Stefan Zweig – Die Welt von Gestern, Frankfurt/M. 1982, S. 325/326
Henry Kissinger, World Order, London, 2014, S. 23ff.
»Die der westfälischen Staatenordnung zugrundeliegenden Normen gleichberechtigter souveräner Staaten entsprachen also ebenso wenig der machtpolitischen Realität Europas, wie das zuvor die hierarchische Ordnungsvorstellung des Mittelalters getan hatte. … Dennoch wirkten die neuen Normen auf die tatsächlichen Machtverhältnisse ein und veränderten sie dahingehend, dass die Vorstellung von einer christlichen Einheit mit hierarchischer Spitze zunehmend obsolet wurde.« Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg, Berlin, 2017, S. 28
Henry Kissinger, World Order, London, 2014, S. 32ff.
»Ob es nun die Spanier, Franzosen oder Deutschen waren, das heißt abwechselnd die mächtigsten Völker des Festlandes – die die dauernde Hegemonie an sich zu reißen suchten – immer fanden sich gegen sie große Koalitionen zusammen, um in umfassenden Kämpfen ihre Versuche niederzuringen. Und der tiefste Grund, dass ihnen dies vier Jahrhunderte lang regelmäßig glückte? Er bestand darin, dass die großen Koalitionen einen unerschütterlichen Rückhalt fanden an den Flügelmächten Europas in West und Ost, vorab an den Seemächten im Westen und in zweiter Linie an den großen peripheren Festlandsmächten im Osten … das große Geheimnis unserer Staatengeschichte der Neuzeit: dass von den Rändern Europas und aus der außereuropäischen Welt immer neue Gewichte in die Waagschale der großen Koalitionen gelegt werden konnten, bis … das schwankende Gleichgewicht neu ausbalanciert war.« Ludwig Dehio, Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M., 1961, S. 111
ibid., S. 110/111
»This American carnage stops right here and stops right now. … For many decades, we’ve enriched foreign industry at the expense of American industry. Subsidized the armies of other countries while allowing for the very sad depletion of our military. …And spent trillions of dollars overseas while American infrastructure has fallen into desrepair and decay. We’ve made other countries rich while the wealth, strength and confidence of our country has disappeared beyond the horizon. One by one, the factories shuttered and left our shores, with not even a thought about the millions of American workers left behind. The wealth of our middle class has been ripped from their homes and then redistributed across the entire world. But that is the past. And now we are looking only to the future. … From this moment on, it’s going to be America First. Every decision on trade, on taxes, on immigration, on foreign affairs, will be made to benefit of American workers and American families.« Transcript of President Trump’s inauguration speech, US Today, 20. Januar 2017
Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München, 2009, S. 17ff.
Ludwig Dehio, Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M., 1961, S. 101
»Die Geburtsstunde des Reiches fiel in eine zu aufgeklärte, in eine schon nicht mehr an die innerweltlichen Autoritäten der Vernunft und der Weltgeschichte glaubende Zeit. Organische Naturaufklärung, natürliche Schöpfungsgeschichte, Darwinismus waren der humanistischen Kultur und Philosophie gefolgt. Sie prägten eine neue menschliche Selbst- und Weltauffassung, in welcher die irdische Wirklichkeit und ihr Kräftespiel allein maßgebend sind. Sie prägten auch das neue Reich, das auf viele einzelstaatliche Traditionen, aber auf keine gesamtstaatliche Tradition sich stützen konnte, zu einem Machtstaat ohne humanistisches Rechtfertigungsbedürfnis. Die Wirklichkeit des Volkes sollte genügen.« Helmuth Plessner, Die verspätete Nation, Frankfurt/M. 1992, S. 42
»Mit einem Worte: Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.« So der Staatssekretär des Auswärtigen und spätere Reichskanzler im Reichstag in der Kiautschou-Debatte am 6. Dezember 1897; Nachdruck Fürst Bülows Reden, herausgegeben von Johannes Penzler, Berlin, 1907, S. 8
»Nach 1945 bestand seine (Adenauers) politische Leitidee darin, Westdeutschland in eine enge, unumkehrbare Verbindung mit dem Westen zu bringen. … Mit der Gründung des Atlantikpakts im Frühjahr 1949 und der entscheidenden Hilfe der USA – zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet – hatte der Begriff ›Westen‹ als freiheitliche Alternative zum Osten als dem Synonym für Unfreiheit, Terror und Hunger eine gewaltige Aufwertung erfahren. Die Vereinigten Staaten als Rückgrat der NATO gaben der westlichen Gemeinschaft ihr Gepräge.« Henning Köhler, Adenauer, Eine politische Biographie, Berlin, 1994, S. 641ff.
