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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2011

Copyright © 2000/2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

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ISBN 978-3-644-45301-2

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-45301-2

Anmerkungen

Macht

Jesper, Juul, Dein kompetentes Kind. Auf dem Weg zu einer neuen Wertgrundlage für die ganze Familie. Reinbek: Rowohlt 2009, Seite 128

ebendort, Seite 201ff.

Wo liegen meine Grenzen?

ebendort, Seite 46ff.

Zwei Eltern – zwei Arten von Grenzen

ebendort, Seite 18ff. und Seite 42ff.

Wo liegen die Grenzen des Kindes?

ebendort, Seite 77ff.

Woran glauben wir?

ebendort, Seite 139ff.

Einleitung

Unsere Liebe zu unseren Kindern und zu nahestehenden Erwachsenen wird von uns selbst anders erlebt als von ihnen und von ihnen anders als von uns. Ihr Erleben ist abhängig davon, wie wir unsere liebevollen Gefühle in liebevolle Handlungen umsetzen.

Kinder und Erwachsene erleben auf ihre eigene individuelle Art, dass sie geliebt werden, gemeinsam aber ist uns allen, dass wir uns immer dann nicht geliebt fühlen, wenn unsere persönlichen Grenzen verletzt oder nicht respektiert werden. Bei schweren und häufigen Verletzungen nimmt unser Selbstwertgefühl ab und damit auch unsere Fähigkeit, konstruktiv zu handeln. Wir sind dann weder zur Sorge für uns selbst noch zum Kontakt mit dem anderen fähig, der uns verletzt. Das gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

Es braucht Zeit, die eigenen Grenzen kennenzulernen. Manche Grenzen spüren wir instinktiv, bei anderen kann es Jahre dauern, bis wir sie erkennen und so zu markieren lernen, dass auch andere sie bemerken.

Im allgemeinen sozialen Leben mit anderen Menschen, zu denen wir kein Liebesverhältnis haben, erlernen wir einige formale Spielregeln, um nicht mehr als unbedingt notwendig auf fremden Äckern herumzutrampeln. Die Spielregeln sind von Kultur zu Kultur und in verschiedenen sozialen Gruppen unterschiedlich, aber es geht immer darum, eine gewisse Distanz einzuhalten, damit wir nicht Gefahr laufen, jemanden zu verletzen.

Beim Zusammenleben in der Familie geht es um das Gegenteil: um Nähe.

Das Bedürfnis kleiner Kinder nach Nähe erscheint manchmal unersättlich, obwohl auch sie Pausen und Distanz brauchen. Sie kennen die Grenzen der Eltern noch nicht und lernen sie nur kennen, indem sie im Laufe der Zeit mit ihnen kollidieren.

Eines der wertvollen Geschenke, die Kinder ihren Eltern machen, ist die Möglichkeit, die eigenen Grenzen kennenzulernen und so zu verändern, dass sie für beide Seiten möglichst konstruktiv werden. Genau das geschieht auch in einem Liebesverhältnis zwischen Erwachsenen. Der einzige Unterschied zwischen einem Kind und einem erwachsenen Partner ist der, dass dem Kind weniger Erfahrungen zur Verfügung stehen. Aber in jedem Fall dauert es ungefähr zehn Jahre, sich seiner Grenzen klar bewusst zu werden.

Je besser wir unsere Grenzen kennen und je persönlicher wir sie zum Ausdruck bringen können, desto befriedigender

Im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist die Liebe so groß und so leicht zu verletzen, dass in dem wechselseitigen Lernprozess, der das Familienleben immer ist, beide Seiten ständig in Gefahr sind, die Grenzen des anderen zu verletzen. Das Schuldgefühl ist am geringsten und das Selbstgefühl am stärksten, wenn die Erwachsenen vorangehen und den Ton bestimmen.

Unsere Haltung zu Kindern und Kindererziehung ist mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger durchdacht, und nicht selten ist sie in sich widersprüchlich. Manchen Menschen sind ihre Haltungen wichtiger als das Leben selbst, für andere sind sie ein innerer Gesprächspartner, der lediglich dazu dient, den Dialog mit anderen zu unterstützen.

Manche Menschen sagen: «Ich bin meine Haltungen!» Sie haben die Bekanntschaft mit sich selbst erst noch zu machen. Wir alle waren jemand, bevor wir unsere Haltungen annahmen, und wir sind jemand hinter ihnen. Diesen «jemand» brauchen wir, wenn wir selbst Eltern werden.

