Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Alessandra Kreibaum, Worpswede

Satz: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt, Nierstein

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design, Aachen

Umschlagmotiv: Pinguinpaar mit Nachwuchs. © Adobe Stock / Yash Pratap

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Germany

eBook (PDF): 978-3-8062-4226-3

eBook (epub): 978-3-8062-4227-0

Menü

Inhalt

Das aufregende Familienleben der Tiere

Familie Musterwolf

Familienglück bei minus 40 Grad Celsius

Die Sache mit der Treue

Fernehe mit angemessener Verlobungszeit

Supereltern

Die faulste Mutter der Welt

Tödliche Eltern

Tierische Muttersöhnchen

Die Rollenumkehr

Von Hauptfrauen und Nebenfrauen

Ein streitlustiger alleinerziehender Vater

Minimann sucht Megafrau

Wenn Frauen die Hosen anhaben

Hippieschimpansen

Eine nackte Domina mit Superkräften

Männerfreundschaften und Kinderverleih

Die Erdmännchenschule

Birth Control

Oma ist die Beste

Nachwuchsanpassung

Familiengesänge

Schildkröte adoptiert Nilpferd

Die Multikultifamilie

Wenn Männer Kinder kriegen

Schwule Väter – gute Väter?

Super-Mega-Familien

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Das aufregende Familienleben der Tiere

Im Tierreich gibt es folgende Faustregel: Je mehr Nachkommen eine Tierart hat, desto weniger kümmern sich die Eltern um den Nachwuchs. Um ein extremes Beispiel heranzuziehen: Ein Weibchen eines Mondfisches, des größten Knochenfisches der Welt, legt pro Laichvorgang bis zu 300 Millionen Eier. Das ist Lege-Weltrekord bei den Fischen, wahrscheinlich sogar im gesamten Tierreich. Die Strategie, die hinter dieser Massenproduktion steckt, ist genauso simpel wie einleuchtend: Einige dieser 300 Millionen Eier werden es ja wohl auch ohne die Fürsorge von Mama und Papa schaffen und zu erwachsenen Mondfischen heranwachsen.

Und so ist das von der Natur auch vorgesehen: In einer stabilen Tierpopulation sollte sich bei der Fortpflanzung jedes Tier selbst ersetzen. Im Fall des Mondfisches sollten also aus der unvorstellbaren Zahl von 300 Millionen gerade mal zwei erwachsene Tiere hervorgehen, um eine stabile Mondfischpopulation zu gewährleisten. Ganz anders liegt der Fall, wenn tierische Eltern nur wenige Kinder haben, wie dies bei den meisten Säugetieren oder Vögeln der Fall ist. Hier ist eine umfangreiche Brutpflege angesagt und gute Eltern sind gefordert, will man dem Nachwuchs eine gute Chance geben, das Erwachsenenalter zu erreichen.

Brutpflege, sprich der Beginn einer tierischen Familie, fängt beim Bewachen der Eier oder des frisch geborenen Nachwuchses an und hört später bei der Weitergabe von überlebenswichtigem Wissen an die Jungtiere auf. Aber auch sonst gibt es für gute Tiereltern eine Menge zu tun, um ihrem Nachwuchs einen erfolgreichen Start ins Leben zu gewährleisten: Tierkinder müssen mit Wasser, Nahrung und Wärme versorgt und mit Zuneigung umhegt werden. Sie müssen stets gut getarnt sein, damit sie nicht von Fressfeinden erbeutet werden und im Notfall müssen sie unter Einsatz des eigenen Lebens verteidigt werden.

Und bei diesen Eltern, die Brutpflege betreiben, sich also mehr oder weniger intensiv um ihren Nachwuchs kümmern, finden wir oft eine geradezu klassische Rollenverteilung: Während der Herr Papa ziemlich schnöde bereits frühzeitig das Weite gesucht hat, muss Mama meist allein dafür sorgen, dass die Sprösslinge das Erwachsenenalter erreichen.

Aus väterlicher Sicht ist dieses Verhalten durchaus verständlich: Kann sich der tierische Papa doch oft überhaupt nicht sicher sein, ob er Liebe und Fürsorge in ein Kind investiert, das möglicherweise nicht sein eigenes ist. Im Tierreich sieht es nämlich, so neuere Erkenntnisse aus der Wissenschaft, in Sachen Treue nicht allzu gut aus.

