Übersetzung aus dem Niederländischen von Verena Kiefer
Titel der niederländischen Originalausgabe:»Verwoest«
Für die Originalausgabe:
Copyright ® 2017 by Margje Woodrow/Uitgeverij de Fontein, Utrecht, The Netherlands
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright ® 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München unter Verwendung von Motiven © Brian A Jackson/shutterstock; autsawin uttisin/shutterstock; Ann.and.Pen/shutterstock; Anastasiia Guseva/ shutterstock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-1842-4
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Die wahre Kunst der Erinnerung
ist die Kunst der Aufmerksamkeit
Samuel Johnson (1709 – 1784)
Gleich beginnt meine Show.
Was für ein großartiger Tag!
Es ist kalt, aber klar. So klar wie in meinem Kopf. Als müsste alles so sein.
Ich öffne den Müllcontainer und werfe das Pillendöschen hinein. Das Etikett mit meinem Namen habe ich vorher abgekratzt.
So, weg damit. Kein Zeugs mehr, das meine Gefühle unterdrückt.
Von jetzt an handele ich aus eigener Kraft.
Zufrieden denke ich an die Dinge, die ich geregelt habe. Auch wenn ich durchs halbe Land reisen musste, um alles zu besorgen.
Aber die Reisen haben mir die Zeit gegeben, alle Einzelheiten noch einmal durchzugehen.
Ein perfekter Auftritt verlangt nun einmal eine perfekte Vorbereitung.
Ich freue mich schon jetzt auf das spektakuläre Ende meiner Show. Das Publikum wird höllisch überrascht sein.
Höllisch!
Meine Rache wird süß. Und dann?
Dann finde auch ich hier meine Ruhe.
Zu Hause wird geschwiegen. Schon allein beim Hören seines Namens könnte Mama zusammenbrechen. Vor einer Woche erst ist sie aus der Klinik nach Hause gekommen.
Aber Milan für immer totschweigen – ich weiß nicht, ob ich das kann ...
Der Kies knirscht unter meinen Sohlen. Fröstelnd ziehe ich den Reißverschluss meiner Jacke hoch. Irgendwie scheint es auf dem Friedhof immer ein paar Grad kälter zu sein. Ich habe alles Mögliche mitgebracht: ein Plastik-Tray voller Veilchen, lachsrosa Rosen und eine kleine Harke. Ich stelle die Gießkanne unter den Wasserhahn und schaue zu den anderen Gräbern in Milans Reihe hinüber. Von den meisten kenne ich die Namen mittlerweile auswendig, auch das Jahr, in dem sie gestorben sind. Manche Gräber werden sorgfältig mit frischen Blumen, Pflanzen und Windlichtern gepflegt. Doch auf den meisten wuchert Unkraut, und auf den Grabsteinen ist ein grünlicher Belag. Wurden diese Menschen schon vergessen?
Ich bin die einzige Besucherin. Bis auf das Gezwitscher von ein paar Vögeln ist es still auf dem Friedhof.
»Hi!«, sage ich. »Herzlichen Glückwunsch, Alter.« Ich lege die Sachen auf den Boden und befreie die Rosen aus ihrer Folienverpackung. »Guck mal, ganz schön hässlich, oder? Die hast du zum Muttertag immer an der Tankstelle gekauft, weißt du noch?« Es ist immer noch seltsam, mich zu ihm reden zu hören. Ich hocke mich hin, lehne den Strauß an seinen grau gesprenkelten Grabstein und zupfe ein wenig Unkraut aus der Erde. »Unglaublich, wie schnell das Zeug wächst.«
Milan hat mir beigebracht, wie ich es vorsichtig samt Wurzel ausrupfe. Unten am Stängel anfassen und in einer schnellen Bewegung rausziehen. »Weißt du noch, wie wir früher am Grab von Oma und Opa die Erde geharkt haben? Und was wir für eine Angst vor Käfern und Knochen hatten?«
Manchmal haben wir uns bei den Kindergräbern umgeschaut. Dann haben wir uns vorgestellt, an was sie wohl gestorben waren. Bei einem Jungen war es besonders traurig. Sein Grab war voller Unkraut gewesen, also haben wir uns auch bei ihm an die Arbeit gemacht.
Während ich noch mit den letzten Stängelchen zugange bin, ist es, als könnte ich mitten durch die Erde blicken. Es wimmelt nur so von Tierchen in und auf seinem Sarg. Mir läuft ein kalter Schauder über den Rücken. Hätte ich doch bloß nie diesen ekligen Wurm gesehen, als sie seinen Sarg abgelassen haben. Schnell schiebe ich das Bild aus meinen Gedanken.
