Die Perserkriege
Für Maria und Alexander
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch
die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Umschlagabbildung: Persischer Reiter. Vasenmalerei des 5. Jhs. v. Chr.
Foto: akg-images.
Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim
Layout, Satz und Prepress: Lohse Design, Heppenheim
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23973-3
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-71401-8 (für WBG-Mitglieder)
eBook (epub): 978-3-534-71403-2 (für WBG-Mitglieder)
|5|Inhalt
Einleitung
1. KAPITEL Die Quellen
2. KAPITEL Das persische Großreich
3. KAPITEL Die frühen Griechen in Kleinasien
4. KAPITEL Der Ionische Aufstand
5. KAPITEL Der erste persische Angriff auf Griechenland
6. KAPITEL Xerxes rüstet zum Krieg
|6|
7. KAPITEL Griechenland zwischen den Kriegen
8. KAPITEL Die Schlacht an den Thermopylen und am Kap Artemision
9. KAPITEL Die Schlacht von Salamis
10. KAPITEL Das Ende der persischen Invasion
11. KAPITEL Welthistorische Perspektiven?
ANHANG Literaturhinweise und Anmerkungen
Bibliographie
Register
Abbildungsnachweis
|7|
Einleitung
Man stelle sich das folgende Szenario vor: Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges beschließen die baltischen Staaten einen Aufstand und fordern ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Um militärische Unterstützung für dieses Unterfangen bitten sie die Schweiz und Österreich, und tatsächlich schicken die Österreicher – während die Schweizer neutral bleiben – ein kleines Truppenkontingent, das sich nach der ersten militärischen Niederlage freilich gleich wieder nach Hause zurückzieht. Der Aufstand scheitert schließlich. Die Sowjetregierung will die auswärtige Einmischung in ihre Angelegenheiten allerdings nicht auf sich beruhen lassen und schickt einige Zeit später eine Invasionsarmee nach Österreich. Nun geschieht das Unglaubliche: Dem österreichischen Bundesheer gelingt es, in einer einzigen Schlacht die Angreifer zurückzuschlagen und zum Abzug zu zwingen.
Wir wollen dieses Spiel nicht weiter auf die Spitze treiben, denn dieser Vergleich hinkt – wie fast jede historische Analogie – natürlich in vielerlei Hinsicht. Er verdeutlicht aber für den modernen Leser die Größen- und Machtverhältnisse und den –zumindest auf den ersten Blick – unerwarteten Ausgang der griechisch-persischen Auseinandersetzungen vom sogenannten „Ionischen Aufstand“ bis zur Schlacht von Marathon. Der militärische Konflikt zwischen den Griechen und dem Achaimenidenreich zählt zu den bedeutsamsten, meistrezipierten und meistdiskutierten kriegerischen Auseinandersetzungen der Weltgeschichte. Er begann mit der Eingliederung der ionischen |8| Küstenstädte in das Persische Reich um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr., erreichte mit einer Erhebung dieser Städte, dem schon erwähnten„Ionischen Aufstand“,sowie den persischen Angriffen auf das griechische Mutterland unter den Großkönigen Dareios (490 v. Chr.) und Xerxes (480/79 v. Chr.) erste Höhepunkte, erlebte dann unter umgekehrten Voraussetzungen, das heißt in Gestalt griechischer Offensivaktionen gegen das Perserreich (etwa durch den Attisch-Delischen Seebund oder durch das lakedaimonische Heer unter der Führung des Agesilaos) und wiederholter persischer Einflussnahme – vor allem durch den Einsatz von Finanzmitteln –auf die griechische Politik seine Fortsetzung und fand schließlich in der Eroberung des Achaimenidenreiches durch ein griechisch-makedonisches Heer unter der Führung Alexanders des Großen in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. seinen Abschluss.Die erste Phase der griechisch-persischen Konflikte bis 479 v.Chr. (Schlachten bei Plataiai und Mykale) wird im Folgenden genauer betrachtet.
In diesem Zusammenhang muss es auch um die historische Bewertung der Perserkriege gehen. Der Erfolg, den die Griechen bei der Verteidigung ihrer Heimat erringen konnten, wurde nicht nur im antiken Hellas euphorisch gefeiert, sondern er wurde auch bis in heutige Zeit immer wieder als Sieg des Westens über den Osten, als Triumph der Freiheit über die Despotie hochstilisiert. Die Perserkriege wurden als entscheidender Zusammenprall der Kulturen, als erfolgreicher Existenzkampf des Griechentums, Europas, ja des Abendlandes überhaupt betrachtet, der griechische Sieg entsprechend als „Geburtsstunde Europas“angesehen. Einige aktuelle Beispiele, die von dieser ideologischen Überhöhung der Perserkriege Zeugnis ablegen, mögen an dieser Stelle genügen: Der bekannte amerikanische Althistoriker BARRY STRAUSS bezeichnete das Gefecht im Sund von Salamis etwa im Titel seiner vor einigen Jahren erschienenen populären Darstellung dieses Kampfes als „Seeschlacht, die die westliche Zivilisation rettete“, und PAUL CARTLEDGE, Professor für Griechische Kultur an der Universität Cambridge, charakterisierte die Schlacht an den Thermopylen, eigentlich eine griechische Niederlage, als „Schlacht, die die Welt veränderte“. Dem britischen Sachbuchautor TOM HOLLAND schließlich gelang es im Vorwort seiner ungemein populären Darstellung der Perserkriege sogar, eine Brücke von den griechisch-persischen Auseinandersetzungen über die Kreuzzüge bis hin zum islamistischen Terror der al-Quaida zu schlagen. Solche Parallelisierungen sind jedoch bedenklich.
Die universalgeschichtliche Bedeutung des griechischen Triumphes muss differenzierter betrachtet werden. Eine Zuspitzung des Konfliktes auf Schlagwörter |9| wie „westliche Freiheit“gegen „orientalische Despotie“, wie sie oft vorgenommen wird, wird den historischen Verhältnissen jedenfalls sicherlich nicht gerecht. Im letzten Kapitel wird darauf noch einmal einzugehen sein.
Ziel des vorliegenden Buches ist es, nicht nur einen kompakten Überblick über die Kriegsereignisse zu geben sowie diese in ihren historischen Kontext einzubetten (und damit gleichzeitig eine knappe Einführung in die Kulturgeschichte Griechenlands in archaischer Zeit sowie in die Grundzüge der persischen Kultur zu bieten), sondern auch – soweit dies die Quellen zulassen – der persischen Seite gerecht zu werden und so manche nicht haltbare Stereotype und Vorurteile, die –selbst in modernen Darstellungen –das Perserbild und die Wahrnehmung der griechisch-persischen Konflikte verzerren, zu widerlegen.