Aber keine Regel ohne Ausnahme: Es gibt im Tierreich nicht nur gute und sogar herausragende, sondern auch alleinerziehende Väter. Wer nicht daran glaubt, dass auch schwule Väter exzellente Väter sein können, sollte sich einmal bei Geiern, Flamingos oder Störchen etwas genauer umsehen. Ein Blick zu den „Rössern der Meere“, den Seepferdchen, zeigt, dass man als Mann durchaus auch schwanger werden kann.

In Sachen Familie gibt es im Tierreich aber bei Weitem nicht nur die klassische Konstellation – Vater, Mutter, Kinder. Harems beispielsweise gab und gibt es nicht nur im Vorderen Orient, sondern auch bei vielen Tierarten. Männliche Strauße differenzieren sogar zwischen einer Hauptfrau und diversen Nebenfrauen. Und im Harem des als „ach so hässlich“ verleumdeten Nacktmulls hat nicht etwa ein männlicher Pascha das Sagen, sondern eine Nacktmullkönigin, die sich zur Fortpflanzung und wahrscheinlich auch zum Vergnügen drei bis vier Haremsmänner hält. So ist es nicht immer das Männchen, das in tierischen Familien den Ton angibt. Bei einigen Tierarten finden wir ein ausgeprägtes Matriarchat, sprich die Weibchen haben die Hosen an. Bei den Hyänen geschieht das durch nackte Stärke, bei den oft so übel als vermeintliche Sex-Maniacs verleumdeten Bonobos durch weibliche Cleverness und Kooperation.

Großmütter spielen dagegen bei den größten Landtieren der Welt, den Elefanten, und bei den wahrscheinlich besten Jägern im Tierreich, den berühmt berüchtigten Orcas oder Schwertwalen, eine tragende Rolle. Andere Weibchen, wie etwa der Kuckuck, versorgen ihren Nachwuchs nicht selbst, sie lassen versorgen. Da bleibt offensichtlich mehr Zeit für die angenehmen Dinge des Lebens. Und bei den putzigen Erdmännchen übernehmen spezielle Lehrer anstelle von Mama und Papa die Ausbildung des Nachwuchses. Tierische Eltern kümmern sich übrigens bei Weitem nicht nur um den eigenen Nachwuchs. Adoptionen sind im Tierreich zwar nicht gerade an der Tagesordnung, aber auch nicht selten. Dabei kann es durchaus zu verblüffenden Konstellationen kommen – beispielsweise Schildkröte adoptiert Nilpferd. Und ob das alles noch nicht genug wäre: In Saudi-Arabien gibt es eine Spielart der Bremer Stadtmusikanten, eine echte „Multikultifamilie“, zu bestaunen, zu der sich so unterschiedliche Tierarten wie Hunde, Paviane und Katzen zusammengeschlossen haben.

Alles in allem bleibt festzuhalten, in tierischen Familien gibt es eigentlich nichts, was es nicht gibt.

Ein Buch, wie das vorliegende, kann natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Sachen „Tierische Familien“ erheben. Dazu wäre eine etwas größere Enzyklopädie vonnöten. Dieses Buch soll aber dem geneigten Leser die interessantesten Tierfamilien vorstellen und dabei einen hoffentlich unterhaltsamen Einblick in teilweise völlig ungewöhnliche Familienstrukturen gewähren.

Familie Musterwolf

In unserem menschlichen Alltagsleben taucht der Begriff „Leitwolf“ mit schöner Regelmäßigkeit auf. „Der Leitwolf“, das ist schon seit Langem ein Synonym für einen dominierenden Mann – ob als CEO eines DAX-Konzerns, als Anführer einer militärischen Spezialeinheit, als Kapitän der Fußballmannschaft von Bayern München oder als charismatischer Vorsitzender eines Kegelclubs. Der Leitwolf bestimmt, wohin die Reise geht. Alle anderen müssen sich ein- bzw. unterordnen.