»Mama ist übrigens wieder zu Hause. Sie schläft noch viel, aber es geht ihr etwas besser. Ich glaube aber nicht, dass sie es schon schafft, dich zu besuchen. Aber na ja – ich bin ja da ...« Ich fange an zu harken und frage mich, ob wohl hin und wieder Leute an Milans Grab stehen bleiben. Sehen sie dann, dass er nur achtzehn Jahre alt geworden ist? Oder reden sie vor allem über den Jungen, der sich besoffen an einem Baum totgefahren hat? Besoffen. Das jedenfalls hat sich nach dem Unfall in rasendem Tempo in unserem Viertel verbreitet. So ein Unsinn! So unfair!
»Man hat nicht mal Alkohol in deinem Blut gefunden«, flüstere ich. »Aber das will keiner hören ...« Ich seufze. »Ach, es ist sinnlos, sich über solche Leute überhaupt Gedanken zu machen. Guck mal, ich habe auch gelbe Veilchen gekauft, die sind doch ganz okay, oder?« Ich halte die Veilchen hoch, als würde ich erwarten, dass er sie sieht. Mit den Händen grabe ich kleine Kuhlen, aber schon bald wird mir klar, dass ich mehr Pflanzen brauche. Das sieht sonst nach nichts aus.
»Bin sofort wieder da«, murmele ich. Wie immer hoffe ich irgendwie auf ein Okay oder Bis gleich ...
Eine Viertelstunde später komme ich mit einem weiteren Pflanzentray auf den Friedhof zurück. Diesmal mit violetten Veilchen. Auf der Kirchturmuhr sehe ich, dass es schon viertel nach fünf ist. Ich muss mich beeilen! Es ist wahnsinnig wichtig, dass ich pünktlich um sechs am Tisch sitze. Ruhe, Regelmäßigkeit und Tabletten, das scheint die Formel für Mama zu sein. Und Schweigen, vor allem über ihn.
Noch immer bin ich die Einzige auf dem Friedhof. Fast wirkt er noch stiller als eben. Totenstill ...
Plötzlich überkommen mich die Tränen. Es ist so unfair! Unser Haus hätte heute von Familie und Freunden nur so wimmeln müssen. Es hätte nach indonesischer Reistafel geduftet, nach Grillspießchen und Gewürzkuchen. Milan hätte seine Anlage nach unten geholt und für die Musik gesorgt. Meine Eltern hätten zusammen gelacht.
Ich verstehe, was Mama damit meint, wenn sie sagt, dass sie innerlich kaputt ist. Am liebsten würde ich mich jetzt ganz schnell umdrehen und wegrennen. Keine Ahnung wohin. Einfach Tage, Wochen weiterrennen, wie in dem einen Film, den Milan und ich so genial fanden.
Trotzdem gehe ich weiter. Ich muss. Sein Grab zu pflegen ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann. Vielleicht fühle ich mich danach weniger beschissen. Ich schlucke meine Tränen hinunter und wische mir ungeschickt über die Wangen. Sobald ich seine Reihe erreicht habe, erschrecke ich. Da ist ein Rascheln neben mir. Oder ist es hinter mir? Ich schaue über meine Schulter. Nichts. Wird wohl ein Vogel gewesen sein. Komm schon, rede ich mir gut zu. Da ist nichts.
An seinem Grab lasse ich vor Schreck das Sechser-Tray mit den Veilchen fallen. Plastik reißt, die Pflanzen liegen auf dem Kopf, Blumenerde über meinen Füßen. Ich starre auf die Worte im frisch geharkten Boden.
TRUTH + DARE = WAHRHEIT
Milans Lieblingsspiel. Truth or Dare. Seine Videos waren auf YouTube ein Hit.
Es fühlt sich an, als würde mir jemand die Kehle zudrücken. Was ist das? Panisch schaue ich mich um. Will sich da einer einen schlechten Scherz mit mir erlauben? »Hey!«, rufe ich. »Los, zeig dich!« Ich blinzele ein paar Mal und spähe zu den bizarren Schatten der Grabsteine hinüber.
Dann sehe ich den weißen Briefumschlag. Bei den Rosen. Mit meinem Namen in schwarzen Blockbuchstaben. Ich hebe ihn auf, fummele den Kleberand auf. Meine Haut prickelt, und die Sonne scheint mir plötzlich direkt in die Augen.
Es ist eine Trauerkarte. Auf der Vorderseite ist ein schlichtes schwarzes Kreuz, darunter ein zierlicher Aufdruck: Viel Kraft. Mit zitternden Fingern klappe ich die Karte auf. Beim Anblick des Fotos erstarre ich.
Blut, viel Blut. Milans Kopf liegt auf dem Lenkrad. Glanzlose, offene Augen, ein schiefer Mund. Sein Arm hängt schlaff aus dem Fenster seines roten Autos. Scherben in den schwarzen Haaren.
