Karin Schneider-Ferber
Die Geschichte
der Johanniter
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Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden
Einbandmotiv: Rhodos-Stadt, Hospital der Johanniter;
erbaut 1440–1489 unter den Großmeistern
Jean Bonpart des Lastic und Pierre d’Aubusson; heute Archäologisches Museum
© Hervé Champollion/akg-images
Einbandgestaltung: Vogelsang Design, Aachen
Gestaltung & Satz: SatzWeise GmbH, Trier
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ISBN 978-3-8062-3343-8
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-8062-3432-9
eBook (epub): 978-3-8062-3433-6
Vorwort
1 Traum und Trauma: Die Johanniter im Heiligen Land
Die Katastrophe: Die Niederlage von Akkon
Sehnsuchtsziel Jerusalem
Triumphe und Desaster: Die militärische Bedeutung der Johanniter in Palästina
Zwischenstation Zypern
2 Vom Sattel in die Takelage: Der Aufbau einer Ordensflotte
Volle Segel voraus: Die Bedeutung der Seefahrt zur Zeit der Kreuzzüge
Der Sprung ins kalte Wasser
Wellenreiter: Galeeren und Segelschiffe
3 Eine neue Heimat: Rhodos
Ein unmoralisches Angebot
Träger der Macht: Ämter und Würden im Orden
Mauerspechte: Der Ausbau von Rhodos-Stadt
4 Perle im Mittelmeer: Wirtschaftliche und kulturelle Blüte
Reiches Füllhorn: Der Handel
Eine multikulturelle Gesellschaft
Das Hospital
5 Von Feinden umzingelt: Das Ende des Ordensstaates auf Rhodos
Machtvolle Gegner
Die erste Belagerung von Rhodos 1480
Gespannte Ruhe
Die Gegenspieler
Die zweite Belagerung von Rhodos 1522
6 In der Krise: Die Johanniter vor der Ankunft auf Malta
Heimatlos
Propaganda und Diplomatie
Eine schwierige Entscheidung
7 Bollwerk im Mittelmeer: Die Insel Malta
Die „Stunde null“
Vom Fischerhafen zur Festung
Im Dienste des Kaisers: Offizielle Seeoperationen des Ordens
Vom Seekrieg zum Kaperzug
Der Mann zur rechten Stunde: Jean de la Valette
8 Die Stunde des Triumphes: Die große Belagerung von 1565
Showdown im Mittelmeer
Sturm auf San Elmo
Auf Messers Schneide
Die Wende
Der Triumph
9 Phönix aus der Asche: Aufbruch in eine neue Zeit
La Valletta – die neue Hauptstadt
Fester Fels in der Brandung
Die Stadt der „Herren“ und der Kunst
Die Freuden des Alltags
10 Licht und Schatten: Die wirtschaftliche und soziale Situation auf Malta
Zwischen Fortschritt und Stagnation
Die Inquisition
Das Hospital
11 Christen versus Türken: Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer
Alte Konflikte, neue Helden
Die Seeschlacht von Lepanto
Im Schatten der Weltpolitik
Wandel des Türkenbildes
12 Napoleon ante portas: Der Verlust von Malta
Das revolutionäre Frankreich
Napoleons Triumphzug
Existenzkrise
Neubeginn und Neuorientierung
Anhang
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
Bildnachweis
Der Jubel kannte in Europa keine Grenzen, als die Armee Sultan Süleymans des Prächtigen im September 1565 geschlagen von Malta abziehen musste. Die kleine Felseninsel, damals unter der Herrschaft der Johanniter stehend, hatte mit einer unterlegenen Anzahl von Verteidigern dem osmanischen Sultan, Beherrscher eines viele Völker umfassenden Weltreichs, unter großen Opfern erfolgreich die Stirn geboten. Der Sieg ging eindeutig auf das Konto des schlagkräftigen Ritterordens, der die Sache des habsburgischen Kaisers und der lateinischen Christenheit im westlichen Mittelmeer gegen die vordringenden Türken verteidigt hatte und nun als „Schild Europas“ und „Bollwerk der Christenheit“ gefeiert wurde. Die glücklich überstandene Belagerung von 1565 gehörte zweifelsohne zu den Sternstunden des Johanniterordens, der freilich in seiner wechselvollen Geschichte nie allein auf seine militärische Funktion beschränkt blieb. Test.
Von seinen Gründungstagen im Heiligen Land an zählte für die Ritter die Pilger- und Krankenfürsorge zu ihren herausragenden Pflichten. Der Ritterorden vom Hospital des heiligen Johannes zu Jerusalem stellte die „Herren Kranken“ sogar in den Mittelpunkt seiner Ordensideale, selbst dann, als er aus dem Heiligen Land vertrieben seinen eigentlichen Daseinszweck eingebüßt hatte. Die Hospitäler, die er nacheinander in Jerusalem, Akkon, Rhodos-Stadt und Valletta führte, galten jeweils als vorbildliche Einrichtungen. Jeder Ordensritter einschließlich des Großmeisters war verpflichtet, wöchentlich seinen Dienst am Kranken zu versehen.
Diese eigentümliche Zwitterstellung zwischen Kriegsdienst und Caritas erregte über die Epochen hinweg die Bewunderung der Öffentlichkeit. Selbst der Dichterfürst Friedrich Schiller, ein Kind der Aufklärung, der 1792 eine Geschichte des Malteserordens plante, kam nicht umhin, den Rittern dafür seinen Respekt zu zollen: „Wenn eben die Hand, welche wenige Stunden zuvor das furchtbare Schwert für die Christenheit führte, und den zagenden Pilger durch die Säbel der Feinde geleitet, einem ekelhaften Kranken um Gottes willen die Speise reicht, und sich keinem der verächtlichsten Dienste entzieht, die unsere verzärtelten Sinne empören – wer, der die Ritter des Spitals zu Jerusalem in dieser Gestalt erblickt, bei diesen Geschäften überrascht, kann sich einer innigen Rührung erwehren?“1
Selbst in den schwärzesten Stunden der Ordensgeschichte – von denen es nicht wenige gab – rettete die Johanniter ihr Renommee als Krankenpflegeorden in eine neue Zukunft hinüber. Vertrieben aus dem Heiligen Land und gestrandet in Zypern, fanden sie zunächst auf der Insel Rhodos ein neues Domizil, das sie zu Beginn der Frühen Neuzeit jedoch an die Osmanen verloren. Durch kaiserliche Gunst erhielten sie Malta als neue Heimat, erlagen zuletzt aber dem Ansturm revolutionärer Ideen aus Frankreich, die in Gestalt General Napoleon Bonapartes 1798 ihrer Herrschaft eine Ende setzten. Die Johanniter waren immer wieder „Ritter im Exil“. Doch selbst nach ihrer Vertreibung von Malta gelang es ihnen, über ihr karitatives Wirken einen Neuanfang herbeizuführen. Als (katholischer) Malteserorden und als (evangelischer) Johanniterorden wirken sie bis heute fort. Das achtspitzige weiße Kreuz auf rotem Grund steht dabei als Symbol für viele Dienste am Kranken und für aktiv gelebte Nächstenliebe.
