
Cornelius Hartz
Römische Schriftsteller

VERLAG PHILIPP VON ZABERN
24 Schwarzweißabbildungen
Umschlagabbildung: Cicero, Marmor, ca. 50–43 v. Chr. Musei Capitolini, Rom.
Frontispiz: Wie bei so vielen klassischen Mythen hat vor allem die Überlieferung in Ovids „Metamorphosen“ (s. S. 105) dafür gesorgt, dass der „Sturz des Ikarus“ aus dem Motivschatz der Bildenden Kunst seit der Renaissance nicht mehr wegzudenken ist. Kupferstich in einer Ausgabe der Werke Ovids aus dem 18. Jh.
Lektorat: Sarah Höxter, Hamburg
Gestaltung: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Reihengestaltung/Umschlaggestaltung: Max Bartholl, b3K text und gestalt GbR, Frankfurt am Main und Hamburg
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© 2010 by Verlag Philipp von Zabern, Mainz
ISBN: 978-3-8053-4171-4
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.
Einführung
Von Soldaten und Gespenstern – Plautus
Homers Wiedergeburt in Kalabrien – Ennius
Einer gegen Karthago – Cato d. Ä.
Von Schwiegermüttern und Eunuchen – Terenz
Allroundtalent mit Ordnungssinn – Varro
Gutmensch oder Wendehals? – Cicero
Ganz Gallien? Nein! – Caesar
Infotainment gegen Todesangst – Lukrez
Liebe, Spott und früher Tod – Catull
Stilist mit fragwürdiger Biografie – Sallust
Kaisers Liebling – Vergil
Aquädukte, Tempel und ein nackter Mann – Vitruv
Oh Captain, mein Captain! – Horaz
Geschichte in 142 Bänden – Livius
Schmachtend vor der Tür der Angebeteten – Properz und Tibull
Das Feuer, das in mir brennt … – Sulpicia
Genie mit tragischem Ende – Ovid
Der Wolf …! Das Lamm …! – Phaedrus
Des Philosophen Tragödie(n) – Seneca
Otternasen, Lerchenzungen … – Apicius
Der römische Simplicissimus – Petron
Der Naturforscher und der Vulkan – Plinius d. Ä.
Schreibverbot und Tyrannenmord – Lucan
Meister der Kurzform – Martial
Der Analytiker und die Germanen – Tacitus
Brot und Spiele und Orgien – Juvenal
Sehr geehrter Herr Kaiser … – Plinius d. J.
Kaiserlicher Klatschreporter – Sueton
In Athen, da sind die Nächte lang – Gellius
Einen Mythos, aber bitte kurz! – Hygin
Zum Weiterlesen
Chronologie der römischen Schriftsteller
Sach- und Personenregister
Zitatnachweis
Abbildungsnachweis
Wir lesen und schreiben Gedichte
nicht nur so zum Spaß.
Wir lesen und schreiben Gedichte,
weil wir zur Spezies Mensch zählen,
und die Spezies Mensch
ist von Leidenschaft erfüllt.
Robin Williams in
„Club der toten Dichter“
Der Dichter glaubte, als er zum Schreiben schreiten wollte, Dass er sich nur darum zu kümmern brauche, Dass den Leuten das gefiele, was er aufschreiben würde. Jetzt aber sieht er, dass es doch ganz anders kommt: Er verschwendet seine Kraft beim Vorwort-Schreiben …
Terenz
Einmal wurde Cato d. Ä. gefragt, warum man keine Statue von ihm errichtet habe, um seine Verdienste um die Römische Republik zu preisen. „Besser“, so seine Antwort, „als wenn jemand fragte: Warum hat man eine Statue errichtet?“
Natürlich ist dies eine Anekdote, aber etwas Wahres steckt darin: In vielerlei Hinsicht haben sich die Schriftsteller des alten Rom selbst ihre Denkmäler geschaffen. Der berühmteste römische Lyriker, Horaz, schreibt über seine eigene Dichtung (ganz ohne falsche Bescheidenheit): „Ich habe ein Monument errichtet, dauerhafter als Erz, höher als die königlichen Pyramiden, das weder der gefräßige Regen noch der Nordwind zerstören kann, noch die unzählbaren Jahre und die flüchtige Zeit.“ Und wirklich: Nach über zweitausend Jahren werden heute noch die Gedichte des Horaz, die Schriften des Cato, die Werke des Ovid oder Cicero gelesen. Auch wenn die Lektüre der lateinischen Originaltexte seit Mitte des 20. Jhs. immer stärker zurückgeht und man sich heute zumeist auf Caesar beschränkt (den immerwährenden Klassiker des Lateinunterrichts), so gibt es doch immer wieder neue Ausgaben der antiken Schriftsteller in Übersetzung. Dabei lassen nicht nur das Medienecho auf Raoul Schrotts hervorragende Neuübersetzung von Homers „Ilias“ oder die zahlreichen Aufführungen griechischer Tragödien in immer neuen Inszenierungen die antike Literatur heute präsent sein – die moderne Liebeslyrik ist z. B. ohne Catull, Horaz und Ovid kaum denkbar, und eine deutsche Fassung von Vergils Aeneis steht, während diese Zeilen verfasst werden, hoch in der amazon.de-Bestsellerliste. Daneben findet man heute die Stoffe der Autoren des alten Rom (und manchmal auch sie selbst) in Ausstellungen, Filmen, Romanen, in der Bildenden Kunst, in Blogs, YouTube-Inszenierungen und anderswo in der Medienlandschaft wieder.
