geschlagenen Röcken, breiten weißen Wehrgehängen über die Schulter und großen Zöpfen auf dem Rücken; ohne der Säbel und der Patrontasche zu gedenken, die ihnen um die Lenden baumelten und die ich zum erstenmal sah. Sie hatten ihre Gewehre in Pyramiden vor unserer Scheuer aufgestellt; zwei Schildwachen marschierten dabei auf und ab; die anderen gingen in die Häuser, wie wenn sie da zu Hause wären.

An der Ecke beim Stall stampften drei Pferde den Boden. Weiter weg vor der Metzig von Seppel, auf der anderen Seite [16] des Platzes war an den Mauerhaken, wo man die Kälber abstreifte, beim Schein eines großen flackernden und den Platz erleuchtenden Feuers ein ganzer Ochse aufgehängt. Sein Kopf und sein Rücken schleiften auf der Erde. Einer der Männer in Hemdärmeln und mit muskulösen Armen zog ihm die Haut ab; er hatte ihn von oben bis unten aufgetrennt. Die blauen Eingeweide ergossen sich mit dem Blut in den Koth. Die Gestalt des Mannes mit seinem nackten Hals und seiner Haßel war fürchterlich anzusehen.

Ich begriff alsbald, daß die Republikaner das Dorf eingenommen hatten, und während ich mich ankleidete, betete ich im stillen um die Hilfe des Kaisers Joseph, von dem Herr Karolus Richter so oft sprach.

Die Franzosen waren während unseres ersten Schlafes angekommen und gewiß schon vor zwei Stunden, denn als ich mich anschickte, herab zu steigen, sah ich ihrer drei, gleichfalls in Hemdärmeln wie der Schlächter, die mit unserer Schaufel das Brod aus dem Backofen zogen. Sie hatten der Lisbeth die Mühe des Backens, ebenso wie jener andere dem Seppel die Mühe des Schlachtens erspart. Diese Leute wußten mit allem umzugehen; nichts setzte sie in Verlegenheit.

Lisbeth saß in einem Winkel, die Hände über den Knieen gekreuzt und betrachtete sie mit ziemlich friedlicher Miene; ihre erste Furcht war überstanden. sie sah mich oben am Geländer und rief:

»Fritzel, komm herab! sie thun dir nichts.«

Darauf stieg ich herunter, und die Männer setzten ihre Arbeit fort, ohne sich um mich zu bekümmern. Die Thüre zum Gang links war offen, und ich sah im Obstgarten zwei andere Republikaner beschäftigt, den Teig zu einem zweiten oder dritten Einsatz anzumachen. Endlich, rechter Hand sah [17] ich durch die halbgeöffnete Thüre des Wohnzimmers den Onkel Jakob auf einem Stuhle am Tische sitzen, während ein kräftiger Mann mit dickem rothem Backenbart, kurzer runder Nase, hervorspringenden Augbrauen, weit vom Kopf abstehenden Ohren und einer armsdick über die Schulter hinabhängenden Flachsperücke, sich im Lehnsessel niedergelassen hatte und mit Appetit einen unserer Schinken versäbelte. Man sah nur seine großen braunen Fäuste, in der einen die Gabel, in der anderen das Messer, auf- und abgehen, und seine dicken muskulösen Backen arbeiten. Von Zeit zu Zeit nahm er das Glas, trank einen guten Schluck und setzte sein Geschäft fort.

