Die Originalausgabe erschien 2016

unter dem Titel »First Star I See Tonight« bei William Morrow, An Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.


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Copyright © der Originalausgabe 2016 by Susan Elizabeth Phillips

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by

Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Margit von Cossart

Umschlaggestaltung und - motiv: www.buerosued.de

LH · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werksatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-18378-3
V004


www.blanvalet.de

Im Gedenken an Cathie Linz: Liebhaberin von Katzen, den Beatles, roten Stiefeln, Geburtstagen, Bibliothekaren, Freunden und guten Büchern. Wie sang Paul: You and I have memories longer than the road that stretches out ahead. Danke für deinen Enthusiasmus und die endlose Unterstützung, die du deinen Schriftstellerkolleginnen gegeben hast. Und die, die dir am nächsten standen, möchten dir vor allem dafür danken, dass du uns Die geschenkt hast.

Die Stadt gehört mir. Mir, Cooper Graham, gehört diese Stadt. Das sagte er sich immer wieder. Seine Welt war in Ordnung.

Eine Brünette mit einer Stimme wie ein Kätzchen kniete gerade vor ihm, und ihre langen dunklen Haare streiften seinen nackten Oberschenkel. »Damit Sie mich nicht vergessen«, schnurrte sie.

Es kitzelte an der Innenseite seines Oberschenkels, und er blickte auf sie hinunter. »Eine schöne Frau wie Sie könnte ich niemals vergessen …«

»Das würde ich Ihnen auch nicht raten.«

Sie drückte ihre Lippen auf die Telefonnummer, die sie mit einem schwarzen Filzstift auf seinen Schenkel gekritzelt hatte. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis die Tinte ganz verblasst war, aber Cooper Graham hatte Verständnis für seine Anhänger, und er hatte sie machen lassen.

»Ich wünschte, ich könnte noch ein bisschen länger mit Ihnen plaudern«, sagte er, während er ihr galant aufhalf, »aber ich muss meine Runde zu Ende laufen.«

Sie streichelte ehrfürchtig über die Stellen, die seine Hände berührt hatten. »Sie können mich jederzeit anrufen, Tag und Nacht.«

Er schenkte ihr sein einstudiertes Grinsen und trabte dann weiter die asphaltierte Uferpromenade entlang, vorbei an der prächtigen Skyline von Chicago am Michigansee. Er war der größte Glückspilz der Welt, richtig? Das war er zweifellos. Jeder wollte sein Freund sein, sein Vertrauter, seine Geliebte. Selbst die ausländischen Touristen erkannten ihn. Berlin, Delhi, Osaka – es machte keinen Unterschied. Die ganze Welt kannte Cooper Graham.

Rechts glitt der Burnham Harbor an ihm vorüber. Es war September, und die Boote würden bald in den Winterstand gebracht werden, aber einstweilen schaukelten sie noch im Wasser. Er beschleunigte leicht seinen Laufschritt, achtete darauf, dass er seine Füße in einem perfekten Rhythmus auf dem Asphalt aufsetzte. Vor ihm wippte der blonde Pferdeschwanz einer Frau hin und her. Durchtrainierte Beine. Toller Po. Keine Herausforderung. Er überholte sie, ohne sein Tempo zu ändern.

Es war ein guter Tag, um Cooper Graham zu sein, andererseits galt das für jeden Tag. Das konnte jedermann bestätigen. Selbst die Möwen, die über ihm ihre Kreise zogen, schienen ihre Flügel zu neigen, um ihm ihre Ehrerbietung zu erweisen. Die Blätter der Rieseneichen, die der Promenade Schatten spendeten, raschelten, als ob sie ihm applaudieren wollten. Selbst die Taxifahrer, die auf dem Lake Shore Drive vorbeirasten, jubelten ihm hupend zu. Er liebte diese Stadt, und die Stadt liebte ihn zurück.

Der Jogger vor ihm hatte eine sehr athletische Figur, und er war schnell, aber nicht schnell genug. Cooper überholte ihn. Der Kerl sah aus, als wäre er noch keine dreißig. Er selbst war siebenunddreißig und lädiert von seiner langen Karriere als Profi-Footballer in der NFL, allerdings nicht lädiert genug, um sich von jemandem bezwingen zu lassen. Cooper Graham: gedraftet als Student auf der Oklahoma State University in Houston, danach acht Jahre bei den Miami Dolphins als Starting Quarterback und schließlich der Wechsel zu den mächtigen Chicago Stars, für die er nach drei Spielzeiten die Meisterschaft geholt hatte. Kaum hatte der diamantbesetzte Super-Bowl-Ring an seinem Finger gesteckt, hatte er das Klügste getan, was man auf dem Höhepunkt einer Karriere tun konnte: Er hatte seinen Rücktritt vom Profisport erklärt, hatte es verdammt noch mal durchgezogen. Er war aus dem Spiel ausgestiegen, bevor aus ihm einer dieser erbärmlichen Altprofis wurde, die verzweifelt versuchten, an ihre glorreichen Zeiten anzuknüpfen.

»Hey, Coop!«, rief ein Läufer, der ihm entgegenkam. »Die Stars werden Sie in dieser Saison vermissen!«

Cooper antwortete mit einem erhobenen Daumen.

Die drei Jahre, die er für die Stars gespielt hatte, waren die beste Zeit seines Lebens gewesen. Seine Wurzeln mochten im Dreck von Oklahoma liegen, und er mochte in Miami herangereift sein, aber seine ultimative Prüfung war Chicago gewesen. Und der Rest war Football-Geschichte.

»Coop!« Die hübsche Brünette, die ihm entgegenjoggte, geriet ins Stolpern, als sie ihn erkannte.

