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© 2022 Prof. Dr. Thorsten Franz, HS Harz, Domplatz 16, 38820 Halberstadt
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783755794424
Liebe Baurechtsinteressierte,
dieses Buch soll
1. Studierenden der Rechts- und Verwaltungswissenschaft, der Architektur und des Bauingenieurwesens das nötige Grundwissen im öffentlichen Baurecht vermitteln (Textteile in normaler Schriftgröße) und zudem vertiefendes Wissen, u.a. für die Anfertigung von Studienarbeiten, bieten (Textteile in kleinerer Schrift),
2. Bediensteten der Bau- und Umweltverwaltungen sowie Architekten und Bauingenieuren als Nachschlagewerk für das gesamte öffentliche Baurecht dienen.
Der Stoff wurde hierzu anhand vieler Beispiele unter Auswertung v.a. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der sachsen-anhaltischen Verwaltungsgerichtsbarkeit dargestellt. Aufgebaut ist das Werk wie folgt: Nach einem kurzen Einführungsteil zu Begriff, Entwicklung und Rechtsquellen des Baurechts (Teil A.), folgen das Bauplanungsrecht (Teil B.) und sodann das Bauordnungsrecht (Teil C.). Grundwissen ist in normal großer Schrift, darüber hinausgehendes Wissen in kleinerer Schrift gesetzt. Den Abschluss bilden ein Katalog mit Prüfungsfragen (Anhang) und ein ausführliches Schlagwortverzeichnis.
Die jüngsten Rechtsänderungen durch das Baulandmobilisierungsgesetz und die Novelle zur Landesbauordnung wurden berücksichtigt.
Mit herzlichen Grüßen
Thorsten Franz
(im Februar 2022)
1
Das öffentliche Baurecht1 ist die Gesamtheit der Normen des öffentlichen Rechts2, die in spezifischer Weise das Bauen regeln.3 Es ist vom privaten Baurecht abzugrenzen, welches die zivilrechtlichen Beziehungen im Hinblick auf das Bauen regelt.
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Das private Baurecht besteht vor allem aus dem Bauvertragsrecht der §§ 631 ff. BGB, der VOB4, der HOAI, der Makler- und Bauträgerverordnung sowie dem privaten Nachbarrecht5. Normen des privaten Baurechts regeln etwa die Vertiefung von Grundstücken (§ 909 BGB), einen Einwilligungsvorbehalt für die Errichtung einer Nachbarwand (§ 5 II Nachbarschaftsgesetz Sachsen-Anhalt – NbG), die Anzeige der Absicht, eine Grenzwand zu errichten (§ 12 I NbG), das Hammerschlags- und Leiterrecht (§ 18 I NbG) oder die Errichtung von Grundstückseinfriedungen (§ 22 I NbG)6. Öffentliches und privates Baurecht stehen sich zwar grundsätzlich selbständig gegenüber, sind aber bisweilen miteinander verzahnt.
Bsp.: So ist etwa das Fehlen der sich maßgeblich nach öffentlichem Recht richtenden Baulandeigenschaft eines Grundstücks ein Sachmangel gem. § 459 BGB7 oder die nachbarrechtlichen Baurechtsvorschriften über die Nachbar- und Grenzwand gelten nur, soweit keine zwingenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (vgl. § 2 I NbG).
3
Ein eigenständiges Baustrafrecht im Sinne eines abgegrenzten Rechtsgebiets existiert nicht. Einige Vorschriften des StGB gelten jedoch in spezifischer Weise für den Umgang mit Bauwerken.
Bsp.: So macht sich etwa nach § 323 I StGB strafbar, wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder beim Abbruch eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib und Leben eines anderen gefährdet. Weitere Strafrechtsvorschriften mit Bezug zum Bauen bzw. zu Gebäuden sind etwa die strafbare Zerstörung von Bauwerken (§ 305 StGB) oder die Beschädigung wichtiger Anlagen (§ 318 StGB).
Eine weitaus größere praktische Bedeutung haben Vorschriften des Bauordnungswidrigkeitenrechts, etwa wegen Schwarzbaus, Missachtung von Anzeigepflichten oder wegen der Nichteinhaltung von Auflagen zur Baugenehmigung.
Bsp.: § 213 BauGB, § 83 BauO LSA, § 17 CWVO, § 9 Technische Prüfungsverordnung
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Das öffentliche Baurecht gliedert man herkömmlich in die beiden Teilbereiche Bauplanungsrecht und Bauordnungsrecht. Zwischen diesen beiden Rechtsgebieten bestehen grundlegende Unterschiede im Hinblick auf den Gegenstand und die Zwecke. Das Bauplanungsrecht, welches man auch als Städtebau- oder Stadtplanungsrecht bezeichnet,8 regelt die rechtliche Qualität des Bodens sowie dessen Nutzbarkeit9 und ist somit in erster Linie boden- bzw. flächenbezogen. Den Kern des Bauplanungsrechts bilden Regelungen zum Planen im Sinne eines gestaltenden Abwägens von widerstreitenden Raumansprüchen. Hingegen regelt das Bauordnungsrecht vor allem die ordnungs- bzw. sicherheitsrechtlichen Anforderungen an konkrete bauliche Anlagen.10 Das Bauordnungsrecht ist somit in erster Linie ein objektbezogenes Gefahrenabwehrrecht. Es umfasst insbesondere das sog. Baupolizeirecht.
Bsp.: Brandschutzrecht, baubehördliche Abrissverfügung
Hinzu treten weitere Schutzzwecke, die weit schwächer ausgeprägt sind. Zum Bauordnungsrecht zählt auch das Baugestaltungsrecht – soweit es nicht um bauplanungsrechtliche Fragen städtebaulicher Gestaltung geht.
Bsp.: Satzungsbestimmung zur Dachhautfarbe bei baulichen Anlagen
Im Bauordnungrecht sind zudem gewisse soziale Standards normiert, die über eine reine Gefahrenabwehr hinausgehen.
Bsp.: Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher baulicher Anlagen; Mindestanforderungen an Wohnräume und sanitäre Einrichtungen (überlagern sich mit Sicherheitsanforderungen)
Schließlich findet sich im Bauordnungsrecht der Schutzzweck Umweltschutz, der im Bauplanungsrecht weit ausgeprägter enthalten ist. Er beschränkt sich neben der – sehr abstrakten – Vorgabe des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (vgl. § 3 I BauO) im Bauordnungsrecht auf Aspekte des Klima- und Schallschutzes und der Energieeffizienz (vgl. § 15 BauO).
