Die Originalausgabe erschien 1957 unter dem Titel «Pnin» bei Doubleday & Company, Inc., Garden City, New York.
Die erste deutsche Fassung, übersetzt von Curt Meyer-Clason, erschien 1960 im Rowohlt Verlag, Reinbek.
Die vorliegende Neuübersetzung folgt Vladimir Nabokov, Gesammelte Werke, Band 9, herausgegeben von Dieter E. Zimmer.
Überarbeitete Ausgabe Juni 2017
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1999
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ISBN Printausgabe 978-3-499-22544-4 (überarbeitete Ausgabe 2017)
ISBN E-Book 978-3-644-05651-0
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Auch für Russen ist der Nachname Pnin ungewöhnlich, und immer wieder haben Literaturwissenschaftler über ihn nachgegrübelt (und zum Beispiel auf die Nähe zum englischen Wort pain, Schmerz, hingewiesen). In der russischen Literaturgeschichte gibt es nur einen Pnin: Iwan Petrowitsch Pnin, 1773 bis 1805, Dichter und Aufklärer und als solcher keiner der ganz Großen. Als unehelicher Spross des Fürsten P.N. Repnin hatte er nur die Hälfte des väterlichen Namens geerbt. Julian W. Connolly (a.a.O.) ist der Meinung, der Name solle andeuten, dass auch Timofey Pnin einer der Enterbten sei. Jener Pnin schrieb unter anderem Wopl newinnosti (Der Jammer der Unschuld, 1802), ein Prosastück, das den Zaren auf das jämmerliche Los unehelicher Kinder aufmerksam machen sollte.
Waindell ist eine fiktive Kleinstadt mit einem gleichnamigen College. Sie soll «etwa dreihundert Meilen nordwestlich von St. Bart’s» liegen, welches selber bei Framingham westlich von Boston zu suchen ist. Damit wäre sie im äußersten Norden des Staates New York gelegen. Dazu passt, dass sie vier Busstunden nordwestlich von Albany, der Hauptstadt von New York, liegt. Anders gesagt: Sie ist in nordwestlicher Richtung etwa ebenso weit von Albany entfernt, wie es Ithaca in westlicher Richtung ist. In Ithaca befindet sich die Cornell-Universität, an der Nabokov von 1948 bis 1959 Professor für russische und europäische Literatur war. Waindell ist aber deutlich kleiner als Cornell. Einige Züge von Ithaca bzw. Cornell sind jedoch in Waindell eingeflossen, etwa die starke Hügeligkeit der Stadt (Nabokov wohnte selber einige Jahre lang in einer Straße wie der, in der N. am Schluss Pnin davonfahren sieht), vor allem aber die Glocken vom Anfang von Kapitel 2. (Das Glockenspiel von Cornell befindet sich im McGraw Tower mitten auf dem Campus, stammt von 1891 und zählt 19 Glocken.) So wie es in der Nähe von Waindell ein Cremona gibt, gibt es in der Nähe von Ithaca ein Elmira, ein Utica und andere Städte mit italienischem Namen. Die Cornell-Universität heißt nach ihrem Gründer Ezra Cornell. Seine recht ungewöhnliche zweite Silbe mag Waindell ebenfalls von Cornell haben. Im übrigen haben die Spekulationen über die Bedeutung des Namens ‹Waindell› bisher nichts Überzeugendes erbracht. Am meisten spricht wohl für den Namen, dass er in Pnins Aussprache den Kalauer engl. vandal (Vandale) ergibt.
Vom 4. bis 11. Februar 1945 konferierten Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta auf der Krim über die Beendigung des Zweiten Weltkriegs und die Aufteilung Europas.
Rätselhafterweise erscheint in Pnin mehrere Male leitmotivisch ein Eichhörnchen – einmal wird Pnin mit einem Eichhörnchen verglichen. Auch der Name Bjelotschkin enthält das Eichhornthema: russ. bjelotschka ist der Diminutiv von bjelka, Eichhorn; Pnins Jugendliebe Mira Bjelotschkin heißt also «Mira Eichhörnchen». Es liegt nahe, das Eichhorn für ein Symbol zu halten – aber ein Symbol wofür? W[illiam] W[oodin] Rowe hat es als märchenhafte Reinkarnation der in einem deutschen KZ umgekommenen Mira Bjelotschkin interpretiert, die in dieser Gestalt Pnin immer wieder zu Hilfe komme (Nabokov & others, Ann Arbor 1979, Seite 130–131). Barabtarlo (a.a.O., Seite 22–23), der im übrigen vor einer platt symbolischen Deutung warnt, zeigt umgekehrt auf, dass nach jedem Auftauchen des Eichhörnchens das betreffende Kapitel eine für Pnin unglückliche Wende nehme. In der einen Deutung wäre es eine Art Glücksbote, in der anderen ein Unglücksbote. Die Hauptschwierigkeit mit solchen Deutungen ist die, dass Pnins ganzes Leben eine Serie von gerade noch einmal abgewendeten kleinen und großen Katastrophen ist, sodass sich notwendigerweise alles, womit er überhaupt wiederholt in Berührung kommt, sowohl als Glücks- als auch als Unglückssymbol deuten ließe. Nabokov war es selbstverständlich, dass in einem Kunstwerk bestimmte Dinge sozusagen über sich selbst hinauswachsen und sinnbildhafte Kraft annehmen, zum Beispiel die Glasschale in Kapitel 6 von Pnin. Er hatte aber etwas gegen Allegorien und konventionelle, standardisierte Symbole, die nur eingeführt werden, damit sie sich in einen meist abstrakten und einigermaßen trivialen Gedanken übersetzen lassen (etwa Wasser als ein Symbol der Vergänglichkeit). Schon den Begriff ‹Symbol› vermied er möglichst und zog ‹Emblem› vor; gelegentlich sprach er sogar von einem bloßen ‹Monogramm›. Wahrscheinlich ist das Eichhorn in Pnin ein solches Emblem. Sein kompositorischer Sinn bestünde dann gerade darin, dass es zwar eine tiefere oder höhere Bedeutung geradezu herausfordert, diese aber nicht preisgibt und letztlich offenlässt. – Zoologisch ist das Eichhörnchen in Pnins russischer Kindheit und Jugend ein ganz anderes Tier als das Hörnchen, das ihm in Amerika immer wieder über den Weg läuft. Das europäische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris L.) hat eine Länge von ca. 38 Zentimetern einschließlich Schwanz, ist leuchtend rot (regional auch grau bis schwarz) und relativ scheu. In Amerika findet sich in den Wäldern und grünen Villenvorstädten des Ostens und Mittelwestens ein anderes Baumhörnchen derselben Gattung, das Grauhörnchen (Gray Squirrel, wissenschaftlich Sciurus carolinensis GMELIN). Es ist wesentlich größer (bis zu 56 Zentimeter), oben grau, unten weiß, hat einen sehr buschigen Schwanz und ist alles andere als scheu – ein wesentlich robusteres und aggressiveres Tier, das, seit es zu Anfang dieses Jahrhunderts in England eingeführt wurde, dort das europäische Eichhörnchen fast vollständig verdrängt hat. Entsprechend löst squirrel in Amerika keineswegs die europäische Assoziation «niedlich» aus. – Der Gattungsname Sciurus kommt von vlat. scuriolus, das seinerseits auf grch. skia (Schatten) und oura (Schwanz) zurückgeht, bedeutet also «Schattenschwänzchen». Aus scuriolus wurde frz. écureuil, aus dessen mittelalterlicher Form engl. squirrel.
