Personen:

        Paul G. Olem, Plantagenbesitzer auf Sumatra.
Pola Djojo, seine Tochter.
Dieferle, sein Sekretär.
Albert Stein-Brück, ein reicher Amerikaner.
Komteß Olga v. Tschochenska, eine russische Schönheit.
Max Sülstorff, Bananen-Importeur.
Harry Liefke, sein Sohn.
Curt Dubois, ein russischer Refugié.
Alfred Habel, ein amerikanischer Rekordflieger.
Max Pika, Obsthändler.
Frida Pika, verw. Jeff, geb. Richard, seine Frau.
Pina Jeff, deren Tochter aus erster Ehe.
Max Garis, i. F. Garis Sons, Modeatelier.
Falk von Stein, Polizeiassessor.
Diensfeld, Harrys Diener.
Jan Ning-Holl, Weltdetektiv.
S. Rachitis, Filmmanager.
Erich Schönthaler, Filmregisseur.

 

 

Die Vorbereitung.

I.

Filmschauspieler, die gewöhnt sind, den größten Teil des Jahres als geistige Phänomene, Fürsten, Prinzen, amerikanische Milliardäre, Paganinis, Cowboys, Dubarrys und Lieblingsfrauen von Maharadschas zu leben, empfinden den Rest des Tages, den sie als gewöhnliche Sterbliche in einer Theaterloge, in einem fashionablen Restaurant oder auf dem Sechstagerennen verbringen müssen, beinahe als eine Erniedrigung.

Sie lieben es daher, auch außerhalb des Ateliers Theater zu spielen, was ihnen die Gunst und Neugier des Publikums wesentlich erleichtert. Vom Nebentisch zuschauen zu dürfen, wie ein Filmstar mit seinen beseelten Händen Krebse ißt oder eine Diva mit ihrem dämonischen Lächeln den Sektkelch an die vielgeküßten Lippen führt – das sind für den künstlerisch eingestellten Menschen von heute Augenblicke, in denen er fühlt, daß das Leben trotz aller Mißlichkeiten doch noch wert ist, gelebt zu werden.

Es muß daher nicht unbedingt das Produkt der entfesselten Phantasie eines berüchtigten Schriftstellers sein, was auf den folgenden Seiten hier erzählt wird. Möglich, daß es gar nicht erfunden, sondern wahr ist. Vielleicht, daß den Vorgängen, die sich abrollen wie ein Filmband, ein wahres Erlebnis zugrunde liegt, das ein zu Uebertreibungen neigender Autor ins Groteske verzerrt. Sicher ist: die Vorgänge könnten wahr sein. Darauf allein kommt es an, und allein aus diesem Grunde erhebe ich Anspruch darauf, daß sie mir geglaubt werden.

II.

Es lebte lange nach Kaiser Karl einmal ein großer Dichter Dr. h. c. Johann Wolfgang Gerhart, das Haupt einer schlesischen Familie, der dem deutschen Volke unvergängliche Dichtungen geschenkt, im Alter aber der Metaphysik und dem Snobismus verfallen war. Metaphysik und Snobismus vertragen sich schlecht miteinander. Also geschah es, daß der große Dichter im Klub der deutschen Filmindustrie am 28. August, dem Geburtstage Goethes – was seine metaphysischen und snobistischen Gründe hatte – einen Vortrag über den deutschen Film zu halten gedachte. Goethe hätte das vielleicht auch getan. – Was war näher liegend, als daß man ihm zu Ehren eins seiner eigenen Werke verfilmte? Das scheiterte an dem hohen Preise, den der Dichter für das Verfilmungsrecht forderte. Also mußte man etwas Neues schaffen.

»Wenn schon!« sagte der deutschamerikanische Impresario S. Rachitis, der überall, wo er etwas zu verdienen schnupperte, seine schmutzigen Hände im Spiel hatte. Er trommelte, indem er Berge versprach, ein Dutzend der prominentesten Schauspieler in einem teuren Weinlokale am Zoo zusammen und erklärte:

»Der Gerhart ist ein Dichter, der sich hat den Kopf serbrochen für euch dutzende von Malen, damit ihr habt gute Rollen. Serbrecht ihr euch den Kopf für ihn einmal. Ich sahle alles.«

Und da Künstler Kinder sind, so saßen sie da und zerbrachen sich den Kopf, während S. Rachitis sich entfernte und zu zahlen vergaß.

»Gerhart ist Metaphysiker,« erklärte Albert Stein-Brück. »Was also liegt näher, als daß wir ihm zu Ehren ein Stück von Aristophanes verfilmen.«

Den Zusammenhang verstand – obschon manch einer wußte, wer Aristophanes war – niemand. Aber den Mut, das zu bekennen, fand nur die schwarze Pola, genannt Djojo, die mit viel Temperament Aristophanes für überlebt erklärte und sich leidenschaftlich für Hanns Heinz Ewers und die Verfilmung der Alraune einsetzte.

