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Marcus Wadsak | Paula Dorten

LETZTE

GENERAT!ON

DAS KLIMAMANIFEST

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Inhalt

Letzte Generation

Zu diesem Buch

Letzte Generation

Klima, Corona – alles Krise, oder was?

Die zehn Thesen

These 1 Die Dekarbonisierung geht zu langsam

These 2 Brennende Lunge

These 3 Was ich gerne hätte – autofreie Städte

These 4 Wir müssen unsere Ernährung umstellen

These 5 Hausgemacht

These 6 Weder öko noch sozial

These 7 System Change, not Climate Change!

These 8 Energiewende jetzt!

These 9 Klimakonferenzen – Es braucht mehr als noch mehr heiße Luft und viel BLABLA!

These 10 What do we want? Climate Justice!

Erste Generation

Letzte Generation

MW

„Meine sehr geehrten Damen und Herren. Es reicht!“ – So hat ein österreichischer Politiker einst eine Regierungskoalition aufgekündigt. Und es ist genau dieser Satz, der mir im Jahr 2021 immer wieder und immer öfter in den Sinn gekommen ist. ES REICHT! Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich ein Buch über den Klimawandel geschrieben. Ein Buch mit allen Fakten, die das grundlegende Wissen um die Bedrohung durch die globale Erwärmung bilden. Darin habe ich nicht nur erklärt, dass wir Menschen den aktuellen Klimawandel verursachen und für den globalen Temperaturanstieg verantwortlich sind, sondern auch beschrieben, was uns droht, wenn wir nicht rasch dagegen ankämpfen. Klar und deutlich habe ich zudem darauf hingewiesen, dass wir nicht mehr viel Zeit haben und es dringend und wichtig ist, vom Wissen ins Handeln zu kommen. Doch was ist seitdem passiert? Was muss noch passieren? Was, um Himmels willen, muss noch passieren, damit wir endlich handeln?

Diese Frage stelle ich mir sehr oft und werfe sie auch bei Diskussionen gerne in die Runde. Als Antwort höre ich meist, dass wir erst handeln werden, wenn wir die Folgen der globalen Erwärmung am eigenen Leib spüren. Vielen ist dabei völlig klar, dass es dann zu spät sein wird. Es ist für mich vollkommen unbegreiflich, wie einige Menschen nach wie vor ausblenden, dass die Auswirkungen bereits deutlich zu erkennen sind. Extremwetterereignisse werden immer häufiger und heftiger. Sie kosten uns Jahr für Jahr unglaubliche Summen an Geld und manchen Menschen sogar ihr Leben. Sie halten das für übertrieben?

Nun, blicken wir beispielsweise auf das Jahr 2021 zurück: Ein verheerender Tornado formierte sich im Juni an der Grenze von Österreich zu Tschechien und tötete keine 50 Kilometer von Poysdorf im Weinviertel entfernt fünf Menschen. Ebenfalls im Juni baute sich eine enorme Hitzewelle über Kanada auf. An vier Tagen in Folge wurde der jeweils bisherige Temperaturrekord noch einmal bei Weitem übertroffen. Bei knapp 50 °C war Schluss, allerdings auch für 50 Menschen, die dort dem Extremwetter zum Opfer gefallen sind. Im Juli starben in Deutschland weitere 200 Menschen im Zuge eines Hochwassers, nach Rekordregenfällen. Die Waldbrände in Griechenland trieben mehr als 1000 Menschen in die Flucht vor den lodernden Flammen, ein paar konnten nicht mehr rechtzeitig fliehen. In New York wurden noch nie dagewesene Regenmengen verzeichnet. Hurrikan Ida hatte sich am Weg in den Big Apple zwar abgeschwächt, die Regenmassen waren dennoch zu viel für die Stadt und 40 Menschen kamen ums Leben.

