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ISBN 978-3-534-21945-2
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-71905-1
eBook (epub): 978-3-534-71906-8
I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert
II. Zum Stand der Forschung
III. Der Autor in seiner Zeit
1. Zur Zeitgeschichte
2. Zur Lebens- und Werkgeschichte
IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes
1. Heines Schreibart
2. Heines Romantik
3. Heines Judentum
4. Lyrik
5. Versepen
6. Reisebilder
7. Feuilletons und Tagesberichte
V. Einzelanalysen
1. Almansor. Eine Tragödie
2. Die Harzreise. (1824)
3. Buch der Lieder
4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831
5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski
6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland
7. Elementargeister
8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift (Heinrich Heine über Ludwig Börne)
9. Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844
10. Romanzero
11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben
12. Geständnisse. Geschrieben im Winter 1854
VI. Heines Nachwirkung
Zeittafel
Kommentierte Bibliografie
Personenregister
Begriffsregister
Urteile der Literaturgeschichte
Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren der Literaturgeschichte, deren Dichtungen und Schriften von ihren Zeitgenossen in ihrem Rang und ihrer Bedeutung verkannt und deshalb nicht gelesen wurden, fanden die Werke Heinrich Heines bereits zu seinen Lebzeiten eine außerordentliche Beachtung. Je nach weltanschaulicher und ästhetischer Ausrichtung galt er als Künder einer neuen Epoche, einer neuen Literatur, die in Form, Sprache und Inhalt richtungsweisend war, oder als ein charakterloser Schriftsteller (ein Jude, Exilant und Vaterlandsverräter zudem), der mit moralischen und ästhetischen Werten brach und deshalb als Vorbote eines kulturellen Verfalls gesehen wurde.
Die Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat diese Urteile lange überholt und der hohe Rang der Werke Heines im Diskurs der deutschen Literatur gilt heute als unumstritten. Trotzdem nehmen seine Dichtungen und Schriften – im Gegensatz zu denen anderer Schriftsteller – bis in die Gegenwart eine Sonderstellung ein. So ist er der einzige Dichter, der in Deutschland wie in Frankreich gleichermaßen als ein kanonischer Autor der jeweils eigenen nationalen Literatur angesehen wird – bereits aus diesem Grund kann er als einer der ersten europäischen Denker und Intellektuellen gelten. Andererseits hat es beispielsweise in seiner Geburtsstadt Düsseldorf erst vor wenigen Jahrzehnten eine lang anhaltende, erbittert geführte Kontroverse gegeben über die Frage, ob die dortige Universität seinen Namen tragen solle – der internationales Aufsehen erregende Streit wurde im Jahr 1988 zugunsten einer Benennung nach dem Dichter entschieden. Ohnehin provozierten seine Person, sein Werk aber auch seine Nachwirkung immer wieder Skandale, die nicht nur von dem begrenzten Horizont der Vertreter einer lokalen (Kultur-)Politik Zeugnis ablegen, sondern auch sichtbar machen, dass selbst über 150 Jahre nach seinem Tod die ungebrochene Ehrung dieses Schriftstellers in Deutschland noch nicht ganz unproblematisch ist.
Dies als einen Gradmesser für Heines Aktualität zu werten, bedeutete allerdings einen Trugschluss. Denn die Debatten, welche von der Nachwelt über einen Dichter geführt werden, sagen nur bedingt etwas aus über die Frage, ob die Themen- und Problemfelder, die in seinen Werken behandelt werden, einen Beitrag zu leisten vermögen zu den gesellschaftlichen oder ästhetischen Diskursen der Gegenwart. – Abgesehen von der Frage, ob dies überhaupt ein Kriterium ist, nach dem das literarische Kunstwerk angemessen bewertet werden kann und darf.
Romantische Kunstanschauung
Worin also liegt die Aktualität, die fortwährende Relevanz der Dichtungen und Schriften Heinrich Heines begründet? Die literaturgeschichtlich zentrale Frage, mit der sich seine Werke auseinandergesetzt haben, ist die nach der Bedeutung der klassisch-romantischen Ästhetik für seine Gegenwart. Bereits in den frühen Dichtungen, mit denen der junge Heine zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts an die Öffentlichkeit trat, befragte er die Bilder und Metaphern, die Themen und Vorstellungen der spätzeitlich gewordenen Romantik auf ihre Relevanz für den Diskurs einer nunmehr veränderten zeit- und geistesgeschichtlichen Verfasstheit. Wenngleich er sich bis in sein Spätwerk mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, dokumentieren die Urteile der Nachwelt, sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert, die dominierende Stellung der romantischen Kunstanschauung: Die abwartende oder ablehnende Haltung weiter Teile eines bildungsbürgerlichen Lesepublikums resultiert aus dem Widerspruch zwischen ihrer eigenen, romantisch geprägten Vorstellung des „Kunstschönen“ und dem ironischen Umgang Heines mit dieser Vorstellung. Die Gebrochenheit der Bildlichkeit und des Tons, die vielzitierten Stimmungswechsel, mit denen seine Gedichte und Prosatexte den Leser nicht nur konfrontieren, sondern allein lassen, irritieren und provozieren deshalb bis in die Gegenwart.
