Yvonne Wundersee lebt mit ihrem Mann und den zwei Söhnen am Rande der schönen schwäbischen Alb. Das könnte ja so idyllisch sein, aber ihr war dieses Leben einfach zu langweilig. Sie hatte es satt nur in ihren zwei Jobs und der Hausarbeit gefangen zu sein. So erschuf sie aufregende Fantasiewelten mit Protagonisten, die sich den unglaublichsten Gefahren stellen müssen, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Gern lässt die Autorin Leserinnen und Leser an ihren Geschichten teilhaben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2022 Yvonne Wundersee

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9 783756 299034

Coverdesign: Yvonne Mick

Lektorat und Korrektorat: Susanne Mang

In Gedenken an Dieter.
Mögen die Bienen dir den Weg übers Meer weisen.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

«Ist das alles?»

Er schrie so laut, dass die Felsen der warmen Höhle das Echo hundertfach in den Raum schleuderten. Seine Schuppen leuchteten in einem wütenden Rot und sein Kragen hatte sich angriffslustig aufgestellt. Tascha legte sich schützend über das Gelege. Sie spürte den Herzschlag ihrer Kleinen. Aufgeregt pulsierte das Blut durch ihre kleinen, unfertigen Herzen. Er würde ihnen doch nichts zuleide tun? Panik erfüllte sie. Was sollte sie nur machen?

«Sag etwas dazu!», brüllte er aus vollem Hals.

«Sie sind deine Kinder, mein Liebster», flüsterte sie vorsichtig.

Er holte mit seiner klauenbewehrten Pranke aus und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Sie wurde von ihrem Gelege geschleudert und prallte fest gegen die Höhlenwand. Blut rann ihr über die Wange, wo seine Krallen tiefe Schnitte hinterlassen hatten. Ihr Kopf dröhnte und von ihrem Rücken ging ein furchtbarer Schmerz aus, aber all das blendete sie aus. Sie wollte nur zu ihren Eiern. Diesen zwei perfekten, weißen Kugeln, die ihrem Vater nun hilflos ausgeliefert waren. Was machte ihn nur so wütend? Natürlich bestand ein Gelege normalerweise aus ungefähr zehn Eiern, aber diese zwei waren das Schönste, das sie je zuvor gesehen hatte. Merkte Tartanas denn nicht, dass sie ihm ein wundervolles Geschenk gemacht hatte?

«Du da, komm her!», rief er einer jungen Dienerin zu. „Nimm dieses peinliche Gelege in deine Obhut.“

«Nein! Das kannst du doch nicht tun! Das sind meine Kinder!» Tascha sprang auf die Beine und hinkte, so schnell sie konnte auf ihre Kleinen zu.

«Du wagst es, mir zu widersprechen? Ich bin der General. Ich entscheide hier!» Er packte sie am zarten Stoff ihres Umhangs und zog sie zu sich heran. Seine Miene war angewidert verzogen, als er ihr entgegenzischte: «Du hast mich blamiert und zum Gespött der gesamten Meute gemacht. Damit hast du das Recht darauf verwirkt, meine Kinder aufzuziehen. Jede andere ist besser als du.» Er spuckte ihr ins Gesicht und stieß sie von sich. «Wie konnte ich nur jemals glauben, dass aus einem Nichts eine würdige Ehefrau und Mutter werden könnte.»

Tränen rannen nun über Taschas Wangen. Ihre gespaltene Zunge zuckte ängstlich aus ihrem Maul. «Bitte Tartanas, bitte. Ich will nur bei meinen Kindern sein. Du hast mich doch einmal geliebt.»

«Pah, geliebt! Du warst eine Herausforderung. Die Echsa, die niemanden an sich herangelassen hat, die jeden anderen abwies. Ich musste dich haben, weil es kein anderer schaffte. Es war gut, zu siegen und dich zu erobern, aber es langweilte mich schon nach kürzester Zeit. Das hier,» er wies auf die zwei Eier, «ist nur der Beweis dafür, dass ich mir einen Schandfleck an meine Seite geholt habe.»

Tascha schüttelte verzweifelt den Kopf hin und her. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wie konnte der schönste Tag in ihrem Leben, zum Schrecklichsten werden?

«Schafft sie weg. Ich will sie hier nicht mehr sehen!»

Die Wachen packten die junge Echsa und schleiften sie auf den kleinen Platz vor dem Palasteingang. Dort ließen sie die verzweifelt schluchzende Tascha liegen und bezogen ihren Posten am Eingang. Damit war ihr der Weg zurück in die Herrscherhöhle versperrt.

Wie lange sie hier lag, wusste die kleine Echsa nicht, aber irgendwann hoben sie starke Arme auf und trugen sie durch die Siedlung. Tascha bemerkte nicht, wie alle ihr hinterher starrten. Sie hörte nicht, wie sie tuschelten und hinter vorgehaltener Hand über sie und ihre Naivität lachten. Ihr Körper hatte jegliches Gefühl verloren.

Wie lange lag sie schon in diesem dämmrigen Zustand? Sie wusste es nicht, aber heute erreichte sie erstmals eine Stimme.

«Du musst kämpfen, meine Mädchen. Es bringt deinen Kindern nichts, wenn du verhungerst. Tascha, wir brauchen dich!»

Diese Worte holten sie zurück und sie sah die besorgten Züge ihres Vaters vor sich. Seine Klaue strich zärtlich über ihren Arm und seine Zunge berührte vorsichtig ihr Gesicht, bei den Echsen ein Zeichen der Zuneigung. Gierig trank Tascha das angebotene Wasser. Ihr Maul war staubtrocken. Sie setzte sich auf und richtete das Wort hektisch an ihren Vater: «Wie lange liege ich hier schon rum, während meine Kleinen ohne ihre Mutter sind?»

«Tascha, du kannst es nicht ändern. Bitte, mein Kind, akzeptiere, dass deine Schlüpflinge von ihrem Vater aufgezogen werden. Du bist nicht länger ein Teil ihres Lebens. Finde einen anderen Echsana, jemanden der dich wirklich mag. Gründe mit ihm eine neue Familie und vergiss die zwei. Sie werden die Erben ihres Vaters und solange du lebst, kann ihnen niemand diesen Titel streitig machen.»

Taschas Augen weiteten sich. Sie krallte sich an ihrem Vater fest. «Ich kann meine Kinder nicht bei diesem Tyrannen lassen. Tartanas kann doch gar nicht lieben. Sollen sie so aufwachsen? Papa, das kann nicht dein Ernst sein!»

Ihr Vater ließ den Kopf hängen. «Du wirst dich niemals umstimmen lassen, aber sei dir bewusst, dass es nicht gut enden wird.»

«Mit Liebe kann so viel zum Guten gekehrt werden. Vertrau mir Papa. Für meine Kleinen tue ich alles!»

«Dann iss aber wenigstens etwas. Es ist Wahnsinn, was du vorhast, aber ein voller Bauch, lässt den Kopf besser arbeiten.»

