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Wie schnell die Arbeitswelt sich dreht: Welche Chancen du als Angestellter heute hast

»Die Zukunft ist bereits hier, sie ist nur ungleich verteilt.«

William Gibson

Im letzten Kapitel hast du bereits zwei Geschichten von Menschen kennengelernt, die als Angestellte in ihrer Firma neben dem normalen Job ihr eigenes unternehmerisches Ding angefangen haben. Die MondayMakers entstanden auf Eigeninitiative einer Mitarbeiterin, die mit ihrer Idee bei der Unternehmens-Chefin offene Türen einrannte. Das Tolle daran: Das Team ist bunt gemischt, von der Praktikantin bis hin zum obersten Management, aber verfolgt gleichberechtigt und mit großem Einsatz eine gemeinsame Vision. Wie groß die Idee letztlich wird, ist noch nicht ganz abzusehen, doch gerade das macht auch einen Teil des Reizes aus. Das Pakadoo-Team ist hierbei schon einen Schritt weiter. Kris und Markus haben einen Teil der Unsicherheit, die zwangsläufig zu jeder Unternehmensgründung gehört, bereits hinter sich gelassen. Sie kamen im Schnellzug-Tempo von der Idee zum ersten Großkunden, gründeten ein internes Startup, bekamen eine Millionenfinanzierung und erreichten binnen kürzester Zeit Hunderttausende von Nutzern. Du siehst: Es sind zwei unterschiedlich gelagerte Fälle. Aber sie haben dennoch eine große Gemeinsamkeit.

Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind: Vor ein paar Jahren wären all solche Geschichten noch völlig undenkbar gewesen. Normale Angestellte, die neben ihrem Tagesgeschäft unternehmerische Ideen vorantreiben? Das wäre für viele Menschen ein Widerspruch in sich gewesen. Entweder man ist angestellt, oder man kündigt und wird Unternehmer. Beides gleichzeitig? Sicher nicht! So lautete jedenfalls die verbreitete Meinung. Doch so verrückt diese Geschichten noch vor einiger Zeit gewesen wären, so gern gesehen sind sie heute bereits in vielen Unternehmen.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es wird nicht mehr lange dauern, bis es in fast jedem Unternehmen ganz normal ist, dass Angestellte gleichzeitig zu einem gewissen Grad auch Unternehmer im Unternehmen sind. Genauso wie in den letzten Jahren auch Teilzeit, Vertrauensarbeitszeit, Elternzeit und Home-Office sich von »völlig undenkbar« zu »normal« entwickelt haben. Klar, das alles gibt es nicht in ausnahmslos allen Unternehmen – aber in sehr vielen eben schon! Um das Zitat von William Gibson aufzugreifen: »Die Zukunft ist bereits hier, sie ist nur ungleich verteilt«. Und manchmal muss man sich auch auf sie zubewegen, anstatt darauf zu warten, dass sie von selbst an die Tür klopft und einen vom Sofa abholt.

Tatsächlich verstehen dies immer mehr weitsichtige Unternehmenslenker. Sie modernisieren ihre Unternehmen in nie zuvor gesehenem Maße und in phänomenaler Geschwindigkeit. Dabei geben sie auch alte Denk- und Managementmodelle auf. Darunter ist allen voran auch das über viele Jahre, ja Jahrzehnte gepflegte Modell, dass »oben gedacht und unten gemacht« wird. Sie brechen verkrustete Strukturen auf und geben ihren Mitarbeitern mehr Freiraum, mehr Entfaltungsmöglichkeiten sowie mehr Verantwortung. Kurz gesagt: Sie werden zu dem, was ich smarte Unternehmen nenne.

Traditionelle Unternehmen und ihre Grenzen

Für die Modernisierung der Unternehmen gibt es, wie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, starke Gründe – vor allem den Technologiewandel und die dadurch hervorgerufenen Marktveränderungen. Denn wir stecken mitten in der digitalen Revolution. Mithilfe der neuen digitalen Technologien entstehen explosionsartig immer mehr neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Das betrifft sowohl Endverbraucher – man denke nur an die Revolution in der Informationstechnologie und Telekommunikation mit Heimcomputern, Smartphones, Sozialen Medien – als auch die Industrie – zum Beispiel Biotechnologie, Künstliche Intelligenz, Algorithmen und das »Internet der Dinge«. Weil dieser Wandel gemäß des Moore’schen Gesetzes bisher immer schneller vonstattenging – die Leistung neuer Computer-Chips verdoppelte sich seit der Erfindung des Computers etwa alle 18 Monate –, sehen sich die Unternehmen gezwungen, sich in nie zuvor gesehener Geschwindigkeit zu verändern. Denn ihre traditionellen Organisationsstrukturen sind nicht dazu geeignet, mit dem Tempo der digitalen Revolution Schritt zu halten und Innovationen zu entwickeln.

Ein solches Phänomen ist an sich nichts Neues; technologischen Wandel gibt es nicht erst seit gestern. Allein in den letzten 250 Jahren gab es mehrere große Umbrüche: Die erste industrielle Revolution um das Jahr 1800 brachte Maschinen, Fabriken und die Eisenbahn, die zweite industrielle Revolution zwischen der Mitte und dem Ende des 19. Jahrhunderts die Schwerindustrie und den elektrischen Strom. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter des Automobils und der Massenproduktion. Ein technologischer Umbruch verändert immer die Gesellschaft und ihre Institutionen, vor allem aber die Unternehmenswelt. Damit geht auch stets eine Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in Institutionen und in der Wirtschaft einher. Diesen evolutionären Prozess hat der ehemalige McKinsey-Berater Frederic Laloux in seinem viel beachteten Buch Reinventing Organizations wunderbar beschrieben.