Frühe Moderne
Die Gebrochenheit oder Zerrissenheit – um ein Wort aufzugreifen, mit dem Heines Zeitgenossen diese Problematik bezeichneten – meint aber auch die Reflexion des Menschen über seine ontologische Verfasstheit. Nach der Dekonstruktion der Religion und ihrer paradigmatischen Stellung im gesellschaftlichen Diskurs durch die Philosophie der Aufklärung im 18. Jahrhundert, nach der sich diesem Prozess anschließenden Dekonstruktion Gottes thematisiert Heine die Erfahrungen von Einsamkeit und Entfremdung, stellt er die Frage nach dem Inhalt und der Bedeutung der menschlichen Existenz. Die Liebenden und Leidenden, die Kämpfer und Geschlagenen, die Helden und Narren seines Werkes sind Figurationen des Menschen, der in einer Welt, in der eine übergeordnete transzendente Instanz ihren normativen Einfluss verloren hat, nach einem individuellen Sinn sucht. Diese geistesgeschichtliche Verfasstheit, die seine Dichtungen abbilden, unterscheidet sich nicht wesentlich von der existentiellen Ratlosigkeit unserer eigenen Gegenwart. In der frühen Moderne ist es Heine gelungen, jene Sinnfragen auf eine prägnante, eindringliche und gültige Weise in literarische Bilder und Metaphern zu kleiden, die in der Post- (oder auch Post-Post-)Moderne unverändert dringlich geblieben sind. In diesem Zusammenhang ist in besonderer Weise hervorzuheben, dass Heine eben nicht den Versuch macht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Stattdessen thematisiert er die Ratlosigkeit, die Folge eines Bewusstseins ist, aus dem heraus Antworten nicht mehr gegeben werden können.
Seine Aktualität erweist sich jedoch nicht nur im Bereich existentieller Fragestellungen. Im Paris der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts wird Heine zum Zeugen und Chronisten eines tiefgreifenden sozialen Veränderungsprozesses. Die Gesellschaft wandelt sich von einer agrarischen zu einer industriellen, von einer auf Subsistenz beruhenden Wirtschaft zu einer auf den Grundsätzen des Kapitals fußenden ökonomischen Ordnung. Indem der Schriftsteller Prozesse der unaufhaltsamen Beschleunigung des Lebens, den Einfluss der Macht des an den Börsen akkumulierten Kapitals auf das Leben des Menschen untersucht, indem er über die Bedeutung des schnellen Verkehrs von Waren und Personen für die Volkswirtschaft nachdenkt und über Prozesse der Globalisierung, die durch die Kolonialisierung der Länder Afrikas und des Vorderen Orients durch europäische Mächte ihren Anfang nimmt, gelangt er zu einer Diagnose seiner Gegenwart, die für die entfesselten ökonomischen Verhältnisse am Beginn des globalisierten 21. Jahrhunderts unverändert ihre Gültigkeit bewahrt hat. Man sollte hieraus jedoch keineswegs den Schluss ziehen, der Dichter habe prognostische oder gar prophetische Kräfte besessen. Vielmehr sind die Erkenntnisse und Einsichten, die Heine über die Zustände seiner Zeit mitteilt, deshalb noch aktuell, weil unsere Gegenwart sich in der Endphase jenes Prozesses befindet, der in seiner Epoche seinen Anfang genommen hat.
Kunstautonomie
Nun gibt es – gerade in der Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zahlreiche Schriftsteller, welche diese ontologischen und ökonomischen Entwicklungen in ihren Werken thematisiert haben und die gleichwohl aus den Diskursen unserer Zeit verschwunden sind. Die ungebrochene Modernität Heines erwächst daraus, dass er – trotz des politischen und sozialen Engagements, das sein Werk auszeichnet – den künstlerischen Anspruch niemals aufgegeben hat. In der Erkenntnis der tiefsten Ratlosigkeit ob des Zustandes der Welt glaubt Heine an das Unbedingte und Ausschließliche der Kunst. Er erachtet sie nicht als eine Möglichkeit oder Hoffnung, den Menschen oder die Welt zu bessern, sondern als einen Akt der Revolte gegen das zerstörerische Potential einer Ordnung, die nur mehr von vermeintlichen ökonomischen Notwendigkeiten bestimmt wird. Unter dem Schlagwort der Emanzipation streitet Heine nicht nur für Menschen- und Bürgerrechte, nicht nur für die Grundsätze von Freiheit und Gleichheit, nicht nur für den Frieden und die Aussöhnung zwischen den Völkern und Nationen, sondern auch für die Kunst als einen Bereich, in dem der Mensch sich frei und ohne Zwänge dem ihm gegebenen anthropologischen Potential im Spiel der Gedanken und Gefühle hingeben kann und auf diese Weise gegen das Nützlichkeitsdenken der Moderne zu revoltieren und seine politische Freiheit und ontologische Autonomie zu behaupten vermag. „Wie Sie wissen“, notiert Heine in den Briefen Über die französische Bühne in diesem Sinne, „bin ich für die Autonomie der Kunst; weder der Religion, noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst.“ (HSA VII, 260)
Problematik der Heine-Forschung
Mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 und dem Ende der Teilung Deutschlands in zwei Staaten in Folge des Zweiten Weltkrieges hat sich auch die Heine-Forschung, die traditionell von außerliterarischen und politischen Prämissen beeinflusst worden ist, grundlegend verändert. (Gutleben 1997) Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk des Dichters ist nicht länger ein Bereich, in dem die weltanschaulichen Differenzen der ost- und westdeutschen Germanistik stellvertretend ausgetragen werden, stattdessen hat sich auch hier die Kanonisierung des Schriftstellers als eines Vertreters der deutschen Literatur von Rang vollziehen können. Des Weiteren ist in der Folge nicht nur die in der Deutschen Demokratischen Republik propagierte Sicht auf den Schriftsteller als eines frühen Vertreters einer „bürgerlich-revolutionären“ Literatur in Frage gestellt worden, sondern auch die von Germanisten in der Bundesrepublik Deutschland tradierte bildungsbürgerliche Perspektive auf sein Werk, die über lange Jahre die im späten 19. Jahrhundert entwickelten Deutungstraditionen und Urteilsmuster fortgeschrieben hat.
