Michael Putz
Praxisbezogene Ausbildung
für Reiter und Pferd
Bibliographische Information
der deutschen Bibliothek
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©2004 FNverlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH, Warendorf.
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Lektorat:
Dr. Carla Mattis, Warendorf
Korrektorat:
Stephanie Vennemeyer, Ahlen
Titelbild:
Ute Schmoll, Wiesbaden (Foto)
E-Book-Herstellung:
Open Publishing GmbH
Gesamtgestaltung:
Ute Schmoll, Captain Pixel, Wiesbaden
Es ist mir eine besondere Freude, das Vorwort zu dem Buch „Reiten mit Verstand und Gefühl" von Michael Putz verfassen zu dürfen.
Klaus Balkenhol, einer der erfolgreichsten deutschen Dressurreiter und –trainer, seit einigen Jahren Coach des US–Teams
Ich sehe dieses Buch als eine Notwendigkeit, denn die Ausbildung der Reiter hat bedauerlicherweise mit der qualitativen Verbesserung der Pferde durch den Fortschritt in der Pferdezucht in den letzten Jahrzehnten nicht mithalten können. Dabei beruht der Erfolg zu 75% auf der Ausbildung, nur zu 25% auf der Veranlagung des Pferdes. Deshalb verschwinden zahlreiche überdurchschnittlich veranlagte Pferde durch unsachgemäße und zu schnelle Ausbildung in der Versenkung, andere schwierige und eher durchschnittlich begabte Pferde werden durch überlegte und geduldige Ausbildung zu erfolgreichen Pferden.
Viele Reiter und Ausbilder haben aber auch nie die Gelegenheit gehabt, auf einem gut gerittenen Pferd fühlen zu lernen und es fehlt leider häufig, trotz aller theoretischen Ausbildung, am theoretischen Wissen.
Als Lehrgangsleiter habe ich mir oft die Frage gestellt, ob es möglich ist, den Reitern das Gefühl auf ihren zum Teil völlig verkrampften Pferden umzuschulen und eine Idee davon zu vermitteln, wie es sein sollte. Häufig wird schnell zu Schlaufzügeln gegriffen, damit es schneller und einfacher geht. Hilfszügel jeglicher Art sollten bei richtiger Ausbildung jedoch überflüssig sein. Kaum einem ist klar, dass es sich meistens um das Unvermögen der Reiter handelt.
Darüber hinaus stellen Pferde aber auch den erfahrenen Reiter und Ausbilder oft vor neue schwierige Situationen, die für Reiter bzw. Ausbilder Anlass sein sollten, sich wieder intensiv mit der Reitlehre und insbesondere mit der Ausbildungsskala auseinander zu setzten.
Ich selbst hatte das große Glück einen Ausbilder von der Kavallerieschule Hannover gehabt zu haben, einen exzellenten Reiter und Ausbilder nach allen Regeln der klassischen Reitlehre. Er hat mir beigebracht, dass die reelle Grundausbildung am Anfang steht. Er hat mich fühlen gelehrt, wie es ist, wenn das Pferd anfängt, sich loszulassen und wann die Zeit für die Versammlung gekommen ist. Er hat mich auch gelehrt, dass der Reiter die Versammlung auch bei jungen Pferden annehmen darf, wenn kein Zwang angewandt wird, und dass Zwang zu Verkrampfungen bei Reiter und Pferd führen kann. Bei seinen Pferden war zu beobachten, dass sie im Laufe der Ausbildung schöner wurden. Er hat mir beigebracht, dass Erfolg nicht alles ist und wir eine Verantwortung für die Pferde haben, die uns anvertraut und auch ausgeliefert sind.
Dies gilt sowohl für den Turnier–, wie auch für den Freizeitreiter. Ausbildungserfolge basieren grundsätzlich auf den Regeln der klassischen Ausbildung, die in den Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung niedergeschrieben sind.
Das vorliegende Buch kann eine große Hilfestellung für deren Umsetzung in die reiterliche Praxis sein. Herr Putz vermittelt und erklärt die Reitlehre nach den Richtlinien gut verständlich und vor allem umsetzbar. Dabei kann er auf jahrzehntelange Erfahrungen als Ausbilder, Richter und Reiter zurückgreifen, in denen er mit zahlreichen Ausbildungsproblemen konfrontiert wird und für die er immer eine Lösung durch Ursachenforschung und in den Richtlinien der klassischen Reitlehre findet.
Ich kann jedem Reiter und Ausbilder empfehlen, dieses Buch zur Hand zu nehmen. Und nicht erst, wenn Probleme auftreten und grundlegende Fehler gemacht werden. Mit diesem Lehrbuch haben Reiter und Ausbilder einen Begleiter für den gesamten Ausbildungsweg von Reiter + Pferd zur Hand, der von der Grundausbildung bis hin zum S–Niveau führen kann.
Ihr Klaus Balkenhol
In der Zeitschrift „Pferdesport international” schreibt seit einigen Jahren Michael Putz in zahlreichen Artikeln über reiterliche Themen „aller Art”. Besonders betont er Grundsätze der Ausbildung von Pferd und Reiter von Kl. A bis S.