Er schenkte ihr sein patentiertes Lächeln für weibliche Fans. »Hey, Schätzchen. Sie sehen wirklich gut aus.«

»Nicht so gut wie Sie!«

Sein Körper hatte im Laufe der Jahre einiges abbekommen, aber er war immer noch stark, hatte nichts von der Siegermentalität eingebüßt, die ihm schon während seiner Collegezeit landesweite Aufmerksamkeit beschert hatte. Diese Aufmerksamkeit hatte im Laufe der Jahre sogar noch zugenommen. Und auch wenn er sich nun aus dem Profisport verabschiedet hatte, bedeutete das nicht, dass er sich nicht in Topform hielt. Das Spiel hatte sich nur auf ein neues Feld verlagert – eins, das er fest entschlossen war zu erobern.

Eine weitere Meile flog vorbei. Zwei. Nur die Radfahrer waren schneller. Sie waren die Höflinge, die ihm an diesem Nachmittag den Weg bahnten. Niemand konnte ihn einholen – weder die jungen Wilden vom Handelsparkett der Chicagoer Börse noch die tätowierten Muckibudenratten, die ihren aufgepumpten Bizeps zur Schau stellten.

Cooper knackte gerade die dritte Meile, als er doch überholt wurde. Ein junger Kerl. Wahrscheinlich Student. Cooper hatte sein Tempo wohl schleifen lassen, und er zog sofort wieder an. Niemand bezwang ihn. Das ging ihm gegen die Ehre.

Der Kerl sah ihn an. Er erkannte sofort, wer ihn gerade überholte, und ihm wären beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Cooper nickte kurz und ließ den Jungen hinter sich.

Alter Mann? Von wegen.

Er hörte Schritte, die zu ihm aufholten. Wieder dieser Youngster. Nun lief er auf einer Höhe mit ihm, um es ihm zu zeigen.

Ich bin heute mit Cooper Graham um die Wette gerannt, und ich hab ihn gnadenlos stehen lassen.

Das kannst du vergessen, Grünschnabel.

Cooper beschleunigte. Er gehörte nicht zu den Arschlöchern, die sich einbildeten, den Super Bowl im Alleingang gewonnen zu haben, aber er wusste auch, dass die Stars es ohne ihn nicht geschafft hätten, weil er ein Typ war, der unbedingt siegen musste.

Der Kerl blieb an ihm dran. Zog wieder gleichauf. Er war mager, hatte bleistiftdünne Arme und Beine, die zu lang für seinen Rumpf waren. Cooper war mindestens fünfzehn Jahre älter als dieser Schlaks, er hielt nur nichts von Ausreden, und er legte sich ins Zeug. Jeder, der behauptete, zu gewinnen sei nicht alles, redete Blödsinn. Zu gewinnen war das Einzige, was zählte. Jede Niederlage, die Cooper erlitten hatte, war für ihn pures Gift gewesen. Aber selbst wenn er innerlich geschäumt hatte, hatte er sich nach außen immer wie ein Sportsmann verhalten. Er war selbstkritisch gewesen und fair den Gegnern gegenüber, hatte sich nie über Fehlentscheidungen, unfähige Mitspieler oder Verletzungen beschwert. Wie bitter seine Gedanken auch gewesen waren, wie giftig jedes Wort in seinem Mund auch geschmeckt hatte, er hatte es sich nie anmerken lassen. Jammern machte Verlierer zu noch größeren Verlierern. Verflucht, er hasste es bis auf den Tod zu verlieren. Und heute würde er nicht verlieren.

Der Grünschnabel lief mit einem langen, gleichmäßigen Schritt. Zu lang. Cooper wusste vieles über die richtige Lauftechnik, was der Junge nicht wusste, und er zügelte seinen Drang, über seine Grenzen zu gehen. Er war schließlich nicht dumm. Dumme Läufer verletzten sich schnell.

Okay, er war dumm. Ein brennender Schmerz durchzuckte plötzlich sein rechtes Schienbein, sein Atem ging zu schwer, und seine Hüfte machte sich pochend bemerkbar. Sein Verstand sagte ihm, dass er nichts mehr zu beweisen brauchte, aber er konnte den Jungen nicht davonziehen lassen. Das ging wider seine Natur.

Der Ausdauerlauf verwandelte sich in einen Sprint. Cooper hatte zeit seiner Karriere auch mit Schmerzen durchgespielt, und er würde jetzt bestimmt nicht kapitulieren. Nicht im ersten September nach seinem Rücktritt, während seine ehemaligen Mitspieler sich im Training den Arsch aufrissen, um sich auf eine weitere Saison vorzubereiten. Nicht wie andere Exfootballer, die sich damit zufriedengaben, fett und faul zu werden und ihr Vermögen zu verprassen.

Fünf Meilen. Lincoln Park. Sie waren wieder Seite an Seite. Coopers Lunge brannte, seine Hüfte schrie, und seine Schienbeine standen in Flammen. Mediales Tibiakantensyndrom. Sogenannte gewöhnliche Shin Splints, aber an dieser Art von Schmerzen war nichts gewöhnlich.

Der Grünschnabel fiel zurück und holte wieder auf. Fiel zurück. Holte auf. Er sagte etwas. Cooper ignorierte ihn. Blendete die Schmerzen aus, wie er das immer tat. Konzentrierte sich auf seine pumpenden Beine, darauf, so viele Sauerstoffmoleküle wie möglich in seine Lunge zu saugen. Konzentrierte sich darauf zu gewinnen.