Wenn man den Namen der alten Miss Herring um das Attribut ergänzt, das wahrscheinlich auf die Dame passt, nämlich ‹rot›, ergibt sich im Englischen «Red Herring», und das bedeutet so viel wie einerseits ‹Bückling›, andererseits ‹Ablenkungsmanöver›.
Anspielung auf einen englischen Kindervers: «Oranges and lemons/Say the bells of St. Clemens» (Orangen und Zitronen, sagen die Glocken von St. Clemens). (Nach Lokrantz, a.a.O., Seite 79.)
Die orientalischen Bilder, die unvermutet in Joans Telephongespräch hineinspielen, klären sich einige Seiten später – in der Diele, wo das Telephon steht, hängt ein «Aquarell mit Minaretten», möglicherweise eine Erinnerung an Joan Clements’ Zeit in der Türkei.
Clements zitiert Hamlet IV,7,93–94 (Laertes über Lamord).
Hoeckers Mädchen mit Katze: Paul Hoecker (1854–1910), aus Schlesien stammender, meist in München und Berlin ansässiger Porträt- und Genremaler, der von einer Malreise durch Holland unter anderem das Ölbild Mädchen mit Katze (ca. 1887) mitbrachte: eine etwa zehnjährige Holländerin vor einer Mauer, mit großen Augen, Haube, langem Rock und Holzschuhen und einer schwarzen Katze in den Armen. (Barabtarlo, a.a.O., der Hoeckers Bild nicht finden konnte, meint zu Unrecht, es sei in Wahrheit Paula Modersohn-Beckers Mädchen mit einer Katze gemeint.)
Hunts Das zurückgebliebene Zicklein: William Morris Hunt (1824–1879), amerikanischer Landschafts-, Genre- und Porträtmaler. Sein um 1854 in Frankreich unter Jean-François Millet begonnenes und 1857 beendetes Ölgemälde The Belated Kid (Das zurückgebliebene Zicklein, heute im Museum of Fine Arts, Boston) zeigt eine etwa zwölfjährige Hirtin, barfuß und mit langem Kleid und Haube, die ein von dessen Mutter zärtlich begrüßtes Kitz in den Armen trägt. Hunt hat 1856 auch ein Mädchen mit Katze (einer gleichfalls schwarzen) gemalt. Überhaupt ist es wohl ihre Ähnlichkeit, die die beiden Maler an dieser Stelle zusammenführt.
The Egg & I (Das Ei & ich) hieß das 1945 veröffentlichte und 1947 verfilmte erste humoristische Buch von Betty MacDonald (1908–1958). Es handelt von den Erlebnissen einer jungen Städterin, die aufs Land (in eine Hühnerfarm) geheiratet hat. Seinerzeit war es ein großer Erfolg, von dem das Restaurant offenbar zu profitieren gedachte.
Französisierung von russ. ugolók, kleines Eck.
Wörtlich etwa «Fingerknöchelgymnastik».
Russ. machnut, wsplesnut, raswesti: winken, wedeln; die Hände (überm Kopf) zusammenschlagen; die Arme ausbreiten.
Aksakow-Institut … Rue Vert-Vert … Saul Bagrov … Rue Gresset: Diese Stelle entschlüsselt Barabtarlo so: Der russische Schriftsteller Sergej Aksakow (1791–1859) schrieb zwei halbautobiographische Romane über die Familie Bagrow, Eine Familienchronik (1856) und Die Kinderjahre von Bagrows Enkel (1858). Eine Familienchronik ist auch der Untertitel von Nabokovs Ada. Der französische Schriftsteller Jean Baptiste Louis de Gresset (1709–1777) schrieb unter anderem das von Puschkin sehr geschätzte Scherzgedicht Vert-Vert in vier Gesängen. Vert-Vert ist «ein glaubensabtrünniger Papagei, der einst der Liebling eines Klosters gewesen war» (Nabokov in: Pushkin Eugene Onegin, Anmerkung zu I:32).
Rosetta Stone heißt wie die im Nildelta gefundene Stele, der «Stein von Rosette» (Raschid), an dem Jean-François Champollion 1822 die ägyptischen Hieroglyphen entschlüsselt hat.
Wohl ein Seitenhieb auf den in Paris residierenden exilrussischen Kritiker Georgii Viktorovich Adamovich (geboren 1894 in Moskau, gestorben 1972 in Nizza), der Sirins (Nabokovs) Romane in den 1930er Jahren in Serie verriss (er fand sie zu kalt, zu unrussisch). Nabokov revanchierte sich mit ironischen Anspielungen, unter anderem auf Adamovichs Homosexualität; in dem Roman Die Gabe tritt Adamovich unter dem Namen Christopher Mortus auf. ‹Uranist› ist ein gewähltes englisches Wort für einen Homosexuellen, ‹Shorshik Uranskij› bedeutet also etwa so viel wie ‹Schorschi der Sodomit›.
Vernalisation ist bei Pflanzen eine Entwicklungsbeschleunigung durch Kältebehandlung der Keimlinge (auch Jarowisation genannt).