Zur Zeit der ersten industriellen Revolution waren die Märkte klar definiert und verglichen mit heute sehr ruhig, was eine langfristige Planung ermöglichte. Dazu passte eine Organisationsform, die Stabilität garantiert. Es war wichtig, wiederholbare Tätigkeiten exakt und routinemäßig auszuführen. Eine streng hierarchische, autoritäre Organisation gewährleistet das. In Unternehmen und Institutionen herrschte das Prinzip Befehl und Kontrolle vor. Die Organisation entspricht der klassischen Pyramide, in der die Anweisungen von oben nach unten gegeben werden. Der Fabrikbesitzer steht über dem Bereichsleiter, der weist den Abteilungsleiter an, dann kommen die Vorarbeiter und schließlich die Arbeiter, die die Maschinen bedienen. Auch heute gibt es solche Organisationsformen noch, sie sind nicht komplett verschwunden. Sie existieren beim Militär und der Polizei, in der Kirche und zum Teil noch im Schulwesen. Auch in Hochrisikobereichen, wo die geringste Abweichung von der Norm zu einem großen Schaden führen kann, gelten sie noch, man denke an den Betrieb eines Atomkraftwerks. Dort geht es nicht darum zu experimentieren und selbstbestimmt zu arbeiten, es geht um Sicherheit und Berechenbarkeit.

Die zweite industrielle Revolution machte ab Mitte der 1850er-Jahre mit einem ausgebauten Eisenbahnnetz und dampfgetriebenem Schiffsverkehr die Welt »kleiner«, also zugänglicher für die Wirtschaft und den Handel. Die Produktivität wuchs, der Wettbewerb wurde stärker. Unternehmen expandierten, entwickelten unterschiedliche Produktlinien und ausgefeilte Prozessketten. Innovation wurde zum Schlüssel für Wachstum. Entsprechend entwickelten sich auch die Unternehmen organisatorisch weiter. Abteilungen wie Forschung und Entwicklung, Einkauf, Verkauf, Vertrieb und Marketing differenzierten sich aus.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Beruf des Managers moderner Prägung etabliert, was der Arbeitswissenschaftler Frederick Taylor unter anderem in seinem bahnbrechenden Werk The Principles of Scientific Management dokumentierte. In dieser Zeit wurde das Leistungsprinzip zum Leitbild. Zielvorgaben dienten dazu, die Leistungen der Angestellten und Arbeiter zu kontrollieren. Wichtig war, das angestrebte Ergebnis zu erzielen, das »Wie« wurde aber nicht mehr unbedingt vorgeschrieben. Diese Organisationsform ist heute noch weit verbreitet, idealtypisch in großen multinationalen Konzernen. Derartig organisierte traditionelle Unternehmen sind gut darin, ihre bestehenden, bereits erfolgreichen Produkte und Dienstleistungen herzustellen und zu vermarkten. Sie verstehen es, komplizierte Arbeitsprozesse effizient zu planen und durchzuführen. Das Management plant, die Mitarbeiter führen aus. Es gibt klare Hierarchien und Job-Titel, die in einem Organigramm festgeschrieben sind.

Etwa zur selben Zeit entstanden auch die ersten Ideenprogramme für Mitarbeiter. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde bei Siemens erstmals das »betriebliche Vorschlagswesen« eingeführt und machte schnell Schule. In vielen Firmen gibt es heute noch solche Programme oder »Ideen-Briefkästen«. Die Vorschläge sollen entweder die Produkte verbessern, die Arbeitsprozesse optimieren oder die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen. Für Vorschläge, die die Firma tatsächlich umsetzt, gibt es häufig Geld- oder Sachprämien. Neben diesen marktorientierten Zielen soll das betriebliche Vorschlagswesen aber auch Mitarbeiter motivieren und ihre Identifikation mit dem Unternehmen steigern. Wer ist nicht stolz darauf, wenn die eigene Idee wahrgenommen und vielleicht sogar umgesetzt wird?

In den Achtziger- und Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts hatten dann moderierte Ideenprogramme Konjunktur. Sie trugen Namen wie »Kaizen«, eine aus Japan stammende Philosophie der ständigen Veränderung, die unter westlichen Managern viele Anhänger fand. Genauso wie der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) meint Kaizen eine schrittweise, inkrementelle Verbesserung der Qualität von Produkten und der Arbeitsorganisation. Mit Startup-Methoden oder Intrapreneurship-Programmen haben diese Formen der Mitarbeiterbeteiligung aber nichts zu tun. Der Unterschied ist einfach: Vorschlagswesen, KVP und Co. haben vor allem zum Ziel, die Qualität eingeführter Produkte zu erhöhen und bestehende Prozesse zu verschlanken und kostengünstiger zu machen. Es geht dabei um stetige, schrittweise erfolgende Verbesserungen, die Markus Ziegler von Pakadoo als »den nächsten Schritt« beschrieben hat. Also Innovationen ganz nahe an bestehenden Produkten, Services und Prozessen, kurz: an dem, was das Unternehmen sowieso bereits macht. Um bahnbrechende Innovationen, also radikal neue Produkte oder Geschäftsmodelle – also das, was viele Manager disruptiv nennen – geht es dabei nicht.

Heute befinden wir uns mitten in der nächsten technologischen Revolution, der Digitalisierung. Durch sie entsteht aber nicht nur eine neue Branche mit neuen Produkten. Der Wettbewerb ist global, die Märkte drehen sich durch die Digitalisierung extrem schnell. Wir leben und arbeiten heute in einer unsicheren Welt, die nicht mehr längerfristig planbar ist und immer schnellere Anpassung erfordert. Klassische Geschäftsmodelle verändern sich massiv oder werden durch ganz neue abgelöst.