Historisch-kritische Ausgaben
Die heutige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk Heinrich Heines ist jedoch noch von einem anderen Aspekt geprägt worden. Das breite positive Wissen über das Leben des Schriftstellers, über die Entstehungs- und zeitgenössische Wirkungsgeschichte seiner Werke, das die beiden großen, in Düsseldorf und in Weimar sowie Paris entstandenen bzw. entstehenden historisch-kritischen Ausgaben der Werke und Briefe zusammengetragen haben, hat der Forschung neue Perspektiven eröffnet. Diese Werkeditionen haben nicht nur erstmals das Gesamtkorpus an literarischen Werken und Schriften in deutscher und französischer Sprache sowie Briefen erschlossen, sondern auch die oftmals komplizierten, zuvor nur lückenhaft bekannten Entstehungs-, Zensur- und Druckgeschichten seiner Werke aufgearbeitet. Ebenso verdienstvoll sind die Einzel- und Stellenkommentare, die im Rahmen dieser Ausgaben entstanden sind und die für das Verständnis der Texte wesentliche biografische, historische und literarische Kenntnisse bereitstellen. Die beiden historisch-kritischen Gesamtausgaben stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern ergänzen sich, da sie sich aufgrund ihrer jeweiligen editorischen Grundannahmen voneinander unterscheiden.
Wissenschaftliche Hilfsmittel
Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahrzehnten weitere grundlegende wissenschaftliche Hilfsmittel der Forschung zur Verfügung gestellt worden. Hierzu gehören zum einen die Heine-Chronik von Fritz Mende, die Sammlung von Gesprächen und Berichten der Zeitgenossen über Begegnungen mit Heine, die Michael Werner zusammengetragen hat, die zwölfbändige Quellensammlung Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen, die Dokumente zur Rezeption seiner Werke im deutschen Sprachraum ediert, und die dreibändige Quellensammlung Die französische Heine-Kritik, in der Hans Hörling Dokumente zur Wirkungsgeschichte Heines in Frankreich versammelt hat. Zum anderen zählen hierzu das zwischenzeitlich in der dritten Auflage überarbeitete, erweiterte und ergänzte Heine-Handbuch von Gerhard Höhn und nicht zuletzt die Sammlung von Lebenszeugnissen, also sämtlichen überlieferten zeitgenössischen Dokumenten, die Auskunft über das Leben des Dichters geben, und die im Rahmen der Heine-Säkularausgabe momentan in Weimar erarbeitet wird.
Darüber hinaus hat das Heinrich-Heine-Portal den Text und Apparat der in Düsseldorf entstandenen historisch-kritischen Ausgabe sowie die Briefwechsel des Dichters, die in der Säkularausgabe ediert worden sind, zusammen mit anderen Materialien – wie Faksimiles zahlreicher handschriftlicher Entwurfsmanuskripte, Reinschriften, Druckvorlagen und Korrekturfahnen – im WorldWideWeb online verfügbar gemacht. Eine solche digitale Edition vermag die genannten historisch-kritischen Gesamtausgaben zwar nicht zu ersetzen, stellt aber gleichwohl eine Bereicherung für den Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Dichter und seinem Werk dar.
Diese beiden Aspekte haben die neuere Heine-Forschung nicht nur grundlegend bestimmt, sie haben auch zu einem Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Dichter und seinem Werk im In- und Ausland geführt, wobei die Heine-Philologie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts traditionell auch Schwerpunkte in Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika aufweisen kann.
Bibliografien
Auskunft über die Vielzahl der jährlich erscheinenden wissenschaftlichen Studien gibt das Heine-Jahrbuch, das die Neuerscheinungen fortlaufend bibliografisch erfasst. Darüber hinaus sei an dieser Stelle auf die Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft verwiesen, die online verfügbar ist und die deutschen und internationalen wissenschaftlichen Publikationen zu Heine ebenfalls verzeichnet.
Wenngleich das Feld der Themen und Fragestellungen im Bereich der Heine-Philologie bereits seit langem so ausdifferenziert ist, dass es in seiner Qualität wie Quantität geradezu unüberschaubar geworden ist, wie bereits George F. Peters (Peters 1998) und Jeffrey L. Sammons (Sammons 1999) in ihren Forschungsberichten herausgestellt haben, haben sich seitdem einzelne Tendenzen herausgebildet, die aufzuzeigen vermögen, welche Bereiche und Themenfelder in den vergangenen Jahrzehnten primär Beachtung gefunden haben.
