Jules Verne

Eine schwimmende Stadt

 
 
 
 
 
 
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2017 OK Publishing

 
ISBN 978-80-272-3950-4

Inhaltsverzeichnis


Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebenzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Neunzehntes Capitel.
Zwanzigstes Capitel.
Einundzwanzigstes Capitel.
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Dreiundzwanzigstes Capitel.
Vierundzwanzigstes Capitel.
Fünfundzwanzigstes Capitel.
Sechsundzwanzigstes Capitel.
Siebenundzwanzigstes Capitel.
Achtundzwanzigstes Capitel.
Neunundzwanzigstes Capitel.
Dreißigstes Capitel.
Einunddreißigstes Capitel.
Zweiunddreißigstes Capitel.
Dreiunddreißigstes Capitel.
Vierunddreißigstes Capitel.
Fünfunddreißigstes Capitel.
Sechsunddreißigstes Capitel.
Siebenunddreißigstes Capitel.
Achtunddreißigstes Capitel.
Neununddreißigstes Capitel.

Erstes Capitel.

Der Great-Eastern

Inhaltsverzeichnis


Am 18. März des Jahres 1867 kam ich in Liverpool an, um mich dort auf dem Great-Eastern, der in einigen Tagen nach New-York abfahren sollte, als Passagier einzuschiffen. Ich wollte auf diesem riesenhaften Dampfer, zu keinem andern Zweck als meinem speciellen Vergnügen, eine Tour über den Atlantischen Ocean machen. Nebenbei hatte ich dann auch die Absicht, dem nördlichen Amerika, diesem von Cooper so sehr gefeierten Lande, einen Besuch abzustatten; aber das war, wie gesagt, nicht der eigentliche Zweck meiner Reise; in erster Linie gedachte ich dem größten Meisterwerk der Schiffsbaukunst, dem Great-Eastern, mein Interesse zuzuwenden. Man kann diesen Dampfer kaum noch ein Schiff nennen; es ist wohl mehr eine schwimmende Stadt, ein Stück Grafschaft, das sich von englischem Grund und Boden loslöst, um nach einer Fahrt über das Meer mit dem amerikanischen Festlande zusammenzuwachsen. Ich stellte mir vor, wie diese ungeheure Masse auf den Fluthen einhergleiten müßte, wie sie mit den ihr gegenüber machtlosen Winden ringen würde; wie kühn durfte solch ein Schiff die Wogen an sich abprallen lassen, wie indifferent bleiben inmitten des Elementes, das einen Warrior und einen Solferino wie Schaluppen auf-und niederschwanken ließ. Auf all diese Eindrücke hatte mich meine Einbildungskraft vorbereitet, und all dies und noch vieles Andere, was nicht mehr in das seemännische Fach gehört, sah ich während meiner Fahrt. Wenn der Great-Eastern nicht nur eine nautische Maschine ist, wenn er einen Mikrokosmos darstellt, der eine Welt in sich trägt, so wird es den Beobachter nicht überraschen, dort, wie auf einem großen Theater, allen Neigungen, Leidenschaften und Lächerlichkeiten dieser Welt zu begegnen.

Als ich den Bahnhof verließ, begab ich mich in das Hotel Adelphi, denn die Abreise des Great-Eastern war erst auf den 20. März festgesetzt. Um jedoch die letzten Vorbereitungen zu derselben genauer verfolgen zu können, suchte ich bei dem Oberbefehlshaber des Dampfschiffes, Kapitän Anderson, um die Erlaubniß nach, mich sogleich an Bord begeben zu dürfen, und erhielt hierzu seine bereitwillige Genehmigung.

So stieg ich am folgenden Morgen zu den Bassins herab, die auf den Ufern der Mersey einen doppelten Saum von Docks bilden, und die Drehbrücken gestatteten mir, den Kai New-Prince zu erreichen. Es ist dies eine Art bewegliches Floß, welches dem Fallen und Steigen der Fluth folgt, und das für die zahlreichen Boote aus Birkenhead, einer am linken Ufer der Mersey gelegenen Vorstadt von Liverpool, zum Einschiffungsorte dient.