Ihre große Zeit erlebten die Ordensritter, als sie auf den Inseln Rhodos und Malta ihr Zuhause fanden. Von ihren zahlreichen Aktivitäten zwischen Korsarenschiff und Spitalsaal zeugen noch heute eindrucksvolle Monumente der Bau- und Festungskunst. Die mächtigen Mauern und Bastionen der Stadt- und Hafenbefestigungen begeistern dabei ebenso sehr wie der fürstliche Prunk der Großmeisterpaläste. Mit der am Reißbrett geplanten Stadt Valletta haben sich die Ordensritter ein ganz besonders beeindruckendes Denkmal gesetzt. Dem Flair der Stadt erliegen jährlich Tausende von Touristen. So halten die Johanniterritter als Kreuzritter, Korsaren, Bauherren, Kunstmäzene und Krankenpfleger viele Facetten für den Geschichtsinteressierten parat.
Crac des Chevaliers in Syrien: strategischer Stützpunkt des Johanniterordens von 1142 bis 1271
Die Apokalypse fand an einem Freitag statt. Schon vor Morgengrauen kündete sie sich vernehmbar durch das Schlagen von Kriegstrommeln an. „Und als der Freitag kam, noch vor Tagesanbruch, ertönte sehr laut eine große Pauke, und beim Ton dieser Pauke, die eine schreckliche und gewaltige Stimme hatte, griffen die Sarazenen die Stadt Akkon von allen Seiten an“, berichtet ein anonymer Augenzeuge, den man „Templer von Tyrus“ nennt, über den Schicksalstag der christlichen Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land, den 18. Mai 1291.1 Welle um Welle rückten die Männer des Mameluckensultans al-Aschraf Khalil auf die Stadtmauer der Stadt Akkon in Galiläa vor. Zuerst die Schildträger, dahinter die Soldaten, die griechisches Feuer verschossen, zuletzt Speerträger und Bogenschützen, die ihre Wurfgeschosse so dicht abschossen, „dass es wie ein Regen war, der vom Himmel kam“.
Die bereits seit sechs Wochen belagerte und durch riesige Katapulte und Wurfmaschinen sturmreif geschossene Festungsstadt, die nur von etwa 800 bis 1000 christlichen Rittern und 14.000 Fußkämpfern verteidigt wurde, hielt dem Ansturm der weit überlegenen muslimischen Kräfte nicht stand. Die Mamelucken überwanden den äußeren Mauerring, erzwangen sich durch zwei Tore des inneren Rings in der Nähe des „Turmes der Verdammnis“ den Zugang in die Stadt und ergossen sich ins Stadtzentrum. „Das Werfen des Feuers und das Schießen der Pfeile hörten nicht auf, und der Kampf von Mann gegen Mann dauerte bis zur dritten Stunde“, berichtet der anonyme Kriegsteilnehmer über den weiteren Fortgang des Geschehens. Für die Verteidiger der Stadt, zu denen neben kleineren militärischen Kontingenten aus Europa und des Königreichs Jerusalem und Zypern als kampferprobte Elite die Ritter des Templer- und des Johanniterordens sowie des Deutschen Ordens zählten, gab es nichts mehr zu wenden. Der Großmeister der Tempelritter, Guillaume de Beaujeu, wurde im Kampfgetümmel von einem Speer tödlich verletzt, Jean de Villiers (reg. 1285–1293), der Großmeister der Johanniter, musste mit einem Lanzenstich zwischen den Schulterblättern von den Mauern getragen werden.
Panikartig flohen die Bewohner Akkons zum Hafen, um auf einem der begehrten Schiffe dem Chaos zu entfliehen. Doch die wenigsten konnten sich retten, darunter König Heinrich II. von Jerusalem und Zypern, Otto von Grandson, der Befehlshaber eines englischen Kontingents, und der schwer verwundete Jean de Villiers, die in letzter Minute über den Seeweg entkamen. Die meisten Bewohner wurden in den engen Gassen der Altstadt von den wütenden Eindringlingen getötet. Der muslimische Chronist und Augenzeuge Abu’l-Fida berichtet über den Schrecken, den die Stadt an diesem Tag durchlebte: „Als die Muslime eindrangen, floh ein Teil der Bevölkerung auf den Schiffen, während viele andere sich in einigen stark befestigten Türmen der Stadt verschanzten. Die Muslime richteten in Akkon ein ungeheures Blutbad an und machten unermessliche Beute.“2 Ein Konvent der Dominikaner ging mit dem Hymnus „Veni Creator Spiritus“ auf den Lippen in den Tod. Angehörige des Franziskaner- und des Klarissenordens wurden niedergemetzelt, Frauen und Kinder gerieten in Gefangenschaft, um als Sklaven verkauft zu werden. Nur die befestigten Türme der Ritterorden boten noch einigen Schutz. Vor allem der wehrhafte Turm der Templer war baulich dazu angetan, sich noch einige Tage als letzte Bastion des Widerstandes zu halten.
Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Sultansarmee konnte jedoch nichts darüber hinwegtäuschen, dass der 18. Mai 1291 das Ende Akkons und damit der christlichen Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land insgesamt markierte. Denn mit dem Fall Akkons, des einzigen bedeutenden festen Stützpunkts, der den europäischen Kreuzfahrern noch geblieben war, ging die (Rück-)Eroberungspolitik der aus Ägypten vorstoßenden Mameluckensultane ihrem endgültigen Sieg entgegen. Die Kreuzfahrer aus Übersee mussten sich aus Palästina und Syrien zurückziehen und das Land den neuen Machthabern überlassen.
Der letzte blutige Akt im Drama von Akkon spielte sich zehn Tage später, am 28. Mai, in der Festung der Templer ab. Sultan Khalil hatte seinen Soldaten den Befehl gegeben, die Mauern des Turmes zu untergraben. Verhandlungen mit dem Ziel einer friedlichen Übergabe war am Ende kein Erfolg beschieden. Die Templer öffneten zwar nach der Zusicherung freien Abzugs die Tore, doch leisteten sich die hereinströmenden muslimischen Kämpfer gewalttätige Übergriffe auf schutzsuchende Frauen, weshalb die Tempelritter die Tore wieder verschlossen und ihre Gegner niedermachten. Unter dem Druck der Angreifer brach der Turm kurz darauf zusammen, wie der anonyme Gewährsmann der Templer überliefert: „Die Sarazenen drangen mit so viel Menschen in den Turm ein, dass die Stützen, die ihn hielten, nachgaben. Das Gemäuer fiel, und diejenigen Tempelbrüder und Sarazenen, die drin waren, kamen um.“3 Der Rest der Besatzung wurde von den Leuten des Sultans enthauptet. Auch die Johanniter mussten sich in ihrem Turm ergeben und wurden trotz der Zusicherung freien Abzugs allesamt umgebracht.