»Coop! Mr. Graham!«

Was zum Teufel …

»Kann ich … mit Ihnen … ein Selfie machen?«, keuchte der Grünschnabel. »Für … meinen Dad?« Alles, was er wollte, war ein Selfie? Der Schweiß tropfte Cooper aus jeder Pore seines Körpers. Seine Lunge war ein einziges Flammeninferno. Er verlangsamte seinen Schritt, genau wie sein Mitläufer, bis sie beide zum Stehen kamen. Cooper hätte sich am liebsten auf den Boden fallen lassen und sich einfach zusammengekrümmt, aber der kleine Scheißer stand so aufrecht da, dass er sich eher eine Kugel in den Kopf gejagt hätte. Nur ein einzelner Schweißtropfen rann ihm am Hals hinunter. »Schätze, ich sollte … Ihr Training nicht unterbrechen … Es würde ihm jedoch viel bedeuten … Meinem Dad, meine ich.«

Cooper kämpfte mit seiner Lunge, mit der Disziplin von fünfzehn Jahren in der NFL rang er sich dennoch ein Lächeln ab. »Sicher. Mach ich doch gern.«

Der Grünschnabel holte sein Handy heraus und fummelte daran herum. Die ganze Zeit schwärmte er davon, dass er und sein Vater Coopers größte Fans seien. Er entpuppte sich als Erstligasprinter, was Cooper ein bisschen beruhigte. Sicher, er würde seine Hüfte für die nächsten paar Tage in Eis packen müssen, aber na und? Zu gewinnen stand ihm von Geburt an zu.

Alles in allem war es immer noch ein guter Tag, um Cooper Graham zu sein.

Bis auf den Moment, an dem er die lästige Frau entdeckte.

Er war das letzte Stück zu seinem Wagen, der am Museum Campus stand, mit dem Taxi gefahren. Dort saß sie auf einer Bank im Park und tat so, als würde sie ein Buch lesen.

Am Tag zuvor war sie als Obdachlose verkleidet gewesen, hatte eine graue Zottelhaarperücke getragen. Jetzt sah sie aus wie eine Kunststudentin – sie trug schwarze Shorts, Leggings und ein langes T-Shirt. Cooper konnte ihren Wagen nicht sehen, aber er war sich sicher, dass er irgendwo in der Nähe geparkt war. Wäre er nicht irgendwann auf den dunkelgrünen Hyundai Sonata mit dem kaputten Rücklicht aufmerksam geworden, der in den letzten vier Tagen auffällig oft seinen Weg gekreuzt hatte, hätte er wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass er verfolgt wurde. Er hatte genug.

Als er auf die Frau zulief, fuhr gerade ein Linienbus vor. Vielleicht hatte sie einen siebten Sinn, denn sie sprang rasch in den Bus, und er verpasste seine Gelegenheit. Was ihn nicht besonders ärgerte, schließlich war er sich ziemlich sicher, dass er sie wiedersehen würde.

Und das tat er auch. Zwei Tage später.

Piper überquerte die Straße und steuerte auf den Eingang des Nachtclubs zu, den Cooper Graham im Juli eröffnet hatte, sechs Monate nach seinem Rückzug aus dem Profisport. Eine sanfte Brise strich um ihre nackten Beine wie eine Feder und bauschte leicht den kurzen Rock ihres schwarzen ärmellosen Kleides. Darunter trug sie ihren vorletzten sauberen Slip. Früher oder später würde sie ihre Wäsche waschen müssen, aber im Moment interessierte sie sich nur dafür, jede Bewegung von Cooper Graham festzuhalten.

Ihre Kopfhaut juckte unter der braunen Langhaarperücke, die sie gebraucht erstanden hatte. Sie betete stumm, dass die Kunstmähne zusammen mit dem tiefen Rundhalsausschnitt ihres Kleides, ihrem Katzenaugenlidstrich, dem knallroten Lippenstift und dem Push-up-BH sie endlich an dem ungehobelten Gorilla vorbeibringen würde, der sich Türsteher nannte. Bei ihren letzten zwei Versuchen hatte sie das nicht geschafft.

Seine Statur erinnerte an einen Torpedo aus dem 19. Jahrhundert: dicker Sprengkopf, breiter Rumpf, die Füße gespreizt wie Flossen. Beim ersten Mal hatte er Piper knurrend abgewiesen, während er gleichzeitig zwei Frauen mit langen blonden Haaren durch die Doppeltür aus Messing in den Club hereinwinkte. Piper hatte ihn natürlich sofort konfrontiert. »Was soll das heißen, der Laden ist voll? Die beiden da dürfen doch auch rein!«

Mit seinen kleinen zusammengekniffenen Augen hatte er ihr kurzes dunkles Haar gemustert, ihre beste weiße Bluse und ihre Jeans. »Das heißt genau das, was ich gesagt habe.«

Das war letzten Samstagabend gewesen. Piper konnte ihren Auftrag nicht erfüllen, wenn sie nicht in den Club hineinkam, und da er nur an vier Abenden in der Woche öffnete, hatte sie erst am Tag zuvor die Möglichkeit gehabt, den nächsten Anlauf zu starten. Obwohl sie extra ihre Haare gekämmt und einen Rock mit Bluse angezogen hatte, war Torpedokopf wieder nicht zu beeindrucken gewesen, und das bedeutete, dass sie heute eine Schippe drauflegen musste. Sie hatte sich bei H&M dieses Kleid gekauft, ihre bequemen Stiefel gegen qualvolle Riemchenstilettos getauscht und sich von ihrer Freundin Jen eine Clutch geliehen. Die Handtasche war gerade groß genug für ihr Handy, ihren falschen Ausweis und zwei Zwanzigdollarscheine. Der Rest – alles, was sie korrekterweise als Piper Dove identifizierte – lag sicher verstaut in ihrem Kofferraum: ihr Laptop, die Reisetasche mit den Mützen, Sonnenbrillen, Jacken und Schals, die sie als Verkleidung benutzte, sowie eine etwas obszön aussehende Erfindung, die sich »Pipilotta« nannte.