Die vorliegende Darstellung wendet sich in erster Linie an interessierte Laien. Sie setzt daher keinerlei Kenntnisse voraus und versucht, Fachjargon möglichst zu vermeiden sowie alles eventuell Unklare zu erklären. Besonderer Wert wird darauf gelegt, die antiken Quellen selbst „sprechen zu lassen“. Zahlreiche, oft lange Zitate griechischer und römischer Geschichtsschreiber sowie griechischer Inschriften in deutscher Übersetzung sollen den Leser mit jenen Zeugnissen vertraut machen, die die Grundlage unseres Wissens über die Epoche der Perserkriege bilden.
Um die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen, wurde im Darstellungsteil auf Anmerkungen verzichtet. Diese finden sich hinten in einem knappen kommentierten Anmerkungsteil. Die dort ebenfalls aufgelistete Forschungsliteratur ermöglicht es, Quellenprobleme und Forschungsdiskussionen nachzuvollziehen, die in diesem Rahmen nicht dargestellt beziehungsweise ausführlicher diskutiert werden können.
Wie bei jeder althistorischen Studie kommt der Frage nach der Schreibweise von Eigennamen eine besondere Problematik zu. Im vorliegenden Band werden (fast) alle Eigennamen möglichst eng nach der griechischen Schreibweise wiedergegeben; im Fall bekannter Persönlichkeiten, deren „eingedeutschte“ Namen allgemein bekannt und verbreitet sind, wurde darauf aber verzichtet (z.B. Herodot statt Herodotos).
Für die Durchsicht des gesamten Manuskriptes bedanke ich mich herzlich bei Oliver Schipp, für die Korrektur einzelner Teile des Buches bei Jörg Weilhartner, Manuel Tröster und Olivier Gengler. Alle verbliebenen Unzulänglichkeiten sind allein dem Autor anzulasten.
Gewidmet ist das Buch meinen beiden Kindern Maria und Alexander.
|10|
|13|
1. KAPITEL
Die Quellen
Am Beginn jeder historischen Darstellung muss die Frage nach den Quellen stehen, auf denen sie beruht, denn nur auf der Grundlage einer gut abgesicherten Quellenbasis kann eine fundierte Rekonstruktion geschichtlicher Ereignisse versucht werden. Wo keine verlässlichen Zeugnisse zur Verfügung stehen, endet die Zuständigkeit des Historikers und beginnt jene des Dichters. Gerade bei der Beschäftigung mit den Perserkriegen ist die Frage nach den Quellen von außerordentlicher Bedeutung. Bei der Beurteilung der mit dieser Auseinandersetzung verbundenen Ereignisse sind wir nämlich in besonderem Maße von einer einzigen Quelle abhängig: dem Geschichtswerk des Herodot.
Herodot
Über das Leben dieses Mannes sind wir im Grunde leider nur recht unzureichend informiert, doch ist immerhin bekannt, dass er in Halikarnassos, einer dorischen Stadt an der Südwestküste Kleinasiens,geboren wurde. Seine Familie, zu welcher der Ependichter Panyassis zählte, hatte karische Wurzeln und gehörte wohl zur lokalen Aristokratie. Vermutlich nach einem gescheiterten Versuch, den in Halikarnassos regierenden Tyrannen Lygdamis zu stürzen, musste Herodot seine Heimatstadt verlassen. Er begab sich nun nach Samos;|14| das besondere Verhältnis zu dieser Insel ist in seinem Werk unverkennbar. Als nach einigen Jahren Lygdamis tatsächlich entmachtet werden konnte, kehrte Herodot für kurze Zeit nach Halikarnassos zurück, musste die Stadt aber offenbar aus politischen Gründen bald wieder verlassen. Er unternahm nun, wie freilich nur aus den Angaben in seinem Geschichtswerk zu erschließen ist, ausgedehnte Reisen, die ihn nicht nur in zahlreiche Orte Griechenlands und Kleinasiens, sondern auch nach Afrika in die Kyrenaika und nach Ägypten, nach Vorderasien, wo er anscheinend bis Babylon reiste, in den Schwarzmeerraum, nach Makedonien, Thrakien und das Land der Skythen führten. Genauer Umfang und Chronologie der herodoteischen Reisen sind in der altertumswissenschaftlichen Forschung durchaus umstritten, es wurden sogar grundlegende Zweifel an ihrer Historizität geäußert. Diese scheinen freilich nicht angebracht zu sein. Allerdings hat Herodot die küstennahen Kulturzonen nur selten verlassen. Interessanterweise ist er auch nie in die persischen Kernlande gereist. Der Grund für die Reisetätigkeit des Herodot lag wohl in seiner Neugier und dem Wunsch, andere Länder und ihre Bewohner kennen zu lernen. Für die Entstehung seines Geschichtswerkes waren diese Reisetätigkeit und die vor Ort unternommenen Nachforschungen jedenfalls von grundlegender Bedeutung.
Eine wichtige Station in Herodots Leben war sein Aufenthalt in Athen in den 40er-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr., das zu dieser Zeit der politische und kulturelle Mittelpunkt der griechischen Welt war. Hier trug er aus seinem Werk vor und stand in Verbindung mit den Geistesgrößen jener Epoche, so etwa mit dem Dichter Sophokles, der sogar eine Ode auf den Historiker verfasst haben soll. Ob Herodot sich freilich im engeren Kreis des Perikles, des politisch maßgeblichen Mannes in Athen, bewegt hat, wie oft vermutet wird, muss unsicher bleiben. Sicher wissen wir dagegen, dass Herodot – zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt – in die im Jahre 444/43 v. Chr. von Athen gegründete panhellenische Kolonie Thurioi ging, die vom berühmten Städteplaner Hippodamos von Milet entworfen gewesen sein und vom bekannten Sophisten Protagoras von Abdera ihre Verfassung erhalten haben soll. Dort ist er – der antiken Überlieferung zufolge – auch gestorben. Sein Todesdatum kann wiederum nur aus seinem Geschichtswerk, das in der vorliegenden Form offensichtlich zwischen 430 und 425 v. Chr. vollendet wurde, erschlossen werden.