Dabei ist es eigentlich erstaunlich, wie viel Literatur aus der Antike überhaupt das dunkle Mittelalter überlebt hat. In seinem postmodernen Meisterwerk „Der Name der Rose“ (Il nome della rosa, 1980) gibt Umberto Eco einen Einblick, wie dies prinzipiell funktionierte. Gleich das Vorwort weist den Roman als Nacherzählung einer alten Handschrift aus, die leider verloren ist. Ebenso geht es im Roman selbst um einen heute verlorenen antiken Text: Aristoteles’ Betrachtungen über die Komödie. Aus dessen „Poetik“ sind lediglich die Teile über Tragödie und Epos erhalten geblieben, und schon lange hat man darüber diskutiert, ob es diese Komödien-Abhandlung jemals gegeben hat, ob sie im Mittelalter verloren ging, ob Aristoteles sie nie veröffentlicht hat (und nur seinen Schülern weitergegeben) oder ob sie überhaupt nie vollendet oder gar geschrieben wurde.

So stellte man sich die antiken Philosophen Platon, Seneca und Aristoteles (v.l.n.r.) im frühen 14. Jh. vor.
Was heißt nun hier: „verloren gegangen“? In der klassischen Antike waren „Bücher“ noch nicht gebundene Papierbögen wie heute, sondern Rollen aus Papyrus, die man während des Lesens am unteren Ende ab- und am oberen wieder aufrollte. Die Werke der antiken Autoren sind insofern in einzelne „Bücher“ (libri) aufgeteilt, da diese Papyrusrollen nicht unendlich lang sein konnten – ein Werk wie Ovids Epos „Metamorphosen“ zum Beispiel ist in fünfzehn „Bücher“ aufgeteilt, d. h. man erhielt fünfzehn einzelne Papyrusrollen, wenn man es in einem der Buchläden am Forum Romanum kaufte. Mitunter ist die Einteilung in Bücher auch von späteren Herausgebern verändert oder neu eingefügt worden, aber viel mehr als 1200 Verse einer Dichtung finden sich kaum in einem Einzelbuch, bei welchem Dichter auch immer.
In der Spätantike kam dann der „Kodex“ (Pl.: Kodizes) auf, einzelne Papyrus- oder (immer häufiger) Tierhaut-Seiten, die in einer Art zusammengebunden waren, die dem modernen Buch schon sehr nahe kam. Solche Tierhaut-Kodizes waren wesentlich haltbarer als Papyrus und einige sind sogar noch aus dem 4. Jh. n. Chr. erhalten. Hin und wieder findet man auch immer noch antike Papyri, z. B. im trockenen ägyptischen Wüstensand. Den größten Papyrusfund der Neuzeit gab es in der „Villa dei Papiri“ im ausgegrabenen Herculaneum, das wie Pompeji beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschüttet worden war (viele der dort 1750 entdeckten Papyri werden heute noch in der Universität von Neapel entziffert, mittlerweile mit Infrarot und modernster Computertechnik).
Vor der Einrichtung der Universitäten in Europa konzentrierten sich Wissen und Wissenschaft im Mittelalter in den Klöstern. Die Mönche verstanden oftmals Latein (und wenigstens z. T. noch Griechisch) und schrieben die Werke der griechischen und römischen Schriftsteller immer wieder ab – teilweise jedoch auch ohne überhaupt zu verstehen, was sie da schrieben. Diese Kopien wurden ihrerseits wieder kopiert und somit natürlich auch immer fehlerhafter, aber so haben sich wenigstens wichtige Teile der antiken Literatur bis in die Zeit der Renaissance erhalten.Dann entwickelte sich auf einmal im großen Stil neues Interesse an der antiken Kultur – und damit auch an deren Literatur. Die Klassische Philologie macht es sich seit Ende des 18. Jhs. zur Aufgabe, die vielen noch erhaltenen mittelalterlichen Handschriften zu sammeln und in kleinteiligster Arbeit zu versuchen, aus den ganzen verschiedenen Versionen den antiken Originaltext zu rekonstruieren.
