Ani K. Weise
ORACULUM – Fall der Götter
(Band 1 der ORACULUM – Trilogie)
Dieser Artikel ist auch als Taschenbuch erschienen.
ORACULUM – Fall der Götter
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© 2022 VAJONA Verlag
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Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Lektorat und Korrektorat: Larissa Eliasch
Umschlaggestaltung: Julia Gröchel,
unter Verwendung von Motiven von Pexels und Rawpixel
Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz
ISBN: 978-3-948985-42-4
VAJONA Verlag
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Widmung
Für meinen Vater, der viel zu früh ging und sein Licht mit sich nahm. Deine Spuren werden immer in meinem Herzen bleiben.
Danke für den Mut, stets an das Unmögliche zu glauben. Ich werde nie damit aufhören.
Vor Anbeginn der Zeit war das Chaos, ein gähnender Schlund ohne Anfang und Ende, bestehend aus finsteren Nebeln …
Aus Hesiods Theogonie
Fünf Jahre nach dem Fall Trojas in Griechenland
Myrrah!
Ihr Name erfüllt meine Gedanken.
»Myrrah!«
Verzweifelt rufe ich sie, aber es ist nur ein heiseres Flüstern, das mir über die Lippen kommt.
Da ist dieses Geräusch, so vertraut und doch nicht greifbar. Woher kenne ich es?
Kein Gedanke will bei mir bleiben, alles verschwimmt. Bruchstücke, die wieder zerrinnen und zu Staub zerfallen. Das Rauschen einer Brandung umgibt mich – das Meer. Ich kann es förmlich vor mir sehen, wie die Wellen donnernd gegen die Klippe schlagen und ihre Gischt emporsprühen. Der Ruf der Wildnis entfernt sich kreischend mit leichten Flügelschlägen. Es sind viele, so unglaublich viele Flügelschläge. Ich höre, wie sie sanft im Wind gleiten, spüre ihre ungezähmte Freiheit.
Jedes Gefühl hat meine über dem Kopf gefesselten Hände verlassen. Krampfhaft versuche ich sie zu bewegen, aber sie rühren sich nicht, als wären sie nicht mehr Teil meines Körpers. Schmerz, brennend, pochend – überall fühle ich ihn in mir, in jeder Faser meines Körpers quält er mich auf eine andere Art. Selbst das Atmen fällt mir schwer. Aber am schlimmsten ist das Reißen in meinen Muskeln und meiner linken Schulter, die unnatürlich verdreht scheint. Kraftlos lecke ich mir über die spröden Lippen, schmecke dabei das getrocknete Blut auf ihnen.
Durst.
Ich versuche zu schlucken, aber meine Kehle wirkt wie zugeschnürt. Mein Hals ist wund, als hätte ich tagelang geschrien. Erbarmungslos brennt die Sonne auf mich nieder, als stünde ich im Feuer und würde leibhaftig verbrennen. Mir ist so heiß, mein Körper glüht und muss mit Blasen längst übersät sein.
Immer wieder dämmere ich weg, verliere mich in mir, in der Dunkelheit. Ein stetes Tropfen klingt in meinen Ohren. Wo kommt es her? Es hebt sich dumpf vom Rauschen des Meeres ab, lässt mein Herz zusammenziehen, ohne dass ich weiß, warum. Ich versuche, die Augen zu öffnen, um zu sehen, wo es herrührt, doch es will mir nicht gelingen. Sterne, die wie Funken sprühen, tanzen hinter meinen Lidern. Einen kurzen Moment nur verstummt das Meer, weicht dem Pochen in meinem Schädel. Mein Kopf ist kurz davor zu zerspringen, jede kleinste Regung lässt einen Schmerz gleich tausend Messerhieben durch mich fahren.
Was ist bloß passiert? Der Wind gleitet tobend über meinen Körper, bringt etwas Kühlung auf meine erhitzte Haut und lockt mich, ihm zu folgen.
Oh, wie gerne würde ich das tun.
Endlich gelingt es mir die zugeschwollenen Lider einen Spaltbreit zu öffnen, aber was ich sehe, versetzt mich sofort in Panik.
Myrrah!
Drei Schritte von mir entfernt hängt sie an ihren Armen erschlafft am Pfahl – genau wie ich. Von ihrer Tunika ist so gut wie nichts mehr vorhanden. Zerfetzt flattern die Reste an ihrem Körper im Wind.
Mein Schrei hallt über die Klippe, wird vom tobenden Wind davongetragen und dem wütenden Meer verschluckt. Immer wieder bricht meine Stimme weg. Als hätte ich das Sprechen verlernt, kommen mir die Worte nicht über meine Lippen. Unaufhaltsam bahnt sich die Erinnerung ihren Weg zu mir durch, zeigt mir ihre grausame Wahrheit.
Blut, so viel … Bei Zeus … So viele Menschen. Abgeschlachtet wie Vieh, strömt ihr Lebenssaft aus ihren Wunden. Körper über Körper geworfen wie Abfall, ihr Zuhause in den Flammen zerstört, als hätten sie nie existiert. Ihre Schreie hallen in mir nach, ihre Verzweiflung und Angst drücken mich nieder. Ihr Schmerz durchfährt mich wie mein eigener – eine Schuld, deren Bürde mich zerbricht.
Ein erneuter Schluchzer verlässt meinen Mund, als eine weitere Erinnerung sich durch meine Gedanken bricht. Sogleich steigt Übelkeit in mir auf. Diese groben, rauen Hände, der harte Aufprall auf den Boden, das Platzen meiner Haut, als er mir brutal in den Rücken tritt.
Götterhure.
Den Rest der Erinnerung verschließe ich tief in mir, nicht bereit meine Seele vollends zu zerstören.
Wir müssen fliehen, schießt es durch meinen Kopf. Sobald die Sonne untergegangen ist, haben wir verloren. Dann sind wir die Beute von Jägern, bei denen unser Tod eine Gnade wäre. Unser Blut ist wie ein Leuchtfeuer für alle Raubtiere und all die anderen Kreaturen. Wie konnte all das passieren? Götterhure! … War das der Grund – ich?
»Myrrah«, krächze ich, aber ich erhalte keine Antwort. Ich versuche es lauter. »Myrrah! Wir müssen hier weg.« Meine Stimme bricht ab.
Ein Lebenszeichen, gib mir nur ein einziges, verdammtes Lebenszeichen! Tränen der Verzweiflung laufen mir über das Gesicht und brennen ihren Weg in meine Haut. In Gedanken flehe ich sie an, zu kämpfen, nicht aufzugeben. Doch ich bekomme keine Antwort von ihr, weder in meinen Kopf noch als Worte aus ihrem Mund. Wenn ich sie berühren könnte … Ich würde uns in Sicherheit bringen, weit weg von hier, von allem.
Aber sie wussten um die Macht der Berührung.
Erneut hebe ich meine Lider und wage einen Blick zu ihr, blinzele gegen das Licht.
Myrrah.
Ihr geschändeter Körper ist übersät mit Blutergüssen und Wunden, ihre Brust von Blut überströmt. Dicke Blutstropfen rinnen langsam aus ihrer aufgeschlitzten Kehle, tränken den Boden mit ihrem Lebenselixier. Eine riesige Blutlache hat sich bereits vor ihren hängenden Füßen am Felsen gesammelt und den Sand rot gefärbt.