Ich würge und wende den Blick ab. Tränen steigen mir in die Augen, Erbrochenes mischt sich mit Rotz. »O Gott«, wimmere ich. »Sorry.«
Am Wasserhahn werfe ich mir einen Schwall Wasser ins Gesicht. Totale Verwirrung jagt wie ein Tornado durch meinen Kopf. Mit einer gefüllten Gießkanne gehe ich wackelig zu Milans Grab zurück und spüle das Erbrochene weg. Dann schütte ich ein wenig Erde darüber. Ein schmutziger Schlammhaufen liegt vor mir. Ich will das Foto und die Karte in den Umschlag zurückstecken und sie zerreißen oder verbrennen. Aber mein Blick bleibt doch an dem Foto hängen. Mit dem Zeigefinger streiche ich über sein Gesicht, als könnte ich so das Blut wegwischen.
Dieses Foto muss kurz nach dem Unfall aufgenommen worden sein. Aber von wem? Ich weiß, dass die Spurensicherung Fotos gemacht hat. Die habe ich selbst gesehen. Aber waren das nicht nur Fotos von Milans völlig schrottreifem Auto gewesen? Sein Körper war da schon rausgezogen worden. Oder ...? Ja, ich bin mir ganz sicher: Ich habe Milan erst gesehen, als er ohne Blut und mit geschlossenen Augen im Sarg lag. In einem kleinen Raum in der Trauerhalle.
Weiß da etwa jemand mehr? Mehr als die Polizei?
Warum bekomme ich dieses abscheuliche Foto? Ausgerechnet heute? Was will derjenige? Oder ist es eine die? Ich schüttele den Kopf, und mir wird wieder schlecht. Hatte Mama vielleicht doch recht?
Die Kirchturmuhr schlägt sechs Mal. Mist, ich bin zu spät. Ich muss dringend nach Hause. Aber wegen Mama darf ich mir nichts anmerken lassen.
Durch das Fenster kann ich meine Eltern am Tisch sitzen sehen. Ich fahre mir mit den Händen durch die Haare und binde sie flüchtig zu einem Zopf. Sehe ich aus, als wäre ich völlig durcheinander? Habe ich dicke rote Augen? Ich atme ein paarmal tief ein und aus und werfe einen prüfenden Blick in das spiegelnde Glas der Haustür, ob meine Wimperntusche verschmiert ist.
»Hallo, ich bin wieder da!«, rufe ich übertrieben fröhlich. Der Briefumschlag brennt in meiner Tasche. So normal wie möglich lege ich meine Jacke auf die Treppe. »Was gibt's zu essen?«
Mama wirkt total niedergeschlagen. Das hält mich nicht davon ab, ihr trotzdem einen Kuss zu geben.
Ich setze mich an den Tisch. Noch immer habe ich mich nicht daran gewöhnt, dass ich jetzt vor Kopf sitze, seit Milans Stuhl weggenommen wurde. Aber lieber so, als dass Mama ständig auf den leeren Stuhl starrt.
Ich hebe den Topfdeckel. »Oh, lecker, Spaghetti Bolognese. Hast du gekocht, Mama?« Ich muss aufpassen, dass sich mir nicht wieder der Magen umdreht.
Mama schüttelt den Kopf und zeigt lustlos zu Papa. »Ich habe mich nur um den Salat gekümmert.« Sie sagt es in einem Ton, als hätte sie das zu Tode erschöpft. Die dunklen Ringe unter ihren Augen sprechen Bände.
Ich versuche, noch fröhlicher zu klingen. »Na, wenn er mit deinem leckeren Dressing ist, kann ja heute nichts mehr schiefgehen.«
Ich spüre Papas Fuß an meinem Bein. Er signalisiert mir, die Klappe zu halten.
Ich schweige.
Wir schweigen zu dritt.
Ich lausche dem Klappern und Schaben des Bestecks. Ich höre mich selbst kauen. Schlucken ist anstrengend. Das grausige Bild vom Foto presst mir die Kehle zu. Könnte ich nur davon erzählen. Könnte ich doch bloß sagen, dass Mamas Zweifel nicht von ungefähr kamen. Dass ich dasselbe glaube. Plötzlich bin ich fest entschlossen und lege meine Gabel hin.
Mama schaut mich mit glasigen Augen an.
Mein Mund öffnet sich und klappt wieder zu. Ohne es laut zu sagen, verspreche ich ihr, die Wahrheit herauszufinden.
Papa stupst mich an. »Was hast du denn mit deinen Fingernägeln gemacht? Die sind ja ganz schwarz.«
Seine Frage erschreckt mich. »Oh, äh, nichts Besonderes. Wir mussten in Bio mit Pflanzen arbeiten.« Ich mustere ihn. Milan und er sehen sich so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Sahen. An Papas Kinn und auf der Oberlippe klebt etwas Sauce. Mein Blick trübt sich. Es ist, als würde ich dieses furchtbare Foto anschauen ... Das ganze Blut ...