Diese Kurzartikel haben in weiten Kreisen der Reiterei viel Anerkennung gefunden. M. Putz versteht es, in wenigen Sätzen Wichtiges und Wesentliches zur Ausbildung von Pferd und Reiter verständlich zu erklären. Von vielen reitbegeisterten Lesern wurde daher geäußert, Herr Putz möge diese Artikel, gegebenenfalls überarbeitet, entsprechend geordnet mit guten Bildern und Unterschriften versehen, in Buchform herausbringen. Obwohl es in der Reiterei grundsätzlich nichts Neues gibt und letztlich in vielen Büchern auch nur gute alte Grundsätze teilweise unterschiedlich betont werden, hat dieses Buch von Michael Putz besondere Bedeutung. Zahlreiche Fragen im Umgang und in der Ausbildung von Reiter und Pferd werden mit wenigen Worten leicht verständlich für das praktische Reiten und Ausbilden zutreffend und sorgfältig – aus der Praxis für die Praxis – besprochen. Beim Durchlesen des Inhaltsverzeichnisses wird deutlich, dass der Autor nicht nur im engeren Rahmen Ausbildungsgrundsätze anspricht, sondern auch das umfangreiche Gebiet der Reiterei und des Umgangs mit Pferd und Ausbildung sinnvoll erläutert.
Die überlieferten Lehren der Ausbildung werden, wo es angebracht ist, unmissverständlich betont. Auch die Begründung für diese Grundsätze, die im Laufe der Jahrzehnte von bedeutenden Pferdeleuten, Reitern und Ausbildern erarbeitet wurden, werden überzeugend dargestellt. In dem Buch wird deutlich, dass zwar die Pferdezucht in den letzten 30 bis 40 Jahren das Gebäude, den Bewegungsablauf und die Leichtrittigkeit der Pferde deutlich verbessert hat. Das sollte aber nicht begründen, dass Reiter, Ausbilder und auch Richter sich vorbehalten können, von diesen überlieferten, wohl begründeten Lehren abzuweichen.
Nach abgeschlossenem Lehramts-Studium und Studenten-Reiterei hat Michael Putz den Dressurstall des erfolgreichen Reiters Josef Neckermann geleitet, dort die wohltuende aber konsequente Ausbildung des vorbildlichen Dressurreiters erlebt und selbst auf zahlreichen Turnieren das Goldene Reitabzeichen erworben. Nach vierjähriger Leitung der bekannten Landesreitschule in Vechta hat Herr Putz nach gründlicher Einarbeitung ca. 15 Jahre die Leitung der erfolgreich arbeitenden Westfälischen Reit- und Fahrschule in Münster übernommen, eine Einrichtung, die sehr mit den Namen Stecken und Klimke verbunden ist. An dieser bedeutenden Ausbildungsstätte hat der Autor wertvolle Erfahrungen im Ausbilden von Pferd und Reiter, im Lehren und der Durchführung von Ausbildungs- und Reitlehrer- Lehrgängen sowie in der verantwortlichen Leitung eines größeren Reitbetriebes gesammelt. Zurzeit arbeitet Michael Putz – auch als Turnier- Richter bis Grand Prix qualifiziert – in Kurzlehrgängen vermehrt im süddeutschen Raum und im Ausland.
Paul Stecken, Leiter der Westfälischen Reit–und Fahrschule von 1950–1985, Ausbilder namhafter Reiter, Trainer und Richter, selbst ehemals internationaler Richter.
Umfangreiche reiterliche Erfahrungen mit großen Erfolgen in bedeutenden Positionen, die besondere Freude am Schreiben und präzise Erklärungen von reiterlichen Zusammenhängen sind beste Voraussetzungen, um interessante Themen der Ausbildung von Reiter und Pferd für jüngere und ältere Reiter sowie für Ausbilder verständlich, aber so kurz wie möglich mit großer Sorgfalt in einem Buch mit guten Bildern und Graphiken niederzuschreiben.
Paul Stecken
22. April 2004
In meiner rund zwanzigjährigen Tätigkeit zunächst an der Landesreit- und Fahrschule Weser- Ems in Vechta und dann an der Westfälischen Reitund Fahrschule in Münster war ich ständig mit der gesamten Palette reiterlicher Ausbildung auch disziplinübergreifend beschäftigt. Dabei stand zwar die Ausbildung von Amateur- und Berufsreitlehrern im Vordergrund, darunter auch erfolgreiche Reiter bis zur höchsten Klasse, dennoch war ich auch regelmäßig mit dem Unterricht für wirkliche Reitanfänger jeglichen Alters befasst.
Deshalb soll im vorliegenden Buch versucht werden, Reitern nahezu von Klasse E bis S ganz praxisbezogen Hilfestellung zu bieten und ihnen Tipps zu geben für ihre eigene Ausbildung, aber auch für die Ausbildung ihrer Pferde. Zu allen wichtigen in der dressurmäßigen Arbeit vorkommenden Probleme werden konkrete Lösungsvorschläge gemacht. Dabei wird immer versucht, an den Ursachen anzusetzen und nicht nur an den Symptomen.
Michael Putz mit Lancelot
Auch wenn ich in manchen Einzelheiten unorthodox erscheine, halte ich mich in allem grundsätzlich sehr genau an die so genannte klassische Reitlehre, wie sie in den „Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1 + 2“ der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zusammengefasst ist.
Während meiner Tätigkeit hatte ich, besonders in den letzten 10 bis 15 Jahren, vielfach Gelegenheit, so genannte andere Reitweisen kennen zu lernen, mich mit ihnen etwas mehr zu befassen und teilweise auch mit jeweils bekannten Vertretern über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu diskutieren. Je mehr Einblick ich dadurch in diese Reitweisen bekam und je mehr ich zu vergleichen in der Lage war, desto sicherer wurde ich in meiner Überzeugung, dass unsere Reitweise absolut pferdegemäß ist und diesbezüglich von keiner anderen übertroffen wird. Ihr System und ihre Theorie basiert auf den Lehren eines Pluvinel, Guérinière, Hünersdorf, Seidler, Seeger, Kegel, Steinbrecht, Bürkner, v.Heydebreck, Lauffer, v. Redwitz etc. Zentraler Inhalt, man könnte auch sagen Philosophie dieser Reitweise ist es, Reiter und Pferd so auszubilden, dass beide Beteiligte möglichst lange Freude an der gemeinsamen sportlichen Betätigung haben.
