»Es gibt keinen besseren Weg,
fortlaufend den Geist zu erweitern,
als es sich zur Gewohnheit zu machen,
regelmäßig gute Literatur zu lesen.«
STEPHEN R. COVEY
Weitere Bücher von Stephen R. Covey
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Die 7 Wege zur Effektivität für Jugendliche
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Die 6 wichtigsten Entscheidungen für Jugendliche
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Gemeinsam Konflikte klären, Probleme lösen und große Ziele erreichen
Aus dem Amerikanischen von Nikolas Bertheau
Die amerikanische Originalausgabe »The 3rd Alternative« erschien 2011
bei Free Press, New York, USA.
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© 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf der 3., vollständig überarbeitete Auflage des unter der ISBN 978-3-86936-428-5 erschienenen gleichnamigen Titels. © 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
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ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-099-5
ISBN epub: 978-3-96740-178-3
3., vollständig überarbeitete Auflage des unter der ISBN 978-3-86936-428-5 erschienenen gleichnamigen Titels.
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Die 3. Alternative – ein Herzensprojekt!
I. Der Wendepunkt
II. Die 3. Alternative: Der bahnbrechende Weg der Problem- und Konfliktlösung
III. Die 3. Alternative und das Prinzip der Synergie
IV. Die 3. Alternative und die 4 Paradigmen der Synergie
V. Die 3. Alternative und der Prozess der Synergie
VI. Die 3. Alternative im Beruf
VII. Die 3. Alternative in der Familie
VIII. Die 3. Alternative in Politik und Gesellschaft
IX. Die 3. Alternative im eigenen Leben
X. Von innen nach außen
Anmerkungen
Über die Autoren
Über FranklinCovey
Wann immer Dinge aus mehreren Teilen zusammengesetzt sind, ist das Ganze mehr als nur die Summe seiner Teile.
ARISTOTELES
Synergie ist der einzige Begriff unserer Sprache, der ein Verhalten ganzer Systeme beschreibt, das nicht aus den getrennten Verhaltensweisen separater Bestandteile oder Teilsysteme bestimmt werden kann.
BUCKMINSTER FULLER
Synergie: 1. Energie, die für den Zusammenhalt und die gemeinsame Erfüllung von Aufgaben zur Verfügung steht.
2. (= Synergismus) Das Zusammenwirken von Substanzen oder Faktoren, die sich gegenseitig fördern.
DUDEN FREMDWÖRTERBUCH
Synergie ist, wenn das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile.
VIERTKLÄSSLER AN DER A. B. COMBS ELEMENTARY SCHOOL, RALEIGH, NORTH CAROLINA
Für Sandra, meine Frau und ewige Freundin voller Leben, Licht und Hoffnung
Das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, war ein Herzensprojekt meines Vaters. Mit der 3. Alternative wollte mein Vater uns alle dazu ermutigen, völlig neue Wege im Umgang mit Problemen und Konflikten zu beschreiten. Er wollte uns motivieren, unsere Meinungsverschiedenheiten zur Seite zu legen, Hand in Hand zusammenzuarbeiten und gemeinsam kreative Lösungen zu finden, die viel besser und viel größer sind als alles, was jeder von uns allein jemals zustande gebracht hätte.
Der Schlüssel, um 3. Alternativen zu schaffen, ist Synergie. Synergie ist nicht dasselbe wie ein Kompromiss. Bei einem Kompromiss ergibt 1 plus 1 bestenfalls 1,5. Jeder verliert etwas. Synergie ist weit mehr als die Lösung eines Konflikts. Wenn wir gemeinsam Synergie schaffen, wachsen wir über den Konflikt hinaus. Wir entwickeln etwas völlig Neues, das uns alle begeistert und die Zukunft verändert. Synergie ist besser als mein Weg oder dein Weg. Es ist unser Weg.
Mein Vater war überzeugt: Synergie ist nicht nur die Antwort auf unsere Probleme und Konflikte. Es ist das Prinzip, das allen wirklich neuen Dingen auf der Welt zugrundeliegt. Synergie ist der Schlüssel zu wahren Quantensprüngen in unserer Produktivität und die treibende Kraft hinter jeder echten Kreativität.
Wenn Sie sich auf die 3. Alternative einlassen, wird Synergie auch Ihr Denken und Ihr Leben verändern. Denn: Synergie ist ein echter Gamechanger – für jeden Einzelnen von uns, für unsere Unternehmen und für unsere Gesellschaft.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und viele überraschend wirksame Lösungen mit der 3. Alternative!
