Ich bin was ihr wollt
Andere kennen mich besser
An die geht mein Liebe
Mein Leben
Ihr wisst schon
Hinter meinen Augen jener andere Ort
’Ich – Autist’
Die grandiose Welt des Jimmi Asperger
Roman von Michael Koehn
’Ich – Autist’
Die grandiose Welt des Jimmi Asperger
...hinter meinen Augen jener andere Ort...
(my nice obstruction Tagebuch)
Ich habe meine Heimat verloren, ohne je eine gehabt zu haben. Doch das ist halb so schlimm, denn ich bin Dramaturg. Asperger- Autist. Und manchmal denke ich es regnet, obwohl es regnet. Ein Andermal schneit es Schnee. Obwohl es Schnee schneit. Und manchmal ist nichts Nicht. Nacht. Und dunkel. Obwohl.
„Berghain“, - fragst du?
„Überall“, antworte ich. Hingehen. Untergehen. Was einem gerade so einfällt. Hunger. Durst. Tanzen. Rav. Jieper auf Rausch. Druck. Facepalme am Morgen. Kacke in Begleitung. Als wäre irre zu sein das Normalste der Welt. Thanks for the reminder! Kotzen. - Findest du nicht? Doch. Ja! Sage ich. Weil ich anders bin.
Klar und deutlich sein. Egal wer spricht. Nicht verkleidet sein, einfach nur ich selbst auf den Weg - und ganz locker marschierend um sofort loszulegen.
Denn ich möchte niemand anderer sein. Hörst du?
Manche träumen dieser oder jener zu sein. Was geheimnisvolles. Darüber, was sie mit Frauen machen ... werden ... die auf lange Schwänze stehen. Diese schwarzen Bilder. Vor Augen. Vor denen sie Angst haben. Und aus. Und doch. Zeigen sie sich weiter schwach. Verwundbar. Mit den kurzen Dingern. Und nicht nur im Traum. Doch dann komme ich. Eine Szene wie damals. Als ich an der Gesellschaft schuldig wurde. Krank.
„Dieser Spruch soll provozieren, - hörst du?“
„Ja, das merkt man beim ersten Ton!“
Diese irren Momente. Diesmal mit Bild. Und wieder weg - das Bild. Ein Grinsen. Groß und breit. Ich. Mit Frauen im Whirlpool. „Zieh deine Hose aus, zeig mir was du da unten hast, damit ich dran lutschen kann!" Die ewigen Tunten! In Wiederholung. Doch so unglaublich echt. Wie lange schon? Geoutet. Kopulierend am Boden liegen und. Wieder das Grinsen. In einer Bar mit überhöhten Preisen. Beschiss. Betrug. Mit schlechter Musik, spastischem Gezappel an der Stange. Flashlight. Kiffer in der Ecke. Drücker. Überall fickende Paare. Gebrüll und Gelaber. Typen mit Haarlänge Arsch plus X. Glatzen XXL. Bodybilder. Hungerharken. Models. Modells. 6 Pack. Hängearsch. Bauch. Von allen Seiten Kameras. Handys.
„Berghain, sagtest du?“
„Überall, sagte ich!“
Hingehen. Untergehen. Was einem gerade so einfällt. Hunger. Durst. Rav. Jieper auf Rauch. Druck. Facepalme am Morgen. Kacke in Begleitung. Als wäre irre zu sein das Normalste der Welt. Thanks for the reminder! - Kotzen. Findest du nicht?
Eine wie sie: Haarfarbe nicht zu ermitteln. Figur weiblich. Knappes Kleid. Verknotetes Tuch über der Brust. 1.000 Ringe um die Knöchel. Rückenfrei. Löwenkopf- Tattoo. Tierisch gefährlicher Knackarsch. Titten - die in die Tiefe fallen. Mich voll abtörnen. Kann sich kaum auf den Füßen halten. Vermute: Mundgeruch. Gecastet als messerscharfe Alte. „Na Schnucki ... ma n Euro? - Hicks.” Glitzernd die Silbermähne. Und ich weg. Auf und ... Halt! Bleiben sie dran. Nur eine kurze Werbeunterbrechung. Ein Spot nur! Und der zeigt eine Menge an Schaum. Bunte Blubberblasen. Im Kameraschwenk dann: Porno. Nippel. Penis. Vagina. Geschlechtsverkehr ohne Gummi - auf dem Klo. Weit in der Tiefe. Großflächig am Boden. Überall Sperma auf den Fliesen. Kein Jugendschutz im Raum. Szene: Not safe for work! Während am Handy der Goldzähler rattert. Blutdruck 195/110. Puls 165. Badewanne. Kurvenreiches Volumen. Shampoo. Im Geschlechtsakt mit dem Gold vereint. Klappe. Ich wie Rumpelstilzchen persönlich. This Spot was presented to you by… definierte Statur. Passende Beine. Road to darkness. Meine Lieblingswerbung. Tell me: is this love? Das Krächzen eines Raben?
Der Junge ist ’eben’ anders, höre ich.
Wie? --- Anders? - Muss ich mich dafür entschuldigen Mutter?
Der ist ein Vollidiot, spotten Nachbarn; besonders die an der linken Hand verkrüppelte Frau Müller aus dem ersten Obergeschoss unter uns; mit dem wie irre kläffenden Hund.
Ständig unaufmerksam ist der. Sagt die Grundschullehrerin, als wäre ich nicht da. Und er sieht nur aus dem Fenster. Legastheniker auch noch. Diagnostiziert der Schularzt. Sonderschule. Steht in einer Verfügung. Und dass ein hoher IQ nur hinderlich sei.
--- ? ---
Haben Sie mal seine Zeichnungen gesehen? Fragt der Psychologe den Anstaltsleiter. Wenn es so in seinem Kopf aussieht - na dann gute Nacht.
Das Monstrum hat meinen Sohn geschlagen und... Der gehört weggesperrt!
Und alle meinen mich: Jimmi Asperger: Beruf Schauspieler. Leitspruch: Wo ICH bin, ist auch ICH drin!
Ich stehe an der Ecke vom Weg zur Straße, wo sich vom Wald drüben die Luft mit modrigem Geruch aus Unterholz und Klärgrube mengt. Dazu vom Anstaltsgarten Blumen duften. Schmetterlinge flattern. Hummeln summen. Vögel zwitschern. Ab und an aus weiter Ferne ein Auto zu hören ist. Und ich bin sicher, es ist der beste Platz der Erde für Zecken, Bremsen, Mücken. Und auch eine Ecke, um an den Viechern unbemerkt zu sterben. Sich lautlos zu Tode zu kratzen.
Ey. Die Idee finde ich einfach grandios. - Man sagt zudem, ich sei auf den Tag XY Jahre alt und dass es Zeit sei für ausreichend Bremsen-, Mückenstiche, Zeckenbisse; den Sturz in die Jauchegrube gegenüber: Krepier doch endlich! ...my nice obstruction... Schon klar!
Kaum vor der Anstaltstür, klingelt das Handy. Eigentlich ein scheiß Teil. Jedenfalls für mich.
Halt! - Stopp! Ohne ist nicht! Sagt er. Minuten zuvor. - Kein
Tagesausgang ohne Handy.
Wer - sagt das?
Ich, sagt er. ICH trage schließlich die Verantwortung!
Wofür?
Für Sie. Für alles, was Sie da draußen tun werden.
Sie?
Ja!
Und ich?
Sie auch. Sagt er.
Und wohl deswegen klingelt das Handy.
Doch ich kann nicht. Ich gehe nicht ran. Es sind meine Arme. Mein
Geist. Meine Seele. Die sich den Fichten vor der Anstaltspforte
ergeben. Deren Rauschen. Wenn der Wind die Wipfel biegt. Äste
gegeneinander reiben. Baumstämme knarren. Jede einzelne Nadel mich
anspricht. Von denen ich welche vom Boden aufklaube, um die mir in
den Mund zu stecken. In das Handyklingeln. Zwei oder Drei
hinunterschlucke. Mit dem Klingeln. Fluch der Karibik… hat Doktor
Munk mit der Frage ’wollen Sie das?’ aufgespielt. Was liegt sonst
an? Spiel mir das Lied vom Tod. Ist eine Testfrage, Doktor, - oder
was? Also - Fluch der Karibik? Bitte schön. Und wohl deswegen
klingelt das Handy so nervig. - Eventuell wäre ’Spiel mir das Lied
vom Tod’ doch besser. Oder nicht?