Er hatte bleifarbene Epauletten, einen großen Säbel mit Lederscheide, dessen Griff hinter seinem Ellenbogen heraufstieg, und Stiefel, so mit Koth überzogen, daß man nichts mehr sah, als die gelbe Erde, die an ihnen zu trocknen begann. Auf dem Schranke lag sein Hut mit einem Busch von rothen Federn, die im Luftzug spielten, denn trotz der Kälte waren die Fenster offen; eine Schildwache ging hinten auf und ab, Gewehr im Arm, und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen Blick auf den Tisch zu werfen. Während er ruhig den Schinken weiter zerarbeitete, hob der Mann mit dem dicken Backenbart mit barscher Stimme an:

»Also, du bist Arzt?«

»Ja, Herr Kommandant!«

»Nenne mich Kommandant, kurzweg oder Bürger Kommandant; ich habe es dir schon gesagt, die »Herrn und die »Madamen sind abgeschafft. Aber, um auf unsere Rede zurück zu kommen; du mußt das Land kennen; ein Landarzt kennt seine Gegend. Wie weit haben wir nach Kaiserslautern?«

»Sieben Stunden, Kommandant!«.

»Und nach Pirmasens?«

[18]

»Ungefähr acht.«

»Und nach Landau?«

»Ich glaube fünf gute Stunden.«

»Ich glaube, ungefähr, beiläufig, ist das auch die Rede eines Mannes, der in der Gegend zu Hause ist? Höre, du scheinst mir Angst zu haben. Du fürchtest, daß, wenn die Weißröcke hier durchkommen, sie sich für die Auskunft, die du mir gibst, aufhängen. Schlage dir diesen Gedanken aus dem Sinn! die französische Revolution beschützt dich.«

Und indem er den Onkel mit seinen grauen Augen scharf ansah, sprach er, sein Glas erhebend:

»Auf das Wohl der einen und untheilbaren Republik!«

Sie stießen zusammen an, und der Onkel, ganz blaß, trank auf die Republik.

»Nun denn,« hob der andere an, »hat man hier keine Oesterreicher gesehen?

»Nein, Kommandant.«

»Ist das gewiß? Wie! schau’ mir in’s Gesicht.«

»Ich habe keinen gesehen.«

»Bist du nicht in den letzten Tagen in Rehthal gewesen?«

Der Onkel war richtig vor drei Tagen in Rehthal gewesen; er glaubte, der Kommandant sei hiervon durch einen Dorfbewohner in Kenntnis gesetzt und antwortete:

»Ja, Kommandant.«

»So, und es gab dort keine Oesterreicher?«

»Nein!«

Der Republikaner leerte sein Glas und warf einen schiefen Blick auf Onkel Jakob; dann streckte er den Arm aus und faßte ihn mit einer sonderbaren Miene am Faustgelenk:

»Du sagst: Nein.«

»Ja, Kommandant.«

[19]

»Gut, du lägst!«

Und mit langsamer Stimme setzte er hinzu:

»Wir hängen nicht, wir Republikaner, aber wir erschießen manchmal solche, die uns betrügen.«

Das Gesicht des Onkels wurde nun noch blässer. Jedoch wiederholte er mit ziemlich fester Stimme und erhobenem Kopf:

»Kommandant, ich versichre sie auf Ehre, daß vor drei Tagen kein Kaiserlicher zu Rehthal war.«

»Und ich,« rief der Republikaner, dessen graue Augen unter seinen dichten, falben Augenbrauen funkelten, »ich jage dir, daß welche dort waren. Ist das deutlich?«

Es folgte eine Stille. Alle, die in der Küche waren, sahen herein; die Miene des Kommandanten war keineswegs beruhigend. Ich fing an zu weinen und trat mit Thränen in das Zimmer vor, wie wenn ich dem Onkel Jakob Hilfe leisten wollte; ich stellte mich hinter ihn. Der Republikaner betrachtete uns beide mit gerunzelten Brauen, was ihn aber nicht hinderte, noch ein Bissen Schinken zu verschlingen, wie wenn er damit Zeit zum Nachdenken gewinnen wollte. Draußen schluchzte Lisbeth ganz laut.