Muslimische Chronisten hielten erstaunt fest, dass sich fast 100 Jahre nachdem der englische König Richard Löwenherz auf dem Dritten Kreuzzug sein Versprechen an der muslimischen Besatzung Akkons gebrochen hatte, die Geschichte nun unter umgekehrten Vorzeichen wiederholte. „Es ist wunderbar zu sehen, dass Gott der Erhabene Akkon am gleichen Tag und in der gleichen Stunde zurückerobern ließ, in der es auch die Franken genommen hatten“, berichtet der ägyptische Chronist Abu’l-Mahasin im 15. Jahrhundert. „Sie nahmen Akkon Freitag, den 17. Gumada II., um die dritte Stunde des Tages in Besitz und sicherten den Muslimen in der Stadt ihr Leben zu, dann brachten sie sie verräterisch um. Nun schenkte Gott den Muslimen ihrerseits, Freitag, den 17. Gumada II., um die dritte Stunde die Stadt zurückzuerobern; der Sultan gewährte den Franken Sicherheit und ließ sie dann umbringen, wie es die Franken mit den Muslimen getan hatten; so rächte sich Gott der Erhabene an ihren Nachkommen.“4 Nach der Katastrophe von Akkon fielen die letzten Außenposten christlicher Herrschaft in Tyrus, Sidon, Beirut, Atlik und Jubail kampflos und innerhalb von vier Wochen wie Kartenhäuser in sich zusammen. Nur die auf der Insel Ruad vor Tortosa ausharrenden Templer hielten ihren Vorposten noch bis 1303.
Für die unterlegenen Ritter war es – sofern sie überhaupt überlebt hatten – ein Abschied aus dem Heiligen Land ohne Wiederkehr. Sie sahen einem unsicheren Exil entgegen. Denn die Ära der christlichen Kreuzfahrerstaaten, die rund 200 Jahre zuvor mit der Eroberung Jerusalems 1099 begonnen hatte, war mit dem Fall Akkons endgültig beendet. Die Sehnsucht nach Jerusalem hörte zwar in Europa auch nach 1291 nicht auf, doch alle Pläne zur Rückeroberung des Heiligen Landes scheiterten an den realen Machtverhältnissen im Vorderen Orient. Die Kreuzzugsidee verlagerte sich an andere Schauplätze und richtete sich gegen andere Gegner. Vor allem die türkischen Osmanen, die ab dem 14. Jahrhundert sowohl auf dem Mittelmeer als auch auf dem Balkan in Richtung Westen vorstießen, schälten sich als neue Hauptgegner für das christliche Europa heraus.
Für jene, die zuvor ihr Lebenselixier aus der Präsenz im Heiligen Land gezogen hatten – die großen Ritterorden der Templer, der Johanniter und des Deutschen Ordens –, bedeutete die Vertreibung aus ihren „Stammplätzen“ eine tragische Zäsur. Angetreten, die Pilger aus dem Abendland zu schützen und zu versorgen und die christlichen Herrschaftsgebiete in Palästina und Syrien gegen den Ansturm der Muslime zu verteidigen, stürzten sie nun in eine ernsthafte „Sinnkrise“. Die Phase der Heimatlosigkeit erzwang eine Neuorientierung in geografischer wie ideeller Hinsicht. Das ebenso ungewollte wie dauerhafte Exil überstanden die Johanniter dabei am besten. Während die Templer dem Machthunger des französischen Königs Philipp IV., des Schönen, erlagen, der den Orden zwischen 1307 und 1312 gewaltsam zerschlug, um das Ordensvermögen an sich zu bringen, und sich die Deutschordensritter fernab ihres Herkunftsgebietes in Preußen und Livland ein eigenes Herrschaftsterritorium schufen, bewahrten die Johanniter in der Verbindung von Hospitaldienst und Türkenabwehr ihren ursprünglichen Auftrag am reinsten. Vor allem ihr karitatives Engagement um Arme und Kranke sicherte ihnen die nachhaltige Anerkennung ihrer Glaubensgenossen. Bis heute zehren der (evangelische) Johanniter- und der (katholische) Malteserorden als „Erben“ des mittelalterlichen Ritterordens von diesem sozialen Prestige.
Allerdings war diese Entwicklung nach ihrer Vertreibung aus dem Heiligen Land keineswegs absehbar. Für die vertriebenen Johanniter bedeutete der 18. Mai 1291 wie für die Angehörigen der anderen Ritterorden auch einen dramatischen Schicksalstag, der sie in eine ungewisse Zukunft führte. Zunächst wurde die Insel Zypern ihr Rückzugsgebiet. Angst und Verzweiflung sprechen aus dem Brief, den der schwer verletzte Großmeister Jean de Villiers von seinem Krankenlager aus in diesen Tagen an seinen Mitbruder und Prior von St-Gilles, Guillaume de Villaret, schrieb: „Ich und ein paar unserer Brüder, die meisten verwundet und unheilbar verletzt, entkamen nach dem Willen Gottes, und wir wurden auf die Insel Zypern gebracht. Am Tag, da dieser Brief verfasst wird, sind wir noch immer hier, zutiefst betrübt, gefangen in gewaltigem Schmerz.“5 Der Schmerz sollte so schnell nicht nachlassen. Die nahe Küstenlinie des Heiligen Landes vor Augen, schien die Wiedergewinnung des „verlorenen Paradieses“ zwar in greifbarer Nähe, doch die Realität sah anders aus.
Die Entstehung der drei Ritterorden wäre ohne die zentrale Rolle, die Jerusalem im Denken der mittelalterlichen Gläubigen einnahm, nicht vorstellbar gewesen. Jerusalem galt wegen seiner religiösen Bedeutung als „Nabel der Welt“, als Ort der unmittelbaren Verbindung mit Gott. Die mittelalterliche Kartografie trug Jerusalem daher gerne als (symbolischen) Mittelpunkt der Erde ein. Der Wunsch, die Stätten des Lebens und Sterbens Jesu Christi einmal mit eigenen Augen zu sehen, zog schon in der Spätantike wachsende Pilgerscharen an. Der farbige Bericht der vermutlich aus Spanien stammenden Pilgerin Egeria aus dem 4. Jahrhundert, der die christlichen Festgebräuche in Jerusalem detailliert beschrieb, legt davon Zeugnis ab. In Jerusalem, dem Schauplatz des Heilsgeschehens, verschmolz die reale, irdische Stadt mit der Vorstellung vom „himmlischen Jerusalem“ mit seiner Verheißung auf Erlösung von Sünde und Tod. Der Besuch der heiligen Stätten versprach den Pilgern den höchsten Sündenablass und nicht zuletzt angesichts einer Vielzahl von Reliquien auch Heilung ihrer seelischen und physischen Leiden. Ob Jordanwasser, Kreuzes- oder Nagelsplitter – an Möglichkeiten, mit dem Heiligen in Berührung zu kommen, mangelte es nicht. Nirgendwo wähnte man sich dem Heil so nahe wie in Jerusalem. Vor allem die Grabeskirche und die von Kaiserin Helena im 4. Jahrhundert aufgefundene Kreuzreliquie zogen die Besucher magnetisch an. In Jerusalem selbst entstanden bereits im 7. Jahrhundert erste Pilgerunterkünfte, auch Kaiser Karl der Große stiftete im 9. Jahrhundert eine eigene Einrichtung.