Hallo, sage ich.
Junge. Höre ich. Du wolltest dich doch melden!
Junge? Kenne ich nicht.
Junge. Sagt sie. Und dann höre ich weinen. Sag doch was…
Sie sind verkehrt verbunden, sage ich.
Nicht auflegen, fleht die Stimme. Ich bin deine Mutter.
Wessen Mutter?
Die von Franz!
Ach, die von Franz. Ach so… Das hätten Sie aber gleich sagen
können.
Und? Ist er zu sprechen?
Der Franz?
Ja.
Moment. Ich muss dazu in den Unterlagen nachschlagen.
Ja, bitte.
Und Tatsache. In den Unterlagen steht Jimmi Franz! - JIMMI FRANZ
BRUNO!
Jimmi Franz Bruno, sage ich der Frau.
Stimmt, sagt die. Ich bin die Mutter von Franz.
Ach Sie sind das … Ich dachte schon es wäre Doktor Munk. - Sagen
Sie, kennen Sie eigentlich den Fluch der Karibik?
Hast du denn deine Medikamente auch genommen, Junge?
Das Lied vom Tod wäre doch wohl besser gewesen. Oder, - was meinen
Sie?
Es ist kalt. Ist März. Schon wieder. Dessen ungeachtet sitze ich
ihrer Wohnung gegenüber im Auto. Warte noch zwei, drei Minuten, als
sie das Haus verlässt. Steige dann aus. Gehe über die Straße. Den
Schlüssel zu ihrer Wohnung in der Hand. Den Baseballschläger unter
der Jacke. Niemand sieht mich. Glaube ich. In der Wohnung
inspiziere ich, ob sich etwas verändert hat. Nein. Alles wie
gehabt. - Beginne im Bad. Mit dem Spiegel. Es reicht ein Schlag.
Totalschaden. Fege mit einem Wischer die Kosmetika von der Ablage.
Trete auf Tuben. Bürsten. Kämme. Fläschchen. Springe hoch. Kicke
gegen das Toilettenbecken. Schlage wuchtig drauf. Wasser spritzt.
Überraschung! Denn schon unter einem eher mittelmäßigen Hieb platzt
das Handwaschbecken wie dünnes Glas. Schlage es in Sekunden bis auf
Bruchstücke aus der Verankerung. Der Duschwand reicht leichtes an
tippen. Deren Glas zerfällt wie Eisblumen in der Sonne. Für die
Küche hole ich den Feuerlöscher aus dem Flur. Sie hatte schon immer
ein abstruses Sicherheitsdenken. Und nach dem Kühlschrankinhalt
reicht der Schaum noch locker für tausend Gewürze. Die unteren
Küchenschranktüren trete ich mit der Fußspitze ein. Für die oberen
nehme ich den Schläger frontal. Es fühlt sich süß an - als würde
ich sie zum letzten Mal küssen, als ein Honigglas zersplittert und
mir einige Tropfen auf die Lippen gelangen. Egal, befehle ich meine
Gedanken in die nächste Aufgabe. Egal! Und ab in den Wohnbereich.
Minka hockt dort unter dem Tischtuch. Ihre Katze. Sieht mich.
Miaut. Laut. Noch im Wagen stellte ich mir vor, sie an den
Hinterbeinen zu packen und mit dem Schädel an die Wand zu schlagen.
Doch schon bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Wie auch
jetzt. Ich locke sie an. Mietz. Mietz. Öffne das Fenster und...
Ziehe mein Butterfly, zerschneide die Polstermöbel. Die Bilder an
den Wänden. Kippe ohne Mühe den Schrank um. Schlage darauf ein.
Reiße das Telefonkabel aus der Wand. Werfe den Fernseher gegen die
Wand. Zerlege im kleinen Zimmer nebenan mit einem Rundumschlag den
Rechner samt Bildschirm. Die drei Rohrsessel. Zwei Korbstühle.
Zertrete Kassetten und Disketten. Ihre Sammlung Schallplatten. Das
Regal. Schiebe mit dem Fuß ihre Bücher zu einem Haufen. Einige
Zeitschriften. Greife nach den Streichhölzern. Zünde die an. Hole
mir im Schlafzimmer den bedruckten Seidenschal aus der unteren
Schublade links. War sowieso meiner. Fetze die Tagesdecke und das
Bettzeug runter. Auch das brennt nicht schlecht. Wie ihre
Klamotten. Benötige für den Schlafzimmerschrank keine zwei Minuten.
Geht schneller als ich dachte. Höre Sirenen jaulen. Egal. Was ist
schon Zeit! Cruise zum Abschluss durch die Wohnung, die nun von
fast allen Erinnerungen geräumt scheint. Zertrümmere dabei überall
die Deckenleuchten. Gehe im Flur in die Hocke. Sehe wie erwartet
das Urteil mit Aufschrift Amtsgericht bla-bla-bla im Briefschlitz.
Doch das brauche ich nicht. Habe ein eigenes. Weiß auch, wo die
Richterin wohnt. Die Rechtsanwältin. Eltern. Ihre jubelnden
Freundinnen. Ihr strahlender Geliebter. Den als Nächsten. Schiebe
den Baseballschläger unter die Jacke. Gehe über die Straße. Ist
immer noch März. Wie all die Jahre zuvor. Steige in den Wagen. Kalt
ist es. Kalt. März - Mann! Der April soll besser werden. Höre ich
im Radio. Übertönt vom Horn der Feuerwehr. Polizei. Gebe Gas. Bin
weg. Ihr Geruch im Auto. Join me in death. Und. Fini!
Ketten klirren. Halbschlaf. Ich erwache, wie ein Regenschirm sich
öffnet. Habe die linke Hand zwischen den Beinen. Wie einst als
Kind. Und schamlos wie der Tod. Liege ich. Auf dem Rücken. Noch.
Rieche Rauch und Rouge. Beides gleichermaßen. Den Wodka von
gestern. Sehe neben mir in den Falten des Laken eine Flasche, in
der die Vögel nisten. Während hinter meiner Stirn ein grauer Himmel
gnadenlos den Morgen platt macht. Und das mitten in der Nacht. Oder
träume ich? Nein ... Denn Feuer brennt in meinem Magen, als ich
mich beim Griff nach der Flasche verrenken muss. Gelb schütte ich
ein. Eis fließt durch mich. Teilt mich. Wie die Zeit. Auch der Tag
wird im Nu größer. Gewinnt an Höhe. Weite. Hat Farbe mit Geruch.
Nimmt rasant an Tempo zu. Befreit den Himmel. Dinge werden
sichtbar. Erinnerungen. Gestern. Mein Gott. Gott, weißt du noch?
Ja, ich weiß. Sagt der. Eine Flutwelle von Vorwürfen rast heran,
trägt mich in die Fototapete. Schnauze, sage ich. Und nehme die
Hände an die Ohren. Schnauze. Worte. Sätze! Während mein Atem Staub
aufwirbelt, der kräuselnd aufsteigt um knapp unter der Zimmerdecke
in einem Lichtstrahl zu enden. Nein. Nichts passt zueinander. Nicht
mein Husten. Der Schleim im Hals. Die Sehnsucht nach der Frau; ich
rieche sie geradezu. Auch hier: Nein! Darüber gibt es nichts zu
erzählen. Mit ihr war Endstation. Ist Punkt. Die Erde öde und leer.
Nichts mehr mit Schweiß an Parfüm. Ihrem Mund an meinen ... Und
anderswo. Nie mehr Evolution. Ihre gespreizten Schenkel. Für mich.
