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1
Friedrich Spielhagen, »Henrik Ibsen’s Nora (1880)«, in:
Ibsen auf der deutschen Bühne. Texte zur Rezeption, ausgew., eingel. und hrsg. von Wilhelm Friese, Tübingen 1976, S. 1–19, hier S. 1.
2
Erika Fischer-Lichte / Barbara Gronau / Christel Weiler (Hrsg.), Global Ibsen. Performing Multiple Modernities,
New York 2011, S. 1 f.
3
Fritz Paul, »Einleitung«, in: Henrik Ibsen, hrsg. von F. P., Darmstadt 1977, S. 1–20, hier S. 1.
4
Aldo Keel, »Risse im Puppenheim«, in: Interpretationen. Ibsens Dramen, Stuttgart 2005, S. 69–87, hier: S. 81.
5
Keel (s. Anm. 4), S. 72.
6
Henrik Ibsen, Ein Puppenheim. Stück, Vorarbeiten, Materialien, hrsg. und übers. von Angelika Gundlach, Frankfurt a. M. 1979, S. 254.
7
Ebd., S. 111–212.
8
Gundlach (s. Anm. 6), S. 260.
9
Lena Kühne, Ibsen im Spiegelkabinett. Verfremdung der Gesellschaftsdramen Henrik Ibsens in Parodien und verwandten Rezeptionsformen im deutschen und skandinavischen Sprachraum, Wien 2004, S. 56.
10
Gundlach (s. Anm. 6), S. 215–230.
11
Gundlach (s. Anm. 6), S. 327 f.
12
Ebd., S. 220.
13
Ebd., S. 221. Ibsen lehnte Laura Kielers über eine Freundin an ihn gerichtete Bitte nach einer öffentlichen Erklärung ab: »Eine Erklärung von mir, […] ›daß sie nicht Nora ist‹, wäre sowohl bedeutungslos als auch lächerlich, nachdem ich ja nie das Gegenteil behauptet habe.« Ebd., S. 228.
14
Dieter Bänsch, Henrik Ibsen. Nora oder Ein Puppenheim, Frankfurt a. M. 1991, S. 5.
15
Hermann Hettner, Das moderne Drama. Ästhetische Untersuchungen, Braunschweig 1852, S. 48 f.
16
Ebd., S. 78.
17
Leo Berg, »Henrik Ibsen und das Germanentum in der modernen Literatur«, in: Literarische Volkshefte 2 (1887) S. 7, zit. nach: Theorie des Naturalismus, hrsg. von Theo Meyer, Stuttgart 2008, S. 137 f., hier S. 137.
18
Geneviève Fraisse / Michelle Perrot (Hrsg.), Geschichte der Frauen, Bd. 4: 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. / New York 1994, S. 11.
19
Fraisse/Perrot (s. Anm. 18), S. 21.
20
Nicole Arnaud-Duc, »Die Widersprüche des Gesetzes«, in: Fraisse/Perrot (s. Anm. 18), S. 97–132, hier S. 97 f.
21
Im Gegensatz zu verheirateten Frauen blieben ledige Frauen juristisch gesehen mündig; lediglich in Teilen Skandinaviens, Deutschlands und der Schweiz unterstanden sie
(bis ins letzte Drittel des Jahrhunderts) einem männlichen Vormund; verheiratete Frauen erhielten ihre Mündigkeit erst durch die Auflösung ihrer Ehe durch Scheidung oder Tod des Ehepartners, siehe ebd., S. 128.
22
Michelle Perrot, »Rollen und Charaktere«, in: Geschichten des privaten Lebens, Bd. 4: Von der Revolution zum Großen Krieg, hrsg. von M. P., dt. von Holger Fliessbach und Gabriele Krüger-Wirrer, Frankfurt a. M. 1992, S. 127–194, hier S. 127–144.
23
Henrik Ibsen, »Rede im Skandinavischen Verein in Rom (13. 02. 1879)«, in: Gundlach (s. Anm. 6), S. 232–239, hier S. 238.
24
Ebd., S. 231.
25
Henrik Ibsen, »Aufzeichnungen zur Gegenwartstragödie«, in: Gundlach (s. Anm. 6), S. 111.
26
1863 wurde lediglich unverheirateten Frauen die Mündigkeit zugesprochen, Ehefrauen jedoch erst 25 Jahre später. Siehe Keel (s. Anm. 4), S. 74.
27
Nicht umsonst leitet sich ihr Vorname vom Substantiv nor ab, was im Norwegischen kleines, kindliches Wesen heißt. Siehe Daniel Haakonsen, »Das Tarantella-Motiv in Ein Puppenheim«, in: Paul (s. Anm. 3), S. 197–211, hier S. 210.
28
Bezeichnend für diesen Zusammenhang ist auch Helmers nach dem Maskenball geäußerte Aussage: »Da redet die Lerche, als wenn sie ein Mensch wäre.« (S. 82)
29
Ibsen (s. Anm. 23), S. 238; Ibsens Antrag auf Frauenwahlrecht wurde in der Folge abgelehnt, seine Verachtung äußerte er öffentlich auf dem darauffolgenden Galaabend des Vereins, siehe ebd., S. 239.