»Juul?«
Ich blinzele.
Papa weist auf Mama. »Sie hat etwas zu dir gesagt.«
Mamas Daumen gleitet langsam über meine Fingernägel. »Sie sehen aus wie Trauerränder«, sagt sie.
Kurz darauf liegt Mama auf dem Sofa und ruht sich aus. Papa und ich räumen auf. Die Tür zum Wohnzimmer ist zu, und ich schalte absichtlich den Wasserkocher an. Sie darf uns nicht hören.
»Papa, kann ich dich etwas fragen, über, äh ... Also, ich weiß, dass du lieber nicht willst, dass ich davon anfange, aber ich will etwas wissen über Milan ... über den Unfall.«
Mein Vater hört auf zu spülen und seufzt tief. »Nein, Juul, lieber nicht. Wegen Mama, verstehst du? Wenn wir jetzt wieder alles aufwärmen, dann ...« Er bringt den Satz nicht zu Ende und starrt traurig auf den Topf im Spülbecken.
»Aber sie kann uns doch jetzt gar nicht hören. Es ist echt wichtig.« Das klingt quengeliger als beabsichtigt.
An seinem Unterkiefer zittert ein kleiner Muskel. »Ich habe wirklich genug um die Ohren. Das Einzige, worum ich dich bitte, ist, dass du nicht immer wieder von Milan anfängst, okay?«
Ich nicke und schlucke meine Tränen hinunter. Ich muss es sagen. Ich muss einfach! »Aber er hat heute Geburtstag!«
»Er hätte heute Geburtstag«, korrigiert er mich, und seine Stimme überschlägt sich dabei.
Der Wasserkocher stellt sich automatisch ab. Flüsternd fährt mein Vater fort: »Und jetzt musst du echt aufhören. Ist es denn wirklich so schwierig, auf deine Mutter Rücksicht zu nehmen?« Er schaut mich enttäuscht an. »Also?«
»Ich mache nichts anderes ...«, murmele ich.
»Was hast du gesagt?«
»Nichts.« Schweigend trockne ich weiter ab. Ich konzentriere mich auf das Brummen des Kühlschranks, aber die Wörter Truth + Dare = Wahrheit schwirren weiter wie eine wütende Wespe durch meinen Kopf. »Papa?«
Sein Kopf wendet sich mir langsam zu, und ich erschrecke vor dem gequälten Blick in seinen Augen.
»Ach, nicht so wichtig.«
In meinem Zimmer hole ich den Briefumschlag aus der Jackentasche. Erst als ich sicher bin, dass meine Eltern unten vor dem Fernseher sitzen, ziehe ich die Karte raus. Das Foto lege ich mit dem Gesicht nach unten neben mich. Ich will es nicht anschauen. Für einen Moment kneife ich die Augen zusammen. Dann klappe ich die Karte auf und zwinge mich zu lesen, was dort steht.
PKW rast gegen Baum
Ein achtzehnjähriger Mann aus Tilburg prallte in der Nacht von Samstag auf Sonntag frontal gegen einen Baum. Der Unfall ereignete sich gegen Mitternacht auf der Bundesstraße von Haaren Richtung Oisterwijk. Wie es dazu kommen konnte, ist unklar. Wahrscheinlich hat der junge Mann die Gewalt über das Steuer verloren und ist mit dem Fahrzeug in die Böschung geraten. Ob Alkohol im Spiel war, wird momentan noch untersucht. Rettungsdienste kamen zu spät, das Opfer verstarb noch an der Unfallstelle. Die Polizei sucht nach Zeugen.
Milan war zu allem bereit. Und du, Juul? Wie weit bist du bereit zu gehen? I dare you. Entferne seinen Kopf aus dem Klassenfoto am Walberg-Gymnasium. Ersetze ihn durch einen Totenschädel. Als Beweis verlange ich ein Video mit dir in der Hauptrolle. Schicke es an 061426899. Frist: 24 Stunden. Danach erfährst du die Wahrheit über seinen Unfall.
P.S.: Keine Polizei!!
Ich sehe, höre, weiß alles.
»Unklar«, flüstere ich. Genau das hat Mama immer wiederholt. Papa und mir gegenüber. Familie und Freunden gegenüber. Der Polizei gegenüber.
Mein Blick huscht zur rechten Seite der Karte. Dort ist ein kopierter Screenshot.
Nebel füllt meinen Kopf. Das ... Das ist eine Nachricht von Milan. Aber für wen war sie gedacht?
Milans Kopf vom Klassenfoto entfernen? Was soll das? Wer will das? Was ist das für eine absurde Dare? Ich greife zu meinem Handy. Geh dran, bitte geh dran!