Nein … Oh, bitte nicht! Nein, nein!
Ihr Name ist schon auf meinen Lippen, da höre ich es wieder – platsch – ganz langsam. Das stetige Tropfen. Ich nehme nichts anderes mehr wahr, außer das Tropfen ihres Blutes.
In diesem Moment wird mir klar, dass es real ist, dass die letzte Nacht wirklich passiert ist.
Nein … nein, nein!
Dieses Tropfen, ich will es nicht mehr hören, es bricht mich, mein Herz, meine Seele.
Entsetzen frisst sich durch meine Adern. Mein Herz verkrampft sich, ist gefangen in diesem Augenblick und weiß nicht mehr, ob es noch weiterschlagen soll. Übelkeit steigt mir empor, ätzt sich einen Weg durch meine Kehle. Bitter übergebe ich mich, spucke das Gemisch aus Blut und Säure von mir. Mein Hals brennt, genau wie der Rest von mir, der Geschmack des Todes liegt auf meinen Lippen.
Ich habe sie verloren. Ihr Körper ist fahl, ihr Licht für immer erloschen, ihr wundervolles Strahlen wird mich nie mehr erreichen. In diesem einem Moment zerspringt mein Herz in tausend kleine Teile.
Und damit erwacht etwas in mir. Es ist da, ganz tief in mir und hält meinen Schmerz, streichelt ihn, wiegt ihn sanft hin und her, verspricht gut auf ihn aufzupassen. Es ist mir egal, dass alles in mir brennt und jede Faser meines Seins um Erlösung bettelt.
Sie werden dafür zahlen, für jeden einzelnen Tropfen, Blut für Blut. Sie haben sie mir genommen, diese Monster, ihren Körper geschändet und an unserer heiligen Stätte zum Sterben zurückgelassen. Eine Botschaft – eine Mahnung an jene, die glaubten, sie wären den Göttern wichtig. Als würde es die Götter scheren.
Ein Hohn!
Hoffnung wird es nun nicht mehr geben, weder für sie noch für mich. Für niemanden.
Die Götter! Oh, ich verfluche sie!
Die untergehende Sonne kühlt meine Haut und bringt mich zugleich zum Erschaudern. Jegliches Licht entweicht von mir, die Dunkelheit zieht mich mit ihren Fängen zu sich, umgarnt mich und lockt mich ihr zu folgen. Ich will ihr folgen, will die Augen für immer verschließen, als etwas sich mir nähert.
Eine Gestalt aus Schatten, umgeben von Rauch und Dunkelheit, schreitet gebieterisch, fast königlich aus den Wäldern auf mich zu. Sein Zorn legt sich über die Klippen, kriecht unaufhaltsam näher und lässt mein erhitztes Blut zu Eis gefrieren. Ich sehe den Stahl blitzen, der mir Erlösung verspricht, aber so werde ich nicht untergehen – nicht so. Dieser Kampf ist noch nicht verloren. Ein letzter Schrei bricht aus mir heraus, so allumfassend schmerzerfüllt wie hoffnungslos.
Ich reiße die Magie an mich, jeden noch so kleinen Funken, den ich in mir finden kann, und schleudere alles von mir. Zerreiße die Welten, verschließe die Türen und nehme sie alle mit mir in die Dunkelheit. Mein Blick geht ein letztes Mal durch diese Welt und ich sehe – ihn, lodernde grüne Augen, bereit, das zu tun, für das er gekommen ist.
»Zu spät, du kommst zu spät!«
Kyra
Winona Oak schmettert »Show me you love me« und kurz überlege ich, warum sie das ausgerechnet mitten in der Nacht und neben meinem Ohr tun muss, bis mir klar wird, dass es der Klingelton meines Handys ist.
Ich schrecke hoch und taste nach meinem Telefon. Eine unbekannte, ausländische Nummer ist auf dem Display zu sehen, genauso, wie die für einen Anruf viel zu frühe Uhrzeit.
Wer tut sowas?
»Ja?«, nuschle ich verschlafen und unterdrücke nur mit Not ein Gähnen.
»Miss Delany?«
Die Stimme kommt mir trotz der schlechten Verbindung vertraut vor. Stirnrunzelnd setze ich mich auf und lehne mich an das Kopfende meines Bettes, schüttle die Reste meines wirren Traumes von Feuer und wilden Schreien ab und ziehe mir die Decke bis zum Kinn.
»Ja, wer ist da?«
Es knackt mehrmals in der Leitung und ich verstehe die Worte der männlichen Stimme kaum. Es klingt fast so, als würde er gar nicht direkt mit mir sprechen.
»Miss Delany? Entschuldigen Sie, hier ist Professor Jenkins. Ich war einer Ihrer Professoren für klassische Archäologie an der Stanford.«
Jetzt bin ich hellwach.
»Professor!« Ich streiche einige wirre Strähnen nach hinten und frage mich, wie er an meine Nummer gekommen ist. Habe ich sie ihm mal gegeben? »Was kann ich für Sie tun? Noch dazu um diese Uhrzeit?«
Meine Frage hat durchaus Berechtigung, wie ich finde. Immerhin habe ich mein Studium bereits vor drei Jahren abgeschlossen und seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt.
Ein blechernes Lachen dröhnt durch mein Smartphone und ich halte es kurz ein Stück von meinem Ohr weg.
»Es tut mir wirklich leid, Sie zu wecken, aber ich habe gleich einen Termin und wäre bis zum Abend nicht mehr dazu gekommen Sie anzurufen, deshalb konnte ich auf die Zeitverschiebung keine Rücksicht nehmen. Aber wie schön, dass Sie die richtige Frage stellen. Sie haben eine Spezialisierung in Paläographie, richtig?«
»Ja, ich …« Ich stutze. Für gewöhnlich sorgt mein Fachgebiet von Symbolen und Schriften nicht gerade dafür, dass jemand mich mitten in der Nacht dafür wecken müsste.
»Das freut mich ungemein. Ich würde Ihnen gern etwas zeigen, wie lautet Ihre E-Mail-Adresse?«, dringt seine euphorisch klingende Stimme an mein Ohr.
Kurz bin ich verwirrt, doch dann nenne ich sie ihm, greife dabei nach meinem Laptop und fahre ihn hoch.
Nur einen Moment später ist seine Mail eingegangen.
»Sagen Sie mir, was Sie davon halten.«
Ich klicke auf das erste der drei Bilder.
Es zeigt eine Wand aus schwarzem Gestein, das mit roten Linien durchzogen ist. Mehrere Symbole sind nebeneinander in den Stein eingeritzt und springen ebenso rot hervor. Kreise, Pfeile, Figuren, eine Art Gefäß und verschiedene Tiere, Spiralen in allen möglichen Größen.
Ich zoome das Bild größer. »Ist das Farbe?«
»Nein, der Stein scheint so beschaffen zu sein. Ich kann noch nichts Genaueres sagen, wir haben den Tempel erst vor drei Tagen gefunden.«
»Wo?«
»Peloponnes, mitten im Gebirge.«
»Griechenland?«
Ich zoome wieder heraus und atme tief ein, während ich mir die einzelnen Symbole genauer betrachte.