Dieses Werk ist in neun Bücher gegliedert, die nach den Musen (Klio, Euterpe, Thalia, Melpomene, Terpsichore, Erato, Polyhymnia, Urania, Kalliope)|15|, den neun Schutzgöttinnen der Künste, benannt werden. Diese Einteilung geht freilich nicht auf den Autor selbst zurück, sondern stellt eine Gliederung durch Philologen der hellenistischen Zeit in Alexandreia (vielleicht durch Aristarchos von Samothrake) dar. Die Darstellung wird heute als Historien betitelt, Herodot selbst nennt sie im ersten Satz des Werkes eine historíes apódexis, eine „Darlegung der Erkundung“,und gibt gleichzeitig sein Ziel bekannt, nämlich die großen Leistungen der Menschheit vor der Vergessenheit zu bewahren, egal ob sie von Griechen oder Barbaren vollbracht wurden, wobei sein engeres Thema die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Barbaren sein sollte.
Während die ältere Forschung davon ausgegangen war, dass die geographischen und ethnographischen Exkurse als eigenständige Werke am Anfang der schriftstellerischen Tätigkeit des Herodot gestanden hätten und dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt den Plan, den Verlauf der Perserkriege zu beschreiben, gefasst und daraufhin die einzelnen Werkstücke im Laufe der Zeit zu einem (ca. 484–425 v.Chr.). Marmorbüste, Ganzen zusammengefügt habe, hat sich 1. Hälfte 4. Jh. v.Chr. inzwischen zu Recht die Ansicht von der einheitlichen Konzeption des Werkes durchgesetzt.
Abb. 1: Bildnis des Herodot; griechischer Geschichtsschreiber (ca. 484–425 v. Chr.). Marmorbüste, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
Herodot verweist an manchen Stellen weit in die mythische Vorzeit zurück und blickt gelegentlich bis in die ersten Jahre des Peloponnesischen Kriegs (431–404 v.Chr.) voraus, der eigentliche von ihm behandelte Zeitraum umfasst aber die 80 Jahre von 560 bis 479 v. Chr. Er beginnt seine Darstellung |16| mit der Geschichte des Volks der Lyder und deren König Kroisos, weil dieser mit den „Feindseligkeiten gegen die Griechen begann“. Dann bilden die Geschichte des Perserreiches und die Abfolge der vier persischen Könige Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes den roten Faden der Erzählung, in die freilich Unmengen an historischen, geographischen und ethnologischen Einzelheiten über verschiedenste Völker eingefügt werden. Diese Exkurse, die sogenannten Logoi, werden stets an der Stelle eingebaut, an der die Perser im Zuge ihrer Expansionspolitik mit den jeweiligen Völkern in Kontakt treten. Am bekanntesten ist dabei der sogenannte Ägyptische Logos,der das gesamte zweite Buch der Historien umfasst. Diese Schilderung der Geschichte, Landeskunde und Kultur des Nillandes wird bei der Darstellung der Eroberung Ägyptens durch den persischen König Kambyses eingeschoben. In gleicher Weise findet sich der sogenannte Skythische Logos im vierten Buch, in welchem Herodot die Sitten und Gebräuche der Reiternomaden an der nördlichen Schwarzmeerküste schildert, im Rahmen des Berichts vom Skythenkrieg des Königs Dareios.
Die Griechen und deren Auseinandersetzung mit dem Perserreich bilden ab dem fünften Buch, in welchem mit der Schilderung des Ionischen Aufstands begonnen wird, das Hauptthema der Schrift. Das sechste Buch behandelt die Geschehnisse des ersten Jahrzehnts des 5. Jahrhunderts v. Chr. vom Fall Milets über den ersten Griechenlandfeldzug des Mardonios und die Invasion unter Datis und Artaphernes bis zur Schlacht von Marathon. Mit dem siebten Buch kommt das Werk zu seinem Höhepunkt, dem Feldzug des Xerxes. Geschildert werden die Kriegsvorbereitungen, der Zug des persischen Heeres und die ersten Gefechte bis zur Schlacht an den Thermopylen. Die Kämpfe bei Kap Artemision bilden den Beginn des achten Buches, das weiter von der Schlacht von Salamis, dem Rückzug der Perser und der Heimkehr des Großkönigs handelt. Im neunten und letzten Buch schließlich ist vom Zug des Mardonios, dem griechischen Triumph in der Schlacht von Plataiai sowie den darauf folgenden Ereignissen in Kleinasien (Schlacht von Mykale) die Rede. Am Ende des Werkes steht dann die Schilderung der Belagerung der Stadt Sestos.
Die Vielfalt des behandelten Stoffes bedingt die verwirrend komplexe Struktur der Schrift.Taten und Werke von Griechen und Barbaren, Beschreibungen von Landschaften, Sitten, Gebräuchen und religiösen Vorstellungen, all das vereinigt das Werk zu einer umfassenden Erzählung.Herodot ist dabei ein ständig präsenter Erzähler, der durch wiederholte Vorgriffe und Rückverweise |17| Ordnung in seine Darstellung bringt, der nicht allwissend ist (und dies auch einräumt) und der gleichzeitig seinen Lesern Einblicke in die Gedanken und die Gefühlswelt seiner Protagonisten gibt, über die er bisweilen deutliche Urteile fällt. Eine Reihe typischer, immer wiederkehrender Leitmotive wirkt einheits- und sinnstiftend. Herodot geht davon aus, dass eine höhere Macht über dem Geschehen, dessen Verlauf weitgehend vorherbestimmt ist, waltet. Alles, was geschieht, ist durch ständigen Wandel gekennzeichnet; jeder Aufstieg trägt bereits den Keim des Abstiegs in sich.
Der Stil des Herodot, der die einfache Erzählung mit der Wiedergabe direkter Reden verbindet (was in der antiken Geschichtsschreibung durchaus geläufig ist), der den roten Faden seiner Darstellung immer wieder verlässt, um dann aber stets wieder zu ihm zurückzukehren, der die zahlreichen Exkurse, Anekdoten und Novellen aber keinesfalls willkürlich einstreut, verdankt vieles dem epischen Vorbild Homers (und wohl auch dem seines Onkels Panyassis). Insofern kann Herodot als ein durchaus „homerischer“Geschichtsschreiber betrachtet werden; genauso weist er aber auch deutliche Einflüsse der attischen Tragödie auf.