Keine zehn Minuten später stürmt Fleur in mein Zimmer. Ich falle meiner Freundin um den Hals und fange an zu erzählen. Mit offenem Mund hört sie mir zu, und ihre strahlend blauen Augen werden immer größer. »Das ist nicht dein Ernst!«, wiederholt sie ständig. Mit kaltem Grausen betrachtet sie das Foto. »Was für ein Scheiß, Juul, wie schrecklich«, sagt sie. Wie eine erfahrene Ermittlerin studiert sie den Zeitungsartikel, den Screenshot von Milans Nachricht und die Dare. Sie glättet die Karte und hält sie unter die Schreibtischlampe. Ihr Zeigefinger folgt den Wörtern Buchstabe für Buchstabe, und dann riecht sie sogar am Papier.
Unterdessen tigere ich in meinem Zimmer umher. Ab und zu bleibe ich vor dem Spiegel stehen. Wie blass ich bin! Meine langen schwarzen Haare sind struppig und lösen sich aus dem unordentlichen Zopf. Ich sehne mich nach einer warmen Dusche, um die Verwirrung abzuspülen.
»Du musst zur Polizei«, sagt Fleur. »Das hier ist völlig krank. Du hast doch hoffentlich Fotos von seinem Grab gemacht, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich hatte mein Handy vergessen.«
»Oh.« Sie schweigt kurz. »Ist das vielleicht einfach irgendein übler Scherz von ... Ja, Himmel, von wem eigentlich?«
»Dachte ich auch zuerst, aber als ich das Foto gesehen habe und diese Karte, da ...« Ich schlage die Hände vors Gesicht. Die Tränen, die sich schon beim Abwasch angekündigt haben, brechen sich jetzt Bahn.
Fleur umarmt mich. »Hey, du Liebe, komm mal her.« Sie streicht mir über den Rücken und zieht mich noch fester an sich. »Hast du es deinen Eltern schon erzählt?«
»Nein.« Ich schniefe. »Ging nicht.«
Fleur zieht mir die Hände vom Gesicht, wischt eine Träne weg und sieht mich eindringlich an. »Aber deine Mutter hatte doch selbst so große Zweifel in den Wochen nach Milans Unfall und wurde deswegen ...« Fleur sucht nach Worten.
Weinend ergänze ich für sie: »Verrückt, meinst du?«
»Äh, so ähnlich, ja.«
»Genau deswegen habe ich mich nicht getraut, es zu erzählen.«
»Und was ist mit deinem Vater?«
»Der wollte absolut nichts davon hören. Hat natürlich Angst vor Mamas Reaktion.«
Fleur sieht mich ungläubig an. »Aber das hier ist wirklich ernst! Und diese Dare ist so seltsam. Die von Milan waren ja immer noch witzig, aber doch nie so absurd wie diese.«
Ich schüttele den Kopf und ziehe die Nase hoch. Die Wörter Keine Polizei kreisen in meinem Kopf. Es ist, als könnte Fleur Gedanken lesen, denn sie sagt: »Juul, ganz im Ernst, wir müssen die Polizei einschalten. Wir können doch nicht auf so eine schwachsinnige Dare von irgendeinem Idioten eingehen!«
Trotz meiner Tränen muss ich lachen. Wie sie das sagt: wir. Als wären wir schon ein Team. Vom Regal neben meinem Waschbecken nehme ich ein Handtuch und wische mir übers Gesicht. Sie hat recht. Diese Dare werde ich nicht annehmen! Wir müssen zur Polizei. Aber wieder denke ich an die Worte Keine Polizei!! Ich sehe, höre, weiß alles. »Das geht nicht«, sage ich. »Guck mal.« Ich reiche ihr die Karte und zeige auf das PS.
»Vergiss es! Gerade die Polizei weiß, wie sie damit umgehen muss. Komm, wir rufen einfach dort an und fragen, an wen wir uns wenden müssen. Wo ist dein Handy?«
Für einen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. Einfach anrufen? Das geht mir zu schnell. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Um eine Entscheidung zu treffen. »Fleur, warte mal.« Erneut studiere ich das Foto und versuche, über das Blut und die glanzlosen Augen hinwegzusehen. Es klappt nicht. Wieder protestiert mein Magen. Ich lege einen Finger über Milans Gesicht. Irgendwas ist mit dem Foto. Was übersehe ich?
Fleur schaut über meine Schulter mit auf das Bild. Ich spüre ihren Atem in meinem Nacken. Aus Versehen stößt sie an meinen Arm, und mein Finger rutscht nach rechts. Erst da fällt es mir auf. Mein Herz fängt an zu wummern. »Da!«, rufe ich. »Siehst du das?« Ich tippe auf die Beifahrertür. »Guck mal, die Tür ist geöffnet! Siehst du das?«
»Ja, aber was meinst du damit?«, fragt Fleur unsicher.