Damit schlurfte er aus dem Zimmer. Tascha zog sich eilig an und rannte ins Badezimmer. Erschrocken blickte sie auf ihr Spiegelbild. Drei tiefe Wunden verliefen über ihre Wange und verunstalteten ihr einst schönes Gesicht. Tartanas hatte ganze Arbeit geleistet. Sie berührte die Schnitte und zuckte zusammen, als der Schmerz über ihre Wange brannte. Sie spürte, wie die Verzweiflung über sie hereinbrach, straffte aber ihre Schultern und drängte sie in die hinterste Ecke ihrer Seele zurück. Sie musste jetzt stark sein.

Es war dunkel, als sich Tascha auf den Weg zur Herrscherhöhle machte. Sie schlich durch die dunklen Gassen der Ansiedlung, immer darauf bedacht ungesehen ans Ziel zu gelangen. An der Höhlendecke über den Behausungen glitzerten nur wenige Kristalle. Tascha fiel es leicht einen Bogen, um die erleuchteten Wege zu machen. Ein halbes Jahr hatte sie mit Tartanas zusammengelebt und kannte sich in allen Bereichen des Palastes gut aus. Sie würde ihre Kinder finden. Im Schatten wartete sie auf den Wachwechsel und schlüpfte dann ungesehen in die Eingangshalle. Schnell huschte sie die breite Treppe empor in den Wohnbereich.

«Wie kann man nur Suri die Verantwortung für Nachwuchs geben? Sie hasst Kinder. Die Kleinen tun mir jetzt schon leid.»

Tascha versteckte sich augenblicklich hinter einem großen Felsvorsprung. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Würde sie jetzt entdeckt werden, wäre ihr Plan dahin, bevor er richtig anfing. Sie wollte nicht daran denken, was Tartanas dann mit ihr anstellte.

«Ich habe gesehen, wie sie die Kleinen immer wieder in die Luft geworfen hat. Sie benutzt sie wie Kieselsteine.»

Tascha spürte, wie alle Farbe aus ihren Schuppen wich. Sie musste zu ihren Kindern. Sie musste sie schützen.

Sobald die Stimmen sich entfernten, schlüpfte sie aus ihrem Versteck und warf einen vorsichtigen Blick in die nächste Wohnhöhle. Diese war leer.

So schlich sie von Raum zu Raum, bis sie ein sanftes Schimmern aus einem Zimmer am Ende des Flurs wahrnahm. Jemand schritt in der kleinen Höhle auf und ab und schimpfte vor sich hin. Tascha erkannte Suris Stimme. «So ein Mist. Jetzt sitze ich hier fest mit diesen Krüppeln. Die anderen gehen feiern und ich ... mir musste ja die große Ehre zuteilwerden, den Babysitter zu spielen.» Sie schnaubte wütend.

Tascha straffte ihre Schultern und schritt hoch erhobenen Hauptes in die Höhle. Erschrocken nahm sie wahr, dass Suri eines ihrer Eier unaufhörlich zwischen ihren Krallen tanzen ließ.

«Was machst du denn hier? Solltest du nicht in der Gosse liegen und dich in deinem Elend suhlen?» Suri grinste überheblich.

«Nein, ich bin hier genau richtig.»

«Was hast du vor? Willst du mit mir kämpfen, während ich den Kleinen hier bei mir habe?» Sie schnipste das Ei in die Luft und fing es wieder auf. Tascha spürte die Angst ihres kleinen Lieblings. Sein winziges Herz schlug so laut, dass es Tascha in den Ohren dröhnte.

«Du hast doch keine Lust auf die Eier aufzupassen. Sie nerven dich nur. Wie wäre es, wenn du mir die beiden gibst und Tartanas berichtest, dass ich hier eingebrochen bin und dich niedergeschlagen habe?»

«Warum sollte ich sowas Dummes tun?» Suri zog die Augenbrauen nach oben.

«Weil du dann wieder frei bist.» Tascha schluckte.

«Überleg mal, wenn die zwei in einer Woche schlüpfen, hast du sie noch mindestens ein Jahr an deinem Rockzipfel hängen, bis sie alt genug sind, um alleine klarzukommen. So lange müsstest du die Mutterrolle übernehmen, ihnen die Bäuche massieren, sie füttern, ihren Kot wegräumen und ihnen beibringen, alleine auf sich aufzupassen. Da bleibt wenig Freizeit, oder?»

Suris Gesicht verzog sich panisch.

«Ein Jahr?», fragte sie entsetzt.

«Ja, mindestens.»

«Da habe ich ja überhaupt keine Lust drauf.»

«Siehst du, gib mir die Eier. Schieb die ganze Schuld auf mich und lebe wieder dein Leben.»

Suri tippte sich mit der Kralle an den Unterkiefer. Sie wog offensichtlich die Möglichkeiten gegeneinander ab. Nach einer Weile schien sie eine Entscheidung getroffen zu haben und warf das Ei ins Nest. Tascha lief es eiskalt über den Rücken, als sie das leise Knacken der Schale hörte.

Wut übermannte sie. Rotglühender Zorn brandete durch ihre Venen. Wie konnte dieser miese Grottenolm es nur wagen, ihr Kind zu verletzen? Tascha überwand die Entfernung mit wenigen Schritten, holte aus und schlug Suri, so fest sie konnte, ins Gesicht. Der Kopf der plumpen Dienerin wurde zurückgeschleudert, ihre Augen verdrehten sich und sie fiel bewegungslos auf den Boden.

Taschas Hand schmerzte, aber sie verlor keine Zeit. Schnell ging die zum Nest und strich zärtlich über die glatten weißen Kugeln.

«Mama ist da. Habt keine Angst. Jetzt wird alles wieder gut.»

Sie nahm die Kleinen auf und legte sie in eine gepolsterte Tasche.

Das Glück war auf Taschas Seite, denn sie gelangte aus der Herrscherhöhle, ohne Aufsehen zu erregen. Schnell ließ sie auch die Siedlung hinter sich. Immer weiter eilte sie durch die unterschiedlichen Höhlensysteme, ihr Ziel klar vor Augen.

Als sie Stunden später in der kleinen versteckten Höhle ankam, lächelte sie glücklich. Sie hatte es geschafft. Hier konnte sie, mit etwas Vorsicht, in Sicherheit leben. Müde legte sie sich auf das warme Strohlager und rollte sich um ihre Kinder zusammen. Vorsichtig strich sie über den kaum sichtbaren Riss und hoffte von ganzem Herzen, dass ihr Baby keinen Schaden genommen hatte.

KAPITEL 1

Zur gleichen Zeit…

«Betty, komm! Oma wartet.»

«Ich komme gleich. Ich muss noch meine Puppe holen.»

Ich rannte durch das säulenbewehrte Atrium in unsere Wohnstatt. Der kleine Springbrunnen plätscherte fröhlich vor sich hin und die Statue der schönen Göttin Venus lächelte huldvoll zu mir hinab, während ich an ihr vorbei, in meinen Raum hopste. Ratlos stand ich da und schaute mich um. Wo hatte ich die Puppe nur hingelegt? Auf den ersten Blick konnte ich sie nirgends entdecken. Auch in der Spielzeugkiste war sie nicht.