Das sind nur fünf von vielen Extremwetterereignissen im Jahr 2021, und die Wissenschaft rechnet uns vor, dass bereits vier davon Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels sind. Wir sind also nicht einmal in einer reichen, westlichen Millionenmetropole wie New York sicher vor den Folgen der Klimakrise. Der Klimawandel ist längst tödlich geworden, und zwar rund um den Globus. Warum kämpfen wir noch nicht, als würde es um unser Leben gehen? – Es geht um unser Leben.

Zu diesem Buch

Es ist mir sehr wichtig aufzuzeigen, welche enorme Gefahr der Klimawandel für uns darstellt, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Seit mehr als 15 Jahren halte ich aus diesem Grund Vorträge zum Thema Klimawandel und dessen Folgen. Ich habe außerdem die internationale Klimaplattform „Climate without Borders“ mitbegründet, um mit anderen Expert*innen im Austausch sein zu können und direkt von den Auswirkungen der globalen Erwärmung zu erfahren. Ich versuche, soweit es nur irgendwie möglich ist, Klimafreundlichkeit vorzuleben.

Mein Einsatz für ein gutes Klima hat mir viele schöne Momente und Begegnungen beschert. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen besuchte mich in der ORF-Wetterredaktion zum Erfahrungsaustausch, beim Austrian World Summit konnte ich mich gemeinsam mit Arnold Schwarzenegger für ein gutes Klima einsetzen. Und ich durfte Greta Thunberg live in Wien erleben.

Viele junge Menschen machen mir Mut und geben mir Kraft und Zuversicht. Allen voran meine eigenen Kinder. Mein Sohn Jan ist heute 23 Jahre alt und denkt nicht daran, einen Führerschein zu machen, weil er keinen braucht. Meine Tochter Ina hat ihre Ernährung umgestellt und so der ganzen Familie gezeigt, dass es auch ohne Fleisch geht und schmeckt. Mein Jüngster, Tim, gibt mir tagtäglich Kraft, weil er mir sehr dankbar ist, dass ich mich mit so viel Engagement und Herzblut für seine Zukunft und die seiner Freunde einsetze. Zusammen hörten wir einmal den Song „Helden von Heute“ von Falco. Tim schaute zu mir und wiederholte eine Textzeile: „Wir haben den Blick in der Zukunft.“ Und genau das wollen wir weiterhin: auf eine gute Zukunft für alle Menschen blicken.

Viele junge Menschen sind in den vergangenen Jahren auf die Straßen gegangen, um auf ihre Sorgen und Ängste aufmerksam zu machen und uns wachzurütteln. Fridays for Future ist eine Bewegung, die ich sehr bewundere und schätze. Vor allem haben diese engagierten jungen Menschen Recht und ein Recht darauf laut zu sein!

Eine Aktivistin, die mir zunächst auf YouTube aufgefallen ist, ist Paula. Ich war fasziniert von ihrer Herangehensweise, von ihrer Sprache, von der Klarheit, der Energie. Sie findet andere Worte und Ansätze, mit denen wir noch mehr Menschen davon überzeugen können, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Sehr rasch war mir klar, dass das eine wunderbare Ergänzung sein würde. Es hat nicht lange gedauert, bis die Idee eines gemeinsamen Buches geboren war, in dem wir unsere Gedanken, Worte, Ideen und Aufforderungen an Mitmenschen und die Politik bündeln können.

Und so sitzen wir jetzt vor vielen leeren Seiten, die zu unserem Manifest werden sollen. Ich bin selbst gespannt und freue mich darauf. Los geht’s.