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Weitere Unterschiede bestehen im Hinblick auf Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz sowie die Aufsicht. Während dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Bauplanungsrecht zusteht, haben die Länder die Gesetzgebungshoheit für das Bauordnungsrecht.11 Das Bauplanungsrecht adressiert in erster Linie die Gemeinde, ist auf einen Vollzug durch eine nur der Rechtsaufsicht unterliegende gemeindliche Selbstverwaltung angelegt, während das Bauordnungsrecht in der Regel von Landesbehörden sowie Kreisen und kreisfreien Städten unter staatlicher Fachaufsicht vollzogen wird.
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Trotz der aufgezeigten Unterschiede sind beiden Rechtsgebiete dogmatisch nicht scharf abgrenzbar. So ist etwa das Bauplanungsrecht im Hinblick auf die § 34 und § 35 BauGB oder im Hinblick auf den vorhabenbezogenen Bebauungsplan ebenso boden- wie objektbezogen. Anderseits ist das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot z.T. umgebungsbezogen. Das Bauplanungsrecht enthält ebenfalls Regelungen zur Verunstaltung (vgl. etwa das Verunstaltungsverbot des § 35 III 1 Nr. 5 BauGB).12
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Das Bauplanungsrecht gehört zum Raumplanungsrecht. Zu diesem zählen neben dem Bauplanungs- auch das Raumordnungs- und das Fachplanungsrecht.13 Die Abgrenzung dieser Gebiete vom Bauplanungsrecht ist in formeller Hinsicht klar, in materieller Hinsicht aber schwierig. Der inhaltlich weite Begriff des Raumplanungsrechts erfasst alle Vorschriften zur Regelung der räumlichen Planung als raumbezogene Gesamt- oder Fachplanung der öffentlichen Hand.14 Unter Gesamtplanung versteht man eine Planung, die fachübergreifend alle in einem Raum auftretenden Nutzungsansprüche an diesen Raum koordiniert. Die Bauleitplanung mittels Flächennutzungsplan und Bebauungsplan nach dem BauGB ist eine örtliche Gesamtplanung. Die Raumordnung ist eine überörtliche Gesamtplanung. Sie ist die zusammenfassende und übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes,15 wobei man herkömmlicherweise zu ihr nur die überörtliche Raumplanung und nicht die örtliche Bauleitplanung zählt (als örtlicher Raumplanung). Landesplanung ist die Raumordnung in den Ländern (vgl. den Zweiten Abschnitt des Raumordnungsgesetzes – ROG).16 Regionalplanung ist Landesplanung bezogen auf eine Teilfläche eines Landes (§ 8 I Nr. 2 ROG).
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Das Raumordnungsrecht ist zwar kein Bestandteil des öffentlichen Baurechts, weist aber zahlreiche Bezüge zum öffentlichen Baurecht auf. Hingegen ist die Fachplanung eine eher vorhabenbezogene, fachspezifische Planung von Einzelvorhaben. Meist geht es dabei um große Einzelvorhaben, etwa den Bau von Eisenbahntrassen, Flughäfen, Fern- und Wasserstraßen. Die dogmatisch klaren Trennlinien zwischen der „Gesamtplanung“ in Gestalt der Bauleitplanung und der Fachplanung verwischen. So kann Fachplanung im Einzelfall eine weitaus umfassendere Gestaltung der Bodennutzung in einem Gesamtraum darstellen als die Gesamtplanung durch einen bestimmten Bebauungsplan. Hingegen können Bebauungspläne in noch stärkerem Maße als die Fachplanung rein vorhabenbezogen sein.
Bsp.: vorhabenbezogener Bebauungsplan mit Vorhaben- und Erschließungsplan für ein großflächiges Einzelhandelsgeschäft; Bebauungsplan für eine isolierte Planung einer Gemeindestraße
Der Bebauungsplan kann sogar nur ein einziges Grundstück betreffen.17 Hingegen kann Fachplanung, zumindest im Hinblick auf die beplante Fläche, rein örtlichen Bezug haben.
Bsp.: Planfeststellung eines Segelflugplatzes
Auch die dogmatischen Trennlinien zwischen (örtlicher) Bauleitplanung und (überörtlicher) Raumordnung sind in praxi weniger klar. So gibt es im Bereich der Bauleitplanung eine überörtliche Gesamtplanung in Gestalt von gemeinsamen Flächennutzungsplänen benachbarter Gemeinden (§ 204 BauGB) oder von Bauleitplänen der Planungsverbände (§ 205 BauGB). Auf der Ebene der Regionalplanung gibt es detaillierte Teilgebiets-Regionalpläne.
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Kein Gegenstand des Raumplanungsrechts sind definitionsgemäß die sog. nicht-förmlichen oder informellen Planungen.
Bsp.: Baulückenschließungsprogramme, Bedarfspläne für Kindergärten, Grundsätze der Stadtgestaltung und Stadtentwicklungsplanung18
Informelle Planung kann gleichwohl – zumindest als Abwägungsbelang – gesetzliche Bedeutung erlangen (vgl. § 1 VI Nr. 11 BauGB, § 9 IIa 2 BauGB). Der Umkehrschluss, förmliche Raumplanung sei stets strikt verbindlich, wäre indes verfehlt. Die Bindungswirkung der Inhalte förmlicher Planung reicht nämlich von der strikten Verbindlichkeit bis zum bloßen Empfehlungscharakter.
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Die Raumplanung stellt ein ineinander verzahntes System von Planungsebenen dar. Kennzeichnend ist vor allem eine Hierarchie der Planungsarten. Grundlegend sind insoweit zwei Gesetzesaussagen: Erstens ist die Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung anzupassen (Anpassungsgebot gem. § 1 IV BauGB)19. Zweitens gehen fachplanungsrechtliche Festlegungen, insbesondere in Planfeststellungsbeschlüssen, nach Maßgabe des § 38 BauGB den bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen (und damit auch den Vorgaben aus Bauleitplänen) grundsätzlich vor (sog. Vorrang der Fachplanung oder Fachplanungsprivileg).20 Die für die Fachplanung zuständigen Behörden haben die Gemeinde jedoch an ihren Planungen zu beteiligen, soweit diese Planungen die gemeindliche Planungshoheit berühren. Zudem muss der Fachplanungsträger die Darstellungen des FNP nach Maßgabe des § 7 BauGB beachten.21
Lit.: Garrelmann, Die Entwicklung des Bauordnungsrechts, 2010; Jäde, Die Entwicklung des Bauordnungsrechts, ZfBR 2015, 19-32; auf die Rspr. bezogene Darstellung Entwicklungen des Bauordnungsrechts: Ortloff, NVwZ 2003, 660 ff.; 2004, 934 ff., 2005, 1381 ff., 2006, 999 ff.; Schröteler-von Brandt, Stadtbau- und Stadtplanungsgeschichte. Eine Einführung, 2. Aufl., 2014; dies., Geschichte der Stadtplanung, 2018 (Online-Publikation); Söfker, Einführung, in: Baugesetzbuch (Beck-Texte im dtv), 50. Aufl., 2018, S. IX-LII.