«Hast du dich unter der Decke versteckt, du Schlafmütze?», flüsterte ich und sprang aufs Bett, um unter den Kissen zu wühlen. Auch dort fand ich nichts. Wo war sie denn nur? Normalerweise konnte sie sich wegen ihrer dicken, roten Haare kaum in dem weißen Zimmer verstecken. Ich tippte mir mit dem Zeigefinger an die Unterlippe und überlegte.

«Betty, jetzt komm doch! Die Sänfte wartet schon.»

«Sofort! Einen kleinen Moment noch.»

Ich raffte die weiße Toga über meine Knie und krabbelte unters Bett. Die Erinnerung an das Gewitter letzte Nacht kam mir wieder in den Sinn. Solche Unwetter hatten mich schon immer panisch werden lassen. Auf der Suche nach Sicherheit schlief ich in solchen Situationen unter meinem Bett, die Puppe fest an mich gedrückt. Genau dort lag sie.

«Da bist du ja!»

Ich presste die handgefertigte Porzellanpuppe fest an meine Brust. Eigentlich war ich ja schon zu alt für solche Spielzeuge, aber dieses Geschenk meiner Granny war für mich unbezahlbar. Niemals wäre ich ohne sie zu dem Besuch aufgebrochen, denn Granny war glücklich, wenn sie sah, wie viel mir ihr Geschenk bedeutete.

Grinsend robbte ich rückwärts aus meinem Versteck, als ein schrilles Pfeifen mich aufhorchen ließ. Es wurde immer lauter.

Ich ließ die Puppe fallen und presste mir die Hände auf die Ohren. Trotzdem hörte ich das laute Krachen. Eine Erschütterung warf mich bäuchlings auf den Boden und ich schrie panisch auf, als Steinbrocken und Holzsplitter durch mein Zimmer flogen. Wie die Geschosse von Steinschleudern zerschmetterten sie den Kleiderschrank und meinen weißen Waschtisch. Eilig robbte ich zurück unter das massive Bett und presste die Puppe wie einen kleinen Talisman an mich. Stimmlos rief ich die Götter an, mich und meine Familie zu verschonen.

«Betty! Kind, wo bist du?»

Ich hörte meine Mutter verzweifelt nach mir rufen, aber die Angst lähmte nicht nur meine Glieder, sondern auch meine Zunge. Ich konnte ihr einfach nicht antworten, zitterte nur unkontrolliert und Tränen verschleierten meinen Blick. Sie rannen ungehindert, Sturzbächen gleich, aus meinen Augen. Immer wieder erzitterte der Boden unter mir. Rauch drang in meine Nase. Woher kam denn jetzt das Feuer? Wollten die Götter mich verbrennen? Warum rettete mich denn niemand?

Ein weiteres Krachen, lauter, als jedes zuvor, ließ mich panisch aufschreien. Im nächsten Moment brach das Bett zusammen und nagelte mich mit seinem Gewicht unter sich fest. Die Luft wurde mir aus den Lungen gedrückt und atmen war kaum noch möglich. Ich wimmerte.

Als ich den Kopf drehte, war da nicht mehr die Wand meines Zimmers. Mein Blick fiel auf unseren Garten, doch von den blühenden Blumen und den schattenspendenden Bäumen war nichts mehr übrig. Ich sah nur Zerstörung, durchzogen von rotglühenden Lavaströmen. Der Kopf unserer Apollobüste versank langsam in der alles zersetzenden Glut. War dies das Ende der Welt?

«Betty.»

Die Stimme meiner Mutter war so nah. Aber wie sollte ich ihr antworten? Das Gewicht auf mir machte dies unmöglich. Nur ein Krächzen brachte ich zustande. Leise und kaum hörbar in dem Getöse um uns herum, reichte es meiner Mutter doch, um mich zu finden. Unsere Blicke trafen sich. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte Furcht über ihre Züge, doch sofort wandelte sich ihre Ausstrahlung in Zuversicht. Sie straffte die Schultern und nickte mir lächelnd zu.

«Ich hole dich da raus. Hab keine Angst.»

Ihre Worte beruhigten mich und ich konzentrierte mich nur noch darauf, nicht zu ersticken.

Sie rannte aus den Überresten meines Zimmers und kam gleich darauf mit einem langen Bronzespeer zurück. Mit aller Kraft rammte sie die Spitze neben mir unter das Bett. Dann holte sie einen großen Stein. Diesen legte sie mittig unter den Schaft.

«Ich stemme das Bett gleich ein Stück nach oben. Sobald du merkst, dass du frei bist, kommst du sofort da raus. Ich weiß nicht wie lange ich die Last halten kann. Hast du das verstanden?»

Ich nickte kaum merklich, aber meine Mutter schien es trotzdem wahrgenommen zu haben. Sie stemmte ihr gesamtes Gewicht auf den Griff des Speers. Die Last verschwand von meiner Brust und ich saugte gierig Luft in meine Lunge.

Meine Mutter stöhnte neben mir vor Anstrengung. Ich musste hier raus, und zwar schnell. Mit den Beinen schob ich mich voran, Stück für Stück. Meine Mutter presste die Augen zusammen und Schweiß rann ihr von der Stirn. Ihre Zähne waren so fest aufeinandergebissen, dass sie laut knirschten.

Kaum waren meine Füße außerhalb der Gefahrenzone, ließ sie den Hebel los. Das Bett krachte auf den Boden. Dort wo ich gerade noch gelegen hatte, prangte nun eine tiefe Kerbe in den Dielen. Mutter sank auf die Knie und zog mich fest an sich. Sie atmete schwer und ihre Toga war nass. Ich rückte ein Stück von ihr ab und bemerkte mit Entsetzen das Blut …viel Blut. Es rann an ihrem Arm herab und bildete bereits eine Lache.

«Mama, was ist mit dir? Warum blutest du?»

«Nicht so schlimm, Kleines. Ich war nur nicht schnell genug. Ein brennender Himmelsstein hat mich getroffen, als ich auf der Suche nach dir war.»

Sie strich sanft mit der unverletzten Hand über mein Gesicht.

«Aber jetzt hab ich dich ja gefunden.» Sie lächelte mich erleichtert an. Doch in meinen Ohren rauschte es laut. Mama war auf der Suche nach mir verletzt worden? Wegen mir? Wäre ich bloß bei ihr geblieben, anstatt diese dumme Puppe zu holen. Ich schleuderte das unnütze Ding weit von mir und griff nach der Hand meiner Mutter.

Schon wieder flogen Steingeschosse aus dem Himmel und schlugen mit einer zerstörerischen Kraft ein. Rauch und Staub verdunkelten längst die Sonne. Die Wolken glühten rot am braunen Firmament. Nur die Lavaströme gaben ein diffuses Licht von sich, an dem sich meine Augen orientieren konnten. Mein Gehirn konnte nicht erfassen, was meine Augen hier sahen. Soweit ich sehen konnte, war meine Heimat zerstört.

«Warum tun die Götter das? Was haben wir ihnen getan?»

«Mein Kleines, du trägst daran keine Schuld. Die Götter testen unseren Glauben. Wir müssen in den Tempel des Pluto fliehen. Er wird uns sicher schützen, wenn unsere Gebete nur stark genug sind.» Sie versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht aus eigener Kraft.