Die Mersey ist gleich der Themse ein unbedeutendes Wasser, das, obgleich es sich in’s Meer ergießt, kaum den Namen eines Flusses verdient. Eigentlich ist sie nichts Anderes, als eine mit Wasser angefüllte Senkung des Bodens, ein ungeheures Loch, das sich durch seine Tiefe dazu eignet, Schiffe vom stärksten Tonnengehalt aufzunehmen, und so auch den Great-Eastern, dem die meisten übrigen Häfen streng untersagt sind. Dank dieser natürlichen Beschaffenheit, sahen Bäche wie die Themse und die Mersey nahe an ihrer Mündung unermeßliche Handelsstädte, London und Liverpool, emporblühen, und ebenso, oder doch aus ähnlichen Rücksichten entstand Glasgow am Clyde-Flusse.

An der Werft von New-Prince wurde ein Lichterschiff, ein für den Dienst des Great-Eastern bestimmtes kleines Dampfschiff, geheizt. Ich begab mich auf das Verdeck, wo sich bereits viele Handwerker und sonstige Arbeiter befanden, die an Bord des Dampfers gehen sollten, und richtete mich dort ein. Als vom Victoriathurm die siebente Morgenstunde erklang, löste das Lichterschiff seine Anker und folgte eilig der steigenden Fluth der Mersey.

Kaum hatte es sich in Bewegung gesetzt, als ich auf der Werft einen hochgewachsenen, jungen Mann mit jener eigenthümlich aristokratischen Physiognomie bemerkte, wie sie englischen Officieren eigen zu sein pflegt. Ich glaubte in ihm einen mir befreundeten Hauptmann im indischen Heere, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, zu erkennen, doch kam ich bald zu der Ueberzeugung, daß ich mich hierin täuschte, denn Hauptmann Mac Elwin konnte Bombay nicht ohne mein Wissen verlassen haben. Außerdem war mein Freund ein heiterer, sorgloser Mensch, ein munterer Kamerad gewesen, und dieser junge Mann schien von der trübsten Stimmung beherrscht, ja, gleichsam von einem geheimen Schmerze niedergedrückt. Obgleich er äußerlich Mac Elwin sonst sehr ähnlich zu sehen schien, hatte ich jetzt doch nicht Muße, ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken, denn das Lichterschiff entfernte sich mit großer Schnelligkeit, und bald hatte sich der durch diese Aehnlichkeit hervorgerufene Eindruck in meinem Geiste verwischt.

Der Great-Eastern lag etwa drei Meilen stromaufwärts, nahe den ersten Häusern Liverpools vor Anker. Von dem Kai New-Prince hatte man ihn nicht bemerken können, und jetzt, bei einer Wendung des Flusses, zeigte sich plötzlich die imponirende Masse meinen Blicken. Zuerst präsentirte sich der Riesendampfer mit seinem Vordertheil, das der Fluth zugekehrt war, und erschien mir wie eine halb im Nebel verschwimmende Insel; aber bald machte der Fluß abermals eine Wendung, und wir bekamen das Gebäude von seiner ganzen Längenseite in Sicht. Es machte einen ungeheuren Eindruck! Drei oder vier Kohlenschiffe von gewöhnlicher Größe, die an seiner Seite angelegt hatten und ihm ihre Ladung durch über der Wasserlinie geöffnete Stückpforten einschütteten, sahen neben dem Great-Eastern wie winzige Barken aus. Ihre Schornsteine reichten nicht einmal bis zu der ersten Reihe seiner im Rumpf befindlichen Luken; ihre Bramstengen gingen nicht über seine Schanzbekleidung hinaus. Der Riese hätte sie mit seinem ungeheuren Krahn als Dampfschaluppen aufhissen können.

Inzwischen näherte sich unser Lichterschiff; es fuhr unter den rechten Vordersteven des Great-Eastern, dessen Ketten sich gewaltsam unter dem Drängen der Fluth spannten; dann wendete er leewärts und hielt unter der mächtigen Treppe, welche sich auf beiden Seiten emporschlängelte. In dieser Stellung streifte das Verdeck unseres Schiffes eben nur die Wasserlinie, welche der Riesendampfer bei vollständiger Ladung erreichen sollte, und die jetzt noch mehr als zwei Meter über dem Wasserspiegel emporragte.

Indessen stiegen die Handwerker eiligst aus und erklommen die zahlreichen Stufen, die in verschiedenen Absätzen bis zu der Erhöhung am Hinterdeck hinaufführten. Ich selber schaute mir noch immer mit zurückgebogenem Haupt und Oberkörper die Räder des Great-Eastern an, wie etwa ein Tourist irgend ein hohes Gebäude betrachtet hätte.