Biografische Darstellungen
An der Biografie und den Lebensumständen des Schriftstellers orientierte Deutungen seines literarischen Werkes, welche die ältere Heine-Forschung dominierten, sind von neueren Ansätzen vor dem Hintergrund einer kritischen Methodenreflexion und Diversifizierung der methodischen Möglichkeiten zwar nicht gänzlich verworfen, aber deutlich relativiert worden. Sammlungen, wie die im Rahmen der Heine-Säkularausgabe entstehende Dokumentation der Lebenszeugnisse oder Studien zum familiären Hintergrund des Dichters, zu einzelnen Lebensstationen, zu Beziehungen zu Zeitgenossen, Freunden und Weggefährten sowie traditionelle biografische Gesamtdarstellungen tragen zwar dazu bei, zu einem differenzierteren Bild der lebens- und zeitgeschichtlichen Umstände zu gelangen, ihre Ergebnisse werden jedoch nur mehr bedingt zur Textinterpretation herangezogen. In diesem Kontext sind als grundlegende Arbeiten die von Jeffrey L. Sammons (Sammons 1979) sowie Michael Werner und Jan-Christoph Hauschild (Hauschild/Werner 1997) verfassten Biografien des Schriftstellers zu nennen sowie zahlreiche, jeweils Detailfragen gewidmete Aufsätze, wie diejenigen biografischen Einzelstudien zu Heines Familie sowie seinen Lebensstationen, die Joseph A. Kruse in dem Band Heine-Zeit zusammengefasst hat. (Kruse 1997)
Literarische Selbstinszenierung
Grundlegend für die Abwendung von einer auf die Biografie ausgerichteten Textinterpretation waren, neben methodischen Neuorientierungen, die Studien von Michael Werner. (Werner 1977; Werner 1979) Diesen Ansatz fortschreibend und ausdifferenzierend hat die Forschung gezeigt, dass die Selbstporträts und -charakteristiken, die Verlassenheiten des Liebenden, des Kämpfenden, des Exilierten und schließlich des Sterbenden – und gerade die Verschränkung dieser Aspekte macht die Eigenart der Werke Heines aus – kalkuliertes literarisches Arrangement sind, aber auch dichterischer Ausdruck der eigenen Lebenswirklichkeit. (Bierwirth 1995) Als solche sind sie ein Teil der komplizierten, aber für die Analyse und Deutung des Werkes wesentlichen Verbindung von faktischen und fiktionalen Elementen, von dichterischem Werk und literarischer Inszenierung des eigenen Lebens. Sie sind Manifestationen der existentiellen Erfahrung des Verlassenseins des modernen Menschen und zugleich eine wesentliche Voraussetzung der eigenen künstlerischen Produktion. (Sammons 1999)
Judentum und jüdische Identität
Ausgehend von dem Gedanken, dass Heines Selbstdarstellungen ein künstlerisches Konstrukt sind, sind zahlreiche Aspekte und Probleme des Werkes in der Folge neu untersucht und interpretiert worden. Sicherlich zentral ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Einfluss und der Bedeutung der jüdischen Herkunft des Dichters auf sein Denken und sein literarisches Schreiben. Wesentliche Impulse in diesem Bereich der Forschung gab eine Studie von Klaus Briegleb, der jüdische Themen und Motive in Heines Dichtungen und Schriften untersucht und in ihrer Gebrochenheit als Signum der beginnenden Moderne gedeutet hat. (Briegleb 1997) Als weitere, die Forschung vorantreibende Studien sind die Arbeiten von Robert C. Holub, der die Frage betrachtet, inwiefern Heines kritische Perspektive auf die deutsche Romantik im Kontext der Diskurse der jüdischen Geistesgeschichte zu verstehen ist (Holub 1997), die Analyse von Walter Grab, die Momente jüdischen Denkens in Heines Dichtungen untersucht (Grab 1998), sowie die Arbeit von Regina Grundmann (Grundmann 2008), zu nennen, die neben Jeffrey Grossman (Grossman 2002) zugleich einen Überblick über die in diesem Themenspektrum diskutierten Fragen auf einem aktuellen Stand der Forschung bietet.
Die Beschäftigung mit den jüdischen Einflüssen auf das Denken Heines hat auch im Bereich der Deutungen einzelner Werke neue Ansätze hervorgebracht. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Studien von Bernd Witte zu dem Erzähltext Der Rabbi von Bacherach (Witte 1997) und von Hartmut Steinecke zu dem späten Gedicht Jehuda ben Halevy (Steinecke 2000) als richtungsweisend zu nennen.
Heine als politischer Schriftsteller
Die Konstruktionen der literarischen Persona haben auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem politischen Schriftsteller Heine beeinflusst. Dieser Bereich der Forschung hat zwar von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre die meiste Beachtung gefunden, was die sozial- und geistesgeschichtlich orientierten Studien von Walter Hinck (Hinck 1990) und Walter Grab (Grab 1992) in großen Zügen zusammenfassend darstellen, ist aber in den vergangenen Jahren in Bezug auf den den politischen europäischen Einigungsprozess begleitenden philologisch-historischen Europa-Diskurs neu konturiert worden. So hat Stefan Bodo Würffel in diesem Kontext die Identitätsproblematik bei Heine untersucht (Würffel 1999) und Renate Stauf die Europaentwürfe von den frühen, in Deutschland entstandenen Schriften bis zu dem Spätwerk, in dem ihr Scheitern explizit wird, nachgezeichnet. (Stauf 1997) Das Spannungsfeld von nationalen und europäischen Gedanken, das Heine in seinen Werken thematisiert, ist des Weiteren von Albrecht Betz (Betz 1997) und von Annemarie Mejcher-Neef (Mejcher-Neef 2003) grundlegend behandelt worden.