Das Spiral, benannt nach Cooper Grahams langen und tödlich präzisen Spiralpässen, war der derzeit angesagteste Club in Chicago, und vorhersehbarerweise stand vor der Absperrung aus Samtseil eine lange Schlange von Besuchern. Mit angehaltenem Atem näherte Piper sich Torpedokopf und bog dann ihre Schultern zurück, um ihre Brüste in Stellung zu bringen.

»Ganz schön viel los heute Abend, Chef«, gurrte sie mit dem falschen englischen Akzent, den sie vorher geübt hatte. Torpedokopf musterte ungeniert ihre Brüste, dann ihr Gesicht, dann ihre Beine. Was für ein Schwein. Gut so. Sie legte ihren Kopf leicht schräg und schenkte ihm ein Lächeln, das die gleichmäßigen weißen Zähne enthüllte, für die ihr Vater Tausende von Dollar ausgegeben hatte, als sie vierzehn gewesen war, obwohl sie ihn angefleht hatte, ihr für das Geld lieber ein Pferd zu kaufen. Heute, fast zwanzig Jahre später, kam es ihr immer noch so vor, als wäre das Pferd der bessere Deal gewesen. »Ich fasse es einfach nicht, wie groß und stark ihr amerikanischen Männer seid.«

Mit der Spitze ihres Zeigefingers schob sie die trendige Retrobrille, die sie in letzter Minute aufgesetzt hatte, um ihr Aussehen zu perfektionieren, auf ihrer Nase hoch.

Er grinste anzüglich. »Ich trainiere fleißig.«

»Das sieht man.«

Sie wünschte, sie könnte den Mistkerl mit seinem Schlüsselband erwürgen, obwohl er sie jetzt in das luxuriöse Innere des Clubs durchwinkte, das ganz in Schwarz und Bronze gehalten war.

Piper hatte für Diskotheken nie viel übriggehabt, nicht einmal, als sie noch zwanzig gewesen war. Diese ganze zweckmäßige Heiterkeit gab ihr irgendwie das Gefühl, abseitszustehen, abgekoppelt zu sein von allem anderen. Aber dieser Besuch hier war rein geschäftlicher Natur, und das Spiral war keine gewöhnliche Diskothek, dank ihres megaberühmten Besitzers. Zwei Etagen in eleganter Ausstattung boten nicht nur einen großartigen Dancefloor, sondern auch ruhige Plätze, an denen man sich unterhalten konnte oder flirten, ohne über die laute Musik hinwegschreien zu müssen. Die Sitzbänke aus Leder und die intimen Nischen mit ihren sanft beleuchteten, würfelförmigen Cocktailtischen waren bereits vom Donnerstagabendpublikum besetzt. Der DJ des Abends tanzte auf einem Balkon über der Tanzfläche, in einen Lichtkegel von wechselnden ineinanderfließenden gedämpften Farben getaucht.

Piper besorgte sich an der großen Bar, über der wie ein goldenes Ufo eine Konstruktion aus LED-Röhren schwebte, ihr einziges Getränk des Abends – eine Sechs-Dollar-Sprite. Sie sah dem Barkeeper eine Weile zu und bahnte sich dann einen Weg durch die Menge zu einer Nische zwischen zwei eiszapfenförmigen bronzenen Wandleuchtern. Von dort aus würde sie den Gastgeber observieren, sobald er auftauchte.

Ein dünner Kerl mit gegelten Haaren und einer Flasche Bier stellte sich vor sie und blockierte ihr die Sicht. »Ich fühl mich nicht gut. Ich glaub, mir fehlt etwas Vitamin U.«

»Verzieh dich.« Er wirkte unglaublich gekränkt. »Warte«, sagte sie mit einem Seufzen.

Seine Miene leuchtete auf eine herzergreifende Art hoffnungsvoll auf. Piper rückte ihre Brille zurecht und sagte, etwas freundlicher: »Die meisten Anmachsprüche, die man im Internet findet, sind billig. Du fährst besser, wenn du einfach nur Hi sagst.«

»Meinst du das im Ernst?«

»Ist nur ein Vorschlag.«

Er kräuselte verächtlich seine Oberlippe. »Miststück.«

So viel zu ihrem Versuch, nett zu sein.

Der Kerl verschwand, um sich eine leichtere Beute zu suchen. Piper nahm einen Schluck von ihrer Sprite. Torpedokopf hatte inzwischen seinen Posten am Eingang verlassen und schaute drinnen nach dem Rechten. Seine Spezialität schien es zu sein, langbeinige Blondinen anzuquatschen.

Die VIP-Lounge befand sich auf einer offenen Empore. Piper suchte das, was sie davon sehen konnte, nach ihrer Zielperson ab, aber Graham war nicht unter den Gästen, die nah an dem bronzenen Geländer saßen. Sie musste dort rauf, eine blonde Bulldogge von der Security bewachte jedoch den Aufgang, um den Pöbel fernzuhalten, was Piper leider einschloss. Frustriert bahnte sie sich einen Weg durch die gut betuchte Besucherschar auf die andere Seite des Raumes. Und dann entdeckte sie ihn.

Selbst in einem Pulk von Menschen stach Cooper Graham heraus wie ein Leuchtfeuer in einer Kerzenfabrik. Er war absurd maskulin. Jenseits von absurd. Er war der heilige Gral der Männer. Sein dichtes Haar hatte die Farbe von verbranntem Toast, der mit Honig beträufelt war. Er hatte einen kantigen Kiefer, breite Schultern und ein Grübchen im Kinn, das so klischeehaft war, dass er sich eigentlich dafür schämen sollte. Und dann seine Kluft: maßgeschneidertes Hemd, Jeans und Cowboystiefel. Graham war auf einer Farm in Oklahoma geboren und aufgewachsen. Trotzdem, Piper mochte seine Stiefel nicht. Auch nicht die langen muskulösen Beine, die daraus emporragten, und schon gar nicht das Team, für das er gespielt hatte – schließlich war sie schon ihr ganzes Leben lang ein Fan der Chicago Bears. Sie musste für jeden Penny hart schuften, im Gegensatz zu diesem arroganten, egoistischen, überprivilegierten Exquarterback der Chicago Stars und seinem Stall voller Schauspielerfreundinnen.