Von der Seite gesehen, schienen diese Räder dünn und schlank, obgleich die Länge ihrer Schaufeln vier Meter betrug; von vorn gewährten sie indessen einen förmlich monumentalen Anblick. Ihr zierlicher Beschlag, die Einrichtung der soliden Radnabe als Stützpunkt des ganzen Systems, die sich durchkreuzenden Streben, welche dazu bestimmt waren, den Abstand der dreifachen Felge zu erhalten, diese Krone rother Strahlen, dieser halb im Schatten der großen Radkasten verlorene Mechanismus – das ganze Ensemble wirkte auf den Geist mächtig ein und rief den Gedanken wach, als arbeite hier eine wilde, geheimnisvolle Macht.

Mit welcher Energie mußten Schaufeln, die in dieser Weise solide mit Bolzen befestigt waren, das Wasser peitschen, das in diesem Augenblick noch seine Wogen an ihnen brach! Welch’ ein Brodeln und Sieden mußte entstehen, wenn diese mächtige Maschine Schlag auf Schlag den flüssigen Wasserteppich durchfurchte! Was für ein Donner würde in der Höhle der Radkasten erdröhnen, wenn der Great-Eastern sich mit voller Dampfkraft unter den Drehungen dieser Räder vorwärts bewegte, die dreiundfünfzig Fuß im Durchmesser und Hundertundsechsundsechzig Fuß im Umfange maßen, neunzig Tonnen1 wogen und sich in der Minute elf Mal drehten.

Das Lichterschiff hatte seine Passagiere ausgesetzt, und auch ich betrat jetzt die eisernen, gerieften Stufen, um nach wenigen Minuten die Erhöhung am Hinterdeck des Dampfschiffes zu überschreiten.


Fußnoten

1 1 Tonne = 2000 Pfund, also 1800 Centner.

Zweites Capitel.

Vorbereitungen zur Abfahrt

Inhaltsverzeichnis


Das Verdeck konnte man gegenwärtig einer ungeheuren Werft vergleichen, auf der ein ganzes Heer von Arbeitern beschäftigt war; nichts erinnerte daran, daß man sich an Bord eines Schiffes befand. Mehrere tausend Mann, darunter Handwerker, Schiffsmannschaft, Maschinenbauer, Officiere, Arbeiter und Neugierige gingen so dicht an einander vorüber, daß sie sich mit den Ellenbogen berühren konnten. Die Einen machten sich auf dem Verdeck, die Anderen an den Maschinen zu thun; diese liefen an den Deckzimmern entlang, jene saßen hie und da im Mastwerk verstreut, Alle in einem unbeschreiblichen, wirren Durcheinander. Hier hoben Dampfkrähne große Stücke Gußeisen empor, dort wurden schwere Eisenbohlen mittelst großer Winden in die Höhe gezogen; über dem Maschinenraum schwebte ein eiserner Cylinder wie ein riesiger Stamm von Metall. Vorn stiegen die Segelstangen ächzend längs der Marsmasten empor; hinten erhob sich ein Gerüst, das zweifellos ein in der Errichtung begriffenes Gebäude verbarg. Man baute, takelte, malte, richtete und zimmerte inmitten einer unbeschreiblichen Verwirrung.

Mein Gepäck war mit an Bord geschafft worden, und ich fragte jetzt nach Kapitän Anderson. Der Commandant war indessen noch nicht angekommen; einer der Stewards übernahm es, für meine häusliche Einrichtung zu sorgen, und ließ meine Effecten nach einer der hinteren Cajüten bringen.

»Guter Freund, redete ich ihn an, die Abreise des Great-Eastern war auf den 20. März festgesetzt, aber selbstverständlich können all diese Vorbereitungen nicht in vierundzwanzig Stunden beendet sein. Wissen Sie mir vielleicht zu sagen, wann wir Liverpool verlassen werden?«

Ueber diesen Punkt wußte mir jedoch der Steward keine Auskunft zu geben, und so verließ er mich. Ich beschloß nun, alle Löcher dieses kolossalen Ameisenhaufens zu durchstöbern, und begann meinen Spaziergang, wie ein Tourist die Rundreise in einer ihm noch unbekannten Stadt antritt. Ueberall auf dem Verdeck sah man den eigenthümlichen schwarzen Schmutz, den man in allen britischen Städten findet; übelriechende Bäche schlängelten sich hier und da entlang, und man hätte fast glauben können, daß man sich auf einer der schlechtesten Passagen in der Upper-Thames-Street an den Zugängen der Londoner Brücke befände. – Ich ging weiter und streifte an den Deckzimmern hin, die sich auf dem Hintertheil des Schiffes erstreckten. Zwischen ihnen und den Schanzverkleidungen zeigten sich auf beiden Seiten zwei breite Promenadenwege, auf denen eine zahlreiche Menschenmenge hin-und herging. Endlich gelangte ich zum Mittelpunkt des Fahrzeuges und zu den durch ein System von schmalen Brücken vereinigten Radkasten.