Lisa Wind wartet hier zu Pnins Erheiterung mit einem Stück obskurer, möglicherweise selbstgestrickter Wind’scher tiefenpsychologischer Mythologie auf. Es könnte aus dem Umkreis der Jung’schen Lehre von den kollelektiven Symbolen (Archetypen) stammen. Nabokov dürfte zumindest mit C.G. Jungs Schriften über die Mandalasymbolik näher bekannt gewesen sein. In einer von ihnen, Psychologie und Alchemie (1943), deutet Jung allerlei Träume, unter anderen diesen (Nummer 14): Der Träumende geht mit seinem Vater in eine Apotheke, wo es ein besonderes Wasser gibt, und fährt dann über den Rubikon. Jung deutet das so: «Dass ihn der Vater zur Lebensquelle [dem Wasser] führt, ist leicht verständlich, da jener ja der natürliche Erzeuger seines Lebens ist. Der Vater repräsentiert sozusagen das Land oder den Boden, aus dem die Quelle seines Lebens entsprang. Er ist aber figürlich der ‹lehrende Geist›, der in den Sinn des Lebens einführt und dessen Geheimnisse nach den Lehren der Alten erklärt … Der väterliche Erzieher in unserer Zeit erfüllt diese Aufgabe allerdings nur noch im Traum des Sohnes in der archetypischen Gestalt des Vaters, des ‹alten Weisen›» (Gesammelte Werke, Band 12, Seite 148f.). Irgendwie sind danach also gleichzeitig Land und Wasser Symbole für den Vater. Nabokov selber hat von solchen Deutungen genauso wenig gehalten wie Pnin.
Eine Parodie auf die Petersburger Lyrikerin Anna Achmatow (1889–1966). Das Gedicht setzt sich aus verschiedenen Bruchstücken ihrer frühen beiden Gedichtbände Wjetscher (Abend, 1912) und Tschjotki (Der Rosenkranz, 1914) zusammen. Anna Achmatow kannte den Roman Pnin. Barabtarlo (a.a.O., Seite 109f.) teilt mit, Kornej Tschukowskij habe in der Emigrantenzeitschrift Nowyj shurnal (Nr. 123, 1976, Seite 122) berichtet: «Anna Achmatowa fand seine (man muss zugeben hervorragenden) Parodien auf ihre frühen Gedichte höchst ärgerlich.»
Hendrik Willem Van Loon (1882–1944), amerikanischer Journalist und Historiograph niederländischer Herkunft, der viele populäre Geschichtsbücher, auch für Kinder, schrieb, zum Beispiel Die Geschichte der Menschheit (1921). – A[rchibald] J[oseph] Cronin (1896–1981), britischer Autor und Mediziner, dessen Erfolgsromane (vor allem Die Zitadelle, 1937) meist im Arztmilieu spielen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er wie Nabokov in Montreux, wo er auch starb.
Die amerikanische Übersetzerin Constance Clara Garnett (1862–1946), die eine Menge russische Literatur ins Englische übersetzte (so Gogol, Turgenjew, Tolstoj, Dostojewskij, Tschechow) und von Nabokov wenig geschätzt wurde. Am 16. Juli 1942 schrieb er zum Beispiel an den Verleger James Laughlin: «Ich habe schon eine Woche damit verloren, [für das Buch über Gogol] etliche Passagen zu übersetzen, da ich mit Constance Garnetts trockenem Mist nichts anfangen kann.»
Der Autor gibt dem Leser hier ein kleines Rätsel auf. Er verrät uns: Es ist ein Dienstag, und zwar im Februar, und das Jahr ist 1953. Dienstage waren im Februar 1953 der 3., der 10., der 17. und der 24. Pnins Geburtstag ist der 15. Februar 1898 nach dem gregorianischen Kalender. (Der in Russland bis 1918 geltende julianische hinkte ihm zwölf, ab 1900 dreizehn Tage hinterher.) Das war 1953 ein Sonntag, kein Dienstag. Der Tag, der geraten werden soll, kann also nicht Pnins Geburtstag sein; dieser wird wahrscheinlich nur als ein Beispiel bemüht, um die Umrechnung des julianischen in den gregorianischen Kalender zu demonstrieren. Wenn man nun aber diese Umrechnungsweise auf das Datum anwendet, das Pnin im Begriff ist auszusprechen, das dann aber im Gelächter seiner Studenten untergeht, nämlich Puschkins Todesdatum, hat man die Lösung. Puschkin starb am 29. Januar 1837 (julianischer Kalender), nach dem gregorianischen also am 10. Februar. Und überhaupt nur, weil der Tag Puschkins Todestag ist, wird Pnin Puschkins Gedicht über seine Todesahnungen im Unterricht «durchgenommen» haben – was den Studenten allerdings entgangen sein dürfte.
Das Puschkin-Gedicht, das Pnin seinen Studenten wörtlich übersetzt und das ihm hinterher im Kopf herumspukt, lautet in einer deutschen Nachdichtung von Wolfgang E. Groeger vollständig:
Irr’ ich durch das Gelärm der Gassen,
Sitz’ ich mit Jünglingen beim Wein,
Seh’ im Gebet ich fromme Massen –
Häng nach ich meinen Grübelein.
Ich sage: hin die Jahre wallen,
Und sind auch noch so viele da –
Wir sinken in die ewigen Hallen,
Und jemands Stunde ist schon nah.
Ich sprech’ am Rain der grünen Felder
Zum Baum von Einsamkeit umwebt:
Du lebst noch, Patriarch der Wälder,
Nach mir, wie du vor mir gelebt.
Herz’ ich ein Kind, wird die Gebärde
Zu einem stillen Abschiedsgruß,
Ich denke: Dir lass’ ich die Erde,
Du blühen sollst, ich sterben muss.
Jedweden Tag, jedwede Stunde
Verfolgt mein Sinnen, forschend vag
In ihrer träumerischen Runde
Nach meines Todes Jahrestag.
Wo finde ich mein jähes Ende:
Im Kampf, beim Wandern, in der Flut?
Ob hier im stillen Berggelände
Einst meine stumme Hülle ruht?
Und fühlt das sterbliche Gebilde,
Wo es auch schlummre, keine Pein,
Möcht’ ich doch näher dem Gefilde,
Das ich geliebt, bestattet sein.