Leitwolf ist ein Begriff, der suggeriert, dass Wölfe in strengen hierarchischen Strukturen leben: Geführt wird das Wolfsrudel vom Leitwolf, einem Rudeldominator, der oft auch Alpha-Wolf genannt wird und dann geht es in der Hierarchie entsprechend des griechischen Alphabets weiter nach unten: Beta-Wolf, Gamma-Wolf bis hin zum Omega-Wolf, einem bedauernswerten Tier, das auf der untersten Sprosse der Hierarchieleiter steht, bei der Futterverteilung oft leer ausgeht, allen, die in der Rangordnung über ihm stehen, als Prügelknabe dient und auch in Sachen Sex regelmäßig zu kurz kommt.

So weit so gut. Doch jetzt kommt ein großes „Aber“: Wölfe sind überhaupt nicht so – zumindest nicht in der freien Natur. Der Mythos vom Leitwolf und der streng hierarchischen Rudelstruktur beruht auf früheren Beobachtungen von Wölfen, die in Gefangenschaft leben. Bis vor wenigen Jahren stammten jegliche Erkenntnisse bezüglich des Soziallebens der Wölfe von sogenannten Gehegewölfen. Die schwieriger zu erlangenden Kenntnisse über das Verhalten von frei lebenden Wölfen lagen lange Zeit so gut wie nicht vor.

Hierarchische Strukturen, wie man sie etwa von Schimpansen, Gorillas oder, um ein heimisches Beispiel zu nennen, vom Hühnerhof kennt, entstehen im Wolfsrudel nur in Zoos und Wildparks. Also dort, wo viele Wölfe oft völlig unterschiedlicher Herkunft gezwungen sind, auf engstem Raum zusammenzuleben, und dank Gitter oder Zaun nicht abwandern und ein eigenes Revier suchen können, um innerartlichen Konflikten zu entgehen. Wölfe in Gefangenschaft sind daher gezwungen, sich zu arrangieren. Klar, dass hier ein hohes Stresslevel und Aggressionspotenzial entstehen, die letztendlich zu einer streng linearen Hierarchie von Alpha-Wolf bis Omega-Wolf führen. Die stärksten Tiere geben den Ton an – keine guten Voraussetzungen für eine friedliche Wohngemeinschaft.

Neuere Erkenntnisse dank moderner Technik, etwa mit Minisendern ausgerüstete Halsbänder oder gut versteckte Wildkameras, zeigen jedoch, dass in der freien Natur eine andere Rudelstruktur besteht.

Zu einem in Freiheit lebenden Wolfsrudel gehören in der Regel Vater, Mutter und die Kinder. Will heißen, Wölfe leben im Prinzip in einer ähnlichen Familienstruktur wie wir Menschen, sozusagen die „Kleinfamilie Wolf“. Die wahren Leitwölfe im Rudel sind dabei die Elterntiere, die im Regelfall ein Leben lang zusammenbleiben. Damit gehören Wölfe zu den wenigen Säugetierarten, die monogam leben.

Diese menschenähnliche Familienstruktur ist nach Ansicht einiger Wissenschaftler auch der Grund, warum wir Menschen uns auf den Hund als eines unserer Lieblingshaustiere kapriziert haben: Schließlich leben die Vorfahren von Bello und Co. nicht nur in menschenähnlichen Familienstrukturen, sondern haben durchaus auch ein vergleichbares Sozialverhalten.

In Einzelfällen kann es sein, dass nicht das klassische Wolfsehepaar, sondern ein Rüde und zwei Weibchen, eine sogenannte Ménage-à-trois, die Führungspositionen und damit auch die Fortpflanzung im Rudel übernehmen.

Die Rudel- bzw. Familiengröße liegt dabei durchschnittlich bei etwa 5 bis 12 Tieren, in Ausnahmefällen aber auch bei 30 Wölfen und mehr.

Im Gegensatz zu in Gefangenschaft lebenden Wölfen gibt es bei Wolfsrudeln in der freien Natur keinen Streit um den Platz in der Hierarchie, Nahrung oder das Recht, sich fortzupflanzen. Entgegen früheren Mutmaßungen geht es im Wolfsrudel ausgesprochen friedlich zu. In freier Wildbahn vermeiden die „Meister im Konfliktlösen“ Streitigkeiten innerhalb des Rudels, wann immer dies möglich ist. Vielmehr leben die Wölfe im Rudel sehr harmonisch, fast könnte man sagen freundschaftlich-familiär zusammen. Gerade die jungen Wölfe genießen Narrenfreiheit und dürfen sich gegenüber den Eltern die eine oder andere Frechheit herausnehmen. Nur in Ausnahmefällen wird ein junger Wolf vom Vater oder von der Mutter zurechtgewiesen. Und wenn das geschieht, dann äußerst behutsam: Reicht ein ermahnendes Knurren nicht aus, legen Papa oder Mama Wolf einfach die eigene Schnauze über die des ungezogenen Sprösslings und drücken sie sanft nach unten. Das reicht zur Korrektur des kindlichen Fehlverhaltens vollständig aus.