Hier öffnete sich der Schlund, welcher die Organe der Rädermaschine umschloß, und das bewunderungswürdige Locomotionswerk lag vor meinen staunenden Blicken. Einige fünfzig Handwerker waren über die Oeffnungen des gußeisernen Rahmengestelles vertheilt; diese klammerten sich an die langen, unter verschiedenen Winkeln geneigten Zugstangen, jene hingen an den Pleuelstangen, andere richteten die Excenter, und wieder andere zogen mit ungeheuren Schlüsseln die Muttern der Zapfen an. Der Stamm von Metall, welcher langsam durch die Verdeckluke nach unten ging, war eine neue liegende Welle, die dazu bestimmt war, den Rädern die Bewegung der Kurbelwelle mitzutheilen. Aus diesem Abgrunde drang ein scharfes, disharmonisches Geräusch empor.

Nachdem ich auf diese Regulirungsarbeiten einen schnellen Blick geworfen hatte, nahm ich meinen Spaziergang wieder auf und gelangte bald auf das Vordertheil des Schiffes. Hier waren Tapezierer damit beschäftigt, ein ziemlich großes, mit dem Namen »Smoking-room« bezeichnetes Deckzimmer zu decoriren; es sollte dies die eigentliche Tabagie dieser schwimmenden Stadt werden, ein prächtiges, durch vierzehn Fenster erhelltes Kaffee, mit einem in Weiß und Gold prangenden Plafond und citronenfarbenen Feldern getäfelt. Nachdem ich sodann einen kleinen, dreieckigen Platz überschritten hatte, der den anderen Theil des Verdecks bildete, erreichte ich den Vordersteven, der sich nach der Oberfläche des Wassers neigte.

Von diesem äußersten Punkte des Verdecks aus sah ich, als ich mich umwandte, durch einen nebelfreien Strich der Atmosphäre das Hintertheil des Great-Eastern in einer Entfernung von über zwei Hektometern liegen. Das kolossale Bauwerk verdient wohl, daß man, ihm zu Ehren und um seine Dimensionen abzuschätzen, derartige Maaße anwendet.

Ich machte mich nun auf den Rückweg, indem ich dem Steuerbordgeländer folgte, zwischen den Sälen und den Schanzbekleidungen hinging und achtsam hier einen Flaschenzug, der in der Luft schwebte, dort den Peitschenhieb eines Arbeiters vermied, jetzt den Stößen eines Krahns auswich und mich dann wieder den Funken entzog, die wie ein feuriger Sprühregen von einer Schmiede entsendet wurden. Kaum konnte ich den Gipfel des zweihundert Fuß hohen Mastes aus all dem Nebel und dem dunkeln Rauch herauserkennen, mit welchem die dienstthuenden Dampfer die Luft verdichteten. Nachdem ich an dem großen Shine-Light (Oberlicht, nach dem Verdeck zu) der Rädermaschine vorbeigegangen war, bemerkte ich zu meiner Linken ein kleines Hotel, dann die lange Seitenfaçade eines Palastes mit einer vorspringenden Terrasse, deren Geländer soeben polirt wurden. Endlich erreichte ich das Hintertheil des Dampfschiffes und kam an dem von mir bereits erwähnten Gerüst an. Dort waren Maschinenbauer damit beschäftigt, zwischen dem letzten Deckzimmer und dem mächtigen Gräting, über welchem sich die vier Räder des Steuerruders erhoben, eine Dampfmaschine einzurichten. Dieselbe bestand aus zwei horizontalen Cylindern und bildete ein System von Triebrädern, Balanciers und Druckfedern, das mir außerordentlich complicirt vorkam. Ich begriff zunächst nicht, wozu die Maschinerie bestimmt war, aber auch hier schien es mir, als seien die Vorbereitungen noch sehr fern von ihrer Vollendung.

»Warum, fragte ich mich, all diese Verzögerungen? Warum all diese neuen Einrichtungen an Bord des Great-Eastern, eines verhältnißmäßig noch neuen Schiffes?« Als Antwort auf diese Frage sei es uns gestattet, hier einige Worte einzuschalten.