Sie folgte ihm nun seit knapp einer Woche, und er hatte an allen Abenden, an denen sein Nachtclub geöffnet war, Präsenz gezeigt, aber Piper bezweifelte, dass das lange anhalten würde. Berühmte Nachtclubbesitzer neigten dazu, der Anstrengung von echter Arbeit zu entfliehen.

Graham machte seine Runde – er klopfte den Männern auf den Rücken und flirtete mit den Frauen, die sich vor ihm aufreihten wie Flugzeuge auf der Startbahn des O’Hare International Airport. Piper urteilte nicht gern über ihre Geschlechtsgenossinnen, aber das gehörte nun mal zu ihrem Auftrag. Außerdem sah keins der Mädchen aus wie eine zukünftige Vorstandschefin – zu viel schwingendes Haar, zu viel Wimpernklimpern und Brustherausstrecken. Während Piper die Frauen beobachtete, wurde ihr bewusst, dass sie zurzeit nicht das geringste Bedürfnis hatte, sich mit jemandem einzulassen. Das Einzige, was sie interessierte, war ihr Job.

Die Menschentraube, die Graham umringte, wurde größer. Piper hielt nach der Security Ausschau, doch die einzigen zwei Mitarbeiter, die sie sehen konnte, waren in Gespräche mit weiblichen Gästen vertieft. Sie war bisher noch nie als Bodyguard engagiert worden, hatte allerdings einen umfangreichen Fortbildungskurs in Personenschutz abgelegt, und sie sah, dass Grahams mangelnde Abschirmung unverantwortlich war, auch wenn sie so vielleicht die Möglichkeit hatte, näher an ihn heranzukommen.

Graham wirkte locker, trotz des Gedränges, aber Piper registrierte, dass sein Blick hin und wieder die Menge überflog, als würde er einen Passempfänger suchen. Sein Blick huschte kurz in ihre Richtung und wanderte dann weiter.

Als das Gedränge um ihn herum sich einem gefährlichen Level näherte, gelang es ihm irgendwie, sich daraus zu lösen und nach oben in die VIP-Lounge zu verschwinden. Nun, da Piper endlich im Club war, machte es sie wahnsinnig, dass sie Graham nicht folgen konnte.

Sie bahnte sich einen Weg zur Damentoilette, wo sie nichts Interessanteres hörte, als dass darüber getratscht wurde, wer es in das mit Fellen bedeckte Bett geschafft hatte, das angeblich in Grahams Büro stand. Kaum hatte sie die Toilette wieder verlassen, tippte ihr jemand auf die Schulter.

Torpedokopf.

Wie die anderen Securityleute trug er eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, das wahrscheinlich maßgefertigt war für den breiten Hals, der ihn und seine Co-Gorillas als ehemalige Football-Spieler kennzeichnete.

»Sie müssen mit mir kommen.«

Abgesehen davon, dass sie dem Kerl mit dem Bier einen dringend benötigten Rat gegeben hatte, wie er seine Anmachart verbessern konnte, hatte sie nichts getan, um auf sich aufmerksam zu machen, und das hier gefiel ihr nicht. Sie baute sich auf ihren viel zu hohen Absätzen auf und schlug ihren falschen Akzent an.

»Ach Gottchen! Warum das denn?«

»Ausweiskontrolle.«

»Meine Güte, ich hab meinen Ausweis doch schon am Eingang vorgezeigt! Ich weiß das Kompliment ja sehr zu schätzen, aber ich bin dreiunddreißig.«

»Stichprobenkontrolle.«

Das hier war keine Stichprobenkontrolle. Da steckte mehr dahinter. Piper wollte sich gerade energischer zur Wehr setzen, als der Kerl seinen Eierkopf in Richtung Treppe ruckte, die zu der Empore hinaufführte. Das verschaffte ihr unverhofft die Möglichkeit, auf die sie nur gewartet hatte! Sie würde endlich in die VIP-Lounge kommen.

Piper schenkte Torpedokopf ein strahlendes Lächeln. »Also gut. Gehen wir und klären wir das.«

Er brummte.

Am oberen Ende der Treppe markierten zwei Bronzesäulen den VIP-Eingang. Leider packte Torpedokopf ihren Arm und dirigierte sie daran vorbei um eine Ecke, bevor er sie schließlich durch eine unauffällige Tür schob. Es handelte sich um ein unscheinbares Büro mit zwei Fenstern, deren untere Hälften hinter Faltjalousien aus Holz verborgen waren. An einer Wand hing ein Fernseher, auf dem ESPN ohne Ton lief. Links stand ein moderner Schreibtisch mit einem iMac, rechts ein Zweisitzer. Darüber hing ein eingerahmtes Chicago-Stars-Trikot, sicher mit dem Namen »Graham« auf der Rückseite. Piper hatte die Vereinsfarben der Stars, Türkis und Gold, immer mädchenhaft gefunden, verglichen mit dem nüchternen Dunkelblau und Orange ihrer geliebten Chicago Bears.

»Warten Sie hier.« Der Gorilla verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Die VIP-Lounge war nur wenige Schritte entfernt. Piper zählte bis zwanzig und griff dann nach dem Türknauf, doch plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Sie stolperte rückwärts und konzentrierte sich so sehr darauf, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, dass die Tür wieder geschlossen wurde, bevor sie realisierte, wer hereingekommen war. In ihren Ohren dröhnte es.