Winston S. Churchill, The Second World War, Volume III, The Grand Alliance, London, 1950, S. 385ff., siehe besonders S. 393
ibid., S. 393
»So ist am Ende des 20. Jahrhunderts von der europäischen Hybris des voraufgegangenen fin de siècle wenig geblieben. Weltherrschaft, Kontrolle über wirtschaftliche Globalisierungsprozesse und kulturelle Ausschließlichkeitsansprüche sind unwiederbringlich dahin. War das 19. Jahrhundert das Jahrhundert Europas, so muss schon das 20. eher das Jahrhundert Nordamerikas heißen, und das 21. mag zum Saeculum Chinas werden.« Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens, München, 2013, S. 18
»Das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im Jahre 2015 bei 59,7 Billionen US-Dollar. Davon entfielen 26,3 Prozent auf die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), 25,4 Prozent auf die USA und 9,5 Prozent auf China (ohne Hongkong und Macao). Im Jahr 1970 lag der Anteil der EU-28 am Welt-BIP noch bei 37,8 Prozent – also 11,5 Prozentpunkte höher. Der Anteil der USA am Welt-BIP hat sich seit dem Jahr 2000 um drei Prozentpunkte auf 25,4 Prozent reduziert. Hingegen ist der Anteil Chinas am Welt-BIP kontinuierlich von 0,8 Prozent 1970 auf 9,5 Prozent im Jahr 2015 gestiegen – ein Plus von 8,8 Prozentpunkten Bezogen auf die absoluten Werte hat sich das BIP der EU zwischen 1970 und 2015 etwa verzweieinhalbfacht und das BIP der USA verdreieinhalbfacht. Das BIP Chinas war 2015 – ausgehend von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau – 47-mal höher als 1970.« Bundeszentrale für politische Bildung, URL: http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlenundfakten/europa/135823/bruttoinlandsprodukt-bip
»Ist es – am Ende des 20. Jahrhunderts – wieder sinnvoll von einem kohärenten und zielgerichteten Verlauf der Menschheitsgeschichte zu sprechen, der letztlich den größten Teil der Menschheit zur liberalen Demokratie führen wird? Diese Frage beantworte ich aus zwei unterschiedlichen Gründen mit ja. Der eine Grund ist wirtschaftlicher Natur, der andere hat mit dem sogenannten ›Kampf um Anerkennung‹ zu tun.« Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, München, 1992, S. 13
»It is time to stop pretending that Europeans and Americans share a common view of the world, or even that they occupy the same world. … That is why, on major strategic and international questions today, Americans are from Mars and Europeans are from Venus: They agree on little and understand one another less and less.« Robert Kagan, Of Paradise And Power, America And Europe In The New World Order, New York, 2003, S. 3
Graham Allison, Destined for War – Can America and China Escape Thucidides’s Trap?, Boston – New York, 2016, S. 14ff.
Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Leipzig, 1964, S. 21
»Alphabet chairman Eric Schmidt says the US is at risk of falling behind in the race to develop a cutting edge artificial intelligence. … Schmidt predicted that America’s lead in the field would continue ›over the next five years‹ before China catches up ›extremely quickly‹. ›They are going to use this technology for both commercial and military objectives with all sorts of implications‹, said Schmidt referencing a Chinese policy document outlining the country’s ambition to become global leader in AI by 2030.« James Vincent, Eric Schmidt says America needs to ›get its act together‹ in Al Competition with China, 1. November 2017, theverge.com
»America and China, the world’s two biggest economies, have produced the two titans of the industry, Amazon and Alibaba. Both are relative youngsters. Amazon, started by Jeff Bezos as an online bookshop … in 1997. Alibaba was founded by Jack Ma in 1999. Since then both have been growing at breakneck pace, bringing large-scale disruption not only to retailing but to a range of industries spanning logistics, entertainment, advertising and manufacturing in their home countries. Both have also been expanding their empires abroad. … The two giants do not have the field all to themselves. In America, Walmart remains the biggest retailer and is spending heavily to fend off Amazon. It also has a stake in JD.COM, an e-commerce firm based in Beijing that had 13% of the Chinese Market last year. In China, Alibaba faces not just JD but also Tencent, a messaging and payment company that is now JD’s biggest shareholder. Smaller e-commerce firms around the world have the backing of giant investors such as SoftBank, Nasper’s and Tiger Global.« The new bazaar, The Economist, 28. Oktober – 3. November 2017, Special report e-commerce, S. 4
»Tencent yesterday punched through a stock market capitalisation of $500bn becoming the first Chinese tech company to join an elite group dominated by the US and putting it within reach of Facebook’s $522 bn valuation. The social media group is a fitting champion for the 21st century China. Founded by a low-profile engineer and privately owned, the company’s services infiltrate every aspect of citizens’ lives: chatting, eating, paying and music. More than half of the 980 m users of its WeChat platform spend more than 90 minutes on the app every day. Little known outside China, Tencent dominates its home turf thanks in part to Beijing’s block on Facebook.« Tencent becomes first Chinese group to enter elite $500 bn market cap club, Financial Times, 21. November 2017, S. 11
»The data revolution is fusing with China’s party state to create a potential ›techno-tatorship‹; a hybrid strain in which rigid political control can coexist with ample free-market flexibility. … His point is highlighted by a boom that is making China the centre of the global digital economy revolution. China accounts for more than 40 percent of the world’s e-commerce transactions, up from less than 1 percent a decade ago … It is the world leader in payments made by mobile devices, with 11 times the transaction value of the US. The country is the head of sharing economy technology advances, with its bike-sharing and ride-sharing markets eclipsing all others in size and growth.« James Knyge, China harnesses big data to butress the power of the state, FT vom 28./29. Oktober 2017, S. 11. Siehe dazu auch: The next wave – A new generation of Chinese entrepreneurs will have a powerful impact on industries and consumers worldwide, The Economist 23.–29. September 2017, S. 18ff.
Siehe dazu Präsident Xi Jinpings Rede vom 17. Januar 2017 auf dem World Economic Forum in Davos, die auch Chinas de facto globalen Führungsanspruch im 21. Jahrhundert inhaltlich unterlegt. President Xi’s speech to Davos in full – https://www.weforum.org
»Just as the financial crisis of 2008 damaged the credibility of western economic ideas in China, so the election of Donald Trump and the fracturing of the EU have made it easier for China’s leaders to scorn western political practises. Many Chinese intellectuals still look to the west as a model of political freedom. But as one liberal academic put it to me last week: ›It’s a real problem for us, inside China, that the west is looking so weak.‹« Gideon Rachman, China’s bold challenge to the west, Financial Times (FT), 24. Oktober 2017, S. 9
Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München, 2009, S. 927/8
»Die Offenheit des eurasischen ›Hochmittelalters‹, zu dem der verheerende Mongolensturm ebenso gehört wie die universalen Denkgebäude von Theologen und Philosophen in der arabischen, christlich-lateinischen und chinesischen Welt, wich etwa vom 14. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert einer Verstärkung von Integration innerhalb bereits bestehender Einheiten und einer stärkeren Abgrenzung zwischen ihnen. China war 400 Jahre lang die große asiatische Seemacht gewesen. Es verlor diese Stellung um 1430 herum. … Die chinesische Expansion war für fast 300 Jahre beendet. China agierte mit der Außenwelt durch ein zunehmend ritualisiertes ›Tributsystem‹; das den Kaiser immer wieder in seiner Position als Universalherrscher des Ostens symbolisch bestätigte und im übrigen den Status quo aufrechterhielt. Jetzt erst wurde China zu dem abgeschotteten – wenngleich im Inneren durchaus wandlungsfähigen – ›Reich der Mitte‹, das westliche Beobachter im 17. Jahrhundert kennenlernten.« Jürgen Osterhammel, Niels P. Petersen, Geschichte der Globalisierung, München 2012, S. 33
»Order always requires a subtle balance of restraint, force, and legitimacy. In Asia, it must combine a balance of power with a concept of partnership. A purely military definition of the balance will shade into confrontation. A purely psychological approach to partnership will raise fears of hegemony. Wise statesmanship must try to find that balance. For outside it, disaster beckons.« Henry Kissinger, World Order, London, 2014, S. 233
Petra Kolonko, Groß, marxistisch, schön, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 19. Oktober 2017, S. 3
»The Chinese have calculated that they need 30 to 40, maybe 50 years of peace and quiet to catch up, build up their system, change it from the communist system to the market system. They must avoid the mistakes made by Germany and Japan. Their competition for power, influence, and resources led in the last century to two terrible wars. … The Russian mistake was that they put so much into military expenditure, and so little into civilian technology. So their economy collapsed. I believe the Chinese leadership has learnt that if you compete with America in armaments, you will lose. You will bankrupt yourself. So, avoid it, keep your head down, and smile for 40 to 50 years.« Lee Kuan Yew, The Grand Master’s Insight on China, Belfer Centre for Science and International Affairs, 2013, S. 5. Allerdings ist die Phase der offenen Rivalität zwischen China und den USA im asiatisch-pazifischen Raum schneller gekommen als von Lee Kuan Yew prognostiziert.
China sieht die USA als raumfremde Hegemonialmacht in der von ihm beanspruchten asiatisch-pazifischen Einflusszone an, während die Selbstwahrnehmung der USA eine diametral entgegengesetzte ist: »The United States is a Pacific power, and we are here to stay«, so der damalige Präsident Barack Obama in seiner »Pivot to Asia«-Rede vor dem australischen Parlament in Canberra am 17. November 2011.
Henry Kissinger, World Order, London, 2014, S. 225
»China’s leaders will eventually have to go beyond modest financial sector and economic reforms to more fundamental ones without which a market-oriented system cannot work well. Under the right circumstances, losing some stability and control might be well worth it for a better-functioning market economy, which in turn is a necessary function on the same level as those of its advanced economy counterparts. … Despite becoming a reserve currency, the RMB has essentially given up its claim of being seen as a safe haven currency, one that investors turn for safety. In the absence of these fundamental reforms, especially the rule of law and a democratic system of government, the rise of the RMB will erode but not seriously challenge the dollar’s status as the global reserve currency.« Eswar S. Prasad, Gaining Currency – The Rise of the Renminbi, New York, 2017, S. 247
Siehe dazu David E. Sanger, Choe Sang-Hun, Motoko Rich, U.S. allies reconsider their nuclear options, North Korea’s capabilities kindle a weapons debate in the South and Japan, New York Times, 31. Oktober 2017, S. 1 und 4
Hendrik Ankenbrand, China will Tesla mit eigenen Elektroautos angreifen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. April 2016
Seine Anwendung wird in Artikel 326 bis 344 geregelt.