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Die Geschichte des öffentlichen Baurechts reicht mindestens zurück bis zu antiken hoheitlichen Stadtplanungen und Anordnungen in Bezug auf das Bauen und Gebäude. Die ersten Baurechtsakte auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands könnten spätantike Hoheitsakte im Zusammenhang mit römischen Stadtgründungen wie Trier, Mainz etc. sein.22 Einige mittelalterliche Stadtgründungen im 12. und 13. Jahrhundert erfolgten durch einen verbindlichen Plan, wobei Straßen parallel oder rechtwinklig zu den Kirchen verlaufen, während viele bestehende Städte oft planlos wucherten.23 Manche Städte erließen etwa brandschutzbezogene Regelungen über Abstände und Baumaterialien oder Regelungen zur Sicherung der Wehrhaftigkeit der Bauten an der Stadtmauer. Instrumente der Planung, etwa zur Festlegung von Straßenfluchten oder zur Zonung24, waren meist noch das Eigentumsrecht, der Grunderwerb sowie Entschädigungszahlungen für Baubeschränkungen.25 Im Zeitalter des Absolutismus (17. und 18. Jhd.) kam es zu einer Blüte des Städtebaus, die u.a. durch rigorose Eingriffe des in seiner Macht unbeschränkten (absoluten) Landesherrn ermöglicht wurde, der aufgrund seiner umfassenden „Polizeygewalt“ handelte.26 Er agierte u.a. mit Baupflichten und Enteignungsrechten.27 Während viele „Bauordnungen“ dieser Zeit im Wesentlichen Arbeitszeiten oder Entlohnung der Baumeister und Handwerker regelten, enthielt die im deutschsprachigen Raum viel beachtete württembergische Bauordnung28 bereits zahlreiche bauordnungsrechtliche Vorschriften im heutigen Sinne. Der Gestaltungswille und das Repräsentationsbedürfnis der Landesherren bzw. Fürsten waren Ursachen häufiger Überreglementierung.
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Hingegen bewirkte der sich im 19. Jahrhundert infolge der französischen Revolution auch in Deutschland verbreitende Liberalismus eine Stärkung der privaten Eigentumsfreiheit. In §§ 65, 66 I 8 Preußisches Allgemeines Landrecht (PrAllgLR) von 1796 wurde eine Baufreiheit geregelt, in die nur aus polizeilichen Gründen eingegriffen werden durfte. Bauplanungsrecht fehlte zu dieser Zeit nahezu völlig.29 Ansätze einer Bauleitplanung enthielt das Preußische Fluchtliniengesetz des Jahres 1875, das den Gemeinden das Recht gewährte, Straßen- und Baufluchten festzulegen, im Übrigen auch Anliegerbeiträge zu erheben und das Bauen an unfertigen Straßen zu untersagen.30 Ansonsten beschränkte sich die Bauverwaltung im Wesentlichen auf die staatliche Aufgabe der sog. „Baupolizey“. Dies bestätigt sich auch im berühmten Kreuzberg-Urteil des PrOVG,31 worin das Gericht eine Polizeiverfügung des Berliner Polizeipräsidenten für ungültig erklärte, welche die Bebauung in der Umgebung des auf dem Kreuzberg errichteten Siegerdenkmals beschränkte und dazu dienen sollte, die Aussicht vom Fuß des Denkmals auf die Stadt und die freie Sicht auf das Denkmal zu schützen. Das Gericht befand, dass lediglich eine Rechtsgrundlage zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorhanden sei (§ 10 II 17 PrAllgLR), nicht aber zum Schutz des Orts- und Straßenbildes (im Urteil: städtebauliche „Wohlfahrtspflege“). Der Sache nach wurde hierdurch die Baufreiheit anerkannt und Maßnahmen der Baupolizei auf polizeirechtlicher Grundlage durften die Baufreiheit nur noch zum Zwecke der Gefahrenabwehr beschränken. Der immer stärkere Bevölkerungszuwachs in den Städten infolge der Industrialisierung32 und der durch sie ausgelösten Landflucht zwang dazu, den Bauboom dieser Zeit auch stadtplanerisch zu lenken und zu ordnen.33 Gleichwohl galt zur Zeit des Baubooms der sog. Gründerzeit noch eine weitgehend liberalistische Grundkonzeption des Baurechts. Wegbereitend für die sich später intensivierende Bauleitplanung war u.a. die Idee der Gartenstadt, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand und in verschiedenen deutschen Städten umgesetzt wurde.34 In der Weimarer Republik entwickelte sich sodann zwar ein substanzielles Bauplanungsrecht,35 jedoch drängte erst die nationalsozialistische Zeit die liberalistische Betonung der Baufreiheit zugunsten einer hoheitlichen Bauleitplanung zurück.36
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Die Geschichte des Bauplanungsrechts der Nachkriegszeit ist durch die Aufbaugesetze der Länder der Jahre 1948/49 geprägt, die eine rasche Wiedererrichtung von Wohnungen fördern sollten. Die Aufbaugesetze sahen bereits eine umfassende und verbindliche gemeindliche Bodennutzungsplanung vor. In der Folgezeit kam es zu einer unterschiedlichen Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Im Gebiet der ehemaligen DDR wurde die gemeindliche Planungshoheit im Zuge der Einführung des demokratischen Zentralismus37 beseitigt.38 Den Räten der Städte und Gemeinden waren nur Aufgaben zur Erfüllung des staatlichen Wohnungsbauprogramms zugewiesen.39
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In der Bundesrepublik wurde das Recht der Bauleitplanung durch das Bundesbaugesetz im Jahre 1960 vereinheitlicht, das u.a. den Flächennutzungsplan und den Bebauungsplan heutiger Prägung einführte. Zuvor hatte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht ein Rechtsgutachten eingeholt, das die Zweifel an einer Bundeskompetenz ausräumte, aber auch die Grenzen der Bundeskompetenz absteckte und das Bauordnungsrecht den Ländern zuwies.40 Das Bauplanungsrecht wurde im Jahre 1971 durch das Städtebauförderungsgesetz ergänzt. Beide Zentralgesetze des Bauplanungsrechts wurden durch das BauGB des Jahres 1986 zusammengeführt.41