Es knackt laut, als würde er gegen den Wind laufen. »Ja. Was sagen Sie zu den Symbolen?«
»Schwer zu sagen, dafür müsste ich vor Ort sein und das Gesamtbild sehen, dieser Ausschnitt hat keinerlei Struktur. Sie sehen nicht nach griechischen Symbolen aus, es wirkt eher wie eine Art Malerei. Aber ich denke, das wissen Sie längst.«
Ich stehe auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. Mein Blick fällt auf die Uhr an meinem Backofen. Vier Uhr. Müde reibe ich mir über mein Gesicht.
»Auch wäre eine zeitliche Eingrenzung des Fundes hilfreich, um die Niederschriften der Menschen zu jener Zeit zu vergleichen. Gibt es noch mehr Symbole?«
»Das trifft sich gut.« Er lacht erneut, was im Rauschen untergeht. » … no … dran?« Wieder rauscht es.
»Hallo? Professor?«
Seufzend hole ich meinen Laptop an den Tisch, klicke auf das zweite Bild, was der E-Mail anhängt, und höre geduldig den zerrissenen Worten zu.
Das Foto zeigt eine Außenaufnahme des Tempels. Es ist kein klassischer griechischer Tempel. Er wirkt viel wuchtiger, keine Säulen, sondern grobe Klötze markieren den Eingang, auch steht er nicht einzeln, wie es üblich war, nichts was ihn erhaben wirken lässt. Der Eingang ist mitten in den Berg gebaut, sodass der Bau eher wie eine Gruft als ein Tempel wirkt.
In meinen Fingern kribbelt es. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Die Aufregung, die sich jedes Mal in mir einstellt, wenn etwas mit Griechenland zu tun hat.
Mein Herz donnert in meiner Brust wild los, als sich das dritte Bild vor mir öffnet. Ich bin nicht mehr fähig zu atmen, wie zur Salzsäule erstarrt betrachte ich die Aufnahme. Dieses Symbol kenne ich, habe es Dutzende Male in meinen Träumen gesehen, behaftet mit dem immer wiederkehrenden Gefühl der Schuld. Eine Schuld, die ich nicht greifen kann, die aber wie ein fester Klumpen schon mein ganzes Leben an mir haftet.
Ich klicke noch mal auf die zweite Datei mit dem Bild vom Tempel und ziehe sie neben das Symbol. Kann das wirklich wahr sein? Ich schlucke hart und spüre, wie mir mehr und mehr die Luft wegbleibt. Zitternd berühre ich die zwei Frauenköpfe auf dem Bildschirm, die an ihren Hinterköpfen verbunden je in eine andere Richtung sehen. Würden ihre Farbgebungen sich nicht unterscheiden, sähen sie wie gespiegelt aus. Während der eine Kopf hell wirkt, ist der andere von diesen roten Linien durchdrungen. Es sieht anders aus als in meinen Träumen, doch es ist dasselbe Symbol.
»Haben Sie gehört?«, erklingt mit einem Mal wieder die blecherne Stimme des Professors.
Ich zucke zusammen, weil ich ihn völlig vergessen habe. »Was?«
Aufgewühlt reiße ich meinen Blick von den Bildern, springe vom Stuhl und laufe wieder zurück zum Bett.
»Ich will Sie dabeihaben! Packen Sie Ihre Sachen.«
Ich kann sein Grinsen förmlich vor mir sehen. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, was er gerade gesagt hat. Schließlich höre ich mich aber wie aus weiter Ferne »Okay« sagen.
»Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen! Ihr Flug geht heute um 14.55 Uhr von San Francisco, das Ticket ist für Sie hinterlegt. Ich schicke einen Fahrer, um Sie in Athen abzuholen. Wir sehen uns dann morgen Abend im Hotel. Willkommen im Team, Miss Delany.«
Das Tuten der unterbrochenen Verbindung nehme ich kaum wahr, denn mein Blick hat sich in meinen Laptop gebrannt. Ich hole tief Luft und habe plötzlich das Gefühl, endlich einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen.
Es ist nicht nur das Symbol, es ist dieses tiefe, unbändige Gefühl, ganz nah dran zu sein. Die Hoffnung, dass diese Leere in mir endlich eine Antwort erhält, wenn ich diesen Tempel betrete. Die Antwort darauf, warum ich diese Träume habe, warum ich wie eine Besessene immer auf der Suche bin und nicht einmal weiß, was genau ich finden will.
Kaum steige ich aus dem Taxi in San Francisco, brummt mir bereits der Schädel von den ganzen Geräuschen und dem Gestank der laufenden Motoren, die mit ihrem stetigen Stop and Go den Eingangsbereich des Flughafens in eine Wolke aus verbranntem Diesel hüllen. Ein Hupkonzert folgt dem nächsten, gefolgt vom Gebrüll der Taxifahrer, die endlich einen Platz weiter vorne ergattern wollen. Schon die Fahrt hierher war eine Zumutung. Von dem Stau auf dem Highway mal abgesehen hatte mein Fahrer eine extreme Vorliebe für donnernde Beats, von denen mir der Bass noch immer durch die Venen vibriert.
»Hey Miss, beeilen Sie sich! Ich muss weiter«, dringt es genervt vom Inneren des Wagens.
Machen sich die Taxifahrer jetzt nicht mal mehr die Mühe auszusteigen und einem zu helfen?
Ich zerre an meinem Koffer, der sich im Kofferraum verkeilt haben muss, bis er mir mit einem Ruck entgegenkommt und ich beinahe hinfalle. Fluchend richte ich mich wieder auf.
»Danke für nichts«, brumme ich in mich hinein, lasse demonstrativ die Klappe des Kofferraums offenstehen und füge mich in den Strom der Reisenden, der zur Eingangshalle führt.
Tausende Koffer rollen über den Asphalt, deren Surren, unterbrochen vom obligatorischen Klackern an jeder Unebenheit, heute bei mir eine regelrechte Aggression erzeugt. Dieses Geräusch ist wohl das Markenzeichen eines Flughafens – das, und das Schlürfen der Strohhalmtrinker im Flieger. Ich kann es kaum erwarten.
Ich weiß gar nicht, warum ich heute so empfindlich bin, denn normalerweise liebe ich das Fliegen, liebe schon allein das Gefühl, die Halle zu betreten. Die Freiheit, überall auf der Welt sein zu können, an jenen Orten, die ihre Geheimnisse mit mir teilen, mein Herz höherschlagen lassen und mir angenehme Fluchtmöglichkeiten bieten.
Jetzt aber fühlt es sich so an, als würde jedes laute Geräusch mehr von meiner Gelassenheit bröckeln lassen.
Schlechte Voraussetzung für einen siebzehnstündigen Flug. Ich kann nur hoffen, dass ich ein paar Stunden tiefen Schlaf abbekomme und nicht wie beim letzten Mal von schlürfenden, schnarchenden Menschen davon abgehalten werde.
Am Gate angekommen, setze ich mich an einen Fensterplatz und verschaffe mir einen Überblick über meine bisher eingetroffenen Mitreisenden, male mir aus, wer von ihnen ein potentieller Schlafräuber sein könnte.
Ich beschließe noch eben meine Eltern anzurufen und sie über meine kurzfristige Abreise zu informieren, bevor sie sich Sorgen machen.
»Hallo Schatz! Was ist los?«
Ich schmunzele, als ich höre, wie meine Mutter ihre Frage betont – als erwarte sie jeden Moment eine Hiobsbotschaft.