Ihr Sean Covey
Präsident FranklinCovey Education & Autor des New York Times-Bestsellers Die 7 Wege zur Effektivität für Jugendliche
Das Leben ist voller Probleme. Scheinbar unlösbarer Probleme. Persönlicher Probleme. Familiärer Probleme. Beruflicher Probleme. Probleme in unserer Nachbarschaft und in der großen weiten Welt.
Eine Ehe, die einmal so wunderbar begann, wird zunehmend zur Qual. Wir entfremden uns von unseren Eltern, Geschwistern, Kindern. Unsere Arbeit überfordert uns, frisst uns auf. Oder wir werden einer Gesellschaft überdrüssig, in der jeder gegen jeden kämpft und die allgemeine Niedergeschlagenheit jede Initiative im Keim erstickt. Wir fürchten uns vor der Kriminalität und ihrem Einfluss auf unsere Lebenswelt. Wir beobachten täglich die Ohnmacht unserer Politiker. Wir sehen die Spätnachrichten und glauben nicht mehr, dass die ewigen Konflikte zwischen den Menschen und den Nationen jemals gelöst werden können. Wir resignieren, streichen die Segel oder lassen uns zu einem Kompromiss breitschlagen, der uns nicht zufriedenstellt.
Deshalb schreibe ich dieses Buch. Es handelt von einem Prinzip, das so elementar ist, dass es unser aller Leben und die ganze Welt auf den Kopf stellen wird. Davon bin ich überzeugt. Es ist die Essenz dessen, was ich in langen Jahren von den Menschen gelernt habe, die in ihrem Leben wirklich erfolgreich sind. Es ist der Schlüssel zur Lösung der schwierigsten Herausforderungen, die das Leben zu bieten hat.
Alle Menschen schlagen sich mit irgendwelchen Problemen herum. Die meisten ertragen tapfer ihr Schicksal und hoffen auf eine bessere Zukunft. Manche stehen körperlich und seelisch unter Dauerstress – einem Stress, der in jeder Hinsicht real ist. Wer das Prinzip, das ich in diesem Buch beschreibe, verinnerlicht und danach lebt, wird seine Probleme meistern und sich eine Zukunft aufbauen, die seine kühnsten Träume übertrifft. Ich habe dieses Prinzip nicht erfunden – es war schon immer da. Aber wer es für sich entdeckt, für den wird es vielleicht die größte Offenbarung seines Lebens. Hier sind einige Situationen, in denen Sie von diesem Prinzip profitieren können:
Über 40 Jahre lang habe ich Hunderttausende mit dem fundamentalen Prinzip aus diesem Buch vertraut gemacht. Unter ihnen waren Schulkinder, CEOs aus internationalen Großkonzernen, Promotionsstudenten, Staatschefs aus über 30 Ländern und alles dazwischen. Meine Herangehensweise war jedes Mal dieselbe. Auch dieses Buch hat den Kinderspielplatz, die Vorstandsetage und die heimische Küche gleichermaßen im Blick.
Bei FranklinCovey haben wir Menschen rund um den Globus nach ihren wichtigsten privaten und beruflichen Schwierigkeiten und den drängendsten Problemen der Welt gefragt. Die Umfrage war nicht repräsentativ. Uns ging es darum, herauszufinden, was Leuten aus den verschiedensten Kontinenten und Berufsgruppen besonders große Sorgen bereitet:
Das ist eine Momentaufnahme der Ängste und Sorgen unserer Freunde und Nachbarn. Ich nehme an, dass die Antworten auch bei der nächsten Befragung nicht viel anders ausfallen werden. Der wachsende Druck führt dazu, dass das Klima unter den Menschen rauer wird. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der unpersönlichen Kriege, während das 21. Jahrhundert von individueller Feindseligkeit geprägt zu sein scheint. Familien streiten sich, aus Kollegen werden Rivalen, Cybermobbing greift immer weiter um sich, die Gerichte sind hoffnungslos überlastet und Fanatiker ermorden Unschuldige. Die wachsenden Spannungen machen uns krank. Wie also lösen wir unsere schärfsten Konflikte? Wie gehen wir unsere schwierigsten Probleme an?