Nach etwa zwanzig Fahrten zwischen England und Amerika, deren eine sich durch schwere Unfälle auszeichnete, hatte man die Verwendung des Great-Eastern vorläufig aufgegeben. Das kolossale Transportschiff war somit außer Curs gesetzt und fand sich von den Seereisenden verschmäht und zur Ruhe verdammt. Als dann die Versuche, das transatlantische Kabel zu legen, gescheitert waren, ein Mißerfolg, der größentheils an der Unzulänglichkeit der dazu benutzten Schiffe lag, dachten die Ingenieure zuerst wieder an den Great-Eastern. Er allein hatte die erforderlichen Dimensionen, um die 3400 Kilometer Metalldraht im Gewicht von 4500 Tonnen zu lagern, und nur er konnte, Dank seiner Indifferenz gegen die Gefahren des Meeres, diesen enormen Greling abrollen und versenken. Um das Kabel im Schiffsraume zu stauen, bedurfte man jedoch besonderer Vorrichtungen, und so ließ man zwei der vorhandenen sechs Dampfkessel und einen der drei Schornsteine springen. An ihrer Stelle entstanden ungeheure Recipienten, um das Kabel aufzunehmen, welches seinerseits durch eine Wasserfläche vor den Luftveränderungen geschützt wurde. Der Draht konnte auf diese Weise in’s Meer gehen, ohne der Berührung atmosphärischer Luft ausgesetzt zu sein.

Der Plan gelang, und die Legung des Kabels ging mit Erfolg von Statten; nach diesem Resultat jedoch schien man die Thätigkeit des Great-Eastern abermals als beendet anzusehen, und er wurde von Neuem in seine kostspielige Dienstunthätigkeit versetzt. Sodann zog die Weltausstellung von 1867 am Horizont der epochemachenden Ereignisse herauf, und es bildete sich eine Gesellschaft mit beschränkter Verantwortlichkeit, » Société des Affréteurs du Great-Eastern«1 genannt, die mit einem Capital von zwei Millionen Franken das Riesenschiff zum Transport der überseeischen Besucher verwenden wollte. Aus diesem Grunde wurde es nothwendig, den Dampfer großen Veränderungen zu unterwerfen, die Recipienten auszufüllen, die Kessel wieder herzustellen, die Salons, die mehreren Tausend Personen zur Wohnung dienen sollten, zu vergrößern, und die Deckzimmer, welche zu Dependancen des Speisesaales bestimmt waren, zu bauen; außerdem mußten mit möglichstem Comfort 3000 Betten placirt werden, und hierzu sollten die Seitentheile des riesenmäßigen Schiffsrumpfes dienen.

Der Great-Eastern wurde zum Preise von 25,000 Franken pro Monat gemiethet, und in Folge dessen zwei Contracte mit G. Forrester u. Comp. in Liverpool abgeschlossen. Der erste auf den Betrag von 538,750 Franken lautend zur Einrichtung neuer Kessel für die Schraube; der zweite auf die Summe von 662,500 Franken für allgemeine Reparaturen und sonstige Einrichtungen auf dem Schiffe.

Der Board of Trade verlangte, daß, ehe diese letzteren Arbeiten unternommen würden, das Schiff auf den Helgen gebracht würde, damit sein Rumpf genau untersucht werden könnte. Nachdem diese sehr theure Operation vorgenommen war, wurde ein langer Riß des äußeren Bordes mit großen Kosten sehr sorgfältig reparirt, und dann schritt man zur Einfügung der neuen Kessel; auch mußten die Triebradwellen, welche sich während der letzten Reise verbogen hatten, gerichtet werden. Diese Welle, in der Mitte doppelt gekröpft, um die Lenkstangen der Pumpen aufzunehmen, wurde durch eine mit zwei Excentern versehene Achse ersetzt, wodurch die Solidität dieses wichtigen Theiles, auf welchem die ganze Kraft ruht, als gesichert anzusehen war. Endlich sollte, und zwar zum ersten Mal, das Steuer durch den Dampf bewegt werden.

