Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2017
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ISBN Printausgabe 978-3-499-62355-4 (43. Auflage Januar 2015)
ISBN E-Book 978-3-644-40182-2
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«Vorwörter liest doch eh keine Sau», meint mein Lieblingsfernsehgastgeber und öffentlich-rechtlicher Privatpatient Harald Schmidt. Und deshalb erspart er sich das Schreiben und Ihnen das Lesen. Lieber Harald, für dieses Zeichen tiefer Verbundenheit und Rücksichtnahme möchte ich mich ganz herzlich im Namen der Leser bedanken.
Es folgt das Vorwort, das Harald Schmidt nicht geschrieben hat – im Wortlaut. Und, wie er mir persönlich versicherte, gilt es auch unverändert für die zweite, dritte und jede folgende Auflage und alle Übersetzungen.
Harald Schmidt, Köln im April 2008,
vor Diktat verreist
Ich fühle mich beobachtet. Bis hinein in die privatesten Dinge. Sogar auf der Toilette. Da gibt es ja jetzt – angeblich zum Wassersparen – diese Fotozellen. Keine Armaturen mehr. Nichts zum Drehen. Nur noch so ein gerupfter Wasserhahn ohne Flügel, dafür mit einem Zyklopenauge.
Bei der modernsten Ausführung sind selbst die Fotozellen nicht mehr zu sehen. Worauf bitte reagieren die? Auf schmutzige Fingernägel? Auf Geruch? Auf Bewegung?
Angesichts dieser Fortschrittlichkeit fühle ich mich plötzlich ganz alt. Geradezu alttestamentarisch. Als Moses mit einem Handschlag in der Wüste Wasser aus dem Berg sprudeln ließ – da lief das schön manuell, da wusste man, woran man war, ganz ohne Fotozellen, die in pseudo-göttlicher Willkür ihre Gnade walten und das Wasser wallen lassen.
Aber jetzt stehe ich hier wie ein Depp vor einem Wasserhahn, der mir den Dienst versagt. Ich versuche es mit Bewegungen jeglicher Art, kleinen, großen, fuchtelnden und langen rhythmischen. Wahrscheinlich ist im Kampf mit einem automatischen Wasserhahn in einem Jugendzentrum in der Bronx genau so der Rap entstanden.
Da das Wasser selbst durch die coolsten Hände-Moves nicht zu bewegen ist, fange ich automatisch an, die Füße zu bewegen, beginne zu tanzen, fühle diese Urkraft in mir, die unsere afrikanischen Brüder verspürt haben müssen, wenn sie verzweifelt für Wasser tanzten. Um den Gott des Wasserhahns sanftmütig zu stimmen, vollführe ich jetzt regelrechte Regentänze vor dem Waschbecken. Und schäme mich nicht, dazu passende Lieder anzustimmen, von «Zeigt her eure Füße» bis «Singing in the rain».
Dann kommt plötzlich das Wasser – und zwar richtig. Es läuft mit Schwung ins Becken, durch das Becken durch und auf mein Becken. Und dann weißt du auf einmal, wofür dieses Heißluftgebläse wirklich gut ist. Denn in dem Stadium der totalen technischen Demütigung ist es dir egal, dass du in Unterhose auf einer öffentlichen Toilette stehst und versuchst, deine Hose an einem asthmatischen Föhn zu trocknen.
Und zwischendurch das Lächeln nicht vergessen, man weiß ja nie, wer am anderen Ende der Fotozelle tatsächlich sitzt. Und ob das mit versteckter Kamera nicht demnächst ins Fernsehen kommt.
Auch bei den Pissoirs mit Automatikspülung frag ich mich immer bis wohin ich im Bild bin. Und wer schaut sich das an? Ob es im Internet geheime Chatroom-Seiten mit Toiletten-Webcams gibt, auf denen per Mausklick und Online-Befragung entschieden wird, wann gespült wird? Das würde einiges erklären.