Dennoch kommt es leider vor, dass unter Berufung auf diese Reitlehre viele Reiter und Ausbilder mangels echter Kenntnisse, reiterlichen Gefühls und Fähigkeit zur Selbstkritik wenig pferdefreundlich arbeiten, ihre Pferde teilweise sogar quälen und solches Reiten auch noch unter die Leute zu bringen versuchen.
Ein Pferd, das ehrlich und seriös gemäß unserer Skala der Ausbildung aufgebaut, also erzogen und trainiert wird, hat die besten Voraussetzungen und Chancen, trotz seines Dienstes unter dem Sattel und der damit verbundenen Leistungen länger gesund zu bleiben als ein in völliger Freiheit wild lebendes.
Ein Reiter, der gemäß unserem Ausbildungsweg gelernt und sich entwickelt hat, kann, egal auf welchem Niveau er sich mit Pferden betätigt, am besten seinem Pferd gerecht werden und mit ihm lange Freude haben.
Reiten ist sicherlich für alle mit dem „Virus Pferd“ Infizierten die schönste Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. Für jede echte Pferdefrau und jeden Pferdemann wird die Freude am Reiten erst dann ungetrübt sein, wenn es gelingt, die beiden Individuen so aufeinander abzustimmen, dass sie möglichst perfekt miteinander arbeiten – wenn also die Freude des Menschen nicht zu Lasten des Tieres geht.
Wer glaubt, zu dieser Harmonie zu finden sei ein Leichtes, wird wahrscheinlich enttäuscht. Dieses Ziel zu erreichen, wird dem Reiter nur gelingen, wenn er bereit ist, sich mit der Materie ernsthaft auseinander zu setzen; das gilt sowohl für den Sportreiter als auch für den Freizeitreiter.
Je anspruchsvoller, vielleicht auch komplizierter, ein Interessengebiet, in diesem Fall das Reiten, ist, desto mehr hängt der Erfolg davon ab, dass man mit der richtigen Vorstellung und Einstellung herangeht. Das gilt besonders, wenn es darum geht, Gewohnheiten zu ändern oder gar bereits eingeschliffene Fehler abzustellen. Nur wer mit seinem Verstand erfasst, also begriffen hat, warum etwas gerade so und eben nicht anders funktionieren kann, bzw. warum es wichtig ist, einen bestimmten Fehler abzustellen, wird voll motiviert und erfolgreich sein können.
Wirklich gutes und das bedeutet natürlich auch pferdegerechtes Reiten ist aber nur möglich, wenn seitens des Reiters auch die Fähigkeit und der Wille, mit Gefühl unserem Sport nachzugehen, genügend ausgeprägt ist. Das betrifft zunächst einmal das Gefühl des Reiters für sich selbst, für seinen eigenen Körper und dann, mindestens genauso wichtig, für die physische und psychische Befindlichkeit seines Pferdes. Auch dieses so genannte Reitergefühl kann und muss geschult und ständig vervollkommnet werden.
Sinn dieses Buches ist es – ich hoffe, dass das Anwenden des darin Gelehrten dazu beiträgt –, dass noch mehr Reiter und Reiterinnen echte Pferdeleute werden.
Die Themen Piaffe und Passage habe ich in diesem Buch ganz bewusst ausgespart.
Zum einen sind es Übungen, für die doch nur relativ wenige Pferde so veranlagt sind, dass sie sie vernünftig erlernen können.
Zum anderen erfordert es seitens des Ausbilders und Reiters große Erfahrung und sehr gutes Gefühl, Pferde damit vertraut zu machen, ohne sie zu quälen. Noch größer als bei anderen Lektionen ist die Gefahr, gravierende Fehler zu machen.
Das schließt nicht aus, dass jeder, der ausbalanciert zu Pferde zu sitzen versteht, auf einem entsprechenden „Schulpferd“, sowie unter Anleitung und mit Hilfe eines erfahrenen Ausbilders Piaffe und mit Einschränkung auch Passage einmal erleben und erfühlen kann.
Zum Abschluss dieser Einleitung und zum Einstieg ins Lesen dieses Buches möchte ich Ihnen ein Zitat nicht vorenthalten, das für mich schon fast ein reiterlicher Wahlspruch ist:
„Ein guter Reiter hat einen denkenden Verstand, ist einfühlsam und hat eine gefühlvolle Hand.“ (Tu Yu, 72 v. Chr.)1
Michael Putz
> Hinweis für den Leser
Am Ende jeden Kapitels werden Hinweise gegeben, an welchen Stellen des Buches weiterführende Informationen zu der jeweiligen Thematik zu finden sind. Zusätzlich sind Punkte, die dem Verfasser besonders wichtig erscheinen, in mehreren Kapiteln angesprochen, um dem Leser ständiges Vor- und Zurückblättern zu ersparen.
Ein sehr detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtert gezieltes Nachschlagen und Querlesen bestimmter Themenbereiche.
Folgende Reiterinnen und Reiter haben mit ihren Pferden beim Anfertigen der Photos mit Ausdauer geholfen:
Besonders Fehler darzustellen, war ein schwieriges und undankbares Unterfangen; dafür ganz besonderen Dank!
Danken möchte ich
In unserer Reitlehre gibt es als Leitfaden für die Ausbildung eines Pferdes die berühmte und viel diskutierte Ausbildungsskala.