»Der Dyonisier und der Satanist!« widersprach Paul G. Olem. »Welche Blasphemie!«

Der Regisseur suchte zu vermitteln.

»Vielleicht führt ein Steg vom Himmel in die Hölle,« sagte er und dachte dabei an seinen großen Lehrmeister Reinhart Max, der diesen Steg wiederum von den Japanern übernommen hatte und dafür als Reformator der deutschen Bühne gefeiert wurde – während die Japaner ihrerseits von Reinhart Max die Bühne beherrschen lernten und begeistert riefen: »Die Eselsbrücke ist überwunden! Wir brauchen den Steg nicht mehr!«

»Die Nichte,« also genannt, weil sie mit einem nahmhaften (russische Orthographie) Dichter im sechsten Grade verwandt war, Olga von Tschochenska, plädierte für ein Sujet, das zur Hälfte mondän – sie zeigte den schönen Kopf – zur anderen Hälfte – sie zeigte die noch schöneren Beine – nur die Hälfte davon war. Zwischenstufe, aber ohne seelische Konflikte – möglichst Profil und Boudoir. Betreffs der Reklame verwies sie auf ihren Pressechef.

Curt Dubois, der Epikuräer, rieb sich die Hände, schob den Kopf ein wenig vor, lächelte und sagte:

»Ich – meinerseits – wie ich deutsche Dichter kenne – der Dyonisier hungrig – möchte essen. Geben wir dem Dyonisier ein Souper.« – Er schob sich das Taschentuch unter die Schulter und sagte:

»Vorspeise Tschochenska – Schilddivakrötensuppe – Pot de China mit jungen Pinajeffs – Polabombe mit Putti Fours.«

»Hören Sie auf! entsetzlich!« rief der Regisseur. »Schänden Sie mit Ihrem Blödsinn nicht die Majestät des Geistes! Es handelt sich nicht um einen Bierulk! Es gilt, einen Film zu schaffen! Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gehen Sie in sich. Jeder soll sagen, was er sich in seiner Phantasie erwünscht, ersehnt. Der Reihe nach!«

Albert Stein-Brück wünschte sich, als reicher Amerikaner in Europa zu leben. Olga wäre gern eine wirkliche Komteß, die ihm das Geld abnimmt, während Dieferle erklärte, es sei ihm gleich, wo er lebe, ob mit Geld, ob ohne Geld, wenn er nur in Olgas Nähe wäre. Max Sülstorff wünschte sich, ein angesehener Hamburger Kaufmann zu sein, dessen Geld wiederum Harry Liefke durchzubringen wünschte – und zwar als Sportsman. Curt Dubois erklärte, sein Wunsch sei, in gutem Geruch zu stehen, was einige für eine Liebeserklärung an die herrlich nach Coty duftende Pina Jeff hielten, während der Regisseur meinte, vielleicht wolle er nur einen Koch oder Kellner spielen. Pina selbst erklärte sehr sinnig, sie wolle im Film wie im Leben eine große Rolle spielen, während Max Pika sich als Vegetarier mit einem gut gehenden Obst- und Gemüseladen zufrieden geben wollte. – »Ich mache es nicht unter einer Farm!« rief Paul G. Olem. »Wenn möglich im Stillen Ozean.« – »Nimm mich mit oder adoptier mich!« rief Pola Djojo, »und laß mich deine wilden Ponys reiten!« – Als Letzter verstieg sich Jan Ning-Holl so weit, daß er sich wünschte, Jannings zu sein.

»Und daraus soll ich einen Film machen!« klagte Schönthaler, der Regisseur, und war verzweifelt. »Hat denn nicht einer von euch einen vernünftigen Wunsch?«

In diesem Augenblick rief Pina laut:

»Ober! Haben Sie keine Bananen?«

»Aber ja,« erwiderte der.

»Mir auch!« rief Olga und nach ihr riefen es in kurzen Zwischenräumen die anderen.

»Zwölfmal!« zählte der Kellner, und Pola sagte:

»Eine ganze Plantage!«

»Plan-ta-ge!« wiederholte der Regisseur, warf die Arme hoch und sprang auf.

»Was ist?« fragten die anderen.

Aber Schönthaler hörte nichts mehr. Vor seinen Augen erstand der Film. Noch einmal sagte er – und schien mit seinen Gedanken bereits in einer anderen Welt – halblaut vor sich hin:

»Ba-na-nen-Plan-ta-ge.«

Dann griff er nach Hut und Mantel, warf Geld auf den Tisch und sagte:

»Kommt ins Atelier! Wir drehen! Und jedem von euch wird sein Wunsch erfüllt. Liebe und Bananen! – Auf den Titel hin verkaufen wir den Film, bevor wir anfangen zu kurbeln, für die ganze Welt!«

»Und das Manuskript?« fragte Paul, und der Regisseur erwiderte:

»Ist Nebensache! – Bis wir anfangen, ist es fertig.«

III.