«Ich glaube, dass ich diesmal deine Hilfe benötige, um im Schutz von Pluto anzukommen.» Sie streckte den gesunden Arm aus. Ich legte ihn über meine Schulter und half ihr auf. Das Gewicht meiner Mutter lastete schwer auf mir. Für meine zwölf Jahre war ich zwar schon groß, aber beileibe noch nicht stark genug, um diese Last längere Zeit zu stemmen.

«Wir schaffen das!» Meine Mutter nickte mir zuversichtlich zu und presste die Lippen angestrengt zusammen.

Gemeinsam schleppten wir uns durch die verlassenen Straßen der einst so schönen Stadt.

Das Bild der Zerstörung brannte sich in meinen Kopf. Verbrannte und zerschmetterte Körper wurden am Rand der gepflasterten Wege von der Lava verzehrt und mit sich getragen. Keine Lebenden kreuzten unseren Weg. Ich sah nur die toten Gesichter von Menschen, die mir gestern noch freundlich einen guten Tag gewünscht hatten. Mein Geist war längst im Überlebensmodus. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass ich nicht panisch schreiend den Verstand verlor. Ich sah das Grauen um mich herum, als würde es nicht zu mir gehören, als wäre es nicht real.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, den Blick abwechselnd auf den Boden und in den Himmel gerichtet. Jeder unbedachte Schritt konnte uns in die Lava führen oder zum Ziel eines Himmelsgeschosses machen. Trotzdem zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn ein Einschlag in meiner Nähe mir zeigte, wie viel Glück wir bisher gehabt hatten.

Die Hand meiner Mutter wurde immer schlaffer. Ich stöhnte, weil ihr Gewicht mich mit jedem Meter, den wir vorankamen, mehr zu Boden drückte. Noch ein Schritt, ein weiterer und dann brach ich erschöpft zusammen.

Ich sank auf die Knie und meine Mutter rutschte neben mir in den Staub. Ihre Augen waren halb geschlossen und Schweiß glänzte auf ihrem kalkweißen Gesicht. Sie keuchte.

«Mama, so schaffen wir es nicht in den Tempel. Ich bin nicht stark genug.»

Ihr Blick huschte unruhig hin und her, bis sie meinen fand. Sie lächelte gequält. «Das ist nicht schlimm, mein liebes Mädchen. Du hast dein Bestes gegeben. Jetzt bring dich in Sicherheit, dann kann ich zufrieden sterben.»

«Das wirst du nicht!» Ich packte sie unter den Armen und zog sie mit Mühe auf einen größeren Schutthaufen. Ihre Worte machten mich wütend. Wie konnte sie nur denken, dass ich sie zum Sterben zurücklassen, und mich selbst in Sicherheit bringen würde?

«Du wartest hier. Und pass gefälligst auf, dass dich nichts erschlägt oder verbrennt. Ich bin gleich wieder da.»

«Aber Kind...»

«Nein, ich lasse dich nicht im Stich!»

Damit rannte ich los, mein Ziel klar vor Augen. Ich musste zum Wirtshaus. Es war nicht weit entfernt und mit ein wenig Glück würde ich dort das passende Hilfsmittel finden. Ich bog um die Ecke und jubelte innerlich an, als ich den kleinen Bierwagen vor dem Eingang stehen sah. Doch bevor ich ihn erreichte, sah ich mit Entsetzen, dass die Außenmauer des Wirtshauses in Schieflage geriet. Immer weiter kippte die Mauer in die kleine Gasse, in der auch der Wagen stand.

Nein! Ich brauchte dieses Gefährt, um meine Mutter zu retten. Entschlossen beschleunigte ich meine Schritte. Meine Füße flogen über das Kopfsteinpflaster und meine Lunge brannte.

Ich packte, ohne im Lauf zu stoppen, die Griffe des Wagens und rannte weiter. Mein Schwung ließ die Räder hüpfen. Das neue Gewicht riss mir fest an den Armen. In diesem Moment stieß die Mauer des Wirtshauses auf das Nachbarhaus. Putzbrocken hagelten auf mich herab. Ich wurde immer wieder hart getroffen, zwang mich aber es zu ignorieren und meinen Weg fortzusetzen. Ich hatte keine Zeit, über meine Handlungen nachzudenken. Adrenalin pumpte durch meinen Körper. Schon bildete sich ein Riss in der Mauer und mit lautem Krachen brach sie in sich zusammen. Im letzten Moment schaffte ich es, aus dem Gefahrenbereich zu entkommen. Ein Blick zurück, zeigte mir, dass die Gasse nun vollständig verschüttet war, und nur die zersplitterte Rückseite des Bierwagens zeugte davon, wie knapp ich mit dem Leben davongekommen war.

Ich musste weiter! Nur ein Gedanke beherrschte mich: Ich musste diesen Karren zu meiner Mutter bringen. Sie brauchte den Schutz von Pluto. Der Gott der Unterwelt würde über ihr Leben wachen, denn er wusste sicherlich, dass ihre Zeit noch nicht gekommen war.

Atemlos bog ich um eine Ecke. Der Wagen wäre fast zur Seite gestürzt, fing sich aber im letzten Augenblick wieder. Das Gemisch aus Schweiß, Staub und Rauch brannte in meinen Augen, sodass ich die Zerstörung auf unserem Marktplatz kaum wahrnahm. Das Haus der Schneiderin, in dem gestern noch die Anprobe meines Verlobungskleides stattfand, war einfach verschwunden. An seiner Stelle klaffte ein riesiger Krater im Boden. Ein kleiner Hund saß winselnd in einer Ecke des Gartens. Sein winziger Körper war blutig und zitterte unkontrolliert. Er richtete seine kleinen Knopfaugen hilfesuchend auf mich und ich stoppte mitten im Lauf. Langsam ging ich auf ihn zu. Er kreischte nun fast vor Panik und presste sich an den Zaun.

«Alles gut. Ich tue dir nichts. Möchtest du nicht mitkommen?»

Ich streckte ihm meine Hand hin, ohne ihn zu berühren. Die Minuten vergingen. Eigentlich blieb mir keine Zeit, um ihn lange zu überzeugen, trotzdem redete ich weiter leise auf ihn ein. Er presste sich flach auf den Boden, als ich mich daran machte, die Kette von seinem Halsband zu lösen. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Karabinerhaken sich endlich löste. Ich stieß erleichtert die Luft aus, dann hob ich den kleinen Kerl auf meine zitternden Arme und legte ihn vorsichtig auf den Wagen.

«Wir werden es schon schaffen. Bleib einfach hier liegen und fall nicht runter», flüsterte ich ihm zu. Dann rannte ich schon wieder los, packte die Karre und bog mit ihr im Schlepptau um die letzte Ecke. Mein Puls raste und das Blut rauschte in meinen Ohren. Die Muskeln in meinen Beinen brannten vor Anstrengung. Nur noch diese Straße entlang. Sie führte zurück zu meiner Mutter.

Ich fand sie dort, wo ich sie verlassen hatte. Sie lag auf dem Schutthaufen und rührte sich nicht. Lebte sie noch? Kam ich zu spät?