Literaturgeschichtliche Einordnung
Vor diesem Hintergrund hat die Forschung auch das Verhältnis Heines zu der Literatur der Aufklärung und Romantik neuerlich fokussiert. Dies wird nicht nur in den Ergebnissen einer Tagung in den Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1995 (Winkler 1997), der Arbeit von Maria-Christina Boener, welche die Anverwandlungen der romantischen Theoriebildung in den Prosaschriften Heines untersucht (Boener 1998) oder der Studie von Sandra Kerschbaumer, die dem Einfluss der frühromantischen Ästhetik auf den Schriftsteller nachgeht (Kerschbaumer 2000), deutlich, sondern auch in der Arbeit von Peter Bürger, der Heines Denken vor dem Hintergrund der Philosophie der Aufklärung interpretiert (Bürger 1999), sowie in dem Sammelband Heinrich Heines 18. Jahrhundert, der die vielfältigen Rekurse Heines auf das Jahrhundert der Aufklärung beleuchtet. (Singh 2006)
Die genannten Untersuchungen dokumentieren den Versuch, zu einem tieferen Verständnis der Position und Bedeutung Heines im Diskurs der Literatur- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zu gelangen. Dieser Ansatz wird auch von jenen Arbeiten verfolgt, welche einerseits die Geschichtsauffassung des Dichters fokussieren und andererseits nach der Position seines Werkes in den prozesshaften Übergängen zur literarischen Moderne fragen. In diesem Zusammenhang sind die Studien von Jürgen Ferner (Ferner 2000) und Dorothee Kimmich (Kimmich 2002) als grundlegend anzuführen, die Heines geschichtsphilosophische Reflexionen im Spannungsfeld der Literatur seiner Zeit betrachten. Bedeutende Impulse in diesem Feld der Forschung haben aber auch die französischsprachigen Arbeiten von Michel Espagne (Espagne 1998) und Michael Werner (Werner 1998) gegeben.
Heine und die Moderne
Demgegenüber gehören – wie die älteren, aber gleichwohl noch aktuellen Studien von Jürgen Habermas (Habermas 1987) und Gerhard Höhn zeigen (Höhn 1994) – Fragen nach der Genealogie des Intellektuellen in der Moderne schon seit längerem zu den vielbeachteten Problemen der Heine-Forschung. Fortgeschrieben wurde dieser Diskurs durch die Arbeiten von Bernd Witte (Witte 1998) und Peter-Uwe Hohendahl. (Hohendahl 1996) Ebenfalls mit der Bedeutung des Schriftstellers für die ästhetische Moderne hat sich Gerhard Höhn in seinen Betrachtungen über Heine und Friedrich Nietzsche auseinandergesetzt. (Höhn 1997) Wegweisend sind ferner die Studien, in denen Peter Uwe Hohendahl aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Stellung Heines innerhalb der europäischen Moderne analysiert und einordnet. (Hohendahl 2008)
Das Spätwerk
Vor diesem Hintergrund sind zwei weitere Bereiche anzuführen, die in den vergangenen Jahren ebenfalls Beachtung gefunden haben. Zum einen ist dies die Auseinandersetzung mit dem Spätwerk des Dichters, dem über lange Zeit im wissenschaftlichen Diskurs eine nur geringe Bedeutung beigemessen wurde. Grundlegende Impulse verdankt dieser Bereich der Heine-Forschung immer noch der Studie von Dolf Oehler. (Oehler 2000) Die Fokussierung der nach 1848 entstandenen Dichtungen und Schriften Heines hat darüber hinaus zahlreiche Einzelinterpretationen hervorgebracht. So hat eine Potsdamer Tagung die unter dem Titel Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben zusammengefassten und zu einem geschlossenen Ganzen verbundenen Korrespondenzberichte neu bewertet (Pistiak/Rintz 2007), während andere Studien das lyrische Spätwerk eingehenden Untersuchungen unterzogen haben. (Cook 1998; Pistiak 1999)
Heines Poetik
In den Kontext dieser Arbeiten gehört auch die Beschäftigung mit der dem Werk zugrunde liegenden Poetik, die Jacob Hessing vor allem vor dem Hintergrund jüdischer Diskurse beleuchtet hat (Hessing 2005), und die Studie von Madleen Podewski, welche die Implikationen der romantischen Theorie für das Werk Heines und die Genese seiner poetologischen Positionen im Spannungsfeld der idealistischen Ästhetik betrachtet hat. (Podewski 2002) Mit der Frage nach Heines Poetik hat sich auch Bodo Morawe in einer Studie auseinandergesetzt. Aus der hermeneutischen Reflexion über die in Frankreich entstandenen Werke des Dichters entwickelt er für das Verständnis und die literaturhistorische Einordnung des Gesamtwerkes impulsgebende Vorstellungen. (Morawe 2010–2011)
Heine als Mythologe
Zum anderen sind die mythologischen Diskurse im Werk Heines in den Blickpunkt gerückt. Entscheidende Anregungen zu der Auseinandersetzung Heines mit der griechisch-römischen und der germanischen Mythologie hat die neuere Forschung der Arbeit von Robert C. Holub zu verdanken. (Holub 1997) Nicht zuletzt haben Ernst Behler (Behler 1999) sowie Renate Schlesier (Schlesier 2001) diesen, in der älteren Forschung vernachlässigten Bereich des Werkes beleuchtet und in den Zusammenhang der Reflexionen über die Mythologie, die den literarischen Diskurs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten, eingeordnet.