»Ist es nicht verrückt, dass diese Tür offensteht?«
»Na ja«, sagt sie. »Ich weiß nicht. Nach so einem Aufprall ... Wenn du siehst, wie zerknautscht die Front ist. Vielleicht ist die Tür dann auch, äh, aufgeflogen oder so?«
Ich lasse das kurz auf mich wirken. »Nein«, sage ich entschlossen. »Das glaube ich nicht. Das hätte mit der anderen dann auch passieren müssen, oder?« Mein Finger schiebt sich auf die Tür, aus der Milans Arm hängt. Mir läuft ein Schauder über den Rücken. Das zerbrochene Fenster, das ganze Blut, der Arm ...
Offenbar kann Fleur auch nicht mehr hingucken. Sie dreht sich um und lässt sich auf mein Bett fallen. Eine Weile schweigen wir. »Wo ist sein Auto eigentlich geblieben?«, fragt Fleur dann.
»Auf dem Schrott. Nach der kriminaltechnischen Untersuchung wurde es dort hingebracht.«
»Von wem? Und auf welchen Schrottplatz?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Weiß dein Vater das nicht?«
Wieder zucke ich mit den Schultern. »Als ob der mir eine Antwort geben würde.«
»Stimmt.«
Wir schweigen wieder.
»Na ja, deine Eltern waren ja noch nie sehr gesprächig ...«
»Snoeren!«, falle ich ihr ins Wort. »Snoeren war es!«
Fleur macht ein fragendes Gesicht. »Äh, ich kann dir gerade nicht folgen.«
»So hieß der Schrottplatz.«
»Okay, aber ...«
Wieder unterbreche ich sie. »Und wie wäre es, wenn wir uns selbst einen Eindruck verschaffen würden?«
»Was meinst du damit?«
»Dass wir Milans Auto suchen.«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Es ist schon fast halb neun, Juul, die haben ganz sicher nicht mehr offen.«
»Deswegen ja gerade. Wir können uns in aller Ruhe umschauen.«
»Ach, ich weiß nicht, Juul. Kann das nicht bis morgen warten? Und was sagen wir deinen Eltern?«
»Keine Ahnung, vielleicht irgendwie so was, dass wir noch Hausaufgaben bei dir machen müssen? Warte, ich nehme eine Taschenlampe mit.« Ich suche in der Schublade unter meinem Bett.
»Okay«, sagt sie nach einer Weile. »Wenn du mir versprichst, dass du morgen zur Polizei gehst, komme ich jetzt mit.«
Als wir auf dem Industriegelände ankommen, lege ich meine Hand auf ihren Arm. »Warte mal. Ich glaube, wir sollten lieber über die Rückseite reingehen.«
»Quatsch, es ist bestimmt keiner mehr da. Komm, wir versuchen es einfach.«
Ich seufze. Typisch Fleur. Vorhin wollte sie noch die Polizei anrufen, und jetzt tut sie so, als wäre das alles ein Klacks.
Kurz darauf rüttelt Fleur am Eisentor von Schrottplatz Snoeren. Das Gelände ist mit Stacheldraht eingezäunt. Die Außenbeleuchtung im vorderen Teil brennt und erhellt aufeinandergestapelte Autos, Container voll altem Metall, Wrackstücken und Autoreifen.
»Hallo? Hallooo, ist da jemand?!«, ruft Fleur fröhlich. Als kämen wir zum Kaffee!
Ein Hund fängt an zu bellen. Die Laute kommen aus dem Lagerschuppen. Ich mag keine Hunde.
»Psst.« Ich remple sie an. »Was machst du denn da?«
»Wir sollten schon mal kurz die Lage checken! Oder hast du Lust, gleich irgendeinem verrückten Typen in die Arme zu laufen?« Ärgerlich reibt sich Fleur die Seite.
»Komm«, sage ich. »Ich will wirklich lieber von hinten aufs Gelände.«
Fleur läuft hinter mir her, und ich tue so, als könnte ich ihr Murren nicht hören. Schon nach knapp hundert Metern stellt sich heraus, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind, die bei einer Snackfabrik endet.
»Und jetzt?«, fragt Fleur.
Ich suche den Zaun ab. »Wir kriechen hier unter dem Stacheldraht durch, und dann laufen wir von der Seite aus nach hinten, okay?« Ich schließe mein Fahrrad an einen Baum an und nehme die Taschenlampe.
»Warum willst du denn unbedingt hinten anfangen?«
Der Ton sagt mir, dass sie anderer Meinung ist als ich.
»Weil ich keine Lust habe, irgendeinem verrückten Hund in die Arme zu laufen.« Sofort tut es mir leid, sie so angeschnauzt zu haben. Fleur will mir schließlich nur helfen. »Sorry«, sage ich schnell. »Ich hab's nicht so gemeint.«
Jetzt rempelt Fleur mich an. »Okay.« Sie lehnt ihr Rad an meins. »Sollen wir dann mal? Ich gehe vor. Gibst du mir die Taschenlampe?«
Bevor auch ich unter dem Stacheldraht durchkrieche, schaue ich mich noch einmal gründlich um. Hockt da auch keiner im Gebüsch? Steht niemand hinter einem Baum? Nur auf dem Schrottplatz brennt Licht. Stell dich nicht so an, rede ich mir gut zu, aber mein Herz klopft jetzt doch schneller.