Pik Bube. Herz Dame. Falsch gedacht. Ich Idiot. Schluss damit!
Verlasse das Bett. Steige auf die Schultern meiner Sucht. Doch mein
Hirn will mich erst durch die Reste der Zerstörung tragen. So
rieche ich den Brand. Sehe die verhunzten Möbel. Die vergammelten
Klamotten der Frau. All die toten Bilder von Urlaub und Venedig vom
Vortag. Bin am Leben. Doch wie? Wie kann ich mich an das Halbdunkel
gewöhnen. Die ausgewechselten Schlösser meiner Seele. An den
Fahrstuhl meines Gewissens. Hirn. Herz. Magen. Hoch. Runter. Stopp.
Go. Meine abgetrennte Brustwarze. Links. Das blinde Auge. Das ich
suchen gehe. Wie meine Zuversicht. Den anonymen Irrsinn. Und
Tarzan, der sich an Hanfseilen durch meine Gedanken schwingt. Linie
auf Linie kokst. Der Austauschstudent ist. Dem die Adern unter
Druck schier platzen. Mit dem die Frau im Bett ist. Endlos. Anstatt
mit mir in gemeinsamer Zukunft zu liegen. Das ist das Spiel in
unbewegter Luft. Eine einsame Unterhaltung weit hinter der
dunkelsten Ecke vom Mond. Mitten im Stillstand der Umlaufbahnen.
Sonne. Sterne. Erde. Hässliche und Reiche. Arme und Schöne. Körper
und Geist. Hängen zwischen den Bäumen an den Ästen. Wo die Spezies
Schutz sucht. Um später dort unbemerkt sauerstofffrei in der Luft
zu baumeln. Zu Dutzenden. Unbemerkt! Das trifft es. Also verlasse
ich die Wohnung. Bin voller Phantasie. Gehe vorwärts. Stehe dann in
der langen Reihe. Warte. Trete an den Kiosk. Lasse die Zeit heilen.
Höre die Frage. Antworte mit: Ja! - Wie immer! Stecke mir die
Taschen voll mit Stimmungen. Kleider und Körper. Gehe unter der
Oberfläche mit anderen reglosen Gesichtern Richtung Westen. Wo das
Korn blau ist. Der Regen warm. Silber. Gold wartet. Wo das Glück
wohnt. Neben wippenden Busen. Laufe hinter den prallen Ärschen
junger Mädchen in Jeans her. Augen wie Kaffeetassen. Ihrem
fröhlichen Lachen. Ach - wie habe ich das gebraucht. Die Bewegung
in meiner Hose. Schiebe eine von ihnen in die Wellblechbaracke am
Rande vom Bahndamm. Jasmin duftet. Sagt die. Blond ist sie.
Langbeinig. Genau mein Typ. Hole tief Luft und fasse sie ans Knie -
bis der Wind sie weiter bewegt. Manchmal geht ihr Mund dabei auf.
Und zu. Werfen ihre Haare stumme Schatten. Laufen Tränen in Bächen.
Doch ich halte sie fest. Am Hals. So lange es geht. Bis ringsum
nichts mehr ist. Nur ich. Sie. Die noch einmal zuckt. Röchelt.
Erschlafft. Mir für die Tat die Worte fehlen. Entschuldigung. Oder
so. Stattdessen: GAME OVER, Boy, - als ich in der absoluten Stille
um mich herum den Überblick verliere ... Steig aus. Höre ich dann.
Mach schon. Wenigstens vorläufig. Nein? Was bist du nur für ein
Mensch. Ich bin keiner wie du willst, sage ich. Ich bin der Hass!
Und du, du hast mich dazu gemacht.
Sie steht am Bahnhof. Einem grauen Klotz. Der wie vom Himmel gefallen. An der Strecke Moskau-Berlin-Paris-London. Wartet auf Freier. Ist zwei Jahre jünger als ich. Sieht aber älter aus. Wie der gesamte Bau. - Als sie seitlich vom Portal der Bahnhofskneipe mit spitzen Lippen eine raucht. Sich an die Wand lehnt und fahrig die fettigen Haare richtet, als sie mich sieht. Ich kenne sie aus der Schule. Sie als von Lehrern gejagte Lolita. Ich, der depressive Schläger. Damals. Als unsere Seelen wund von der Schuld unserer Eltern in uns explodierten. Schuldfähig oder nicht. Strafbar auf jeden Fall. Taten - die nie verjähren. Wände - die nie einstürzen. Die bestenfalls Leerstellen werden. Oder es schon sind. Als sie schwanger und verzweifelt war. Sich erhängen wollte. Seinerzeit. Und ich sie fand.
Na, sagt sie, lange nicht gesehen. Und doch wieder erkannt, grinse
ich. Und durch die Fenster der Gaststätte sehe ich Franz beim Bier
sitzen. Seinen hageren Schädel. Das seine Glatze schweißig
leuchtet. Also hat er schon reichlich.
Immer. Sagt sie in meine Gedanken.
Und - willste mal rüber rutschen?
Später. Sage ich.
Gerne.
Sei um drei Uhr hier: Wolkenweg 18. Ist ein Fachwerkhaus.
Alleinlage. - Kannst du dir die Adresse merken?
Kann ich. Doch vorher ...
Putt- Putt, ich weiß. Und gebe ihr Fünfzig. Auch damit sie keinen
Verdacht schöpft. Die restlichen Hundert dann um Drei.
Sei Pünktlich.
Immer doch.
Franz bestellt gerade. Mit Kompott.
Doppelt, sage ich der Bedienung. Geht auf mich!
Am Tisch strahlt Franz sein na ---- du ----?
Und du?
Alles grün, seufzt er. Scheint zufrieden. Wischt mit dem eng
bekrakelten Bierfilz über den Tisch. Fasst mit beiden Händen ums
Bierglas. Schließt mich darin ein, wie ich fühlen kann. Grinst in
den Schnaps. Lacht wie das Rascheln längst verwelkter Blumen. Bäumt
sich in das karierte Tischtuch. Keucht. Aaah. Und ... Hinein damit.
Als Schlagzeile. Und - Aaah - noch Mal. Putz sich den Mund ab.
Gießt die Neige Schnaps ins Bier. Wenn überhaupt. Aaah! Als
sein Kammerspiel ins Unfassbare ausläuft. In dem die Welt
außerhalb der Welt ist. Gäbe es überhaupt eine einleuchtende
Erklärung für solch eine Exploration.
Glasklar und deshalb nicht sichtbar meine Gedanken. Laufen wie die
Zeit an besagter Schnur. Fliegen den alten Drachen in den Himmel.
Das Dasein als ein Spiel. Bis ---, bis dann die Zeche zu zahlen
ist. Doch bis dahin. Prost. Ja!
Einer passt noch. Klar, sagt Franz. Und ich überlege, was er sagen
wird wenn ich ihn um Hilfe bitte Lolita in den Keller zu sperren.
Fachwerk. Wolkenweg 18. Ach was, nicht mal die Adresse wird er sich
merken können. Nicht mal das! Der Autist. Von wegen Alltag des
Bösen. Nur weil er seine Frau im Suff schlägt. Wie die behauptet -
und von seinen Nachbarn zu hören ist. Ist das dann Leben in zwei
Ebenen? Ja. Oder Nein. Und damit bin ich dann auch durch. Gehe rein
in die Vorgeschichte. In die Gegenwart. Danach dann Zukunft. Weiß
doch jeder. Auch wenn das Wort jeder nichts entschuldigt. Mich
schon überhaupt nicht. Im Gegenteil. Doch es gibt keine Alternative
für Glück. Außer es zu leben.
Ich habe sie umgebracht, sagt Franz unvermittelt, - glaube
ich.
Und ich. - Ich wollte eigentlich gerade gehen. Gerade eben. Frage
ihn: Wo?
Hier oben! Deutet er gegen die Decke.
Blattgold. Und eine Art Wanze sehe ich dort am Leuchter klettern.