Weniger bekannt, in unseren neueren Richtlinien aber schon beschrieben, gibt es etwas Ähnliches für die Ausbildung des Reiters, in diesem Fall bezeichnet als „Ausbildungsweg“ mit den vier Abschnitten:
Nachdem in den letzten Jahren auch bei der Ausbildung von Reitern zunehmend Wert darauf gelegt wurde, Erkenntnisse der Sportpädagogik und vor allem auch der Bewegungslehre einzubeziehen und zu nutzen, erscheint es sinnvoll, dieses doch etwas magere Gerippe etwas auszubauen und zu komplettieren.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einmal genauer in die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zusammengestellten und veröffentlichten „Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“1 hineinzusehen (erstmals veröffentlicht 1995). Dementsprechend muss schon dem angehenden Reiter vermittelt und der fortgeschrittene oder der sich gar im Sport betätigende Reiter immer wieder daran erinnert werden, welch große Verantwortung dem Menschen zukommt, wenn er mit dem Pferd sportlich aktiv werden will:
Den Züchtern ist es, besonders in den letzten Jahrzehnten, durch entsprechende Selektion nach Reitpferdepoints und -eigenschaften zunehmend gelungen, den Reitern Pferde zur Verfügung zu stellen, die sich sowohl auf Grund ihres Exterieurs als auch ihres Interieurs besonders gut für den Einsatz unter dem Sattel eignen. Dennoch gilt es zu bedenken, dass erst durch entsprechend fachgerechte, sorgfältige Ausbildung und durch ebensolches Training ein Pferd in die Lage versetzt wird, seinen Reiter tatsächlich auf dem Rücken zu tragen und ihn nicht nur zu ertragen. Diesbezüglich muss sich jeder, der sich, sei es als Reiter, sei es als Trainer, mit der Ausbildung von Pferden befasst, möglichst gute Kenntnisse aneignen und diese in der täglichen Arbeit, aber auch in der mittel- und langfristigen Trainingsplanung versuchen umzusetzen. Besonders groß ist hier auch die Verantwortung der Richter, weil sie vorgeben, was auf Turnieren honoriert oder negativ bewertet wird und damit die Trainingsziele zumindest ihrer Klientel sehr stark bestimmen.
Bevor wir auf die Ausbildungsziele für den Reiter im Einzelnen eingehen, lohnt es sich, einmal darüber nachzudenken, welche mentalen Eigenschaften den Umgang mit dem Pferd erleichtern, teilweise sogar unabdingbar Voraussetzung sind:
Diese Eigenschaften werden aber im Laufe einer entsprechend systematischen und gut betreuten Ausbildung auch noch gefördert werden, eventuell sogar aufgebaut.
Wer unseren wunderbaren Sport mit Pferden betreiben möchte, egal ob als Freizeitreiter oder Leistungssportler, hat die moralische Verpflichtung, sich und sein Pferd mindestens soweit einer Ausbildung zu unterziehen, dass beide Beteiligte möglichst lange mit Freude diesem Sport nachgehen können, ohne dass es zu Lasten des Pferdes geht.
Viele Menschen glauben, Reiten sei eine Sportart, bei der Leistung in erster Linie durch das Pferd erbracht werden muss und deshalb auch nur bei diesem die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Dies ist natürlich völlig falsch! Auch ein reiner Freizeitreiter z.B., der nichts anderes anstrebt, als mit seinem Pferd im Gelände Spaß zu haben, muss eben in der Lage sein, solange er auf dem Pferde sitzt, sich auszubalancieren und dem Pferd seinen Einsatz so leicht wie möglich zu gestalten.
Bevor überhaupt mit Ausbildung auf dem Pferd begonnen werden kann, muss der angehende Reiter eine gute Grundfitness haben. Anderenfalls ist es dringend notwendig, begleitend daran zu arbeiten. Mit diesbezüglichen Defiziten muss auf Grund der heutigen Lebensgewohnheiten selbst bei Kindern und Jugendlichen durchaus gerechnet werden. Ganz Ähnliches gilt für die oben schon angeschnittenen Kenntnisse. Dadurch, dass beim Reiten zwei Lebewesen zusammenkommen und möglichst gut harmonieren sollen, ist dies eine der anspruchsvollsten und kompliziertesten Sportarten. Deshalb kann nur derjenige dabei Freude und Erfolg haben, der sich möglichst viel Wissen über Pferd und Reiter, besonders aber über die Querverbindungen und Abhängigkeiten beider aneignet und bereit ist, ein Reiterleben lang hinzuzulernen. Richtig wertvoll wird dieses Wissen aber erst, wenn es durchdacht, verstanden und durch persönliches reiterliches Erleben erfüllt wird. Theoretisches und praktisches Lernen gehen idealerweise Hand in Hand und ergänzen sich gegenseitig.