Fleur ist bereits auf dem Gelände. Jetzt nur noch ich. Das Gras ist hoch. Ich bücke mich und drücke den untersten Draht runter. Plötzlich kribbeln meine Hände ganz furchtbar. Fluchend zucke ich zurück und gerate mit der Stirn an den Stacheldraht. Auch das noch. Ich spüre, wie mir ein warmer Strahl am Ohr entlang über die Wange läuft. Ich wische mit der Hand darüber.
»Wie siehst du denn aus!«, ruft Fleur, als sie mir mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtet. »Du bist ja voller Blut! Komm mal her.« Sie zückt ein Taschentuch und tupft vorsichtig über mein Gesicht. »Entspann dich«, sagt sie. »Es ist sauber.« Ihr Atem riecht nach Zahnpasta. »Oh je, was für ein Schnitt, das muss genäht werden, Juul. Damit kannst du nicht rumlaufen.«
Ich erschrecke. Bitte nicht. Schnell übernehme ich das Taschentuch, gehe zu einem Auto und schaue in den Seitenspiegel. Aber so im Dunkeln kann ich nichts sehen. »Fleur, leuchtest du mir mal?« Es blutet wirklich heftig! Im Licht der Taschenlampe wirkt mein Spiegelbild besonders gruselig. »Ach«, sage ich möglichst cool, »alles halb so wild. Komm, sonst verlieren wir zu viel Zeit.« Schnell gehe ich durch die Autoreihen, das Taschentuch fest gegen die Stirn gepresst.
Es ist schwierig, im Dunkeln Farben zu unterscheiden. Da stehen Fahrzeuge diverser Sorten, Größen und Marken. Verbeulte und eingedellte, viele ohne Reifen und mit kaputten Scheiben. Ich schätze, dass Snoeren ein paar Tausend auf seinem Gelände stehen hat. Die Stapel sehen aus, als könnte das oberste Auto jeden Moment runterdonnern. Es riecht nach einer Mischung aus Öl, Gummi und Benzin, und der Geruch verursacht mir Übelkeit.
Fleur und ich reden wenig, während wir uns durch die Reihen schlängeln. Jedes Mal, wenn ich glaube, ein rotes Auto zu sehen, beschleunige ich meinen Schritt. Bis auf unser Rascheln im Gras und ein Knacken oder Piepsen hier und da ist es still.
Nach einer knappen Stunde will ich aufgeben. Das hier ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wenn wir sie alle absuchen müssen, sind wir die ganze Nacht zugange. Vielleicht ist Milans Auto ja längst in der Presse. Gerade, als ich mich mit Fleur beraten will, fasst sie mich am Arm. »Juul, da hinten!« Sie richtet die Taschenlampe auf ein verbeultes Auto über einem schwarzen Mercedes. »Ist es das nicht? Davon ist ja tatsächlich nicht mehr viel übrig.«
Ich erstarre, als würde ich einen Geist sehen.
Fleur reicht mir die Taschenlampe und rennt auf das Auto zu. »Worauf wartest du noch?!«, ruft sie.
Ich kann nur mit dem Licht der Taschenlampe das Barcelona-T-Shirt anstrahlen, das mit einem Saugnapf an der Innenseite der Scheibe befestigt ist. Blödes Teil. Dachte ich zumindest letztes Jahr, als er nach einer Klassenfahrt damit ankam. Jetzt spüre ich den Drang, es an mich zu drücken und nie wieder loszulassen. Ich beiße mir auf die Lippen. Meine Augen brennen.
»Juul ...? JUUL!«
Ich schrecke auf. Eine Träne rollt über meine Wange.
»Kommst du noch?« Fleur steht an der Motorhaube des schwarzen Mercedes und winkt mir zu. »Such mal was, auf das wir klettern können!«, ruft sie. »Von dieser Seite aus klappt es nicht.«
Ich leuchte meine Umgebung ab. Ein paar Meter weiter steht ein verrostetes Fass neben einem Wohnwagen. Oben drin ist zwar ein großes Loch, trotzdem ruckele ich das Ding locker, kippe es um und rolle los. Modriger Matsch tropft aus dem Loch, es riecht übel nach verrotteten Blättern und Schlamm. Ein paar Spritzer landen auf meiner Jeans.
»Gibt es nichts anderes?«, fragt Fleur, als ich das Fass endlich zum Auto gerollt habe.