Ein in baurechtlicher Hinsicht ereignisreiches Jahr war das Jahr 1990. Die erste frei gewählte Volkskammer führte die gemeindliche Planungshoheit wieder ein. Eine im Juni 1990 erlassene DDR-Bauplanungs- und Zulassungsverordnung hatte indes nur eine kurze Geltungsdauer.42 Auf der Grundlage des Einigungsvertrages trat das Baugesetzbuch am 3.10.1990 in den neuen Ländern in Kraft, wobei zunächst noch einzelne Vorschriften des DDR-Rechts fortgalten.43 Nach Maßgabe der Überleitungsvorschrift des § 246a IV BauGB wurden unter anderem auch Generalbebauungspläne der DDR übergeleitet.44 Ein sozialistisches Baulandgesetz45 aus dem Jahre 1984 verlor mit dem Einigungsvertrag seine Bedeutung. Ein wie der Einigungsvertrag im Jahre 1990 in Kraft getretenes, zeitlich befristetes BauGBMaßnahmengesetz zielte auf eine Erleichterung des Wohnungsbaus durch „Vereinfachungen“ im Planungs- und Baurecht.46 Auch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz aus dem Jahre 199347 diente der Erleichterung des Bauens und zudem der Verfahrensbeschleunigung. Eine grundlegende Neufassung und -ordnung des gesamten Bauplanungsrechts erfolgte durch das Bau- und Raumordnungsgesetz (BauROG 1998)48, das u.a. Sondervorschriften für die neuen Länder aufhob und das BauGB-Maßnahmengesetz ins Dauerrecht überführte. Demgegenüber erscheint das Europarechtsanpassungsgesetz Bau aus dem Jahr 2004 als eine weniger weit reichende Novellierung.49 Im Rahmen von zwei Novellen der Jahre 2006 und 2013 wurde die Innenentwicklung gestärkt.50 Die sog. Klimaschutznovelle aus dem Jahr 2011 erweiterte u.a. die Möglichkeiten von Festsetzungen zugunsten der Nutzung erneuerbarer Energien.51 Der erleichterten Unterbringung von Flüchtlingen dienten die „Flüchtlingsnovellen“ des BauGB der Jahre 2014 und 2015.52 Sodann erfolgten wesentliche Änderungen des Bauplanungsrechts im Rahmen einer Städtebaurechtsnovelle im Jahre 2017 durch das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenhalts in der Stadt“.53 Es trat am 3.05.2017 in Kraft. Neben der Umsetzung der Richtlinie soll die Novelle das Zusammenleben in Städten und Gemeinden stärken und zielt auf eine „nutzungsgemischte Stadt der kurzen Wege“. Im Interesse der Nachverdichtung wurde der neue Baugebietstyp „Urbanes Gebiet“ geschaffen (§ 6a BauNVO) und die Verwaltungsvorschrift zur TA Lärm geändert. Die zulässigen Immissionsrichtwerte am Tag in der Nähe von Sportplätzen wurden durch Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) erhöht. Erleichtert wurde der Landschaftsverbrauch durch ein beschleunigtes Verfahren zur Einbeziehung von Außenbereichsflächen für den Wohnungsbau (§ 13b BauGB). Soziale „Einheimischenmodelle“ erhielten eine Rechtsgrundlage im BauGB (§ 11).54 Die Möglichkeit zur Eindämmung von sog. Rollladensiedlungen wurde verbessert, indem die Begründung von Bruchteilseigentum unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden darf.
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Mit der jüngsten BauGB-Novelle, dem Baulandmobilisierungsgesetz55, des Jahres 2021, soll den Gemeinden (befristet) die Bereitstellung von Bauland erleichtert und die Sicherung bezahlbaren Wohnraums unterstützt werden.56 Neu ist der (sektorale) „Bebauungsplan zur Wohnraumversorgung“ (§ 9 IId BauGB). Er wird als einfacher Bebauungsplan für im Zusammenhang bebaute Ortsteile aufgestellt. Bei Vorhaben im unbeplanten Innenbereich kann vom Erfordernis des Einfügens nun auch „in mehreren vergleichbaren Fällen“ abgewichen werden (§ 34 IIIa BauGB n.F.). Das allgemeine Vorkaufsrecht wurde erweitert (§ 24 I 1 Nr. 6 und Nr. 8 BauGB) – auch im Hinblick auf die Ausübungsfrist (§ 28 II 1 BauGB). Neu geschaffen wurde der Baugebietstyp „Dörfliches Wohngebiet“ (§ 5a BauNVO) und aus den bisherigen Obergrenzen des § 17 BauNVO wurden bloße Orientierungswerte (§ 17 BauNVO n.F.). Wenige der Neuregelung knüpfen an eine vorherige Festlegung von „Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt“ durch Verordnung der Landesregierung an (§ 201a BauGB). So bewirkt die Festlegung insbesondere eine Genehmigungspflicht für die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nach § 1 WEG (§ 250 I BauGB). Zudem können für diese Gebiet nun erleichtert Befreiungen von Bebauungsplanfestsetzungen erteilt werden (§ 31 III BauGB). Der (bis 31.12.2026 befristeten) Gebietsfestlegung kommt daher im Baulandmobilisierungsgesetz eine bedeutsame Rolle zu. Nur deklaratorische Bedeutung hat hingegen die Neureglung zum Entwicklungskonzept zur Stärkung der Innenentwicklung (§ 176a BauGB). In besonderem Maße mit dem gesetzlichen Nachhaltigkeitsziel in Konflikt gerät die Verlängerung der Geltungsdauer des § 13b BauGB. Dieses „Landschaftszerstörungsgesetz“ widerspricht der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, bis zum Jahr 2030 die tägliche Flächeninanspruchnahme auf 30 ha pro Tag zu begrenzen (und ab 2050 eine Flächenkreislaufwirtschaft etabliert zu haben). Das BauGB verfehlt – nicht indes erst mit dem Baulandmobilisierungsgesetz – seine Aufgabe57 in Erfüllung des verfassungsrechtlichen (wie bauplanungsrechtlichen) Nachhaltigkeitsauftrags auch eine nachhaltige Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklung zu gewährleisten. Der noch immer viel zu hohe Landschaftsverbrauch für Siedlungszwecke ist Ergebnis des Zusammenspiels einer Vielzahl von Regelungen des BauGB mit sonstigen Regelungen anderer Rechtsbereiche (ROG, LEntwicklG, BNatSchG etc.).