»Nichts, Mom. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich gleich in den Flieger nach Griechenland steige und nicht genau weiß, wann ich wieder da bin.«
»Fliegst du in den Urlaub?«
Ich lache und schüttele bei dieser abstrusen Frage den Kopf. »Nein. Als ob ich mir das bei den Gelegenheitsjobs leisten könnte. Ich wurde für eine Ausgrabung eingestellt. Scheint ein ziemlich sensationeller Fund zu sein. Vielleicht schaffe ich es jetzt, mir endlich einen Namen zu machen.«
Als ich jünger war, hat Mom ein paarmal erlebt, wie ich schreiend aus meinen Träumen erwachte. Wenn ich ihr jetzt meinen wahren Antrieb für die Reise erklären würde, würde sie sofort wieder diesen Psychologen anrufen und ihm meine Nummer geben. Deshalb beschließe ich, bei dem Offensichtlichen zu bleiben: mein beruflicher Aufstieg.
»Das wäre toll, Schatz! Was haben sie gefunden?« Gleichmäßiges Hacken dringt aus dem Hintergrund zu mir durch, vermutlich schneidet sie irgendein Gemüse, das sie meinem Dad nachher vor die Nase stellen wird.
»Einen Tempel mit einem uns bisher unbekannten Gestein, auf dem sich Symbole befinden, die man nicht zuordnen kann. Deshalb will mich Professor Jenkins in seinem Team.«
»Jenkins? War das nicht dein Professor in der Uni?«
»Ja, verrückt, oder? Dass er ausgerechnet mich anruft.«
Sie schnaubt und hat bestimmt gerade ihre Hand in die Hüfte gestemmt, so wie sie es immer tut, wenn sie mir eine Predigt hält. »Wieso verrückt, Kyra? Du bist eine sehr gute Archäologin und eine der besten Paläographikerinnen noch dazu. Mich wundert es, dass du nicht mit solchen Angeboten überschüttet wirst.«
»Mom, das stimmt doch gar nicht! Ich habe gerade mal seit drei Jahren die Uni beendet. Wie soll ich da eine der besten sein?« Erneut muss ich den Kopf schütteln.
»Natürlich stimmt das!«, widerspricht sie. Aber welche Mutter würde das nicht über sein Kind sagen?
»Mom, ich muss Schluss machen, das Boarding geht los.«
»Okay, Schatz, melde dich, sobald du ankommst, und pass auf dich auf. Ich hab dich lieb.« Sie seufzt ins Telefon, weil sie sich vermutlich gern persönlich von mir verabschiedet hätte, aber dafür war die Zeit zu knapp.
»Mach ich. Ich hab dich auch lieb. Grüß Dad von mir. Ach, Mom? Kannst du die Blumen gießen, während ich weg bin?«
»Natürlich, bis dann, Liebes.«
»Bis dann.«
Ich prüfe noch einmal meine Mails mit dem Handy, bleibe bei der von Professor Jenkins hängen und klicke auf das zweite Bild im Anhang. Der Eingang des Tempels ploppt auf.
Mein Herz schlägt sofort zwei Takte schneller und tief in mir zieht es plötzlich so stark, dass ich das Gefühl habe, ich würde von innen heraus zerreißen. Was wird mich dort erwarten? Werde ich das finden, wonach ich suche?
»Miss?« Ich sehe schmerzverzerrt auf und die Stewardess blickt mich besorgt an. »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Doch … danke. Ich … war nur in Gedanken.«
Sie zeigt freundlich auf mein Ticket. »Wollen Sie mit?«
Kaum, dass sie das gesagt hat, springe ich von meinem Platz und reiche ihr mein Ticket, bevor mich die Zweifel übermannen können. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die Letzte bin. Super Kyra! Jetzt verschlafe ich sogar schon im wachen Zustand.
»Ja, entschuldigen Sie.«
Sie stempelt mein Ticket und gibt es mir wieder. »Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Flug mit United Airlines, Miss Delany.
Endlich bei meiner Reihe angekommen, räuspere ich mich und schaue auf den jungen Mann, der mehr oder weniger in meinem Alter sein müsste. Siebenundzwanzig ist nicht gerade das Alter, was einem auf der Stirn geschrieben steht.
»Darf ich kurz durch?« Ich zeige auf den Platz am Fenster.
Seine Mundwinkel heben sich und er macht gerade Anstalten aufzustehen, doch als er mich erblickt, erstarrt er in seinen Bewegungen und sieht mich aus seinen weitaufgerissenen graugrünen Augen an. Das Lächeln, das er mir gerade noch schenken wollte, stirbt so abrupt, dass ich die Luft anhalte. Sein Gesicht ist plötzlich aschfahl, was bei seiner Surferbräune unmöglich sein sollte.
Sein Starren macht mich so nervös, dass ich mir am liebsten bereits einen anderen Platz suchen würde.
»Miss, Sie müssen sich setzen, wir starten gleich. Sir, würden Sie kurz Platz machen?«, fordert die Stewardess freundlich.
Er blinzelt verwirrt, nickt anschließend und steht auf. »Natürlich, Entschuldigung.« Seine melodische tiefe Stimme versetzt mir einen Schlag in den Magen, als hätte ich diesen Klang schmerzlich vermisst.
Was nicht sein kann, da ich ihm noch nie zuvor begegnet bin.
Er zeigt auf mein Handgepäck. »Soll ich?«
Jetzt bin ich es, die ihm ungläubig entgegenblickt, während er meinen Handkoffer nimmt und ihn oben auf die Ablage verstaut. Seine Jeans sitzt verboten tief auf seinen Hüften und lüftet dabei einen kleinen Spalt seines durchtrainierten Bauches, den ich wie hypnotisiert anstarre.
Ein leises Räuspern dringt durch meinen vernebelten Verstand und ich reiße ertappt meinen Blick von diesem Streifen gebräunter Haut, nur um auf seiner muskulösen Brust hängen zu bleiben, auf dem mir die Aufschrift Find the god in me von seinem weißen T-Shirt entgegenspringt. Oh, ich bin überzeugt, dass dem etliche Frauen schon nachgekommen sind.
»Miss.« Auffordernd zeigt die Stewardess auf meinen Platz.
Ich schiebe mich an dem Mann vorbei, der so sehr nach Sommer und Sonne duftet, dass ich ganz vergesse, wo ich mich gerade befinde. Als ich sitze und meinen Gurt anlegen will, wage ich noch einmal einen Blick zu ihm, nur um festzustellen, dass er immer noch steht und mich eindringlich mustert. Er fährt sich durch sein rotbraunes, strubbeliges kurzes Haar und schüttelt mit einem Grinsen seinen Kopf, bevor er sich ebenfalls setzt.
Das Anschnallzeichen blinkt über unseren Köpfen, die Maschine setzt sich rollend in Bewegung, beschleunigt, kaum dass wir die Rollbahn erreicht haben, und hebt ab. Ich schiele zu ihm herüber, als der Pilot uns willkommen heißt.
»Entschuldige, das kam jetzt ziemlich schräg rüber, aber du hast mich im ersten Moment an jemanden erinnert«, sagt er und hält mir seine Hand hin. »Lo.«
Zögernd starre ich seine feingliedrige Hand an, doch schließlich ergreife ich sie.
»Kyra. Muss ja eine ziemlich miese Bekanntschaft gewesen sein. Ex?«
Er gluckst und schüttelt belustigt den Kopf.