Eine Reise nach Jerusalem bedeutete jedoch für Pilger aus Westeuropa ein langes, gefahrvolles Unterfangen mit vielen Risiken. Unterwegs konnte man erkranken, überfallen und ausgeraubt werden, vielleicht gar dem Tod entgegensehen. Den fremden muslimischen Machthabern fühlte man sich hilflos ausgesetzt. Die Nachrichten vom großen Pilgerzug, den Bischof Gunther von Bamberg 1064 mit zahlreichen anderen hochrangigen Mitgliedern des Reiches auf dem Landweg nach Jerusalem unternahm, sind voller Klagen über Wegelagerer, Räuber und Betrüger. Viele Konflikte mit Einheimischen entstanden, weil man sich weder sprachlich noch kulturell verstand. Die politische Lage im Vorderen Orient wurde durch das Vorrücken der türkischen Seldschuken und die Niederlage der christlich-orthodoxen Vormacht Byzanz’ in der Schlacht von Manzikert in Ostanatolien (1071) weiter destabilisiert. Die zuvor von Byzanz kontrollierten Landwege durch Syrien wurden wieder unsicherer und das Bedürfnis der Pilger nach Schutz und Versorgung wuchs. Viele kamen nur mit letzter Kraft am Ziel ihrer Wünsche an.
Noch vor dem Ersten Kreuzzug, zu dem Papst Urban II. in einer flammenden Rede auf dem Konzil von Clermont 1095 aufrief, gründeten daher Kaufleute aus der süditalienischen Stadt Amalfi wohl zwischen 1070 und 1080, vielleicht sogar schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts, in der Nähe der Grabeskirche zur Versorgung kranker und hilfsbedürftiger Pilger zwei nach Männern und Frauen getrennte Benediktinerklöster, St. Maria Latina und St. Maria Magdalena, und zusätzlich, als sich deren Kapazitäten als nicht ausreichend erwiesen, noch ein eigenes Hospital mit einer dem heiligen Johannes dem Täufer geweihten Kirche. Zunächst standen die Mitarbeiter dieses Hospitals unter der Aufsicht der Mönche und wurden von diesen und den Amalfitanern finanziert. Es handelte sich um Laien, die vermutlich nur einen einfachen Gehorsamseid gegenüber den Benediktinermönchen geleistet hatten, wie es sich für Laienbrüder oder Konversen geziemte. Die Existenz eines Hospitals bestätigen mehrere schriftliche Quellen, aber auch archäologische Ausgrabungen, die Reste eines mehrfach zerstörten Hospitalgebäudes und der St.-Johannes-Kirche als „Keimzellen“ des Johanniterordens zutage beförderten. Um 1080 konnte Erzbischof Johannes von Amalfi bereits das bestehende Hospital auf seiner eigenen Jerusalemreise in Augenschein nehmen.
Nach der blutigen Eroberung Jerusalems 1099 durch die Kreuzfahrer des Ersten Kreuzzuges und der Gründung des Königreiches Jerusalem wuchs der Einrichtung neue Bedeutung zu. Unter dem Leiter Gerhard (gest. 1119/29) löste es sich aus seiner engen Bindung an die Benediktinermönche und stand fortan in Beziehung zu dem lateinischen Patriarchen von Jerusalem und den am Heiligen Grab wirkenden Augustinerchorherren. Die hohe Aufmerksamkeit, die der Besitz des Heiligen Grabes im lateinischen Westen erregte, sicherte auch dem Johanneshospital erhöhte Beachtung. Reiche Spenden und Landzuweisungen in Europa und dem Heiligen Land begünstigten die Hospitalgemeinschaft, wobei man zwischen Gaben für das Heilige Grab und das Hospital gar nicht genau unterschied. Der erste König von Jerusalem, Balduin I., übertrug jedenfalls der karitativen Einrichtung Besitzungen in Jerusalem, Nablus, Jaffa und Akkon.
Als besonders förderlich für die Zukunft erwies sich die rechtliche Anerkennung der jungen Gemeinschaft als eigener Orden durch Papst Paschalis II. 1113. Der Papst bestätigte in seiner Bulle „Pie postulatio voluntatis“ dem neuen Orden vom „Hospital des heiligen Johannes zu Jerusalem“ alle Besitzungen in Syrien und dem Westen, gewährte die freie Wahl eines Ordensmeisters, löste die Bindung zum Heiligen Grab und stellte ihn unter seine eigene Aufsicht. Der karitative Schwerpunkt der Johanniter trat in der Bulle deutlich hervor, denn der Leiter Gerhard zeichnete nicht nur für das Jerusalemer Hospital verantwortlich, sondern auch für die Einrichtungen in St-Gilles, Asti, Pisa, Bari, Otranto, Tarent und Messina, die nicht umsonst in ihrer Mehrzahl zu den bedeutendsten Ausschiffungshäfen für Jerusalempilger zählten. So gab es ein „Versorgungssystem“ für in Not geratene Pilger von den Hafenstädten der alten Heimat bis zum Zielort Jerusalem.
In der Kranken- und Armenfürsorge leistete der Orden denn auch Großes. Das Hospital in Jerusalem wurde Mitte des 12. Jahrhunderts großzügig ausgebaut und genoss aufgrund seines geschulten Personals einen hervorragenden Ruf. In dem riesigen Krankensaal, der von 124 Marmorsäulen untergliedert wurde, fanden bis zu 2000 Personen, Männer wie Frauen, Platz, die von 140 Pflegern und Ärzten rund um die Uhr in elf Schichten versorgt wurden. Die Hospitalordnung von 1182 legte fest, dass „für jeden Flur und Raum im Hospital, wo Kranke liegen, neun Helfer für ihren Dienst bereitstehen sollen, die ihre Füße schön waschen, ihre Tücher reinigen, ihre Betten richten, den Schwachen die nötigen und bekömmlichen Speisen reichen, ihnen liebevoll zu trinken geben und in allen Dingen dem Wohl der Kranken gehorchen“.6 So mancher Reisende kam aus dem Staunen gar nicht heraus angesichts des ungewöhnlich umfangreichen Hospitalbetriebs, den der Kleriker Johannes von Würzburg in seinem Reisebericht aus den Jahren 1160 bis 1170 beschrieb:
„An der entgegengesetzten Seite des Weges, gegenüber der Kirche des Heiligen Grabes gegen Süden, steht eine schöne Kirche, die zu Ehren Johannes des Täufers gebaut ist. An sie schließt sich ein Krankenhaus [an], in dessen verschiedenen Räumen eine ungeheure Zahl Kranker sich sammelt, Männer und Frauen, die mit sehr großen Kosten gewartet und geheilt werden. Als ich dort war, vernahm ich, dass die ganze Zahl der Kranken sich auf 2000 belief, von denen manchmal im Laufe eines Tages und einer Nacht mehr als 50 tot hinausgetragen wurden, während neue ununterbrochen ankamen. Was könnte ich sagen? Dies Haus versorgt ebenso viele Leute außerhalb wie innerhalb, wozu noch die großartige Barmherzigkeit kommt, die täglich armen Leuten erwiesen wird, welche ihr Brot von Türe zu Türe erbetteln und nicht im Hause wohnen, sodass die gesamte Summe der Ausgaben mit Sicherheit auch von den Vorständen und Leitern gar nicht angegeben werden kann.“7
Zusätzlich zum umfangreichen Engagement im Jerusalemer Spital betrieb der Orden bis zum Ende der Kreuzfahrerzeit weitere sieben Hospitäler im Heiligen Land.