Zudem behalten die Leittiere, sprich Wolfsrüde und Wolfsfähe, nach erfolgreicher Jagd die besten und nahrhaftesten Beuteteile nicht für sich. Auch rangniedere Tiere erhalten ihren gerechten Anteil. Kein Wunder, schließlich handelt es sich ja um die eigenen Kinder.

Auch die älteren Geschwister, sprich der Nachwuchs aus dem Vorjahr, leisten ihren Beitrag dazu, dass es ihren jüngeren Brüdern und Schwestern gut geht. Wenn Mama und Papa Wolf auf die Jagd gehen, passen die sogenannten „Jährlinge“ als eine Art familieneigener Babysitter darauf auf, dass die Welpen, gepackt von kindlicher Neugier und Entdeckerdrang, nicht irgendeinen gefährlichen Unsinn anstellen. Die geschwisterliche Fürsorge geht sogar so weit, dass die älteren Geschwister für ihre kleinen Schutzbefohlenen eine Art, wenn auch ziemlich unappetitliche „Babynahrung“ produzieren: Sie würgen einfach vorverdautes Futter hoch, das sie den Welpen verabreichen.

Die Sache mit dem Mond

Man kennt das oft noch aus den Gruselfilmen aus der Traumfabrik in Hollywood: Wölfe heulen den Mond an. Da sitzt ein riesiger Wolf, meist nur als Silhouette zu erkennen, vor einem prächtigen Vollmond, wirft den Kopf in den Nacken und lässt dabei ein Geheul ertönen, das derart schaurig klingt, dass es dem geneigten Zuschauer eiskalt den Rücken herunterläuft. Aber was hat ein Wolf mit dem Mond zu tun? Gar nichts, sagen die Experten. Dass Wölfe den Mond anheulen, ist ein Gerücht, das sich heute immer noch hartnäckig hält. Aber davon wird es auch nicht wahrer. Das Ganze beruht auf einer fehlerhaften Naturbeobachtung. Im Spätwinter, im Februar und März, heulen Wölfe, zumindest in Mitteleuropa, besonders häufig. Da beginnt nämlich ihre Paarungszeit. Geheult wird dabei, um neue Geschlechtspartner anzulocken oder um die Bindung mit alten Partnern zu festigen. Und da man dieses Geheule vor allem in mondhellen Nächten besonders gut beobachten konnte und Wölfe beim Heulen meist den Kopf in den Nacken werfen, um auf möglichst große Entfernung gehört zu werden, schloss man früher fälschlicherweise daraus, Wölfe würden den Mond anheulen.

In seltenen Fällen kommt es auch zu Adoptionen von jugendlichen Wölfen, die den Kontakt zum eigenen Rudel aus welchen Gründen auch immer verloren haben, in das eigene Rudel.

Meist im Alter von zwei Jahren, wenn sie geschlechtsreif sind und sich selbst ernähren können, verlassen die jungen Wölfe ihre Familie. Die jungen Wölfe und Wölfinnen suchen sich dann außerhalb des eigenen Territoriums einen Partner fürs Leben, mit dem sie ein eigenes Rudel gründen. Bei der Suche nach einem Geschlechtspartner und einem freien Territorium werden dabei oft gewaltige Strecken zurückgelegt. Das können im Extremfall mehrere Hundert Kilometer sein. Einige abgewanderte Jungwölfe fügen sich manchmal geradezu nahtlos in ein benachbartes Rudel ein und übernehmen dort die vakant gewordene Stelle eines getöteten Elternwolfes.

Junge männliche Wölfe, die noch keine feste Partnerin finden und kein Territorium erobern konnten, nähern sich in der Paarungszeit oft vorsichtig etablierten Rudeln und versuchen, sich mit den Töchtern des dort herrschenden Elternpaares zu paaren. Das Ganze ist jedoch im Regelfall eine Art One-Night-Stand. Nach einem Erfolg ihrer Bemühungen gehen diese sogenannten „Casanova-Wölfe“ mit ihrer Kurzzeitpartnerin keine feste Bindung ein, sondern verlassen sie wieder.