»Kommandant,« erwiderte der Onkel mit Festigkeit, »sie wissen vielleicht nicht, daß es zwei Rehthal gibt, eines Kaiserslautern zu, und das andere an der Queich, drei kleine Stunden von Landau. Vielleicht waren die Oesterreicher da unten; aber auf dieser Seite hatte man Mittwochabend noch keinen gesehen.«

»Das,« sagte der Kommandant in schlechtem lothringischem Deutsch mit spaßhaftem Lächeln, »das ist nicht übel. Aber wir, zwischen Bitsch und Saargemünd, wir sind so schlau, wie ihr. Wenn du mir nicht beweist, daß es zwei Rehthal gibt, so sage ich dir offen, ist es meine Pflicht, dich arretieren und vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen.«

[20]

»Kommandant,« erwiderte der Onkel, indem er den Arm ausstreckte, »der Beweis, daß es zwei Rehthal gibt, findet sich auf allen Karten des Landes.«

Er zeigte unsere alte an der Wand hängende Karte.

Da wendete sich der Republikaner in seinem Lehnstuhl um, schaute hin und sagte:

»Ah, das ist eine Karte der Gegend, laß ein bisschen sehen.«

Der Onkel nahm die Karte herab und indem er sie auf den Tisch ausbreitete, zeigte er die beiden Ortschaften.

»Gut,« sagte der Kommandant, »jetzt ist’s recht; ich verlange nur Deutlichkeit.«

Die beiden Ellenbogen auf den Tisch stützend und seinen dicken Kopf zwischen den Händen haltend, betrachtete er die Karte.

»Sieh, Sieh, das ist herrlich,« sagte er. »Wo kommt die Karte her?«

»Mein Vater hat sie gemacht; er war Geometer.«

Der Republikaner lächelte.

»Ja, die Wälder, die Flüsse, die Wege, Alles ist darauf bemerkt; ich finde mich ganz zurecht; da sind wir vorbei gekommen; das ist gut, das ist vortrefflich.«

Und indem er sich aufrichtete, sagte er deutsch:

»Du brauchst diese Karte nicht, Bürger Doktor; ich habe sie nöthig und ich nehme sie für den Dienst der Republik in Beschlag. Auf, auf. Stoß mit mir an und laß uns mit einem Schluck das Fest der Eintracht Feiern.«

Es läßt sich denken, mit welchem Eifer Lisbeth in den Keller hinabstieg, um noch eine Flasche zu holen.

Der Onkel Jakob hatte seine Sicherheit wieder gewonnen. Der Kommandant, der hierauf mich ansah, fragte ihn:

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»Ist das dein Sohn?«

»Nein, es ist mein Neffe.«

»Ein kleiner, gutgebauter Bursche. Er hat mir gefallen, als ich ihn soeben dir zu Hilfe kommen sah. Wie, komm herbei,« sagte er und zog mich am Arm zu sich. Er fuhr mir mit der Hand durch die Haare und sagte mit einer etwas rauhen, aber gutmüthigen Stimme:

»Erziehe diesen Jungen in der Liebe zu den Menschen rechten; statt Kühe zu hüten, kann er so gut als ein anderer Kommandant oder General werden. Jetzt sind alle Thore offen, alle Plätze zu gewinnen; es bedarf nur Muth und Glück, um voran zu kommen. Ich, wie du mich siehst, bin der Sohn eines Grobschmieds zu Saargemünd; ohne die Republik würde ich noch auf den Amboß klopfen; unser großer Laffe, der Graf, der bei den Weißkitteln dient, wäre ein Held von Gottes Gnaden, und ich ein Esel; jetzt ist’s gerade umgekehrt, durch die Gnade der Revolution.«

Er leerte sein Glas und sagte mit zugekniffenen Augen:

»Das ist ein kleiner Unterschied.«

Neben dem Schinken lag einer der Kuchen, welche die Republikaner bei dem ersten Backschub vorgefunden hatten; der Kommandant schnitt ein Stück für mich ab.

»Beiß’ herzhaft an,« sagte er in der besten Laune, und mach, daß du ein Mann wirst.«