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Verschiedene Entwicklungslinien des Bauplanungsrechts lassen sich aufzeigen. Vor allem entwickelte sich die Stadtplanung von einer reinen Bauplanung zu einer umfassenden staatlichen Bodennutzungsplanung. Im Zuge des Anwachsens des Rechtsstoffs haben sich die Sachgebiete und Instrumente immer weiter ausdifferenziert. Während für die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch eine Planungseuphorie prägend war, ist für die jüngere Zeit aufgrund der Erkenntnis der Schnelllebigkeit sozio-ökonomischer Strukturen eine gewisse planerische Zurückhaltung kennzeichnend.58 Zudem lässt sich eine Tendenz zur Privatisierung der Planung (im weitesten Sinne) nachweisen.
Bsp.: Stärkung der Handlungsform des städtebaulichen Vertrages in den neunziger Jahren – vgl. § 1a III 3, § 11, § 12 I 1 BauGB, hiervon insbesondere die Vorhaben- und Erschließungsplanung gem. § 12 BauGB durch Investoren und die Einschaltung Privater gem. § 4b BauGB
Eine weitere wichtige Entwicklungslinie des Bauplanungsrechts verläuft von der Reaktions-, über die Auffang- hin zur Entwicklungsplanung. Gemeinsam ist dem Bauplanungs- wie im Bauordnungsrecht die Entwicklung zu einer immer stärkeren „Subjektivierung“, vor allem durch den richterrechtlichen Ausbau des Drittschutzes.59 Während bis zum Ende der fünfziger Jahre ein Drittschutz im öffentlichen Baurecht nicht anerkannt war, wurde dieser seit Anfang der 60-er Jahre von der Rechtsprechung immer stärker ausgebaut.
Hinzu tritt die zunehmende Europäisierung.
Bsp.: So verweisen nationale Vorschriften über Bauprodukte wie § 20 I 1 BauO LSA60 oder § 1 Bauproduktengesetz61 auf die CE-Kennzeichnung oder die europarechtlich gebotene grenzüberschreitende Beteiligung wird in § 4a BauGB ebenso geregelt wie die Einbeziehung der FFH-Richtlinie in die Bauleitplanung durch § 1a IV BauGB.
Schließlich beschreibt eine Entwicklungslinie die stärkere Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten, insbesondere solchen des vorsorgenden Umweltschutzes62 (Integration der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, Einbeziehung der FFH-Ausdehnung der UVPPflicht von Bebauungsplänen, Vorrang der Innenentwicklung etc.). Sie drückt sich etwa aus im BauROG (1997, indes ambivalent), im Gesetz zur Umsetzung der UVP-Richtlinie, IVURichtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz (2001), im Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes (2005), in den Innenentwicklungsnovellen (2006, 2013) und im Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes (2011). Die Vereinfachung des Planens und Bauens war zwar immer wieder Ziel von Novellen, so etwa im Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz (1993), BauGB-MaßnahmenG (2000), Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben (2007), bei den Flüchtlingsnovellen (2014, 2015) oder der Städtebaurechtsnovelle 2017, jedoch haben diese die Komplexität des Rechtsstoffs nicht etwa reduziert, sondern erhöht (Komplexitätszunahme). So sind auch jüngst das Planen und Bauen „vereinfachende“ Regelungen erlassen worden (vgl. etwa § 13b BauGB, § 6a BauNVO), jedoch wurden damit immer meist weitere Handlungsvorgaben bzw. Gestaltungsoptionen geregelt, die sich in der Summation zu einem hochkomplexen unübersichtlichen Normendickicht entwickelt haben. Das kritikwürdige Baulandmobilisierungsgesetz hat die Komplexität der Rechtsmaterie u.a. mit neuartigen Rechtsinstrumenten (vgl. etwa das Städtebauliche Entwicklungskonzept i.S.d. § 176a, die Verordnungen über Gebiete mit angespannter Wohnungsmarktsituation, die COVID-Anlagen-Regelung des § 246b BauGB63 oder den neuen Baugebietstypus Dörfliches Wohngebiet gem. § 5a BauNVO) auf ein Rekordhoch getrieben.
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Die im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland erlassenen Landesbauordnungen richteten sich weitgehend nach der von einer Bund-Länder-Kommission im Jahre 1959 verabschiedeten und später von der Länder-Arbeitsgemeinschaft Bau (ARGEBAU) weiterentwickelten Musterbauordnung.64 In den neuen Bundesländern galt zunächst ein von der freien Volkskammer in Anlehnung an die Musterbauordnung (MBO) erlassenes Gesetz über die Bauordnung fort.65 Dieses wurde zunehmend modifiziert und schließlich aufgehoben. Auch aufgrund der übergangsweisen Geltung einer „Anordnung“ über Bauvorlagen etc.66 wies das in den neuen Bundesländern geltende Bauordnungsrecht wenig länderspezifische Besonderheiten auf. Weitere DDR-Anordnungen, die bis zum Erlass von Landesrecht betrafen Feuerungsanlagen67 und Garagen68.
Zuvor hatte die letzte Volkskammer ein Gesetz über eine Bauordnung erlassen.69 Diese DDRBauordnung wurde in den frühen neunziger Jahren durch Landesrecht geändert70 bzw. durch neue Landesbauordnungen ersetzt. In Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 1994 eine Landesbauordnung erlassen.71 Sie hatte im Wesentlichen bis zum Erlass einer neuen Bauordnung durch Gesetz des Jahres 2005 Bestand.72 Der Wechsel vom DDR- zum bundesrepublikanischen Baurecht warf einige Rechtsfragen auf wie die Überplanung unklarer Eigentumslagen, den Umgang mit DDR-Schwarzbauten, die Schutzwürdigkeit von Siedlungen mit ehemaligen LPG-Tierhaltungsanlagen73 oder das Verbot der Schlechterstellung74.