Derart überflüssige Technik reizt mich zum zivilen Ungehorsam. Wenn ich allein auf der Toilette bin, stell ich mich vor ein Pissbecken, täusche Urinieren an und mache dann zwei Becken weiter. Oder ein bis anderthalb. Oder geh richtig gemütlich erst auf die Schüssel, abet streiche dann beim Rausgehen fies einmal mit der flachen Hand an allen Pissoirfotozellen vorbei, dass die sich so was von erschrecken und alle gleichzeitig anfangen zu flennen. Bis der Wasserspareffekt dahingeflossen ist!
Neulich war ich in der Schweiz. Dem Land der Reinlichkeit. Und bekam mal wieder den Wasserhahn nicht motiviert. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen: «Hey, lass uns Freunde sein, ich will mir nur einmal die Hände waschen und nicht auf Dauer hier wohnen» – automatisch fingen meine Füße an zu zappeln. Ich war gerade mitten in meinem Tanz, da merkte ich, wie mich ein Schweizer von der Seite anstarrte. Er stellte sich kurz vor das Becken, das Wasser kam sofort, und er ging. Haben die Fotozellen dort die Fingerabdrücke aller Eidgenossen gespeichert? Nein – beim dritten Schweizer kapierte ich den Zauber: Die haben überhaupt keine Fotozellen, sondern, viel raffinierter: einen rein mechanischen Fußschalter!
Können Sie sich selbst gut riechen? Nein? Für unseren eigenen Körpergeruch sind wir nasal blind. Umso feiner sind unsere Antennen für die Gerüche anderer, bis hin zu Gerüchen, die wir gar nicht bewusst wahrnehmen, die aber unterschwellig unser Verhalten steuern. Denn frischer Schweiß riecht gar nicht. Sonst würde man es ja in der Sauna gar nicht aushalten. Er enthält aber Pheromone, sprich: Sexuallockstoffe. Für diese haben wir sogar ein eigenes Sinnesorgan: das Vomeronasal-Organ. Ein kleines Grübchen in der Nasenscheidewand, das uns bei der Partnersuche helfen soll, die schlimmsten Fehlentscheidungen des Auges zu korrigieren. Mit dem Vomeronasal-Organ kann man theoretisch in einer vollbesetzten U-Bahn mit geschlossenen Augen seinen Traumpartner finden. Wie das geht? Immer der Nase nach, denn: Liebe geht durch die Nase.
Unser Schweiß regelt die Celsius im eigenen Körper und die Zentimeter zu anderen Körpern. Ob wir jemanden gut riechen können oder nicht, regeln spezialisierte Schweißdrüsen, die Duftdrüsen, zu finden an den Haarwurzeln. Überhaupt haben wir Haare nur noch dort, wo sich ein Duft länger frisch halten soll. Am Kopf, unter den Armen, zwischen den Beinen. Wir erschnuppern im Geruch von anderen deren genetischen Quellcode. Eine Großmutter kann auf der Neugeborenenstation mit der Nase feststellen, welches Hemdchen von ihrem Enkel getragen wurde – selbst wenn sie ihn noch nie gesehen oder gerochen hat. Verrückt. Wir wissen also, wer zu uns passt und wer nicht. «Wer sich nicht riechen kann, sollte auch keine Kinder machen», raunt uns die Natur mit dem Runzeln der Nase zu. Wenn die Chemie indes stimmt, soll uns der Geruch der Liebsten am besten überall mit hinbegleiten: in Form eines Schnüffeltuchs zum Beispiel oder eines getragenen T-Shirts zur Überbrückung der Abwesenheit. Der Geruchswahn geht bis ins Religiöse: Im Petersdom werden Schweißtücher sogar seit 2000 Jahren aufbewahrt, bis der ursprüngliche Träger wiederkommt!
Schweißtücher galten als erste Reliquien, die noch lange nach dem Tod der Heiligen Wunder tun. Also, wenn Sie wissen wollen, ob Sie ein Heiliger sind, lassen Sie doch einfach mal Ihr feuchtes Saunatuch zwei Wochen lang in der Sporttasche und schauen, was passiert. Aber nicht wundern!