Und mögen jungen Lebens Töne
Umspielen meines Grabes Spur
Im Glanz der gleichmütigen Schöne
Der unvergänglichen Natur.
(Alexander Sergejewitsch Puschkin: Gedichte, Hg. Harald Raab, Berlin: Aufbau-Verlag, 1968, Seite 318–319.)
Russ. Mama, Telephon! Broshu li ja wdol uliz schumnych. Ot Wladiswostoka do Waschingtona 5000 mil.: Mama, Telephon! Irr’ ich durch das Gelärm der Gassen. Von Wladiwostok nach Washington sind es 5000 Meilen.
«Ticonderoga-ticonderoga» macht der Bleistiftanspitzer nicht aus onomatopoetischen Gründen. ‹Ticonderoga› ist eine bekannte amerikanische Bleistiftmarke, so genannt nach der im Nordosten des Staates New York und mithin nicht weit vom fiktiven Waindell gelegenen Kleinstadt Ticonderoga, wo diese Stifte aufgrund dortiger Graphitvorkommen seit Beginn des 19. Jahrhunderts hergestellt wurden, auch zu Pnins und Nabokovs Zeiten noch. Heute ist die Firma in italienischem Besitz und lässt die Stifte in anderen Ländern fertigen.
1928 ließ Stalin den gigantischen, aber sinnlosen Dnjepr-Staudamm bauen. Um 1950 begann die Sowjetunion den Bau von Wasserkraftwerken nochmals zu forcieren, zunächst entlang der Wolga (die sogenannte Wolga-Kaskade); in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre befanden sich die beiden größten im Bau, bei Kuibyshew und bei Wolgograd. Entsprechend groß war der auf Komarov abfärbende propagandistische Einsatz für die gidroelektrostanzija, die «Hydroelektrostation».
Die russifizierte Form von engl. hooligans.
Es ist Dienstag, der 10. Februar 1953, Puschkins Todestag. Mit der russischen Zeitung stimmt also etwas nicht: Es ist noch gar nicht der 12. Februar, und der wird überdies kein Samstag, sondern ein Donnerstag sein. Entweder muss es sich also um einen Fehler in der Datumszeile der Zeitung gehandelt haben (sie hätte dann «Samstag, 7. Februar…» lauten müssen); oder aber die ausliegende frischeste Nummer der Zeitung ist in Wahrheit uralt und stammt gar nicht aus dem laufenden Jahr, sondern aus dem Jahr 1949, als der 12. Februar tatsächlich auf einen Samstag fiel.
Grüne Hohlzungen sind eine über das ganze nördliche Europa verbreitete, heute aussterbende wilde Orchideenart mit unscheinbaren grünen Blüten; der wissenschaftliche Name ist Coeloglossum viride HARTMANN, der englische frog orchis. In der Klage der Königin über Ophelias Tod ist allerdings von einer anderen Orchidazee die Rede, dem Männlichen Knabenkraut (engl. long purples, wissenschaftlich Orchis mascula L.).
Pnin schlägt die Aussprache (‹íntristid›) nach, weil er meint, Komarov habe das Wort vorhin falsch ausgesprochen – hat er aber nicht; er selber lag mit ‹interésted› falsch.
Virginia-Schinken: magerer, dunkelroter, in Hickory-Rauch geräucherter und mindestens ein Jahr lang abgehangener Schinken von Schweinen, die auf abgeernteten Erdnussfeldern gefressen haben – eine amerikanische Delikatesse.
Glupischkin («Einfaltspinsel») war einer der Bühnennamen des Komikers André Deed (1884–1931). Max Linder nannte sich der französische Filmkomiker Gabrielle Leuvielle.
Der sowjetische Dokumentarfilm U.S.S.R. Today von Georgi Bobrow und Sergej Gurow, den Nabokov 1953 in New York gesehen hatte.
«Hände weg von Korea» auf Russ. und Frz.
Abkürzung von ‹Sawod imenii Molotowa›, Molotow-Werk.
Die Gemeine Traubenkirsche (Prunus padus MILL [Rosaceae]) ist ein Strauch, der zu einem bis zu 17 Meter hohen Baum aufwachsen kann, im Mai/Juni mit duftenden weißen Blüten in 15 Zentimeter langen hängenden Trauben. In Pushkin Eugene Onegin (Band 3, Seite 11–12) schreibt Nabokov über ihn: «Das russische Wort [tscherjomucha] mit seinen flaumigen und verträumten Silben passt wunderbar zu diesem schönen Baum, der sich durch seine langen Blütenrazeme auszeichnet, die dem Ganzen in der Blütezeit ein sanft hängendes Aussehen verleihen. In Russland ein verbreiteter und beliebter Waldbaum, ist er unter den Erlen entlang der Flüsse genauso zuhause wie im sandigen Kiefernwald; seine sahnigweiße, moschusartige Maienblüte ist in russischen Herzen mit den poetischen Gefühlen der Jugend verbunden.»
Victors Traum deckt sich in vielem mit Pnins Traum am Ende dieses Kapitels. Beide Träume übernehmen Motive aus Nabokovs Romanfragment Solus Rex (1939/40, enthalten in Erzählungen 1935–1951), die dann im Roman Fahles Feuer (1962) weiterentwickelt wurden.
Der Orientexpress war in seinen guten Jahren ein Schlaf- und Speisewagen-Luxuszug, der ab 1883 zwischen Paris und Konstantinopel (Istanbul) verkehrte. 2009 wurden seine letzten Teilstrecken eingestellt.
Die Böhmische See erfand Shakespeare in seinem Wintermärchen (III.3.1–2): «… dass unser Schiff gelandet an Böhmens Wüsteneien». Das «Sturmkap» verweist auf Shakespeares nächstes Stück, Der Sturm, der mit einem Schiffbruch beginnt. Percival Blake ist eine Kontraktion aus Parzival (engl. Perceval) und Percy Blakeney, dem Helden in Emmuska Orczys (1865–1947) Theaterstück und Abenteuerroman The Scarlet Pimpernel (1903/1905, dt. Titel Das scharlachrote Siegel). Er handelt von einer Gruppe junger Engländer, die unschuldige Revolutionsopfer aus Frankreich rettet.
Roberto Rossellinis Deutschland im Jahre Null (1948).