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Vor allem um die Jahrtausendwende war im Bauordnungsrecht bundesweit das Bestreben nach Verfahrensvereinfachung und Deregulierung nachweisbar.75 So sind etwa für Sachsen-Anhalt insoweit der Erlass der neuen Bauordnung 2001,76 der Erlass des Ersten (2002)77 und des Zweiten Investitionserleichterungsgesetzes (2003)78 hervorzuheben. Die Deregulierungsbestrebungen der Bundesländer haben gewisse Verfahrenserleichterungen bewirkt, letztlich aber die Überregulierung dieses Sachbereichs nicht wesentlich eingedämmt und zudem die Rechtszersplitterung in den Bundesländern verschärft.79 So ergeben die Normsetzungsebenen Europäische Union, Bund, sechzehn Bundesländer und die Gemeinden (sowie weitere Baurechtsetzer) eine insgesamt unübersichtliche Rechtslage, zumal Baurecht auch weithin richterrechtlich geprägt ist. Die Kritik an der Rechtszersplitterung und am Abweichen von der Musterbauordnung greifen indes zu kurz. Es kann nicht sinnvoll gerade das kritisiert werden, womit der Föderalismus vor allem gerechtfertigt wird (Einheit in Vielfalt). Nicht die Orientierung an einer die Sinnhaftigkeit der Länderkompetenz in Frage stellenden MBO, sondern das anachronistische Festhalten an einer Länderkompetenz in einem wirtschaftswichtigen Bereich wie dem Bauordnungsrecht ist das eigentliche Problem, weil es auch im Hinblick auf die Europäisierung ein nicht mehr zu rechtfertigendes Wirtschaftshemmnis darstellt. Letztlich ist aber der Bundesstaat auf nationaler Ebene in Frage zu stellen, da er insbesondere unangemessen teuer, schwerfällig und integrationsfeindlich ist.80
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Problematisch sind auch die ordnungsrechtlich bedingten Kostensteigerungen für das Bauen privater wie öffentlicher Bauherren.81 Neue baurechtliche Anforderungen bzw. immer höhere Standards führen zu immer höheren Kosten vor allem beim Gebäudebau. Man kann insoweit unterscheiden nach Verantwortungsbereichen bzw. Rechtsetzern (EU, Bund, Land, Gemeinden sowie die privaten Normgeber wie das DIN e.V., deren Regelwerke regelmäßig rechtsersetzende Funktion haben), nach Sachbereichen (Abwasseranlagen, Barrierefreiheit, Brandschutz, Gestaltungsvorgaben, Naturschutz, Standsicherheit, Schall-, Wärme- und Klimaschutz/Energieeffizienzrecht etc.) und nach Rechtsgebieten (Bauplanungsrecht, Bauordnungsrecht, Baunebenrecht).
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Bauplanungs- und Bauordnungsrecht enthalten heute eine nie gekannte Vielfalt an Steuerungsinstrumenten und Handlungsformen. Im Bauplanungsrecht sind – in gesetzessystematischer Hinsicht – die Bauleitpläne (Flächennutzungsplan und Bebauungsplan) die wichtigsten Steuerungsinstrumente. Zahlreiche bebauungsplanakzessorische Instrumente dienen der Planverwirklichung. Daneben gibt es indes zahlreiche weitere gemeindliche Möglichkeiten der Steuerung der Bebauung ihres Gebietes (nicht bebauungsplanakzessorische Instrumente). Dabei kann zwischen folgenden Gruppen von Steuerungsinstrumenten unterschieden werden:
regulative,
Bsp.: Innenbereichssatzungen, § 34 IV BauGB; Außenbereichssatzungen, § 35 VI BauGB; Sanierungssatzung, § 142 III BauGB
nicht regulativ-planerische,
Bsp.: informelle Pläne wie Entwicklungskonzepte nach § 1 VI Nr. 11 BauGB, § 176a BauGB, etwa Stadtmarketingkonzept zum Schutz zentraler Versorgungsbereiche
vertragliche,
Bsp.: Grundstückskaufverträge etwa als Einheimischenmodelle; städtebauliche Verträge, § 11 BauGB
distributive (Anreize),
Bsp.: Einsatz von Städtebaufördermitteln, § 164a BauGB; Vergabe eigener Mittel
und persuasiv/informatorische Instrumente.
Bsp.: Stadtmarketing, Beratung zu EU-, Bundes-, Landes- und eigenen Föderprogrammen; Baulandkataster
Diese Instrumentenvielfalt schafft zahlreiche Handlungsoptionen, zugleich aber auch ein kompliziertes Gesamtsystem, das seine Ziele nicht immer erreicht.
Man mag insoweit auch von Steuerungsschwächen bzw. Vollzugsdefiziten sprechen. Die wohl größte ungelöste Zukunftsfrage des Bauplanungsrechts ist der anhaltend hohe Landschaftsverbrauch von über 60 Hektar pro Tag (für Siedlungs- und Verkehrszwecke), der dem Gebot nachhaltigen Umgangs mit dem Boden widerspricht82 und (angesichts kritischer Belastungssituation und fehlenden Maßnahmenkonzepts) auch dem Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen des Art. 20a GG zuwiderläuft. Anstelle einer wünschenswerten Vereinfachung besteht weiterhin eine Tendenz zum Anwachsen des Rechtsstoffs unter Zunahme seiner Komplexität bzw. Schwierigkeit. Weitere Fehlentwicklungen, die das Baurecht nur unzureichend eindämmt, sind etwa die Gentrifizierzung und die mit der Zunahme des Individualverkehrs verbundene Verlärmung durch den Betrieb von Verbrennungsmotoren. So ist insbesondere auf eine steuerungstechnisch stärkere Förderung der Innenentwicklung im Interesse einer Abschwächung der Suburbanisierung mit ihrem Bebauungsdruck auf Freiflächen zu hoffen. Im Zuge einer Digitalisierung der Verkehrslenkung können evtl. einmal Verkehrsströme besser gelenkt werden, um einen „Verkehrsinfarkt“ von Städten zu verhindern. Eventuell wird das bisherige Leitbild der funktional streng gegliederten Siedlung in Frage zu stellen und der Trennungsgrundsatz einzelfallbezogener als bisher anzuwenden sein, um Räume effizienter zu nutzen.83
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Die Handlungsformen der Bauverwaltung (im weiteren Sinn)84 sind äußerst vielgestaltig. Es findet sich die ganze Vielfalt öffentlich-rechtlicher Handlungsformen:
die Rechtsnorm in Gestalt von Verordnungen und Satzungen,
Bsp.: Bauvorlagenverordnung, Gestaltungssatzung
der Verwaltungsvertrag,
Bsp.: Erschließungsvertrag, Folgekostenvertrag
der Verwaltungsakt,
Bsp.: Baugenehmigung, Abrissverfügung
die Verwaltungsvorschrift,
Bsp.: VVBauO, Industriebaurichtlinie,
die Einzelweisung
Bsp.: Weisung der oberen an die untere Baubehörde eine Genehmigung zu erteilen sowie Rechtsakte eigener Art.
Bsp.: Flächennutzungsplan, Beschluss über ein Entwicklungskonzept gem. § 171e III oder § 176a BauGB
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Hinzu treten öffentlich-rechtliche Realakte.
Bsp.: Baustellenkontrolle, Anbringung eines Siegels, Dienstfahrt, Nachforderung von Bauvorlagen
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Zudem kann die Bauverwaltung auch privatrechtlich handeln.85 Dies gilt in erster Linie für die Bedarfsdeckungsverwaltung (fiskalische Hilfsgeschäfte) und die Rolle der Verwaltung als Arbeitgeber, seltener hingegen für erwerbs- bzw. gemeinwirtschaftliche Betätigung.