Nicht das typische Lieblingsfach – Latein in der Schule
Aus dem Rektoratstagebuch des Johann Kajetan v. Weiller (1761–1826),
Rektor am Wilhelmsgymnasium München:
19. 5. 1809 (Besuch der 1ten Klasse)
Ich besuchte um ½ 9 Uhr die erste Klasse unter Pr. Fischer. […] – Dann wurde Latein zu erklären angefangen. – Ich fand viele Schüler sehr schläfrig, fast alle mit dem Ausdruk der Langeweile aufm Gesicht – ohne Interesse dasitzen – (lehnen). Fast zwey Stunden Sprachmetaphysik (wenigsten großentheils nur Metaphysik) ist für Kinder dieses Alters auch schreklich. […]
Dennoch ist über die Jahrhunderte natürlich auch vieles verloren gegangen. Auch wenn die Spitzen der Literatur größtenteils überlebt haben, gibt es wichtige Gegenbeispiele: Nicht nur der erwähnte Aristoteles-Text ist verschollen, von Ennius sind ebenfalls z. B. nur ein paar Fragmente erhalten – dabei galt er zur Zeit Caesars noch als wichtigster römischer Dichter überhaupt. Und der Großteil einer wichtigen Schrift Ciceros ist nur durch einen einzigen sogenannten „Palimpsest“ überliefert – eine alte Handschrift, aus der der ursprüngliche Text entfernt und mit einem christlichen überschrieben worden war (s. S. 41). Die ursprünglich eingeritzten Buchstaben konnte man rekonstruieren. Palimpseste (griech.: „Wieder-Abgeschabtes“) mit Schriften antiker Autoren wurden und werden immer wieder entdeckt, doch natürlich hat sich die Technik inzwischen weiterentwickelt: Heute kann man die ältere Schrift mittels UV- und Röntgentechnik sichtbar machen.
Viele antike Texte haben erst später ihren heute gebräuchlichen Titel erhalten. Dass die Titel so vieler Werke mit „Über …“ beginnen, kommt daher, dass sie keinen Buchtitel im heutigen Sinne tragen, sondern mehr eine Beschreibung des Inhalts: „Über die Republik“ war eigentlich betitelt: „Sechs Bücher über die Republik“ (Libri sex de re publica). In der Kurzform hat sich seit Langem eben nur „Über …“ eingebürgert.
Auch die Namen der antiken Autoren werden seit dem Humanismus in eingedeutschter und zumeist verkürzter Form wiedergegeben. In Rom hatte man Vor- und Familiennamen, oft auch noch einen Beinamen. Über die Jahrhunderte konzentrierte sich dann die Bezeichnung eines Dichters auf den Familiennamen (Vergil, Plinius) oder den Beinamen (Caesar, Plautus). Oft ließ man einfach die Endsilbe „-us“/„-ius“ fort (Catullus → Catull, Ovidius → Ovid, Sallustius → Sallust); „-tius“, wenn im Neulatein „-zius“ ausgesprochen, wurde zu „-z“ (Horatius → Horaz, Propertius → Properz, Lucretius → Lukrez). Die Betonung blieb jedoch weiterhin auf der gleichen Silbe wie zuvor, die jetzt in der Regel die Endsilbe ist. Wenigstens einer Handvoll römischer Schriftsteller blieb das Schicksal eines solchermaßen verstümmelten Namens jedoch erspart (wie Tacitus, Ennius, Livius oder Plinius – nur im Englischen wurden auch die letzten beiden zu „Livy“ und „Pliny“).
Die Anzahl altrömischer Schriftsteller, die erhalten sind (soll heißen: deren Texte die Zeit von der Antike bis heute überlebt haben), ist begrenzt. Dennoch sind in diesem Band nicht alle erhaltenen vorgestellt; es fehlen z. B. Velleius Paterculus, Naevius, Apuleius, Gallus, Cornelius Nepos, Persius, Statius, Kaiser Augustus, Quintilian, Tertullian, Flavius Josephus oder die frühen christlichen Schriftsteller Boethius, Laktanz und Augustinus. Über die Auswahl mag man streiten, das ist bei einem Konzept, wie es einer Reihe wie „Die Berühmten“ zugrunde liegt, nicht zu vermeiden. Dennoch bin ich sicher, dass man keinem der hier vertretenen Schriftsteller die Bedeutung absprechen wird, die er (oder sie) für seine spezielle literarische Gattung, die Nachwelt oder die antike römische Literatur vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. überhaupt hatte und hat.
Bei jedem der vorgestellten Schriftsteller sind ein oder mehrere (eigens für diesen Band neu übersetzte) Texte enthalten – denn wie kann man einen Dichter besser darstellen als durch seine eigenen Werke? Dem antiken Versmaß wird dabei – wenn es sich um Dichtung handelt – allerdings meist nicht entsprochen, da dies gerade beim Hexameter (s. S. 18) im Deutschen oft sehr gestelzt oder sogar unfreiwillig komisch wirkt. Dennoch hoffe ich, dass auch diese Textbeispiele dem Zweck dieses Bandes dienen: Lust darauf zu machen, die bedeutende und großartige Literatur, die das Römische Reich der Nachwelt hinterlassen hat, weiterzulesen.