Tatsächlich erkennen wir unterbewusst, welcher genetische Typ zu uns passt und welcher nicht. Wir suchen uns in-stink-tiv die besten Gene für die nächste Generation, damit deren Immunsystem möglichst variantenreich in den Wettkampf mit den Parasiten gehen kann. Das ist die evolutionäre Grundlage aller Romantik! (Nach meiner Erfahrung eignet sich das aber nicht als Gesprächsthema bei Tisch, vor allem, wenn man sich gerade erst kennenlernt.)
Die praktischen Konsequenzen dieser Geruchsfixiertheit kennt jeder aus dem näheren Umfeld: Da gibt es immer eine masochistische Freundin, die man bekniet, sich doch endlich von ihrem doofen Typen zu trennen. Und sie sagt: «Ich weiß, er behandelt mich schlecht, aber er riecht so gut!» Dieser wichtige Sinn geht mitunter bei Schönheitsoperationen kaputt. Vielleicht sieht man das deshalb so oft: eine schöne Frau. Die Nase ist gerade, aber der Typ ist völlig schräg.
Man muss sich einfach gut riechen können, von Anfang an. Und das ist gar nicht selbstverständlich. Frauennasen finden Männerschweiß normalerweise – bähh. Aber nicht immer! Um die fruchtbaren Tage herum wird aus dem «Bähh» ein «Ahh»!
Frauen wissen, wovon ich rede. Die Männer haben davon in der Regel keine Ahnung. Und von der Regel auch nicht. Das ist das evolutionäre Geheimnis der Frau – die stille Ovulation. Bei anderen Primaten wird die Brunftzeit klar signalisiert: roter Popo – grünes Licht! Aber Menschenmänner wissen nie genau, wann eine Frau fruchtbar ist, und sind deshalb gezwungen, sich den ganzen Monat über Mühe zu geben. Das macht ja auch Sinn für die Paarbindung und letztlich für die Aufzucht von so mangelhaft lebenstauglichen Babys, wie wir sie bekommen. Ich wette, wenn Männer wüssten, wann es biologisch drauf ankommt, würden wir an exakt zwei Tagen im Monat den Müll runterbringen!
Andersherum betrachtet ist die männliche Achselhöhle eine Art «Ovulations-Radar». Wer sich als Kerl in der Disco fragt: «Wo sind heute Abend die größten Chancen, meine Gene in die nächste Generation zu katapultieren, wo finden hier eigentlich gerade die Eisprünge statt?», dem reicht es, einfach einmal mit erhobenem Arm den Raum zu durchschreiten. Wenn sich dann eine Frau gleich irritiert naserümpfend wegdreht, weißte Bescheid. Da musst du auch keine Drinks mehr spendieren. Das wird an dem Abend nix. Die Nase eines Mannes verrät vielleicht seinen Johannes, aber die Nase einer Frau weiß schon nach Sekunden, was aus Johannes an dem Abend noch wird. Die meiste Zeit im Monat sucht die Frau im Mann den Versorger, aber wenn es genetisch drauf ankommt, den Besorger. Für die Kleinen nur das Beste, und das muss nicht der Treuste sein. Mit dem Eisprung steigt auch die Lust auf einen Seitensprung. Also, Jungs – Ovulationsradar einschalten! Und damit das mit dem erhobenen Arm nicht ganz so dämlich aussieht, mein kleiner Tipp: einfach ein Handy in der Hand halten, dann wirkt es ganz natürlich.
Weil wir alle wissen, wie wichtig unser Körpergeruch für die Fortpflanzung ist, versuchen wir, die Natur zu überlisten. Wir wollen unsere Chancen verbessern, indem wir unseren Eigengeruch neutralisieren und durch universellen ersetzen. Wir duschen, rasieren, schrubben und föhnen, und am Ende kommen noch Deo und Parfüm obendrüber. Was ist eigentlich in Parfüm? Pheromone! Von Tieren. Moschus ist das Analsekret des Moschusochsen. Ich denk mir das nicht aus und fasse kurz zusammen: Wir Menschen schämen uns, unter dem Arm zu riechen wie ein Mensch, und halten uns ernsthaft für attraktiver, wenn wir dort riechen wie ein Ochse am Arsch!