Die traditionellen Unternehmen spüren den Druck der Veränderung. Sie werden von neuen Marktteilnehmern eingeholt und überholt. Zwar betreiben sie ihr traditionelles Geschäft nach wie vor effizient, stoßen aber an ihre Grenzen, wenn sie neue Wachstumsquellen durch Innovationen erschließen wollen. Denn sie erfassen neue Kundenprobleme und -bedürfnisse viel zu langsam. Neue Problemlösungen brauchen viel Zeit, weil sie von unten nach oben kommuniziert, dort entschieden und dann top-down wieder zurückgespiegelt werden. Viele Unternehmen sind daher zu träge und unbeweglich, um mit den neuen, agileren Mitbewerbern mithalten zu können.

Markus von Pakadoo kann aus eigener Erfahrung von diesem Unterschied erzählen: »Im Konzern bedeutet ›schnell‹: sechs Wochen. In einem Startup bedeutet es: morgen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Was ›schnell‹ bedeuten kann, haben wir erlebt, als wir beim größten Versandhändler Amazon einführen wollten, dass die Kunden ihre PAK ID für den Versand an ihre Büro-Adresse direkt bei der Bestellung eingeben können. Amazon hat die Integration über Nacht gemacht. Die Option war am nächsten Tag live. Das war schon sehr beeindruckend.«

Im Grunde sind viele Unternehmen auch heute noch wie vor 50 oder 100 Jahren organisiert. Das ist in etwa so, als würde man mit einem Segelschiff anstatt mit einem modernen Schiff den Ozean überqueren. Das geht zwar irgendwie, aber man darf sich nicht wundern, wenn die Reise beschwerlich ist und man trotz aller Anstrengungen ständig überholt wird. Entscheidungen treffen dabei nicht diejenigen, die nah am Problem und nah am Kunden sind – das sind die Mitarbeiter –, sondern das Management. Wahrscheinlich hast du dich auch schon darüber geärgert, dass du eine Entscheidung, die du leicht hättest selbst treffen können, erst zur Absegnung deinem Chef vorlegen musstest – und der vielleicht noch einmal seinem Vorgesetzten. Dabei kann eine Menge Zeit vergehen, und wenn das »Go« dann endlich beim Mitarbeiter ankommt, ist es womöglich schon zu spät: »Tut mir leid, der Kunde hat sich inzwischen anders entschieden …« Als Mitarbeiter fühlt man sich dann wie ein Rädchen im Getriebe, ohne Einfluss, ohne Gestaltungsmöglichkeiten.

Die streng gegliederte Organisation in Abteilungen mit klaren Hierarchien verhindert auch auf andere Weise Innovationen: Silodenken breitet sich aus, Abteilungen entwickeln eine Wagenburgmentalität. Pfründe, Privilegien, Budgets und die Anzahl der Mitarbeiter werden zum Selbstzweck. Du kennst wahrscheinlich mehr als eine Geschichte aus deinem Unternehmen, wo der Wettbewerb im eigenen Haus und der Kampf zwischen Abteilungsleitern wichtiger wurde als der Kampf um Kunden. Ein solches Silodenken kommt umso häufiger vor, je größer das Unternehmen ist. Und es wird richtig befeuert, wenn Bonusregelungen, zukünftige Ressourcenverteilung und Budgets nicht auf dem Gesamterfolg des Unternehmens basieren, sondern auf dem vermeintlichen Einzelerfolg unterschiedlicher Abteilungen. Zum Beispiel ist es für so manche Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung undenkbar, dass innovative Ideen auch in anderen Abteilungen entstehen können. »Das kann nicht sein. Wo kämen wir denn da hin? Dann wären wir ja weniger wichtig oder gar überflüssig …«

Was smarte Unternehmen anders machen

Smarte Unternehmen dagegen passen ihre Organisation und ihre Arbeitsweise an die neuen Gegebenheiten an und bedienen sich dabei einiger Methoden von Startups und erweitern somit ihr Toolkit. Sie adaptieren Methoden und Organisationsmodelle von Startups, die besonders gut darin sind, neue Kundenprobleme zu erkennen und als Antwort darauf Innovationen zu entwickeln. Startups sind Innovationstreiber, weil sie durch ihre Organisationsstruktur und durch ihre Methoden deutlich schneller und flexibler auf die derzeitigen Marktveränderungen reagieren können. Sie liegen dabei auch nicht immer von Anfang an richtig, keine Frage. Aber der Punkt ist: Wenn du eine Entscheidung innerhalb von zwei Tagen triffst, anstatt dafür sechs Wochen zu brauchen, kannst du sehr viele Fehler machen, diese schnell korrigieren und dann die richtige Richtung mit voller Kraft einschlagen. Während du also bereits eine Menge über deinen Markt und die wahren Kundenbedürfnisse gelernt hast, wird anderswo noch immer über den allerersten Schritt nachgegrübelt! Darüber, wie Startups das konkret machen und was du dir bei ihnen abschauen kannst, erfährst du im dritten Kapitel mehr.

Mithilfe solcher Startup-Methoden gelingt es den smarten Unternehmen, Innovationsstaus aufzulösen, also dringend notwendige Neuerungen auch tatsächlich zeitnah umzusetzen. Es passiert aber noch mehr, und das betrifft dich und die Arbeit aller Angestellten – nicht nur derer, die in den neuen Programmen tätig sind: Die Kultur der Startups sickert von den Innovation Labs und unternehmerisch denkenden Intrapreneuren in das Unternehmen ein und macht dieses beweglicher. In einem smarten Unternehmen wird deine Arbeit besser und interessanter. Das wirkt ansteckend und kann das ganze Unternehmen im positiven Sinne »infizieren«. Smarte Unternehmen sind dabei, sich von bürokratischen, hierarchischen Organisationsformen zu verabschieden. Dadurch befreien sie deine Arbeit von einengenden Fesseln. Unternehmertum im Unternehmen, selbstbestimmte und kreative Arbeit von Angestellten: Das ist das beste Gegengift gegen Bürokratie.