Die Größe des ursprünglichen Rudels bleibt jedoch fast immer identisch. Die Abwanderung der geschlechtsreifen Jungwölfe wird in den allermeisten Fällen durch den Wurf einer vergleichbaren Zahl neuer Welpen kompensiert.

Jedes Wolfsrudel, sprich jede Wolfsfamilie, beansprucht für sich ein klar abgegrenztes Territorium. Ein Revier, das das Rudel gegenüber anderen Wolfsrudeln, aber auch Einzelgängern vehement verteidigt. Die Größe des Territoriums hängt dabei stark von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Beutetiere ab. In Landstrichen mit vielen Elchen, Rentieren, Hirschen, Rehen oder Wildschweinen sind die Wolfsreviere eher klein. Bei einer geringen Dichte an Beutetieren, zum Beispiel in einigen Gegenden Alaskas, können die Reviere jedoch riesig sein: Ist ein Wolfsrevier in Polen im Schnitt um die 200 Quadratkilometer groß, wurden in Alaska Reviere von über 6000 Quadratkilometern ermittelt. Mit der Wahl der Reviergröße wird sichergestellt, dass für alle Rudelmitglieder ausreichend Futter vorhanden ist.

In der Nähe von menschlichen Siedlungen, wie einige Vorfälle neueren Datums zeigen, erbeuten Wölfe auch Schafe und sogar Kälber. Sind keine großen Beutetiere verfügbar, wird auch auf Kleinsäuger, Vögel und sogar Frösche zurückgegriffen. Und gibt es gar keine Beutetiere, verschmäht ein hungriger Wolf auch kein Aas oder Abfälle.

Wölfe markieren dabei ihre Reviere regelmäßig durch Duftmarken aus Urin und Kot. Eine weitere Markierung erfolgt oft auf akustischem Weg: Das Rudel heult lautstark gemeinsam. Ein Geheul, das in der russischen Tundra noch auf eine Entfernung von 16 Kilometern zu hören ist. Oft regt das Revierverteidigungsgeheul eines Wolfsrudels das benachbarte Rudel an, ebenfalls ihr Revier akustisch zu verteidigen. Dabei unterscheidet sich das Geheul der einzelnen Rudelmitglieder deutlich in Tonlage und Lautstärke. Will heißen, man kann oft einzelne Wölfe an ihrem Geheul erkennen.

Das Rudel durchstreift mit schöner Regelmäßigkeit sein gesamtes Revier, schließlich gilt es, gerade an den Grenzen des eigenen Territoriums, Präsenz zu zeigen.

Beobachtungen haben gezeigt, dass Wölfe im Schnitt bei diesen Territoriumskontrollwanderungen rund alle 240 Meter eine Markierung absetzen. Lassen sich Wölfe eines benachbarten Rudels von Duftmarken und vom Geheul der Revierinhaber nicht abschrecken und dringen in das „feindliche“ Revier ein, werden sie von den dort heimischen Wölfen im Regelfall sofort attackiert. Wenn es um die Verteidigung von Familie und Revier geht, verstehen Wölfe überhaupt keinen Spaß. Aus diesem Grund enden diese innerartlichen Kämpfe oft tödlich. Nach dem Menschen ist daher der Wolf der größte Feind des Wolfes.

Die Wölfe eines Rudels pflegen übrigens häufig einen engen Körperkontakt miteinander, der vor allem zum Austausch von Informationen dient. Mithilfe der mit sensiblen Tasthaaren ausgestatteten Schnauze, durch Einsatz der Pfoten, Lecken mit der Zunge oder Anstupsen mit der Nase teilen sich Wölfe all das mit, was im sozialen Miteinander im Wolfsleben wichtig ist. Wissenschaftler sprechen hier von einer sogenannten „taktilen Sprache“ – also Kommunikation durch Berührung.