In dem großen Atelier am Zoo hatte Schönthaler sämtliche Räumlichkeiten für den Film gemietet. Als die zwölf Herren und die vier Damen früh um neun Uhr in ihren Autos am Zoo vorfuhren, mühte sich Schönthaler mit Hilfe des Bädekers von Indien und Kaarsberg's Sumatrabuch, die kahlen Räume in eine Bananenplantage zu verwandeln. Auf die Frage eines seiner Mitarbeiter:

»Sumatra oder Ceylon?«

hatte er erst geschwankt, sich dann noch einmal in die beiden Bücher vertieft und, da er die Möglichkeit sah, aus beiden zu schöpfen, erwidert: »Sumatra und Ceylon!«

Dem Einwand des Architekten:

»Das sind doch ganz verschiedene Welten,« begegnete er mit der Behauptung:

»Auf der Landkarte! Im Film nicht! Der verträgt eine Steigerung. Oder sehen Sie vielleicht einer Banane an, ob sie auf Sumatra oder in Ceylon gewachsen ist! Kombinieren Sie! Ich brauche Ebene, Gebirgsabhänge, bewässerte Terrassen und vor allem Palmen und nochmals Palmen. Kokospalmen, Arecapalmen, Kitul- und Talispotpalmen – aber in Blüte! Bambus und ein paar Ravenadas – von jedem etwas.«

Unmöglich! Bedenken Sie, daß Sumatra gar keine . . .«

»Ich spreche von Ceylon. Bauten, Menschen, Trachten, Stimmung beziehen wir aus Sumatra. Wir pfeifen auf das Manuskript! Ich mache es genau wie alle Dramaturgen! Ich entlehne aus Kaarsberg – wörtlich – seitenweise!«

»Aber gerade Ceylon würde . . .«

»Nein! Auf Ceylon leben sechs verschiedene Rassen. Singhalesen, Tamilen, Moormen, Mischlinge, Malayen und Weddas. Wo sollen wir die hernehmen? Das kompliziert! Verteuert! Sumatra vereinfacht. Aber wir können auf Ceylon nicht verzichten, denken Sie an die Verleiher. Wir brauchen außerdem ein paar Javanerinnen mit Sarong, Umhang, braunen Jacken und Shawls. Aber sie müssen tanzen können. Stellen Sie sich vor: ein moderner Gesellschaftsfilm mit Pola, Pina, Liefke, Olga, Jan Ning-Holl – das sind Namen! Ein Film, der von Berlin nach Ceylon, Java und Sumatra hinüberspielt! Die Verleiher werden kopfstehen.«

»Und das wollen Sie alles hier im Atelier drehen?«

»Selbstredend! Um zu finden, was Sie im Atelier auf zwanzig Quadratmetern an typischem, konzentriertem Sumatra zeigen können, müssen Sie in Java tagelang herumreisen.«

Während in den Ateliers noch gebaut wurde, ging in einer der Garderoben Paul G. Olems Wunsch seiner Erfüllung entgegen. Er begann sein Europäertum abzulegen und sich in einen Asiaten zu verwandeln. Ein kleiner schwarzer Herr mit Hornbrille gab die Anweisungen. Paul stand splitternackt.

»Vor allem das Ganze in dunkelbraun,« sagte der Herr mit der Brille – und Paul G. Olems weißer Körper änderte seine Farbe.

»Sie stammen von den Weddas ab,« wandte er sich an Paul, »einem der Urvölker der Erde, das fast ausgestorben ist und nur noch in wenigen Exemplaren im Südosten von Ceylon vorkommt. Ihre Volksgenossen leben vom Ertrag der Jagd mit Bogen und Schlinge. Sie kommen mit keinem anderen Stamm der Insel in Berührung und stehen nur mit den Singhalesen in einer Art Tauschhandel, indem sie das erlegte Wildpret des Nachts an den Saum des Waldes legen und daneben ein Modell des Gegenstandes, den sie dagegen einzutauschen wünschen. Die Singhalesen holen heimlich das Wildpret ab und erfüllen die Wünsche der Weddas.«

»Herr Privatdozent, das interessiert uns nicht,« unterbrach ihn Schönthaler, während er Pauls Körper mit seinem feuchten Zeigefinger betupfte, um sich zu überzeugen, daß das Braun nicht abfärbte. »Sagen Sie lieber dem Coiffeur Bescheid. Trägt er einen Bart? Hat er Haare?«