Ist dieser Kulturwandel vom Management gewollt, kann es auch in deinem Unternehmen so laufen wie bei den MondayMakers: Du und deine Kollegen bekommen einige Stunden oder sogar Tage pro Woche zur freien Verfügung, um eigenen Ideen nachzugehen. Dieses Modell ist unglaublich erfolgreich und hat schon viele Produkte hervorgebracht, die heute jeder kennt. Bei 3M entstand daraus zum Beispiel die Idee für die Post-it-Haftnotizzettel, bei Sony die Playstation und bei Google der Maildienst Gmail. Hier bekamen die Mitarbeiter jahrelang jeden Freitag Zeit für eigene Projekte. 20 Prozent ihrer Arbeitszeit war für Innovationen reserviert. Die einzige Vorgabe war: Tu das, wovon du glaubst, dass es Google nützt. Das war nicht nur für das Unternehmen gut, es machte die Arbeit auch kreativer und die Mitarbeiter glücklicher. »Heute lässt mein Chef mich machen« – das ist der Traum der meisten Angestellten. Wahrscheinlich auch deiner.

Eines möchte ich an diesem Punkt klarstellen: Genauso wenig wie ein Startup eine kleinere Version eines Großunternehmens ist, ist ein großes Unternehmen keine große Version eines Startups. Ein Konzern als Ganzes kann gar nicht wie ein Startup agieren. Er verfügt über eine funktionierende Infrastruktur, über eine bestehende Angebotspalette, über Kunden. Es wäre Unsinn, das alles aufzugeben. Das traditionelle Geschäft ist auch in smarten Unternehmen nach wie vor wichtig. Es geht nicht darum, es abzuschaffen, denn es ist nach wie vor der Kern der Unternehmung – und muss effizient gemanagt werden! Was smarte Unternehmen aber tun: Sie entwickeln sich weiter. Wenn ein Unternehmen smart geworden ist, dann kann es beides: das traditionelle Geschäftsmodell erfolgreich weiterführen und strukturiert Innovationen und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Es hat die nächste Evolutionsstufe erreicht.

Smart ist sexy

In der Beliebtheit bei den Arbeitnehmern belegen smarte Unternehmen immer häufiger vordere Plätze. Das ist nur allzu verständlich. Oder arbeitest du gern in einer Firma, um die Anweisungen deiner Vorgesetzten auszuführen und deine Arbeit regelmäßig kontrollieren zu lassen? Bist du gern in einer Position, wo am Ende nur zählt, ob du ein von oben gestecktes quantitatives Ziel erreicht hast, egal wie gut und kreativ du dabei qualitativ gearbeitet hast? Die Zeiten haben sich zum Glück geändert.

Ich bin mir sicher, diese Botschaft kommt auch bald in deiner Firma an, wenn es noch nicht so weit ist. Denn dann eröffnen sich dir Möglichkeiten, um freier und kreativer arbeiten zu können. Ein wirklich beeindruckendes Beispiel dafür, wie schnell das gehen kann, ist erstaunlicherweise die Deutsche Bahn.

Warum erstaunlicherweise, fragst du? Nun ja, zum einen ist der ehemalige Staatskonzern sicher nicht die erste Firma, die einem in den Sinn kommt, wenn es um mehr Startup-Spirit, Sinn und Freiheit in einem etablierten Unternehmen geht. Zum anderen ist es tatsächlich noch nicht lange her, dass der Konzern weit davon entfernt war, seinen Mitarbeitern echten Freiraum auf breiter Front zu ermöglichen. In meinem letzten Buch war die Deutsche Bahn noch ein Negativbeispiel für falsch verstandenen Startup-Spirit, bei dem Wunsch und Wirklichkeit weit auseinanderklafften. Zwar wurde, wie damals en vogue, der Vorstand zur Innovationstour ins Silicon Valley geschickt und kurz darauf das Innovationslabor »d-lab« gegründet. Doch dort arbeiteten im Jahr 2015 gerade mal zehn (!) der insgesamt rund 320.000 Bahn-Angestellten, also gerade mal 0,03 Promille der Mitarbeiter. Gleichzeitig forderte die Deutsche Bahn in Stellenausschreibungen selbst von einem »Planungsingenieur für Fahrbahnen« unternehmerisches Denken und Handeln. Wo sollte er diese Fähigkeiten denn herhaben? Aus dem Studium oder einem Wochenendseminar? Das Ganze wirkte wie eine Farce. Doch die Bahn war damals mit dieser Vorgehensweise alles andere als allein.

Andere Unternehmen richteten ebenfalls hausinterne »Brutkästen« für externe Startups ein, sogenannte Inkubator- oder Accelerator-Programme. Sie sollen die fremden Startups finanziell unterstützen und Zugang zu den internen Ressourcen gewähren, zum Beispiel zu Büroräumen. Die Motivation der Unternehmen dahinter – sei es BMW mit seiner »Startup-Garage«, die Telekom mit »hub:raum« oder der Metro-Konzern mit seinem »Techstars Metro Accelerator« – war jedoch alles andere als rein altruistisch. Auf diese Weise versuchen Großkonzerne das Gleiche, was auch die beliebten Management-Reisen ins Silicon Valley und die Übernahme junger Firmen bringen sollen: Zugang zu innovativen Ideen und dringend benötigten Veränderungsimpulsen zu erlangen.