Alle Welt sagt, Lessing geht nach Rom. […] Sollen wir unsere deutschen Männer den dummen Römern geben? […] Den dummen Römern sagt’ ich! Wie kann ich das bei Horaz, Virgil, Cäsar, Catull und Cato, wie bei Cicero verantworten?
Gleim an Lessing, Halberstadt, 9. März 1769
Plautus
Name: Titus Plautus
Lebensdaten: ca. 250–ca. 180 v. Chr.
Literarische Gattung: Komödie
Werke: „Der glorreiche Soldat“ (Miles gloriosus), Amphitruo u. a.
Tragödie und Komödie – das waren die zwei literarischen Formen des Schauspiels, die die römische Antike kannte. Selbstverständlich stammten die Vorbilder dieser Genres (wie die der meisten Gattungen der römischen Literatur) aus Griechenland, und im Falle der Komödie wird dies besonders deutlich – und zwar vor allem bei Plautus, dem früheren der zwei erhaltenen römischen Komödiendichter.
Wer war das?
Titus Plautus stammte aus Umbrien, aus einem Ort in der Nähe des heutigen Rimini. Ansonsten ist wenig über sein Leben bekannt. Der ihm oft angehängte Familienname Maccius ist wohl nur ein Missverständnis: Hin und wieder nennt er sich selbst „Maccus“, doch das wird eher ein Spitzname sein, den man ihm gegeben hatte, nach einer Figur in einer seiner Komödien, und den er vielleicht selbst weitergeführt hat. Denn maccus ist nichts weiter als das lateinische Wort für „Dummkopf“.
Plautus ist nicht nur der früheste Komödiendichter, von dem vollständige Stücke erhalten sind, er war auch der erste römische Dichter, der aus dem Norden Italiens nach Rom kam. Und er war der erste, der sich ausschließlich auf eine einzige Gattung spezialisierte.
Was schrieb er?
Die Zeit des Plautus war eine Zeit großer Kriege (gegen Karthago im Süden und gegen Mithridates II. und III. im Osten), die mit dafür verantwortlich waren, dass in Rom verstärkt griechische Einflüsse Einzug hielten. Vor allem die griechisch besiedelten Städte in Süditalien (die man „Magna Graecia“ nannte) sorgten dafür. Und nicht alle waren so skeptisch gegenüber der griechischen Kunst und Kultur wie Cato d. Ä. (s. S. 24) – vor allem nicht Plautus.
Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit.
„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch – solange er nicht weiß, wie jener ihm gesonnen ist.“
Plautus’ Komödien zählt man zur sogenannten fabula palliata. Diese Bezeichnung stammt daher, dass diese Art von Komödie (fabula) die lateinische Neufassung eines griechischen Originals ist, dem sie so stark verhaftet ist, dass sie sogar in Griechenland spielt und die Schauspieler in griechischer Tracht auftreten, im pallium. (Später trat an ihre Seite die fabula togata – also die „Komödie in der Toga“: in römischem Setting und in römischer Tracht gespielt.) In den Komödien wurde übrigens nicht nur gespielt, sondern es wurden ganze Passagen gesungen – ganz ähnlich den Filmkomödien der 30er Jahre oder dem heutigen Musical.
Vorbild für Plautus’ Stoffe waren die Komödien der griechischen Dichter der hellenistischen sog. „Neuen Attischen Komödie“ wie Menander, Philemon und Diphilos (die rund 100 Jahre vor Plautus schrieben). Von diesen ist heute nicht mehr viel erhalten, aber das, was wir haben, lässt darauf schließen, dass Plautus durchaus viel Eigenes und eben echt Römisches wie Wortspiele und Slapstick-Einlagen in seine Komödien einbrachte, so dass man sie nicht einfach als romanisierte griechische Komödien sehen kann.
„Wer den Phallus, das Symbol des Dionysos, nicht ehrt, ist der Komödie nicht wert.“
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
Von den wohl über 100 unter dem Namen Plautus veröffentlichten Komödien sind 20 (annähernd) vollständig überliefert. Die bekanntesten: „Der glorreiche Soldat“ (Miles gloriosus), die „Gespensterkomödie“ (Mostellaria) und Amphitruo. Auch wenn sie in einer griechischen Umgebung spielen, bedienen sich Plautus’ Stücke eines bürgerlich-römischen Personals, das viel mit Stereotypen arbeitet – vom habgierigen Schwiegervater über die durchtriebene Geliebte bis zum listenreichen Sklaven. Dabei hat sich der Komödienstoff als solcher bis heute kaum verändert: Verwechslungen, Irrtümer und Intrigen, vertauschte oder unklare Identitäten, deformierte Charaktere, die außerhalb der Gesellschaft stehen, und immer: ein Happy End, die unglücklich Liebenden bekommen einander, die als Kleinkinder getrennten Zwillinge treffen endlich aufeinander, der Geizhals bekommt seine gerechte Strafe. Dies sind Elemente, die sich durch die Weltgeschichte der Komödie ziehen, vom alten Griechenland über Molière bis zur Screwball Comedy oder Didi der Doppelgänger.