Das führt zu nichts. Im Gegenteil! So wird alles nur noch schlimmer: Krieg bringt neue Kriege hervor; Opfer werden von anderen abhängig; wer die Realität leugnet, wird von ihr schmerzhaft eingeholt; der Zyniker tritt auf der Stelle. Und wer tut, was er immer schon getan hat, und hofft, dass diesmal etwas ganz anderes dabei herauskommt? Der lügt sich selbst in die Tasche. Ich denke, Albert Einstein hatte recht: »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Oder anders gesagt:
Um unsere schwierigsten Probleme zu lösen, müssen wir unser Denken von Grund auf verändern.
Genau darum geht es in diesem Buch. Während Sie es lesen, befinden Sie sich gewissermaßen auf der Schwelle zwischen Ihrer Vergangenheit und Ihrer Zukunft. Einer völlig neuen Zukunft, von der Sie nicht einmal zu träumen gewagt haben. Wenn Sie das Schlüsselprinzip aus diesem Buch konsequent im Alltag umsetzen, werden Sie ein ungeahntes Talent für Veränderungen in sich selbst entdecken. Vielleicht gestalten Sie die Jahre, die vor Ihnen liegen, dann völlig anders als bisher erwartet. Dann werden Sie Barrieren überwinden, die andere für unbezwingbar halten. Die 3. Alternative kann Ihnen die Tür zu einem Leben öffnen, das bis zum letzten Atemzug sinnerfüllt ist. Einem Leben, in dem Sie einen wertvollen Beitrag für andere leisten und ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen.
Die 3. Alternative
Für alle Probleme, auch für die scheinbar unüberwindbaren, gibt es einen Lösungsweg. Dieser Weg zieht sich durch nahezu alle Gräben des Lebens. Es ist ein Weg, der in die Zukunft führt. Es ist nicht Ihr Weg und auch nicht meiner. Es ist ein höherer Weg. Und er ist weitaus besser, als man es je hätte erträumen können. Ich nenne diesen Weg »die 3. Alternative«.
Die meisten Konflikte haben zwei Seiten. Wir sind es gewohnt, »meine Gruppe« gegen »deine Gruppe« zu stellen. Meine Gruppe ist gut – deine ist schlecht oder zumindest »weniger gut«. Meine Gruppe hat recht – deine Gruppe irrt und ist womöglich im Unrecht. Meine Motive sind ehrlich – deine nicht. Meine Partei, meine Gruppe, mein Land, mein Kind, mein Arbeitgeber, meine Meinung: Meine Seite steht gegen deine Seite. Hier gibt es nur ein 2-Alternativen-Denken. Daraus erklärt sich die Aufspaltung in Progressive und Konservative, Mitarbeiter und Arbeitgeber, Anwälte und Gegenanwälte, Kinder und Eltern, Land und Stadt, Käufer und Verkäufer, Partner und Partnerin, Umweltschützer und Bauunternehmer, Sozialisten und Kapitalisten, Fromme und Ungläubige. Und daraus erklären sich Rassismus, Vorurteile und Krieg.
Beide Extreme beruhen jeweils auf einem bestimmten gedanklichen System. Das gedankliche System des Umweltschützers beispielsweise basiert auf der Wertschätzung der Natur. Das gedankliche System des Bauunternehmers stellt menschliche Gemeinschaften und ihre wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt. Meist sind beide Seiten felsenfest davon überzeugt, dass ihr Weg der richtige ist. Woran das liegt? Unser gedankliches System ist eng verflochten mit unserer Identität. Indem ich mich als Umweltschützer, Konservativer oder Lehrer bezeichne, bringe ich meine Überzeugungen und Werte zum Ausdruck. Zudem beschreibe ich, wer ich bin. Wenn Sie meine Seite angreifen, greifen Sie auch mich und mein Selbstverständnis an. Im Extremfall können sich solche Identitätskonflikte zu Kriegen ausweiten.
Wie können wir ein so tief verwurzeltes 2-Alternativen-Denken überwinden? Entweder wir kämpfen oder wir geben uns mit einem Kompromiss zufrieden. Deswegen enden viele Bemühungen um eine Konfliktlösung in der Sackgasse. Denn:
Die wahre Ursache des Problems liegt nicht in der Sache an sich, sondern an unseren unterschiedlichen Denkweisen. Oder anders ausgedrückt: Das wahre Problem sind unsere Paradigmen.1
Das Wort »Paradigma« bezeichnet ein Denkmuster, das sich auf unser Verhalten auswirkt. Es ist wie eine Landkarte, die uns hilft, unsere Marschrichtung festzulegen. Aus dem, was wir sehen, folgt das, was wir tun. Und unser Tun bestimmt am Ende, was wir erreichen. Ändern sich unsere Paradigmen, ändert sich unser Verhalten und damit auch das Ergebnis.