»Nein, zumindest nicht meine.«
Ich mustere ihn und stelle fest, dass er mich irgendwie an Peter Pan erinnert, ein surfender Sonnyboy-Peter Pan, dem ein stetiges Lachen in den Augen funkelt. Sommersprossen sprenkeln sich von seiner Nase bis über die Wangen und lassen seine Augen noch mehr strahlen, als sie es ohnehin schon tun.
»Aha, dann hat sie ja einen bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen. Ich dachte eben, ich müsste nach einem Arzt rufen, so bleich wie du wurdest.«
Er grinst und kleine Fältchen bilden sich an seinen Augenwinkeln. Mit seinem markanten Kinn und den weichen Wangenpartien sieht er fast wie gemalt aus. Ich kann mir die Frauen an den Stränden bildlich vorstellen, wie sie ihm schmachtend hinterherblicken, während er mit seinem Surfbrett ins Meer gleitet.
»Hat sie.« Er zwinkert mir zu, als würden wir jetzt ein Geheimnis teilen, und irgendwie bringt mich das zum Lachen.
Er sitzt entspannt in seinem Sitz, hat seinen rechten Fuß locker auf seinem linken Oberschenkel liegen und stützt den Kopf auf seine Hand, während er mich ansieht. Seine gelassene Art, das Vertraute, das er mir entgegenbringt, verunsichert mich. Als wären wir alte Freunde. Und da ich meine Freunde an genau einem Finger abzählen kann, wäre mir das sicher nicht entgangen.
»Lo also. Ist das eine Abkürzung für Logan?«
»Apollo.«
Ich lege den Kopf schief und sehe ihn mit gerunzelter Stirn an, was ihm wieder ein breites Grinsen ins Gesicht zaubert.
»Lo ist die Abkürzung für Apollo.«
»Verstehe.« Ich gluckse und sehe ihn mitleidig an. Armer Kerl. »Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Bist du Grieche?« Das würde mich zwar wundern, denn an ihm sieht nichts griechisch aus, außer, dass er vielleicht ebenfalls eine sehr beeindruckende Statue abgeben würde.
»Nur im Geiste. Meine Eltern haben viel Zeit dort verbracht und fanden wohl, dass ich sehr erleuchtend aussehe.« Sein breites Grinsen wird zu einem Auflachen, als er meine zerknirschte Miene sieht.
»Apollo … ist toll, wirklich!«, sage ich, aber jetzt fängt er lauthals an zu lachen, sodass wir einen bösen Blick aus der Reihe neben uns kassieren.
»Du lügst, ohne rot zu werden.«
»Nein, wirklich es ist ein toller Name. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der nach einem griechischen Gott benannt wurde.«
Er schüttelt grinsend den Kopf und erwidert meinen Bli-
ck mit so viel Erheiterung, dass ich wieder lachen muss.
»Dann hoffe ich, dass ich dir in Erinnerung bleiben werde.«
Es ist früher Morgen, als ich durch ein leichtes Rütteln geweckt werde. Apollo schläft noch sowie der Rest der Passagiere vermutlich auch. Das Licht ist heruntergedimmt, aber ich beschließe trotzdem, meinen Laptop aus dem Rucksack zu ziehen und mir noch einmal die Symbole anzusehen.
Ich betrachte das Bild mit den unterschiedlichen Symbolen ausgiebig und fühle mich wie ein kleines dummes Kind, weil ich daraus einfach nicht schlau werde. Dabei ist das doch genau mein Spezialgebiet. Aber ihre Anreihung und Darstellung ergibt keinen Sinn. Derartige Linienführung habe ich noch nirgends gesehen. Außer in meinen Träumen.
»Was ist das?«
Erschrocken fahre ich zusammen, als Apollos Kopf gähnend direkt neben meinem auftaucht.
»Gott, erschreck mich doch nicht so!« Tadelnd schiebe ich ihn ein Stück von mir fort und klappe den Laptop zu, denn alle Funde unterliegen der Geheimhaltung, bis man mehr darüber herausgefunden hat. Sonst würden ständig irgendwelche Presseleute über das Gelände und in den Stätten herumlaufen und womöglich noch etwas beschädigen, was von Bedeutung wäre. »Nur Arbeit.«
Seine Mundwinkel zucken belustigt.
»Was?«, frage ich und sehe ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
»Es reicht, wenn du Apollo sagst oder Lo, Gott klingt etwas zu dick aufgetragen im Moment, vielleicht … Au!«
Er lacht leise in sich rein und formt tonlos ein »Sorry«,
als ich ihm einen Knuff in die Schulter verpasse.
»Entschuldige, als was arbeitest du?« Mit einem Funkeln in den Augen sieht er zu mir und deutet auf den Laptop, den ich gerade wieder in meinen Rucksack packe.
»Ich bin Archäologin und auf dem Weg zu einer Ausgrabung.«
Sein Blick verdunkelt sich, das sonst stetige Lächeln seiner Augen weicht und Sorge blitzt in ihnen auf. »Interessante Berufswahl. Wie kam es dazu?« Jegliche Heiterkeit ist aus seiner Stimme verschwunden, stattdessen klingt er jetzt fast wie ein Anwalt, der einen Verbrecher überführen will.
Sein Stimmungswandel ist so abrupt, dass mir ein kalter Schauer die Wirbelsäule hinunterkriecht.
»Kindheitstraum«, antworte ich und täusche ein Gähnen vor. »Ich schlaf noch eine Runde«, schiebe ich mit einem kleinen Lächeln hinterher und drehe mich zum Fenster. Sein Verhalten irritiert mich. Eben hat er seinen Charme noch mit Witz versprüht und jetzt? Was hat er auf einmal für ein Problem?
Seufzend schließe ich die Augen und hoffe, dass ich die letzten Stunden bis zur Landung einfach schlafen kann.
Kaffeeduft bringt mich dazu, meinen Schlaf abzuschütteln. Es gibt kaum ein anderes Getränk, dem ich so verfallen bin, deshalb – und nur deshalb –, öffne ich die Augen und richte mich in meinem Sitz wieder auf.
Die Stewardess ist gerade in der Reihe vor uns und verteilt Kuchen. Kuchen? Mein Blick huscht zum Monitor, der über uns hängt. Wow, ich hatte aber ziemlichen Nachholbedarf, was Schlaf angeht, denn es sind nur noch zwei Stunden bis zur Landung in Athen.
»Gut geschlafen?«, fragt mein göttlicher Sitznachbar wieder mit seiner melodischen Stimme, die mir das Gefühl gibt, als würde er singen und einen mit seinen Tönen verzaubern. Doch er hat mir in der kurzen Zeit nicht nur einmal seine ganz speziellen schiefen Töne gezeigt und die reichen mir dann auch.
»Ja, danke.«
Die letzten zwei Stunden haben etwas Beklemmendes und ich bin einfach nur froh, als der Flieger endlich auf der Landebahn aufsetzt. Wir haben kaum noch geredet und obwohl es mir gleichgültig sein sollte, ist es das nicht. Gott, Kyra! Seit wann interessiert mich das Verhalten von Fremden? Einen, den ich noch dazu nie wieder sehen werde.