Vor ihr stand Cooper Graham persönlich.

Sie fühlte sich wie von einer Supernova geblendet, und sie hasste es. Nachdem sie Graham seit nunmehr sechs Tagen gefolgt war, hätte sie auf so etwas besser vorbereitet sein müssen. Aber ihn aus der Ferne zu beobachten und direkt vor ihm zu stehen waren zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen.

Er hatte die ganze Luft im Raum aufgesogen, und von dem sympathischen Grinsen, das er seinen Gästen immer schenkte, war nichts zu sehen. Dies hier war sein Gesicht an der Line of Scrimmage. Eins war sicher – wenn Graham sie persönlich sehen wollte, dann ging es hier nicht um eine simple Ausweiskontrolle.

Im Geiste ging Piper die möglichen Gründe für ihre Festnahme durch und kam zu dem Schluss, dass sie jeden einzelnen davon hasste. Aber sie hielt sich vor Augen, dass Graham nicht der Einzige in diesem Raum war, der wusste, wie man seinen Gegner austrickste, und im Gegensatz zu ihm stand für sie alles auf dem Spiel.

Obwohl ihr Herz so heftig schlug, dass sie befürchtete, Graham könne es sehen, versuchte sie den Anschein zu erwecken, als wäre dies hier die Sensation ihres Lebens.

»Brillant! Ich muss sagen, ich bin ziemlich sprachlos.«

Seine Augen, eine Spur heller als sein schwarzbraunes Haar, wanderten an ihr herunter. Sie musterten ihre falschen langen Haare, ihr Push-up-Dekolleté und ihre ganz passablen Beine. Sie war keine Schönheit, doch auch keine Vogelscheuche, und hätte sie einen Funken Eitelkeit besessen, hätte seine offenkundige Verachtung sie demoralisiert. Aber Piper war nicht eitel.

Sie grub ihre zehenbetäubend hohen High Heels in den Teppich, als Graham sich ihr näherte. Sein dichter Haarschopf war leicht zerzaust. Nicht auf eine modische Art – es zeugte eher von der Nachlässigkeit eines Mannes, der sich nicht die Mühe machte, alle zwei Wochen zum Friseur zu gehen oder mithilfe von Stylingprodukten nachzuhelfen.

Bleib ruhig. Bleib bei der Sache.

Ohne Vorwarnung riss er ihr die Clutch aus der Hand, und sie stieß vor Empörung ein Fauchen aus.

»Unerhört!«, rief sie ein paar Takte zu spät.

Sie starrte auf seine übergroßen Hände – fünfundzwanzig Zentimeter Spannweite vom Daumen bis zum kleinen Finger. Das wusste sie so genau, weil sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Ebenso wusste sie, dass diese Hände mehr als dreihundert Touchdowns geworfen hatten. Dieselben Hände, die nun in ihrer Handtasche wühlten und ihre falsche Green Card herauszogen.

»Esmerelda Crocker?«

Eine gute Privatdetektivin musste improvisieren können, und je mehr Details sie ihm gab, desto überzeugender würde sie wirken. »Man nennt mich Esme. Lady Esme, um genau zu sein. Esmerelda ist ein traditioneller Name in unserer Familie.«

»Soso.« Seine Stimme rollte von seinen Lippen wie Tiefenwasser über eine ausgetrocknete Prärie in Oklahoma.

Sie nickte unsicher. »Er wird von Generation zu Generation weitergegeben, zu Ehren von Esme, der zweiten Frau des fünften Earl von Enigma. Starb bei der Entbindung, die Ärmste.«

»Mein Beileid.« Er schaute wieder in ihre Handtasche. »Keine Kreditkarten?«

»Die sind so vulgär, finden Sie nicht auch?«

»Geld ist in keiner Form vulgär«, erwiderte er mit dem Südstaatenakzent eines Cowboys.

»Wie wahnsinnig amerikanisch, diese Ansicht.«

Er wühlte weiter in ihrer Clutch, was nicht lange dauerte, schließlich lag ihr Portemonnaie sicher im Wagen – ein Portemonnaie, das ihre brandneue Detektivlizenz enthielt, genau wie ein halbes Dutzend Visitenkarten.

DOVE INVESTIGATIONS

Seit 1958

Wahrheit bringt Frieden

Auf der ursprünglichen Visitenkarte hatte gestanden: Wahrheit bringt Friden. Ihr Großvater war ein brillanter Privatermittler gewesen, aber grottenschlecht in Rechtschreibung.

Graham verströmte den Geruch von Geld und Ruhm – nicht dass Piper genau hätte beschreiben können, wie das eine oder das andere roch, sie erkannte diesen Geruch trotzdem immer sofort, genau wie sie erkannte, dass die Zukunft ihres Unternehmens davon abhing, was als Nächstes passieren würde. Sie sog die letzten Luftmoleküle ein, die Graham nicht bereits verbraucht hatte.

»Ich habe ja im Grunde nichts dagegen, dass Sie in meiner Tasche herumwühlen, ich bin dennoch neugierig, wonach Sie suchen«, sagte sie dann.