Ich seufze. Muss sie jetzt wirklich darüber diskutieren? Dafür haben wir keine Zeit, denke ich und klettere selbst drauf. Es wackelt, und mein linker Fuß versinkt im Loch. Ich halte mich am Mercedesdach fest und ziehe den Fuß raus. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen Knöchel. Mist!
Plötzlich knackt es ganz laut neben uns.
Fleur stößt einen Schrei aus, und mein Atem stockt.
Wieder ein Knacken, gefolgt von einem schabenden Geräusch.
Ich schaue zur Seite.
»Juul«, flüstert Fleur und fasst an die Tonne. »Was war das?«
In der Ferne bellt ein Hund.
»K-keine Ahnung.« Ich rüttele, zerre und reiße an der Tür von Milans Auto. Geh auf, geh auf, oh, komm schon! Endlich gibt die Tür nach. Die Taschenlampe unter den Arm geklemmt ziehe ich mich selbst am Lenkrad in den wackelnden Wagen. Auf dem Sitz sind dunkle Flecken. Blut? Nicht hinschauen. Sobald ich sitze, lasse ich den Lichtstrahl über die Frontscheibe wandern. Ich fange einen Hauch von Milans Lieblingsduft Acqua di Giò ein. Oder bilde ich mir das nur ein?
»Siehst du was?«, fragt Fleur.
»Noch nicht.« Ich habe keine Ahnung, wonach ich suche. Wo soll ich anfangen? Was will ich? Die Beifahrertür, die auf dem Foto weit offen stand, ist jetzt natürlich zu. Ich drehe mich um und leuchte die Rückbank ab. Nichts. Oder doch? Ganz langsam lasse ich den Lichtkegel noch einmal darüber wandern. Auf dem Sitz liegt etwas.
Ein Lipgloss. Enttäuscht stecke ich ihn in die Jackentasche. Dann löse ich das Barcelona-Shirt vom Fenster.
Ich kurbele die Scheibe neben mir runter und schaue frustriert ins Dunkle.
Plötzlich rieche ich etwas Seltsames. Brandgeruch. Eine Zigarette? Instinktiv lösche ich das Licht.
»Juul?«
Ein dunkler Schatten, gleich neben dem Wohnwagen. Eine Bewegung.
Ich halte den Atem an und starre auf den dunklen Fleck, als würde ich davon eingesogen.
Ein orangefarben glühendes Pünktchen. Wird schwächer. Leuchtet auf. Der Geruch ist jetzt intensiver.
»Juul?«
Ich traue mich nicht, Fleur zu sagen, was ich sehe. Was ich denke. Meine Hand umklammert die Taschenlampe. Soll ich es wagen? In einer fließenden Bewegung knipse ich sie wieder an und richte das Lichtbündel auf den Schemen.
Ein, vielleicht zwei Sekunden lang sehe ich ein Gesicht, versteckt in einer Kapuze.
Ich schreie.
Fleur schreit.
Die Taschenlampe fällt mir aus der Hand. Ich flüchte aus dem Auto, suche Halt am Fass, verliere aber das Gleichgewicht. Fleur packt mich an meinem schmerzenden Knöchel. Ist es überhaupt Fleur? Meine Fingernägel kratzen über den Lack.
Ich schaue über meine Schulter. Der Schatten ist verschwunden. Oder? Wo ist er? O Gott, wo ist er geblieben?
»Juul, jetzt antworte mir doch mal, du machst mir Angst«, sagt Fleur mit schriller Stimme.
»Renn, Fleur!«, rufe ich. »Jetzt!«
Endlich haben wir den Weg erreicht. Endlich! Wir rutschen unter dem Stacheldraht durch und sprinten weiter. Den Schmerz in meinem Knöchel ignoriere ich. Wo stehen unsere Räder? Schnell scanne ich die Umgebung. Es ist so dunkel! Dann erkenne ich die Umrisse der Snackfabrik. »Nach links«, bringe ich keuchend raus.
Fleur hat Mühe, mit mir Schritt zu halten, und keucht noch lauter als ich.
Ich könnte heulen vor Erleichterung, als ich unsere Räder entdecke. Den Schlüssel fische ich noch im Laufen aus meiner Hosentasche. Seltsam ... Hatte ich das Rücklicht nicht ausgemacht? Meine Brust schmerzt, aber Zeit zum Verschnaufen bleibt mir nicht. Ich schaue hinter mich. Und noch einmal.
»Juul«, höre ich Fleur wimmern, als sie ihr Rad wegnehmen will.
O mein Gott, es war nicht das Rücklicht!
Auf meinem Fahrradsattel liegt die Taschenlampe, die mir am Auto aus der Hand gefallen war. Der Strahl ist auf den Gepäckträger gerichtet. Zwischen den Spannbändern klemmt ein Zettel mit schwarzen Blockbuchstaben.
ICH SEHE ALLES