Die Quellen, auf die sich Herodot bei seiner Darstellung der Vergangenheit stützte, sind vor allem mündlicher Natur. Er beschrieb, was er selbst gesehen hatte (Autopsie) und was ihm andere berichteten. Dabei übernahm er nicht kritiklos alles, was ihm zugetragen wurde, sondern versuchte abzuwägen, wie sich bestimmte Begebenheiten tatsächlich abgespielt haben könnten. Charakteristisch ist es, dass Herodot oft mehrere einander widersprechende Varianten überliefert. Manchmal trifft er nach reiflicher Überlegung eine Entscheidung, manchmal überlässt er diese den Lesern und beschränkt sich darauf, das Gehörte zu referieren, ohne dieses selbst glauben zu müssen. Meist stützte sich Herodot auf kollektive Erinnerungen griechischer und barbarischer Städte und Völker. Neben einer Vielzahl anonymer Zitate stehen nur einzelne Nachrichten individuell benannter Gewährsleute. Über die mündlichen Nachrichten hinaus zog der Geschichtsschreiber Kunstdenkmäler als Quellen heran sowie persische, ägyptische, babylonische, lydische und griechische Inschriften, die in Einzelfällen sogar aufgefunden werden konnten (z. B. die berühmte Schlangensäule von Delphi, von der noch eingehender die Rede sein wird). Auch die frühen Dichter (z. B. Homer, Hesiod, Archilochos, Sappho, Simonides oder Pindar) wurden von Herodot herangezogen und ausgewertet, ebenso Sammlungen von Orakelsprüchen. Inwieweit er freilich andere Prosaautoren benutzt hat, ist in der altertumswissenschaftlichen Forschung |18| umstritten. Mit einiger Sicherheit scheint dies nur beim Werk des Hekataios der Fall zu sein.
Dieser Hekataios stammte aus dem kleinasiatischen Milet und wurde in den 50er-Jahren des 6. Jahrhundert v.Chr. als Mitglied der lokalen Aristokratie geboren (sein Todesjahr ist unbekannt). Dass er auch politisch tätig war, entnehmen wir dem Geschichtswerk Herodots, der ihn als einen politischen Ratgeber des Tyrannen Aristagoras im Rahmen des Ionischen Aufstandes nennt; nach dem –freilich nicht ganz verlässlichen – Zeugnis des Diodor sollen ihn die Milesier nach der Niederschlagung dieses Aufstande sogar als Unterhändler zum persischen Satrapen Artaphernes gesandt haben. Auch Hekataios unternahm Forschungsreisen, die ihn unter anderem bis nach Ägypten führten. Als Ergebnis dieser Reisen, aber auch unter Heranziehung älterer Literatur, hat er zwei Werke verfasst: einerseits eine nur fragmentarisch überlieferte Beschreibung der Welt in zwei Büchern zusammen mit einer nicht erhaltenen Weltkarte und andererseits ein meist als Genealogoi („Stammbäume“) bezeichnetes und in nur wenigen Fragmenten auf uns gekommenes historisches Werk, das etwa den Versuch unternimmt, die mythologische Überlieferung einer rationalen Kritik zu unterziehen, denn die überlieferten Geschichten schienen ihm, wie er am Beginn dieses Werkes schrieb, „zahlreich und lächerlich zu sein“. Ob man Hekataios allerdings als ersten Historiker bezeichnen oder ihm lediglich das Setzen eines ersten Schrittes in Richtung zur Entwicklung einer kritischen Geschichtsschreibung zugestehen will, ist Auslegungssache. Auf seinen Nachfolger Herodot übte Hekataios jedenfalls nachhaltigen Einfluss aus.
Kehren wir damit aber zu eben diesem Herodot zurück, dessen Glaubwürdigkeit bereits in der Antike des Öfteren bezweifelt wurde. Schon Thukydides, der am Beginn einer quellenkritischen Zeitgeschichtsschreibung steht, distanziert sich im sogenannten Methodenkapitel im ersten Buch seines Werkes von der Quellenbenutzung seines Vorgängers, ohne diesen freilich namentlich zu nennen. Selbst Cicero, der dem Halikarnassier den Ehrentitel des „Vaters der Geschichtsschreibung“ (pater historiae) zuerkannte, räumte ein, dass dieser unzählige erfundene Geschichten (fabulae) erzähle. Der jüdische Historiker Josephos bezichtigte ihn des vielfachen Irrtums, und der Poikilograph (Buntschriftsteller) Aulus Gellius nannteHerodot in seinen Attischen Nächten einen fabulator.
Auch die moderne Forschung hat sich immer wieder kritisch mit dieser Frage beschäftigt. Radikale Ansätze, die an jeder Reisetätigkeit des Geschichts |19| schreibers zweifeln, alle Quellenangaben in den Historien als erfunden verwerfen und sogar den Großteil des Werkes als Fiktion eines unzuverlässigen Fabulierers betrachten, müssen freilich abgelehnt werden.
Selbstverständlich findet sich im Geschichtswerk des Herodot, insbesondere in den ersten Büchern, die der Frühzeit und den Sitten und Gebräuchen fremder Völker gewidmet sind, viel Phantastisches und Unglaubwürdiges, auch manches, das der Geschichtsschreiber gar nicht wissen konnte. Diese Passagen erfüllen innerhalb des Werkes jedoch häufig einen wichtigen Zweck, indem sie die Geschichtsphilosophie und die Weltsicht Herodots vermitteln. An vielen Stellen referiert Herodot auch weniger authentische Informationen als vielmehr Projektionen griechischer Vorstellungen. Doch wäre es verfehlt, die Historien allein nach den Maßstäben der modernen Historiographie zu beurteilen, da dies dem rhetorischen und dichterischen Charakter der von Herodot (mit)begründeten antiken Geschichtsschreibung, die sich immer in bestimmten Bahnen bewegen musste, nicht gerecht würde. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass freies literarisches Gestalten nicht unbedingt das Bemühen um die Übermittlung wertvoller historischer Informationen ausschließt. Keinesfalls darf man Herodot unterstellen, seine Leser in böser Absicht täuschen und in die Irre führen zu wollen. Zu Recht wurde ihm allerdings bereits in der Antike vorgeworfen, dass er einerseits Größe und Struktur des Perserreiches nur unzureichend kannte, und dass er andererseits selbst über keinerlei militärische Erfahrungen verfügte und als Zivilist kein tieferes Verständnis für militärische Belange und auch kein besonderes Interesse an diesen besaß. Auch warf man ihm Parteilichkeit vor; bekannt sind etwa die Angriffe des Plutarch in dessen Werk Über die Bösartigkeit des Herodot, die freilich vor dem lokalpatriotischen Hintergrund Plutarchs zu sehen sind. Während sich die negativen Gefühle gegen die ionischen Griechen, welche ihm die moderne Forschung unterstellt hat, bei näherer Betrachtung nicht nachweisen lassen, trifft es aber zu, dass er die Rolle Athens und einzelner athenischer Protagonisten in besonderem Maße herausstreichen wollte. Und es finden sich im Werk des Herodot ohne Zweifel pejorative Wertungen (etwa gegen die Korinther), die durch die politische Situation der Abfassungszeit der Historien bedingt sind.
|20|
Weitere Quellen
Neben dem herodoteischen Geschichtswerk sind für die Beschäftigung mit den Perserkriegen andere literarische Quellen nur von untergeordneter Bedeutung, denn sie hängen – von einzelnen Details abgesehen – weitgehend von Herodot ab und können kaum dazu verwendet werden, die Angaben des Halikarnassiers zu korrigieren beziehungsweise abweichende Perspektiven und Beurteilungen zu liefern.