Er drückte ihr die Clutch wieder in die Hand. »Nach etwas, das erklärt, warum Sie mich verfolgen.«

Sie war so vorsichtig gewesen! Ihr Verstand raste. Wodurch hatte sie sich verraten? Was für ein Anfängerfehler war ihr unterlaufen, der sie hatte hochgehen lassen? Die ganze harte Arbeit war umsonst gewesen. Dass sie in ihrem Auto übernachtete, dass sie sich von Junkfood ernährte, dass sie in die Pipilotta pinkelte und – am allerschlimmsten – dass sie ihre gesamten Ersparnisse investiert hatte, um ihrer gaunerischen, abscheulichen Stiefmutter DOVE INVESTIGATIONS abzukaufen. DOVE INVESTIGATIONS, die Detektei, die ihr Großvater gegründet und die ihr Vater weiter aufgebaut hatte, die ihr von Geburt an gehört hätte, wäre ihr Vater nicht so ein Dickschädel gewesen. Jedes Opfer, das sie gebracht hatte, war nun sinnlos geworden. Sie würde wieder gezwungen sein, ihr Dasein in einer Bürozelle zu fristen, und sie würde zudem mit der Erkenntnis leben müssen, dass Cooper Graham sich als der Stärkere erwiesen hatte.

Ihr Magen begann zu brodeln. Sie legte ihre Stirn in Falten in der Hoffnung, Verwirrung vorspielen zu können. »Ich Sie verfolgen?«

Seine Silhouette zeichnete sich vor dem eingerahmten Chicago-Stars-Trikot an der Wand hinter ihm ab. Sein blaues Hemd ließ seine bereits beachtlichen Schultern noch breiter erscheinen, die aufgerollten Ärmel stellten seine straffen, muskulösen Unterarme zur Schau. Der professionelle Sitz seiner dunklen Jeans – weder zu eng noch zu weit – betonte die langen, kräftigen Beine, die von Gott entworfen worden schienen, um ausdauernd, stark und schnell zu sein, sehr zum Nachteil von Pipers Chicago Bears.

Sein Blick war so grimmig wie ein Winter in Illinois. »Ich sehe Sie ständig vor meinem Haus. Sie folgen mir ins Fitnessstudio und in den Club. Und ich möchte wissen, warum.«

Und sie hatte gedacht, ihre Verkleidungen wären so einfallsreich. Wie war es ihm gelungen, sie zu enttarnen? Es abzustreiten würde nichts nützen. Sie ließ sich auf die Couch sinken und versuchte, sich rasch etwas einfallen zu lassen.

Er wartete. Mit verschränkten Armen. Stand an der Seitenlinie und beobachtete, wie die Offense des Gegners auseinanderfiel.

»Nun …« Sie schluckte. Hob den Kopf. »Es ist so …« Sie stieß zischend ihre angehaltene Luft aus. »Ich bin Ihre Stalkerin.«

»Stalkerin?«

Ein Adrenalinschub durchströmte sie. Sie würde nicht kampflos untergehen, und sie schoss von der Couch hoch. »Keine von der gefährlichen Sorte! Gott bewahre. Ich bin nur … besessen.«

»Von mir.« Eine Feststellung, keine Frage. Er kannte so etwas.

»Normalerweise stelle ich anderen Leuten nicht nach. Das mit Ihnen … ist mir ein wenig entglitten, verstehen Sie?« Sie wusste nicht genau, ob diese Taktik sie retten würde, dennoch fuhr sie fort. »Sehen Sie, ich bin nicht verrückt. Nur … ein bisschen verwirrt.«

Er legte seinen Kopf schräg, aber wenigstens hörte er zu. Und warum auch nicht? Verrückte waren immer faszinierend.

»Ich versichere Ihnen, ich habe nur einen ganz leichten Knall«, fuhr sie atemlos fort. »Absolut harmlos. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass ich gewalttätig werden könnte.«

»Nur dass ich eine Stalkerin habe.«

»Nicht die erste, könnte ich mir denken. Ein Mann wie Sie ist …«, sie unterbrach sich kurz und versuchte, nicht an den Worten zu ersticken, »… ein Gott.«

Der Ausdruck in seinen Augen deutete darauf hin, dass er sich von Schmeicheleien nicht so leicht beeindrucken ließ. »Ich will Sie nie wieder in meiner Nähe sehen. Verstanden?«

Sie verstand. Es war vorbei. Fini. Trotzdem, sie konnte nicht aufgeben. »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Sie zögerte kurz. »Erst wenn meine neuen Medikamente anschlagen.«

Seine Grübchen vertieften sich, während er mit dem Kiefer malmte. »Was Sie da tun, ist illegal.«

»Und peinlich. Sie können sich nicht vorstellen, wie demütigend es ist, in meiner Lage zu sein. Nichts ist schmerzhafter als … unerwiderte Liebe.«

Die letzten beiden Worte kamen als ein Krächzen heraus, und sie hoffte, er würde es ihrer Verehrung zuschreiben, denn alles an ihm brachte sie auf die Palme. Seine Größe, sein gutes Aussehen, aber vor allem seine Arroganz, die daher rührte, dass ihm schon sein ganzes Leben lang sein strammer Hintern geküsst wurde, nur weil er mit einem besonderen Talent geboren worden war.

Er zeigte nicht einmal einen Hauch von Mitgefühl. »Wenn Sie mir noch ein einziges Mal unter die Augen kommen, werde ich die Polizei rufen.«

»Ich … ich verstehe.« Sie war erledigt. Ihre Taktik war von Anfang an sinnlos gewesen. Außer … Sie nickte mit gespieltem Verständnis. »Ich sehe ein, wie beängstigend das für Sie sein muss.«

Er wippte auf den Absätzen seiner Cowboystiefel ganz leicht zurück. »Das würde ich so nicht sagen.«

»Unsinn.« Vielleicht hatte sie den Riss in seiner Rüstung entdeckt. »Sie haben Angst, dass ich plötzlich vor Ihnen auftauchen könnte, wenn Sie nichtsahnend die Straße entlanggehen. Dass ich eine dieser schrecklichen Handfeuerwaffen bei mir tragen könnte, die ihr verrückten Amerikaner für genauso unerlässlich haltet wie das Kaugummikauen.« Zum Beispiel die Glock in ihrem Kofferraum. »So etwas würde ich niemals tun. Um Gottes willen, ich doch nicht! Aber das können Sie ja nicht sicher wissen. Und wie wollen Sie sich da verteidigen?«

»Ich denke, mit Ihnen würde ich schon fertigwerden«, erwiderte er trocken.