Darüber hinaus arbeiten Wölfe mit einer ausgeprägten Körpersprache. So kann man zum Beispiel im Rudel immer wieder Beschwichtigungsgesten, wie etwa eine geduckte Körperhaltung oder eine eingezogene Rute, beobachten. Auf der anderen Seite sind oft regelrechte Begrüßungszeremonielle zwischen Eltern und Welpen zu sehen, bei denen man sich zärtlich gegenseitig die Schnauze leckt.

Familienglück bei minus 40 Grad Celsius

Spätestens seit dem spektakulären Erfolg des Films „Die Reise der Pinguine“ des französischen Filmemachers und Antarktisforschers Luc Jacquet, der weltweit immerhin fast 130 Millionen Euro in die Kinokassen spülte, wissen auch weniger naturinteressierte Menschen: Keine andere Vogelart weltweit gründet ihre Familie unter derart unwirtlichen Bedingungen wie der Kaiserpinguin. Der mit einer Größe von immerhin 130 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu 37 Kilogramm größte und schwerste Pinguin der Welt zieht seine Jungen nicht nur zur kältesten Jahreszeit in der Antarktis auf, sondern unterzieht sich dabei auch geradezu – wenn man das bei einem Vogel sagen darf – unmenschlichen Strapazen, um seinen Nachwuchs gesund und sicher durch die Kindheit zu bringen. Pinguine sind übrigens die einzigen Vögel, die im Winter brüten.

Alles beginnt im März bzw. April, sprich wenn der antarktische Herbst ansteht, mit einem langen Marsch. Zu dieser Jahreszeit verlassen die geschlechtsreifen Kaiserpinguine ihr eigentliches Element, das Packeis des antarktischen Meers, und begeben sich zu ihren Gemeinschaftsbrutplätzen, die weit entfernt im sicheren antarktischen Inlandeis liegen. Gebrütet wird vor allem dort, wo Felsen, Eisberge oder Klippen zumindest einigermaßen Schutz vor den eisigen antarktischen Winden, die sich auch schnell mal zu einem Sturm entwickeln können, bieten. Um diese sicheren Stellen zu erreichen, müssen die Pinguine oft Strecken von 100 Kilometern und mehr zurücklegen. Eine ausgesprochen mühsame und zeitintensive Angelegenheit, wenn man von der Natur lediglich mit Schwimmfüßen ausgerüstet wurde und es damit bestenfalls auf eine Marschgeschwindigkeit von 2,5 Stundenkilometern bringt. Marschiert wird übrigens nicht alleine, sondern in langen Karawanen: Die Pinguine watscheln scheinbar unermüdlich über das Eis oder rodeln, wenn es bergab geht, auf ihrem Bauch den Hang herunter. Das spart Kraft und Energie. Untersuchungen von französischen Wissenschaftlern weisen darauf hin, dass es die abnehmende Tageslänge ist, die den Pinguinen signalisiert, wann es Zeit ist, sich auf den Weg zu ihren Brutgebieten zu machen.

Haben die Pinguinkarawanen endlich ihr Brutgebiet erreicht, ist es Zeit für die Fortpflanzung, der jedoch stets eine ziemlich außergewöhnliche Balz vorgeschaltet ist. Es ist dabei immer das Männchen, das gleich mit einer ganzen Serie von Lautäußerungen um ein Weibchen buhlt. Hat ein Weibchen sich dann für einen Partner entschieden, stellen sich Herr und Frau Pinguin Auge in Auge gegenüber, wobei das Männchen die Bewegungen des Weibchens imitiert – ähnlich, wie das in einem Spiegel der Fall ist. Anschließend verbeugen sich die beiden Geschlechtspartner, zur Freude von menschlichen Beobachtern, mehrmals tief voreinander. Bei diesen Verbeugungen handelt es sich jedoch nicht etwa um einen Akt der Höflichkeit, sondern um ein wichtiges Ritual. Eigentlich schade! Nachdem das Vorspiel, das sich über Stunden hinziehen kann, vollzogen ist, kommt es dann endlich zum eigentlichen Akt.

Wobei der Pinguinsex – und das betrifft nicht nur Kaiserpinguine – nicht ganz ohne Tücken ist: Zum einen ist Sex auf Eis und Schnee sicherlich auch in Pinguinkreisen nicht jedermanns Sache, zum anderen ist die flaschenförmige Figur der Pinguine nicht gerade hilfreich. Zum Akt legt sich das Weibchen nämlich aufs Eis und das Männchen mit seinem Bauch auf ihren Rücken. Das ist, flapsig formuliert, in etwa so, als wollte man zwei Bierflaschen aufeinanderstapeln und das ist ja bekanntlich relativ schwierig. Aber mit Geduld und einem gewissen Balancegefühl klappt es bei den Pinguinen dann doch.