»Bartlos und das Haar wellig,« erwiderte der Brillenmann. »Im übrigen ist er für einen Wedda zu groß.«

»Hörst du?« brüllte der Regisseur Paul an: »Du bist zu groß!«

»Sehen Sie zu, daß Sie Chaplin bekommen,« erwiderte der, und zu dem Gelehrten gewandt fuhr er fort: »Es hat bestimmt auch einmal unter den Weddas einen Mann gegeben, der so groß war wie ich. Sie brauchen ihn ja nicht gekannt zu haben – und das Publikum auch nicht.«

»Er ist keine reine Rasse! Wie sollte er sonst auch zu einer Plantage auf Sumatra kommen?« vermittelte der Regisseur. »Deine Mutter ist eben ein Mischling.«

»Was?« brüllte Paul. Aber der Regisseur brüllte lauter. »Du stammst aus der Ehe eines Wedda mit einer portugiesischen Frau.«

»Die Weddas mischen sich nicht!« erklärte der Dozent mit aller Bestimmtheit.

»Unsere mischen sich eben. So was kommt in den besten Stämmen vor. Im übrigen hat er die Bananenplantage schon von seinem Vater geerbt.«

»Das geht doch nicht,« widersprach der Dozent.

»Es muß gehen! Dann war dessen Mutter eben auch schon gemischt. Und du, Albert, bist vermählt mit einer Malayin.«

»Das gäbe ja eine furchtbare Rasse!« klagte der Gelehrte und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»So?« brüllte der Regisseur. »Das wollen wir doch mal sehen.« – Er riß die Tür auf und rief: »Pola, wo bleibst du denn? Dein Vater ruft.« – Und als Pola, mit vollendeter Kunst in einen Mischling verwandelt, tänzelnd heranschwebte, wies der Regisseur auf sie und fragte den Dozenten:

»Finden Sie, daß sie so furchtbar aussieht?«

»Wer hat das behauptet?« rief Pola gekränkt und musterte herausfordernd den Dozenten.

»Sie sind eine Eurasierin,« sagte der kleinlaut.

»Was bin ich? Soll das vielleicht eine Beleidigung sein?«

»Sie sind eine Kreuzung . . .«

»Bin ich ein Hund?«

». . . eines Portugiesen mit einer Malayenfrau – aber nie im Leben der Abkömmling eines Wedda.«

»Ob ich von Wedda oder vom Wedding abstamme, ist mir ganz gleichgültig. Hauptsache, ich gefalle. Na – und?« – Sie stellte sich kokett vor Paul hin: »Na, mach schon den Mund auf! Du bist doch sonst so hinter mir her.«

Paul machte nicht viel Worte. Er riß Pola an sich und sagte:

»Du wildes Tier!«

»Halt!« rief Schönthaler. »Paul ist dein Vater! Wie wollt ihr eine Steigerung in den Film hineinbekommen, wenn ihr gleich mit einem Inzest anfangt.«

»Heben wir uns das auf,« erwiderte Paul und ließ Pola, die ihm das mühsam in Wellen gelegte Haar zerzauste, los.

»Du hast mir eine Farm, ein Pferd, einen Mann versprochen,« sagte sie zu dem Regisseur.

»Und halte mein Wort!« erwiderte der. »Geh hinunter ins Atelier, da findest du alles.«

Pola riß die Tür, in die eben Harry Liefke trat, auf:

»Harry, du?« rief sie und warf sich ihm an den Hals. »Liebst du mich noch?«

»Wenn Paul sein Jawort gibt,« erwiderte der. »Er hat das Geld – und die Bananen.«

Da erschien Dieferle, ein Riesenkerl, tiefbraun, ein geflochtenes Käppchen auf dem Kopf und ein sonderbares Zeichen auf der Stirn.

»Bravo!« rief der Dozent. »So sieht ein echter Tamile oder Dravida aus.« – Er wollte ihn eben befühlen, da schob der Dravida ihn unsanft zur Seite, trat dicht an Harry heran und sagte:

»Laß Pola los! Sie gehört mir.«

»Wieso?« fragte Harry.

»Hast du das Manuskript denn nicht gelesen?«

»Ich lasse mich überraschen.«

»Aber nicht von mir! Das kann ich dir raten.« – Er hob die Faust gegen Harry.

»Laß den Unsinn!« rief der Regisseur. »Siehst du denn nicht, daß er schon geschminkt ist?«

»Was kümmert das einen Dravida?«

»Nicht doch!« rief der Dozent. »Die Dravidas sind feige.«

»Im Manuskript steht nichts davon.«

»Im Manuskript steht nie etwas von dem, was man nachher im Film sieht.«

»Pola soll selbst entscheiden!« regte Harry an. Er sah so wenig wie Dieferle, der noch immer drohend vor ihm stand, daß Pola längst am Halse eines Riesennegers hing, der Jan Ning-Holl ähnelte und unbemerkt durch die offene Tür getreten war.