Die vielfältigen Ausbildungsziele auf dem Weg zum guten Reiter kann man in folgenden acht Punkten zusammenfassen. Dabei muss, ähnlich wie bei der Ausbildungsskala des Pferdes, klar sein, dass sie nicht einzelne Etappen darstellen, die jeweils nach Erreichen erledigt sind und dass trotz einer vorgegebenen Reihenfolge manches parallel angesteuert werden muss:
Besonders Menschen, die nicht mit (großen) Tieren aufgewachsen sind, womöglich überhaupt noch keinen näheren Kontakt zu Tieren hatten, werden Pferden zunächst übergroßen Respekt entgegenbringen; das ist ganz natürlich. Deshalb muss noch vor Beginn der eigentlichen Reitausbildung durch das Erlernen eines fachgerechten, aber auch sicheren Umgangs, z.B. beim Führen und bei der Pflege, ein gewisses Vertrauen zunächst zu den eigenen Fähigkeiten, dann aber eben auch zum Pferd aufgebaut werden. Fehler in dieser Phase, etwa wegen mangelnder oder wenig fachgerechter Unterweisung, können sehr schnell dazu führen, dass Angst entsteht. Allerdings muss auch bedacht werden, dass zu sorgloser oder unachtsamer Umgang mit Pferden durchaus gefährlich werden kann. Durch ihre relativ große Körpermasse und -größe haben sie selbst bei langsamer Bewegung ein ganz erhebliches Energiepotenzial, dem der doch deutlich weniger stabile Körper des Menschen im Zweifelsfall wenig entgegenzusetzen hat. Von Anfang an sollte ganz selbstverständlich dem Grundsatz Rechnung getragen werden, dass der Anfänger am schnellsten und besten übergroßen Respekt abbauen und Vertrauen aufbauen kann, wenn dafür erfahrene, wohl erzogene Pferde zur Verfügung stehen, deren Vertrauen zum Menschen ungestört ist und die gelernt haben, den Menschen als ranghöheres Wesen zu akzeptieren.
Schon beim Pflegen kann das Vertrauen zwischen Reiter und Pferd aufgebaut und gefestigt werden
Bereits in dieser Phase der Ausbildung kann alles leichter und schneller vorangehen, wenn der angehende Reiter auch theoretisches Wissen über das Pferd erwirbt, z.B. bezüglich
Auf welche Art diese Kenntnisse am besten erworben werden können, ob durch theoretischen Unterricht, aus Büchern und Videos oder durch Erklärungen des Ausbilders während des Umgangs, hängt ganz von den individuellen Lernvoraussetzungen des Schülers ab; optimal ist sicherlich eine Kombination aus allem.
Losgelassenheit und Balance sind für erquickliches, gutes Reiten unabdingbare Voraussetzungen. Beide sind untrennbar miteinander verbunden und voneinander abhängig:
Ein Reiter, der aus welchen Gründen auch immer starke Balanceprobleme hat, wird sich psychisch und physisch nicht loslassen können (siehe hierzu Losgelassenheit des Reiters).
Ebenso wenig kann einer, der, z.B. aus Angst vor einem bestimmten Pferd, sich verspannt oder sogar verkrampft, auch nur annähernd ausbalanciert auf diesem sitzen.
Losgelassenheit bedeutet, dass der Reiter bei aller Konzentration und gegebenenfalls auch Leistungswillen weder physisch noch mental verkrampft, sodass die Atmung, der Kreislauf sowie der gesamte Bewegungsapparat gut und ökonomisch funktionieren (siehe hierzu auch Losgelassenheit des Pferdes).
Wie gut und schnell der angehende Reiter lernen kann, sich auszubalancieren und allmählich auch bei unvorhergesehenen, abrupten Bewegungen und Richtungsänderungen des Pferdes im Gleichgewicht zu bleiben, hängt von seiner entsprechenden Veranlagung sowie etwaiger Vorbildung, z.B. in anderen Sportarten ab. Auch was die Motorik anbelangt kann, wie oben schon angedeutet, wegen mangelnder Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten heute selbst bei Kindern nicht mit einem großen Spektrum an Erfahrungen und Möglichkeiten gerechnet werden. Gezielte, begleitende Gymnastik kann auch diesbezüglich sehr wertvoll sein, ist gelegentlich sogar unabdingbar.
Gymnastische Übungen, z.B. an der Longe verbessern die Losgelassenheit des Reiters
Das Loben hinter dem Sattel entspannt auch den Reiter
Ausbalancierter leichter Sitz
Auch im Hinblick auf Losgelassenheit und Balance ist das gut geschulte, selbst gut losgelassene und ausbalancierte Pferd der beste Lehrmeister.
In der neueren Ausgabe der Richtlinien Band I bzw. der Deutschen Reitlehre werden drei Sitzformen unterschieden:
Der Dressursitz ist nach unserer Reitlehre auch der Grundsitz, der als Erstes erlernt werden sollte. Dies hat seinen guten Grund: In dieser Form fällt es den meisten angehenden Reitern am leichtesten, Balance zu finden. Dazu später mehr.
Unter dem Oberbegriff „leichter Sitz“ werden alle Sitzformen zusammengefasst, bei denen durch entsprechendes Vornüberneigen des Rumpfes aus der Hüfte heraus das Gewicht vermehrt auf die Oberschenkel, die Knie und die in den Bügeln stehenden Füße verlagert wird, der Rücken des Pferdes also entlastet wird. Dazu gehören der Entlastungssitz, der Remontesitz, der Geländesitz sowie der Springsitz (der Sitz zwischen den Sprüngen und in den verschiedenen Phasen des Sprunges).
Korrekter Dressursitz
Der Rennsitz ist, wie der Name schon ausdrückt, die Form, die für das Reiten in großem Tempo auf der Rennbahn optimal geeignet ist. Dazu werden zum Teil spezielle Sättel benutzt, auf jeden Fall aber die Bügel extrem verkürzt. Der Reiter beugt dabei seine Hüft- und Kniegelenke sehr stark, so-dass der Federweg seiner Beine besonders groß wird und er in der Lage ist, die Bewegungen des schnell galoppierenden Pferdes nahezu vollständig abzufedern. Dadurch braucht das Pferd nicht mehr bei jedem Galoppsprung das Gewicht des Reiters anzuheben. Man kann die stark gewinkelten Beine des Reiters mit den längeren Federgabeln eines Geländemotorrades vergleichen. Da bei dieser Sitzform nurmehr eine sehr geringe direkte Verbindung zwischen Reiter und Pferd besteht, setzt sie seitens des Reiters eine hervorragende Körperbeherrschung und hundertprozentiges Balancevermögen voraus.