Ich wüsste zu gerne, was Ochsen über uns denken.
Leben verheiratete Menschen länger, oder kommt es denen nur so vor? Dieser alte Witz beinhaltet eine der aktuellsten Fragen der Medizin: Warum werden Menschen unterschiedlich alt?
Die Rezepte für ein langes Leben werden überall gesucht. Unlängst schrien die Forscher «Hurra», weil eine Fruchtfliege ein paar Wochen länger lebte, nachdem man ihr die Nahrung künstlich verknappt hatte – aber was ist das für ein Leben? Die Genetiker nennen das Lebens-Verlängerungsgen INDY, als Abkürzung für: I’m Not Dead Yet – Ich bin noch nicht tot. Da sage noch jemand, Gentechniker hätten keinen Humor!
Aber was lernt man von abgemagerten Fruchtfliegen, die nicht sterben wollen? Wer nichts zu sich nimmt, den will auch der Tod nicht mehr zu sich nehmen? Keineswegs. Der Preis ist schon im Leben hoch: Durch das Fasten stellt der Körper alle Funktionen auf Sparflamme; was Energie braucht, wird eingestellt. Und dazu gehört vor allem die Fortpflanzung! Da lebt die Fliege nun also mit der perfekt abgehungerten Wespentaille, hat Zeit bis zum Abwinken – und bekommt Sparprogramm statt Sex. Arme Sau.
Und wir Menschen? Warum, verdammt nochmal, leben Frauen länger als Männer? Liegt es an unterschiedlichen Lebensstilen? Anderen Belastungen? Genen und Hormonen? Die Forscher taten sich schwer, bis der Bevölkerungsforscher Marc Luy eine geniale Idee hatte: Er suchte nach einer Gruppe Menschen, in der Frauen und Männer unter nahezu gleichen Bedingungen leben. Er fand sie im Kloster, wo die Sterbetafeln der Nonnen und Mönche ihm ein großes Geheimnis verrieten: Über die Langlebigkeit wird nicht in der Körperzelle, sondern in der Klosterzelle entschieden. Die Mönche und Nonnen beweisen: Wer im Kloster lebt, kommt später in den Himmel. Und die größte Sensation: Die Lebenserwartung von Nonnen liegt nur ganz leicht über der ihrer Geschlechtsgenossinnen außerhalb der Klostermauern. Aber: Die Mönche leben fünf Jahre länger als Männer in anderen Berufen und Berufungen! Jungs! Damit ist eindeutig widerlegt, dass wir Männer rein genetisch dazu verdammt sind, früher zu sterben! Also ab ins Kloster, Nahrung verknappen und auf Fortpflanzung verzichten? Welche Varianten der erotischen Energieverluste im Kloster praktiziert werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass der körperliche Verschleiß durch den Fortpflanzungsakt deutlich größere Opfer auf Seiten der Frau verlangt als auf Seiten des Mannes. Ungefähr im Verhältnis von neun Minuten zu neun Monaten – von der Zeit danach mal ganz abgesehen. Wenn Mönche nachts aufstehen, dann wegen der Stille, nicht um zu stillen. Nein, es muss noch andere Gründe für die Lebensverlängerung außer der sexuellen Enthaltsamkeit geben.
Auch tagsüber genießen die Mönche zum Beispiel viel mehr kooperative Routine als kompetitives Rattenrennen. Was tun Männer draußen nicht alles, um Aufmerksamkeit zu erregen, im ewigen Kampf um die knappe Ressource Frau? Wer Jesus nachfolgt, braucht dazu keinen Porsche. Wer seine größten Karrierechancen sowieso erst nach dem Leben kommen sieht, verbringt weniger Energie mit der Absicherung irdischer Hierarchien. Und obwohl die Braukunst in den Klöstern floriert, sind Geistliche weniger anfällig für Rausch und Rauchen, die klassischen Männerkiller.