Dieses Buch ist als Einladung an den Leser gedacht, sich seiner selbst und seiner Einstellungen und Erfahrungen im Lichte derjenigen klar zu werden, die der Autor hat und gemacht hat. Es ist keine Aufforderung, nach Kategorien wie richtig und falsch oder schuldig und unschuldig zu urteilen, sondern eine Einladung, sich, wo möglich, seiner selbst sicherer zu werden und, wo es notwendig ist, seine Zweifel zu erkennen.

Wer bestimmt?

Dabei ist natürlich wichtig, was die Eltern bestimmen, und noch wichtiger ist es für Gesundheit und Wohlbefinden der Kinder, wie sie bestimmen: ob diktatorisch oder demokratisch, hart oder flexibel, nach Lust und Laune oder so, dass die Entscheidungen einen Zusammenhang haben.

Kinder fühlen sich ebenso wie Erwachsene dann am wohlsten, wenn die Entscheidungen möglichst viel inneren Zusammenhang haben. Das setzt vor allem voraus, dass die Eltern sich klarmachen, auf welche Werte sie das Familienleben gründen wollen. Unsere Werte sind uns zum Teil bewusst, zum Teil auch nicht. Wir formulieren sie selten, bringen sie aber ständig in Worten und Handlungen zum Ausdruck:

Vor nur einer Generation waren die meisten Werte, an denen sich die Kindererziehung orientierte, moralischer oder religiöser Natur, und die Eltern waren sicher, was richtig und was falsch ist. Seitdem ist unser Wissen viel größer geworden, wir kennen den kindlichen Menschen besser und können präziser angeben, unter welchen Bedingungen er sich am besten entwickelt. Was unsere Eltern und Großeltern in der Kindererziehung für gut und richtig hielten, hat sich zum großen Teil als falsch erwiesen.

Moderne Eltern, die im Namen der Kinder Entscheidungen fällen sollen, stehen vor einer komplizierten Aufgabe. Dass sie bestimmen, ist eine Sache, eine andere ist, dass ihre Entscheidungen den Kindern auch möglichst gute Entwicklungsbedingungen verschaffen sollen. Das bedeutet, dass die Eltern von der Macht, die sie traditionsgemäß haben, einen großen Teil abgeben müssen, ohne zugleich die Führung aus den Händen zu geben. Diese Aufgabe ist unglaublich schwierig, und die wenigsten Eltern können sie ohne weiteres lösen. Man kann es nur zusammen mit den Kindern erlernen, während sie allmählich aufwachsen.

Macht

Eltern haben rechtliche, ökonomische, physische und psychische Macht – selbst dann, wenn sie sich machtlos fühlen. In skandinavischen Familien pflegt der Missbrauch der Macht dort am größten zu sein, wo sich die Eltern entweder machtlos fühlen oder sich aus verschiedenen Gründen nicht zu ihrer Macht bekennen wollen. In anderen Kulturen gilt Machtmissbrauch, zum Beispiel in Form physischer Gewalt, als Tugend und die unmittelbare Ausübung der Macht als einzig mögliches verantwortliches Verhalten.

In den skandinavischen Ländern wird körperliche Gewalt seit einer Generation nicht mehr als Bestandteil der Kindererziehung und Pädagogik akzeptiert. Zwar gibt es immer noch Eltern, die ihre Kinder schlagen, aber die meisten von ihnen sind sich mittlerweile darüber im Klaren, dass Gewalt schädlich ist, sowohl für das Opfer als auch für den, der sie ausübt.[1] Wir sind inzwischen zivilisiert genug, um von Gewalt als Mittel der Machtausübung Abstand zu nehmen. Gleichzeitig erkennen wir, dass es wahrscheinlich keinen wirklichen Unterschied

In der «guten alten Zeit», wie manche Leute sie immer noch nennen, konnte man die Kinder durch Gebrauch und Androhung von Gewalt sehr viel leichter zum Gehorsam und zur Unterwerfung unter die Macht der Erwachsenen bringen als heute. Die Erwachsenen setzten die Grenzen, und wenn sich die Kinder nicht nach ihnen richteten, setzte es Hiebe. «Wer nicht hören will, muss fühlen», sagten die Eltern dann und beruhigten sich selbst damit, dass es ja ihre heilige Aufgabe sei, den Kindern den «Unterschied zwischen richtig und falsch» beizubringen.

Gewalt als Mittel der Erziehung erzeugt keinen Respekt, sondern Angst. Sie bringt den Kindern nicht den Unterschied zwischen richtig und falsch bei, sondern lehrt sie, dass Gewaltanwendung richtig ist, wenn man die Macht hat. Sie lehrt die Kinder nicht, die Grenzen der Erwachsenen zu respektieren, sondern die Konsequenzen zu fürchten.[2]