Ich schrie ihren Namen, aber nichts passierte. Der Schutthaufen hatte sich mittlerweile in eine Insel verwandelt - Geröll umgeben von Lavarinnsalen.

Verdammt! Sie musste doch wach sein und mir helfen, sonst würde ich sie nie und nimmer zum Karren bekommen.

Krampfhaft schluckte ich die Panik herunter und stellte das Gefährt so nah wie möglich ab. Ich hatte eine Idee, wie ich unbeschadet durch die Lava zu meiner Mutter gelangen konnte und holte einen großen Stein. Diesen warf ich in die Lava.

Ein Spritzer setzte meine Toga in Flammen, aber ich schlug das Feuer mit bloßen Händen aus. Nichts würde mich von meinem Vorhaben abbringen. Eilig holte ich den nächsten Stein, stellte mich auf den Ersten und ließ auch diesen in die Lava fallen. So baute ich mir eine Brücke, während um mich herum die Welt in Schutt und Asche zerfiel.

Natürlich verbrannte die aufsteigende Hitze der Lava meine Haut. Meine Haare schmorten zu einem stinkenden Nest zusammen, aber ich hatte keine Wahl als weiter zu machen. Nur meine Mutter zählte. Sie musste zu Pluto und ich war ihre einzige Möglichkeit dorthin zu gelangen.

Bei ihr angekommen, legte ich meine Hand auf ihre Brust. Erleichtert spürte ich, wie sie sich kaum merklich hob und senkte. Meine Mutter lebte, aber sie war bewusstlos. In diesem Zustand konnte ich nichts ausrichten.

«Wach auf, Mama.» Ich schüttelte sie vorsichtig. Sie gab kein Lebenszeichen von sich.

«Los jetzt! Mach deine Augen auf.» Ich schlug ihr mit der flachen Hand auf die Wange. Es klatschte laut. Einige Brandblasen auf meiner Handfläche platzten auf und ich fühlte die Flüssigkeit über meine Haut rinnen. Der Schmerz war unbeschreiblich, aber es hatte sich gelohnt. Mutter stöhnte gequält auf, doch ihre Augen blieben geschlossen. Da erinnerte ich mich an etwas, dass mein Vater mir einst erzählte.

Er kämpfte in den letzten Jahren immer wieder als Soldat im Auftrag des Senats, um die Landesgrenzen zu verteidigen. Bei den erbitterten Schlachten gab es viele Verwundete. Um diese ins Lazarett zu transportieren, war es von Vorteil, wenn sie bei Bewusstsein waren. Genau wie Vater es mir beschrieben hatte, presste ich meine Fingerknöchel auf Mutters Brustbein und rieb dort mit festem Druck auf und ab. Augenblicklich riss sie die Augen auf und griff mit ihrer unverletzten Hand nach meiner, um sich von dem Schmerz zu befreien.

Erleichtert schluchzte ich auf. Ich nahm sie fest in die Arme und konnte die Tränen nicht zurückhalten.

«Oh Mama, wenn du noch ein paar Schritte schaffst, dann kann ich dich in Sicherheit bringen. Aber du musst mir helfen.»

«Betty, ich weiß nicht, ob ich das schaffe.»

Auch wenn ich wusste, dass sie es nicht böse meinte, wurde ich doch unglaublich wütend. Ich schrie sie an: «Steh auf, bei allen Göttern! Du bist doch schuld, wenn du mich nicht kräftiger gemacht hast. Jetzt musst du eben mithelfen! Entweder du stehst auf oder du bist schuldig, wenn ich hier neben dir verrecke.»

Sofort ging ein Ruck durch ihren Körper und sie schaute mich wie vom Blitz gerührt an.

«Wie redest du mit mir?»

«So, wie du es verdienst, wenn du mich jetzt allein lässt. Die Rettung ist nur ein paar Schritte entfernt und du versuchst es ja nicht einmal. Das ist doch nicht richtig!»

Sie richtete sich mühsam auf.

«Wenn ich wieder bei Kräften bin, dann wirst du die Gerte zu spüren bekommen, du ungehöriges Kind!»

Stöhnend stand sie auf. Ihr verletzter Arm baumelte dabei wie ein Seil an ihrer Seite.

«Komm wenigstens her und halt mich auf den Beinen.»

Ich grinste und legte meinen Arm um ihre Taille. Gemeinsam schafften wir es, die Steinbrücke zu bezwingen, auch wenn die Ledersohlen unserer Calcei die Hitze, der mittlerweile glühenden Steine, nicht abhalten konnten. Ich schrie bei jedem Schritt auf, da die Verbrennungen unsagbare Schmerzen verursachten.

Meine Freudentränen wurden durch Tränen der Qual ersetzt, aber ich ging verbissen weiter und schleifte meine Mutter energisch hinter mir her.

Auf dem Karren begrüßte mich der kleine Hund mit einem vorsichtigen Schwanzwedeln. Und er kuschelte sich an die Seite meiner Mutter, als sie sich mühsam auf die Transportfläche geschoben hatte. Ich mobilisierte meine letzten Reserven und zog den schweren Wagen durch die Überreste der Stadt, bis ich endlich das große schwarze Tor erreichte, dass in den Heiligen Berg führte. Mit letzter Kraft hämmerte ich mit meiner Faust an das dicke Metall, dann sank ich kraftlos zu Boden. Die Welt um mich wurde schwarz.

KAPITEL 2

Fünf Jahre später…

Lizzy

Ich wusste, dass er hier war. Hier bei mir. Ich war nicht allein in der Dunkelheit. Allumfassend legte sie sich wie schwarzer Teer um meinen Körper, hielt mich gefangen in einem klebrigen Kokon, der sich immer enger um mich presste. Panik drohte mich zu ersticken und meine innere Stimme schrie ihm entgegen: Halt mich! Aber mein Mund war nicht in der Lage Worte zu bilden.

Hier gab es keine Zeit, kein Oben und Unten. Hier war Alles und auch Nichts. Ich konnte meine Hand nicht suchend in der Finsternis nach ihm ausstrecken. Zu sehr presste der Druck der Dunkelheit mich zusammen. Mein Körper ächzte und meine Gelenke schrien nach Erlösung, doch sie stellte sich nicht ein. Ich schluckte die Panik krampfhaft herunter. Sie durfte nicht gewinnen, sonst würde sie mich verschlingen, an meinem Geist zerren und mich in den Wahnsinn stürzen, bis die erlösende Bewusstlosigkeit über mich hereinbräche.

Immer wieder stieß ich mit seinem warmen Körper zusammen, konnte ihn aber nicht bei mir halten. Trotzdem gab seine Gegenwart mir Kraft. Kraft, nicht zu verzweifeln und stark zu sein. Kraft, im hier und jetzt zu bleiben. Ich würde auch diesmal das Ziel erreichen, denn die Dimensionen brauchten mich, meine Familie brauchte mich. Ich musste nur noch eine Weile durchhalten, den Schmerz bezwingen und die Luft anhalten. Die nächste Dimension war nicht mehr weit. Nur noch ein kleines bisschen länger den Druck ertragen.