»Ich entscheide mich für euch alle drei!« rief sie – »oder für den, der der Stärkste von euch ist!« – Woraufhin sich Pauls Garderobe im selben Augenblick in einen Boxring verwandelte.

Dieferle lag infolge eines rechten Kinnhakens, den der Neger ihm versetzt hatte, bereits bewußtlos und wurde von Paul, dem Unparteiischen, eben ausgezählt, als der Direktor S. Rachitis in die Garderobe stürzte und rief:

»Regisseur! Die Lampen brennen.« –

Weiter kam er nicht. – Nicht etwa, daß der Anblick des am Boden liegenden Dieferle, den er für tot hielt, ihn rührte! Nicht einen Augenblick lang.

»Gott im Himmel!« schrie er. »Mein Geschäft! Glaubt ihr, ich fabrisiere für die Negerrepublik Haiti!? Ich bin Amerikaner! Ich will Geld verdienen.« – Er sah sie der Reihe nach an: »Gelbe Rasse! Schwarze Rasse! Braune Rasse! Und nicht ein Weißer! Seid ihr meschugge?«

»Der Film ist doch zu Ehren von Gerhart . . .«

»Nix ist er zu Ehren. Oder lebt ihr etwa von der Ehre? Su gesund bei den Gagen! N' Geschäftsfilm is er wie jeder andre. Bin ich ein Schlemihl? Das mit dem Gerhart, dem Dichter – unter uns: habt ihr schon was von ihm gelesen? Ich nich – jedenfalls, das is Reklame. Für die Presse! Ich habe mir gesagt: n' Film su Ehren von Gerhart, den verreißt die Kritik nicht.«

»Aber, Sie zahlen uns für den Film ja gar keine Gagen!« rief Pola.

»Ihr könnt es euch leisten, aus Ehre su spielen. Ich muß Geld verdienen. Im übrigen: wosu macht ihr so dumme Verträge? Hab ich euch geswungen? Ich hab euch gesagt: »Kinder! Der Gerhart is 'n Dichter! Wenn der hält einen Vortrag über den Film, lauscht die ganze Welt. Wenn die ganze Welt lauscht seinem Vortrag, wird die ganze Welt sehen wollen den Film. Was heißt su seinen Ehren? Muß ich das binden jedem auf die Nase? Was geht die Leute Gerharts Ehre an? Was können sie sich dafür kaufen? Nichts! Also werd ich lassen weg die Ehre und werd sagen: »der Johann Wolfgang Gerhartfilm.« – Da werden die Leute glauben, der Film is von ihm und laufen und euch bewundern, und ihr werdet noch berühmter werden, als ihr schon seid, und ich werde Geld verdienen. Aber nix in Schwarz und Braun und Gelb – sondern in Weiß!«

»Aber, Herr Direktor, das Manuskript!« sagte Paul.

»Reden Sie mir nix von Manuskript. Das is geschrieben von so einem Dichter, einem unpraktischen Menschen, der nix in die Welt paßt, damit der Regisseur sieht, wie man eine gute Idee umbringt.«

»Aber, Herr Direktor,« wandte Pola ein, »ich heiße Djojo.«

»Jojo? Wie jiddisch,« erwiderte S. Rachitis.

»Und ich Mardiani,« hauchte Dieferle, der wieder zu Bewußtsein kam.

»Was heißt Mardiani? Ich hab gedacht, Sie sind tot. Sie werden nicht Mardiani heißen, Sie werden heißen – na, wie werden Sie schon groß heißen? – Johann.«

»Aber, Herr Direktor, der Film spielt auf Sumatra oder Ceylon.«

»Nu also! Da macht sich Don Johann doch ausgezeichnet.«

»Herr Direktor meinen Don Juan.«

»Ich mein', was ich sage. Sprechen Sie's aus, wie Sie wollen.«

»Das ist ja doch ein spanischer Name,« meinte Djojo.

»Nu und? Wissen Sie, wo Sumatra liegt?«

»Offen gesagt – nein.«

»Andre werden's auch nicht wissen. Warum soll es also nicht in Spanien liegen? – Ueberhaupt, man legt sich nicht auf ein Land fest. Schließlich weiß doch einer Bescheid – bei den heutigen Verbindungen.«

»Das tun wir ja,« erwiderte Schönthaler. »Ich schöpfe aus Bädeker und Kaarsberg.«

»Kenn ich nich. Ich denke, Sie schöpfen aus Eigenem. Dasu sind Sie Regisseur. Dafür werden Sie besahlt?«

»Erlauben Sie, in diesem Fall arbeite ich . . .«

»Aus Ehre! Ich weiß. Is Ihnen die vielleicht weniger wert als Geld?«

»Mir nicht, Herr Direktor.«

»Nu also! – Das Durcheinander is mir schon ganz recht. Sorgen Sie vor allem for Tempo. Woran scheitern die meisten Films? Daß man den Leuten Seit läßt, nachzudenken. – Meinetwegen nehmen Sie auch meschuggene Namen. Aber ich bitt' mir aus: Unter den Solisten nicht mehr als ein Farbiger.«

»Dann ich!« sagte Paul. »Ich habe drei Stunden dazu gebraucht, um mich in eine andre Rasse zu verwandeln.«

»Und ich um Halfkast zu werden vier!« rief Djojo.