Intertextualität und Intermedialität
Als letzter großer Aspekt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk Heines soll an dieser Stelle das von den theoretischen Diskursen der Kulturwissenschaft wesentlich beeinflusste Interesse an intertextuellen und intermedialen Relationen in seinen Dichtungen und Schriften genannt werden. Dieser Bereich ist einerseits im Sinne der traditionellen Einflussforschung untersucht worden. Unter den zahlreichen Arbeiten hierzu bieten die Beiträge einer Londoner Konferenz im Jahr 1997 einen umfassenden Überblick. (Reed/Stillmark 2000) Andererseits haben neuere Studien die Frage nach der Funktion der Literarisierung von Musik und bildender Kunst, also der transmedialen Verwandlungsprozesse, für die Schreibart und die Poetik des Dichters aufgeworfen. Insbesondere die Vorträge einer Tagung in Düsseldorf im Jahr 2006 vermögen eine Übersicht über den aktuellen Stand der Debatten in diesem Bereich zu geben. (Herwig 2007)
Bereits in diesem knappen Überblick über die wesentlichen Entwicklungstendenzen der Heine-Forschung der vergangenen Jahre zeigt sich, dass die wissenschaftliche Diskussion zwar zahlreiche neue Horizonte in der Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller eröffnet hat, aber gleichwohl als ein „work in progress“ verstanden werden muss. Zugleich dokumentiert sie die Relativität jener, in dem Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung geprägten, Vorstellung eines wissenschaftlichen Fortschrittes für die philologisch-philosophischen Disziplinen. Lediglich in dem Bereich positiver Erkenntnisse über das Leben des Dichters, die Zeitumstände sowie die Entstehungs- und Druckgeschichten seines Werkes hat es quantifizierbare Weiterentwicklungen des Wissensstandes gegeben. Im Bereich der hermeneutischen Beschäftigung mit seinen Dichtungen und Schriften spiegeln sich in den Diskussionen und Debatten, die in den vergangenen Jahren geführt worden sind, zu einem Teil auch die Fragen und Probleme unserer Gegenwart. Das Werk des Dichters ist ein Reflexionsraum, dem das Potential eingeschrieben ist, auch den Diskursen nachfolgender Generationen Anregungen und Impulse zu geben. In diesem Sinne liegt in ihm die Aufforderung an kommende Leser, auf ihre eigenen Fragen eigene Antworten zu finden.
Französische Revolution 1789
Heinrich Heine lebte in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Nur wenige Jahre vor seiner Geburt im Jahr 1797 hatte am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution begonnen. Bereits den Zeitgenossen galt diese Volkserhebung als Signum und sichtbares Zeichen des Zerfalls der feudalen Herrschaftsordnung. Wenige Jahre nach der Geburt Heines hatte dieser Erosionsprozess auch die deutschen Staaten erreicht: Napoléon Bonaparte besetzte mit seinen Armeen weite Teile des Reiches und zwang in der Konsequenz den Habsburger Franz II. am 6. August 1806 zum Verzicht auf die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. (Mazohl-Wallnig 2005)
Befreiungskriege
Wenngleich jenes Staatsgebilde, das Mitteleuropa für mehr als eintausend Jahre geprägt hatte, damit erloschen war, fanden sich die alten Feudalmächte in den Jahren 1813 bis 1815 in den sogenannten Befreiungskriegen zusammen, um gemeinsam gegen Napoléon und die Hegemonialstellung des revolutionären Frankreichs in Europa zu kämpfen. In der Schlacht bei Waterloo im Juni 1815 gelang der entscheidende Sieg über das letzte napoleonische Heer. Der Kaiser der Franzosen wurde gefangen gesetzt und in die Verbannung auf die abgelegene Insel St. Helena im südlichen Atlantik geschickt. Nachfolgend trafen sich die Vertreter aller europäischen Mächte in Wien, um nach zwei Jahrzehnten des Krieges, während derer nach dem Machtkalkül Napoléons Staaten entstanden und wieder untergegangen waren, Grenzen neu gezogen und wieder aufgehoben worden waren, Monarchen ein- und wieder abgesetzt worden waren, eine stabile und dauerhafte Ordnung auf dem Kontinent zu etablieren.
Wiener Kongress
Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress war in erster Linie das Werk des österreichischen Staatskanzlers Clemens Fürst von Metternich. Unter der Ägide dieses konservativen Diplomaten setzte die Friedenskonferenz im Wesentlichen drei Prinzipien um: dasjenige der Restauration, also der Wiederherstellung des politischen Zustandes von 1792 (jener Ordnung, die vor dem Beginn des Ersten Koalitionskrieges bestanden hatte), dasjenige der Legitimität, also die erneute Festschreibung unveränderlicher dynastischer Ansprüche der alten Feudalherrscher, und dasjenige der Solidarität, also die gemeinsame Politik der europäischen Fürsten zur Abwehr von revolutionären Gedanken und Erhebungen.
Deutscher Bund
Für die deutschen Staaten auf dem Gebiet des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war das entscheidende Ergebnis der Wiener Schlussakte die territoriale Neuordnung und darauf basierend die Gründung des Deutschen Bundes, eines föderalen Zusammenschlusses von 39 auf dem alten Reichsgebiet entstandenen Mitgliedsstaaten mit einem ständigen Gesandtenkongress unter österreichischem Vorsitz in Frankfurt am Main. Zentrale Merkmale dieser politischen Ordnung, welche die deutschen Länder bis zum Krieg des Jahres 1866 bestimmen sollte, waren die völkerrechtliche Unabhängigkeit jedes einzelnen Mitgliedes und die schwache Position der Zentralorgane.