Ein schöner Ansatz, doch neben der großen Popularität unter Firmenchefs verband all die verschiedenen Bemühungen, um von der Welt der Startups zu profitieren, eine weitere Gemeinsamkeit: Sie funktionierten nicht von innen heraus. Sie nutzten nicht das Potenzial der eigenen Mitarbeiter! Und wenn überhaupt interne Mitarbeiter einbezogen wurden, dann nur mit einem Bruchteil der Möglichkeiten, so wie im d.lab der Deutschen Bahn. Sie nutzten nicht das Potenzial aller hundert, tausend oder zehntausend Mitarbeiter, das zweifellos vorhanden ist. Die Unternehmen sind doch voll mit ambitionierten, cleveren Menschen! Ähnlich war es bei den beliebten Managementreisen zur amerikanischen Startup-Szene: Ein paar wenige sollten es richten und den Unternehmergeist und den Mut, mal über den Tellerrand zu blicken, irgendwie demonstrieren, damit man an der Konzernspitze sagen konnte: Wir sind auch dabei. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich solche Geschichten hörte: Ist das alles? Kann das reichen? Wie soll das funktionieren?

Mittlerweile sieht die Welt ganz anders aus – denn auch der größte Konzern hat verstanden, wie sexy smart wirklich ist. In smarten Unternehmen hat jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, sein Unternehmen durch eigene Ideen voranzubringen. Um es mal konkret zu machen: Das Intrapreneurship-Programm der Deutschen Bahn steht per se allen 320.000 Mitarbeitern offen. Ja, du hast richtig gehört. Allen 320.000 Mitarbeitern, nicht etwa nur einer Handvoll Auserwählter. Dabei ist es auch völlig egal, ob es sich um eine hochdekorierte Führungs- oder eine Reinigungskraft handelt. Wenn es ihre Idee schafft, ins Programm aufgenommen zu werden, sind alle Mitarbeiter gleich und »hierarchielos«. Sie werden in Startup-Methoden wie Design Thinking geschult und zur Hälfte oder zu hundert Prozent von ihrer eigentlichen Tätigkeit freigestellt, zunächst mit Rückkehrrecht auf ihre alte Position. Natürlich bauen nun nicht sofort alle 320.000 Mitarbeiter an neuen Ideen, aber sie alle haben die Möglichkeit dazu! Unternehmerisches Denken – und Handeln – ist heute bei der Deutschen Bahn nicht mehr nur ein Lippenbekenntnis.

Arbeitest du in einem Unternehmen, das sich gerade solchen Startup-Methoden öffnet und die Arbeit befreien möchte, dann musst du praktisch nur noch zugreifen. Nichts wird lieber gesehen, als dass du dich als Angestellter für solche Initiativen interessierst und aktiv daran teilnehmen möchtest.

Smarte Riesen

Viele ehemals klassisch aufgestellte Firmen entwickeln sich heute enthusiastisch zu smarten Unternehmen weiter, beispielsweise der Netzwerk-Spezialist Cisco Systems. Zwar war Cisco schon immer äußerst innovativ, keine Frage. Doch bis vor Kurzem entstanden Innovationen vor allem in der Entwicklungsabteilung oder durch Zukäufe und Beteiligungen von außen. Inzwischen ist das anders – das Unternehmen hat mittlerweile den Schatz erkannt, auf dem es schon immer saß, ohne ihn zu bergen.

Ende 2015 begann Cisco, das Potenzial seiner Mitarbeiter in einer völlig neuen Dimension zu heben: Beim ersten internen Innovationswettbewerb bekam jeder einzelne der 75.000 Angestellten die Möglichkeit, eigene Ideen vorzuschlagen. Das Angebot fiel auf fruchtbaren Boden. Die Beschäftigten reichten im ersten Jahr gleich 1100 Ideen ein, von denen es einige auch bis zur Marktreife schafften. Insgesamt arbeitet rund ein Drittel der Belegschaft aktiv am jährlich stattfindenden Wettbewerb mit, sei es als Mitglied eines Innovationsteams, als Mentor oder als Entscheider. Das bringt nicht nur zahlreiche Produkt- und Service-Innovationen hervor, sondern verändert die Unternehmenskultur grundlegend. Alexandra Hils, Head of Innovation Germany bei Cisco: »Durch den Innovationswettbewerb möchten wir die Kompetenz all unserer Mitarbeiter nutzen und jedem im Unternehmen die Chance geben, an Innovationen mitzuwirken. Sonst besteht die Gefahr, dass im Unternehmen ein regelrechter Innovationsstau entsteht. Aber genauso wichtig ist es, dass dadurch die Mitarbeiter ein Gefühl dafür bekommen, was Intrapreneurship bedeutet und wie sich das Unternehmen von innen heraus verändert. Die Mitarbeiter sollen merken, dass sie an ihrem Arbeitsplatz wirklich etwas bewegen können.«

Dass man als Angestellter tatsächlich Einfluss hat und etwas bewegen kann, hat sich offenbar herumgesprochen – Cisco zählt heute zu den innovativsten Unternehmen weltweit, wie eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group aus dem Jahr 2018 zeigt.

Dass gerade die immer schon innovativen Unternehmen die digitale Transformation vorantreiben, zeigt auch IBM. An der Initiative »Cognitive Build«, die neue Formen der Zusammenarbeit und Innovationen fördern sollte, beteiligten sich fast drei Viertel aller 380.000 Beschäftigten aus 115 Ländern. Es entstanden fast 4000 Innovationsteams, deren Mitglieder sich mithilfe einer unternehmensinternen Software-Plattform, einer Art »Facebook für IBM«, zusammenfanden und organisierten. Die Entwicklung ihrer Ideen wurde über ein IBM-internes virtuelles Crowdfunding finanziert – jeder IBMler konnte 2000 Dollar auf die Teams verteilen, deren Ideen er am besten fand. Die 50 Teams, die dabei die meiste Unterstützung generierten, arbeiteten in der IBM-Zentrale in Austin zusammen mit Mentoren und Coaches weiter und präsentierten ihre Ideen vor Top-Führungskräften. Am Ende gab es faktisch mehr als die dabei ausgewählten Gewinnerteams: An vielen Ideen arbeiten die Mitarbeiter in ihrer freien Zeit weiter, Dutzende werden aktiv von IBM unterstützt.