Das gilt auch für den Athener Thukydides (um 460 – kurz nach 400 v.Chr.), der eine unvollendet gebliebene, bei der Schilderung der Ereignisse des Jahres 411 v. Chr. unvermittelt abbrechende Geschichte des Peloponnesischen Krieges verfasste, in der er die eigentlichen Perserkriege im ersten von acht Büchern nur en passant behandelt (1,25). Dass Thukydides diese Auseinandersetzungen nur so kurz streift, hat seinen Grund natürlich auch darin, dass er sein eigenes Thema umso mehr herausstellen möchte. Denn im Vergleich mit dem Peloponnesischen Krieg, der fast drei Jahrzehnte andauerte und so viel Leid über die ganze griechische Welt brachte, verblassten –zumindest seiner Ansicht nach –alle früheren Konflikte, nie habe es so viel Blutvergießen und Eroberungen von Städten gegeben, während der Perserkrieg in zwei Seeschlachten und zwei Schlachten zu Land eine rasche Entscheidung gefunden habe (Thukydides 1,23). Wertvoll ist die Schrift des Thukydides als Quelle für die griechisch-persischen Beziehungen während des Peloponnesischen Krieges; insgesamt scheint der athenische Historiker aber wenig Kenntnis von den Persern und kaum Einblicke in die Organisation ihres Staates besessen zu haben.
Ein bemerkenswertes und auch kurioses Werk stellen die Persika des Ktesias von Knidos dar.Dieser gab vor, als Arzt am Hofe des persischen Großkönigs Artaxerxes II. tätig gewesen zu sein. Er verfasste neben anderen Schriften ein Werk in 23 Büchern, das sich mit den Taten der Assyrer, Meder und Perser beschäftigte. Es ist zwar verloren, doch hat der byzantinische Patriarch Photios (9. Jh. n. Chr.), einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, eine Kurzfassung (Epitome) der Bücher 7–23 überliefert. Ktesias stellt sich in scharfe Opposition zu Herodot, nennt diesen einen Lügner und Märchenerzähler und berichtet oftmals genau Entgegengesetztes.So setzt Ktesias etwa die entscheidende Seeschlacht von Salamis chronologisch nach die Schlacht von Plataiai! Was ist davon zu halten? Hatte Ktesias, der vor allem ausführlich die Intrigen am persischen Königshof schildert, durch seine angebliche Tätigkeit ebendort |21| Einblicke, die Herodot verwehrt waren? Überliefert die Schrift des Knidiers von den herodoteischen Historien abweichende zeitgenössische Alternativversionen? Wohl kaum! Es ist schon vor langer Zeit richtig erkannt worden, dass Ktesias, dessen vorgebliche Biographie kritisch hinterfragt werden muss, seine Erzählungen aus dem Werk Herodots konstruiert hat. Er überliefert keine unabhängigen Traditionen, sondern treibt sein literarisches Spiel mit den herodoteischen Historien. Ob er damit rechnete, dass der Leser dies durchschauen und darüber belustigt sein würde, wie das jüngst vermutet wurde, muss meines Erachtens bezweifelt werden, wenngleich davon auszugehen ist, dass viele antike Leser mit der Version des Herodot vertraut waren. Vielmehr wollte Ktesias wohl durchaus als ernsthafter Historiker anerkannt werden, und diese Anerkennung ist ihm in der Antike teilweise auch zuteil geworden.
Ebenfalls ein Werk mit dem Titel Persika sowie eine Geschichte nach Dareios – wobei es sich hier um zwei unterschiedliche, für dasselbe Werk überlieferte Titel handeln könnte – schrieb, wohl im frühen 5. Jahrhundert v. Chr., der weitgehend obskure Geschichtsschreiber Dionysios von Milet. Wohl zu Unrecht wurde vielfach vermutet, dass sich Herodot in seiner Darstellung auf das Werk des Dionysios gestützt haben könnte. Dionysios gehört jedenfalls zu einer Reihe von Autoren des 5. Jahrhunderts v. Chr., die sich, motiviert durch den persischen Angriff auf Griechenland, der somit als Initialzündung der antiken Geschichtsschreibung betrachtet werden kann, mit den Gegnern der Hellenen auseinandergesetzt haben. Die Größe des Achaimenidenreichs und die dem persischen Großkönig zur Verfügung stehenden Reichtümer übten ihren besonderen Reiz auf die griechischen Autoren aus und boten einen geeigneten Rahmen für spektakuläre und exotische Erzählungen. Da die Werke dieser Autoren aber weitgehend verloren sind, kennen wir kaum mehr als ihre Namen. Zu diesen Männern zählt auch Hellanikos von Lesbos, ein Vielschreiber, der zahlreiche, bis auf Fragmente verlorene mythographische, chronologische und ethnographische Werke verfasste, die allerdings kaum auf eigenen Forschungen beruhten. Durch seine zweibändige Atthis, eine Darstellung der athenischen Geschichte von ihren mythischen Anfängen bis in die Zeit des Peloponnesischen Krieges, wurde er indes zum Begründer der attischen Lokalgeschichtsschreibung (Atthidographie). Er galt in der Antike als ein Vorgänger Herodots, war aber wohl eher dessen jüngerer Zeitgenosse. Dies trifft auch auf Charon von Lampsakos zu, der ebenfalls – neben anderen Werken (z. B. Hellenika, Libyka, Aithiopika) –|22| Persika verfasste und dabei – genauso wie Dionysios und Hellanikos – kaum über Informationen verfügte, die über das von Herodot Berichtete hinausgegangen wären.Das Gleiche gilt für einen etwas jüngeren Verfasser von Persika, nämlich Dinon von Kolophon (4. Jh. v. Chr.), der in seinem Werk eine Geschichte des Achaimenidenreichs von der mythischen Frühzeit bis in die Regierungszeit des Artaxerxes III. vorlegte. Die Schrift Dinons war deutlich von Ktesias beeinflusst und überliefert märchenhafte und sensationelle Ereignisse. Dennoch wurde Dinon in der Antike als eine verlässliche Quelle zur persischen Geschichte betrachtet, die etwa Cornelius Nepos und Plutarch benutzten.