In meinem Kopf schrie ich, so laut ich konnte, wütete und schlug um mich, doch mein Körper blieb still und bewegungslos. So trug mich der Wirbel durch die unendlich scheinende Schwere und ich presste die Zähne aufeinander und verharrte in meiner Fessel.

Endlich gab mich der Übergang frei.

Ich fiel. Dann schlug ich hart auf dem Boden auf und rutschte über einen schartigen Untergrund.

Beim Versuch abzubremsen, scheuerte ich mir die Handflächen auf. Ich schrie und spürte, wie kleine Kiesel sich tief in die Wunde bohrten.

Mein Sturz wurde erst abrupt beendet, als ich mit der Hüfte gegen einen harten Widerstand prallte. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Mit einem leidvollen Stöhnen rollte ich mich zusammen. Was für ein wundervoller Empfang in dieser Dimension.

Meine Lunge schrie nach Sauerstoff und ich atmete tief ein. Die Luft, die ich inhalierte, brachte allerdings nicht die gewünschte Erlösung. Sie brannte in meinen Atemwegen und ein Hustenanfall schüttelte meinen Körper. Ich würgte, zwang mich flach zu atmen, um mich nicht zu übergeben. Hier stank es nach faulen Eiern und verbrannten Haaren. Schlimmer als in einer großen Stadt direkt am Highway.

Wo war ich nur gelandet? Ich wollte mich umsehen und stemmte mich auf meine Ellenbogen, aber mein Körper streikte. Schwach fiel ich wieder in mich zusammen. Ich stöhnte leise.

Plötzlich hörte ich einen dumpfen Schlag. Etwas Schweres rutschte über den Boden auf mich zu und traf mich hart in den Bauch. Sämtliche Luft wurde wieder aus mir herausgepresst.

Ich war eingeklemmt, wo ich doch gerade erst der Enge des Strudels entkommen war. Ich musste hier raus. Fast klaustrophobisch mobilisierte ich meine letzten Kräfte und schob das Gewicht unsanft von mir. Auf allen vieren robbte ich in eine sichere Entfernung und gab mir alle Mühe endlich die Lider zu öffnen, um so auch dem letzten meiner Sinne die Möglichkeit zu geben, die Umgebung wahrzunehmen.

Meine Augen brannten, als der Dreck der Umgebungsluft sie reizte. Staub und kleine Sandpartikel kratzten wie Schmirgelpapier über meine Hornhaut.

Ich rieb mit dem Unterarm darüber, wollte mich von dem unangenehmen Gefühl befreien, dass mir die Tränen in die Augen trieb. Damit machte ich es aber nur noch schlimmer. Meine Augen brannten höllisch. Ich war komplett mit einer Dreckschicht überzogen. Wie Puderzucker auf einem warmen Marmorkuchen klebte das Zeug an mir. Angewidert wischte ich über meine Arme, verschmierte aber nur den feinen Film. Dicke Schlieren zogen sich nun über meine Haut. Ich gab genervt auf und sah mich um.

Durch den Schleier aus Tränen erkannte ich einen grauen Felsen neben mir und lehnte mich erschöpft dagegen.

Der Stein war heiß. Die Wärme tat meinen müden Knochen so gut. Doch wo kam sie her? Sonne konnte das Gestein nicht erwärmt haben. Der braune Nebel, der dick um mich herum waberte, verdeckte sie vollständig. Es wirkte fast wie vor einem schrecklichen Unwetter, nur dass sich hier keine Wolken am Himmel auftürmten, sondern die ganze Atmosphäre eine riesige Wolke aus Schmutzpartikeln zu sein schien. Das trübe Dämmerlicht schränkte auch die Sicht drastisch ein und ich konnte nur wenige Meter meiner Umwelt wahrnehmen. Was ich sah, ließ mich erschaudern.

Ich ließ den Blick schweifen, aber nichts durchbrach die Trostlosigkeit der Umgebung. Hier gab es nur Trümmer. Eine Welt aus Schutt und Asche.

Neben mir erkannte ich einen erstarrten Fluss aus Stein. Möbel und Schutt waren darin teilweise eingeschlossen.

Ein Schaukelpferd streckte seinen Kopf aus den bizarren Wellen. Das, was sicherlich einstmals seine Mähne gewesen war, bestand nur noch aus verkohlten Knoten. Der Lack war abgeblättert, aber die Augen starrten anklagend zu mir herüber. Mich fröstelte bei dem Anblick.

Ich erkannte in der näheren Entfernung Bäume und Sträucher, aber kein Blatt hing an den trockenen Ästen und Zweigen. Noch unheimlicher war die absolute Stille, die über der Szenerie lag. Kein Rascheln von Zweigen im Wind, kein Zwitschern von Vögeln und auch kein Huschen von kleinen Nagern. Einfach nur Stille. Was war dieser Welt nur zugestoßen?

Ich leckte mir über die trockenen Lippen. Der Geschmack, der sich über meine Geschmacksknospen legte, war dabei wirklich ekelhaft. Ich spuckte neben mir auf den Boden und sah zu, wie das kleine bisschen Flüssigkeit in Sekundenschnelle verdampfte. Irritiert runzelte ich die Stirn, wurde aber zu schnell aus meinen Überlegungen gerissen, um mir einen Reim darauf zu machen.

Ein Stöhnen erregte meine Aufmerksamkeit und ich erkannte nun auch, was oder besser, wer da gerade gegen mich geprallt war. Vor mir lag Mathias. Staub und Dreck färbten seinen kompletten Körper grau. Er rollte sich auf den Rücken, breitete die Arme aus und grinste.

«Was ist denn so lustig?», krächzte ich. Mein Hals fühlte sich schrecklich an.

«Es wird immer noch ein bisschen schlimmer. Schau dich doch mal um.» Seine Stimme troff vor Sarkasmus.

Dort, wo wir angekommen waren, hing der Spiegel der Allianz an einer freistehenden Mauer. Er war stark in Mitleidenschaft gezogen. Blinde Stellen verunstalteten das Spiegelglas und Risse klafften in dem ehemals prunkvollen Rahmen.

Auch von den Resten der Wand, an der er hing, bröckelte der Putz und legte stellenweise das Mauerwerk frei. Zwei leere Fensteraussparungen rechts und links des Spiegels ließen den Blick auf weitere Ödnis zu. Nichts als Zerstörung.

Vage konnte ich erkennen, dass dies hier einmal zum Gebäude der Allianz gehört haben musste. Kleine Teile des edlen Parketts waren im Stein konserviert. Der filigrane Stuck der zerstörten Decke und kaputte Fresken lagen zersplittert umher.

Überforderung drückte wie Blei auf meine Schultern. «Wie soll ich denn hier einen Opal finden? Alles ist zerstört. Er könnte mitten im geschmolzenen Stein gefangen sein.»

Mein Blick wanderte panisch hin und her. Plötzlich stürzte die ganze Last der Verantwortung auf mich nieder.

Jede Dimension stellte mich vor noch größere Herausforderungen, dabei wollte ich doch nur nach Hause. Ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle und ich schlug mir die Hand vor den Mund, um nicht hysterisch aufzuschreien. Meine tränenden Augen füllten sich nun mit echten Tränen. Sie rannen ungehindert über meine Wangen. Ich konnte nichts dagegen tun und spürte, wie sie lange Spuren in mein schmutziges Gesicht zeichneten. Mathias kam zu mir und nahm mich in die Arme.