Einerseits gelangte Deutschland mit dieser friedlichen staatlichen Neuorganisation nach langen Jahren des Krieges, der Unruhe und der Unsicherheit zu geordneten politischen Verhältnissen, was von den Zeitgenossen durchaus begrüßt wurde. Andererseits war die neue Ordnung gekennzeichnet durch die verweigerte Teilhabe der Mehrheit der Gesellschaft an politischen Entscheidungen, den restaurierten Primat des Adels sowie das zunehmend repressive Vorgehen der Regierungen gegen als „Demagogen“ verfolgte liberale Gruppierungen, die von den Monarchen Verfassungen, Bürgerrechte, politische Mitbestimmung, das Ende des Partikularismus sowie die Einheit Deutschlands forderten.
Karlsbader Beschlüsse – Exil
Solche liberalen, demokratischen und nationalen Reformerwartungen waren bereits in dem von Studenten aus ganz Deutschland anlässlich der 300. Wiederkehr von Martin Luthers Wittenberger Thesenanschlag und des vierten Jahrestages der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig initiierten Wartburgfest – das in der Verbrennung der zwei Jahre zuvor ratifizierten Bundesakte sowie als reaktionär angesehener Schriften gipfelte – im Jahr 1817 öffentlich geworden. Die politisch motivierte Ermordung des Schriftstellers und zaristisch-russischen Staatsrates August von Kotzebue durch den Jenaer Theologiestudenten Karl Ludwig Sand im März 1819 bot den Regierungen unter Federführung Metternichs in der Folge den äußeren Anlass, aus Gründen der Sicherheit und der Staatsraison Maßnahmen gegen liberale und nationale Bestrebungen zu ergreifen. Auf einer Geheimkonferenz in dem nordböhmischen Kurort Karlsbad verabschiedeten Vertreter der deutschen Bundesstaaten noch im selben Jahr Gesetzesvorlagen, die in der Geschichtsschreibung unter der Bezeichnung Karlsbader Beschlüsse zusammengefasst worden sind. Sie beinhalteten neben der strengen Beaufsichtigung der Universitäten und der Einrichtung einer „Central-Untersuchungs-Commission“ mit Sitz in Mainz, welche die Aufgabe hatte, die nationale und liberale Bewegung zu beobachten, die Einführung von restriktiven Zensurmaßnahmen für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Flugschriften und alle Druckschriften, die im Gebiet des Deutschen Bundes gedruckt oder vertrieben werden sollten. Obwohl die Behörden diese Vorgaben in den einzelnen Staaten unterschiedlich umsetzten, galten die Zensurgesetze im gesamten Deutschen Bund. Des Weiteren etablierte sich ein ausdifferenziertes Netz von Geheimpolizisten und Spitzeln, das die Aufgabe hatte, revolutionäre Bestrebungen und liberale Gruppen zu unterlaufen und den Behörden zur Anzeige zu bringen. Als Folge dieser Politik wurden zahlreiche oppositionelle Schriftsteller und Intellektuelle verfolgt und verhaftet, während andere ihre deutsche Heimat verließen. Vor allem in der Schweiz, in Frankreich und in Belgien, aber auch in England und den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden auf diese Weise größere deutsche Exilgemeinschaften. Die Namen von Heinrich Heine, Ludwig Börne und Karl Marx sind lediglich die prominentesten unter denjenigen zahlreicher in diesen Jahren in das Exil geflüchteter Deutscher. – So lebten beispielsweise in Paris im Jahr 1830, also ein Jahr bevor Heine in die französische Hauptstadt übersiedelte, siebentausend Bürger deutscher Staaten, 1848, im Jahr der Revolution, waren es bereits 62 Tausend.
Trotz der restriktiven staatlichen Maßnahmen und Verfolgungen, die auf die Einschränkung und das Verbot politischer Betätigung zielten, waren die Jahre, die der Revolution im März 1848 vorausgingen und die deshalb als Vormärz charakterisiert worden sind, eine Zeit, in der politische Spannungen keineswegs nur latent, unter der Oberfläche gärten. Insbesondere die französische Juli-Revolution des Jahres 1830 führte zu einem Erstarken des politischen Protests auch in den deutschen Ländern, was unter anderem das als „Nationalfest der Deutschen“ begangene, sogenannte Hambacher Fest im Mai 1832 dokumentiert. Anhänger der Opposition (unter ihnen abermals zahlreiche Studenten) versammelten sich auf der Ruine des Hambacher Schlosses in der damals zu Bayern gehörenden Südpfalz und forderten einen deutschen Nationalstaat, Freiheit und in einer Verfassung kodifizierte Bürgerrechte. Die politische Situation eskalierte in diesen Jahren nicht nur aufgrund des Eindruckes, den die französische Volkserhebung in Deutschland hervorrief. Viele Menschen sahen sich auch in den nach 1815 gegebenen, aber in der Konsequenz nicht eingehaltenen Verfassungsversprechen der deutschen Fürsten getäuscht.
März-Revolution 1848
Gleichwohl konnte die stabile, aber repressive Ordnung auch nach der Revolution des Jahres 1848 ihren Fortbestand sichern. Zwar griffen die Februar-Unruhen in Frankreich im März des Jahres auch auf Deutschland über, zwar kam es in vielen deutschen Staaten zu Volkserhebungen und blutigen Barrikadenkämpfen, der Versuch aber der in der Frankfurter Paulskirche zusammengetretenen Nationalversammlung, die staatliche Einheit Deutschlands und eine Verfassung zu etablieren, misslang, nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm angetragene deutsche Kaiserwürde mit dem Argument ablehnte, er könne keine Krone aus der Hand des Volkes akzeptieren.