Spinnweben. Flusen. Wasserflecken. Vom Stuck abplatzende
Farbe.
Du hast ein Zimmer gemietet?
Nein, sie.
Wann?
Gestern.
Und dann?
Wollte ich eine Aussprache.
Und sie - nicht?
Genau.
Und dann hast du sie ...
Ja. Mit diesen Händen hier.
Dazu löst er die vom Bierglas, um die mir zu zeigen.
Lass das! Ich kenne deine Pfoten.
Und nun? Fragt er.
Wir schaffen sie weg.
Wie denn?
Mit dem Auto.
Hast du eins?
Nein. - Nicht mehr.
Also?
Müssen wir eins besorgen.
Stehlen?
Was sonst.
Und du kannst das.
Ja, glaube ich. Aus dem Fernsehen. - Ist sowieso alles im
Arsch.
Stimmt, brubbelt er.
Wo ist eigentlich Bruno?
Unterm Tisch.
Ach. - Den habe ich überhaupt nicht...
Der schläft auch.
Hast du den etwa auch?
Nein. Nur ein paar Tropfen Baldrian - zur Beruhigung.
War er dabei?
Ja, der hat alles mitbekommen.
Schlimm. - Und wie kommt man in das Zimmer?
Am Tresen vorbei in den Flur, wie zum Klo - und dann die Treppe
hoch.
Zimmernummer?
0.
Nicht null sechs?
Vertauscht - wie bei Hitchcock?
Psycho?
Nein. - Weiß ich nicht.
Egal, gib mir den Schlüssel!
Soll ich mit?
Du hältst die Stellung!
Gut.
Wird aber ein bisschen dauern. Ich muss noch aufs Klo.
Klar.
Und schon ist Alltag, was eben noch aufregend war. Der
Vermenschlichung von ungeheuerlichen Taten geschuldet. Totschlag.
Mord. Vergewaltigung. Kinderschändung. Nicht mehr, als wenn sich
jemand das Bein bricht. Husten hat. Normalität. Aus deren Ecken ab
und an das Böse lugt. Der Nachbar. Der immer so nett grüßte. Und
nun das. Als Fratze von eigentlich Unfassbarem. Im Kranksein. Rein
in die Klapse. Wegen dem Fehlen von Bewusstsein. Moral im Gesetz.
Das oft ohne jeden Schuldspruch endet. Ohne Verzeihen. Oder Reue.
Doch einen Anbeginn gebiert. Während ich ’in der Ebene Zwei’ aufs
Klo muss. Einem düsteren nach Pisse, Chlor und Beton stinkenden
Raum. Mit einer Rinne aus Blech in Schwanzhöhe. Darüber wirres
Gekritzel. Gemalte Obszönitäten. Telefonnummern. Mit vier Kabinen
gegenüber. Kloake. Von der die Türen geschlossen sind. Die teils
ohne Klinke. Unten offen. Wo ich in der ersten Hütte Beine sehe.
Vier Stück. Die sich spastisch bewegen. Dazu lautes Stöhnen.
Schmatzen. Zischen. Das mein Interesse weckt. Ich die zweite Kabine
öffne, um dort aufzusteigen. Um über die Trennwand hinweg auf das
Geschehen zu glotzen. Wo einer auf der Schüssel hockt - der andere
mit herabgelassener Hose davor steht. In Sozialkontakten schmatzend
und stöhnend. Weshalb ich die Sekunden bis zum Grande Finale warte.
Um Bravo zu rufen: Bravo! - Ihr Meister! Mir aber das ’da capo’
erspare. Um dann in die Kabine vier, solo, versteht sich. Solo! Zu
sitzen. Wie auf des Messers Schneide. Auch um nachzudenken. Aber
nicht weil nicht das kommt, was ich erwarte. Nein. Es kommt
überhaupt nichts. Lieber Franz. Weil du mir die Sache eingebrockt
hast. Wie ich sonst mir was. Sonst. Mir! - Wenn ich meiner
Biografie folge. Und das passiert nicht das erste Mal in meiner
Chronik. Eine Verstopfung. Von wegen Aussteigerprogramm. Dann höre
ich in meine sinnlose Beschäftigung hinein Schritte. Stimmen. Zwei
Männer. Dann die Tür. Wie einer sagt: Ich muss vorher aber noch ...
Um Luft für die Energie zu lassen. Damit alles fließen kann. Es
gleich darauf gegenüber in die Rinne prasselt, wie von einem Ochsen
abgeschlagen. Während ich mit einem Tempotuch bei mir wische, wo es
nichts zu wischen gibt. Hochziehe. Abziehe. Einer fragt: Wo bist
du? Der andere mit Kabine eins antwortet. Ich raus bin. Vor dem
Spiegel stehe. Das Licht von oben. Indem man aussieht als wäre man
schon... Hätte es hinter sich. Ich dann dem rhythmischen Klatschen
nachgehe. Das schneller wird. Rasanter. Als Stakkato kommt. Das
mich erneut in die Kabine zwei treibt. Ich über den Rand hinweg
glotze. Marionetten sehe. Eine gebückt. Die andere von hinten. Mein
lieber Mann. Was für ein Betrieb. Dieses Klo. Und ich genug habe
vom Klobecken, absteige, um wenige Schritte später voll mit
Gedanken über das eben Erlebte das Absperrseil löse. Die knarrende
Treppe ’nur für Pensionsgäste’ erklimme. Nicht vergesse Zimmer
Null- Sechs (06) zu checken. Das komplett leer steht. Um dann bei
Null- Neun (0) die Tür aufzuschließen versuche. Doch es klemmt. Ich
drücke. So what. Und dann das, direkt hinter der Tür schon: Liter
Blut! - Fleisch in Fetzen und Würfel. - Von wegen erwürgt. Die Bude
muss neu. Tapeten runter. Andere rauf. Streichen. Putzen. Scheuern.
Die Leisten. Auch das Bodenholz. Dielen. Mein lieber Franz. - Du
Idiot! Der plötzlich hinter mir steht. Fragt: Wirst du darüber
schreiben?
Wie Capote. - Einen Roman. - Mit dir als Protagonisten?
Ja.
Schon möglich.
Und wann?
Wenn mit Schnaps aus ist.
Wann ist das?
Wenn wir sie hier weg haben.
Im Koffer?
Klar. - Du hast ja schon allerhand vorgearbeitet.
Alles Kleinholz im roten Licht.
Und genau das presse ich in einen Satz. Auf eine Seite. Gedanken -
wie das Leben. Auch wenn der Verleger widerspricht. Es bleibt
dabei. Give me five.
Runde um Runde.
Gehen wir, sagt Franz. Wollen die Treppe runter. Treffen Lolita.
Die zieht einen Kerl am Binder. Der mit Anzug. Taubenblau. Im
Tangoschritt, zerzaustem Haar der wie irre ’sie hat mich’ brüllt.
Immer wieder. Als ginge es zum Schlachter.
Welches Zimmer hast du, frage ich.
Null- Sechs (06)!
(06) - Ständig?
Sagte ich doch.
Ja. Sagtest du.
Während der Kerl mit Schlips Taubenblau an die Fototapete kotzt.
Auf ein Abbild von Rio. Copacabana. Weswegen ich Lolita sage sie
solle sich beeilen, sonst krepiert der Freier noch vor dem Vollzug.
Sie meint: Mach dir keinen Kopf, den bekomme ich schon wieder fit.
Während Franz sich mit einem Sprung über das Treppengeländer
verabschiedet. Aus der Gaststube ’Love me tender’ dröhnt. Meine
Hüfte zu schwingen beginnt. Ich ’man sieht sich’ sage und ’nicht
vergessen!’ Sie ’schon klar’ sagt. Dahinein Elvis lauter wird. Weil
die Kneipentür aufgeht. Stimmen zu hören sind. Schreie. Franz nach
mir ruft. Und die Tür wieder schließt. Elvis gedämpft von Hawaii
singt. Ich aber in Brasilien an einem blonden Strand liege.