Nikolaj Iwanowitsch Lobatschewskij (1793–1856), russ. Mathematiker, etablierte eine nichteuklidische Geometrie.
Hier sind sieben teils erfundene, teils wirkliche psychologische Tests versammelt. Einen Godunov-Tierzeichnungstest gibt es nicht, aber den Goodenough Intelligence Test von Florence L. Goodenough (auch «Draw-a-Man» genannt, «Zeichnen eines Männchens») aus dem Jahre 1926, einen Intelligenztest für Fünf- bis Achtjährige, bei dem die Kinder Menschen zeichnen sollen; ‹Goodenough› und ‹Godunov› werden fast gleich ausgesprochen. – Hinter dem Fairview-Erwachsenentest verbirgt sich wohl die Bellevue Scale von David Wechsler aus dem Jahr 1939 (‹Fairview› und ‹Bellevue› heißen beide so viel wie ‹Schöne Aussicht›, im Falle von ‹Fairview› mit dem Unterton ‹faire Einschätzung›), heute Wechsler-(Bellevue) Intelligence Scale genannt, ein sehr angesehener und immer noch viel verwendeter Intelligenztest für Kinder ab zehn und für Erwachsene. – Die anderen vier Tests sind sogenannte projektive Persönlichkeitstests aus dem Umkreis der Tiefenpsychologien: Den Probanden werden bestimmte «Reize» (Wörter, Zeichnungen, Kleckse) vorgelegt, und der Testleiter interpretiert, wie sie darauf reagieren. Da bei der Deutung viel Subjektivität im Spiele ist, ist ihr Ansehen in der wissenschaftlichen Psychologie heute gering bis null. Der mit Abstand berühmteste dieser projektiven Tests ist der Rorschach-Test des Schweizer Psychiaters Hermann Rorschach (1884–1922) aus dem Jahr 1921, bei dem die Versuchsperson zehn seitensymmetrische Klecksbilder deuten muss. – Ein ebenfalls tatsächlich existenter projektiver Test ist der Assoziationstest («Free Association Test») von G.H. Kent und A.J. Rosanoff aus dem Jahre 1910, bei dem registriert und interpretiert wird, mit welchen Assoziationen die Testperson auf fünfzig Stimulusworte reagiert. Er geht zurück auf einen Wortassoziationstest von C.G. Jung aus dem Jahre 1906. – Das Bièvre-Interessen-Einstellungen-Spiel ist wahrscheinlich frei erfunden, aber in seinem Eugen Onegin-Kommentar erwähnt Nabokov mehrfach den französischen Komödienautor Marquis de Bièvre (1747–1789), der sich einen Ruf als Witzbold und Kalauerer erworben hatte: ein passender Namenspatron für einen Test, bei dem der Testleiter anscheinend auf die «freudschen Fehlleistungen» seiner Probanden lauert. Überflüssig zu sagen, dass dieser Test nie und nimmer «Interessen» und «Einstellungen» misst, es sei denn die des Testleiters. – Erfunden ist auch der «Augusta-Angst-Abstrakt-Test». – Es gibt projektive Tests für Kinder, bei denen diese mit Puppen spielen, so den «Scenotest» von G. von Staabs, der neben anderem Spielmaterial sechzehn biegsame Puppen enthält, die bestimmte Typen verkörpern. Die Anregung zu dem beschriebenen «Puppenspiel»-Test aber scheint Nabokov, wie Barabtarlo nachweist, vielmehr aus einem Artikel über psychoanalytische Kinder-Gruppentherapie bezogen zu haben (S.R. Slavson: «Catharsis in Group Therapy», The Psychoanalytic Review [New York], 38 [1], 1951, Seite 39–52). Um die «Katharsis» zu befördern, gab Slavson den Kindern allerlei Spielzeug: «Knete, Wasser, Feuer, Farben, Pinsel, Puppen, Gliederpuppen, Schusswaffen, Soldaten, Gummipfeile, Puppenhäuser und Möbelstücke, darunter Betten und Badezimmerutensilien».
Der Schweizer Tiefenpsychologe C[arl] G[ustav] Jung (1875–1961) hat immer wieder über das Mandala geschrieben, vor allem in Die Archetypen und das kollektive Unbewußte (Gesammelte Werke, Band 9.1, Olten 1976) und in Psychologie und Alchemie (Gesammelte Werke, Band 12, Olten 1972). Er definiert es als den «rituellen oder magischen Kreis, welcher besonders im Lamaismus und sodann auch im Tantrischen Yoga als Yantra, als Instrument der Kontemplation gebraucht wird». Im Kreis des Mandala ist in der Regel eine Vierheit abgebildet; das ganze Bildsymbol ist somit eine Art «Quadratur des Kreises». – Der Mangostin ist die apfelgroße Frucht des fernöstlichen tropischen Mangostanbaums. – Schmetterlinge der nur im tropischen Südamerika vorkommenden Gattung Morpho FABRICIUS sind sehr große Tagfalter, deren Flügeloberseite bei mehreren Arten ein leuchtendes und nicht verblassendes metallisches Blau aufweist. Dass «Egos wie Morphos gebrochen» werden, ist ein Fast-Zitat aus Alexander Popes satirischem Gedicht Epistle to Dr. Arbuthnot (1735, Vers 308), welches sprichwörtlich wurde, in dem Sinn: Einen Schmetterling bricht man nicht mit roher Gewalt.
St. Bart’s ist eine fiktive neuenglische prep school, d.h. ein vierjähriges privates Eliteinternat, das die Schüler (Alter 14 bis 18) auf das College vorbereitet. (Im Unterschied zu der britischen prep school, einer privaten Grundschule, die die Schüler auf die public school vorbereitet. Eine public school wiederum ist in Großbritannien ein privates Eliteinternat, also etwa das, was in den USA eine prep school ist. In den USA ist eine public school jede gemeindefinanzierte öffentliche Schule.) Nabokovs Sohn Dmitri besuchte ab Herbst 1947 (Alter 13) ein nicht sehr glückliches Jahr lang die St. Mark’s School im hochvornehmen Southborough, Massachusetts, für deren Interna sich sein Vater sehr interessierte. Das Kolorit stammt vorwiegend aus dieser Quelle.