Könnte es nicht sogar sein, dass auch die Abwesenheit von unnötigen Entscheidungen das Leben verlängert? Zum Beispiel ist die Frage «Was ziehe ich heute an?» schnell beantwortet: die gleiche Kutte wie gestern. Praktisch. Wenn das alle so machen, muss sich keiner dafür schämen. Das spart jeden Tag eine halbe Stunde – bei Nonnen bis zu zwei Stunden.
Oder die Frage: Wann gibt es heute Frühstück? Seit 500 Jahren zur gleichen Zeit! Früh aufstehen klingt zwar hart, aber man geht ja auch früh zu Bett. Außerdem gibt es nicht jeden Abend 300 Parallelveranstaltungen, zwischen denen man sich entscheiden soll.
Und dann: Was muss ich heute alles lesen? Ganz einfach: Nur DAS eine Buch! Das liest man schließlich seit 2000 Jahren, ohne dass es langweilig zu werden scheint.
Die Mönche zeigen: Männer leben länger als «Brüder» denn als «Terminator». Doch egal, ob man ein Leben nach dem Tode erwartet oder nicht, zu eilig sollte man es nicht haben, das herauszufinden. Es ist so einfach, glücklich zu sein. Schwierig ist nur, einfach zu sein.
Friseure sind Spezialisten für einschneidende Erlebnisse. Neulich hab ich, statt aufzupassen, beim Schneiden diese Zeitschriften gelesen, die man sich nie kaufen würde, aber dann doch ganz gerne mal … und zack, da ist es passiert – die neue Frisur. Mürrisch zahlen und dann frisch entstellt auf die Straße. In diesem Moment ahnte ich, was Heidegger gemeint haben muss mit «ins Leben geworfen sein».
Schon in der Antike hatte das Glück eine total verunglückte Frisur. Die Haare standen alle nach vorne ab, der Hinterkopf war kahl. Fortuna mit Föhnfrisur symbolisiert: Die günstige Gelegenheit kommt nur einmal auf dich zu. Wenn du sie nicht sofort beim Schopfe packst und in deine Höhle schleppst, ist die Chance vorbei.
Ältere Männer erinnern sich oft an Fortuna und kämmen die letzten verbliebenen Haare von hinten nach vorne. So richtig glücklich sieht das allerdings selten aus.
Haare sind Glücksbringer. Da hat neulich der Friseur von Neil Armstrong eine Locke des ersten Menschen auf dem Mond an einen Sammler verkauft. Für 3000 Dollar. Und dagegen hat der Astronaut geklagt. Juristisch eine Haarspalterei. Wem gehört das Haar, wenn es abgeschnitten wurde? Darf der Friseur für das Abschneiden Geld verlangen, wenn das Abgeschnittene mehr wert ist als das, was dranbleibt?
Haare sind ein Stück Lebenskraft, Macht, Testosteron. Nach jüngster Rechtsprechung dürfen Männer selbst bei der Bundeswehr Pferdeschwanz tragen! Die Frisur wird in jeder Verfassung von der Verfassung geschützt, «Scheiße-aussehen-Dürfen» ist Menschenrecht. Die Freiheit, seine Kopfhaut zu bedecken, wie man will, wird auch am Hindukusch verteidigt.
Bei der Gelegenheit: Es sind nicht die Männer mit besonders viel Testosteron, denen die Haare ausfallen. Es liegt allein an der erblich bedingten Empfindlichkeit des Rezeptors an den Haarwurzeln, ob und ab wann die Geheimratsecken nicht mehr geheim zu halten sind.