Beim korrekten Dressursitz ergeben sich diese geraden Linien
Gerade wenn es um motorisches Lernen geht, ist es ein großer Vorteil, wenn Körperbeherrschung und Balancevermögen die Lernfähigkeit der Kindheit und frühesten Jugend für das Reiten ausgenutzt werden kann.
Nach unserer Reitlehre wird der Dressursitz als Grundform des Sitzes wohl überlegt als Erstes gelehrt. Was ihn gegenüber dem leichten Sitz einfacher erlernbar macht, ist die Tatsache, dass es in dieser Sitzform relativ einfach ist, einigermaßen ausbalanciert zu sitzen. Beim leichten Sitz muss der Oberkörper einschließlich Kopf mit Muskelkraft getragen und stabilisiert werden.
Im Folgenden soll der Dressursitz beschrieben, besonders aber an Beispielen dargestellt werden, dass alle ihn betreffenden Formvorschriften funktionell begründet sind und immer in Abhängigkeit von den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Reiters und seines Pferdes bezüglich Körperbau und Proportionen gesehen werden müssen. Die in diesem Zusammenhang wichtige Forderung aus der Bewegungslehre „Funktion geht vor Form!“ hatte schon immer für den vernünftigen und fachkundigen Ausbilder Gültigkeit. Übertrieben formalistisches Lehren und Beurteilen zeugte schon immer von mangelndem Verständnis.
Korrekter Sitz, Becken kann mitschwingen
Es sei an dieser Stelle ein Bild erwähnt, welches dem lernenden Reiter eine gute Vorstellung davon vermittelt, in welcher Haltung er sich am leichtesten ausbalancieren kann:
Er muss von Kopf bis Fuß eine Position einnehmen, in der es ihm möglich wäre, ohne Pferd, wenn dieses unter ihm plötzlich verschwände, gut ausbalanciert zu stehen.
Spaltsitz, Becken in Endposition gekippt
Stuhlsitz, Becken in Endposition aufgerichtet, („nach hinten gekippt“)
Dieses Bild gilt übrigens auch für den leichten Sitz.
Sinnvollerweise beginnt die Beschreibung des Dressursitzes bei der Basis des Sitzes, der so genannten Mittelpositur. Besonders für den lernenden Reiter ist es wichtig, auf einem Pferd und in einem Sattel zu sitzen, die zu ihm passen und ihn körperlich nicht überfordern, z.B. was die Weite seines Beckens und die Beweglichkeit seiner Hüftgelenke anbelangt. Nur der losgelassene (s.o.) Reiter kann dank unverkrampfter Gesäßmuskulatur dicht am Pferd sitzen sowie aus einer Normalposition des Beckens heraus in die Bewegung des Pferdes einsitzen und mitschwingen. Auch die Oberschenkellänge und Stärke sollten berücksichtigt werden.
Auf keinen Fall darf versucht werden, durch die Verwendung eines Dressursattels mit dicken, fixierenden Kniepauschen oder zu langen Bügeln, eine besonders gestreckte Länge der Beine zu erzwingen. Durch eine solche „Zwangshaltung“ würde zu viel Druck auf die Oberschenkel kommen und so ein tiefes Sitzen im Sattel verhindert werden. Außerdem, und das ist der schwerstwiegende Nachteil solcher Sättel, würde der Reiter in eine Hohlkreuzposition hineingezwängt werden, die Losgelassenheit und Elastizität geradezu verhindert sowie die Unabhängigkeit der Hand beeinträchtigt.
Die gesamte Lage von Ober-, Unterschenkel und Fuß muss aus der Hüfte heraus, also von oben an, optimiert oder korrigiert werden. Nur dann ist es möglich, richtig zu treiben und die gewünschte annähernd parallele Fußhaltung einzunehmen. Da für die treibenden Schenkelhilfen mit der Wade die hintere Oberschenkelmuskulatur verantwortlich ist, muss das Knie genügend gewinkelt sein. Ein übermäßiges Herunterdrücken des Absatzes oder, wie beim Reiten ohne Bügel, Anheben des Vorfußes führt nur zu Verkrampfungen und ist deshalb kontraproduktiv. Ähnliches gilt für schräge Bügel oder Bügeleinlagen, die zu einer unnatürlichen Haltung des Fußes und des Fußgelenkes führen.
Stehen wie im Dressursitz
Das gewinkelte Knie und der lotrecht unter dem Schwerpunkt des Reiters befindliche Fuß sind für gutes Leichttraben, was diese Bezeichnung auch aus Sicht des Pferdes verdient, Voraussetzung. Nur dann wird der Reiter in der Lage sein, elastisch und ohne Zuhilfenahme der Hände bzw. der Zügel aufzustehen und sich auch weich wieder hinzusetzen.
Der Reiter sitzt, sowohl von der Seite als auch von hinten gesehen, mit aufrechtem, geradem Oberkörper und ebensolcher Kopfhaltung. Mangelt es daran, sollte er die Idee haben, sich am eigenen Schopf nach oben zu ziehen und dadurch die Körperhaltung zu verbessern.
Leichttraben in guter Balance
Eine aufrechte, vor allem aber losgelassene Schulterpartie ist eine wichtige Voraussetzung für die Atmung, die Kopfhaltung, besonders aber für die fast als Kardinalforderung anzusehende Fähigkeit, mit vom Sitz unabhängigen Händen Zügelhilfen geben zu können. Dazu müssen die Schultern zurückgenommen werden; hat der Reiter dabei die Vorstellung, die Arme hängen zu lassen und sich im Oberkörper zu öffnen, wird er ein verkrampfendes Hochziehen vermeiden.