30
Ibsen soll von diesem Volksglauben um die Tarantella gewusst haben, siehe Haakonsen (s. Anm. 27), S. 205.
31
Siehe Haakonsen (s. Anm. 27), S. 207 f.
32
Else Høst, »Nora«, in: Paul (s. Anm. 3), S. 180–196, hier S. 185.
33
Zit. nach Emil Reich, »Ibsen und das Recht der Frau (1891)«, in: Friese (s. Anm. 1), S. 67–90, hier S. 75.
34
Reich (s. Anm. 33), S. 77.
35
Michaela Giesing, Ibsens Nora und die wahre Emanzipation der Frau. Zum Frauenbild im wilhelminischen Theater, Frankfurt a. M. 1984, S. 89.
36
Paul Kröger, »Henrik Ibsens Nora. Eine literarische Studie«, in: Wanderer 4 (1909), zit. nach: Giesing (s. Anm. 35), S. 106.
37
Giesing (s. Anm. 35), S. 106.
38
Høst (s. Anm. 32), S. 193.
39
Gundlach (s. Anm. 6), S. 343.
40
Rüdiger Bernhardt, Henrik Ibsen und die Deutschen,
Berlin 1989, S. 206.
41
Daten der Entstehungszeit nach dem Dossier zu Ibsen auf der Website der Norwegischen Botschaft in der Schweiz, amb-norwegen.ch/ibsen/plays/ (Stand: 22. 10. 2021).
42
Daten der deutschsprachigen Erstaufführungen nach Friese (s. Anm. 1), S. 141 f.
43
Kühne (s. Anm. 9), S. 56.
44
Frederick Marker / Lise-Lone Marker, »The First Nora: Notes on the World Première of A Doll’s House«, in: Contemporary Approaches to Ibsen. Ibsenårbok 11 (1970/71) S. 84–87, zit. nach: Aldo Keel, Erläuterungen und Dokumente. Henrik Ibsen: Nora (Ein Puppenheim), Stuttgart 1990, S. 40–43,
hier S. 40.
45
Ebd., S. 40–42.
46
Ebd., S. 42.
47
Marker (s. Anm. 44), S. 42 f.
48
Keel (s. Anm. 44), S. 43.
49
Kühne (s. Anm. 9), S. 56 f.
50
Gundlach (s. Anm. 6), S. 289, siehe auch S. 288.
51
Gunlach (s. Anm. 6), S. 285.
52
Henrik Ibsen, Litterarisches Echo 2 (1899/1900) Sp. 969 f., zit. nach: Keel (s. Anm. 44), S. 44.
53
Gundlach (s. Anm. 6), S. 299.
54
Spielhagen (s. Anm. 1), S. 1.
55
Bernhardt (s. Anm. 40), S. 227 f.
56
Karl Frenzel, »Die Berliner Theater«, in: Deutsche Rundschau 26 (1880), S. 308–310, zit. nach Keel (s. Anm. 44), S. 51.
57
Paul Lindau, »Nora«, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 18 (1880) Nr. 48, S. 348 f., zit. nach Keel (s. Anm. 44), S. 49 f.
58
Bernhardt (s. Anm. 40), S. 233–235.
59
Bänsch (s. Anm. 14), S. 66.
60
Jens-Morten Hanssen, Ibsen on the German Stage 1876–1918. A Quantitative Study, Tübingen 2018, S. 92.
61
Friese (s. Anm. 1), S. XIV.
62
Lena Kühne sichtete für ihre Studie zur Verfremdung von Ibsens Gesellschaftsdramen in Parodien knapp 80 allein im deutschen und skandinavischen Sprachraum erschienene Texte; Nora hat die meisten textuellen Reaktionen erfahren. Siehe dazu Kühne (s. Anm. 9), S. 14 f.
63
Bänsch (s. Anm. 14), S. 77.
64
Benjamin Henrichs, »Ratio ex machina«, in: Die Zeit (14. 12. 1973), Nr. 50.