Letzte Generation

PD

Es ist Anfang November und ich sitze an einem großen ovalen Holztisch mit einem Verleger und einer Lektorin. Die Bücherregale reichen bis an die Decke. Ich bin neugierig und ein bisschen aufgeregt. Und dann gesellt sich Marcus Wadsak per Videokonferenz zu uns, wir hören seine Stimme durch die Lautsprecher. Auf seinem T-Shirt ist ein blauroter Farbverlauf abgebildet. Die Warming Stripes. Ich muss lächeln. Bis dahin kannte ich Marcus nur als „Wetterfrosch“ und Klimaexperten aus dem Fernsehen. Sein erstes Buch haben mir meine Großeltern vergangenes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Und jetzt, ein paar Monate später, sitze ich in einem Verlag, und wir besprechen unser gemeinsames Manifest. Wir haben es uns beide zur Aufgabe gemacht, den Menschen die Gefahr der Klimakrise bewusst zu machen und die Politik zum Handeln zu bewegen. Er als Experte und ich als Aktivistin. Wir gehören zwar unterschiedlichen Generationen an, aber gemeinsam sind wir die letzte, die noch etwas ändern kann.

Ich frage mich, wie zerbrochen diese Welt sein muss, in der eine 16-Jährige ein Manifest schreibt, um ihre Zukunft zu retten. Die Klimakrise macht mir Angst. Sie ist ein permanenter Gedanke, der sich in meinen Hinterkopf gefressen hat, ich sehe sie überall. Doch die Politik glaubt, ich sehe Gespenster. Ich wünsche mir manchmal, ich hätte ihre Ignoranz. Ich wünsche mir manchmal, ich müsste nicht dauernd daran denken. An die Hungersnöte, die kommen werden, an die Menschen, die flüchten, an den Krieg um die letzten Ressourcen. An die Mütter, die ihre Kinder aus überfluteten Häusern tragen, die zitternden Körper ans klopfende Herz gepresst. An die Bauern*Bäuerinnen, die vor ihrer ich weiß nicht wie vielten Missernte stehen und ums Überleben kämpfen. An grau monochrome Korallenriffe, sterbende Arten, den Regenwald, der in Flammen steht. Manchmal frage ich mich, was das alles noch bringt. Unser Schreien. Unsere Forderungen. Unser Streiken. Den Politiker*innen war das alles gleichgültig in den vergangenen Jahren. Sie haben sich auf unseren Demos ablichten lassen und danach die Klimakrise wieder vergessen. Ich frage mich oft, ob die Politiker*innen es überhaupt irgendwann einsehen werden.

Vor einem halben Jahr haben wir in meiner Stadtgemeinde als „Fridays for Future“ eine Demonstration organisiert, um mehr Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu fordern. Viele Passant*innen waren von unserer Kundgebung begeistert und dankten uns für unseren Mut. Doch unser Bürgermeister, von dem man sich eigentlich Engagement und Unterstützung erwarten sollte, hetzte mit Hasspostings auf Social Media gegen uns. Er beschimpfte uns als die „üblichen Verdächtigen“, die „Demonstrationsterror“ ausüben, warf uns einen Missbrauch des Demonstrationsrechts vor und schloss seinen Facebookpost mit einem kotzenden Emoji ab. Wir waren fassungslos. Wie konnte eine Person, die uns doch eigentlich repräsentieren sollte, ihre Machtposition so skrupellos ausnutzen, um Hass gegen uns zu schüren. Alles, was wir wollten, war schlicht und einfach ein gesundes Klima.

Manchmal will ich aufgeben, weil uns die ständige Enttäuschung die Kräfte raubt. Ich weiß, dass uns für ein „irgendwann“ keine Zeit mehr bleibt. Für so viele geht die Welt gerade unter. Weil aus einem Katastrophensommer viele Katastrophenleben werden. Wir brechen Rekorde wie Glückskekse und wollen es jedes Mal aufs Neue nicht glauben, dass sich darin kein Glück, sondern eine Krise versteckt, dass wir mit unserer exzessiven Lebensweise vielen Menschen das Leben und allen die Zukunft nehmen.