Wenn ich Umweltschützer bin und mein Paradigma, meine mentale Landkarte, mir nur einen schönen unberührten Wald zeigt, möchte ich ihn schützen. Wenn Sie als Bauunternehmer eine mentale Landkarte haben, auf der an derselben Stelle lediglich unterirdische Ölreserven verzeichnet sind, möchten Sie diese anzapfen. Beide Paradigmen sind richtig. Der unberührte Wald existiert ebenso wie die Ölreserven. Das Problem ist, dass keine mentale Landkarte vollständig ist. Manche mentalen Landkarten mögen detaillierter sein als andere, aber keine ist »vollständig«.
Sehen – Tun – Erreichen
Sehen – Tun – Erreichen: Unsere Paradigmen bestimmen unser Verhalten. Das Verhalten wiederum entscheidet über das Ergebnis. Je nachdem, was wir »tun«, »erreichen« wir bestimmte Resultate, während das, was wir »tun«, eine Folge dessen ist, was wir »sehen«.
Solange ich nur die mentale Landkarte der 1. Alternative, also meine eigene unvollständige Karte, vor Augen habe, sehe ich nur einen Lösungsweg: Ich muss Sie von der Richtigkeit meines Paradigmas überzeugen oder Sie dazu zwingen, meine Alternative zu akzeptieren. Nur so kann ich mein Gesicht wahren. Das Resultat? Ich gewinne und Sie verlieren. Wenn ich aber meine Landkarte wegwerfe und mich stattdessen an Ihrer Landkarte – der 2. Alternative – orientiere, stehe ich vor demselben Problem. Auch für die Vollständigkeit Ihrer Landkarte gibt es keine Garantie, sodass ich diesen Schritt möglicherweise teuer bezahlen muss. Dann gewinnen Sie und ich verliere.
Die 3. Alternative
Die 3. Alternative: Die meisten Konflikte haben zwei Seiten. Die 1. Alternative bezeichnet meinen Weg, die 2. Alternative beschreibt deinen Weg. Durch Synergie erschließt sich uns eine 3. Alternative – unser Weg, ein höherer und besserer Weg der Konfliktlösung.
Wir können aber auch beide Landkarten zusammenlegen. Gemeinsam schaffen wir ein umfassenderes Bild, das beide Sichtweisen berücksichtigt. Ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen und Sie meinen. Das ist ein Fortschritt. Dennoch sind unsere Ziele möglicherweise unvereinbar. Ich möchte, dass der Wald nicht angetastet wird, während Sie immer noch nach Öl bohren wollen. Je besser ich Ihre Landkarte kenne, desto besser kann ich Sie verstehen. Und genau hier wird es interessant. Ich könnte Ihnen eine Frage stellen. Eine Frage, die uns den Weg ebnet, um unseren Konflikt aus der Welt zu schaffen:
»Sind Sie bereit für eine Lösung, die besser ist als alles, was jeder von uns beiden bisher im Sinn hatte?«
Hat Ihnen schon mal jemand diese Frage gestellt? Leider tut das fast niemand. Dabei ist diese Frage nicht nur der Königsweg der Problem- und Konfliktlösung, sondern auch der Schlüssel zur Gestaltung unserer Zukunft!
Synergie
Wir gelangen zur 3. Alternative über einen Mechanismus, den wir als Synergie2 bezeichnen. Synergie ist, wenn 1 plus 1 nicht 2, sondern 10, 100 oder sogar 1000 ergibt! Sie entsteht, wenn zwei oder mehr Menschen beschließen, ihre eigene Sicht der Dinge in den Hintergrund zu stellen, um gemeinsam ein schwieriges Problem zu lösen. Dazu gehören Leidenschaft, Energie und die Begeisterung, etwas Neues zu schaffen, das wesentlich besser ist als alles, was wir bislang im Sinn hatten.
Synergie ist kein Kompromiss. Bei einem Kompromiss ergibt 1 plus 1 bestenfalls 1,5. Bei einem Kompromiss verliert jeder etwas. Ganz anders ist es mit Synergie: Synergie ist nicht nur die Lösung eines Konflikts. Synergie bedeutet, dass wir über den Konflikt hinauswachsen und zu etwas Neuem gelangen, mit dem alle Beteiligten große Hoffnungen für die Zukunft verbinden. Synergie ist besser als mein Weg oder dein Weg. Sie ist unser Weg.