Bsp.: Beschaffung von Bürobedarf; Abschluss eines Arbeitsvertrages; städtische Bauhof-GmbH schließt Werbevertrag
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Handlungsformen Privater gegenüber der Bauverwaltung i.w.S. sind Anträge,
Bsp.: Bauantrag gem. § 67 BauO, Antrag auf Erlass eines Vorbescheids gem. § 74 BauO
einseitige öffentlich-rechtliche Willenserklärungen,
Bsp.: Baulasterklärung gem. § 82 I BauO, Plananerkenntnis gem. § 33 I BauGB
auf den Schluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtete Willenserklärungen,
Bsp.: bzgl. eines Durchführungsvertrags gem. § 12 I BauGB
Tathandlungen in Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht
Bsp.: Absteckung der Grundrissfläche86, Anbringung des Bauschildes
und sonstige tatsächliche Handlungen (Realakte)
Bsp.: Schwarzbau, Duldung der Kontrolle
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Die Gesetzgebungskompetenzen für das öffentliche Baurecht sind nach dem Grundgesetz auf Bund und Länder verteilt.87 Während dem Bund das Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung für das Bauplanungsrecht zusteht, haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung für das Bauordnungsrecht. Diese Kompetenzverteilung ist nicht ausdrücklich geregelt, sondern Ergebnis der Grundgesetzauslegung. Dem Bund steht gem. Art. 74 Nr. 18 GG ausdrücklich das Gesetzgebungsrecht für das Bodenrecht (mit Ausnahme der Erschließungsbeiträge) zu. Unter Bodenrecht versteht man diejenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die die unmittelbaren rechtlichen Beziehungen zu Grund und Boden, insbesondere seine Nutzbarkeit, regeln.88 Das Bauplanungsrecht mit seinen Regelungen der baulichen Nutzbarkeit der Grundstücke bildet mithin den Kern des Bodenrechts.89 Daher fehlte den Ländern etwa die Kompetenz den Erlass von besonderen Bebauungsplänen zu regeln oder gebietsbezogene Mindestabstandsflächenregelungen90 zu erlassen. Die neue Länderöffnungsklausel des § 249 III BauGB lässt indes ländereigene Regelungen von Mindestabständen zu. Zum dem Bund vorbehaltenen Bodenrecht zählt des Weiteren auch das Recht der Umlegung und der Baulanderschließung.91 Das Bauordnungsrecht mit seinen vornehmlich sicherheitsrechtlichen Aspekten fällt hingegen nach der Auffangzuständigkeit des Art. 70 GG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Eine Sondersituation besteht im Bereich des Erschließungsbeitragsrechts, das erst durch eine Grundgesetzänderung den Ländern zugewiesen wurde. Das bisherige Erschließungsbeitragsrecht des Bundes gilt bis zu seiner Ersetzung durch Landesrecht als Bundesrecht fort (Art. 125a GG).
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Einen Grenzfall bildet die den Ländern zustehende Kompetenz zur Regelung der Baugestaltung, zumal auch der Bund im Rahmen seiner bodenrechtlichen Kompetenz Verunstaltungsregelungen erlassen hat (vgl. § 35 III 1 Nr. 5 BauGB; mittelbare Baugestaltungsregelung ist das Einfügensgebot des § 34 I BauGB). Es kommt daher maßgeblich auf den Zweck der Regelung an. Der Abgrenzung dient die Unterscheidung, dass das Bodenrecht auf die Fläche und das Bauordnungsrecht objektbezogen ist. Die Verunstaltungsabwehr als baugestalterische Regelung liegt ebenfalls in der Kompetenz der Landesgesetzgebung.92
Baugestaltungsvorgaben der Länder bzw. mancher Gemeinden wirken im Einzelfall dirigistisch. Der rechtliche Rahmen der Baugestaltung insgesamt, v.a. im Hinblick auf den Altbestand, ist es aber nicht. Er gewährleistet auch keine hohe Baukultur in ästhetischer Hinsicht – weder im Hinblick auf den Bestand noch die Neubebauung.93 Die Vollzugspraxis des Baurechts lässt – ungeachtet der vielen Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten – im Ergebnis den Bestand in der Regel unberührt und erlaubt meist große Freiräume für ein Bauen auf niedrigem ästhetischen Niveau. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Indes sind – zumindest aus der Perspektive des ästhetisch empfindsamen Betrachters – die meisten baulichen Anlagen, Straßen- und Ortsbilder unschön. Gelungene Ensembles alter bis moderner Baukultur sind Ausnahmen. Weit häufiger als hohe Baukultur, die beim Betrachter im Regelfall positive Empfindungen bewirkt, sind bauliche Anlagen, die kein oder negatives ästhetisches Empfinden bewirken. So ist die überwiegende Zahl der Baulichkeiten gesichtslos, nichtssagend bzw. stillos, lieblos, kalt, rein funktionalistisch, vernachlässigt, nicht selten hässlich oder fügt sich nicht in die Umgebung ein. Nur dort, wo Geld, Geist und Geschmack zusammentreffen und sich als Straßen- oder gar Ortsbild über einen langen Zeitraum entfalten können, entsteht i.d.R. eine hohe Baukultur. Der Staat sollte regulativ wie distributiv das Entstehen hoher Baukultur fördern und zudem bei eigenen Bauten mit gutem Beispiel vorangehen.
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Die Rechtsquellen des öffentlichen Baurechts können nach den Ebenen der Rechtsetzung unterschieden werden nach völker-, unions-, bundes-, landes- und ortsrechtlichen Regelungen.94 Das Völkerrecht, etwa in Investitionsschutzabkommen,95 enthält indes meist nur hochgradig abstrakte, nicht unmittelbar „vollzugsfähige“ Normen. Das Unionsrecht enthält zumindest einige wenige für das Bauen und Planen bedeutsame Vorgaben.
Vgl.: Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.3.2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten (EU-BauPVO); Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen pp. (Seveso-II-Richtlinie)
Das Unionsrecht genießt Anwendungsvorrang vor ihm widersprechenden nationalen Recht. Das nationale Recht ist im Übrigen europarechtskonform auszulegen und bei der Auslegung gilt das Gebot der größtmöglichen praktischen Wirksamkeit des Europarechts.96
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Von mittelbarer Bedeutung für das Bauen sind u.a. europarechtliche Regelungen zu Umweltverträglichkeit, Energieeffizienz und Artenschutz.