In einem Vortrag habe ich einmal gehört, wenn wir die Klimakrise wirklich verstanden hätten, würden wir alle sofort auf die Straße rennen. Wir müssten schreien und weinen und alle wachrütteln. Es geht längst nicht mehr nur um Eisbären. Es geht um unsere Existenz. Ich glaube, langsam habe ich die Klimakrise begriffen. Ich schreie und weine oft. Die Leute fragen mich oft, wieso ich Aktivistin sei, und begreifen nicht, dass ich keine andere Wahl habe. Ich klammere mich nur an diesen banalen Wunsch einer Zukunft und einer Welt in Klimagerechtigkeit. Die Angst vor dieser „schönen, neuen Katastrophenwelt“ schweißt mich ein. Entweder ersticke ich an Ohnmacht oder kämpfe für Veränderung. Ich möchte nicht ersticken. Der Aktivismus lässt mich atmen.

Man sagt mir, ich solle mich glücklich schätzen. Der Welt gehe es so gut wie noch nie. Man hat wohl recht: Wohlstand, Demokratie und Bildung sind gestiegen, Armut und Sterblichkeit gesunken. Meine Uroma hat im Zweiten Weltkrieg vor Hunger ihren eigenen Hund gegessen, sozialistische Bücher aus Angst in geheimen Schubladen versteckt und sich in ihren letzten Tagen im Krankenhaus die kleinen Butterpäckchen aufgespart. Über die Generationen hinweg sind Reichtum und Lebensqualität merklich gewachsen. Geschichten, die mir meine Eltern und Großeltern erzählen, kann ich oft nicht glauben. Ich darf in die Schule gehen und lernen, lebe in Frieden und Wohlstand, kann später die Welt entdecken – wenn es sie da noch gibt. Ich schätze mich glücklich, denn ich habe keinen Krieg miterlebt, keine Revolution gestartet. Ich habe ein Achtel meines Lebens im Lockdown verbracht und war noch nie außerhalb von Europa. Man meint, mir fehle es an nichts.

Doch was meiner Generation fehlt, ist eine Zukunft, ist der Erhalt dieses Wohlstands, der Erhalt des Friedens. Meine Uroma konnte sich sicher sein, dass es ihrer Tochter besser gehen würde als ihr und ihrer Enkelin besser als ihrer Tochter. Meine Mama weiß, dass diese „Alles wird besser“-Spirale bei ihr zu Ende geht, dass es irgendwann vielleicht sogar keine Hunde mehr geben wird, die wir essen könnten. Meiner Generation wird eine zerstörte Welt in die Hände gedrückt wie eine heiße Kartoffel. Und zwar buchstäblich. In der Klimakrise gekocht. Sie hat uns eingeholt. Ist ein Teil von meiner Generation, ist unsere Gegenwart, unsere Zukunft, die größte Herausforderung der Menschheit. Uns bleibt keine Zeit mehr.

Unsere Art zu wirtschaften, hat in den vergangenen Jahrhunderten die Erde verwundet und alle Ressourcen unter ihren Krusten herausgekratzt. Für den kurzfristigen Profit unserer westlichen Leistungsgesellschaft haben wir die planetaren und humanitären Grenzen ausgereizt und überlassen den nächsten Generationen ausgelaugte Ökosysteme. Die vergangenen sieben Jahre waren die heißesten der Messgeschichte.

In Österreich beträgt die Erderhitzung seit der Industriellen Revolution 2 °C, weil sich große Landflächen doppelt so schnell erhitzen wie Küstenländer. Die Folgen sind Dörfer, die unter Wasser stehen, Wälder, die sterben – durch Feuer oder Borkenkäfer –, Menschen, die sterben – durch die Hitze mehr als durch den Verkehr –, Skigebiete, die schließen, Gletscher, die schmelzen. Unaufhaltbar. Hier in Österreich. Unsere Natur und ihre Rohstoffe halten unser kapitalistisches System aufrecht, aber es zerstört seine eigene Grundlage. Und trotzdem weigert sich die Politik, das Steuerrad herumzureißen, unsere Gesellschaft von Grund auf nachhaltig zu reformieren. Dabei fordern die Menschen seit Jahrzehnten genau das. Jede Sekunde, die wir klimaschutzlos verstreichen lassen, jeder Cent, den wir in die fossile Industrie investieren, raubt uns die Zukunft.