»Weder Ganz- noch Halbkaff!« rief Rachitis. »Knobeln Sie um den Einen! Aber beeilt euch. In sehn Tagen müssen wir aus dem Atelier raus sein. Und denkt daran, für wen ihr spielt – für den Dichter Johann Wolfgang Gerhart!«

»Für Sie!« rief ihm Paul nach. »Für Ihr Portemonnaie.«

S. Rachitis wandte sich um und erwiderte:

»Und wenn ihr durch den Film in Amerika populär werdet und Gagen besieht – sehnfach so hoch wie euer und unser Präsident zusammen – gebt ihr mir was ab? Wie? – Verdient ihr durch mich, warum soll ich nicht durch euch verdienen?«

»Wo verdienen wir schon in Amerika?« fragte Djojo und ahmte seinen Jargon nach.

»Gemacht!« rief Rachitis, hielt Djojo die Hand hin und wandte sich an die andern: »Sie sind meine Seugen.«

»Was . . . ist?« fragte Djojo und zögerte, einzuschlagen.

»Gemacht!« wiederholte Rachitis. »Ich gebe Ihnen für fünf Jahr fünfsig Prosent von der Gage, die Sie in Amerika bekommen und sahle Ihnen außerdem noch für den Film hier swansigtausend Mark. – Na, is das ein Wort – oder ist's keins?«

»Hüte dich!« rief Paul.

Aber Djojo schlug ein und Dieferle, der wieder bei vollem Bewußtsein war, trat auf Rachitis zu und sagte:

»Ich bin bereit, den gleichen Vertrag mit Ihnen zu schließen.«

»Wenn ich mich schon ruiniere, dann mit der Pola, aber nicht mit Ihnen,« erwiderte er und ging hinaus.

»So ein Gauner!« rief Paul – und Rachitis, der schon auf der Treppe war, blieb stehen, lächelte und dachte:

»Wie gut, daß ich das nicht mehr gehört habe.«

IV.

Eine Stunde später brach unten im Atelier der Lärm plötzlich ab.

»Licht!« rief laut eine Stimme.

Die grellen Lampen leuchteten auf.

Ein zweiter Ruf folgte:

»Aufnahme!«

Und der Film entstand, dessen Geschichte ich euch jetzt erzählen werde:

Erstes Kapitel.

Getreu der Schilderung Kaarsbergs war das Atelier in seiner ganzen Breite und Tiefe in eine Landschaft Sumatras verwandelt.

Felder mit Reis und Obi, die in schnurgeraden Reihen gepflanzt und mit Zäunen aus gelbem Bambusrohr eingehegt waren. Hier gingen Malayenmütter vor dem hölzernen Pfluge, den der Mann führte, und die nackten kleinen Kinder saßen im Grase am Wege und spielten mit Schneckenhäusern. Die dunklen Kinder waren dick, hatten strotzende Reismägen und große mexikanische Silbermünzen auf der Brust, Amulette, die sie gegen Seuchen und Lungenkrankheiten schützen. Weiber mit gefüllten, geflochtenen Strohsäcken auf dem Kopf gingen vorüber – in der Richtung auf eins der Batakdörfer, das in einem Hain fruchttragender Bäume und Palmen verborgen lag. Ein nackter, schlanker Knabe trieb eine Herde schwarzer und weißer Buckelochsen vorüber. Plötzlich fing das Vieh an zu laufen, die Kinder sprangen auf und heulten – aus dem Präriegras in der Ferne sah man ein paar struppige Ponys, auf deren ungesattelten Rücken zwei große schlanke Menschen saßen, herangaloppieren. Sie rutschten eben die schroffen Abhänge einer Schlucht hinab und krochen dann eine steile Halde hinauf. Die Reiter waren abgestiegen und hielten sich an den Schweifen der spindeldürren, starkknochigen Klepper fest, die ihre scharfen, unbeschlagenen Hufe in die tiefgetretenen Spuren des Weges hieben. Immer näher kamen sie. Und als sie jetzt an den Kindern vorübergaloppierten, die wie aufgescheuchte Vögel ängstlich aus dem Grase aufflatterten, und an den dunklen Frauen, die neugierig Ausschau hielten und trotz der ermunternden Zurufe ihrer Männer nicht zu bestimmen waren, den hölzernen Pflug weiterzuziehen – da sah man, daß der eine der beiden Reiter eine Frau war – und zwar eine weiße. Sie schien mit dem Pony, das sie mit den in Lederhosen steckenden Beinen fest umschlungen hielt und, ohne die Zügel zu benutzen, antrieb, verwachsen. Alle paar Augenblicke wandte sie sich zu ihrem Begleiter um und rief auf Englisch:

