Mary Beard
Frauen & Macht
Ein Manifest
Aus dem Englischen von
Ursula Blank-Sangmeister
FISCHER E-Books
Mary Beard lehrt an der Cambridge University Alte Geschichte. Sie gilt in der angelsächsischen Welt als die bekannteste lebende Althistorikerin und zugleich als eine der streitbarsten. Immer wieder schaltet sie sich in aktuelle Debatten ein. Sie ist Herausgeberin des Bereichs Altertumswissenschaften für das »Times Literary Supplement« sowie Autorin und Moderatorin der berühmten BBC-Serie ›Meet the Romans‹. Für ihre große Geschichte Pompejis erhielt sie 2008 den Wolfson History Prize. Im Juli 2010 wurde Mary Beard zum Fellow of the British Academy gewählt. 2016 erschien bei S. Fischer ihr Welt-Bestseller »SPQR. Die tausendjährige Geschichte Roms«.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Ein Manifest gegen das Schweigen – von der bekannten Historikerin und bekennenden Feministin Mary Beard
Seit Jahrtausenden ist Frauen das Reden in der Öffentlichkeit untersagt. Schon Telemach verbietet in der Odyssee seiner Mutter, vor den Freiern zu sprechen. Das Reden, sagt er, ist Sache der Männer. Eine Frau, die das Schweigen bricht, schließt Mary Beard daraus, dringt auf männliches Gebiet vor – wie Elisabeth I. von England, aber auch die ersten Nachrichtensprecherinnen oder Sportmoderatorinnen.
Doch Mary Beard beschränkt sich nicht auf die Geschichte – ihr geht es um das Hier und Heute: Was können Frauen tun, um gehört zu werden? Mit tieferer Stimme sprechen? Hosenanzüge tragen? Nein, nicht die Frauen müssen sich ändern. Macht muss neu definiert, das öffentliche Reden allen zugestanden werden.
Mary Beard hat ein leidenschaftliches Manifest geschrieben, das dazu auffordert, nicht erst auf die nächste #MeToo-Debatte zu warten.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe ist 2017 unter dem Titel »Women & Power« bei Profile Books, London, erschienen.
© Mary Beard Publications Ltd, 2017
Eine Fassung von »The Public Voice of Women« ist zuerst in der London Review of Books (20. März 2014) erschienen; »Women in Power« wurde ebenfalls in der London Review of Books (16. März 2017) veröffentlicht. Beiden Artikeln liegen Vorträge zugrunde, die Mary Beard im Rahmen der LRB Winter Lecture series gehalten hat.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Schiller Design, Frankfurt
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490919-6
Für Helen Morales
Die Frauen im Westen haben viel zu feiern, das wollen wir nicht vergessen. Meine Mutter wurde geboren, bevor Frauen bei britischen Parlamentswahlen ihre Stimme abgeben durften. Und sie erlebte sogar noch eine Premierministerin. Was immer sie von Margaret Thatcher gehalten haben mag, sie freute sich, dass es eine Frau bis in die Downing Street Number 10 geschafft hatte, und sie war stolz darauf, an einigen jener revolutionären Veränderungen des 20. Jahrhunderts persönlich beteiligt gewesen zu sein. Anders als Generationen vor ihr konnte sie sowohl Karriere machen als auch heiraten und ein Kind bekommen (für ihre eigene Mutter hingegen bedeutete die Schwangerschaft zwangsläufig das Ende ihres Lehrerinnendaseins). Als Direktorin einer großen Grundschule in den West Midlands war sie äußerst tüchtig. Ich bin mir sicher, dass sie für die Generationen von Mädchen und Jungen, für die sie Verantwortung trug, der Inbegriff der Macht war.
Meine Mutter wusste jedoch auch, dass das alles nicht ganz so einfach war, dass die wirkliche Gleichheit von Frauen und Männern noch in den Sternen stand und dass es sowohl Grund für Ärger als auch für Jubel gab. Sie bedauerte stets, keine Universität besucht zu haben (und freute sich selbstlos, dass ich studieren konnte). Oftmals war sie enttäuscht, dass ihre Ansichten und ihre Stimme nicht so ernst genommen wurden, wie sie es sich erhofft hätte. Und auch wenn sie mit der Metapher der »gläsernen Decke der Macht« nichts hätte anfangen können, war ihr durchaus bewusst, dass ihr immer weniger weibliche Gesichter begegneten je höher sie auf der Karriereleiter stieg.
Ich musste oft an sie denken, als ich 2014 und 2017 die beiden Vorträge vorbereitete, die diesem Buch (mit freundlicher Genehmigung der London Review of Books) zugrunde liegen. Ich dachte darüber nach, wie ich ihr, aber auch mir selbst und den Millionen anderer Frauen, die noch immer ähnliche Enttäuschungen erfahren, erklären könnte, wie tief in der westlichen Kultur die Mechanismen verwurzelt sind, die Frauen zum Schweigen verurteilen, die verhindern, dass Frauen ernst genommen werden, und die sie (manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, wie wir noch sehen werden) aus den Machtzentren ausschließen. Hier kann die Welt der alten Griechen und Römer uns helfen, unsere eigene, gegenwärtige Welt zu erhellen. Die abendländische Kultur ist seit Jahrtausenden geübt darin, Frauen den Mund zu verbieten.