Dass es dabei z. T. recht derb zur Sache geht, mag kaum verwundern. Doch gegen die Vertreter der griechischen „Alten Komödie“ (wie Aristophanes, dessen Werke wesentlich besser erhalten sind als die „Mittlere Komödie“) war Plautus bereits recht zahm …

Titelei einer englischen Plautus-Übersetzung, erschienen in London 1772.
Peniculus: Beim Pollux! Ein guter Wagenlenker wärst du!
Menaechmus: Wieso?
Peniculus: Die ganze Zeit schaust du dich um, ob deine Frau uns nicht verfolgt. Menaechmus: Was meinst du damit?
Peniculus: Ich? Ich meine gar nichts. Ich sag zu allem Ja und Amen, was du willst. Menaechmus: Kannst du, wenn du an etwas riechst, das sehr stark riecht, erriechen, woher der Geruch wohl stammt? […]1 Dann riech einmal am Kleid, das ich hier habe.
Wonach riecht es? Du schreckst zurück?
Peniculus: Bei einem Frauengewand darf man am oberen Teil nur riechen, denn da unten wird die Nase vom Gestank beleidigt.
Menaechmus: Dann riech also hier oben. – Wie anmutig du zurückschreckst!
Peniculus: Das muss ich wohl!
Menaechmus: Was also? Wonach riecht es? Antwort!
Peniculus: Nach Diebstahl, Hure, zweitem Frühstück. […]
Menaechmus: Nun, so will ich’s zu meiner Freundin bringen, der Hure Erotium, dass sie mir und dir und ihr ein schönes zweites Frühstück anrichtet.
Peniculus: Gut!
Menaechmus: Und dann werden wir trinken, bis der Morgenstern erstrahlt.
Peniculus: […] Sehr wohl gesprochen! Soll ich an die Tür klopfen?
Menaechmus: Das tu! Oder … nein, warte noch!
Peniculus: Du stellst die Trinkschale wieder eine Meile weit fort von meinem Mund? Menaechmus: Klopf sanft!
Peniculus: Ich glaub, du meinst, die Tür hier ist aus Ton gebaut?
Menaechmus: Wart doch, wart, beim Herkules: Sie tritt schon von selbst heraus. Oh, siehst du, wie der Glanz ihres Körpers sogar die Sonne in den Schatten stellt?
Erotium: Mein Liebster, Menaechmus, ich grüße dich!
Peniculus: Und ich?
Erotium: Du zählst für mich nicht.
Peniculus: Genau wie bei der Legion, wenn man nur zur Reserve eingeschrieben wird … Menaechmus: Heute lad ich bei dir zum Gefecht!
Erotium: Gut, heute sei’s.
Menaechmus: Und in der Schlacht, da wollen er und ich um die Wette saufen. Und wer von uns sich beim Saufen besser schlägt, darüber sollst du Richter sein: Wähle dann, mit wem von uns du die Nacht verbringst. Oh, du meine Freude, wie sehr verabscheu ich doch meine Frau, wenn ich dich sehe!
Erotium: Und doch hast du von ihr etwas am Leib? Was ist denn das?
Menaechmus: Dies Kleidungsstück hab ich bei meiner Frau für dich erbeutet, meine Rose! Erotium: So bist du leicht der Beste von allen, die mich bedrängen.
Peniculus: Die Hure schmeichelt nur, solang sie etwas sieht, das sie erbeuten kann; denn wenn du ihn wirklich liebtest, hättest du ihm längst doch schon die Nase abgebissen!
Menaechmus: Halt das mal, Peniculus: Die Kriegsbeute will ich ihr überreichen, wie versprochen.
Peniculus: Gib her. Aber beim Herkules beschwör ich dich – tanz uns im Kleid nachher noch etwas vor!
Menaechmus: Ich soll tanzen? Du bist wohl nicht ganz gescheit!
Peniculus: Ich oder du? Wenn du nicht tanzen willst, dann zieh es aus.
Menaechmus: In größter Gefahr hab ich das Kleid erbeutet heut. Selbst Herkules, als er der Amazonenkönigin Hippolyte den Gürtel raubte, war nicht in solch großer Gefahr! Nimm es dir, denn du allein nur machst es mit mir, wie ich’s gerne mag!
Erotium: Das ist die Einstellung, die man vom aufrechten Liebhaber erwartet …
Peniculus: … der sich beeilt, ganz schnell bettelarm zu werden.
Menaechmus: Für vier Minen hab ich’s meiner Frau gekauft im letzten Jahr.
Peniculus: Vier Minen aus dem Fenster rausgeworfen, das ergibt die Rechnung.
Menaechmus: Weißt du, was ich jetzt möchte, dass du’s mir besorgst?
Erotium: Ich weiß es, und ich tue, was du willst.