Bemerkenswert an dieser Initiative ist der integrierte Crowdfunding-Prozess: Dadurch beschäftigte sich jeder einzelne Mitarbeiter mit den Ideen der Innovationsteams. Das ganze Unternehmen bekam ein Verständnis davon, wie kollaborativ die Arbeit der Zukunft organisiert sein kann. Es ist ja klar: Bist du als Mitarbeiter in eine solche Initiative eingebunden, schaust du anders darauf, als wenn du den Eindruck hast, »die da oben« wollen mal wieder irgendeine Restrukturierung in Gang setzen. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass das eine Initialzündung bei den Mitarbeitern hervorrufen kann, die in der ersten Runde noch nicht aktiv, sondern »nur« mit den 2000 Dollar als Sponsor beteiligt waren.

Aber auch die traditionell eher durch Forschung und Entwicklung geprägten Firmen sehen heute Startup-Spirit als wichtige neue Komponente, um innovativ zu bleiben. Zum Beispiel der Autokonzern Daimler, eines der etabliertesten deutschen Unternehmen. Bereits 2015 hatte CEO Dieter Zetsche angekündigt, dass das Unternehmen zukünftig das Beste aus beiden Welten auf dem Weg zum smarten Unternehmen nutzen wolle: »Wir werden Schritt für Schritt eine neue Innovationskultur bei Daimler etablieren. Nur so können wir die Stärken eines Weltkonzerns noch enger mit den Stärken eines Startups verknüpfen.«

Zwei Jahre später hat man bei Daimler eine Art globalen »100-Millionen-Dollar-Club« ins Leben gerufen. Dabei geht es um neue Geschäftsmodelle für die Mobilität der Zukunft. Knapp die Hälfte der insgesamt rund 290.000 Beschäftigten aus der ganzen Welt war aufgerufen, ihre Ideen auf einer internen Plattform zu präsentieren. Dort konnte jeder sie sich anschauen und bewerten. Die Teilnahme war rege – 930 Ideen, 28.000 Bewertungen und mehrere Tausend Kommentare zeugen von der Lust auf Innovationen, die in den Angestellten eines Unternehmens schlummert und nur freigesetzt werden muss. Die Ideen mit den besten Bewertungen konnten deren Urheber dann einem Expertenteam von Daimler vorstellen, und der Gewinner der 100-Millionen-Challenge – wie die Initiative offiziell heißt – bekam die Möglichkeit, sie im hauseigenen Inkubator »Lab 1886« umzusetzen. So etwas wäre bei Daimler noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Doch auch dort hat man erkannt, dass Konzern und Startup-Spirit sich nicht ausschließen

Ein weniger bekanntes Beispiel zeigt, dass nicht nur Unternehmen im Boot sind, über die sowieso alle sprechen. Kennst du die Firma G+D – in der Langfassung Giesecke+Devrient? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem hast du wahrscheinlich schon einmal indirekt mit ihr zu tun gehabt. Denn viele Gegenstände, die du täglich benutzt, kommen von G+D: SIM-Karten, EC-Karten oder Pässe in zahlreichen Ländern der Welt. Außerdem ist das Unternehmen Marktführer bei der Produktion von Banknoten. Dazu zählt nicht nur der eigentliche Druck, sondern auch die Herstellung von Sicherheitspapier und von Maschinen zur Banknotenkontrolle in »Cash Centern«.

Obwohl die Geschäfte gut laufen, gibt es auch bei G+D Innovationsdruck durch die Digitalisierung. Deshalb hat der CEO ein internes Accelerator-Programm mit dem Namen »G+D advance52« aufgesetzt, wo Innovationsmanager zusammen mit Mitarbeitern der Mutterfirma und Experten deren Ideen auf Markttauglichkeit testen. Jahr für Jahr kommen mehr Ideen aus den Reihen der Mitarbeiter, und einige davon haben es bereits zur Marktreife gebracht.

Heute baut man bei G+D nicht nur auf das traditionelle Geschäft, sondern ist auf ganz anderen Feldern tätig. Zum Beispiel sorgt das Unternehmen für Sicherheit bei digitalen Authentifizierungsverfahren, etwa bei elektronischen Pässen oder Apps, und entwickelt Lösungen für digitale Währungen. Der Geist der Innovation hat das Hauptunternehmen erfasst. Philipp Schulte, bei G+D zuständig für Unternehmensentwicklung und Strategie und damit die Schnittstelle zum Accelerator, sagt: »Seit es die Einheit G+D advance52 gibt, sprechen mich immer häufiger Kollegen von G+D an, die sich unternehmerisch engagieren wollen. Die gab es sicherlich auch schon vorher, aber viele Ideen sind im Unternehmen stecken geblieben. Heute wissen die Mitarbeiter, wohin sie sich wenden können – und dass ihre Ideen auch wirklich erwünscht sind und angenommen werden.«

Die Reihe an etablierten Unternehmen, die smarter und innovativer werden, lässt sich fast endlos fortsetzen. Ein anderes ist beispielsweise der Technologieriese General Electric, der sage und schreibe fünfhundert Coaches angestellt hat, um seinen Mitarbeitern auf breiter Front Startup-Mentalität zu vermitteln. Zu den international spektakulärsten Beispielen zählt Zappos, das amerikanische Vorbild für Zalando. Um zu vermeiden, dass Zappos durch Wachstum und Erfolg irgendwann zu einem »normalen« Unternehmen wird und seinen Startup-Spirit verliert, ging Gründer Tony Hsieh einen radikalen Weg: Er gab die komplette Managementstruktur auf. Die Mitarbeiter von Zappos organisieren ihre Arbeit selbst. Es gibt keine Job-Titel und keine Top-down-Anweisungskultur mehr. Für verschiedene Aufgaben schlüpfen die Mitarbeiter in neue Rollen, Hierarchien und Entscheidungskompetenzen wechseln von Aufgabe zu Aufgabe.