Was wir Männer im Zuge der zunehmenden Verglatzung erleiden, können Frauen nicht nachvollziehen. Dabei verdanken wir es den Frauen. Denn die Anlage für Haarausfall wird nicht über den Vater vererbt, sondern ausgerechnet über die Mutter. Wie männlich die Söhne noch mit 30 aussehen, kommt im genetischen Gesamtpaket von Mutti. Statt in den Spiegel zu schauen, wirft man also besser mal einen Blick ins Familienalbum: Wie behaart war unser Großvater mütterlicherseits in reiferen Jahren noch am Familienober-Haupt?
Aus Verlustangst ernähren wir unsere Haarwurzeln besser als den Rest des Körpers. Ich hab mir mal die Liste der Zusatzstoffe in meinem Bio-Kräuter-Shampoo durchgelesen: nur das Beste und Gesündeste! Seitdem nehme ich es auch immer als Dressing zum Salat. Hat bisher allen gut geschmeckt. Was es alles für Shampoos gibt! Extra für Männer: Bier-Shampoo für mehr Volumen. Ob man dadurch die Haare doppelt sieht?
Haare sind nichts weiter als abgestorbene Proteine, totes Keratin, aber wir sehen darin den Spiegel unserer Seele. Wir wollen, dass sie wie unsere Augen glänzen, und schicken sie zur Kur. Wir waschen uns selbst ordentlich den Kopf, auf dass alle schmutzigen Gedanken gleich mit herausgespült werden mögen. Kopfwäsche ist Seelenwäsche, Shampoo ist Psychotherapie in Flaschen, für gestresstes Haar, strapaziertes Haar, gespaltenes Haar. Vielleicht hilft das auch gespaltenen Persönlichkeiten? Und wie strapaziert mein Haar sein muss – ich hab erst letzte Nacht wieder stundenlang darauf gelegen! Haare sind so was von emotional!
Haare zu verlieren tut weh. Als wär’s ein Stück von dir. Sich von Haaren zu trennen ist noch schmerzhafter als von einer Frau. Irgendwann sagt das Haar: «Ich gehe.» Und wie es da so im Waschbecken liegt, hat es etwas Vorwurfsvolles: «Versuch nicht, mich daran zu hindern. Du kannst mich nicht festhalten. Was du mir alles auf den Kopf geschmiert hast, das geht auf keine Kopfhaut. Ich spüre keine gemeinsame Wurzel mehr.» Und du weißt: Diese Stelle wird für immer kahl bleiben. Siehe Armstrong. Ein kleiner Schritt fürs Haar. Ein großer Schritt für die Männlichkeit – ein großer Schritt zurück.
Der einzige Trost, den wir Männer angesichts des Haarausfalls haben: Die Summe der Haare an unserem Körper bleibt das gesamte Leben gleich. Alles, was an der dafür vorgesehenen Stelle verloren geht, kommt an anderen Stellen wieder zum Vorschein. Zum Teil an dafür eher ungeeigneten Orten. Da sind die Augenbrauen (Fachleute sprechen hier von progressiver Verwaigelung) noch das Harmloseste. Auf dem Rücken zum Beispiel ist es schlimm. Noch schlimmer – auf der Schulter. Schlimmer als eigene Haare auf der Schulter ist nur noch, wenn das Haar auf deiner Schulter nicht dein eigenes ist. Womöglich auch noch eins in der falschen Farbe. Um einen Verdacht an den Haaren herbeizuziehen, reicht ein einziges!
Himmel und Hölle liegen um Haaresbreite auseinander. Das Pech kommt in Strähnchen. Eine haarige Angelegenheit: die Liebe. Am Anfang würdest du alles geben für jemanden, der eine Locke von «ihrem» Kopf entfernt. Und am Ende würdest du alles dafür geben, wenn doch endlich jemand alle ihre Locken entfernen würde – aus dem Abflusssieb in deiner Dusche.
Die verhasste Kollegin geht zum Friseur und kommt verunstaltet wieder, der Chef verbrüht sich an der Kaffeemaschine, weil er sie schon lange nicht mehr selbst bedient hat, der Porschefahrer würgt den Motor an der grünen Ampel ab – kleine Momente der Genugtuung, für die wir uns immer auch ein bisschen schämen. Sind wir wirklich so fies?