Lat. sursum: empor. An einem ganz ähnlichen Tor der St. Mark’s-Schule steht: «Age quod agis» (Tu was du tust).
Gertrude Käsebier (1852–1934), amerikanische Photographin, hatte ab 1897 ein Porträtstudio in New York und gründete 1902 zusammen mit Edward Steichen, Alfred Stieglitz u.a. die Gruppe Photo-Secession. Ihre Spezialität waren Porträts, besonders von Kindern.
In Rembrandts Gemälde Emmausmahl (1648) sitzt der auferstandene Christus im Dorf Emmaus am Tisch und bricht das Brot, den Blick nach oben gerichtet, neben ihm zwei Jünger, die ihn vielleicht gerade jetzt erkennen, dahinter einige Neugierige.
Die Ashcan School (Ascheimerschule) war eine 1907 gegründete lockere New Yorker Malergruppe um Robert Henri (1865–1929), die dem akademischen Ästhetizismus den Krieg erklärte.
Der Autor hat wahrscheinlich folgende drei flämische Bilder im Auge: Giovanni Arnolfini und seine Gattin von Jan van Eyck (ca. 1390–1441), National Gallery, London; Der heilige Eligius wägt die Eheringe eines Brautpaars von Petrus Christus (ca. 1420 bis ca. 1473), Sammlung Lehman, New York; und Maria und Kind von Hans Memling (ca. 1433–1494), Memling-Museum, Brügge.
Das Pseudonym ähnelt den Namen ‹Monet› und ‹Manet› und bedeutet wörtlich ‹Mönchlein›.
Der Sohn des Wolfs ist ein 1900 erschienener Band mit neun Abenteuergeschichten aus Alaska von Jack London (1876–1916). Sein Roman Martin Eden, den Pnin eigentlich kaufen wollte, wäre eine stilisierte Selbstbiographie des Autors gewesen.
Victors Schulfreund Lance (= Lancelot) Boke ist der Held von Nabokovs letzter, aber noch vor Pnin geschriebener Kurzgeschichte Lance (1951).
Gemeint ist Tolstojs Erzählung Der Tod des Iwan Iljitsch (1884/86), die Nabokov sehr schätzte und der er eine seiner Literaturvorlesungen widmete.
Harbin ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Heilongjiang in der Mandschurei, Eisenbahnknotenpunkt, Station vieler russischer Emigranten auf dem Weg ins Exil, meist nach Amerika.
Der Goldwaldsänger (Dendroica petechia L.) ist ein in ganz Nordamerika verbreiteter gelber Singvogel.
Giftsumach ist eine amerikanische (und südostasiatische) Kletterpflanze, Toxicodendron (früher Rhus) radicans L., engl. poison ivy («Giftefeu»), auch als bis zu zwei Meter hoher Strauch vorkommend. Die Blätter sondern einen hochgiftigen Saft ab, der schon bei leichter Berührung eine langwierige, stark juckende und brennende Dermatitis hervorruft.
Der Behandlung der Zeit in Tolstojs Anna Karenin hat Nabokov in seiner Vorlesung über diesen Roman, unter dem Titel «Struktur», eine mehrseitige Abhandlung gewidmet.
Nabokov hat bestätigt, dass es sich bei diesen Schmetterlingen um den Karner-Bläuling handelt, eine nordostamerikanische Lycaenide, deren Erstbeschreibung tatsächlich von ihm selber stammt. Ihr wissenschaftlicher Name ist Plebejus samuelis NABOKOV 1943; zu seiner Zeit galt sie noch als eine Unterart des Melissa-Bläulings Plebejus (ex Lycaeides) melissa. Etwa zwanzig Schmetterlingsgattungen, -arten und -unterarten tragen Nabokovs Namen, aber für ihn war samuelis wohl seine wichtigste entomologische Entdeckung. Während er auf das siebzig Jahre alte Exemplar, auf dem seine Erstbeschreibung beruht, in den Sammlungen des Harvard Museum of Comparative Zoology gestoßen war, an dem er von 1942 bis 1948 als Lepidopterologe arbeitete, war es ihm 1950, ein paar Jahre vor der Niederschrift von Pnin also, gelungen, in Karner nördlich von Albany auch lebende Exemplare zu fangen. Wenn Pnin meint, N.s Entomologie sei «bloße Pose», so irrt er – einer von mehreren Hinweisen darauf, dass er gegen den Erzähler nicht immer Recht hat.
Dem Unterschied zwischen Lwowins geistiger und Wronskijs physischer Zeit hat Nabokov in seiner Vorlesung über Tolstojs Anna Karenin, unter dem Titel «Struktur», eine mehrseitige Abhandlung gewidmet.
Gemeint sind vor allem die für das berufliche Fortkommen wichtigen Jahrestagungen der M.L.A. (Modern Language Association), des Verbandes amerikanischer Hochschuldozenten für moderne Sprachen.
‹Feuerkraut› ist ein anderer, aus dem 16. Jahrhundert stammender deutscher Name für das Waldweidenröschen (Epilobium angustifolium L.), ein 60 bis 160 Zentimeter hohes Nachtkerzengewächs mit rosenroten, traubenförmig angeordneten Blüten. ‹Feuerkraut› (engl. fireweed) heißt es nicht wegen seiner roten Blüten und auch nicht, weil es verfeuert würde, sondern weil es auf Brandflächen und Kahlschlägen in Wald oder Busch als eine der ersten Pflanzen erscheint.
Die Todd Road heißt wahrscheinlich nach dem vorher erwähnten Philanthropen und Slawisten John Thurston Todd, dem Pnin die viele russische Literatur in der College-Bibliothek von Waindell zu verdanken hat.
Russisches Längenmaß, ca. 72 Zentimeter.
Nach Earl Sampson (The Nabokovian, 31, Fall 1993, Seite 45–48) könnte dieser Laubbaum ein Gewöhnlicher Trompetenbaum sein (Catalpa bignonioides WALTER), der bis zu 20 Zentimeter lange herzförmige Blätter hat.
Pnin unbekannt, sind die St. Louis Cardinals eine in der Nationalliga (einer der beiden großen Ligen) spielende Baseball-Mannschaft. In der ersten Hälfte der 1940er Jahre waren sie mehrfach hintereinander Meister und wurden entsprechend gefeiert.