»Im August 2016 kaufte die China Ocean Shipping Company (Cosco) für 280 Millionen Euro 51 Prozent des Hafens von Piraeus. Chinas State Grid Corporation erwarb eine Minderheitsbeteiligung von 24 Prozent an Griechenlands Netzbetreiber ADMIE. … Länder wie Mazedonien oder Serbien und Bosnien-Herzegowina bieten zwar keinen Hafenzugang für China. Dafür konzentriert sich die südosteuropäische Seidenstraße in diesen Binnenländern auf großflächige Infrastrukturprojekte, insbesondere den Autobahnausbau entlang europäischer Korridore, Brücken und Erneuerung der Eisenbahnen.« So Jens Bastian in seinem Beitrag über »Chinas Einfallstor« in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 18. Oktober 2017, S. 2
Dass die Europäer dazu durchaus in der Lage sind, auch wenn diese Form der Industriepolitik gegen die reine Lehre der Marktwirtschaft zumindest deutscher Provenienz verstößt, zeigen zwei Beispiele: Die bisher erfolgreichste europäische strategische Unternehmensgründung war der Flugzeughersteller Airbus, die auf eine strategische Entscheidung der Politik zurückging. 1967 gründeten Frankreich, Westdeutschland und Großbritannien diesen europäischen Flugzeughersteller. Die jüngste Verschmelzung der Eisenbahnsparten von Siemens und Alstom geht hingegen auf die Initiative der beteiligten Unternehmen zurück, allerdings eng begleitet von der Politik in Deutschland, Frankreich und Brüssel. Durch diese strategische Initiative entsteht nach dem chinesischen Staatsunternehmen CRRC (das zwar an der Börse gehandelt wird und über verschiedene private Minderheitengesellschafter verfügt, gleichwohl aber mehrheitlich vom Staat oder von staatlichen Unternehmen kontrolliert wird), der weltweiten Nr. 1 für Schnellzüge und anderes rollendes Material, in Europa nun mit Siemens-Alstom eine global wettbewerbsfähige Nr. 2.
Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf, 1961 und 2013
»›Whoever becomes the leader in (AI) will become the ruler of the world‹, Russia’s president Vladimir Putin said recently.« Edward Luce, Trumps unwitting surrender to China’s AI ambition, Financial Times, 23. November 2017, S. 9
»Die SPD muss dafür zum Angriff auf den neoliberal geprägten Kapitalismus blasen. Nicht die Rechtspopulisten sind der Hauptgegner der SPD, sondern die … neoliberale globale, selbstgerechte Elite.« Nils Heisterhagen, Linker Realismus, FAZ vom 20. November 2017, S. 8. Es ist erstaunlich, mit welcher historischen Blindheit Sozialdemokraten entgegen den Erfahrungen von Weimar heutzutage wieder argumentieren. Antikapitalismus statt Antinationalismus, von Lafontaine und Wagenknecht war man solche Töne ja gewohnt, aber nun selbst die SPD? Auch so kann man von den Positionen der traditionellen Linken aus die intellektuelle Reise in die Vergangenheit angesichts von Globalisierung und neuer Weltordnung antreten, zurück in die heroischen Zeiten der Vorherrschaft Europas und seiner Arbeiterklasse!