Kilometerlang. Wo das Meer aus azurblauen Wellen weißen Schaum
produziert. Einen Caipirinha bestelle. Aus dem Limetten duften.
Cachaca brennt. Traumfrauen mit herrlichen Ärschen mich nach meinen
Wünsche fragen. Fragen! Mich! Im Tanga! Nach meinen Wünschen! Unter
denen sogleich die Welt bunter wird. Ehe ich vor Aufregung wegen
der Situation und weil Franz wartet aus der Tapete falle -, am Klo
vorbei in die von Zigarettenqualm geschwängerte Trinkstube hinein.
Franz dort sitzt wie Harrys Derrick und mich fragt, ob ich nun den
Wagen holen will.
Wie? - Hol schon mal den Wagen... Meinst du jetzt?
Jetzt. Ja! Sagt er.
Du hast es aber eilig.
Ist wegen Fußball, sagt er.
Fußball? Bist du noch ganz dicht?
Ich bin Fan, sagt er. - Und heute spielen die Bayern gegen
Dortmund.
Echt?
Ja!
Dazu fällt mir lange Zeit nichts ein. Eigentlich so lange, bis
Lolita nackt auf einem weißen Schimmel durch den Raum reitet.
Endlich, höre ich mich (dazu) sagen. Endlich... Ich habe dich so
vermisst.
Was nun -, mischt Franz sich ein. Gleich oder gar nicht?
Mann, sage ich, wenn ich nur nicht diese Kumpelmasche hätte;
darüber ist schon meine Ehe zerbrochen.
Deine Ehe, lacht er, die bestand von jeher nur auf dem
Papier.
Wie kommst du darauf?
Mann - du hast doch nur geheiratet, um deine Schreibhemmung zu
überwinden.
Bist du sicher?
Sicher? Aber voll! Das hast ’du’ mir doch neulich erst wieder
erzählt.
Stimmt! Dann muss es ja stimmen. Aber ich kann mich überhaupt nicht
daran erinnern.
Kein Wunder, sagt er, so breit wie du all die Jahre über
warst.
Stupse unterm Tisch mit dem Fuß. Brunos Platz ist leer.
Wo ist er hin?
Ich habe ihn auf Zigaretten geschickt. Die haben hier meine Marke
nicht.
Das heißt nicht ’auf’ Zigaretten, sage ich, - nur weil du auf
Schalke sagst. Dortmund, sagt er.
Nach Zigaretten, sage ich.
...nach Dortmund also, lacht er. Während ich Lolita vom Pferd
runter am Tresen mit einem auf 6 cm Plateausohlen, Trenchcoat und
Hut sehe. Wie sie sich unter dem Überzieher des Kerls zu schaffen
macht. Als auf einem ’Schwalbe’ Moped mit Anhänger eine Kapelle mit
Namen ’Die Oligarchen’ auf der Pauke bis in die Ecke mit dem Ofen
rollt und mit ’Heute haun wir auf die Pauke’ ein Konzert beginnt.
Es folgt ’Immer wieder Sonntags’ ...
Ey. - Ist heute Sonntag, frage ich deshalb Franz.
Ne, Samstag. Pokaltag! Um mit ’Wir fahren nach Berlin - Wir fahren
nach Berlin’ im Retro Look Polski Beat zu intonieren. Die
Oligarchen Käfige öffnen, und daraus weiße Tauben durch die
Deckenluftklappe der Kneipe in den Himmel steigen lassen. ’Freiheit
für Afghanistan’ tragen die am Füßchen, wie ich lese, als ich mir
im Flug eine fürs Mittagessen fange.
Willst du auch?
Lieber nicht, sagt Franz. Ich kann nicht auf weißes Fleisch. -
Wobei mir meine Verstopfung einfällt.
Ich muss dann mal...
Training?
Ne; Muckibude mach ich schon lange nicht mehr. Will aufs Klo. Den
Bügel vom Handtuchhalter fürs Autoknacken holen.
Stimmt ja. Sagt er. Hab ich fast vergessen.
Geht mir auch oft so, Kumpel. Kommt vom Parkett verlegen. Fachwerk;
Wolkenweg 18. Die stinkigen Klebedämpfe damals, sage ich. Wo deine
erste Alte drunter...
Eine fleißige Frau, sage ich. Zeitung austragen bis zum letzten
Tag. Prospekte. Und Briefumschläge falten. - Ein kleines Vermögen
hat sie mir hinterlassen. Gott schütze sie.
Hör mir mit Gott auf, wird Franz grantig. Erinnere mich lieber an
Stan Libuda.
Den Rechtsaußen von Schalke?
Dortmund, sagt er. Traumtor gegen Liverpool.
Und dann wieder Schalke.
Reicht ja auch! Jesus.
... außer Stan.
Königsblau. Immer! Kannste glauben.
Manche Leute hat ’der liebe’ Gott Arschloch getauft. Und das
bleiben die dann auch. Mit Beinen, Bauch, Busen, Birne. Geschätzte
120 kg. Weswegen ich auch nicht ’wie aus dem Boden gewachsen’
schreiben kann, - steht am Tisch. Ist neckisch. Sagt: Ich habe
alles auf Kamera. Alles!
Und - Sie sind...?
Kennst du mich nicht?
Dann würde ich ja nicht fragen.
Frau Glanz, sagt die.
Dass du kein Kerl bist, ahne ich.
Ich bin deine Nachbarin, sagt die.
Ach - so. Meine Nachbarin... Glanz mit Z hinten. Oder Glans mit S
hinten?
Mit Z. Hinten!
Tscha - so einfach kann das Leben sein.
Ich habe alles auf Kamera! Sagt Frau Glanz. Die mit S hinten ein
römisches Schleuderblei wäre. Ein Säugetierpenis. Eichel. Glied.
Klitoris. Glanz.
Was denn?
Das mit der Frau.
Wie. - Mit meiner Frau?
Im Windfang. - Mit dem... Kann man Neger sagen?
Neger? - Kann man! Aber nicht zu mir.
Mit dem Neger!
Und?
Wie die miteinander ...
Was denn nun?
Wie die mit dem - Neger - geknutscht hat.
Geknutscht?
Nicht nur ...
Was denn noch?
Hab ich auf der Kamera. - Zeige ich dir heute Abend.
Wo?
Bei mir. - Ich mach uns auch ein paar Schnittchen.
Und bügelst mir die Unterwäsche im Schritt?
Mann! - Ich will ins Fernsehen. Und du hast doch Kontakte.
Ja. Sage ich schlicht.
Na bitte, weiß ich doch. - Oder soll ich gleich RTL, Fox (Vox? Wie
bitte?); ich hab schließlich alles auf Kamera. Beine, Bauch, Busen,
Birne. Geschätzte 120 kg. Aufgabe: führe die Reihe mit B fort.
Bescheuert, ey! Alle bescheuert. Und dazu noch Krieg. Freiheit am
Hindudings. Wahl in Griechenland. Maronen oder Pistazienkerne.
Oliven. Euro an Merkel. Ölpreis. Energiewende. Fußball. Ukraine.
Piratenärsche. Autowahn. Schluss damit. Aufhören! Sofort! - Lieber
Beine, Bauch, Busen, Birne. Geschätzte 120 kg.
Willst du was trinken, Frau Glanz?
Hast du ne Kippe?
Kippen
sind aus.
Sehe Bruno über die Straße trotten. Aufgabe: führe die Reihe mit B
fort.
Beine, Bauch, Busen, Birne, Bruno.
Nun du, Franz!
Womit?
Blödmann!
Dass Kinder nach einem Kaiserschnitt dicker werden als normal
geborene, erzählt Franz, habe er gelesen.
Und du, bist du ein Kaiserschnitt?
Zangengeburt.
Treffe in der Toilette Udo. Blass, wie ein oft gewaschenes graues
Handtuch. Spitzname Insel. Einen aus der Sicherungsverwahrung
entlassenen Sexualstraftäter, der sich unter dem Händetrockner das
Glied reibt. Und als es trocken ist, mit Bübchenöl
nachbearbeitet.