Menaechmus: Dann lass also für uns das zweite Frühstück anrichten, mit ein paar Leckereien, frisch vom Markt: das Drüsenstück vom Schweinehals, Schinkenspeck oder Schweinekopf oder etwas in der Art …
[Plaut., Men. 160–211]
Wie ist das alles überliefert worden?
Bei Plautus haben wir den (leider nicht allzu häufigen) Glücksfall, dass es sowohl eine erhaltene antike Handschrift gibt – einen Palimpsest (s. S. 41) aus dem 3. oder 4. Jh. n. Chr. – als auch eine ganze Reihe Abschriften aus dem Mittelalter (beginnend im 10./11. Jh.), die auf ein anderes antikes Exemplar zurückgehen. Die überlieferten 20 Komödien sind eben dieselben 20, die Varro als „echt plautinisch“ bezeichnet hat. Ihr Text ist zwar teilweise immer noch lückenhaft (wie man an den Auslassungen im Text auf S. 14 sieht), doch sind dies zum Glück immer nur kleinere Stellen, die den Genuss der Komödien nicht wirklich trüben.
Was bleibt?
Noch heute wird Plautus oft gespielt, allerdings sind inzwischen manche Adaptionen seiner Stücke bekannter als die Originale. So wurde Amphitruo von Molière und Kleist bearbeitet, und die Comedy of Errors von William Shakespeare hat die Zwillings-Verwechslungskomödie Menaechmi als Grundlage. Auch Plautus’ titelgebender „glorreicher Soldat“ lebte fort: als Shakespeares Figur Falstaff (in Henry V und The Merry Wives of Windsor).
Eine Besonderheit ist Richard Lesters (A Hard Day’s Night) Film „Toll trieben es die alten Römer“ (A Funny Thing Happened on the Way to the Forum, 1966), die Verfilmung des gleichnamigen Broadway-Musicals von Stephen Sondheim, das sich bei mehreren Plautus-Komödien bedient (so beim Pseudolus und der „Gespensterkomödie“).
Ennius
Name: Quintus Ennius
Lebensdaten: 239/38–169 v. Chr.
Literarische Gattung: Epos, Komödie, Tragödie u. a.
Werke: „Annalen“ (Annales)
Jede Literatur hat nicht nur ihre Höhen und Tiefen, sondern selbstverständlich auch ihre Wurzeln und Anfänge bzw. das, was als solches wahrgenommen wird. Als Urvater der römischen Dichtung galt im alten Rom einer, dessen Bedeutung im krassen Gegensatz dazu steht, wie bekannt er heute noch ist – und wie viel von ihm überliefert ist: Ennius.
Wer war das?
Der Name dieses Dichters sagt heute kaum noch jemandem etwas, man muss sich schon intensiver mit der lateinischen Literatur beschäftigen, um auf ihn aufmerksam zu werden. Und dennoch haben ihn Generationen von Schulkindern lesen müssen – freilich zu einer Zeit, als die heutigen lateinischen Schulautoren selbst noch Zeitgenossen waren (oder noch gar nicht auf der Welt).
Quintus Ennius wurde in Kalabrien geboren (der „Spitze“ des italischen „Stiefels“), in einer Gegend, die zu seiner Zeit dreisprachig war: Man sprach Lateinisch, Griechisch und das dort ansässige Oskisch. Vor allem aber die Begegnung mit dem Griechischen und mit der griechischen Literatur muss den meisten Eindruck auf ihn gemacht haben.
Im Zweiten Punischen Krieg (218–201 v. Chr.) war er beim Militär als Hilfssöldner u. a. auf Sizilien stationiert, wo er Cato d. Ä. kennenlernte. Der riet ihm dazu, nach Rom zu gehen. Er fand dort adlige Gönner, die ihn unterstützten, darunter der Konsul des Jahres 189 v. Chr., Marcus Fulvius Nobilior. Nach dessen Konsulat hat Ennius wahrscheinlich begonnen, sein Hauptwerk, die „Annalen“, zu verfassen.
Was schrieb er?
Ennius gilt als einer der vielseitigsten römischen Dichter. Er schrieb Tragödien, Komödien, Satiren, Epigramme – und dann jenes eine Werk, das ihn für die gesamte spätere römische Dichtung unentbehrlich machen sollte: die „Annalen“ (Annales).
Die „Annalen“ sind – nein, besser: waren ein Epos im Umfang von 18 Büchern, das die römische Geschichte von ihren Anfängen bis zu Ennius’ Zeit darstellte. So weit, so gut – der Clou jedoch kommt erst noch: Geschrieben waren die „Annalen“ im daktylischen Hexameter.
Obwohl von den „Annalen“ nur Fragmente überliefert sind (insgesamt etwa 600 oft auch noch unvollständige Verse), hat man doch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das Werk aufgebaut war – auch durch Zeugnisse anderer Autoren. Die „Annalen“ beschrieben die römische Geschichte in 18 Büchern, von der mythischen Vorzeit, beginnend (wie es sich für einen „zweiten Homer“ wohl ziemt) mit dem Fall Trojas und Aeneas’ Reise nach Italien, über Romulus und Remus bis zur Königszeit, der Gründung der Römischen Republik, den Punischen und Makedonischen Kriegen bis zur Gegenwart. Das Erzähltempo verlangsamt sich dabei stetig, je näher der Autor seiner eigenen Zeit kommt.