Das dadurch gestiegene Ansehen schlug sich in einer neuerlichen Privilegierung nieder. 1135 enthob Papst Innozenz II. den Orden der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt, zwei Jahre später gestattete er ihm die Gründung von Dörfern, Kirchen und Friedhöfen auf den ihm übertragenen Ländereien. 1154 kam die Entwicklung unter Papst Anastasius IV. zu einem gewissen Abschluss, der alle vorherigen Privilegien bestätigte und die Indienstnahme ordenseigener Kleriker gestattete. Die überwiegende Anzahl der Ordensmitglieder waren jedoch Laien, die die klösterlichen Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams ablegten und gemeinsame Gebetszeiten beachteten. Unter dem zweiten Ordensmeister Raymond du Puy (reg. 1120–1158/60) kam es zwischen 1120/24 und 1153 zur schriftlichen Fixierung einer Ordensregel, die sich stark am benediktinischen Ideal sowie an der Augustinerchorherrenregel orientierte. In 19 Artikeln wurden die Normen des Zusammenlebens wie das Ablegen der Gelübde, das Verhalten im Gottesdienst, das Sammeln und Verwenden von Almosen, das Tragen der schwarzen Ordenskleidung mit dem Kreuz, das erst etwas später seine charakteristische achtspitzige Form annahm, oder die Abwesenheit vom Konvent zusammengefasst. Strafen für Übertretungen dieser Regel wurden ebenso festgelegt wie die Kriterien zur Aufnahme und Pflege der Kranken. Für die Kranken war dabei nicht nur die leibliche, sondern auch die geistliche Betreuung durch die Brüder vorgesehen.
Rüstung, Schild und Schwert suchte man bei dem Spitalorden zunächst vergeblich. Erst langsam wuchs er in eine militärische Rolle hinein, da der Schutz der Pilger auf den unsicheren Landwegen immer wichtiger wurde. Der Templerorden hatte es vorgemacht. Um 1120 hatten sich unter Führung des aus der Champagne stammenden Ritters Hugo von Payens in Jerusalem einige Ritter zu einer Bruderschaft zusammengetan, um den bewaffneten Schutz der Pilger von den Küstenstädten nach Jerusalem zu gewährleisten. König Balduin II. überließ ihnen Teile seines Königspalastes in der al-Aqsa-Moschee, der auf den Grundmauern des Tempels Salomons stand. Daher nannte sich die Gemeinschaft „Arme Ritter Christi und des Tempels von Salomon zu Jerusalem“ oder einfach Templerorden. Anders als bei den Johannitern ging es den Gefährten um Hugo von Payens von Anfang an ausdrücklich um eine militärische Aufgabe, nämlich die Verteidigung der Pilgerscharen und der gerade entstehenden Kreuzfahrerstaaten gegen Angreifer von außen.
Das höchstproblematische Verhältnis zwischen christlichem Friedensgebot und militärischem Kampfeinsatz konnte mithilfe des hoch angesehenen Zisterzienserabts Bernhard von Clairvaux gelöst werden, der in seiner „Lobrede auf das neue Rittertum“ den bewaffneten Kampf der Krieger-Mönche gegen Glaubensfeinde in den höchsten Tönen lobte. „In der Tat ist ein Ritter unerschrocken und von allen Seiten geschützt, der wie den Körper mit dem Panzer aus Eisen auch den Geist mit dem Panzer des Glaubens umgibt. Mit beiderlei Waffen vortrefflich geschützt, fürchtet er weder Teufel noch den Menschen“, begrüßte er die neue Entwicklung.8 „Wenn (der Tempelritter) einen Übeltäter tötet, ist er kein Mörder, sondern, wie ich es nennen möchte, sozusagen ein Übeltöter“, wischte er alle Gewissenszweifel vom Tisch. 1129 erhielt der neue Orden auf dem Konzil von Troyes seine kirchenrechtliche Anerkennung unter einer eigenen Ordensregel.
Unter dem Zwang der Notwendigkeiten, die eigenen Herrschaftsgebiete in einem überwiegend feindseligen Umfeld zu sichern, begannen sich auch die auf den Spitaldienst spezialisierten Orden zu militarisieren. Zu diesen zählte neben den Johannitern auch der Deutsche Orden, der aus einer 1189/90 von niederdeutschen Kreuzfahrern während der Belagerung Akkons gegründeten Spitalbruderschaft hervorgegangen war. Auch diese zunächst rein karitative Gemeinschaft nahm angesichts der unsicheren Verhältnisse im Heiligen Land das Schwert zur Hand. 1198 übernahm der Orden eine gemischte Regel – für den militärischen Dienst die der Templer, für die karitativen Aufgaben die der Johanniter. 1199 bestätigte Papst Innozenz III. den Deutschen Orden konsequenterweise als neuen Ritterorden.
Wie der Prozess der Militarisierung bei den Johannitern genau ablief, ist unsicher. Zunächst dürften sie nur in ihrer Eigenschaft als Grundherren Truppen aus den ihnen übertragenen Ländereien rekrutiert sowie zusätzlich Söldnerkontingente angeworben haben. Raymond du Puy gehörte aber jedenfalls schon zum engeren Beraterkreis der Kreuzfahrerheere, wenn es darum ging, militärische Aktionen abzusprechen. Bis zur Aufnahme von eigenen Ordensrittern, die sich ausschließlich dem Kampf widmeten, dauerte es jedoch noch eine ganze Weile. Quellenmäßig lassen sich in den Ordensstatuten erst um die Wende zum 13. Jahrhundert bewaffnete Brüder nachweisen.