So der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen auf dem Bundesparteitag seiner Partei in Stuttgart
»In Europa gibt es drei große Völker, welche an der Entwicklung des modernen Staatsbewusstsein seit dem 17. Jahrhundert nicht teilgenommen haben: Spanien, Italien und Deutschland. Denn in dem entscheidenden Zeitraum war das Schicksal gegen sie. Spaniens Größe sank. Seine gegenreformatorische Politik, sein Kampf für die Erneuerung der katholischen Christenheit, sein Festhalten an der Universalität und am sakralen Imperium verurteilten Spanien zum Widerstand gegen die entbindenden Mächte der modernen Welt. Italien war in Einzelgebiete aufgesplittert, vom Kirchenstaat, Spanien und Österreich beherrscht. Und Deutschland zerfiel in Glaubenskämpfen, in dem Gegeneinander der Fürsten und der Kaisermacht. Deshalb ist der neuzeitliche Staatsgedanke für diese Völker fremd, er ist nicht auf ihrem Boden gewachsen und sie selber sind nicht mit ihm gewachsen. Je weniger sie aber die Möglichkeit hatten, ihr Bild im Spiegel eines Staates zu sehen, desto lebendiger blieb ihnen das Bewusstsein ihres Volkstums, musste es ihnen bleiben, wenn sie mit der Distanz zu Fürsten und Obrigkeiten ihre angestammten Rechte, Sitten und Sprache, ihr ganzes Leben bewahren und entwickeln wollten. So bekam das Wort Volk bei Spaniern, Italienern und Deutschen einen besonderen Ton.« Plessner, ibid. S. 52
»Zugespitzt hieß das: Würde sich in der geopolitischen Mitte der lateinischen Christenheit ein starker durchsetzungsfähiger Staat befinden oder hätte man es mit einem eher offenen Raum zu tun, auf den man einwirken konnte, ohne mit einer gleichgelagerten Gegenreaktion rechnen zu müssen? Das europäische Staatensystem erhielt letztendlich eine weiche Mitte, und das lag nicht zuletzt daran, dass den Reichsständen in Münster und Osnabrück das Bündnisrecht zugestanden wurde.« Münkler, ibid., S. 798
Siehe dazu Ludwig Dehio in: Günter Barudio, Der Teutsche Krieg 1618–1648, Frankfurt/M., 1985, S. 572ff. Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg, Berlin 2017, 798ff.
»Die Versetzung Preußens an den Rhein ist eine der fundamentalen Tatsachen der deutschen Geschichte, eine der Grundlagen der Reichsgründung von 1866/71. Mit der Rheinprovinz war die künstliche Existenz Preußens, die Spaltung in eine Ost- und eine Westhälfte, neu befestigt und schärfer als je zuvor ausgeprägt. Das wurde zur stärksten Antriebskraft preußischer Machtpolitik; letzten Endes ging es darum, diese Spaltung zu überwinden. Preußens Rolle als Schutzmacht an der Westgrenze – in Verbindung mit der Zweiteilung – führte dazu, dass seine eigene Sicherheit unzertrennlich mit seiner Stellung in Deutschland verbunden war … zugleich hat gerade die Rheinprovinz Preußen zur stärksten deutschen Wirtschaftsmacht gemacht und seine eigentümliche Modernität weiter ausgeprägt …« Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, München, 1983, S. 91
Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler, München, 1987, S. 62
»Im Krieg fand der Nationalsozialismus zu sich selbst. Die nationalsozialistische Bewegung war aus der Erfahrung eines verlorenen Kriegs heraus entstanden. Das Streben nach ›nationaler Wiedergeburt‹ und Vorbereitung für einen weiteren Krieg zur Erringung der Vorherrschaft in Europa, die der Erste Weltkrieg nicht erbracht hatte, waren die Triebkräfte dieser politischen Bewegung.« Ian Kershaw, Hitler 1936–1945, Stuttgart, 2000, S. 325
Joachim Fest, Hitler, Frankfurt – Berlin – Wien, 1973, S. 996ff.
Die Geschichte als der niemals abreißende Strom der Zeit wird von innen heraus in der Regel als eine Kontinuität von Alltagserfahrungen erlebt – gerade eben noch war sie Gegenwart und schon ist diese zur Vergangenheit, zur Geschichte geworden. Sowenig man in der Regel beim Gebrauch seiner Muttersprache groß über diese oder gar über ihre grammatikalische Ordnung nachdenkt, so wenig geschieht dies im Alltag der Politik oder gar in der Außenpolitik. Dabei gilt für diese, was auch für die Sprache gilt: So wie der Gebrauch der Wörter und der Satzbau den Regeln einer Ordnung folgen, einer Grammatik, so gilt dies auch für die Politik und ganz besonders für den Umgang und das Verhältnis der Staaten zu- und untereinander. Und genauso wenig, wie Sprachen statische Konstrukte sind, sondern ganz im Gegenteil hochdynamisch der permanenten Veränderung und Anpassung unterworfen sind, genau so gilt dies auch für die internationalen Ordnungssysteme, für die Ordnung der Staaten.