Das Scheitern dieser Bestrebungen, das gleichbedeutend ist mit dem Scheitern der März-Revolution von 1848, führte in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem neuerlichen Erstarken der politischen Restauration und zu einer Konsolidierung der bestehenden Machtstrukturen. Wie viele Schriftsteller und Intellektuelle hat Heine diese Entwicklungen in seiner deutschen Heimat während der letzten Jahre seines Lebens mit Hoffnungslosigkeit und Resignation betrachtet und in seinen Werken literarisch reflektiert.
Seine Schriften thematisieren jedoch nicht nur die Konflikte zwischen Konservativen und Liberalen, Monarchisten und Republikanern, restaurativen und fortschrittlichen Kräften in den deutschen Staaten, sondern auch die politischen Verhältnisse in seiner französischen Wahlheimat. Auch jenseits des Rheins vollzog sich nach dem Wiener Kongress eine Restauration der feudalabsolutistischen Mächte. Im Gegensatz zu den übrigen europäischen Ländern hatte die Revolution des Jahres 1789 jedoch in Frankreich ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass ein Umsturz der politischen Verhältnisse, dass eine Beteiligung weiter Teile der Bevölkerung an der politischen Meinungsbildung möglich ist, weshalb die nach dem Wiener Kongress restaurierte Herrschaft der Bourbonenkönige Ludwig XVIII. und Karl X. in den Jahren bis 1830 zwar für über ein Jahrzehnt Bestand hatte, aber gleichwohl von politischen Unruhen geprägt war.
Juli-Revolution 1830
Die gesellschaftlichen Spannungen entluden sich schließlich in der Juli-Revolution des Jahres 1830, die eine Revision der Verfassung, die Abschaffung des Katholizismus als Staatsreligion, eine Erweiterung des Wahlrechts, eine Kommunalreform und Aufhebung der Pressezensur zur Folge hatte; nicht zuletzt erzwangen die Straßen- und Barrikadenkämpfe die Abdankung des ungeliebten Bourbonen-Königs Karl X. An seine Stelle trat als sogenannter Bürgerkönig Louis-Philippe, Herzog von Orléans, der sich zwar bis zur Februar-Revolution des Jahres 1848 an der Macht behaupten konnte, dessen Regierungszeit jedoch von außenpolitischen und wirtschaftlichen Krisen sowie innenpolitischen Skandalen überschattet war. Vor allem die fortschreitende Industrialisierung führte zu einer Verarmung weiter Bevölkerungsschichten und der Herausbildung eines städtischen Proletariats.
Zweite Republik – Zweites Kaiserreich
Die ca. 860 Tausend Einwohner zählende französische Hauptstadt, in die Heine 1831 übersiedelte, war die größte Stadt auf dem europäischen Kontinent. Indem die Juli-Monarchie unter dem Einfluss von Bankiers, Aktionären und Großindustriellen stand, konnte der deutsche Dichter in Paris exemplarisch die Widersprüche, Umbrüche und Verwerfungen einer Gesellschaftsordnung beobachten, die von kapitalistischen Machtstrukturen beherrscht wurde. (Willms 1988) Die hieraus erwachsenden sozialen Spannungen kulminierten schließlich im Februar 1848 in einer erneuten Volkserhebung, in deren Folge Louis-Philippe seinerseits zur Abdankung gezwungen wurde. Es kam zur Ausrufung der Zweiten Republik als deren erster Präsident ein Neffe Napoléon I. Bonapartes gewählt wurde. Das Scheitern des revolutionären Gedankens, das in Deutschland im Fortbestand des Deutschen Bundes und der reaktionären Politik der Regierungen in den fünfziger Jahren sichtbar wurde, spiegelt sich in Frankreich in dem Staatsstreich vom Dezember 1851 und der Auflösung des Parlaments. Ein Jahr später, im Dezember 1852 begann das Zweite Kaiserreich, an dessen Spitze Napoléon III. stand, als „Kaiser der Franzosen durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation“.
Diese bedeutenden und die Geschichte bis weit in das 20. Jahrhundert prägenden politischen Entwicklungen in den ersten fünf Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind maßgeblich auch von jenen technischen und ökonomischen Neuerungen und Umwälzungen beeinflusst worden, die ihren Anfang in Großbritannien in der Mitte des 18. Jahrhunderts genommen haben und zunächst Frankreich und phasenverschoben, ab den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, auch die deutschen Staaten erreichten. Die Geschichtsschreibung hat diese Modernisierungsprozesse mit dem Begriff Industrielle Revolution gekennzeichnet, womit bereits terminologisch die Radikalität und die die Gesellschaft grundlegend verändernde Dynamik dieser Entwicklung zum Ausdruck kommen.
Industrielle Revolution
Die dampfbetriebenen Arbeitsmaschinen, deren Prinzip der Brite James Watt im Jahr 1769 entwickelt hatte, veränderten alle Bereiche der Produktion. Sie wurden eingesetzt in der Eisen- und Stahlindustrie, für den Kohleabbau (über und unter Tage), in der Textilindustrie (den Spinn- und Webmaschinen), in der Metallverarbeitung, dem Maschinenbau und dem Druckereiwesen. Nicht zuletzt revolutionierte der Dampf auch das Transportwesen. Auf dem europäischen Kontinent entstand, nach britischem Vorbild, ab den dreißiger Jahren ein im Laufe des Jahrhunderts immer dichter werdendes Netz von Eisenbahnverbindungen, das den Transport von Waren und Menschen grundlegend veränderte. Ebenfalls wurden die alten Segel- und Treidelschiffe, die den Warenverkehr auf den Flüssen und dem Meer seit jeher bestimmt hatten, von Dampfschiffen verdrängt.