Na, Insel - haben dich die Demonstranten aus der Hütte
gelassen?
Waren heute nur fünf der Idioten da.
Und?
Müller hat mich in seinen privaten PKW gepackt und her
gefahren.
Der Polizeipräsident persönlich?
Dazu sag ich nichts.
Mann - komm schon; ich schreibe auch nicht drüber.
Ich arbeite doch hier und ...
Du arbeitest hier? - Und dann kam es mir. Klar Mensch. - Du bist
der Typ aus der Kabine eins. Du schaffst hier an!
Ist doch ökonomisch, sagt Insel. Ich lebe meinen Trieb aus und
bekomme noch Geld dafür.
Und Müller?
Ist Müllers Frau. Sozialtherapeutin. Die gliedert mich in die
Gesellschaft ein.
Und damit habt ihr dann zwei Fliegen in einer Klappe, sage
ich.
Und den Max auch.
Deinen Passmann?
Ein schlimmer Finger, sagt Insel, dass die den überhaupt raus
gelassen haben.
Vor dem Gesetz sind alle gleich.
Der schickt mich doch aber hier anschaffen, heult Insel, die
perverse Sau. Und das in meinem Alter.
Häng ihn doch an den Fliegenfänger, dann ist Ruhe.
Genau, tut Insel begeistert, aber pst ...
Klar doch! - Doch nun rück mal ein Stück zur Seite, ich muss an den
Handtuchhalter ran.
Was willst du denn damit?
Den schieb ich dir hinten rein!
Mal im Ernst.
Jau - ich betreibe seit neuestem eine Arbeitsagentur, bilde Leute
aus.
Tatsache?
Ist nur ein Anlernberuf: Kann man aber mit ins Fernsehen kommen. -
Denn was die Anlerner machen, filme ich mit versteckter Kamera;
alles klar?
Und was kann man bei dir lernen?
Tatortreiniger. Ein FulltimeJob mit Zukunft. Kannst du
glauben.
Ja. - Glaube ich gern. Ich bin ja auch Verursacher... Hm - war.
Leider.
Und, willst du mal 2-3 Probetage machen?
Wo denn? Du weißt ja, ich komme schlecht weg - wegen der
idiotischen Demos. Der Polizeiabsperrung vor meiner Hütte.
Musste nicht weit. Ist ja gleich hier. Im ersten
Obergeschoss.
Tatsache?
Morgen geht’s los.
Versprochen?
Aber Bingo! Du musst nur noch mit deiner Therapeutin sprechen. Und
wenn du willst, kannst du die Zeit über am Tatort auch wohnen. Dann
spart sich die Alte das lästige Hin- und Herfahren - und kann ihrem
Präsidenten länger die Eier schaukeln. Öh. - Eierschaukeln. Ich hab
noch einen Termin. Können wir nachher noch mal? Fettes Ja, Alter.
Man sieht sich. Und damit geht mir die Geduld aus, reiße ich den
Handtuchhalter mit einem Ruck aus der Wand. Es knallt. Ich huste.
Liege auf dem Rücken. Mist! Um mich Urin, Kot, Erbrochnes und
Sperma. Ein idealer Ort zum Sterben. Wüsste ich es nicht
besser.
Insel kniet, mit unendlich vielen Pickeln auf der Stirn - wie ich
jetzt erst sehe, neben mir. Leckt mir den Schweiß von der Stirn.
Eiter. Blut? Straßenbahnen fahren aus allen Richtung kommend über
meinen Kopf. Flugzeuge starten trotz Nachtflugverbot. - Ich erzähle
dir jetzt mal was über das Leben, höre ich Gott. Gut sage ich, fang
bei Seite 51 an. Und der fängt an wie irre Äste von den Wänden zu
reißen. Silberringe zu basteln, um mir die über die Augen zu
ziehen. Macht Nägel mit Turnschuhen. Doch ich grinse, schweige und
halte durch; was soll man auch gegen Gott ausrichten? Einen
aufgesetzten Schuss hinters Ohr vielleicht. Oder ihm doch
Schutzgeld zahlen? Während ich am Schoß von Insel riechen muss.
Bübchenöl! Der mich hochzerrt und zum tausendsten Mal AUFWACHEN
ruft. Ich aber liegen bleiben möchte, den Tag verdösen mit einer
Flasche Port und einer guten Brasil. Wellcome home, Boy. Dann
bricht der Arzt seine Gelübde. Die dumme Sau. - Komme ich auf die
Beine. Höre Insel ’ich denke du bist Pfarrer’ quäken.
Arzt, entgegnet Franz.
Von wegen Beichtgeheimnis.
Schweigepflicht, lacht der.
Nun komm aber ... Während die Zeit ein Loch in die Erde frisst. Und
weg ist. Absolut. Wie das Paradies. Adam und Eva. Mit Apfel. Im
Wurmloch. Hinter der Welt.
Was willst du denn von der Transe, fragt Franz, wird zum
Kampfschwein.
Ist mir entfallen. Irgendwas. Was weiß ich. Jedenfalls ging ich
eben auf dem Mond spazieren und schlug dort eine Fahne ins
Gestein.
Alles auf Anfang. - Pose 1.
Finde auf dem Weg zum Tresen einen Kopf. Hochrot. - Der ist mir
vorher schon ins Auge gefallen. Hochrot. Als wäre es der vom Papst,
wenn es um ’guten’ Sex geht. Wie Koons Metallic Venus in einem
anderen Licht - und in guter Selbstdarstellung. Neuer Schädel.
Hochrot. Neues Hirn. Hochrot. Voll auf Speedline. Biologie der
Unantastbarkeiten. Hochrot. So kommen wir ins Gespräch.
Du hast Samenzellen auf der Jacke!
Ist nur ein Remake, sagt er, - ich bin Schauspieler.
Woher?
Komme eben aus Paris.
Der Liebe wegen.
Dem Tod.
Der neue Jedermann?
Oui!
Klappe.
Ich spielte mal eine Handvoll Spermien.
Vermutlich ist es wahr, sagt er. Lacht. Hochrot. Blendendweiß.
Seine Zähne.
Klappe.
Alles sehr shiny und glossy, denke ich und lasse die sprechende
Spezialfolie angewidert fallen. Die dann unter den Ofen rollt,
einem nachgemachten Eifelturm wie aus der Paris- Werbung. Denke:
Guter Platz. So was braucht kein Mensch. Eher eine neue Niere.
Leber. Die Trinker. Aufgabe: Aktualisiere den Tatbestand. Finde
einen Spender. Eine erstaunliche Annahme mit zwei
Schönheitsfehlern, höre ich unter dem Ofen hervor.
Die da wären?
Kunst und Kitsch. Blöd und Blaff. Sagt er. - Immer noch hochrot.
Merke ich an seiner Stimmfärbung. Dafür riecht er gut.
Klappe.
Fuck off and die! Länge 02:51. Blabla. Das war’s. Natürlich. Dazu
Engel, Sex und Sau. Tod, Geld und Macht. Kostenlos teuer bezahlt
wie das abwesende Glück Marke: Made in Häffen. Völlig
Alltagsuntauglich. Das.
Gib mir mal den Backofenreiniger, bitte ich die Wirtin. Spraye.
Zünde das Teil an der Düse und richte den Flammenwerfer unter den
Ofen.
Schon wieder Ameisen?
Wie irre, sage ich.
Und das im März. Staunt die.
Klappe. Und wieder einsam. Suche ich Liebe. Den Herzschlag in
Wellen. Im Tsunami unerwiderter Gefühle. Bestelle Wodka. 85er
Absinth. Grün. Musik. Endlos. - Grün. Brauche den Strom aus
Wellendämpfern. Absinth. Des beabsichtigten Suizids wegen. Trinke.
Tanze. Gröle. Nevermind. Nirvana. Curt Cobain. Klappe. Gestorben.
Gefahr gebannt. Vorerst. About You Now (Sugababes). Den Lichtern
der Stadt. Deren Verlockungen. Im prallen Leben. Diese kuriose
Scheiße. ...but don’t tell me it’s over now.