Leider gibt es heute schon junge Menschen, besonders aber viele am Schreibtisch oder Computer tätige Menschen, die unter einer verkürzten Brust- (Pectoral-)muskulatur leiden und deshalb zu einer so aufrechten Haltung des Oberkörpers nicht in der Lage sind. Dieses Problem sei hier als typisches Beispiel aufgeführt, für Haltungsmängel bzw. -fehler, die gutes Reiten sehr erschweren können, deren Lösung im normalen Reitunterricht kaum möglich ist, wohl aber durch gezielte Physiotherapie und Gymnastik, eventuell an der Longe.
Da der Mensch sowohl körperlich als auch mental ein kopfgesteuertes Wesen ist, kann die Haltung des Kopfes gar nicht genügend Beachtung finden, diesbezügliche Mängel dürfen keinesfalls als Schönheitsfehler abgetan werden.
Ein seitliches Schiefhalten, der Reiter stellt sich mehr als sein Pferd, wie man es häufig beim Reiten von Wendungen oder Seitengängen sieht, verursacht bis zum Becken eine ungewollte seitliche Verbiegung in der Wirbelsäule, eine fehlerhafte Gewichtsverlagerung und somit eine Dysbalance.
Ein Hängenlassen des Kopfes nach vorne wirkt sich bis zur Mittelpositur aus und reduziert deren Elastizität, also die Fähigkeit, mitzuschwingen. Ein manchmal fälschlicherweise angemahnter Blick unter die Decke, also übertriebene Aufrichtung des Kopfes, führt zu einer Blockade im Genick, genauer im Okzipitalgelenk zwischen Schädel und Atlas.
Wenn Sally Swift in ihrem Buch „Reiten aus der Körpermitte“ den sanften Blick fordert1, so ist dieser tatsächlich eine wichtige Bedingung der Losgelassenheit. Am einfachsten kann der Reiter sich diesbezüglich verbessern, wenn er immer wieder seinen Blick schweifen lässt, anstatt starren Blicks den Hals oder den Kopf des Pferdes zu fixieren.
Schräge Bügeleinlagen verhindern eine natürliche Fußhaltung
Leichter Sitz
Auch was die Arm- und Handhaltung anbelangt, müssen die Proportionen des jeweiligen Reiters berücksichtigt werden:
Aus der losgelassenen, leicht zurückgenommenen, aber nicht hochgezogenen Schulter heraus sollen die Oberarme leicht am Körper anliegen. Insgesamt müssen die Arme leicht gewinkelt bleiben als Voraussetzung für die Unabhängigkeit und Beweglichkeit der Hände. Die berühmte gerade Linie Ellbogen-Hand-Pferdemaul soll sowohl von der Seite gesehen als auch aus der Perspektive des Reiters annähernd durchgängig erhalten bleiben. Die Hände sollen nur so fest geschlossen sein, dass der Reiter tatsächlich Kontrolle über sein Zügelmaß hat, sie aber nicht verspannt. Der leicht dachförmig gekrümmte Daumen ist mit Voraussetzung für ein bewegliches Handgelenk und nur aus einem beweglichen Handgelenk heraus können feine Zügelhilfen gegeben werden. Die grundsätzliche Elastizität der Anlehnung jedoch kommt aus der Beweglichkeit des ganzen Armes, also der des Ellenbogen- und Schultergelenks.
Der leichte Sitz stellt, wie oben schon angesprochen, erhöhte Anforderungen an die Körperbeherrschung des Reiters, aber auch an die Kraft bestimmter Muskelgruppen. Die unterschiedliche Ausprägung in Bezug auf das entlastende Vornübersitzen, aber auch das Bügelmaß, hängt von den Fähigkeiten des Reiters und vom Zweck ab, also davon, was geritten werden soll.
Im Gegensatz zum Dressursitz, dessen Basis das Gesäß (Kufen der Sitz- und Schambeinäste) ist und bei dem ein verstärkter Knieschluss sogar unerwünscht und hinderlich ist, wird beim leichten Sitz zur Entlastung des Pferderückens durch das Vornüberbeugen aus der Hüfte heraus das Gewicht vermehrt auf den Oberschenkel, die Knie und die im Bügel ruhenden Füße verlagert. Hierbei ist nun ein etwas stärkerer Knieschluss vonnöten und es ist durchaus für den Reiter förderlich, sich vorzustellen, im Sattel zu knien, wodurch sich ein Teil des Gewichts über die Pauschen des Sattels auf die Seiten des Pferdes verlagert; der Rest des Gewichts wird mit elastischem Fußgelenk im Bügel abgefedert. Durch das Vornüberbeugen des Rumpfes („Einknicken in der Hüfte“) und das dazugehörige Verkürzen der Zügel kommt der Schwerpunkt des Reiters weiter nach vorn. Für die Balance des Reiters ist es deshalb wichtig, dass die Unterschenkel sicher in Position bleiben und nicht zurückrutschen.
Stehen wie im leichten Sitz
Selbstverständlich kann man auch in einem normalen Dressursattel, sogar mit langen Bügeln entlastend sitzen. Soll jedoch länger oder in stärker ausgeprägter Form im leichten Sitz geritten werden, ist es zweckmäßig, einen Vielseitigkeits- oder Springsattel zu benutzen, der auch bei verkürzten Bügeln den Knien eine sichere Position ermöglicht.