Bislang haben nur wenige verstanden, was Synergie wirklich ist. Oft wird der Begriff verwendet, um unschöne Tatsachen zu verschleiern. So spricht man von »Synergien«, wenn Unternehmen fusionieren und Arbeitsplätze abgebaut werden, um den Aktienkurs in die Höhe zu treiben. Deshalb weckt das Wort »Synergie« bei vielen Misstrauen. Neulich sagte mir ein Freund: »Wenn ich aus dem Mund von Krawattenträgern das Wort ›Synergie‹ höre, weiß ich, dass ich mir Sorgen um meine Altersversorgung machen muss.« Die Menschen sind skeptisch. Sie denken, dass mit »kooperativen Synergien« letztlich nur gemeint ist: »Damit können wir euch noch mehr ausbeuten.« Doch wer voller Misstrauen ist, kann weder kreativ noch kooperativ sein.
Synergie
Synergie: Das natürliche Prinzip, wonach das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Anstelle meines oder deines Weges beschreiten wir den Weg der Synergie, der uns zu weitaus besseren Ergebnissen führt. Gemeinsam sind du und ich viel mehr, als wir alleine sind.
In Wahrheit ist Synergie ein echtes Wunder. Sie ist ein fundamentales Prinzip der Natur, das wir überall beobachten können. Mammutbäume schlingen ihre Wurzeln ineinander, um dem Wind standzuhalten und in unglaubliche Höhen zu wachsen. Grünalgen und Schwämme bilden Flechten, die auf blankem Fels gedeihen, wo sonst nichts wachsen kann. Vögel fliegen in V-Formationen und können so mit wesentlich weniger Kraftaufwand viel weitere Strecken zurücklegen als im Alleinflug. Kleine Partikel in einem Wassertropfen bilden gemeinsam eine große Schneeflocke. Jedes Mal ist das Ganze weitaus mehr als die Summe seiner Teile.
1 plus 1 ist 2. Das gilt allerdings nicht, wenn Synergie ins Spiel kommt. Dann ist 1 plus 1 viel mehr als 2. Gemeinsam können wir Dinge vollbringen, die weit über unsere individuellen Fähigkeiten hinausgehen.
Wenn Menschen gemeinsam Synergie schaffen, bündeln sie ihre Stärken zu einem Ganzen, das die Leistung des Einzelnen bei Weitem übertrifft. Im Sport sprechen wir in diesem Zusammenhang von »Chemie«. Eine gute Chemie verschafft einer Mannschaft Vorteile gegenüber Teams, die vielleicht bessere Einzelspieler, aber keinen so starken Zusammenhalt haben. Die Leistung einer Mannschaft, in der Synergie herrscht, ist viel besser als die Summe der Fähigkeiten der einzelnen Spieler.
Es gibt unzählige Beispiele, die zeigen, wie stark der Lauf der Welt durch Synergieeffekte bestimmt ist. Auch in Ihrer Arbeit und in Ihrem Leben ist Raum für Synergie. Mehr noch: Ohne Synergie herrscht Stagnation. Sie werden nicht besser und entwickeln sich nicht weiter. Wettbewerb und technologischer Wandel nehmen immer weiter zu. Wer es nicht schafft, Synergien zu schaffen, kann auf Dauer nicht bestehen. Keine Synergie – kein Wachstum. Wer sich auf das allgegenwärtige Preisdumping einlässt, steht am Ende ohne Umsatz da. Wer dagegen auf Synergien setzt, wird seinen Umsatz steigern und sich so den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung sichern.
Synergie äußert sich nicht in kontinuierlichen Prozessen. Ein Produkt kann man zwar kontinuierlich verbessern, aber dabei kommt selten etwas wirklich Neues heraus. Nur mit Synergie lassen sich Quantensprünge in der Produktivität erzielen. Synergie ist die Triebfeder hinter jeder echten Kreativität.