Autor |
Henrik Ibsen (1828–1906) |
Erscheinung |
Dezember 1879: Norwegische Buchausgabe mit dem Titel Et dukkehjem (›Ein Puppenheim‹) |
Uraufführung |
21. Dezember 1879: Königliches Theater in Kopenhagen |
Gattung |
analytisches Drama, soziales Drama |
Epoche |
Naturalismus |
Ort und Zeit |
Das Stück spielt in den 1870er Jahren in Norwegen, Schauplatz ist die Wohnung der Eheleute Nora und Torvald Helmer. Die Handlung, in drei Akte gegliedert, umfasst ca. drei Tage: Sie beginnt an Heiligabend und endet in der Nacht des zweiten Weihnachtsfeiertags. |
Handlung |
Nora Helmer wird nach acht Jahren Ehe mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Sie hat ihrem Mann eine Genesungsreise nach Italien finanziert, die ihm das Leben rettete, jedoch vor ihm verheimlicht, dass sie sich dazu Geld lieh und die Unterschrift des Bürgen auf dem Schuldschein fälschte. Nun wird sie von ihrem Gläubiger erpresst: Er verlangt, sie solle sich für seine unsichere Stelle in Helmers Bank einsetzen, andernfalls enthülle er ihre Tat. Obwohl er die Stelle schließlich verliert, schickt er, unter dem Einfluss von Noras Freundin, den Schuldschein zurück. Durch einen Brief erfährt ihr Mann dennoch die Wahrheit. Er verurteilt Nora als leichtsinnige Verbrecherin, was ihr die Augen über ihre Ehe öffnet. Enttäuscht von seiner Reaktion verlässt sie ihn und die Kinder. |
»Wohin man kam – in jedem der Kunst und Literatur holden Salon – überall fand man inmitten zwischen den illustrierten Prachtbänden jenes unscheinbare gelbe, ›für zwanzig Pfennige einzeln käufliche‹ Heftchen No. 1257 der Reclam’schen Universalbibliothek mit dem Titel: ›Nora. Schauspiel in drei Aufzügen von Henrik Ibsen. Deutsch von Wilhelm Lange‹; und man konnte mit ziemlich sicherer Chance des Gewinnens eine Wette darauf eingehen, es werde innerhalb der nächsten Viertelstunde von irgendeiner schönen oder nicht schönen Lippe der klangvolle Name der Heldin des Schauspiels ausgesprochen werden und sich daran sofort eine lebhafte Diskussion knüpfen, deren Ende nicht leicht abzusehen war.«1
Friedrich Spielhagens Bericht verdeutlicht anschaulich die Wirkung, die Ibsens soziales Drama bereits kurz nach Erscheinen der deutschen Buchausgabe hatte: Nora erhitzte die Gemüter und entfachte lebhafte Diskussionen um das offene EndeDiskussionen, die sich vor allem um die Radikalität des offenen Endes und das darin aufgeworfene ethische Problem drehten – die Hauptfigur Nora verlässt am Schluss Mann und Kinder und proklamiert ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.
Henrik Ibsens Nora wurde in der öffentlichen Debatte als Angriff auf Moral und gesellschaftliche Nora als Angriff auf die bürgerliche OrdnungOrdnung gewertet; heilige Güter des Bürgertums schienen durch das Stück gefährdet. In Deutschland wurde das Drama aufgrund seiner Radikalität zunächst nur mit einem abgeänderten Schluss aufgeführt, der dem Ganzen seine Brisanz nimmt und die dramatische Aussage in ihr Gegenteil verkehrt – in dieser Fassung fügt sich Nora ihrem Schicksal und bleibt ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter entsprechend bei ihrer Familie.
Bereits wenige Jahre nach seiner Uraufführung am 21. Dezember 1879 in Kopenhagen eroberte das Stück – nach einigen anfänglichen Misserfolgen – alle europäisch orientierten Bühnen und wurde in den Folgejahren als klassisches Drama der Frauenemanzipation gefeiert; wenig später wurde Nora Weltweiter Erfolgin weiten Teilen der Erde gespielt und erfährt auch heute noch zahlreiche nationale und internationale Aufführungen.2
Der Zeitgenössische Relevanzzeitgenössische Erfolg des Dramas liegt sicherlich in der Tatsache begründet, dass Ibsen in Nora gesellschaftliche Widersprüche und private Konflikte zur Schau stellt, die in der damaligen Realität der Zuschauerinnen und Zuschauer wurzeln. Darum kann es auch der Gattung des sozialen Dramas zugerechnet werden, die sich insbesondere mit den Auswirkungen gesellschaftlicher Umstände auf das Individuum auseinandersetzt. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts führten Ibsens Gesellschaftsstücke, die als Beginn des modernen Dramas gelten, zu einer »Revolutionierung des Theaterbetriebs«3 und beeinflussten das kulturelle Schaffen in Deutschland maßgeblich.
Ibsen zeichnet in Nora ein realitätsnahes Bild der bürgerlichen Spiegel der bürgerlichen GesellschaftGesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert und gibt somit Einblick in eine Ära, in der gesellschaftliche Reglementierungen und Hierarchien auch das Privatleben beherrschten und der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau erst ihre Anfänge nahm.
Der damalige Skandal um das Stück erscheint heute nur im Bewusstsein seiner Historizität nachvollziehbar, d. h. in dem Wissen, dass Freiheiten und Wandel hart erkämpft werden mussten; seine gesellschaftskritische Relevanz scheint passé. Dennoch hat Nora im 21. Jahrhundert nichts von seiner Attraktivität verloren: Es handelt von einer mutigen Tat und ihrer anschließenden Verurteilung, vom Wunsch nach echter Liebe und der Erfahrung des Scheiterns, von gewagten Neuanfängen und der Sehnsucht nach Selbstbestimmung – von Aktualität der ThemenThemen, die bis heute nicht an Aktualität eingebüßt haben.