Tief drin sollen Clowns traurig sein, sagt man. Und Irre, wie ich.
Melancholiker. - Stimmt. Bestätige ich mich. Nur manchmal blühen
der Worte Gedanken. Gedanken Worte. Wie von selber. Werden Sätze
eine Geschichte. Romane. Muss man (deswegen) zum Arzt.
Zigarette der Herr? Dienert Franz.
Deine Marke?
Ja! - Noch feucht von Brunos Schnauze.
Her damit! - Empfinde ich Sympathie für Tod und Teufel. Let’s
go.
Sitze auf dem Treppenabsatz zur Gaststube. Grinse.
In knapp drei Monaten 50 Männer, höre ich Insel.
Was für eine perverse Gesellschaft.
Und 60 Frauen. - Hörst du?
Wo hast du die denn alle geknallt?
Bei sich zu Hause. Und ihre Kerle haben zugesehen.
Ich denke, du bist Kinderschänder.
Dachte ich bisher auch.
Und nun?
Alles Politik, sagt Insel. Vom kleinsten Bürgermeister bis hin zum
höchsten Richter.
Und die Gutachter?
Schon die Frage ist blöd. - Was sollen die denn sein ... Das
öffentliche Gewissen?!
Warst du nicht früher bei den Grünen?
In den Anfängen. Bei Frettchen und Klopfer. Kinderladen - und
so.
Erzieher?
Missbrauchsopfer. Täter. Dealer. Was du willst.
Echt?
Alle Macht den Junkies ...
Und dann - bist du Verräter geworden?
Schlimmer. Verfassungsschutz. Und das sind erst mal Wracks.
Spüre den Abdruck meines Schädels. Wie Durst mich treibt. Mich. Den
enthemmten ... Ich, Jimmi, der ein Stück rostiges Metall mit
Gehäuse. Spiele das Echte und vergesse das Wahre. Hangele am
Deckenkabel erneut Richtung Tresen. Zum Fass in der Ecke. Saure
Gurken. Rollmöpse. Dem Bonbonglas hin. Wo sich wenig hinter der
Glasscheibe nach draußen eine Straßenbahnhaltestelle zur Fahrt in
die freie Welt befindet. Baumschatten spielt, wenn Sonne ist.
Kastanie. Wo in den Fensterritzen ab April wilde Gräser wuchern.
Kräuter. Minze. Klee. Kaugummis und Kippen pappen. Wo ab und an und
wie altersschwach eine leere Bierflasche steht. Doch die nicht
lange. Nicht in heutiger Zeit. An den vom Kapital missbrauchten
Stunden und Tagen. Wo man den Löffel leer zum Munde führt.
Streichhölzer spaltet. Toilettenpapier abzählt - und es beidseitig
benutzt. Unterwäsche tauscht. Wo ein Mann nicht mehr schön sein
muss. Nicht beim Klavierspielen. Sondern komplett haarlos. Und die
Tür zur Armut in den Köpfen zwischen den Beinen weiter als nur
einen tätowierten Spalt offen steht: fuck me and I fuck you too!
Dieses blöde Gequatsche blauer Tinte auf Haut.
Sehe die Frau stehen. Graue Haare. Webpelzjacke. Stockschirm.
Handtasche. Alles älter. Unmodern. Wie das Moped. Das kommt. Ein
lautes Teil. Aus dessen Auspuff es blau dampft. Zwei, scheint es,
junge Bursche mit Helm auf dem Kopf. Dunklen Lederjacken. Jeans.
Die wie Affen auf dem Schleifstein hocken. Die Karre langsamer
wird. Einer - sich im Vorbeifahren seitlich beugt und - der Frau
die Handtasche entreißt. Ich ihr Schreien höre. Hilfe. Hilfe! Meine
Rente ist da ... Wie sie hinter dem Moped her rennt. Das schneller
wird. Lauter. Blauer. Wie die Straßenbahn. Gelb. Und wie die ...
Sehe die. Höre. Straßenbahn ... Mache dicht. Dicht! Punkt! Fuck u!
Absinth, 85er ... Schnell. Ein großes Glas. Pronto!
Brauche ein Erscheinungswunder für den ersten Schritt vor dem
dritten. Der dann als roter Lichtpunkt über die Tastatur des
Labtops rast, um das Grün zu fressen. Und das immer dann, wenn die
Gedanken einzig geradeaus gehen wollen.
Sie können die Maske bis zur nächsten Bestrahlung mitnehmen, höre
ich den Arzt.
Und die Haare? Die wachsen wieder. - Haben Sie ein wenig Geduld mit
sich.
Nein. Ich habe keine Geduld. Und mit mir schon überhaupt nicht.
Keine mehr für Maskenfixierung. Eine neue Aufbisskonstruktion.
Fraktionierungen, Planungszielvolumina entsprechend der
Ausbreitungscharakteristiken. Für Gesamtdosen. Tumorbetten. Nein!
Ich bin mein eigenes linear beschleunigt- gestütztes- System.
Punkt. Obwohl: Jeder Tag ist Arbeit. Jede Freiheit beinhaltet Qual.
Jeder Gedanke. Handeln. Jedes Tun. - Erwartung wie Enttäuschung.
Pech und Glück.
Und? Bist du glücklich?
Ja. - Ich glaube schon...
Was sonst noch?
Dass ich ständig Schmerzen habe? - Warum soll ich das sagen. Die
werden dadurch nicht weniger. Nicht das Gefängnis Körper. Dass ich
deswegen trinke? Warum sollte ich das explizit beschreiben; es
beschreibt sich durch meine Schmerzen. Auch wären es nur
Buchstaben. Sätze. Ein stummes Nicken da. Ein abfälliges Lachen
dort. Es wäre mir nichts. Nichts! Wie die Schmerzen. Das Trinken.
Die Freiheit zu leben - und es auch zu tun. Wer hat die schon? Wie
später eventuell einen elektrischen Rollstuhl. Pflege rund um die
Uhr. Einen, der einem am Morgen die Augen öffnet. Duscht. Rasiert.
Den Kiefer festbindet. Den Schädel richtet. Die Knie auf dem Stuhl
zurechtrückt. Den Hintern putzt und den Schwanz hält.
Bedingungslos. Weil ich dafür bezahle. Und sie das Geld brauchen.
Jeden Monat. Ist es eine Altersvorsorge für mein Leben. Das sind
die entscheidenden Werte. Nicht meine Blicke ins äußere Innere.
Oder ein kleiner Junge sein, der seinen Schatten fängt. Dagegen das
Leben als Krüppel. Festgebunden in Gewohnheiten. Am Abend ein Glas
Rotwein aus dem Strohhalm. Ein ’gute’ Zigarre dazu. - Oder exquisit
Schluss machen. Bei Bedarf. Also bald. Weil das Leben eigentlich
ein Scheißding ist - und bleibt. Sich nichts zum Positiven ändert;
frei nach Vater Zille: Nichts zu rauchen nichts zu ficken, den
ganzen Tag aus dem Fenster kieken; check out - or for ever part II.
Also versuche ich es damit, so lange es geht, mit der Gosse. Mit
dir und denen da. Bevor ihr an euren falschen Herztönen verreckt.
An geheucheltem Mitleid, Baby.
Eben starb meine Mutter. Sage ich Angela. Als sie aus dem
Bonbonglas steigt.
Deine Mutter?
Genau die.
Die ist doch schon seit 5 Jahren unter der Decke.
Bist du sicher?
Hundert pro!
Und wer ist eben von der Straßenbahn überfahren worden?
Was weiß ich. Sagt sie. Doch wenn du es unbedingt wissen willst,
kleb einen Zettel mit Aussicht auf fette Belohnung an die
Bäume.
Gute Idee; sag mir aber vorher, wo du so plötzlich herkommst?
Aus Paris, sagt sie. - Mit dem Auto. Über Amsterdam.
Amsterdam? Dabei ist von Fußball überhaupt noch nicht die Rede.