Für viele Mitarbeiter war es zunächst anstrengend, sich an das neue Modell zu gewöhnen. So mussten sie zum Beispiel die Schichtpläne für das Callcenter selbst zusammenstellen, was bei einem Versandhandel sicher keine ganz einfache Aufgabe ist. Die einzige Vorgabe war: Es soll funktionieren. Ihre Freiräume haben die Mitarbeiter kreativ werden lassen. Gemeinsam mit den Programmierern von Zappos haben sie beispielsweise eine Software gestaltet, die die Selbstorganisation vereinfacht. Eine andere Initiative entwickelte eine App, die den Mitarbeitern zeigt, wo gerade welche Kompetenzen für ein Projekt gefragt sind. Wer Interesse und Zeit hat, kann sich einklinken und in eine neue Rolle schlüpfen.

Der vergleichsweise radikale Wandel zum hierarchiefreien Unternehmen verlief bei Zappos zwar nicht ganz reibungslos – einige Mitarbeiter verließen das Unternehmen. Aber die, die geblieben sind, verspüren wenig Lust, noch einmal anders zu arbeiten.

Angestellte als Veränderungstreiber der Arbeitswelt

Du siehst, wir erleben gerade einen massiven Umbruch unserer Arbeit. Die Chance auf abwechslungsreichere Karrieren mit mehr Sinn, mehr Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten ist endlich auch in etablierten Unternehmen zum Greifen nah. Zum Glück – denn das sind genau die Aspekte der Debatte um die Zukunft des Arbeitens, die große und lange gehegte Sehnsüchte der Angestellten spiegeln. Eine aktuelle Studie von Porsche Consulting zum Thema Arbeitszufriedenheit hat ergeben, dass neun von zehn Büroangestellten gern mehr eigene Ideen in ihrem Job einbringen würden. Jeder zweite wünscht sich Freiräume – zumindest eine Stunde am Tag –, um darüber nachzudenken und die Ideen ausarbeiten zu können. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine breit angelegte Studie von Kienbaum und der Karriere-Plattform Stepstone: 85 Prozent aller Fachkräfte möchten möglichst selbstbestimmt oder in einem selbstverantwortlichen Team arbeiten.

Zwar zeigt eigentlich fast jede aktuelle Umfrage zu Arbeitsthemen, dass die meisten Angestellten unzufrieden in ihrem Job sind. In der Vergangenheit hatte das aber meist mit mangelnder Anerkennung und zu geringem Gehalt zu tun. Relativ neu sind die Erkenntnis und das offene Bekenntnis, dass Angestellte aktiv und kreativ werden wollen und Freiräume einfordern, und zwar über alle Generationengrenzen hinweg.

Das zeigt: Der angesprochene Paradigmenwechsel in Unternehmen – weniger Hierarchien, mehr Freiräume und Entscheidungskompetenzen für Mitarbeiter – ist Teil eines tiefgreifenden Wertewandels in unserer Gesellschaft. Durch die wirtschaftlichen Krisen der letzten zwei Jahrzehnte haben viele Menschen den Glauben an Geld und Sicherheit als Versprechen der Arbeitswelt verloren. Der Wunsch, sich stattdessen selbst zu verwirklichen und eine sinnvolle Arbeit zu verrichten, hat längst die Altersgrenzen der Generation Y überwunden und ist zu einem zentralen Motivator der Arbeitswelt geworden. Das haben unter anderem eine Langzeitstudie der Fachhochschule Köln und eine Untersuchung des Personaldienstleisters Robert Half ergeben.

Wenn ich in meinen Vorträgen über die junge Generation und ihre Werte spreche, dann hat das noch vor zwei, drei Jahren bei vielen älteren Führungskräften für nichts als Kopfschütteln gesorgt. Ich erinnere mich auch noch gut an Beschreibungen der Generation Y als »Diva beim Dorftanztee« (Spiegel Online) oder als »Generation Pippi Langstrumpf« (WirtschaftsWoche). Heute ist das anders. Das Kopfschütteln ist der Einsicht gewichen, dass die Wünsche der jungen Generation nicht unverschämt sind – sondern nachvollziehbar und keine Frage des Alters. Mittlerweile erlebe ich regelmäßig, dass Zuhörer nach einem Vortrag auf mich zukommen und sagen: »Ich bin zwar nicht mehr 25, sondern 45, und ich bin auch nicht in allen Punkten genauso. Aber ich sehe das durchaus ähnlich« Und manchmal sind die Menschen, von denen ich diese Rückmeldungen bekomme, auch 55 oder 65.

Vor zwanzig Jahren galten die Unternehmen als beliebte Arbeitgeber, die ein überdurchschnittliches Gehalt zahlten und einen renommierten Namen hatten. Heute reicht das nicht mehr. Unternehmen sind dann attraktiv, wenn sie Freiräume bieten und einen Sinn stiften können. Kein Wunder, dass Startups so beliebt bei Absolventen sind, denn sie haben Sinn und Freiheit fest in ihrer DNA verankert. Paradebeispiele sind die Firmen von Elon Musk: der Elekroautomobil-Hersteller Tesla und das Raumfahrt-Unternehmen SpaceX. Beide haben eine klar definierte Mission. Das Ziel von Tesla ist »die Beschleunigung des Übergangs zu nachhaltiger Energie«, im Endeffekt also Mobilität ohne den Verbrauch von endlichen Ressourcen. SpaceX hat die Mission, den Mars zu besiedeln und den Lebensraum der Menschheit interstellar zu erweitern. Ob man den Enthusiasmus für diese Mission teilt oder nicht: Der Sinn der Unternehmung ist für die Mitarbeiter vollkommen klar und vollkommen transparent. Er erschöpft sich nicht in abstrakten wirtschaftlichen Kennzahlen wie in manchen traditionellen Unternehmen. Es geht nicht nur darum, Umsätze zu steigern, Gewinne zu erzielen oder den Aktienkurs zu steigern. Es geht um mehr, nämlich um die Zukunft der Menschheit.