Es gelang ihr, verblüfft dreinzuschauen. »Wenn das wahr ist, warum sollte es Sie dann kümmern, dass eine harmlose Verrückte wie ich Sie ein bisschen verfolgt?«

Er wirkte nun nicht mehr ganz so lässig. »Weil es mir nicht gefällt.«

Sie versuchte, sowohl mitfühlend als auch bewundernd zu klingen. »So viel Angst mache ich Ihnen also.«

»Hören Sie auf damit!«

»Ich versteh schon. Das ist ein schreckliches Dilemma.«

Seine Augen sprühten tödliche Funken. »Das ist überhaupt kein Dilemma. Halten Sie sich einfach von mir fern!«

Sie dachte nicht daran aufzugeben. »Tja, nun, ich glaube, ich habe bereits erwähnt, dass das nicht so einfach ist … solange meine neuen Medikamente noch nicht richtig wirken. Mein Arzt hat mir versichert, dass es nicht mehr lange dauern wird. Aber bis dahin bin ich ziemlich machtlos. Vielleicht können wir einen Kompromiss schließen …«

»Können wir nicht.«

»Eine Woche höchstens. Falls Sie mich in dieser Zeit sehen, tun Sie einfach so, als wäre ich nicht da.« Sie rieb sich die Hände. »So. Das wäre erledigt.«

Es war keine Überraschung. Er fiel nicht darauf herein. »Das mit der Polizei habe ich ernst gemeint.«

Sie verdrehte ihre Hände ineinander in der Hoffnung, dass die Geste nicht so theatralisch aussah, wie sie sich anfühlte. »Ich habe schlimme Dinge über die Gefängnisse in Chicago gehört …«

»Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie mit Ihrer Stalkerei angefangen haben.«

Es konnte an dem Stress liegen, den all die schlaflosen Nächte verursacht hatten, oder an einem zu hohen Blutzuckerspiegel von dem ganzen Junkfood. Wahrscheinlicher war jedoch, dass es an der Bedrohung lag, alles zu verlieren, wofür sie gearbeitet hatte. Piper senkte den Kopf, nahm ihre Brille ab und strich mit den Fingerknöcheln über ihre trockenen Wangenknochen, als hätte sie angefangen zu weinen – etwas, das ihr in tausend Jahren nicht passieren würde, egal wie schlimm es auch kommen mochte.

»Ich will nicht ins Gefängnis«, wimmerte sie mit einem Schniefen. »Ich habe bisher nicht einmal einen Strafzettel bekommen.« Das war nun tatsächlich gelogen. Sie war eine hervorragende Fahrerin, aber das Tempolimit auf den Schnellstraßen der Stadt war idiotisch niedrig. »Was glauben Sie, wie es mir im Knast ergehen wird?«

»Ich habe keine Ahnung, und es ist mir auch egal.«

Trotz seiner barschen Worte nahm sie ein leichtes Zögern wahr, und sie stürzte sich darauf. »Tja, na dann können Sie die Polizei genauso gut jetzt gleich rufen, denn selbst wenn ich mich noch sosehr anstrenge, ich weiß, dass ich nicht in der Lage sein werde, mich zurückzuhalten.«

»Sagen Sie das nicht.«

Klang er ein kleines bisschen verunsichert? Sie brachte wieder ein Schniefen zustande und tupfte vorsichtig mit dem Zeigefinger ihre Augen ab. »So eine Qual wünsche ich niemandem, der diese Art von Liebe empfindet.«

»Das ist keine Liebe«, widersprach er angewidert. »Das ist geistiger Wahnsinn.«

»Ich weiß. Es ist absurd.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die staubtrockenen Nasenlöcher. »Wie kann man jemanden lieben, den man gerade erst kennengelernt hat?«

»Gar nicht.«

Solange er sie nicht hinauswarf, würde sie nicht aufgeben. »Können Sie es sich nicht noch einmal überlegen? Es ist nur für eine Woche, bis die neuen Tabletten meinen Verstand wieder ins Lot gebracht haben.«

»Nein.«

»Natürlich, ich versteh schon. Und ich wünsche mir tatsächlich nur das Beste für Sie. Ich finde die Vorstellung unerträglich, dass Sie wegen mir in Angst leben müssen, dass Sie sich davor fürchten, Ihre Wohnung zu verlassen, weil ich Ihnen auflauern könnte.«

»Ich habe keine Angst vor …«

»Ich bin mir sicher, ich werde den Knast überleben. Was denken Sie, wie lange werden die mich wohl dabehalten? Besteht vielleicht die Chance, dass Sie … Ach, egal. Es wäre sicher zu viel verlangt, wenn ich Sie bitten würde, dass Sie mich im Gefängnis besuchen.«

»Sie sind komplett irre.«

»O ja. Aber wie gesagt harmlos. Und vergessen Sie nicht, es ist nur vorübergehend.« Sie war schon so weit gegangen, sie konnte nun genauso gut alles auf eine Karte setzen. »Für den Fall, dass Sie mich körperlich attraktiv finden … Tun Sie nicht, oder?«

»Nein!«

Seine Empörung war beruhigend. »Dann werde ich Ihnen auch nicht anbieten … Sie sexuell zu befriedigen.«

Würrrg!

Sie würde ihren Mund mit Seife auswaschen, sobald das hier vorbei war.

»Holen Sie sich bloß schnell Hilfe«, knurrte er.

Er ging zur Tür und rief seinen Rausschmeißer. Wenige Minuten später stand Piper auf der Straße.

Und nun?