Beginnen möchte ich mit den Anfängen der überlieferten abendländischen Literatur und mit dem dort aufgezeichneten ersten Beispiel eines Mannes, der einer Frau sagt, sie solle »den Mund halten«; der ihr sagt, dass ihre Stimme in der Öffentlichkeit zu schweigen habe. Ich meine einen Augenblick, der vor fast 3000 Jahren am Anfang von Homers Odyssee verewigt wurde. Heutzutage betrachten wir dieses Werk meist als ein Epos über Odysseus und die Abenteuer und Probleme, denen er während seiner Heimreise aus dem Trojanischen Krieg ausgesetzt war. Seine Frau Penelope wartete indes jahrzehntelang treu auf ihn und erwehrte sich der Freier, die auf eine Heirat drängten. Doch die Odyssee ist ebenso die Geschichte des Telemachos, des Sohnes des Odysseus und der Penelope. Sie erzählt von seinem Aufwachsen und wie er im Verlauf der Dichtung vom Jungen zum Mann heranreift. Dieser Prozess beginnt im ersten Buch des Epos: Penelope steigt aus ihren Privatgemächern in die große Palasthalle hinab, wo ein Barde vor den Scharen ihrer Freier seine Kunst zum Besten gibt. Er singt von den Schwierigkeiten, in die die griechischen Helden bei ihrer Heimfahrt geraten. Darüber nicht eben erfreut, bittet sie ihn vor aller Ohren, doch ein anderes, fröhlicheres Lied anzustimmen. Daraufhin schaltet sich der junge Telemachos ein: »Du aber«, sagt er, »gehe ins Haus und besorge die eignen Geschäfte, / Spindel und Webstuhl … die Rede ist Sache der Männer, / Aller, vor allem die meine! Denn mein ist die Macht hier im Hause.« Also tritt sie ab und begibt sich wieder in die oberen Gemächer.
Es wirkt ein wenig lächerlich, wenn der junge Bursche, der noch nicht ganz trocken hinter den Ohren ist, Penelope, einer klugen Frau mittleren Alters, den Mund verbietet. Aber es ist auch ein schöner Beweis dafür, dass just in dem Moment, da die schriftlichen Zeugnisse der abendländischen Kultur einsetzen, die Stimmen von Frauen in der Öffentlichkeit kein Gehör finden. Darüber hinaus ist es für einen Mann, wie Homer zeigt, ein integraler Bestandteil des Erwachsenwerdens, dass er lernt, die Kontrolle über öffentliche Äußerungen zu übernehmen und den weiblichen Teil der menschlichen Spezies zum Schweigen zu bringen. Die Worte, die Telemachos verwendet, sind ebenfalls aufschlussreich. Wenn er sagt, »die Rede ist Sache der Männer«, benutzt er den Begriff muthos, aber nicht in dem uns tradierten Sinn von »Mythos«. Im homerischen Griechisch bezeichnet muthos die autoritative öffentliche Rede, nicht aber das Schwatzen, Plappern oder Tratschen, das allen zu eigen war – auch oder vor allem den Frauen.
1 Diese athenische Vasenmalerei des 5. Jahrhunderts v. Chr. zeigt Penelope an ihrem Webstuhl (das Weben war immer das Markenzeichen einer guten griechischen Hausfrau). Telemachos steht vor ihr.
Was mich hier interessiert, ist das Verhältnis zwischen diesem klassischen homerischen Augenblick, als einer Frau das Wort verboten wird, und der Art und Weise, wie in unserer heutigen Kultur und in unserem politischen Leben die Stimmen von Frauen in der Öffentlichkeit überhört werden, von den Bänken im Parlament bis in die Fabrikhalle. Diese Taubheit, die wir nur zu gut kennen, wird in einer alten Karikatur der Zeitschrift Punch hübsch parodiert: »Das ist ein hervorragender Vorschlag, Miss Triggs. Vielleicht möchte einer der Herren hier ihn vorbringen.« Ich möchte über die mögliche Beziehung zwischen dieser Taubheit und den Beleidigungen nachdenken, denen zahlreiche Frauen, die ihre Stimme erheben, bis in unsere Tage ausgesetzt sind, und eine der Fragen, die ich dabei im Hinterkopf habe, gilt dem Zusammenhang zwischen der öffentlichen Befürwortung von Frauenporträts auf Banknoten, Vergewaltigungs- und Enthauptungsdrohungen, die über Twitter verbreitet werden, und Penelopes Demütigung durch Telemachos.
»Das ist ein hervorragender Vorschlag, Miss Triggs. Vielleicht möchte einer der Herren hier ihn vorbringen.«
2 Vor fast 30 Jahren fing die Karikaturistin Riana Duncan die sexistische Atmosphäre einer Konferenz oder Vorstandssitzung ein. Es gibt kaum eine Frau, die, wenn sie bei einem Meeting den Mund aufmachte, nicht irgendwann einmal wie Miss Triggs behandelt wurde.