Elon Musk zahlt nicht die höchsten Gehälter – gemessen an anderen Unternehmen aus dem Silicon Valley. Trotzdem bekommt er die besten Leute für seine Unternehmen, die sich außerdem für ihren Job sprichwörtlich zerreißen. Und warum? Weil jeder, der bei Tesla oder SpaceX beschäftigt ist, weiß, warum er morgens zur Arbeit geht. Wer bei Tesla arbeitet, kann sich vorstellen, dass er in ein paar Jahrzehnten von sich sagen kann: »Ich habe daran mitgewirkt, die Welt ein bisschen besser zu machen.« Und wer bei SpaceX beschäftigt ist, hat die Vision vor Augen, die Menschheit vor dem nächsten Asteroiden oder einer außer Kontrolle geratenen KI zu retten. Klar, der Sinn eines Unternehmens muss nicht immer gleich die Eroberung des Weltraums sein. Es geht durchaus auch ein paar Nummern kleiner. Aber es muss bei der Arbeit um mehr gehen als um Zielerfüllung, Kennzahlen und die Summe auf der Gehaltsabrechnung.

Wo wir gerade dabei sind: Warum kommst du eigentlich jeden Morgen ins Büro? Tust du es nur, weil du das Geld brauchst, oder steckt mehr dahinter? Was treibt dich an, wenn du um 20 Uhr noch am Schreibtisch sitzt, um eine Arbeit fertigzustellen? Ist es das Gefühl, du füllst gerade dein Konto, weil du – idealerweise mit 50 – in Rente gehen willst? Macht es dich glücklich? Oder fragst du dich manchmal oder immer öfter: »Was zum Teufel tue ich hier eigentlich?«

Natürlich gibt es auch heute noch Menschen, die sagen: »Das ist mir völlig egal. Sinn und Freiheit interessieren mich nicht die Bohne. Job ist Job.« Aber es gibt immer mehr, die mehr von ihrer Arbeit erwarten: »Wenn ich mich nicht zu 100 Prozent mit den Werten und Prinzipien meines Unternehmens identifizieren kann, wenn ich mir hier den Hintern aufreißen muss und nicht einmal weiß, wofür, dann kündige ich morgen.« Für die meisten Menschen sind Sinn und Freiheit allein nicht ausschlaggebend dafür, ob sie sich in ihrem Job wohlfühlen. Die Toleranzschwelle ist bei jedem anders. Aber das alte Sedativum »Mach einfach deinen Job, stell keine Fragen, verdiene dein Gehalt und sei damit zufrieden« ist heute nicht mehr ausreichend, um Mitarbeiter zu motivieren oder neue zu gewinnen.

Als ich selbst noch als Wirtschaftsingenieur in einem großen Unternehmen arbeitete, bewegte mich ein Schlüsselerlebnis dazu, die Sinnfrage zu stellen. Damals hatte ich die Vertriebsverantwortung für mehrere Länder und etwa dreißig Millionen Euro Umsatz. Es war ein großes Meeting der internationalen Business Unit angesetzt, um über neue Produkte und Wachstumschancen nachzudenken. Dafür wurden über vierzig Leute aus der ganzen Welt eingeflogen. Wir kamen alle nach Spanien, wohnten in tollen Hotels und aßen in fantastischen Restaurants. Das Meeting dauerte mehrere Tage und war neben den Annehmlichkeiten auch äußerst produktiv: Am Ende der Veranstaltung hatten wir 168 Items auf der To-do-Liste, allesamt Ideen mit echtem Potenzial. Zwei Monate später fragte ich bei den Verantwortlichen nach, wie wir die Arbeit nun verteilen wollten. Die Antwort: »Ja, ja, das kommt. Ein bisschen Geduld noch.« Die gleiche Antwort bekam ich vier, sieben und zehn Monate später. Am Ende wurde keiner der 168 Punkte jemals auch nur angegangen! Und ich muss es noch einmal betonen: Da waren wirklich tolle, aussichtsreiche Ideen dabei.

Am Ende war das Meeting also nett gewesen – aber auch völlig sinnlos. Als mir das klar wurde, war das wie eine Initialzündung. Ich begann damit, mir Gedanken über mein erstes 4-Stunden-Startup zu machen. Ich hatte es satt, meine Zeit in hübschen Hotels und Meetings zu vergeuden, bei denen es zwar leckere Häppchen gab, aber nie mehr drin war als ein Appetitanreger. In Wahrheit machten sie mich und andere nur hungrig – eine unglaubliche Verschwendung von Potenzial und Lebenszeit.

Social Impact Partners – wie man mit spannender Arbeit wirklich etwas bewegen kann

Vielleicht hast du dir beim Lesen der letzten Seiten die Frage gestellt: Sinnvoll und eigenverantwortlich arbeiten, das wäre toll, aber bei mir im Unternehmen? Wie soll das funktionieren?

Tatsache ist: Eigentlich kann es fast überall funktionieren. Oder hättest du gedacht, dass es ausgerechnet in einem Versicherungskonzern möglich ist, als Angestellter selbstbestimmt arbeiten zu können, wirklich etwas im Unternehmen zu bewegen und bei alldem auch noch etwas Sinnvolles zu tun?

Manuel Holzhauer erlebt genau das. Das Unternehmen, bei dem er arbeitet, heißt SIP – Social Impact Partners. Und Impact ist genau das, was er mit seiner Arbeit erzielt. Ursprünglich war Manuel im operativen Geschäft des Versicherungskonzerns Munich Re tätig, zu dem auch die Ergo gehört. Bei der Munich Re selbst wird eigentlich immer das Gleiche gemacht: Die Risiken der Erstversicherer