Die folgenden Beispiele helfen Ihnen, die Kraft der Synergie zu verstehen:
Arun Gandhi, der Enkel von Mahatma Gandhi, erzählte mir, wie er über das Leben seines Großvaters dachte:
BEISPIEL
Paradoxerweise hätte es ohne Rassismus und Vorurteile wohl keinen Gandhi gegeben. Die Herausforderung und der Konflikt trieben ihn an. Andernfalls wäre aus ihm vielleicht ein erfolgreicher, gut verdienender Anwalt geworden. So aber genügte eine Woche in Südafrika, um ihn die ganze Wucht der rassistischen Vorurteile spüren zu lassen. Wegen seiner Hautfarbe wurde er aus dem Zug geworfen. Das demütigte ihn so sehr, dass er den ganzen Abend im Bahnhof blieb und darüber nachdachte, wie er sich Genugtuung verschaffen konnte. Seine erste Reaktion war Wut. Seine Wut war so groß, dass er an Rache dachte. Er wollte es den Menschen, die ihn gedemütigt hatten, heimzahlen. Aber dann erkannte er: »Das ist nicht der richtige Weg.« Das hätte ihm keinen Frieden gebracht. Vielleicht hätte es sich einen Augenblick lang gut angefühlt. Aber es hätte ihm keine Gerechtigkeit verschafft, sondern den Konflikt noch weiter verschärft. So begann er, seine Philosophie der Gewaltlosigkeit zu entwickeln. Am Ende blieb er 22 Jahre in Südafrika. Und dann ging er und führte die indische Bewegung an. Diese Bewegung mündete schließlich in der indischen Unabhängigkeit – etwas, das niemand sich je hätte träumen lassen.
Gandhi ist mein Held. Er war nicht vollkommen und er verwirklichte auch nicht alle seine Ziele. Aber er lernte aus sich selbst heraus, was Synergie ist. Er erfand eine 3. Alternative: kreative Gewaltlosigkeit. Gandhi überwand das 2-Alternativen-Denken. Er rannte nicht weg, aber er kämpfte auch nicht. Das tun Tiere. Wenn sie in die Enge getrieben werden, kämpfen oder flüchten sie. Genau das tun auch die 2-Alternativen-Denker. Sie schalten auf Angriff oder sie nehmen Reißaus. Gandhi dagegen entschied sich für die 3. Alternative. Er veränderte die Welt, indem er seine Landsleute ohne Waffen und ohne Gewalt in die Unabhängigkeit führte.
BEISPIEL
Nadjas Tochter kam mit Tränen in den Augen aus der Schule. Die 8-Jährige umklammerte ihren Geigenkasten und brach in Tränen aus. Voller Verzweiflung erzählte sie ihrer Mutter, dass die Lehrerin ab sofort keine Musik mehr in der Schule duldete. Je mehr Nadja, die selbst ausgebildete Geigerin war, darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Sie musste den ganzen Abend an die Tränen ihrer Tochter denken. Nachts konnte sie nicht schlafen und überlegte sich, wie sie der Lehrerin die Meinung sagen würde. Am nächsten Morgen hatte sie sich etwas beruhigt. Sie beschloss, nicht gleich in die Offensive zu gehen, sondern erst einmal herauszufinden, was in der Schule vorgefallen war. Noch vor Unterrichtsbeginn sprach sie mit der Lehrerin:
»Meine Tochter spielt so gern Geige. Sie ist unglaublich traurig, dass sie nicht mehr in der Schule üben darf. Deshalb möchte ich gerne wissen, warum das plötzlich nicht mehr erlaubt ist.« Zu ihrer Überraschung brach die Lehrerin in Tränen aus: »Für Musik reicht die Zeit leider nicht mehr. Wir sind mit grundlegenden Dingen wie Lesen und Rechnen völlig ausgelastet. Deshalb haben wir von ganz oben die Anweisung bekommen, die Musikstunden zu streichen.«
Im ersten Augenblick wollte Nadja wutentbrannt über die Schulbehörde herziehen. Dann aber meinte sie: »Es muss eine Möglichkeit geben, den Kindern Musik und die Hauptfächer beizubringen.« Die Lehrerin überlegte kurz: »Natürlich! Musik ist Mathematik!!!« In Nadjas Kopf begann es zu rattern. Ist es nicht möglich, die Grundfähigkeiten auch über die Musik zu erlernen? Sie sah die Lehrerin an, dann lachten beide los, weil sie denselben Gedanken hatten. Bald verbrachte Nadja so viel Zeit wie möglich in der Klasse ihrer Tochter. Gemeinsam mit der Lehrerin nutzte sie die Musik, um den Kindern die verschiedensten Dinge beizubringen. Zwei Achtelnoten ergeben zum Beispiel eine Viertelnote. Es war also problemlos möglich, Brüche nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit Noten zu berechnen. Auch beim Einüben von Gedichten war die Musik ein wunderbares Hilfsmittel. Die Kinder konnten sich die Texte viel besser merken, wenn sie die Gedichte gemeinsam sangen. Geschichte wurde lebendig, nachdem die Schüler die Komponisten und ihre Zeit kennengelernt und ihre Stücke gespielt hatten. Und mit den Sprachen der verschiedensten Länder machten die Schüler hautnah Bekanntschaft, indem sie Volkslieder sangen.