Im Gegensatz zu dem weit verbreiteten Glauben leben Kaiserpinguine nicht strikt monogam, bleiben ihrem Partner also nicht ein Leben lang treu. Die berühmte Monogamie der Kaiserpinguine hält oft nur ein Jahr, wenn Herr und Frau Pinguin in der Brutzeit aufeinander angewiesen sind. In der nächsten Saison verpaaren sich die meisten Pinguine dann mit einem neuen Partner. Ein Verhalten, das in der Wissenschaft etwas beschönigend als „serielle Monogamie“ bezeichnet wird.

Allerdings gilt offensichtlich auch bei Kaiserpinguinen in Sachen Scheidungsrate der Satz: „Never change a winning team“. Einige Pinguinpaare tun sich wieder erneut zusammen, wenn die Brut in der vergangenen Saison erfolgreich war. Wissenschaftler konnten beobachten, dass bewährte „Ehen“ deshalb bis zu sieben Jahre lang fortgesetzt werden.

War der Akt erfolgreich, legen die geschwängerten Weibchen nach rund 90 Tagen ein einzelnes Ei zunächst auf ihren breiten Schwimmfüßen ab. Nach der Eiablage sind die Kaiserpinguinweibchen mit ihren Kräften ziemlich am Ende. Die Entwicklung des rund 450 Gramm schweren Eis hat unglaublich viel Energie gekostet. Nahrung, sprich Fisch, steht in den Brutgebieten, die sich ja fernab vom Ozean befinden, jedoch nicht zur Verfügung. Will heißen, die Pinguinmütter müssen jetzt dringend den langen Marsch zu ihren Jagdgründen im Packeis antreten, um ihre leeren Energiespeicher aufzufüllen. Und deshalb ist von diesem Zeitpunkt an das Brutgeschäft bei Kaiserpinguinen erstmal reine Männersache. Allerdings gilt es, vorher eine große Herausforderung zu meistern: Das Ei muss von den Füßen der Mutter möglichst behutsam auf die Füße des Vaters transferiert werden – ein regelrechter Eiertanz. Gerade junge unerfahrene Pinguine stellen sich bei der Eiübergabe oft nicht sonderlich geschickt an. Und das kann für das werdende Leben ganz schnell zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod werden. Rollt das Ei von den Füßen auf das blanke Eis und das Pinguinpaar schafft es nicht, es innerhalb von ein bis zwei Minuten zurückzuholen, stirbt der Embryo bedingt durch die klirrende Kälte unweigerlich ab.

Die Sache mit dem Wärmeaustauscher

Pinguine sind in der Antarktis auf dem Kontinent von Eis und Schnee ständig Temperaturen ausgesetzt, die tief unterhalb des Gefrierpunktes liegen. Da müsste doch eigentlich permanent die Gefahr bestehen, dass die Vögel mit ihren nackten Füßen auf den Eisschollen bzw. der geschlossenen Eisdecke festfrieren? Tun sie aber nicht! Um nicht festzufrieren, haben sich die Pinguine gleich mehrere Tricks ausgedacht: Zum einen können bekanntermaßen nur Flüssigkeiten leicht festfrieren – daher hätten Tiere mit Schweißfüßen am Südpol sehr schlechte Karten. Die cleveren Pinguine halten ihre Füße jedoch möglichst trocken, um ein Festfrieren zu verhindern. Zusätzlich stehen sie oft auch nur auf den Fersen, um die Kontaktfläche mit dem Eis so klein wie möglich zu halten. Zum anderen kühlen die Vögel ihre Füße mit einem körpereigenen Wärmeaustauscher von den 39 °C, die im übrigen Körper herrschen, auf rund 8 °C herunter. Durch diesen Kniff wird erreicht, dass die Füße gerade so kalt sind, dass das Eis darunter nicht antaut. Und was nicht antaut, kann auch nicht gefrieren. Dieser Wärmeaustausch wird dadurch ermöglicht, dass in den Beinen die Arterien und Venen sehr eng beieinanderliegen. Während warmes Blut durch die Arterien in die Füße fließt und dabei von den benachbarten Venen heruntergekühlt wird, wird das kalte venöse Blut, das in den Körper zurückfließt, von den Arterien wieder erwärmt.