Herakleides von Kyme war wie Dinon im 4. Jahrhundert v.Chr.ein direkter Untertan des persischen Großkönigs. Seine nur in wenigen Fragmenten auf uns gekommenen Persika bieten schlaglichtartige Einblicke in das Leben am Hofe von König Artaxerxes II., beschäftigen sich mit dessen Dienern und Leibwächtern, dem von diesem gepflegten Tafelluxus und – in einem besonders interessanten Fragment – auch mit den Ehren, die der persische Herrscher bestimmten Griechen zukommen ließ.
Ebenfalls aus Kyme stammte Ephoros (ca. 400–330 v.Chr.), ein Zeitgenosse des Herakleides und Schüler des athenischen Redners und Rhetoriklehrers Isokrates, der als Begründer der Universalgeschichte gelten kann. Neben anderen Schriften verfasste er ein 29 Bücher umfassendes Werk (Historiai), das die Geschichte von der mythischen Rückkehr der Herakleiden bis zu den Geschehnissen seiner eigenen Zeit nachzeichnet (einen 30. Band hat sein Sohn Demophilos herausgegeben). Er ordnete dabei die Darstellung nicht chronologisch, sondern nach geographischen Gesichtspunkten, wobei die Bücher 8 und 9 die Geschichte Lydiens und Persiens behandeln. Bereits in der Antike wurde allerdings die unrealistische Schilderung des Kriegsgeschehens durch Ephoros, der selbst keinerlei politische oder militärische Erfahrung aufweisen konnte, kritisiert; das Gleiche gilt für die in diesem rhetorisch durchgefeilten Werk reichlich vorkommenden, recht schematisch aufgebauten Reden. Ephoros, der als Prototyp des Buch- und Schreibtischgelehrten gelten kann, zog zwar zahlreiche literarische Quellen heran, auf Nachforschungen vor Ort oder Befragungen von Augenzeugen, wie sie noch Herodot durchgeführt hatte, verzichtete er aber. Seine Schrift ist zwar nicht direkt erhalten, doch hat Diodor ausführliche Exzerpte angefertigt. An manchen Stellen bietet Ephoros, der auch Versuche unternimmt, die Berichte von Herodot und Ktesias in Übereinstimmung zu bringen, Informationen, die über die Angaben im Geschichtswerk |23| des Herodot hinausführen. Freilich muss deren Zuverlässigkeit meist in Frage gestellt werden; inwieweit er auf von Herodot unabhängige lokale Traditionen zurückgreift, was zweifelhaft erscheint, oder ob es sich vielmehr um seine eigenen rationalistischen Spekulationen handelt, muss vielfach offen bleiben.
Der eben erwähnte und aus Sizilien stammende Diodor verfasste im 1. Jahrhundert v. Chr. eine Universalgeschichte vom Anfang der Welt bis in seine eigene Lebenszeit in 40 Büchern, die es sich zum Ziel setzte, die Studien älterer Gelehrter zum allgemeinen Nutzen zusammenzustellen. Diesem Vorhaben ist auch der Titel des nur etwa zur Hälfte erhaltenen Werkes, die Historische Bibliothek,geschuldet. Der Quellenwert der Darstellung Diodors ist –je nach der im entsprechenden Abschnitt benutzten Quelle – sehr unterschiedlich. Seine Darstellung der Perserkriege ist ebenso von Ephoros abhängig wie die entsprechende Schilderung des Pompeius Trogus, der etwa eine Generation nach Diodor eine Universalgeschichte mit dem Titel Philippische Geschichten verfasste, die mit Ninos, dem legendären Gründer von Ninive, begann und mit dem Jahr 9 v. Chr. endete. Leider ist auch dieses Werk nicht direkt erhalten, sondern nur in der Epitome des Marcus Iunianus Iustinus, der wohl im 2. oder 3. Jahrhundert n.Chr. lebte, überliefert.
Ein wenig älter als Ephoros war der adelige Athener Xenophon (ca. 430– 350 v. Chr.), ein Schüler des Sokrates, der im Jahr 401 v. Chr. am Feldzug des persischen Prinzen Kyros gegen dessen Bruder Artaxerxes teilnahm. Nach der Schlacht von Kunaxa, bei der Kyros den Tod fand, führte Xenophon gemeinsam mit anderen Offizieren das griechische Söldnerheer durch Anatolien zum Schwarzen Meer und verfasste über diesen sogenannten „Zug der 10000“ sein Werk Anabasis(wörtlich: „Hinaufmarsch“). Weitere Kontakte mit den Persern hatte er zwischen 399 und 394 v. Chr., als sich Xenophon den Spartanern unter Agesilaos bei dessen Kampf gegen die Perser in Kleinasien anschloss. Sein wichtigstes Werk sind die sogenannten Hellenika, eine griechische Geschichte, die das Werk des Thukydides bis zur Schlacht von Mantineia 362 v. Chr. fortsetzt. Unter seinen übrigen Schriften scheint für unser Thema –zumindest auf den ersten Blick – eine Biographie des persischen Reichsgründers Kyros des Großen am interessantesten zu sein.Freilich geht es Xenophon in dieser Schrift weniger um die Rekonstruktion des tatsächlichen Lebensweges des ersten Perserkönigs, sondern es handelt sich vielmehr um einen Fürstenspiegel, der die Ausbildung und Bewährung des idealen Herrschers zum Thema hat.Eine gründliche Quellenrecherche fehlt bei Xenophon. Obwohl er als Teilnehmer |24| im Zug des Kyros als auch im Gefolge des Agesilaos im Kampf gegen persische Armeen vor Ort Eindrücke und Erfahrungen sammeln konnte, zeigen seine vielfach Fiktives überliefernden Schriften, dass er kaum tiefere Einblicke in das Funktionieren des achaimenidischen Staates besaß. Seine Angaben beruhen weniger auf Augenzeugenschaft als oft vermutet; vielmehr sind sie literarischen Vorlagen geschuldet.