Klettern ist eine gute Übung, um das Gleichgewicht auch im leichten Sitz zu verbessern
Das Erlernen des leichten Sitzes sollte für jeden Reiter eine Herausforderung und ein wichtiges Ziel sein. Da die Gleichgewichtssituation für den Reiter etwas instabiler als beim Dressursitz ist, wird nur derjenige zu sicherer Balance finden, der sich ernsthaft damit befasst und entsprechend übt. Besonders die Fähigkeit, mit einer vom Sitz unabhängigen Hand zu führen, dem Pferd durch eine konstante und elastische Verbindung auch in dieser Sitzform Vertrauen zur Hand2 zu vermitteln, ist entscheidende Voraussetzung für eine gedeihliche Arbeit.
Das Reiten im leichten Sitz ist auf jeden Fall die Sitzform der Wahl für das Arbeiten junger Pferde, besonders in der Anreitphase, für das Reiten im Gelände und bei der springmäßigen Ausbildung. Weniger gebräuchlich, deswegen aber nicht weniger nützlich, ist er bei der Arbeit mit Dressurpferden. Beim Lösen, in kleinen Erholungs- bzw. Belohnungspausen während der Arbeitsphase sowie zur Entspannung am Ende der Arbeit oder an Tagen der aktiven Erholung ist es eine für Pferd und Reiter wunderbare Abwechslung. Wer entsprechend geübt ist, wird auch ein Pferd im leichten Sitz sicher an den Hilfen und vor sich haben; so kann diese Art der Arbeit geradezu eine Therapie sein für überanstrengte Pferde und Reiter.
Wenn in der bisherigen kurzen Form des Ausbildungsweges des Reiters allgemein von Gefühl gesprochen wird, so muss diesbezüglich in unterschiedlicher Richtung nachgedacht und geschult werden:
Um gefühlvoll und gefühlsmäßig reiten zu können, ist es zunächst einmal Grundvoraussetzung, ein gutes und zuverlässiges Gefühl für den eigenen Körper zu haben bzw. dieses zu verbessern. Eckart Meyners apostrophierte den Begriff „Bewegungsgefühl“ im Titel der Erstauflage seines für diese Thematik so wichtigen Buches als „das innere Auge des Reiters“, ein Bild, das eigentlich alles zum Ausdruck bringt. Nur wer in der Lage ist, jederzeit die Position und die Haltung seines eigenen Körpers, besonders auch seiner Gliedmaßen zu fühlen, kann Kontrolle darüber haben. Deshalb kann Reitunterricht auch nur dann erfolgreich sein, wenn Ausbilder und Schüler sich dieser Bedeutung bewusst sind und immer wieder daran arbeiten. Jeder hat sicherlich schon einmal erlebt, dass der Ausbilder eine fehlerhafte Schenkellage oder auch Schenkelhilfe moniert und zu korrigieren versucht hat, der Schüler aber ohne Spiegel oder Videoaufzeichnung gar nicht wusste , was gemeint war, weil er sich dieses Fehlers gar nicht bewusst war. In solch einem Fall ist es notwendig, ganz gezielt an dem Problem zu arbeiten, bevor wieder an der vorher deshalb misslungenen Lektion gearbeitet werden kann. Zu dieser Thematik sind die Bücher von Susanne von Dietze „Balance in der Bewegung“ (auch als Video) und von Eckart Meyners „Das Bewegungsgefühl des Reiters“ sehr empfehlenswert.
Über das allmählich verbesserte Bewegungsgefühl kommt der losgelassen und ausbalanciert sitzende Reiter zu immer sicherer Kontrolle und Koordination seiner Bewegungen.
An der Verbesserung des Gefühls für die Bewegungen des eigenen Körpers und der Kontrolle bzw. der Koordination kann man auch ohne Pferd arbeiten. Auch hierzu gibt es Anregungen in den bereits genannten Büchern.
Für den Reiter, und das ist die große Herausforderung für jeden, der diesen Sport gut betreiben will, gilt es, frühestmöglich auch Gefühl für das Pferd und seine Bewegungen zu erwerben und ständig noch zu verbessern.
So hängt z.B. schon der Erfolg jeder lösenden Arbeit sehr stark davon ab, ob der Reiter das für das Pferd passende individuelle Grundtempo erfühlt und reitet.
Ein Beispiel:
Nur wenn ein Reiter fühlt, wann genau sich das Pferd in welcher Stützphase des Schritts oder des Galopps befindet, kann er seine Hilfen für das Angaloppieren oder den fliegenden Wechsel präzise zeitlich abstimmen. Mit zunehmender Erfahrung und Ausbildung wird es dem guten, feinfühligen Reiter sogar möglich sein, nicht nur die Bewegungen des Pferdes genau zu fühlen, er wird sogar in der Lage sein, Bewegungen vorherzuahnen, zu antizipieren, wie das Pferd sich im nächsten Moment bewegen wird.
Das Sitzen auf einem ungesattelten Pferd verbessert das Gefühl für die eigenen Bewegungen und die des Pferdes.
Deshalb steht auch über diesen beiden Abschnitten der Gefühlsschulung als weiteres Ziel das Reaktionsvermögen. Wie schon angedeutet, wird beim ganz guten, natürlich auch entsprechend talentierten Reiter aus dem Reaktionsvermögen ein verbessertes Aktionsvermögen.
Auch wenn Sensibilität beim Menschen genau wie beim Pferd in hohem Maße eine Sache der Veranlagung ist, kann und muss diese ganz zielgerichtet geschult werden. Eine sehr hilfreiche und wirkungsvolle Methode dabei ist es, beim Reiten einmal die Augen zu schließen, um sich noch besser auf das Fühlen konzentrieren zu können. Die Kontrolle und gegebenenfalls Bestätigung kann dann am besten durch den Ausbilder erfolgen; in Ermangelung eines solchen können Reitbahn-Spiegel oder Videoaufnahmen helfen.