»Tempo! Tempo!«

Woraufhin der sich vergeblich abmühte, sein Pony in schnellere Gangart zu bringen. Wäre die Frau nicht so auffallend jung erschienen und das Tempo ein wenig langsamer gewesen, so hätte man gewiß erkennen können, ob die Reiterin wirklich Pola Djojo war, der sie so ähnlich sah. Die Wahrscheinlichkeit war um so größer, als der weniger ungestüm reitende Begleiter, dessen Abstand von Djojo sich ständig vergrößerte, unverkennbar der lange Dieferle war, den wir ebenfalls bereits kennen gelernt hatten. Auch, daß er der weißen Frau mit zärtlicher Stimme zurief:

»Miß Djojo, ich beschwöre Sie, bleiben Sie bei mir! Denken Sie an die Tiger und Schlangen!« sprach für unsere Vermutung. Einmal konnte Djojo ein Kosenamen sein, und dann war es ja auch möglich, daß das, was sich da vor unseren Augen abspielte, gar keine wahre Begebenheit, sondern ein Film war. Wer vermag das heute noch zu unterscheiden?

Ich setzte eben mein Glas an, um besser zu sehen, da verschwanden die beiden Reiter auch schon in dem hohen Gras, die dunklen Frauen zogen wieder den Holzpflug, und die aufgescheuchten Kinder krochen aus ihren Verstecken hervor und vereinigten sich wieder zu gemeinsamem Spiel.

Die Ponys galoppierten, ohne zu ermüden, durch das hohe Gras. Oft sah man nur die Köpfe der beiden Reiter und für Augenblicke die in die Höhe geworfenen Mähnen der ausdauernden, temperamentvollen Tiere. Auf grüne Savannen folgten wieder dschungelbewachsene Bergrücken. Die Ponys trabten dreist durch reißende Ströme und über versengte Lallangebenen.

Die Sonne stand weiß, blendend und glühend senkrecht über den Köpfen der Reiter, als sie durch die Pforte eines Dorfes ritten. Sie parierten die Pferde vor einem reich bemalten Hause, dessen Giebel mit gekalkten Hirnschalen von Büffeln und Hirschen geschmückt waren. Die weißen Wände waren mit roten Eidechsen bemalt und auf den überhängenden Giebeln waren lebensgroße hölzerne Götzenbilder angebracht.

Der Pungullo des Dorfes, ein starker kräftiger Mann, der unserm Reinhardtschauspieler Homolka verteufelt ähnlich sah, saß auf der obersten Stufe der Bambustreppe seines mächtigen Hauses, verdaute und stocherte mit der Spitze eines meterlangen Schlachtschwerts mit silberbeschlagenem Elfenbeingriff in seinen schwarzen Zahnstümpfen. Als er die beiden Reiter sah, stieß er das Schwert in die Scheide und ging ihnen entgegen. Dieferle, der bis zu diesem Augenblick einen Kopf größer als der Pungullo gewesen war, machte sich so klein, daß er wie ein Zwerg neben ihm erschien. Hatte er eben noch neben der weißen Djojo wie ein Halfkast wider Willen, ja beinah wie ein Europäer gewirkt, so konnte man ihn jetzt für einen Urbewohner von Sumatra halten. Er trat, die eine Hand auf der Brust, die andere auf der Stirn, vor und verbeugte sich unzählige Male tief vor dem mächtigen Herrscher dieses Kampongs, von dem man sich erzählte, daß er in seiner Jugend einen wilden Tiger ohne Waffen abgetan hätte. Und wer Homolka kennt, traut es ihm zu.

Der Pungullo trug einen langen schwarzen Sarong, goldene Armreifen und ein Kopftuch. Eine bunte, mit Perlmutter besetzte Decke, die er sonst über der Schulter trug, hatte er auf die Treppe gelegt.

Er sah Djojo mit seinen stechenden Augen an und stieß einen gellenden Kehllaut aus, den selbst eine stark an Einbildung leidende Frau nicht als Ausdruck des Wohlgefallens auffassen konnte. Es schien vielmehr, daß dieser Ton tiefste Verachtung über die weiße Haut und die zarte Gestalt ausdrückte.