Schon mehrfach war von Plutarch (ca. 45–125 n. Chr.), einem der produktivsten griechischen Schriftsteller der Antike, die Rede. Aus Chaironeia im mittelgriechischen Boiotien stammend,bereiste Plutarch die griechische Welt und kam auch mehrfach nach Rom, wo ihm einflussreiche Freunde das römische Bürgerrecht verschafften. Einer über das Lokale hinausgehenden politischen Karriere jedoch abgeneigt, widmete er sich in seiner Heimat seiner schriftstellerischen Tätigkeit sowie der Philosophie und versammelte einen Kreis von Schülern um sich. Zudem nahm er das Amt eines Apollonpriesters in Delphi wahr. Sein Œuvre, das nur zur Hälfte erhalten ist, umfasst einerseits die sogenannten Moralia, eine Sammlung von 78 mit den unterschiedlichsten Themen – Philosophie, Religion, Musik, korrekter Lebensführung, menschlichen Charakterzügen, Kindererziehung, Naturwissenschaften oder Geschichte – befassten Schriften, und andererseits eine Reihe von Biographien, unter denen die sogenannten Doppelbiographien herausragen. Diese stellen jeweils bedeutende Griechen und Römer korrespondierend gegenüber. Bei seinen Lebensbeschreibungen ging es Plutarch –wie er selbst einräumt –aber nicht so sehr um die genaue Erfassung von historischen Ereignissen und Zusammenhängen, sondern vielmehr um die Zeichnung von Charakterbildern, mit denen er pädagogische Ziele verfolgte. Plutarch war kein Historiker (und wollte bei aller Nähe von Biographie und Historiographie auch keiner sein). Eher ist in ihm ein philosophischer Essayist zu sehen, der durch die Gegenüberstellung von Griechen und Römern wohl auch das Ziel verfolgte, beide Völker einander näher zu bringen. Sein Umgang mit der Chronologie ist vielfach unbekümmert, und es wird an vielen Stellen offenbar, dass ihm der rechte Einblick in das historische Umfeld seiner Protagonisten fehlte. Auf der anderen Seite darf der Quellenwert seiner Schriften auch nicht zu niedrig veranschlagt werden.Plutarch war mit Sicherheit einer der gebildetsten Griechen seiner Zeit, er war sehr belesen und hat eine Vielzahl von – heute teilweise nicht mehr erhaltenen – literarischen, epigraphischen und archäologischen Quellen sowie mündliche Überlieferungen in seine Darstellung einfließen lassen. Für die Beschäftigung mit den Perserkriegen sind besonders die Biographien des Themistokles, des |25| siegreichen athenischen Strategen in der Schlacht von Salamis, des athenischen Feldherrn und Politikers Aristeides, des innenpolitischen Konkurrenten des Themistokles, der die athenischen Kontingente in der Schlacht von Plataiai anführte, sowie des persischen Großkönigs Artaxerxes II. bedeutsam. Bedauerlich ist der Verlust der von Plutarch verfassten Biographie des Leonidas. Bereits erwähnt wurde die Schrift über Die Bösartigkeit Herodots, in der er sich kritisch mit dem Werk des Historikers auseinandersetzt. Er bezeichnet Herodot, mit dessen Bericht er in anderen Werken durchaus respektvoll umgeht, hier als einen Barbarenfreund und wirft ihm seine teilweise negative Darstellung der Griechen vor. Die offenbar aus persönlichen Motiven vorgebrachte Kritik Plutarchs geht freilich oft fehl; die Verlässlichkeit der von ihm benutzten Quellen (z. B.die Thebanischen Chroniken des Aristophanes von Boiotien) ist vielfach fraglich, und seine Schlüsse sind nicht immer nachvollziehbar.
Ein Vorgänger des Plutarch als Verfasser von Lebensbeschreibungen bedeutender Persönlichkeiten war der Römer Cornelius Nepos (ca. 100–25 v. Chr.). Nur wenige der zahlreichen Schriften dieses Freundes von Catull und Cicero sind erhalten, darunter die für unser Thema relevanten Lebensbeschreibungen des Miltiades, des Themistokles, des Aristeides und des Pausanias. Freilich bieten die Schriften des Nepos wenig Neues, das über die frühere Überlieferung hinausführen würde.
Nur en passant sei hier auf Nikolaos von Damaskus (geboren um 64 v.Chr.) hingewiesen, den Lehrer der Kinder der letzten ägyptischen Pharaonin Kleopatra und des Römers Marcus Antonius, den Freund und Berater Herodes’ des Großen, der neben anderen Schriften – etwa einer Biographie des römischen Kaisers Augustus –eine Weltgeschichte in 144 Büchern verfasste. Auch dieses Werk, bei dessen Abfassung sich Nikolaos vor allem auf die Schriften des Ktesias, des Ephoros und des Xanthos stützte, ist bis auf Fragmente, vor allem aus den ersten Büchern, verloren.Der eben erwähnte Xanthos stammte wohl aus Sardeis und verfasste im 5. Jahrhundert v.Chr. eine Schrift (Lydiaka) über seine Heimat Lydien in vier Büchern. Eine angemessene Würdigung seines Werkes ist kaum möglich, da es nur in wenigen Fragmenten, die überdies wohl nicht auf das Original, sondern auf eine spätere, weniger qualitätvolle Bearbeitung zurückgehen, überliefert ist.
Freilich können nicht nur historiographische oder biographische Werke als Quellen herangezogen werden, sondern auch Schriften anderer Gattungen, wie etwa die attischen Reden. Die Redekunst war im klassischen Athen von enormer Bedeutung; man bedurfte ihrer, um politische Entscheidungen zu finden |26| oder vor Gericht den Ausgang eines Prozesses zu beeinflussen; dazu kamen die Prunk- oder Festreden. Reden aller drei Gattungen wurden schon früh von den Verfassern wie vom Publikum als Kunstwerke angesehen,schriftlich veröffentlicht und so bis heute überliefert. Bereits die antike Tradition kennt einen Kanon der großen „zehn attischen Redner“, zu denen auch der in Athen ansässige Metöke Lysias zählt, der die in diesem Zusammenhang besonders interessante Grabrede auf die im ersten Jahr des Korinthischen Kriegs (394– 387 v.Chr.) gefallenen Athener schrieb. Dabei handelt es sich aber wohl nicht um eine authentische Grabrede, sondern vielmehr um eine rhetorische Muster- oder Übungsrede, in der die Größe und die ruhmvolle Vergangenheit der Stadt Athen thematisiert werden.