Eine weitere Besonderheit der „Annalen“ sind ihr stilistischer und ihr motivischer Reichtum, den auch Cicero noch zu bewundern wusste (der ohnehin die meisten Verweise und Anspielungen auf Ennius in seinem Werk aufweist). Beides erhebt ihn über die nüchternere Sprache des Naevius. Allein schon im Proömium des Werks wähnt man sich weit entfernt von trockener Geschichtsschreibung, wenn Ennius erzählt, wie Homer ihm im Traum erschienen sei, um ihm zu sagen, dass er seine, Homers, Nachfolge antreten solle.
Simia quam similis turpissuma bestia nobis.
„Der Affe, das hässlichste aller Tiere – wie gleicht es uns.“
Wie ist das alles überliefert worden?
Cicero redet noch oft seine Adressaten im guten Glauben an, ein jeder kenne seinen Ennius – doch hundert Jahre später hätte er damit wohl keinen Erfolg mehr gehabt. Dass Vergil und Ovid ab der Zeitenwende Ennius schnell überschatteten und sein Werk auch im Schulunterricht als Lektüre zu verdrängen begannen, hat dafür gesorgt, dass heute nur noch Fragmente der „Annalen“ erhalten sind (und ein paar seiner anderen Dichtungen).
Folgerichtig war Ennius im Mittelalter so gut wie gar nicht mehr bekannt. Erst die Humanisten interessierten sich wieder für ihn, die erste Ausgabe von Ennius-Fragmenten stammt bereits von 1564. Mehr als Fragmente hatten das „dunkle Zeitalter“ ja leider nicht überlebt.
Der Hexameter – ein Versmaß prägt die Dichtung
Der daktylische Hexameter ist das Versmaß, in dem schon Homer seine Epen „Ilias“ und „Odyssee“ verfasst hatte. In der griechischen Dichtung war es also bereits seit etwa 500 Jahren verbreitet – doch erst Ennius machte es in der lateinischen Dichtung heimisch. Der „Daktylus“ besteht aus einer Länge und zwei Kürzen (die wiederum durch eine Länge ersetzt werden können) – sechs (griech.: hexa) solcher „Versfüße“ ergeben einen Hexameter, wobei der letzte die Form lang – lang hat.
Dies ist der Vers, schematisch dargestellt in Längen (–) und Kürzen (U), hier illustriert an der klassischen Übersetzung der ersten zwei Verse der „Ilias“:
– UU | – – | – U U | – –|– U U | – –
Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
– UU | – U U | – U U | – U U | – U U | – –
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte.
Myriaden von Schülern, vom republikanischen alten Rom bis zum modernen Latein-Grundkurs am Gymnasium, lesen fast ausschließlich lateinische Dichtung, die in diesem Versmaß verfasst ist: dem daktylischen Hexameter (i. d. R. umgangssprachlich verkürzt zu „Hexameter“). Vergils „Aeneis“, Ovids „Metamorphosen“, Lukrez’ „Über den Ursprung der Dinge“ … Selbst das ab der späten Republik (also etwa ab Cicero und Caesar) zweitbeliebteste Versmaß, das elegische Distichon, besteht aus eben einem solchen Hexameter und einem Pentameter im Wechsel (s. S. 94). Die fettgedruckten Buchstaben in unserem Beispiel deuten jedoch den Unterschied der lateinischen (und griechischen) zur deutschen Sprache bereits an: Wir lesen einen Vers mit betonten und unbetonten Silben, der Lateiner las lange und kurze Silben. Das nachzuahmen (und gleichzeitig die natürliche Betonung eines Wortes beizubehalten) ist äußerst schwierig, und meist versucht man dies auch gar nicht erst. Zumindest nicht in der Schule.
Doch wie sah es aus, bevor Ennius auf den Plan trat? Die bekanntesten römischen Dichtungen vor ihm waren die Odusia des Livius Andronicus (eine Übertragung der „Odyssee“) und das Historienepos Bellum Punicum des Naevius, beide noch in den ur-römischen Saturnier-Versen verfasst. Ennius aber sah sich selbst ja als alter Homerus (als „zweiten Homer“), gleichsam wiedergeboren und beauftragt, das große Epos zu verfassen, das die römische Dichtung prägen und revolutionieren sollte. Und dazu gehörte, dass er von Homer nicht den Stoff übernahm, sondern (neben stilistischen Einzelheiten) das Versmaß.