Unübersehbar beherrscht die syrische Kreuzfahrerburg Crac des Chevaliers, die auf einem 755 Meter hohen Bergrücken über dem Akkar-Tal thront, das gesamte Umland. Wer von der Küstenregion über die sogenannte Homs-Pforte, einen mäßig ansteigenden Pass, ins Landesinnere reiste, kam an ihr und ihrer Besatzung nicht vorbei. Mit ihren doppelten Mauern und massiven Wehrtürmen, den raffinierten Wehrgängen, dem Wassergraben, der gleichzeitig als Zisterne diente, und dem schräg aufgeschütteten Glacis vor der Oberburg bildete sie einen ausgeklügelten, nahezu uneinnehmbaren Festungsbau, der bis heute eine imposante Erscheinung geblieben ist und den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes genießt. „Was der Parthenon für die griechischen Tempel und Chartres für die gotischen Kathedralen ist, das ist der Crac des Chevaliers für die mittelalterliche Burg: das alles überragende Beispiel einer der größten Bauten aller Zeiten“, urteilte der Burgenkenner Thomas S. R. Boase.9 Und in der Tat: Die Kreuzfahrerburg besticht durch ihre baulichen Raffinessen, die normannische, byzantinische und lokale Bautraditionen vereinte. Ein beeindruckender 130 Meter langer Eingangstunnel mit Kehrtwendungen und einer 180-Grad-Haarnadelkurve, dessen sanft ansteigende Treppenstufen selbst Pferden den Einritt ermöglichten, führte vom Außenbezirk zur Oberburg. Die stattlichen Vorratsgebäude und Stallungen, aber auch der repräsentative, mit einem Kreuzrippengewölbe gedeckte „Große Saal“ erinnern daran, dass hier eine Besatzung von rund 2000 Personen Aufnahme finden konnte.
Die stolzen Herren dieser Festung waren bis 1271, als der Mameluckensultan Baibars sie einnahm, die Ritter des JohanniterordenS. 1142 hatten sie die Burg vom Grafen Raimund II. von Tripolis übertragen bekommen und dann Zug um Zug in drei Bauphasen zwischen 1150 und 1250 zu einem Bollwerk gegen die muslimischen Gegner ausgebaut. Nichts zeigt die Umwandlung der ehemaligen Spitalbruderschaft in einen Ritterorden besser als der Aus- und Umbau dieser Burg. Der Crac des Chevaliers beherrschte das Umland, schützte die Städte und Dörfer des Küstengebiets vor Überfällen und bildete gleichzeitig ein Symbol der Macht für die Ordensritter.
Aus ihrer militärischen Bedeutung für das Heilige Land bezogen die Johanniter ihr Selbstbewusstsein. Denn der Crac des Chevaliers war nicht die einzige Festung, die sie besaßen. Weitere mächtige Burgen wie Belvoir im Jordantal, das zeitweise als Hauptsitz dienende Margat oder auch das zwischen Küste und Jerusalem gelegene Belmont standen unter ihrer Aufsicht. Diese Trutzburgen bestachen durch ihre Größe und außergewöhnliche Architektur. Die auf quadratischem Grundriss errichtete Burg Belvoir lag auf der Naphtali-Hochebene rund 550 Meter über dem Jordantal mit freiem Blick auf den See Genezareth. Nicht umsonst bedeutete der Name „schöne Aussicht“. Aber nicht des schönen Blicks wegen ließen sich die Johanniter hier 1168 nieder. Sondern wegen der strategischen Bedeutung der Grenzfestung, die zuvor im Besitz einer fränkischen Adelsfamilie gewesen war. Die Ordensritter bauten sie zu einer außergewöhnlichen Anlage mit zwei quadratischen, ineinandergesetzten Verteidigungsringen aus. Die Türme des Außenkastells erhoben sich bis zu 25 Meter über das Grabenniveau; die starken Außenmauern erreichten eine Dicke von drei Metern. Das äußere Kastell selbst wurde von einer umlaufenden, spitztonnengewölbten Halle von sechs bis sieben Metern Breite gebildet, deren Außenmauern Schießscharten und Ecktürme trugen. Im Inneren der gewaltigen Anlage gab es nicht nur großzügige Lager-, Versammlungs- und Wohnräume, sondern auch Rittersäle und eine Kapelle sowie eine Küche mit drei Backöfen, zwei Zisternen und eine Wäscherei. Das Bollwerk aus dunklem Basaltgestein hielt lange dem Ansturm der muslimischen Truppen stand. Erst 1189 wurde die Burg dem erfolgreichen Sultan Saladin übergeben.
Die Ritter des Johanniterordens zählten neben ihren „Kollegen“ vom Templer- und Deutschen Orden bald zum militärischen Rückgrat der christlichen Kreuzfahrerstaaten. Nicht nur ihrer Burgen wegen, die sich wie Glieder einer Kette den Küstenstreifen entlangzogen und zusammen mit einer Reihe von kleineren Forts eine Art „Sicherheitssystem“ bildeten, sondern auch wegen ihrer geschätzten kämpfenden Brüder. Denn anders als die in regelmäßigen Abständen eintreffenden bunt zusammengewürfelten Kreuzfahrerheere aus Europa stellten sie die einzigen dauerhaft im Heiligen Land stehenden Truppeneinheiten dar. Überdies waren sie mit den klimatischen und geografischen Verhältnissen der Region vertraut und kannten die Taktik der muslimischen Feinde am besten. Ihr Wissen und ihre Erfahrung, aber auch ihre eiserne Disziplin hoben sie von den häufig untereinander zerstrittenen und von unklaren Hierarchien gehemmten Kreuzfahrerheeren wohltuend ab. Die Ordensritter leisteten bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft ihrem Großmeister einen Gehorsamseid, der sich unter anderem auch auf den militärischen Bereich auswirkte und ein eigenmächtiges Vorpreschen auf dem Schlachtfeld verhinderte. Harte Strafen trafen jene Ordensritter, die sich nicht an die Signale ihrer Bannerführer hielten oder aus der Kampfformation ausbrachen. Überdies konnten sie personellen wie materiellen Nachschub gut über ihre Niederlassungen in Westeuropa organisieren, sodass sie das Potenzial der „alten Heimat“ wesentlich besser nutzen konnten als jede andere Macht im Heiligen Land. Nach verlustreichen Schlachten füllten sie ihre Reihen schneller wieder auf, während es oft Jahre oder Jahrzehnte dauerte, bis ein neuer Kreuzzug ausgerufen und finanziert war.