Die Synergie zwischen der musikalischen Mutter und der Lehrerin war genauso wichtig wie die Synergie zwischen der Musik und den Hauptfächern. Die Schüler lernten alles Hand in Hand – und zwar unheimlich schnell. Bald wollten auch andere Lehrer und Eltern den Versuch wagen. Schließlich interessierte sich sogar die Schulbehörde für diese 3. Alternative.
BEISPIEL
In den 1940er-Jahren forderte der Management-professor W. Edwards Deming die amerikanischen Industriellen eindringlich auf, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Doch sie hörten nicht auf ihn. Im Gegenteil: Die Aussicht auf kurzfristige Gewinne verleitete sie dazu, die Qualität ihrer Produkte zu vernachlässigen. Sie sahen nur 2 Alternativen: entweder hohe Qualität oder niedrige Produktionskosten.
Als Deming in Amerika auf taube Ohren stieß, ging er nach Japan. Seine Grundthese lautete: In jeden Herstellungsprozess schleichen sich Fehler ein, die früher oder später die Kunden vergraulen. Deshalb muss sich die Herstellung permanent um die Reduktion der Fehlerquote bemühen. Die japanischen Industriellen verknüpften Demings Idee mit ihrer Kanban-Philosophie, die den Arbeitern die Qualitätskontrolle im Herstellungsprozess überträgt. So entstand etwas völlig Neues – eine 3. Alternative: »Total Quality Management«. Ziel ist die Qualitätsverbesserung bei gleichzeitiger Kostenreduzierung.
Schon bald konnten die amerikanischen Hersteller, die im 2-Alternativen-Denken gefangen waren, nicht mehr mit den immer zuverlässigeren und erschwinglicheren Produkten aus Japan mithalten. Das führte das zu einem wahren Kahlschlag in der amerikanischen Schwerindustrie.
Die gerade genannten Beispiele zeigen: Wer keine 3. Alternative zulässt, muss sich mit weniger Synergie zufriedengeben. Menschen, die im 2-Alternativen-Denken verharren, sehen die Konfrontation und nicht die Kooperation. Für sie gibt es nur ein Gegeneinander, aber kein Miteinander. Sie leiden an einer Form der Farbenblindheit, die sie zwar Blau und Gelb, aber kein Grün erkennen lässt.
Das 2-Alternativen-Denken ist allgegenwärtig. Wir finden es bei Politikern, die einfach weghören, wenn Mitglieder anderer Parteien etwas sagen. Wir sehen es bei Managern, die langfristige Interessen gegen kurzfristige Gewinne eintauschen. Und wir stellen es auch bei Unternehmern fest, die sich als »weitsichtige Visionäre« geben, während ihre Firma kollabiert, weil sie den kurzfristigen Problemen keine Beachtung schenken.
2-Alternativen-Denken
2-Alternativen-Denken: In Konflikten denken wir in der Regel in Begriffen wie »mein Vorschlag« und »dein Vorschlag«. Menschen, die Synergie schaffen wollen, verbinden beide Lösungen oder suchen jenseits dieses strengen 2-Alternativen-Denkens nach einer 3. Alternative.
Wer im 2-Alternativen-Denken verhaftet ist, sieht sein Gegenüber nicht als eigenständigen Menschen, sondern lediglich als Vertreter einer Ideologie. Er hat den Wert unterschiedlicher Sichtweisen nicht erkannt und versucht erst gar nicht, sie zu verstehen. Oberflächlich gibt er sich vielleicht respektvoll, aber in Wahrheit hört er nicht zu. Er zielt allein darauf ab, den anderen zu manipulieren. Seine Unsicherheit überspielt er mit einem offensiven Auftreten – schließlich stehen sein Selbstbild und seine Identität auf dem Spiel. Auf Meinungsverschiedenheiten reagiert er mit der Strategie »aufspüren und zerstören«. Für ihn macht 1 plus 1 nur 0 oder sogar noch weniger. In so einem Umfeld kann keine Synergie entstehen.