Die „Annalen“ waren so erfolgreich und einflussreich, dass sie auch in der lateinischen Sprache selbst für Veränderungen sorgten: Die antiken Versmaße unterscheiden nach Länge oder Kürze eines Lautes (nicht nach Betonung wie z. B. die deutsche Sprache). Und Ennius musste oftmals Wörter anders schreiben und die Laut-Längen neu verteilen, um überhaupt Hexameter in lateinischer Sprache verfassen zu können. Oft verwendete er dafür archaische oder neu konstruierte Formen, z. B. dem Griechischen entlehnte Wortzusammensetzungen. Der „Imperator“ z. B. ist bei Ennius ein „induperator“, der sich nur so in den Hexameter einfügen lässt (lang – kurz – kurz – lang – lang) – eine einzelne kurze Silbe [im-pe-rator] passte nun einmal nicht in den Vers …
Romulus und Remus gründen Rom:
Großes im Sinn, wollen beide nun König werden und
Besorgen sorgfältig Vogelschau und Seherzeichen.
Remus saß auf einem Hügel und wartete auf einen für ihn
Günstigen Vogel. Aber der schöne Romulus saß auf dem hohen
Aventin und betrachtete von dort die hoch oben Fliegenden.
Sie stritten sich: Sollte die Stadt nun Roma oder Remora heißen?
Alle Bewohner sorgten sich: Wer von beiden würde Imperator?
Sie warteten wie auf den Konsul, der das Zeichen geben soll,
Und alle sehen mit gespanntem Blick auf die Absperrseile im Circus,
Die endlich die bunten Wagen freigeben zum Rennen.
So stand das Volk und wartete bangend, wem nun von beiden
Der Sieg über große Reich zuteil werden würde;
Unterdessen zog sich die Sonne zurück in das Dunkel der Nacht.
Dann kam mit strahlendem Schein das Licht des Tages heraus,
Und gleichzeitig flog aus großer Höhe ein ganz prächtiger Vogel
Von links aus heran. Als sich dann die goldene Sonne erhob,
Näherten sich zugleich vom Himmel die heiligen Leiber vierer
Vögel dem glückverheißenden, schönen Ort.
Romulus erkennt daraus, dass ihm zum Besitze
Gegeben sind des Königreichs Thron und Grund und Boden.
[Enn., Ann. fragm. 72 Sk.]
***
Romulus tötet Remus, der ihn veralbert hat, indem er über die römische „Stadtmauer“ gesprungen ist:
„Beim Pollux: Kein lebender Mensch wird ungestraft so etwas tun –
Und so auch du nicht: Zur Strafe wirst du dein heißes Blut für mich vergießen!“
[Enn., Ann. fragm. 94/95 Sk.]
***
Als auch Romulus schließlich stirbt, herrscht Heulen und Zähneklappern:
Ihre Herzen hält Sehnsucht gefangen. Zugleich aber reden sie untereinander
Und rufen wach die Erinnerung folgendermaßen: „Oh Romulus, göttlicher Romulus,
du, den die Götter zum Wächter der Heimat gezeugt!
Oh Vater, Erzeuger, oh Blut, das du stammst von den Göttern!
Du hast uns emporgeführt, empor zu den Ufern des Lichtes!“
[Enn., Ann. fragm. 105–109 Sk.]
Was bleibt?
Was an Ennius’ Werk fortgelebt hat, ist das Versmaß: der Hexameter. Das jedoch kaum in die Neuzeit – der Hexameter eignet sich nicht unbedingt für die modernen Sprachen. Abgesehen von der berühmten Homer-Übersetzung von Johann Heinrich Voß (Ende des 18. Jhs.) gibt es nur ein klassisches dichterisches Werk in deutscher Sprache von weitergehender Bedeutung, das im Hexameter verfasst ist – Johann Wolfgang v. Goethes „Reineke Fuchs“:
Als nun Grimbart geendigt, erschien zu großem Erstaunen
Henning, der Hahn, mit seinem Geschlecht. Auf trauriger Bahre,
Ohne Hals und Kopf, ward eine Henne getragen,
Kratzefuß war es, die beste der eierlegenden Hennen.
Ach, es floß ihr Blut, und Reineke hatt es vergossen!
Jetzo sollt es der König erfahren. Als Henning, der wackre,
Vor dem König erschien, mit höchstbetrübter Gebärde,
Kamen mit ihm zwei Hähne, die gleichfalls trauerten. Kreyant
Hieß der eine, kein besserer Hahn war irgend zu finden
Zwischen Holland und Frankreich; der andere durft ihm zur Seite
Stehen, Kantart genannt, ein stracker, kühner Geselle;
Beide trugen ein brennendes Licht; sie waren die Brüder
Der ermordeten Frau. Sie riefen über den Mörder
Ach und Weh! Es trugen die Bahr zwei jüngere Hähne,
Und man konnte von fern die Jammerklage vernehmen.
Man sieht auch hier: Die antike Literatur ist allerorten. Selbst Goethes Bezeichnung der einzelnen Kapitel, „Gesang“, ist eine Bezeichnung, die direkt aus Homer übernommen ist. Und die anrührende Szene mit der geköpften Henne könnte direkt aus einem antiken Epos stammen – wäre die Henne Hektor oder Achilleus.