Diese heikle Aufgabe hatte die vorher erwähnte Maschine zu lösen, welche die Maschinenbauer am hinteren Ende des Schiffes einrichteten. Der Untersteuermann, auf dem Steg des Centrums zwischen den Signalapparaten für die Maschinen der Räder und der Schraube stehend, hatte vor seinem Auge einen mit beweglicher Nadel versehenen Quadranten, der ihm in jedem Augenblick die Stellung des Ruderbaumes angab. Um ihn zu modificiren, brauchte er nur ein kleines Rad von kaum einem Fuß im Durchmesser, das im Bereich seiner Hand vertical aufgerichtet war, zu bewegen. Sofort öffneten sich Ventile; der Dampf schoß aus den Kesseln durch lange Leitröhren in die beiden Cylinder der kleinen Maschine, die Kolben bewegten sich mit großer Schnelligkeit, die Übertragungen spielten, und das Steuer gehorchte augenblicklich den unwiderstehlich fortgezogenen Steuerreepen. Bewährte sich dieses System, so konnte man mit dem Druck eines Fingers die kolossale Masse des Great-Eastern regieren.

Fünf Tage lang wurden die Arbeiten mit rastloser Thätigkeit fortgesetzt, und obgleich diese Verzögerung den Unternehmern keinen geringen Schaden brachte, konnten diese doch nichts thun, um die Instandsetzung des Great-Eastern noch mehr zu beeilen. Die Abreise wurde auf den 26. März festgesetzt, und am 25. März war das Verdeck des Schiffes noch von dem gesammten Herstellungsgeräth eingenommen.

Endlich wurden während dieses letzten Tages die Laufbretter, die Stege, die verschiedenen Deckzimmer allmälig freier; die Krähne verschwanden; die Aufstellung der Maschinen wurde als beendet erklärt; die letzten Bolzen saßen fest, und alle Schrauben thaten ihre Schuldigkeit. Die glatten Stücke waren mit einem Anstrich von Bleiweiß und Talg bedeckt, der sie unterwegs vor dem Oxydiren durch das Seewasser schützen sollte; die Oelbehälter hatten ihre Füllung erhalten; die letzte Platte ruhte auf ihrem metallenen Lager, und endlich machte sich der Oberingenieur an die Probe mit der Maschine. Eine ungeheure Dampfmenge fluthete in den Maschinenraum und hüllte mich, der ich über das Shine-Light gebeugt stand, so vollständig ein, daß ich Nichts ringsumher mit meinen Augen erkennen konnte; aber ich hörte die langen Kolbenstangen durch ihre Stopfbüchsen hindurchächzen und die dicken Cylinder geräuschvoll auf ihren soliden Zapfen oscilliren. Ein lebhaftes Plätschern entstand unter den Radkasten, als die Schaufeln langsam das dunkle Wasser der Mersey schlugen; am hinteren Ende des Schiffes peitschte die Schraube mit ihrem vierfachen Flügel die Fluth, und beide Maschinen, gänzlich von einander unabhängig, waren bereit, ihre Function zu beginnen.

Gegen fünf Uhr Abends legte eine Dampfschaluppe an, die gleichfalls für den Dienst des Great-Eastern bestimmt war. Ihre Dampfmaschine wurde gelöst und vermittelst der Gangspillen auf das Verdeck gehißt; die Aufnahme der Schaluppe selbst aber bot unübersteigliche Hindernisse dar. Ihr Eisenrumpf hatte ein so enormes Gewicht, daß die Stangen, auf welche man die Taljen geschlagen hatte, sich unter der Last bogen, was indessen jedenfalls zu vermeiden gewesen wäre, wenn man sie mit Schwingseilen unterstützt hätte. Genug, man mußte es aufgeben, die Schaluppe mitzuführen, doch blieben dem Great-Eastern noch sechzehn Boote, die bequem vermittelst Krahnes aufgehißt waren.

An diesem Abend wurden so ziemlich alle Vorkehrungen beendet; die Promenadenwege glänzten in Sauberkeit und Schöne, als das Heer der Straßenfeger darüber hingegangen war; und in den Kombüsen, dem Schiffsraume und den Kammern lagerten Waaren und Lebensmittel. Noch war jedoch der Dampfer nicht bis zu seiner Wasserlinie eingesunken, denn er ging bis jetzt nicht die ihm bestimmten neun Meter tief. Es stellte sich hierdurch ein großer Uebelstand für seine Räder heraus, deren ungenügend eingesenkte Schaufeln natürlich nur eine geringere Geschwindigkeit äußern konnten. Trotzdem war unter diesen Bedingungen ein Aufbruch möglich, und ich durfte mich mit der Hoffnung niederlegen, daß wir anderen Tages in See gehen würden. Am folgenden Morgen, bei Sonnenaufgang, sah ich die amerikanische Flagge an dem Fockmast, die französische am Hauptmast, und die englische Flagge an der Besanstange wehen.


Fußnoten

1 Gesellschaft der Rheder des Great-Eastern.