Doch die Liste ließe sich dahingehend verlängern. Vom Chaos mit dem
neuen Berliner Flughafen, dem Schlossbau auf dem Platz der Republik
und so weiter. Klar, im Zweifelsfall wird man immer einen Weg
finden. Exklusiv. Wie eben Angela, meine Ex, die mir mal mit Busen,
Möse, Lippen, Haut und Haaren gehörte; diesen vollen Lippen. Und
ihre haarlose Möse. Ich denke gerne daran. Doch dann du nun wieder.
Du! - Mit deinen Störungsmeldungen. Beschimpft mich eine Stimme in
meinem (bescheuerten) Schädel. Lass das sein, sage ich dem, ich
habe anderweitig zu tun.
Ey -, ich hab mir zwei Bonbons genommen.
Welche Farbe?
Blau und Gelb.
Die gehen aufs Haus, grient die Wirtin.
Wenigstens hier normale Tage. Und nicht dauernd die Neuentdeckung
der Leichtigkeit des Seins. Abgase, Feinstaub, Ruß. Tumoren. Die
absolute Trennung von Gut und Böse. Krank oder Gesund. Oder nicht -
nicht oder - nicht. Wie die Menschen auf dem Bahnhof. Unter denen
ich Angela sehe. Die sich die Klamotten runter reißen und
gegenseitig mit goldener Farbe Rot anmalen. Dazu Elemente aus dem
Ring der Nibelungen erklingen. Wagner für Doofe. Ein über und über
mit Playboy- Bunny- Fahnen bestückter Zug kommt. Ein Fotograf übers
Megaphon lautstark ’Los nun’ Kommandos gibt. ’Los nun. Alle!’ -
’Nun macht schon!’ Bis die Nackten - beiderlei Geschlechts, aber
klar doch - eng aneinander geschmiegt einsteigen. Begnadete Körper.
Die. Denke ich. Bis wenig später, also nach zirka einer Stunde
’Danke, Leute. - Szene gestorben!’ ertönt. Die Nackten aussteigen.
Super eilig ihre Klamotten anziehen, um rennend den Bahnhof zu
verlassen als wenn dort haushoch ein Tsunami brennt. - Bis auf
Angela. Die ich nirgends entdecken kann. Und das alles in knapp
20,7 Sekunden. Der Weltrekord im Atem anhalten aber bei zirka 1
Minuten 30 liegt. Meine Frage geht deshalb an die Wirtin: Was sagt
eigentlich das Thermometer? Flockige 8 Grad. Antwortet die. - Also
habe ich mich über all die Schrumpfpenisse und Pickelhintern nicht
umsonst gewundert.
So weit dann zur Entspannungsphase, den ein Roman braucht. Oder:
Gewissheit passiert unwissentlich. Genau wie eine fristlose
Entlassung aus der Haft unbeachtet gebliebener Gedanken. Ey, da ist
gut gedacht, denke ich. Das ist intellektuell und
satisfaktionsfähig. Ich sollte es dringend aufschreiben. Hast du
mal einen Stift? Einen Zettel? Falls du auch noch meine Bankdaten
brauchst...? Ab da höre ich sonst immer Tom Waits. Waits ... very
nice guy; betrunken auf dem Mond.
Was steht an?
Der Zug aus Moskau läuft gleich auf Gleis 3 ein.
Und der Gegenzug ?
Ist schon raus!
Siehst du, - den wird Angela genommen haben ...
Ohne Klamotten?
Wieso?
Na die hast du doch an.
Mann. - Du bist aber auch ein Scherzkeks. Und beinahe wäre ich
darauf reingefallen. Lacht er. Lache ich.
Ich wundere mich, dass er überhaupt was sagt. Meist sitzt er
nämlich still in der Ecke - nahe den Soleiern - und beobachtet nur.
Also wird es an Angela gelegen haben. An deren nackter Schönheit.
Oder an Moskau. Besser an dem Expresszug Moskau - Paris. Aus dem
gleich allerlei steinalte Marktfrauen krabbeln werden, um Wodka,
Speck und Borscht anzubieten. Ja, auch ich werde dann gnadenlos
zuschlagen. Denn Borscht essen gibt Raum zwischen Denken und
Schreiben. Befähigt zum produktiven Wechselfeld zwischen Bild und
Text. Stärkt das Wissen um Poesie. Und mehr braucht man nicht, -
als (dazu) einen eigensinnigen Stil an einem langen Löffel. Denn
dann hat man für immer Ruhe. Wie ich. Der von niemanden mehr
getrieben wird. Deswegen. Wie die Drehtür der Bahnhofsschenke, die
sich gerade wie von selber weit öffnet. Neues Leben gebiert.
Vorsicht an der Bahnsteigkante, dröhnt es. Und dann sind sie auch
schon da. All die Fundstücke der Zeit, aufgereiht für die
Unendlichkeit, dass einem vor Freude die Augen tränen. Und mal
ehrlich, ich fühle mich dann auch wie zuhause. Befinde mich in
diesem Weitblick des Ankommenden. Eines Zurückgekehrten. Bin ein
weit gereistes Buch, das trotz der Eselsohren darin unter
Freudentränen aufgenommen wird. Mehr kann man von guten Bekannten
nicht verlangen. Mehr geht nicht mal unter Freunden. Und deshalb
bleibe ich ab jetzt auch. Bleibe (hier) sitzen und warte, dass es
mit dem Programm weiter geht. Mit irgendwas Skandalösem. Und ich
kann warten, Mann, - bin darin fast Profi.
Ein Unfall, sagten die. Wir bedauern. Fahrerflucht. Und ich lebe -
und wusste, es war kein Unfall. Es ist Mord. Es war Mord. Ich tat
ein paar Schritte gegen eine Wand. Bin das Gestern. Bin Jetzt. War
und bin blind. Und nicht. Trete irgendwohin, irgendwie, stolpere.
Bin wie betäubt. Hellwach, - und in meiner Wahrheit gefangen. In
Dunkelheit. Nacht. Am Tag. Aber das denkst du nur. Die Vögel
zwitschern wie vorgestern, steigen zum Himmel auf. Und an mir
drängeln sich schwatzende Leute vorbei. Einige fröhlich. Andere
nicht. Wie immer die Durchsage ’Achtung, bei der Einfahrt des
Zuges...’. Ja - wie immer. Auch die Taube, die pickend den Boden
absucht. Zwischen Zigarettenkippen, Cola- und Bierbüchsen.
Hundescheiße, - in die auch ich ab und an trete. Schneereste. Tote
Asche. Mein Atem. Heiß. Der in die Luft steigt. Grau. Der mein Herz
betäubt wie Eis. Die Seele erkaltet. Durstig macht. Voll Hass auf
die Welt. Ich. Rache schreie. Und das alles, als für den Bruchteil
einer Sekunde der Irrsinn des Lebens und des Todes das Karussell
meiner bisherigen Welt anhielt. Dieses Stopp. Und mein Versprechen:
Ich werde den Mörder töten. Das bin ich dir schuldig. So schuldig
wie du bist. So wird es sein. Stopp!
Ein Jahr vorbei. Immer müde. Selten wach. Nie genug Schlaf. Und ich
musste wieder hin. Blöd wie ich bin. Wie ich war. Auf meinen zwei
Beinen. Trage einen Rucksack. Schuld. Einen Schal. Blau. Gegen den
Frost in mir. Wegen des Frostes. Gegen die Kälte. Wegen der Kälte.
Da mir kalt ist. Ich friere. Blau. Um nicht erkannt zu werden. Er
bedeckt meinen Mund. Ich ziehe ihn weiter hoch. Ziehe den Schal bis
unter die Augen. Die Mütze in die Stirn. Blau, blau, blau. Bis ich
unsichtbar bin. Nicht sichtbar. Ich bin nicht da. Nie da, wo ich
bin. Nie dort, wo ihr ... Bin blau. Und ich werde nie mehr da sein
wo ihr. Seit dem. Blau, seitdem. So blau.