«Alles wird gut, glaube mir.»

«Ich kann es nicht mehr ertragen, überall Menschen sterben zu sehen. Ihre Schreie verfolgen mich. Mathias, sie tragen die Gesichter meiner Familie. Ich habe gesehen, wie mein Vater von Dämonen zerfleischt und meine Mutter mit Pfeilen durchbohrt wurde. Natürlich weiß ich, dass es nicht wirklich meine Eltern waren, aber sie trugen ihre Gesichter, ihre Namen. Und über all das legt sich der Anblick meiner wahren Eltern, wie sie ausgemergelt und tot in ihren Betten lagen, wie ihre Münder in einem letzten lautlosen Schrei aufgerissen waren. Ich will ihnen helfen. Alles wieder gut machen, aber schaffe das nicht mehr. Was Satan durch seine Machtsucht den Dimensionen antut, bevor er sie auch nur erobert hat, ist schrecklich. Wie soll ich das denn noch fünfmal ertragen? Und vor allen Dingen, wie soll ich es in meiner Dimension ertragen, wenn ich nicht in der Lage sein sollte, meine Liebsten zu retten, wenn auch nur einer von ihnen unwiederbringlich sterben würde.»

Die Tränen verwandelten sich in Sturzbäche, die mir die Sicht nahmen. Mein Körper bebte und ich schluchzte.

«Lizzy, bitte bleib ruhig. Wir müssen im Hier und Jetzt bleiben. Wenn wir in Panik geraten, werden wir den Opal wahrscheinlich nicht finden und ohne ihn haben wir keine Chance. Wir müssen Ruhe bewahren und unsere nächsten Schritte hier in dieser Dimension überlegen. Wir gehen einfach weiter, ja? Schritt für Schritt, wir beide.»

Er strich sanft über meinen Rücken.

«Prinzessin, du bist so stark. Ich kenne kaum jemanden, der unter der Last der Verantwortung nicht schon längst zusammengebrochen wäre. Es ist in Ordnung, dass du Angst hast. Denn nur wer Angst hat, handelt mutig und trotzdem durchdacht. Ich bin bei dir und gemeinsam schaffen wir alles!»

Er hielt mich einfach, bis mein Weinen leiser wurde. Dann schob er mich ein Stück von sich und strich mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange.

Meine Augen fanden seinen Blick. Ich sah dort so viel Zuversicht, dass es mein Herz wärmte. Seine Worte erdeten mich und ich nickte zögerlich. Er zog mich auf die Füße und drückte mich noch einmal fest an sich, dann grinste er mich schief an und raunte in mein Ohr: «Du solltest besser kein Wasser mehr verschwenden.»

Ich kicherte tränenerstickt und er küsste mich sanft auf die Stirn.

«So ist es gut. Wir machen also weiter? Aufgeben ist keine Option.»

Ich nickte zögerlich.

«Also, was schlägst du vor, sollen wir als Nächstes tun?»

Ich überlegte. Mein Blick fiel auf den Spiegel, der wie ein Fremdkörper in dieser zerstörten Welt wirkte.

«Wir müssen den Spiegel in Sicherheit bringen, sonst kommen wir hier vielleicht nicht mehr weg. Wer weiß, ob nur durch ihn ein Transport mit dem Opal möglich wird. Ich habe so wenig Ahnung von dieser ganzen ‹Reise durch die Dimensionen-Geschichte›.»

Ich schaute mich noch einmal um.

«Ich habe auch ein ungutes Gefühl. Alles schreit in mir, Gefahr.»

Zögerlich löste ich mich aus seiner Umarmung.

Mathias folgte meinem Blick.

«Sehr gut. Das sehe ich genauso. Eigentlich sollte hier eine großartige römische Metropole stehen. Die Hüterin dieser Welt ist eine grazile Kämpferin und hat sich wirklich eingesetzt, aber wir haben den Opal einfach nicht gefunden. Glaub mir, wir haben überall gesucht. Ich war lange hier, aber solch eine Zerstörung hat es damals nicht gegeben.»

«Später können wir uns vielleicht Gedanken darüber machen. Jetzt suchen wir einen sicheren Platz für den Spiegel. Ich brauche ein erstes Etappenziel in dieser Dimension, damit ich wieder etwas Kraft tanken kann.»

Ich drehte mich einmal im Kreis und fügte vorsichtig hinzu: «Wenn es hier noch so etwas wie einen sicheren Platz gibt.»

Mathias nahm das Prunkstück vorsichtig von der Wand und wir entschieden uns, dem steinernen Fluss aus Lava zu folgen. Dieser Weg würde uns zumindest von der unmittelbaren Gefahr wegführen, denn irgendwo musste das ehemalige Magma ja ausgetreten sein.

Wir kamen einer Stadt immer näher. Die Straße dorthin musste einmal von marmornen Säulen gesäumt gewesen sein. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie erhaben und einladend dieser Weg auf die Reisenden früher gewirkt haben musste. Eine Allee mit riesigen Bäumen und Marmorbögen, die Reisende in die Stadt geleitete. Jetzt versperrten uns nur noch die Überreste den Weg und erschwerten das Vorankommen.

Die Wellen aus Gestein waren wahre Stolperfallen und wir kamen nur langsam voran. Ein schweres Unglück hatte die Menschen dieser Stadt getroffen, denn nirgends war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Die ausgestorbenen Ruinen waren unheimlich. Wir erreichten die ersten Häuser und fanden schnell einen einigermaßen sicheren Platz. In einem der weniger zerstörten Gebäude gab es eine Art Bunker, der bestimmt einmal ein Weinkeller gewesen war.

Es handelte sich dabei um einen, aus dickem Stein gebauten Keller, der mit einer schweren Tür dicht verschlossen werden konnte. Warum sich die ehemaligen Bewohner nicht hierher gerettet hatten, war mir schleierhaft. Vielleicht erreichten sie die sichere Unterkunft nicht schnell genug, weil das Unglück zu plötzlich über sie hereinbrach. Es machte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Spiegel jedenfalls, würde hier sicherer sein als an der brüchigen Wand.

Wir packten unseren Schatz in dicke Schaffelle ein, die sich in einer Ecke des Kellers stapelten. Sie waren staubig, aber das würde ihm nicht schaden.

Mathias klopfte gegen die Fässer und tatsächlich schien in einem davon noch ein Rest Wein darauf zu warten, endlich getrunken zu werden.

«Wir sollten die Nacht hier verbringen und dann morgen nach den Bewohnern suchen. Sie können nicht alle ums Leben gekommen sein. Bestimmt konnten sich einige in Sicherheit bringen.»

Ich nickte ihm zu und breitete die übrigen Schaffelle auf dem Boden aus. Mathias schlug mit seinem Schwert ein Loch in das Fass und schöpfte mit der Winzerkelle etwas Wein heraus. Vorsichtig schnupperte er an dem roten Getränk. Ich konnte den würzigen und doch fruchtigen Duft bis zu mir herüber riechen und konnte es kaum erwarten, endlich etwas zu trinken zu bekommen. Meine Kehle war staubtrocken und in diesem Fass war Flüssigkeit. Wahrscheinlich hätte ich in diesem Augenblick sogar einen Liter Balsamicoessig getrunken.