Im Zuge der Militarisierung schälte sich seit Ende des 12. Jahrhunderts eine veränderte Ordensstruktur der Johanniter heraus. Der karitative Dienst trat hinter den militärischen Erfordernissen zurück. Das größte Prestige lag nun bei den Ritterbrüdern, die schwer bewaffnet und zu Pferd in den Kampf zogen. Sie stammten aus dem Adel und standen an der Spitze der Ordenshierarchie, da sie auch die wichtigsten Führungsämter innerhalb des Ordens besetzten. An zweiter Stelle folgten die Priesterbrüder, die als geweihte Kleriker die geistliche Versorgung der Gemeinschaft übernahmen und meist ebenfalls aus dem Adel stammten. Sie übernahmen in der Regel nur geistliche Ämter wie das des später hoch angesehenen Konventspriors. Im Rang deutlich untergeordnet waren die Servienten, die dienenden Brüder, die nicht aus dem Adel stammten, sondern bei Eintritt in den Orden nur eheliche Geburt und tadellosen Lebenswandel nachweisen mussten. Die dienenden Brüder nahmen vielfältige Aufgaben war. Es gab unter ihnen solche, die kämpften, aber auch andere, die vorwiegend praktische Tätigkeiten im Hospitaldienst und in der Güterverwaltung ausführten. Sofern sie kämpften, trugen die Servienten leichtere Bewaffnung als ihre Gefährten aus dem Adelsstand, sie besaßen auch weniger Pferde als diese, waren aber wie die Voll-Ritter dem Marschall unterstellt. Obwohl die dienenden Brüder nur wenige und untergeordnete Ämter im Orden bekleideten, bildeten sie doch eine tragende Säule im Ordensgefüge. Sowohl im militärischen Bereich als auch im Spitaldienst wäre ihr Beitrag nicht wegzudenken gewesen.
Neben den Vollmitgliedern des Ordens, die alle die Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams ablegten, gab es eine ganze Reihe von Personengruppen, die dem Orden nur zeitweise oder lose verbunden waren und auch keine ewigen Gelübde ablegten. Dazu zählten die „Ritter auf Zeit“, die sich nur für ein Jahr zum Dienst an der Waffe verpflichteten und dies als Akt der Buße ansahen, oder auch die sogenannten „Confratres“ oder „Donaten“, Laienbrüder und -schwestern, die den Orden vor allem finanziell unterstützten, aber auch gelegentlich im Ordenshaus mitlebten, in jedem Fall aber in die Gebetsgemeinschaft des Ordens aufgenommen wurden und seinen geistlichen Schutz genossen. Dazu bereicherte eine Vielzahl an Hilfskräften – Knechte, Diener, Ärzte, Söldner, Knappen, Schiffsleute – die Ordensgemeinschaft. Wie bei anderen Orden üblich, bildete sich auch bei den Johannitern ein weiblicher Zweig aus, der allerdings auf kontemplative Aufgaben beschränkt blieb. Die Johanniterschwestern lebten in strenger Klausur und betätigten sich von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht in der Kranken- und Armenpflege.
Die hohe Kompetenz der Johanniter in militärischen Fragen bescherte ihnen zwar großes Ansehen im Heiligen Land wie in Europa, was sich an steigenden Spenden- und Landzuweisungen bemerkbar machte, doch gleichzeitig mussten sie einen immensen Blutzoll für ihre Einsatzbereitschaft bezahlen. Da sie teilweise bis zu 60 Prozent der christlichen Heere in der Levante stellten, waren ihre Verluste an Menschenleben entsprechend hoch. Die aus Europa eintreffenden Kreuzfahrerheere unterstützten die Orden zwar in vielfältiger Weise. Diese stellten indes nicht nur mit ihren eigenen Ritterbrüdern einen Großteil der Kerntruppen der Heere, sondern verstärkten sie mit auf eigene Kosten angeworbenen Fußsoldaten und Berittenen, einheimischen Bogenschützen, den Turkopolen, sowie den Kontingenten, die sie aus ihren Grundherrschaften rekrutierten. Dazu sicherten sie den Vormarsch von ihren Burgen aus, stellten Belagerungsmaschinen zur Verfügung und unterstützten die „Landoperationen“ mit ordenseigenen Schiffen von der Seeseite her.
In der Schlacht von Hattin 1187 gegen Sultan Saladin rekrutierten Johanniter und Templer fast ihren gesamten Truppenbestand, zusammen etwa 600 Ritter. Die fränkische Armee, die insgesamt etwa 1200 Ritter umfasste, wurde in dieser verlustreichen Schlacht fast vollständig aufgerieben. Wer nicht im Kampf starb, der wurde anschließend von Saladin hingerichtet, denn die Angehörigen der Ritterorden galten ihm als besonders kampftüchtig und sollten daher nicht am Leben bleiben. „Auf Befehl des Sultans (…) wurden die gefangenen Templer und Hospitaliter gesammelt, um getötet zu werden“, berichtet der Chronist Ibn al-Atir.10 „Er ließ sie besonders umbringen, weil sie die tüchtigsten Krieger unter den Franken waren; so schaffte er der Bevölkerung Erleichterung von ihnen.“ In der Schlacht von La Forbie bei Gaza 1244 erlitten die drei Ritterorden gegen die aus dem Osten einfallenden Chwarismier wiederum herbe Verluste. Insgesamt 1000 kämpfende Brüder kamen bei dem blutigen Kampf ums Leben, darunter 328 Johanniter. Da zudem Tausende von Fußsoldaten und Bogenschützen auf dem leichenübersäten Schlachtfeld blieben, war die Kampfkraft des Königreichs Jerusalem deutlich geschwächt.
Der Rückzug aus dem Heiligen Land vollzog sich schleichend, aber unaufhaltsam. Bereits nach dem Fall Jerusalems (1187) mussten die Johanniter und die Templer ihre Hauptquartiere nach Akkon verlegen. Mehr noch als der kurdischstämmige Saladin aus der Dynastie der Ayyubiden machte den Ordensrittern der Mameluckensultan Baibars zu schaffen, der 1260 in Ägypten die Macht ergriff und Zug um Zug die christlichen Kreuzfahrerstaaten in Bedrängnis brachte.
Die Mamelucken, die als Militärsklaven aus der südrussischen Steppenlandschaft nach Ägypten gekommen waren, erwiesen sich als äußerst kampfgeübte Zeitgenossen. Baibars, von Geburt her vermutlich Kiptschak-Türke und im Alter von 14 Jahren in die Sklaverei verkauft, fiel vor allem durch seine kompromisslose Härte gegenüber seinen Feinden auf. Dazu trieben ihn jedoch nicht allein seine rohe Veranlagung, sondern vor allem strategische Erwägungen. Denn der Einfall der Mongolen in die Levante im Jahr 1260 bedeutete für die ganze Region eine tödliche Gefahr. Nur mit äußerster Mühe war es den Mamelucken gelungen, in der Schlacht von Ain Dschalud in der Nähe von Nazareth den Sturm aus der Steppe abzuwehren. Doch trotz des teuer erkauften Sieges fürchtete Baibars, dass sich die christlichen Vorposten in Palästina und Syrien mit den Mongolen verbünden könnten. Da die Kreuzritterheere seit den Verlusten von La Forbie deutlich geschwächt waren, zeigte sich Baibars wild entschlossen, sie endgültig von der Landkarte zu beseitigen. Ein Feldzug nach dem anderen folgte: Caesarea, Arsuf, die Festung Safad, Ramla, Jaffa, die mächtige Hafenstadt Antiochia erlagen der Reihe nach seinem Ansturm. Dabei wandte der Mameluckensultan eine Strategie der „verbrannten Erde“ an. Obstbäume und Getreidefelder wurden niedergebrannt, Städte komplett zerstört, die Zivilbevölkerung wurde massakriert oder in die Sklaverei verkauft. Bei der Eroberung Antiochias sollen bis zu 17.000 Menschen ermordet worden sein, Zehntausende gerieten in die Sklaverei.