Frank Reade ist eine scheinbar reale Person, Präsident des Georgia State College for Women, den Nabokov 1942 auf einer Vortragsreise kennen gelernt und in einem Brief an Edmund Wilson (3. November 1942) «charmant und brillant» genannt hatte. Barabtarlo teilt mit (Seite 232), Véra Nabokov habe den in Pnin Präsident Poore in den Mund gelegten Ausspruch, Deutschland sei eine «Nation der Universitäten», auf jenen Frank Reade zurückgeführt.
Lethisch und Fenugräc sind zwei erfundene obsolete Sprachen. Die Lethe ist in der grch. Mythologie ein Fluss in der Unterwelt, aus dem die eintreffenden Toten tranken, um ihr irdisches Dasein zu vergessen. – Fenugräc (engl. Fenugreek) klingt ganz wie der Name einer obskuren alten Sprache («finnogriechisch»), ist in Wirklichkeit aber der Name einer Gewürz- und Arzneipflanze, wissenschaftlich Trigonella foenum-graecum L. (wörtlich «griechisches Heu»), deutsch heute Bockshornklee. Sie stammt aus Mesopotamien, breitete sich im Mittelmeerraum aus, gelangte über Griechenland nach Italien und von dort nach Deutschland; heute wird sie kaum noch angebaut. Der lateinische Name foenum-graecum wurde im deutschen Sprachraum vor allem im 17. und 18. Jahrhundert mannigfach umgedeutet: Fönugreck, Fönugräc, Fännezwock, Vinum gregum, Fenigreck, Fenigret, Fin Margretjen, Schön Margret usw. (Siehe Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, 5 Bde., Stuttgart 1943–1979.)
Dieser andere ist der schon vorher erwähnte Ethnologe Professor Tristram W. Thomas («‹Tom› für seine Freunde»). Ethnologie wie Ornithologie residieren in Waindell bei den Geisteswissenschaften.
Professor Thomas hat die gleiche Mühe bei der Aussprache eines von einem Konsonanten gefolgten ‹p›s, das viele Amerikaner auch mit dem Namen ‹Pnin› haben, den sie, in Analogie zu ‹psychology› (ssai-kó-lodshi) usw., manchmal zu ‹Nihn› machen. Er meint die nordrussische Gebietshauptstadt Pskow (Pleskau) knapp 300 Kilometer südsüdwestlich von St. Petersburg.
Frz. alouettes: Lerchen.
«‹Bakkalaureus von Zölibatismus?› (O Bakkalauerer Pnin!)»: mlat. baccalarius, eigentlich ‹Knappe›, war an den mittelalterlichen Universitäten der unterste akademische Grad, und in Amerika ist er es noch; der engl. Abkömmling des Wortes, bachelor, bedeutet aber seit dem 14. Jahrhundert ebenfalls ‹Junggeselle›. Die Form ‹Baccalaureus› ist selbst ein mittelalterlicher Kalauer (bacca = Beere, laurus = Lorbeerbaum). Der elegante Kalauer, der im Original an dieser Stelle steht, lässt sich im Deutschen leider nicht nachbilden. Dort sagt Pnin: «… or perhaps you are Bachelor of Hearts?», ‹Junggeselle/Bakkalaureus von Herzen›, ein Wortspiel mit dem häufigsten Bakkalaureat, Bachelor of Arts.
Wenn Betty Pnins einfachen Satz nicht versteht, so sicher darum, weil er wie viele Ausländer den Namen des Nationalparks in Kalifornien wie ein reguläres englisches Wort und damit in diesem Fall falsch ausspricht, jóusmeit statt richtig jossémitih.
Das Bild ist eine Altartafel von Jan van Eyck, Die Madonna des Kanonikus Georg van der Paele (1436), heute im Stedelijk Museum, Brügge. In der Mitte einer romanischen Apsis die Jungfrau mit Kind; rechts kniend und die Brille in der Hand der Kanonikus, hinter ihm sein Namensheiliger, ein junger Mann in voller Rüstung, der ihm die linke Hand auf die linke Schulter legt, St. Georg; ihm gegenüber auf der linken Bildseite ein reichgewandeter Herr in Bischofsornat, der heilige Donatus. Clements entdeckt im Laufe des Abends in einem Buch eine Reproduktion dieses Bildes. Es ist ein Effekt à la Magritte: Eine erfundene Figur entdeckt das Modell, nach dem sie gebildet wurde.
Barabtarlo (a.a.O.) ist unsicher, ob es sich um ein irisches oder ein amerikanisches Glasgefäß handelt, und bringt nur ein «Dunmore» in der Nähe von Scranton, Pennsylvania, bei, das für keinerlei Glasherstellung bekannt ist. Schon die Farbe indessen (Aquamarin) deutet auf frühe amerikanische Glaskunst hin, erst recht die Verzierung. Die vorher erwähnten «Seerosenblätter» (lily-pads) sind ein typisches Dekorationselement amerikanischer Glaskunst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das fertige geblasene Gefäß wird bei der Herstellung auf einen dicken Sockel aus gleichfarbiger Glasschmelze gestellt, aus dem seitlich «Stängel» bis etwa zur halben Höhe hochgezogen werden; deren Spitzen werden blattförmig abgeflacht. Die Diagonalrippen (swirls) kommen dadurch zustande, dass ein noch formbares senkrecht gewelltes Glasgefäß in der Längsachse in sich verdreht wird, sodass die Reliefwellen schräg zu liegen kommen. Tatsächlich handelt es sich hier um kein Versteckspiel: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in Vermont mehrere kurzlebige Glashütten, alle am etwa in der Mitte des Staates gelegenen Lake Dunmore (heute ein Urlauberziel), besonders die Vermont Glass Factory (1812–1817) und die Lake Dunmore Glass Company (1832–1842) in Salisbury. Sie stellten in der Hauptsache Fensterglas her, daneben aber auch Gebrauchsgefäße. Dokumentiert ist die Glasherstellung in Vermont im Sheldon Art Museum der College-Stadt Middlebury, wo Nabokov im Sommer 1955, als er dieses Kapitel schrieb, eine Gastvorlesung hielt. Pnins Gefäß ist wahrscheinlich nicht, was in Deutschland eine ‹Bowle› genannt wird: ein speziell für das gleichnamige Getränk bestimmtes, nach oben hin gerundetes Gefäß mit einem Deckel – nicht nur, weil kein solches Vermonter Gefäß erhalten zu sein scheint, sondern weil es auch nicht zu der eher rustikalen Glaskunst gepasst hätte, die in diesem Farmerstaat damals gefragt war: Flaschen, Krüge, Dosen und Schalen (bowls) aller Größen. Vielmehr dürfte es sich um eine große, annähernd halbkugelförmige aquamarinblaue Glasschale mit «Seerosen»-Relief und Diagonalrippen gehandelt haben. Allerdings ist nicht gesagt, dass Pnins Schale wirklich aus Vermont stammte – selbst ein Experte hätte es übrigens nur schwer nachweisen können; es heißt nur, sie sei das prächtigere Gegenstück zu einem Glaskrug vom Dunmore-See. Für Victor besagt dieser Hinweis nicht mehr und nicht weniger als: Es war keins der ganz wertvollen frühen amerikanischen Sammlerstücke, die Victors finanzielle Möglichkeiten weit überstiegen hätten, es war das Produkt einer der weniger berühmten ländlichen Glashütten und wahrscheinlich ein glücklicher Fund, den sein begabter Blick bei einem Trödler gemacht hatte. (Siehe auch Thomas H. Ormsbee/Florence Cragin Allen: «Glassmaking at Lake Dunmore, Vermont», American Collector, August 1937, Seite 6–7; und September 1937, Seite 6–7, 19; sowie: Phoebe Phillips [ed.]: The Encyclopedia of Glass, New York: Crown, 1981.)