Am Gepäckband bin ich eine der ersten, die ihren Koffer bekommt, und so beeile ich mich hier herauszukommen. Suchend sehe ich mich nach einem Schild mit meinem Namen um und als ich es endlich erblicke, atme ich erleichtert auf und stürme darauf zu, nur um dann wie erstarrt vor dem Mann stehen zu bleiben, der es in der Hand hält.
»Jay? Was zum Teufel machst du hier?«
Riesige Freude breitet sich in mir aus. Mein bester und einzig wahrer Freund ist hier!
»Dich abholen, was sonst?« Er grinst mich schief aus seinen meerblauen Augen an und öffnet seine Arme, in deren Umarmung ich ohne zu zögern, versinke und uns beide fast damit umreiße.
»Ich dachte, du bist in Ägypten?«
»War ich bis vor drei Tagen auch, aber dann rief mich Professor Jenkins an und ich bin direkt hierhergeflogen.« Jetzt wird mir einiges klar. »Du hast ihm meine Nummer gegeben, oder?«
Er nickt. »Aber er hat mich von sich aus nach ihr gefragt. Ich bin froh, dass du gekommen bist. Lynn ist auch hier, die habe ich bereits vor drei Stunden abgeholt.«
»Lynn Parker?«, frage ich verdutzt.
»Ja, sie wurde aus Mexiko eingeflogen. Die Ausgrabung wird von einem Privatmann finanziert, der in dem Tempel die ganz große Entdeckung sieht.«
Meine Augen werden groß. »Wer ist es?«
»Ich weiß es nicht, aber Jenkins wird es uns sicher erzählen. Wollen wir?«
Er grinst, nimmt mir den Koffer aus der Hand und bietet mir ganz gentlemanlike seinen Arm an, den ich sofort ergreife.
»Unbedingt!«
Ich werfe noch einen Blick über meine Schulter und sehe Apollo, wie er mich direkt ansieht und zum Abschied die Hand hebt, doch als ich meine ebenfalls heben will, ist er bereits zwischen den Menschen verschwunden.
Kyra
Keuchend und schweißgebadet schrecke ich aus dem Schlaf. Mein Herz rast, als würde es einen Preis gewinnen, wenn es mein Blut nur schneller durch meinen Körper pumpt. Orientierungslos blicke ich mich um, suche nach etwas Vertrautem. Schwere, weinrote Vorhänge lassen die Sonne einen Spaltbreit hindurch, in dem kleine tanzende Staubflusen sichtbar durch den Raum schweben. Es dauert eine Weile, bis ich erkenne, wo ich bin.
Schwer atmend lasse ich mich aufs Bett zurückfallen und streiche fahrig über mein Gesicht. Ein Traum … Es war wieder nur ein Traum. Ich bin im Hotel. Alles ist gut. Mit meiner Hand reibe ich über meine schmerzende Brust, versuche, mein trommelndes Herz zu beruhigen.
»Ein Traum«, beruhige ich mich selbst. Tief ziehe ich die Luft in meine Lunge, atme wieder aus und schließe für Sekunden die Augen.
»Es war nicht echt.«
Meine Kehle fühlt sich an wie Schleifpapier – ich brauche dringend Wasser. Als ich mich aufsetze, fällt mein Blick auf meine Handgelenke und mein Herz bleibt vor Schreck stehen. Kälte frisst sich durch meine Adern und lässt mich erschaudern.
Meine Haut hängt in Fetzen herunter, Muskeln und Sehnen sind freigelegt, Blut quillt pulsierend hervor. Ausgefranzte, blutgetränkte Seile hängen in den Wunden – Fesselspuren –, aber ich spüre keinen Schmerz. Was zum Teufel … Kopflos drehe ich mich um mich selbst, suche das Bett ab. Blut, überall ist Blut!
Ich atme stoßweise, bekomme kaum noch Luft, als würde ich gleich hyperventilieren. Mein Körper zittert wie nach einem Bad im Eiswasser, meine Hände sind feucht und meine Lippen immer noch staubtrocken. Die lähmende Angst ist zu viel für mich.
Da ist plötzlich eine Bewegung in der rechten Zimmerecke.
Ich springe kreischend vom Bett, Richtung Fenster und zerre wie wild am Vorhang, um mehr Licht hineinzulassen und die Schatten zu vertreiben.
Aber das verdammte Ding klemmt.
Ich fixiere die Ecke, in der sich jetzt nichts mehr befindet. Mein Blut rauscht in meinen Ohren, mit tiefen Atemzügen versuche ich wieder Herr meiner Sinne zu werden.
Als dann jedoch ein lautes Klopfen an meine Tür donnert, zucke ich zusammen und schreie auf, als würde der Teufel leibhaftig vor mir stehen.
»Kyra?! Ist alles okay?«
Wieder klopft es, dieses Mal energischer. »Kyra, komm schon, wir kommen zu spät. Ich habe keine Lust, Ärger von Jenkins zu bekommen!«
»Jay?«, frage ich atemlos.
»Ja, wer sonst? Komm schon, Kyra! Du bist bereits fünfzehn Minuten zu spät. Was ist los mit dir? Lynn und Professor Jenkins stehen schon unten und der Fahrer wird nicht ewig warten!«
Mein Blick huscht zum Wecker auf dem Nachtschrank, die roten dicken Zahlen springen mir höhnisch entgegen. 7:16 Uhr. Verdammt! Erschöpft stoße ich ein leises Stöhnen aus. Mit zittrigen Händen fahre ich mir durch die Haare.
»Gib mir zehn Minuten.«
»Beeil dich, Schlafmütze. Ich warte mit den anderen unten.«
Sein Tonfall klingt belustigt, bestimmt schüttelt er gerade den Kopf über mein stetiges Talent zu verschlafen.
Als sich seine Schritte von meiner Tür entfernen, atme ich tief durch. Mein Herz schlägt mir immer noch bis zum Hals. Kraftlos lehne ich mich mit dem Rücken an die Wand und gleite an ihr nach unten, schließe meine Augen und zähle in Gedanken bis zehn, bevor ich meine zitternden Hände betrachte.
Es ist nichts mehr da, alles ist wieder verschwunden. Kein Blut, keine zerfetzten Handgelenke, keine Schatten. Vorsichtig gleite ich mit meinen Fingern über die nun nicht mehr sichtbaren Fesselspuren und fahre ihre einstigen Spuren nach.
»Es war nicht echt, es war einfach nur Einbildung«, flüstere ich mir zu.
Mühsam stemme ich mich wieder auf die Beine und schiebe mit immer noch bebenden Händen die Vorhänge nun vollständig beiseite.
Guten Morgen, Athen. Das Panorama vor meinem Fenster gewährt mir kurz, den Schrecken abzuschütteln. Akropolis, der erhabene Tempelberg, ist schon aus dieser Entfernung beeindruckend. Umso mehr freue ich mich, gleich in seine Geschichte einzutauchen und die Spuren einer unglaublichen Vergangenheit zu sehen. Hier beginnt sie. Meine Suche. Meine Chance, mich in meinem Fachgebiet zu beweisen.
Die Sonne gibt bereits ihr Bestes, um uns einen wunderschönen Tag zu bescheren. Doch es ist August, viel zu heiß, um Berge zu erklimmen. Nur völlig verrückte Touristen und wir würden das tun und ich befürchte, dass wir uns heute jeden Schattenplatz schwer erkämpfen müssen.