Baibars ließ an seiner Entschlossenheit, die fremden Herren aus dem Land zu treiben, keinen Zweifel, als er im Februar 1271 begann, die Festung Crac des Chevaliers zu belagern, die als uneinnehmbar galt – wenngleich sie nur noch schwach besetzt war. Mit einem riesigen Heer und zahlreichen Wurfmaschinen lagerte er vor ihren Toren und ließ die äußeren Befestigungsmauern einen Monat lang sturmreif schießen. Nachdem ein kleiner Teil der südlichen Außenmauer eingebrochen war, verlegte er sich angesichts der Stärke der Hauptburg jedoch auf eine List. Er ließ den ausharrenden Johannitern einen gefälschten Brief ihres Ordensmeisters zukommen, der sie zur Kapitulation aufforderte. Angesichts ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit boten die verbliebenen Ritter am 8. April 1271 die Übergabe der Burg gegen die Garantie des freien Abzugs an. Der Crac des Chevaliers war verloren.
Baibars stoppte nur der Tod, der ihn 1277 in Damaskus ereilte. Doch seine Nachfolger setzten die Eroberungspolitik fort. 1285 fiel das gut befestigte Margat, 1287 Latakia, 1289 Tripolis. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die letzte Bastion Akkon fiel. Diese Aufgabe vollendete al-Aschraf Khalil mit mameluckischer Gründlichkeit: Nachdem er im Winter rund 100 Wurfmaschinen aus dem ganzen Land mithilfe von Ochsenkarren vor Akkon hatte bringen und dort zusammenbauen lassen, begann er am 5. April 1291 die Belagerung der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt. Die großen Katapulte mit den sprechenden Namen „der Siegreiche“ oder „der Wütende“ warfen zentnerschwere Geschosse auf die Stadtmauern; Pfeile und kleinere Steinkugeln prasselten wie nie enden wollende Hagelschauer auf die Verteidiger herab. Die Mamelucken „arbeiteten“ mit großer Disziplin. Sie kämpften in vier Schichten Tag und Nacht. Die Verteidiger hatten schon zu diesem Zeitpunkt keine Chance mehr. Ein Ausfall unter dem Großmeister der Templer scheiterte, der Beschuss der Belagerungsarmee durch ein Schiffskatapult erwies sich als wirkungslos. So blieb den verschreckten Bewohnern nichts anderes übrig, als den Generalangriff der immer näher heranrückenden Gegner zu erwarten. Schließlich unterminierten sie die Stadtmauern und erzwangen sich durch eine Bresche beim Königsturm den Zugang zur inneren Mauerlinie. Am 18. Mai leitete das Schlagen der Kampftrommeln den letzten Akt in Akkons Untergang ein. Die Krieger des Sultans drangen durch zwei Stadttore ins Innere der Metropole. Die einst blühende Stadt versank in einem Blutbad.
„Mit diesen Eroberungen waren alle Plätze an der Küste wieder in den Besitz des Islam zurückgekehrt“, freute sich der muslimische Chronist Abu’l-Fida nach dem Fall Akkons, „ein Ergebnis, das niemand auch nur zu hoffen und zu wünschen gewagt hatte: ganz Syrien und die Küstengebiete waren gereinigt von den Franken, nachdem sie beinahe schon Ägypten erobert und sich Damaskus und anderer Städte in Syrien bemächtigt hatten. Lob sei Gott!“11 Doch wohin sollten sich die Vertriebenen wenden? Es blieb nur der Weg über das Mittelmeer, um irgendwo in Sicherheit zu kommen. Die nahe gelegene Insel Zypern, deren König Heinrich II. aus dem Hause Lusignan gleichzeitig den Titel eines Königs von Jerusalem führte und in Akkon mitgekämpft hatte, bot sich als Unterschlupf an. Die Johanniter selbst besaßen einigen Grundbesitz um die Burg Kolossi und in den Städten Nicosia und Limassol. So lag es nahe, das Ordenshaus in Limassol zum Hauptquartier zu machen und dort auch ein neues Hospital zu planen, um den karitativen Dienst wieder aufnehmen zu können.
Man mag sich nicht ausmalen, in welchem Zustand die Brüder auf der Insel ankamen. Verletzt und deprimiert kämpften sie ums blanke Überleben, denn die Versorgungslage auf der Insel nahm sich direkt nach der Katastrophe von Akkon prekär aus. Die Einfuhren aus dem Westen reichten kaum aus, um die plötzlich eintreffenden Flüchtlingsscharen zu versorgen. Dazu kam die starke Stellung des zypriotischen Königs, der den beiden Ritterorden selbstverständlich keine privilegierte Machtstellung in seinem Herrschaftsbereich einräumen wollte. Die Johanniter wie auch die Templer mussten sich unter die Politik des Königs beugen, durften nicht uneingeschränkt Land erwerben oder Abgaben erheben. Selbst ihre zahlenmäßige Anwesenheit wurde schon kurz nach ihrer Ankunft reglementiert. Nur 70 Ritterbrüder und zehn gewappnete dienende Ritter durften sich ab 1301 in der Niederlassung der Johanniter auf Zypern aufhalten.
Vor allem war es aber der gewaltige Prestigeverlust im Abendland, der den Ritterorden seit ihrem Rückzug aus dem Heiligen Land zusetzte. Militärisch hatten sie offensichtlich versagt. Die Niederlagen im Kampf gegen die Mamelucken lastete man, da man über die genauen Machtverhältnisse im Vorderen Orient nur wenig wusste, einseitig ihnen an. Dazu kam angesichts des umfangreichen Ordensbesitzes im Westen eine ausgeprägte Neiddebatte. Wenn alle sprudelnden Einnahmequellen bei der Verteidigung des Heiligen Landes nichts genützt hatten – wozu brauchte man dann überhaupt noch einen Ritterorden? Vorwürfe von Habgier, Verschwendungssucht und Veruntreuung wurden laut. Selbst in den höchsten Reihen der Kirche, unter den Päpsten Nikolaus IV. und Clemens V., dachte man ernsthaft über eine Zusammenlegung der Ritterorden nach, um deren Schlagkraft zu erhöhen. Der Templergroßmeister Jacques de Molay und der Johannitergroßmeister Foulques de Villaret (reg. 1305–1317/19) wandten sich 1306 in ihren Stellungnahmen allerdings gegen ein solches Ansinnen.