Pnins Scholie ist nicht abwegig. Es scheint sich heute die Annahme durchgesetzt zu haben, dass Perraults Märchentitel Cendrillon, ou la Petite pantoufle de verre tatsächlich ein Missverständnis darstellt und Aschenputtels Pantoffeln nicht aus Glas, verre, sondern aus dem gleichlautenden vair (Feh) waren, dem Winterfell des Russischen oder Sibirischen Eichhorns, das auf Französisch petit-gris heißt und wissenschaftlich Sciurus vulgaris varius GMELIN. Feh war ein nicht nur in Russland beliebtes Pelzwerk. Seine Farbe reicht von einem hellen Silbergrau bis zu einem dunklen Blaugrau; nach Osten hin und in größeren Höhenlagen ist Feh in der Regel dunkler; russ. sisyj bedeutet schieferblau. Daß frz. vair (im mittelalterlichen Französisch auch ein Standardattribut für helle blaue oder graublaue Augen) nicht wie allgemein angenommen von lat. varius (mehrfarbig, bunt) kommt, sondern von slaw. weweriza (Eichhorn, Hermelin), ist dagegen Pnins (und Nabokovs) eigene Theorie. – Die Kolumbine (engl. columbine) ist eine amerikanische Akelei; Nabokov erinnert sich, selber in einem «Paradies von Lupinen, Kolumbinen und Bartfaden» Schmetterlinge gejagt zu haben (Erinnerung, sprich). Gemeint war die blau blühende Aquilegia coerulea JAMES der Rocky Mountains, die auch Pnin hier im Sinn hat. (Siehe auch Peter Lubin: «Kickshaws and motley», TriQuarterly [Evanston, Illinois], 17, Winter 1970, Seite 206.)
Der Name der vamphaften Filmschauspielerin in Nabokovs Roman Kamera obskura (1932) war Dorianna Karenina. Seltsamerweise hieß die Schauspielerin, die in Tony Richardsons Verfilmung der zweiten Fassung dieses Romans (Gelächter im Dunkel, 1969) die Hauptrolle spielte, Anna Karina.
Joan Clements und Roy Thayer unterhalten sich wahrscheinlich gerade über den neuen Kollegen, der an die Englisch-Abteilung berufen werden soll und Pnin aus Waindell verdrängen wird, also den «prominenten anglo-russischen Schriftsteller» Vladimir Vladimirovich N., der als Autor von Pnin auftritt.
Pnin fühlt sich von Hagen an den ihm äußerlich ganz unähnlichen Wind nicht nur darum erinnert, weil beide Deutsche sind, sondern weil Wind wie jetzt Hagen ein Bier gewünscht hatte, ehe er Pnin auf der Überfahrt nach Amerika die verhängnisvolle Eröffnung machte. Und so sehr sich Hagen auch von Wind unterscheidet: eine gewisse seelische Dickhäutigkeit ist auch ihm eigen, wie der Dialog mit Pnin am Ende dieses Abends zeigt.
Russ. krjuschon ist ein in Vergessenheit geratenes Wort für einen Punsch aus Wein, Fruchtsaft und Likör; aus frz. cruchon, Krug.
In Russland wurde die Leibeigenschaft 1861 von Zar Alexander II. abgeschafft, in den Vereinigten Staaten die Sklaverei 1863 unter Präsident Lincoln. Jetzt ist Herbst 1954. Pnin erhofft die unkündbare Anstellung also in sieben oder neun Jahren.
Der Schraubstiefel, auch Beinschraube oder spanischer Stiefel genannt, ist ein Folterinstrument, das die Wade zwischen zwei stachelige Metallplatten presst.
Nikolaus der Erste, geboren 1796, Zar von Russland 1825 bis zu seinem Tod 1855. Wie Hans Herzfelds Biographisches Lexikon zur Weltgeschichte (Frankfurt 1970, Seite 678–679) es ausdrückt: «… verwandelte Russland in eine Kaserne, in der Ordnung, Gehorsam und Diensteifer für die Bürokratie wie für jeden Staatsbürger zu den höchsten Tugenden erklärt wurden … Die Folgerungen aus dem von ihm blutig unterdrückten Dekabristenaufstand [im Interregnum vor seiner Thronbesteigung, am 14. Dezember 1825] … bestanden in der Unterbindung jeglicher politischer Diskussion, in der Errichtung einer rigorosen Zensur, in der Drosselung der Lehrfreiheit, der Lehrgegenstände und der Schulwahlfreiheit nach den Grundsätzen der Nützlichkeit für die Selbstherrschaft. Das eigentliche Gepräge erhielt das Russland N.’ jedoch durch die von Benckendorff geleitete ‹Dritte Abteilung›, eine ausgesprochene Gedanken- und Gesinnungspolizei.»