So oft habe ich Bücher über die Akropolis gelesen, regelrecht verschlungen, immer auf der Suche, etwas Neues über diesen geheimnisvollen Ort zu erfahren, und das bereits in der High School.
Ich ziehe das Bild aus meiner Tasche, die neben mir liegt, und streiche liebevoll über die alte Fotografie. Mein Großvater lacht freudig in die Kamera, während er mich als zweijähriges Kleinkind auf seinem Schoß hat. Im Hintergrund die Ränge des Odeon des Herodes Atticus, das Theater am Fuße des Akropolis-Felsens.
Auf dem Bild wirkt es wie eine Überbelichtung, ein greller Punkt in der Ecke, der einfach nur eine Reflektion sein könnte. Doch jedes Mal, wenn ich das Bild ansehe, zieht es schmerzhaft in meiner Brust. Und das liegt nicht am Abbild meines verstorbenen Großvaters. Dutzende Male suchte ich Bilder im Internet, nur um diesen einen Blickwinkel oder eine Erklärung für diesen Lichtpunkt zu finden. Aber auf keinem Bild wurde ich fündig.
Ich tippe auf den leuchtenden Fleck im Bild und richte meinen Blick wieder auf den Tempelberg. Hier ist der Ursprung für meine Träume und zugleich die Chance für meine Karriere.
Anfang und Ende. Ursprung und Ziel.
Gedankenverloren fahre ich mir wieder über die Handgelenke, fühle meinen nun ruhiger gewordenen Puls. Seit der Ankunft am Flughafen liegt eine unerklärliche Schwere auf mir, erdrückend, aber das hier ist richtig. Ich weiß es, ganz tief in mir, spüre ich, dass ich hier richtig bin, dass ich hierhergehöre. Und dass ich mit der Suche nach meiner eigenen Geschichte hier beginnen muss.
Nachdem ich mich hastig geduscht und mir die Cargohose und mein rotes Lieblingsshirt übergestreift habe, packe ich schnell alles zusammen und renne aus dem Zimmer. Auch wenn ich Jay zehn Minuten versprochen habe, verspäte ich mich erneut. Beim Einsteigen in den Fahrstuhl wende ich entsetzt den Blick von dem riesigen Spiegel.
Ich sehe furchtbar aus, als hätte ich einen Geist gesehen oder mich die halbe Nacht übergeben. Meine sonst strahlenden hellbraunen Augen wirken müde und von Panik getrieben. Dunkle Augenringe umrahmen sie, meine Haut wirkt blass, meine langen braunen Haare hängen zerzaust und stumpf an mir herab.
Erschöpft wische ich mir über das Gesicht. Verdammt, was für eine Nacht. Dieser Traum. Er war so echt … Ich fühlte diesen Schmerz, als wäre er mein eigener.
Heute Nacht werden wir schon in Delphi unser Lager aufschlagen und ich hoffe, dass diese Nacht erholsamer sein wird als die letzten.
Mit einem Ping öffnen sich die Türen vor mir, also verlasse ich seufzend den Fahrstuhl und blende dabei den Geruch vom Kaffee aus, der mir aus dem Speisesaal entgegenströmt, bevor ich durch die Lobby zum Ausgang eile. Frühstück werde ich mir wohl irgendwo unterwegs besorgen müssen, denn dafür bleibt nun keine Zeit mehr.
Ich sehe die drei schon vor unserem Jeep stehen, noch bevor ich die Drehtür verlassen habe, und zu meinem Glück ist der Professor bester Laune, denn er lacht, während er sich mit Jay und Lynn unterhält. Mit seinem beigen Hut, den beigen Cargoshorts und dem passenden Shirt erinnert er mich an Indianer Jones. Nur seine Brille mit den kleinen, runden Gläsern stört das Gesamtbild des vermeintlichen Schatzjägers.
Auch Jay versteckt seinen blonden, strubbeligen Schopf unter einem Cap und ich wühle bereits in meinem Rucksack, um mich dieser Idee anzuschließen, denn kaum trete ich aus der Tür, schlägt mir eine drückende Hitze entgegen. Er hält einen Pappbecher in der Hand, der mich neidisch aufseufzen lässt.
»Guten Morgen, entschuldigt die Verspätung«, begrüße ich das Team.
Jay wirft mir einen fragenden Blick zu, den ich ihm nur mit einem Schulterzucken beantworte. Leider komme ich bei Professor Jenkins nicht so schnell davon.
»Ah, Miss Delany, beehren Sie uns auch endlich mit Ihrer Anwesenheit? Haben Sie bei der Überquerung des Kontinents etwa vergessen, wie eine Uhr funktioniert?«, fragt er mich und verschränkt die Arme vor der Brust.
Mist. Gestern Abend wirkte der Professor entspannt und hocherfreut über meine Ankunft, aber scheinbar hat er jetzt eine Eigenschaft an mir entdeckt, mit der ich nicht sonderlich punkten kann.
Super Start für die Zusammenarbeit, Kyra!
Lynn und Jay glucksen los, als sie mein verdutztes Gesicht entdecken. Während Lynn sich eine Hand auf den Mund schlägt, um nicht noch lauter zu lachen, dreht sich Jay mit bebendem Körper einfach von uns weg. Ihre Versuche, die Belustigung zu verbergen, scheitern damit kläglich.
»Nein, Professor, natürlich nicht, ich konnte nur nicht so gut schlafen.« Ich setze ein professionelles Lächeln auf und ignoriere Jay und Lynn. »Entschuldigen Sie nochmals, es kommt nicht wieder vor.«
Als Jay mich breit grinsend ansieht, unterdrücke ich gerade so, ihm kindisch die Zunge rauszustrecken. Er schafft es öfters, dass ich meine Angewohnheit vergesse, das Leben viel zu ernst zu nehmen. Seine Art, mir zu zeigen, dass ich nie den Spaß verlieren sollte. Nur gerade jetzt würde ich am liebsten im Boden versinken.
Der Professor sieht mich mit hochgereckten Augenbrauen an. »Sie haben sich gestern doch nicht vom Ouzo verführen lassen, Miss Delany?«
Entsetzt reiße ich die Augen auf und weiß im ersten Moment gar nicht, was ich darauf antworten soll. Jetzt weicht jegliche Beherrschung aus Jay, denn er prustet sogleich los, und Lynn tut es ihm gleich.
Ich werfe beiden einen bösen Blick zu, bevor ich mich dem Professor zuwende. »Was? Nein! Natürlich nicht!«, stottere ich. »Der Flug hat mich ziemlich erschöpft und dann die Aufregung wegen der Ausgrabung. Ich bin Ihre Bilder noch mal …«
Jay legt plötzlich seinen freien Arm um mich und zieht mich zu sich heran. »Nein, Professor, für Ouzo hatten wir gestern Abend keine Zeit mehr«, sagt er in völlig ernstem Ton, »das werden wir wohl noch nachholen müssen. Nicht wahr?« Mit einem diebischen Grinsen blickt er mich aus seinen blau blitzenden Augen an. Und genau jetzt überspannt er den Bogen. »Sie trödelt morgens einfach gern, alles dauert etwas länger. Morgenmuffel, wissen Sie.«
Ich schnappe nach Luft und will schon zu einer Antwort ansetzten, doch da sehe ich das belustigte Funkeln in den Augen des Professors und wie er in das Lachen von Jay und Lynn mit einfällt.