Der Volksmund behauptet schon seit langem, Schadenfreude sei die schönste Freude. Aber wissenschaftlich erforscht wird dieses verschämte Gefühl erst seit kurzem, denn Schadenfreude ist sehr schwer zu untersuchen – keiner ist darauf stolz. Fragt man Leute direkt danach, bekommt man keine ehrliche Antwort.
Bei den wissenschaftlichen Untersuchungen wurden die Versuchspersonen also in ein Wirtschaftsspiel verwickelt, in dem einer der Wissenschaftler, als Mitspieler getarnt, sich gezielt unfair verhielt. Für die Forschung durfte er mal so richtig das Arschloch raushängen lassen (nicht zu verwechseln mit einem echten Anal-Prolaps, der nicht den anderen, sondern ausschließlich dem Betroffenen wehtut – aber das nur am Rande).
Nach dem Spiel wurde der Fiesling mit harmlosen Stromstößen bestraft. Während die anderen Teilnehmer der Bestrafung zuschauten, wurde ihre Hirnaktivität mit einem funktionellen Kernspin beobachtet. Auf den Röntgenbildern zeigte sich, dass zwei Regionen für Schaden-Freude wichtig sind: wie der Name schon sagt – eine Region für das Mitgefühl mit dem Schaden, die andere Region, das Belohnungszentrum, für die Freude. Das Mitgefühl sitzt hinter der Stirn, der «Kick», ob wir etwas gut finden, im Mittelhirn. Ob wir uns über den Schaden anderer freuen, hängt also davon ab, ob wir mit ihm mitleiden oder ihm das Missgeschick als «süße Rache» gönnen. Ist uns jemand sympathisch, leiden wir mit, dem «Arsch» aber gönnen wir es.
Wobei Frauen selbst mit den fiesen Typen immer noch einen Rest Mitgefühl haben. Männer dagegen freuen sich an der «gerechten» Strafe und kennen in ihren Mitgefühlsregionen keine Gnade. Das erklärt ganz gut, warum in Berufen, wo zu viel Mitgefühl hinderlich sein könnte, eher Männer anzutreffen sind; historisch bei den Richtern und Henkern, heutzutage beispielsweise bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst. Die Helfer dürfen nicht von ihren eigenen Gefühlen überwältigt werden, sondern müssen einen «kühlen» Kopf bewahren und handeln.
Sind Männer also schadenfroher als Frauen? In der Studie wurde unfaires Verhalten durch kleine Schmerzreize körperlich gestraft. Darüber empfanden die Männer tatsächlich mehr messbare Schadenfreude als die Frauen. Das mag aber ein Messfehler sein. Frauen sind womöglich genauso schadenfroh, können das aber besser verbergen, denn sie sind komplexer verdrahtet. Die Schadenfreude bei Frauen funktioniert meist etwas mehr um die Ecke. Sie hauen nicht mit der Faust auf den Tisch, sondern arbeiten eher mit der Stichelsäge mit Winkelzug. Statt körperlicher Strafe bevorzugen sie subtilen Liebesentzug, statt eines abreagierenden Stromstoßes wird schleichend Energie entzogen. Das alles ist viel schwerer zu messen als Gefühlsausbrüche bei Männern, die sich lieber einmal richtig prügeln und anschließend zusammen ein Bier trinken gehen. Aber warum gibt es überhaupt so etwas wie Schadenfreude?
In der Evolution macht dieses moralisch scheinbar verwerfliche Gefühl viel Sinn! Menschen sind soziale Wesen und aufeinander angewiesen. Wenn sich jemand unfair verhält, wird er durch die zur Schau gestellte Schadenfreude bestraft und bekommt so einen Anreiz, sich wieder nett und kooperativ zu verhalten.
Schadenfreude ist also im Prinzip so etwas wie die «Gelbe Karte» der Evolution. Hätten Fußballspieler keine Angst vor der Gelben oder Roten Karte – das Spiel wäre außer Rand und Band.