Vgl.: FFH-Richtlinie mit Aussagen zur Unzulässigkeit bestimmter Bauvorhaben in FFHGebieten, Vogelschutz- und UVP-Richtlinie
EU-Umweltrichtlinien wirken sich mittelbar – über das nationale Transformationsgesetz – vor allem auf die kommunale Bauleitplanung aus (vgl. § 1a II Nr. 3 und 4 BauGB, §§ 32 ff. BNatSchG, § 4 ff. UVPG).
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Das Grundgesetz thematisiert das Bauen nicht ausdrücklich, jedoch lassen sich ihm einige Grundaussagen zum Bauen entnehmen. Hervorzuheben sind insoweit neben den Artikeln, die die Kompetenz des Bundes für Bereiche des Baurechts begründen, vor allem die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 I GG, aus der die Baufreiheit und der Schutz des Eigentums am Bauwerk abgeleitet werden.97 Die kommunale Planungshoheit wird weithin aus der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG abgeleitet.98
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Das zentrale Bundesgesetz des Bauplanungsrechts ist das Baugesetzbuch.99 Es ist in vier Kapitel gegliedert, wobei die ersten beiden Kapitel „Allgemeines Städtebaurecht“ und „Besonderes Städtebaurecht“ die bedeutendsten sind. Das BauGB wird durch verschiedene Bundesverordnungen konkretisiert, wobei die Baunutzungsverordnung besonders hervorzuheben ist.100
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Weitere Bundesverordnungen des Baurechts sind vor allem die Planzeichen-101, die Wertermittlungs-102 sowie die Energieeinsparverordnung103. Zum Baurecht im weiteren Sinne kann man etwa die Baustellenverordnung zählen, die den Arbeitsschutz auf Baustellen regelt, allerdings auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes erging.104
Eine große Bedeutung nimmt mittlerweile auch das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung ein, so dass es vermehrt als Rechtsquelle des Baurechts bezeichnet wird. Seine Rechtsgrundlagen finden sich im UVPG105 (vgl. §§ 4 ff. UVPG, Anlage 1 Nr. 18 „Bauplanungsrechtliche Vorhaben“) und in dem Landes-UVPG106 (das für das Bauen von geringerer Bedeutung ist).
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Zentrale landesrechtliche Regelungen107 des öffentlichen Baurechts sind die Landesbauordnungen. In Sachsen-Anhalt gilt gegenwärtig die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2013.108 Sie wurde mehrfach, zuletzt im Jahr 2018, geändert.109 Sie gliedert sich in sechs Teile: „Allgemeine Vorschriften“, „Das Grundstück und seine Bebauung“, „Bauliche Anlagen“, „Die am Bau Beteiligten“, „Bauaufsichtsbehörden und Verwaltungsverfahren“ und „Ordnungswidrigkeiten, Rechtsvorschriften und Übergangsvorschriften“.
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Die Landesbauordnung wird durch verschiedene (ministerielle) Landesverordnungen konkretisiert. Sie sind Vorschriften die „auf Grund des Gesetzes“ ergingen (vgl. etwa § 62 S. 1 b), § 63 S. 1 Nr. 2 BauO). Sie regeln sowohl formelle wie auch materielle Anforderungen. Nur einige seien hier angeführt: Baugebührenverordnung,110 Bauvorlagenverordnung,111 Feuerungsverordnung,112 Garagenverordnung,113 Verordnung über Campingplätze und Wochenendplätze,114 Verordnung über Beherbergungsstätten115 sowie die Verordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten116. Das zuständige Landesministerium veröffentlicht eine „Übersicht Baurechtliche Bestimmungen in Sachsen-Anhalt“ (Stand 30.06.2018).117 Örtliches Baurecht findet sich in Gestalt gemeindlicher Bausatzungen.
Bsp.: Bebauungspläne, Gestaltungs-, Erhaltungs- und Stellplatzablösesatzungen
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Nicht zu den Rechtsquellen gehören nach h.M. als Verwaltungsinnenrecht die Verwaltungsvorschriften.118 Sie finden sich u.a. in Gestalt von Richtlinien, Erlasse und vergleichbaren Regelungen, die im Ministerialblatt des Landes verkündet werden oder unveröffentlicht sind.119
Bsp.: Verwaltungsvorschrift über die bauaufsichtliche Prüfung bautechnischer Nachweise und die Bauüberwachung (VVPrüfBau)120, Erlass zur Wahrnehmung der bauaufsichtlichen Aufgaben und Befugnisse durch die Wasserbehörde,121 Schulbaurichtlinie,122 Erlass über notwendige Toiletten in Gaststätten123
Das Verwaltungsinnenrecht bindet grundsätzlich nur im Verhältnis von erlassender und nachgeordneter Behörde und kann nach außen nur aufgrund des Gleichheitssatzes in Verbindung mit dem Rechtsgedanken der Selbstbindung der Verwaltung Verbindlichkeit erlangen.124
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Eine Sonderstellung zwischen Rechtsnormen und reinem Verwaltungsinnenrecht nehmen die von der obersten Baubehörde im Ministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt veröffentlichten Technischen Baubestimmungen ein. Die Technischen Baubestimmungen dienen der Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen an bauliche Anlagen.125 Sie sind beim Bauen „zu beachten“.126 Die oberste Bauaufsichtsbehörde macht nach Anhörung der beteiligten Kreise durch das Deutsche Institut für Bautechnik zur Durchführung der BauO und der aufgrund der BauO erlassenen Vorschriften die Technischen Baubestimmungen als Verwaltungsvorschrift im Ministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt öffentlich bekannt. (VV TB)127 Ihre konkrete Wirkungsweise bzw. Verbindlichkeit ist umstritten.128 Nach zutreffender Ansicht haben sie die Bedeutung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften.129 Sie haben im Bauordnungsrecht einen sehr breiten Anwendungsbereich.130
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Zumindest im Hinblick auf seine praktische Bedeutung kann auch das Richterrecht als Rechtsquelle i.w.S. (genauer: Rechtsfindungsquelle) angeführt werden, das vor allem weite Bereiche des Bauplanungsrechts prägt (Abwägungslehre, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Drittschutz von Vorschriften etc.).131 Die baurechtlichen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und der sachsen-anhaltischen Verwaltungsgerichtsbarkeit sind heute in der Regel frei und kostenlos im Internet verfügbar.132
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Mit dem Begriff des Baunebenrechts werden Regelungen bezeichnet, die nicht zum Baurecht im formellen Sinne zählen, die aber im Rahmen der Zulassung von Bauvorhaben typischerweise zu beachten sind.133
Bsp.: Denkmalschutz-, Abwasser- und Naturschutzrecht
134135136