Ungläubig sehe ich die drei an. »Ihr habt mich reingelegt!«
Der Professor klopft mir mit einem Schmunzeln auf die Schulter und drückt mir eine Mappe in die Hand. »Sehr verdient, Miss Delany. Dafür, dass Sie meinen akribisch getakteten Zeitplan durcheinandergebracht haben, dachte ich, wäre es nur gerecht, wenn sie auch etwas durcheinanderkommen.« Er zwinkert mir zu und deutet auf meine Mappe. »So nun können wir die Mappen durchgehen, worin ich Ihnen unseren Plan für heute und morgen früh noch einmal aufgeführt habe. Des Weiteren finden Sie dort eine Liste mit allen beteiligten Personen, die vor Ort am Tempel sind.« Er macht eine Pause und kramt in seinem Rucksack, derweil Jay an meine Seite tritt und mir seinen Pappbecher mit dem wohlduftenden Kaffee vor die Nase hält.
»Hier, du Schlafmütze. Vielleicht nicht mehr so heiß, aber besser als gar keiner.«
Ich knuffe ihn gegen den Arm, nehme den Kaffee entgegen und bekomme ein Sandwich in meinen Rucksack gepackt, das er soeben aus seinem gefischt hat.
»Oh, danke, du Verräter. Ich verzeihe dir, denn du rettest gerade mein Leben mit diesem göttlichen Heißgetränk und dem himmlischen Mahl«, sage ich liebevoll, was ihn erneut zum Lachen bringt.
»Wie gnädig.«
»So die Herrschaften, die erste Seite in ihrer Mappe ist die Verschwiegenheitsklausel, der Inhalt sollte klar sein, bitte unterschreiben und mir geben.« Er reicht den Stift an Jay, nachdem er gerade in seinem Rucksack gesucht hatte.
»Wie besprochen werden wir heute Vormittag die Akropolis besichtigen. Mir ist bewusst, dass Sie alle gern sofort zur Ausgrabung wollen, aber ich treffe morgen früh in Delphi noch unseren Auftraggeber Professor Heliopolus. Und da wir im Moment nur einen Jeep und Fahrer haben, werden wir das nur so lösen können. Die Akropolis ist eine tolle Gelegenheit für Sie, sich noch mehr mit Griechenland und seiner Geschichte vertraut zu machen. Und ja, Mister Duncan, ich weihe Sie nun in das Geheimnis unseres Auftraggebers ein.«
Jay sieht spöttisch zum Professor und wirkt fast eine Spur zu überheblich.
»Ich rate Ihnen dennoch dringend, diesen Unsinn mit dem ständigen Gegrinse vor Heliopolus zu lassen, Mister Duncan. Er erwartet ein absolut professionelles Team. Sonst können Sie in den nächsten Wochen von Glück reden, wenn Sie ein Sieb in der Hand halten dürfen, statt das zu tun, für das Sie hierhergeholt wurden. Sie sind ein hervorragender Archäologe mit herausragendem Abschluss, also verhalten Sie sich ihrem Geldgeber gegenüber auch so. Das gilt für Sie alle drei.« Der Professor seufzt und winkt ab. Er will uns nicht wirklich rügen, es scheint fast so, als macht ihm das Treffen mit Heliopolus Kopfzerbrechen. »Sehen Sie es als nett gemeinten Hinweis, ich möchte nämlich keinen von Ihnen nach Hause schicken, bevor es überhaupt begonnen hat. Heliopolus ist sehr speziell.«
»Ja, Professor, ich werde daran denken, versprochen. Wer ist denn nun unser Auftraggeber?«, fragt Jay, ohne diesmal ein Grinsen auf den Lippen zu haben, und nimmt sein Cap ab, um sich unnötigerweise seine blonden glatten Haare nach hinten zu streichen. Ein Zeichen, dass er unsicher ist. Damals, als wir noch zusammen studiert haben, konnte ich diese Geste öfter an ihm beobachten, da hatte sie allerdings fast ausschließlich mit Frauen zu tun.
»Heliopolus ist Professor der Geschichte, sammelt mit Leidenschaft Relikte und ist überaus daran interessiert, dass kein Wort nach draußen dringt – vorerst. Er gehört einer der reichsten Familien Kretas an und ist somit bei den Griechen in aller Munde. Er wird uns Teris, einen seiner Assistenten, zur Seite stellen. Teris wird heute Abend im Hotel in Delphi zu uns stoßen. Ich denke, ich muss keinem von Ihnen erklären, warum er dabei ist.« Er hält inne, blättert durch die Papiere und nimmt die Verschwiegenheitsklauseln von uns entgegen.
»Ich bin ehrlich verwirrt Professor, wie hat Heliopolus von dem Tempel erfahren?«
»Das müssen Sie ihn schon selbst fragen, Miss Delany.«
»Aber was passiert mit den Funden? Werden sie veröffentlicht? Dem Museum überreicht?«
»Ja, werden sie. Er ist kein Grabräuber, falls Sie das vermutet haben. Er unterstützt die Universität und das Museum in Athen mit seinen Geldern und erhofft sich natürlich noch mehr Ansehen, auch außerhalb Griechenlands.«
»Sehr beruhigend«, kommt es ironisch von Lynn und streckt sich.
Ich bin froh, dass ich nicht die Einzige bin, die diesen Gedanken hat, und schenke ihr ein dankbares Lächeln, das sie erwidert.
»Na kommen Sie, viele Ausgrabungen werden privat finanziert, sonst würde es überall an Material und Manpower fehlen.« Er zieht ein weiteres Blatt hervor. »Nächster Punkt: In Delphi haben Sie ebenfalls noch einmal die Möglichkeit sich umzusehen, während ich mein Treffen mit Heliopolus absolviere, danach geht es direkt nach Peloponnes.« Er reibt sich den Schweiß von der Stirn und hakt etwas auf seiner Liste ab. »Wir sind einunddreißig Personen am Tempel, die griechischen Kollegen sind bereits vor Ort, hauptsächlich Ausgrabungshelfer und Studierende von der Universität Athen und natürlich Professor Nikolaidis von der Athener Universität und sein Assistent, aber fragen Sie mich jetzt nicht wie der heißt, steht auf der Liste.« Er reibt sich nachdenklich über das Kinn, winkt dann ab und schüttelt über sich selbst den Kopf. »Andrew Miller ist auch da, meinen Assistenten dürften Sie alle noch aus Ihrer Collegezeit kennen, nehme ich an.« Als wir drei synchron nicken, ist auch dieser Punkt einen Haken auf seiner Liste wert. »Noch Fragen?«
Wir schütteln den Kopf und ich nehme den letzten Schluck Kaffee aus meinem Becher, von dem ich ruhig noch einen haben könnte.
»Und jetzt mal los, meine Herrschaften, packen Sie Ihr Gepäck bitte in den Jeep, ich will heute Abend nicht so spät in Delphi sein.« Der Professor deutet Lynn an, voranzugehen.
Jay stupst mich an und ich boxe ihm leicht gegen die Rippen. Lachend nimmt er mir den leeren Kaffeebecher aus der Hand, wirft ihn mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk wie einen Basketball in den Mülleimer am Eingangsbereich und zwinkert mir herausfordernd zu. »Sei nicht so frech, sonst besorge ich dir nie wieder dein göttliches Heißgetränk unter der Hand.«