Für die nächsten rund 65 Tage balanciert der Pinguinvater jetzt das Ei sorgfältig auf seinen Füßen und bebrütet es bis zum Schlupf in der schützenden Bauchfalte. Um sich vor der klirrenden Kälte am kältesten Ort der Erde, aber vor allem auch vor den eisigen antarktischen Stürmen zu schützen, rücken die Pinguinmänner zusammen und bilden sogenannte „Huddles“ – eng gedrängte Gruppen, in denen sich die Pinguine gegenseitig wärmen. Nach einer bestimmten Zeit werden dabei aber stets die Plätze gewechselt, sodass jeder männliche Frackträger mal am kalten Rand, aber auch mal im wärmeren Inneren des kreisförmigen Huddles steht. Inzwischen sind die Weibchen wieder am Ozean angelangt und können sich dort endlich nach der langen Zeit des Hungers den Bauch mit Fisch vollschlagen. Und Fische zu erbeuten, ist geradezu ein Kinderspiel für die an Land so unbeholfenen Vögel. Im Ozean sind Pinguine in ihrem eigentlichen Element. Schwimmend bringen es die immer an einen Bonsai-Oberkellner erinnernden Vögel auf Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 40 Kilometer pro Stunde und Tauchtiefen von über 500 Metern. Bei ihren Jagdzügen können Kaiserpinguine, dank Herabsetzung des Herzschlages und Reduktion des Sauerstoffverbrauchs, immerhin bis zu 20 Minuten unter Wasser bleiben.

Die Jungen schlüpfen in den allermeisten Fällen, bevor die mittlerweile wohlgenährten Mütter zur Kolonie zurückkehren. Eine Situation, die die Pinguinväter vor einige Probleme stellt. Mit was sollen die Jungen gefüttert werden? Schließlich haben die Pinguinväter jetzt selbst vier Monate lang am Stück gefastet und dabei bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts verloren. Aber die Väter haben, um den Hunger des Nachwuchses zu stillen, noch einen letzten Pfeil im Köcher: die sogenannte Kropfmilch. Diese Milch, die mit einem Proteingehalt von 59 Prozent und einem Fettgehalt von immerhin 28 Prozent eine wahre Kalorienbombe ist, wird vom männlichen Kaiserpinguin in einer speziellen Drüse im Schlund hergestellt. Allerdings kann das Jungtier via Kropfmilch maximal eine Woche am Leben erhalten werden. Trifft die Mutter später ein, bedeutet dies das Ende des Pinguinkükens.

Das Weibchen findet übrigens bei der Rückkehr von seinem Nahrungstrip „sein“ Männchen samt dazugehörigem Kind in der oft riesigen Kolonie der wartenden Pinguinmänner nicht etwa anhand von äußerlichen Merkmalen wieder, sondern an dem individuellen Ruf seiner Stimme. Hier zahlt sich offensichtlich das oben erwähnte lange Vorspiel aus, bei dem sich die Ehepaare die akustischen Besonderheiten des jeweiligen Partners gut einprägen können.

Die Weibchen kehren aber in den allermeisten Fällen rechtzeitig zu Vater und Kind zurück und versorgen ihr Küken dann mit der ersten Fischmahlzeit seines noch jungen Lebens. Und die fällt ziemlich reichlich aus: Bis zu drei Kilogramm leicht vorverdauten Fisch transportieren die Pinguinmütter für den Nachwuchs in ihrem Magen aus dem Ozean heran. Anschließend wird das Küken in die Bauchfalte der Mutter übergeben, sodass jetzt der Vater die Chance hat, endlich seinen schon ewig knurrenden Magen durch einen Marsch zum Ozean zu stillen.

Übrigens: Auch wenn das Bauchgefieder von Mutter beziehungsweise Vater in der Regel für genügend Wärme sorgt, fallen immer wieder Kaiserpinguinküken der klirrenden Kälte zum Opfer: Zwischen 80 und 90 Prozent der Küken erleben ihren ersten Geburtstag nicht.

Das Geheimdossier über die „Perversionen der Pinguine“