Das Heimtückische am 2-Alternativen-Denken ist, dass wir uns leicht davon verführen lassen. Damit ist die Welt so wunderbar einfach. Man kann alles in 2 Kategorien einordnen:
Meine Seite |
Deine Seite |
---|---|
gut |
schlecht |
großzügig |
herzlos |
intelligent |
dumm |
vernünftig |
irrational |
ehrlich |
unehrlich |
Die besten Menschen der Welt |
Die schlechtesten Menschen der Welt |
Die negativen Auswirkungen des 2-Alternativen-Denkens zeigen sich besonders deutlich, wenn wir vor einem Problem stehen, für das es keine gute Lösung zu geben scheint. Hier ein paar Beispiele:
Das Gefühl, sich zwischen Regen und Traufe entscheiden zu müssen, kann lähmend sein. In diesem Zusammenhang ist oft von den »Hörnern« eines Dilemmas die Rede: Der Bulle spießt uns auf – ganz gleich, nach welchem Horn wir greifen. Was tun? Bei denjenigen, die im 2-Alternativen-Denken gefangen sind, ist die Verunsicherung groß. Manche werfen das Handtuch. Andere stürzen sich auf ein »Horn«. Sie versuchen, alle anderen auf ihre Seite zu ziehen, und verteidigen lautstark ihre Meinung. Ihnen ist nicht bewusst, dass es eine 3. Alternative gibt. Sie glauben, dass sie keine Wahl haben. Deshalb greifen sie nach einem der beiden Hörner – um sich dann den Todesstoß versetzen zu lassen. Doch wer seinen Blick auf die 3. Alternative richtet, findet fast immer einen Weg aus dem Dilemma. Nur suchen wir meist erst gar nicht nach diesem Weg. Wir sind fest im 2-Alternativen-Denken verhaftet.
Eine mögliche Reaktion auf die Ausweglosigkeit des 2-Alternativen-Denkens ist, die Suche nach einer Lösung einfach aufzugeben. So gibt es in jeder großen Debatte ein »breites Mittelfeld« von Menschen, die sich weigern, Partei zu ergreifen. Sie identifizieren sich weder mit der einen noch mit der anderen Extremlösung. Sie glauben nicht, dass die Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten, der Ehekrach oder der juristische Disput eine echte Lösung zulassen. Sie sagen: »Wir machen da nicht mit. Wir sind für dieses System nicht geschaffen. Für uns gibt es hier nichts zu lösen.« Das Optimum dessen, was möglich ist, ist in ihren Augen ein Kompromiss.
Der Kompromiss hat einen guten Ruf. Das Wörterbuch beschreibt ihn als »Übereinkunft durch gegenseitige Zugeständnisse«. Vermutlich ist es dem Kompromiss zu verdanken, dass viele Probleme nicht völlig eskalieren. Doch ein Kompromiss führt nicht zu einer »Gewinn-Gewinn«-Situation.3 Im Gegenteil! Ein Kompromiss mündet in »Verlust-Verlust«:
Ein Kompromiss kann die Beteiligten vielleicht »zufriedenstellen«, aber niemals begeistern. Die Beziehung geht geschwächt aus dem Kompromiss hervor. Oft flammt der Konflikt schon bald wieder auf.
Die breite Mehrheit der Menschen lebt in einer »Verlust-Verlust«-Welt voller Kompromisse. Diese Menschen haben kaum Hoffnung. Häufig erledigen sie jahraus, jahrein ihre Arbeit, ohne sich und ihre wahren Fähigkeiten wirklich einzubringen. Sie sehen das Leben durch die Brille des längst vergangenen Industriezeitalters. Ihr Job beschränkt sich darauf, dass sie ihre Aufgaben mechanisch abarbeiten. Sie versuchen erst gar nicht, etwas zu verändern. Diese Menschen sind austauschbare Teilchen. Optimismus ist schon lange nicht mehr ihre Sache. Bei vielen macht sich Zynismus breit. Jede Form der Begeisterung ist ihnen suspekt. Neuen Ideen bringen sie grundsätzlich Misstrauen entgegen. Allein das Wort »Synergie« ruft schon allergische Reaktionen hervor. Denn: Niemand von ihnen hat den wahren Wert von Synergien jemals kennengelernt.