Als mir Mathias endlich den Weinschöpfer reichte, leerte ich ihn in einem Zug. Der Wein brannte in meiner Speiseröhre, auf seinem Weg in meinen Magen. Schwer legte sich das Aroma auf meine Zunge.

«Das muss wohl einmal ein Dessertwein gewesen sein. Die Süße hat sich im Laufe der Zeit in Alkohol umgewandelt. Er ist sehr stark. Wir werden wohl etwas aufpassen müssen, Prinzessin.»

Ich verdrehte die Augen. Zwischenzeitlich schöpfte ich bereits die zweite Kelle aus dem Fass und leerte den Inhalt in einem Zug. Mein Durst war größer als die Vernunft.

Langsam merkte ich wie mich der Alkohol in eine warme, weiche Decke hüllte. Er nahm mir die Sorgen und ließ nur Freude über diesen schönen Moment übrig. Ich ließ mich auf die weiche Schlafstatt fallen und schloss lächelnd die Augen.

«Weißt du eigentlich, dass ich dich vom ersten Moment an unglaublich sexy fand?», nuschelte ich zufrieden.

Er setzte sich zu mir. Ich öffnete ein Auge und sah zu ihm auf.

«Weißt du, dass ich immer auf eine Elisabeth Steel gewartet habe, die so ist wie du? Wunderschön ist dein Abbild in jeder Dimension, aber du hast Herz, Mut und Verstand. Du hast es geschafft, dass ich wieder daran glauben kann, die Schuld meines Vaters tilgen zu können. Hätte ich das doch nur von Anfang an in dir sehen können. Das hätte uns den schlechten Anfang erspart.»

«Mach dir keine Gedanken mehr darüber. Deine Vorurteile gegen mich konnte ich ja schnell ausräumen. Es ist doch schön, wenn man jemanden positiv überraschen kann.»

«Ja, das hast du getan.»

Er hob mir einen weiteren Schöpfer entgegen und ich trank auch diesen sofort aus. Mathias gluckste leise.

«Du solltest langsamer trinken. Du willst doch nicht betrunken in die nächste Gefahr hineinstolpern.»

«Zu spät. Ich glaube, ich hab schon einen ganz schönen Schwips. Da muss die Gefahr wohl warten, bis ich wieder nüchtern bin.» Ich grinste breit und hickste einmal laut.

«Oje, wehrte Hüterin, dann auf dein Wohl.» Er prostete mir zu und trank. Anschließend erhob er sich schon leicht schwankend und schloss die Metalltür. Damit sperrte er den Rest der Welt aus. Dunkelheit umschloss uns völlig. Wir setzten uns vor das Fass. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

Irgendwann fragte ich vorsichtig: «Warum ich? Gibt es denn keine andere Hüterin in den Dimensionen, die diese Aufgabe übernehmen kann?»

«Mhhh, ich glaube, dass keine es auf diese Art machen würde. Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass es etwas zu sagen haben muss, dass sie und ich nur in dieser einen Dimension unsterblich sind. In allen anderen sind wir bereits lange tot. Darum ist sie sich sicher, dass du das Original bist. Die einzige wahre Nachfahrin der Lilith. Deshalb kannst auch nur du durch den Spiegel in die Vergangenheit der Dimensionen reisen. Der Spiegel und die Ableger von Yggdrasil erkennen dich. Auch Mutter Natur hat dir geholfen. Das ist der Grund, warum die Sicherheit der Dimensionen nur von dir zurückerobert werden kann.»

«Ich bin das Original? Warum bin ich dann nicht stärker, habe unglaubliche magische Kräfte und kann Satan Blitze in den Hintern schießen, bis er sich wieder in die Hölle verzieht? Ich fühle mich so normal, einfach nicht ausreichend für diese Aufgabe.»

Mathias lachte leise. «Du bist alles andere als normal, Prinzessin.» Er küsste sanft meinen Scheitel. «Ich hätte dich so gern gesehen, als du die Magie von Mutter Erde benutzt hast, um alle aus der Grotte zu retten. Ich habe einen Funken davon gesehen, als du mir neue Kraft geschenkt und meine Wunden geheilt hast. Das war unglaublich. Sowas kann kein normaler Mensch. Du bist eine Naturgewalt, Elisabeth Steel und ich entschuldige mich dafür, dass ich das erst so spät erkannt habe. Ich wollte dich nie verletzen. Die einzige Erklärung, die ich dafür anbringen kann, ist, dass ich schon so viele Hüterinnen scheitern sah. Niemand wusste etwas von deiner Ausbildung und dem Training. Margret hat das alles im Verborgenen organisiert. Für die Mitglieder der Allianz und auch für mich warst du ein normales Schulmädchen. Ich wollte nicht die Verantwortung für dein Leben tragen.»

Er drückte mich noch fester an sich.

«Wer hätte gedacht, dass es so anders kommt?»

«Danke», antwortete ich viel zu schlicht und dann schwiegen wir.

Nur das Klappern der Kelle war immer wieder zu hören. Jeder neue Schöpfer machte es schwieriger, da unsere Koordination bald zu wünschen übrigließ.

Ich dachte daran, dass ich mich während der Reise durch die Dimensionen, in der größten Gefahr meines Lebens, das erste Mal betrank. Ich musste kichern, denn in meinem Leben war ja wohl nichts normal.

Andere Mädchen gingen auf Partys und feierten dort mit Cocktails und Shots, aber ich musste mich mit altem Wein in einem stockfinsteren Weinkeller betrinken. Wenigstens musste ich danach nicht allein einschlafen. Mathias würde ich zwar nicht mit nach Hause nehmen können, aber war es nicht irgendwie romantisch, auf Schaffellen miteinander zu kuscheln? Ich hickste erneut und schüttelte den Kopf über mich selbst. Über was dachte ich denn da nur nach?

Mathias legte sich auf die Felle und zog mich zu sich. Obwohl ich nichts sah, spürte ich den Schwindel in meinem Kopf und schloss die Augen. Nur einen Augenblick, dachte ich, bevor der Schlaf mich übermannte.

Ich erwachte mit den schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens und setzte mich stöhnend auf. Ein Knurren erfüllte die Dunkelheit. Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, dass es sich dabei um das Schnarchen von Mathias handelte. Es kratzte an meinen geschundenen Nervenenden. Was würde ich nicht für eine Kopfschmerztablette geben. Ich presste meine Hände an die Schläfen und massierte sie, um mir Linderung zu verschaffen. Doch solange Mathias schnarchte, wurde der Schmerz nur noch schlimmer. Ich stieß ihn an und er fuhr sofort auf.

«Guten Morgen», krächzte ich. Meine eigenen Worte pulsierten wie Trommelfeuer unter der Schädeldecke.

«Geht es dir gut, Prinzessin?»

«Ich glaube, dass ich erst einmal genug vom Alkohol habe. Mein Schädel platzt fast.»