Aber Djojo, an Begegnungen dieser Art gewöhnt, setzte ihr verführerischstes Lächeln auf, tat, als wenn er sie willkommen geheißen hätte und dankte in farbenreichen malayischen Worten für seine Gastfreundschaft.

Aber dieser Pungullo schien wilder und unzugänglicher als alle, denen Djojo bisher begegnet war. Entschlossen zog sie ihre Jacke aus, riß behende ihre kostbaren siamesischen Silberknöpfe ab und reichte sie ihm – während Dieferle noch immer in respektvoller Entfernung stand und sich jedesmal, wenn er glaubte, daß der Pungullo ihn ansah, tief verbeugte.

Der aber wog die Knöpfe in der Faust und lachte bestialisch. Dann blies er in ein poliertes Büffelhorn und befahl einem Jungen, der aus dem Hause kam, sich der ermüdeten Ponys anzunehmen.

Jetzt gab er Djojo ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie gingen um das Haus herum. Da stand eins von seinen Weibern und kochte ein Ferkel in Wasser und Reis und servierte es in einer mächtigen rußigen Metallschüssel. Der Pungullo aß mit den Fingern und lutschte an den fetten Knochen wie ein Kind an einer Zuckerstange.

Djojo aber öffnete eine Ledertasche, die sie um den Hals trug, und servierte eine ganz europäisch zubereitete Mahlzeit, bestehend aus gekochten Eiern, gebratenen Hühnern, Brot, Butter, Salz und einer Flasche Wein. Sie reichte Dieferle Serviette und Besteck, aber der Pungullo schlug sie ihm aus der Hand und wies auf die Metallschüssel, so daß dem verängstigten Halfkast gar nichts anderes übrig blieb, als unter Verzicht seiner europäischen Hälfte nach Art seiner malayischen Vorfahren mit den gepflegten Händen in die Schüssel zu greifen und ein Riesenstück Schweinefleisch herauszufischen. Behutsam erst und scheinbar mit Widerwillen gab er sich dieser ungewohnten Mahlzeit hin. Dann aber meldete sich das Blut seiner Ahnen – und er machte sich über die Schüssel her. Der Pungullo und Djojo schüttelten sich vor Lachen. Aber es störte ihn nicht. Djojo bot ihm ein Glas mit Wein. Dieferle jedoch griff gierig nach der Flasche und wollte sie in einem Zuge heruntergießen. Der Pungullo riß sie ihm aus der Hand, erbat von Djojo das Glas, wandte sich zu ihm und sagte:

»So trinkt ein Halfkast!«

setzte das Glas an und leerte es. Das belustigte wiederum Djojo. Sie reichte dem Pungullo ein Besteck und unterwies ihn im Essen. Etwas plump, aber nicht ungeschickt verzehrte der das für Dieferle bestimmte Huhn.

Djojo sagte voller Ausgelassenheit zu dem Pungullo:

»Ueberlaß ihm dein Dorf und komm statt seiner als Sekretär meines Vaters auf unsere Bananenfarm!«

Der Pungullo brüllte vor Lachen, aber Dieferle erschrak, warf einen Riesenknochen, an dem er eben nagte, in die Schüssel zurück, sprang auf und versuchte, sich in einen Europäer zurückzuverwandeln. Er wusch sich in einer Art Tümpel am Haus und brachte seine Kleidung in Ordnung. Djojo bereitete inzwischen mit großem Geschick dem Pungullo seine flachköpfige, langröhrige Metallpfeife. Als er sie bat, sie ihm auch anzurauchen, da stutzte sie einen Augenblick, nickte dann, wandte sich um, sagte: »Der Wind!«, zog blitzschnell und ohne daß er es sah, ihr kleines Taschentuch hervor, wickelte es um das Mundstück der Pfeife und zündete sie an. Alles das dauerte ein paar Sekunden. Dann wandte sie sich wieder zu ihm um und schob ihm die brennende Pfeife zwischen die schwarzen Zahnstummel.

»Die Pferde!« rief sie – und der Junge brachte die Ponys. Sie warf ihm ein Päckchen Tabak zu, das er sofort zu essen begann. Dann reichte sie dem Pungullo, der in rosigster Laune war, die Hand, er wollte sie aufs Pferd heben, aber sie saß schon drauf, winkte und raste davon. Dieferle, dem der Pungullo vor Heiterkeit ein paar kräftige Schläge auf den Rücken versetzte, sank in die Knie, stieg auf das Pony und galoppierte hinterdrein.

Der Pungullo rief ihnen nach, sah das Taschentuch Djojos, das sie um die Pfeife gewickelt und dann fortgeworfen hatte, hob es behutsam auf, führte es an das Gesicht, lächelte beinah mild und verbarg es in seinem schwarzen langen Sarong. –

»Bravo, Homolka!« rief der Regisseur. »Lampen aus!«

Zweites Kapitel.