Geographische Schriften – wie die Geographika des in augusteischer Zeit tätigen Strabon aus Amaseia oder die Beschreibung Griechenlands des ebenfalls aus Kleinasien stammenden Periegeten Pausanias (2. Jh. n. Chr.) – liefern ebenfalls wertvolle historische Informationen. Mit großem Gewinn können aber auch die Werke der Dichtkunst als Quellen herangezogen werden, etwa Tragödien, die zwar meist eine mythologische Rahmenhandlung aufweisen und am Beispiel der Schicksale der griechischen Heroinnen und Heroen grundlegende religiöse, philosophische und moralische Fragen auf die Bühne bringen.Besonders in den frühen Stücken konnten aber auch zeitgenössische politische Ereignisse thematisiert werden. So verfasste der attische Tragiker Phrynichos im Jahr 492 v. Chr. ein Stück über die Einnahme Milets nach der Niederschlagung des Ionischen Aufstands. Bei der Aufführung dieses Stücks wurden die Zuschauer derart aufgewühlt, dass sie in Tränen ausbrachen. Das Drama wurde daraufhin mit einem Aufführungsverbot belegt, und über den Dichter verhängte man eine Geldstrafe, weil er an dieses Unglück erinnerte. Phrynichos verfasste aber einige Jahre später noch einmal ein Werk, das im Umfeld der griechisch-persischen Auseinandersetzungen angesiedelt war, diesmal freilich thematisierte es einen hellenischen Triumph. In seinem Stück Die Phoinissen (Phoinikerinnen),das von Themistokles als Choregen finanziert wurde, damit seine große Tat auf der Bühne verherrlicht würde, behandelte er nämlich den Sieg der griechischen Flotte bei Salamis, wobei die namengebenden phoinikischen Frauen, die den Chor bildeten, wohl die Witwen von auf persischer Seite gefallenen Seeleuten waren. Beide Stücke sind aber nicht erhalten, während ein Stück des Aischylos, das ebenfalls den griechischen Triumph in der Schlacht von Salamis verherrlichte, durchaus überliefert wurde und immer noch regelmäßig aufgeführt wird (Abb. 2:). Aischylos (ca. 525/24–|27| 456/55 v. Chr.) hat selbst aktiv an den Schlachten von Marathon und Salamis teilgenommen, und als er schließlich im sizilischen Gela starb, wurde ihm folgende Grabinschrift gesetzt, die der Dichter selbst verfasst haben soll:
Abb. 2: Der griechische Tragödiendichter Aischylos (ca. 525–456 v. Chr.). Marmorbüste, Ende 4. Jh. v. Chr.
> Aischylos, den Sohn des Euphorion, den Athener, der verstorben ist, birgt dieses Grabmal im Gebiet des weizenreichen Gela. Von seiner rühmlichen Stärke mögen der Hain von Marathon künden und der Meder mit lang herabhängendem Haar, der ihr entgegengetreten ist.<
|28|
Es ist bemerkenswert, dass der Tragiker, falls dieses Epigramm authentisch ist, seine Teilnahme am Abwehrkampf bei Marathon als die wichtigste Leistung seines Lebens ansah, während er von seinen Erfolgen als Dichter völlig schweigt. Bezeichnend ist auch, dass er nur die Schlacht von Marathon erwähnt, nicht aber jene von Salamis, in der er ja auch mitkämpfte. Hier zeigt sich wohl Standesdünkel des Dichters; während nämlich der Sieg von Marathon durch die von den wohlsituierten Bürgern gebildete Hoplitenphalanx errungen wurde, setzte sich die Besatzung der bei Salamis erfolgreichen Schiffe zu einem nicht geringen Teil aus mittellosen Angehörigen der Unterschichten zusammen.
Ein bemerkenswertes, auch an diesem Epigramm zu beobachtendes Phänomen ist die Bezeichnung der Perser als Meder. Wie im nächsten Kapitel noch gezeigt werden wird, handelte es sich bei den Persern und den schließlich von den Persern unterworfenen Medern um zwei unterschiedliche Völker. Insbesondere in der frühen Phase der griechisch-persischen Kontakte ist aber vor allem von Medern die Rede; dies ändert sich erst in den Jahrzehnten nach den Perserkriegen – diese Veränderung ist gerade bei den gleich zu besprechenden Persern des Aischylos gut greifbar. Doch auch in der Folgezeit blieb es durchaus üblich, die Perser als Meder anzusprechen. Die Kollaboration mit den Persern wurde stets medismós genannt, und für die Perserkriege hielt sich generell die Bezeichnung „Mederkriege“ (tà Mediká bzw. ho medikòs pólemos) – auf Französisch ist heute noch von den guerres médiques die Rede.
Kommen wir aber zurück zu Aischylos, der sich nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Erfahrung dazu entschlossen hat, die erfolgreiche Verteidigung des Heimatlandes im Rahmen des im Jahr 472 v. Chr. uraufgeführten Stückes Die Perser auf die Bühne zu bringen. Bei diesem von Perikles finanzierten Bühnenwerk handelt es sich nicht nur um das älteste erhaltene griechische Drama, sondern auch um die einzige erhaltene attische Tragödie, die einen historischen Stoff behandelt. Im Gegensatz zum Stück des Phrynichos, in welchem ein Eunuch bereits zu Beginn die persische Niederlage verkündet, wartet am Beginn des eigentlich recht inhaltsarmen aischyleischen Werkes der persische Kronrat am Hof in Susa auf Nachrichten von der mit König Xerxes gegen Griechenland ins Feld gezogenen Armee. Beunruhigt durch einen Traum und ungünstige Vorzeichen tritt Atossa, die Witwe des Dareios und Mutter des Xerxes, auf. Kurz darauf trifft ein Bote ein, der von der schmachvollen Niederlage der Perser, die Xerxes mit nur wenigen Gefolgsleuten überlebt haben soll, kündet. Nach einer Beschwörung des toten Dareios, der aus der |29| Unterwelt zurückkehrt, das unglückliche Geschehen deutet und die Hybris seines Sohnes anprangert, kehrt Xerxes selbst zurück, ehe das Stück in einer Flut von Klagerufen endet. Es ist bemerkenswert, dass Aischylos die persischen Feinde keineswegs herabwürdigt, sondern die Tragik ihrer Niederlage aufzeigt. Auffällig ist gleichfalls, dass der Dichter eine Reihe von persischen Feldherren namentlich nennt, von denen einige auch historisch verifizierbar sind, während die Griechen anonym bleiben (ob man darin allerdings eine demokratische Grundhaltung des Aischylos erblicken kann, sei dahingestellt).
TimotheosMiletDithyrambenNomoiDie Perser