Solche Systeme und ihre Ordnungen sind ein entscheidender Faktor für die Gestaltung des Friedens oder Unfriedens zwischen den Staaten. Haben Staaten einander widersprechende Gebietsansprüche und Machtinteressen oder arbeiten sie zusammen, legen sie ihre Konflikte auf dem Verhandlungswege bei oder erheben sie Dominanz- und Herrschaftsansprüche, vertrauen sie auf Gewalt oder Recht, herrscht zwischen ihnen Vertrauen oder Misstrauen, wollen sie erobern oder friedliche Nachbarschaft – all das sind die traditionellen Fragen in der internationalen Ordnung, die über Krieg oder Frieden entscheiden. Und über allem steht die Frage, ob es eine Macht oder einen Staat gibt, der die Vorherrschaft in einem solchen mehrere Staaten und Mächte umfassenden System ausübt. Ein solcher Hegemon gestaltet das System und garantiert dessen Sicherheit und inneren Frieden mit überlegener Gewalt und kultureller Dominanz.
Beginnen sich die Machtgewichte in einer solchen etablierten Ordnung zu verschieben und beginnt das System sich als Ganzes zu verändern, dann spürt man früher oder später die Erschütterungen dieses Vorgangs im Strom der Zeit. Geschichte und ihre Ordnung dringt in den Alltag ein und droht diesen dramatisch zu verändern. Die Frage nach der Ordnung wird virulent. Der Schriftsteller Stefan Zweig, der sich am Ende des Ersten Weltkriegs in der neutralen Schweiz aufhielt, wollte damals zurück in sein besiegtes heimatliches Österreich und erlebte auf dem Grenzbahnhof in Buchs, wie eine jahrhundertealte Ordnung an ihm vorbei in die Vergangenheit fuhr. Es war eine bizarre Szene: »Schon beim Aussteigen hatte ich eine merkwürdige Unruhe bei den Grenzbeamten und Polizisten wahrgenommen. Sie achteten nicht besonders auf uns. … offenbar warteten sie auf Wichtigeres. Endlich kam der Glockenschlag, der das Nahen eines Zuges von der österreichischen Seite ankündigte. … Langsam, ich möchte fast sagen majestätisch rollte der Zug heran, ein Zug besonderer Art … ein Salonzug. Die Lokomotive hielt an. Eine fühlbare Bewegung ging durch die Reihe der Wartenden, ich wusste noch immer nicht warum. Da erkannte ich hinter der Spiegelscheibe des Waggons hoch aufgerichtet Kaiser Karl, den letzten Kaiser von Österreich, und seine schwarzgekleidete Gemahlin, Kaiserin Zita. Ich schrak zusammen: der letzte Kaiser von Österreich, der Erbe der habsburgischen Dynastie, die siebenhundert Jahre das Land regiert, verließ sein Reich!«[1]
Stefan Zweig hat diesen hoch symbolischen Augenblick des Verschwindens einer jahrhundertealten Ordnung – das Ende des dynastischen Europas auf einem Schweizer Grenzbahnhof – literarisch festgehalten. Die Weltgeschichte fuhr damals mit der Eisenbahn, auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte sich mit dem Zug ins holländische Exil davongemacht.
Wenn eine Ordnung der Staaten wankt oder gar durch eine andere abgelöst wird, dann geschieht dies meistens durch eine schwere Krise oder gar im Gefolge einer Zeit des Krieges, wie im Jahre 1918, und es berührt den Alltag von Millionen von Menschen. Plötzlich ist die Frage nach der Ordnung von alltäglichem Interesse, weil sie, jenseits der ruhigen Selbstverständlichkeit in friedlichen Zeiten, umstürzende Konsequenzen für den Alltag hat. Die Menschen in Osteuropa und auch in Ostdeutschland erlebten einen solchen Umsturz ihres Alltags im Gefolge des 9. November 1989, als in der Nacht zum 10. November die Mauer in Berlin gefallen war und eine neue internationale Ordnung jenseits des Kalten Krieges sich abzuzeichnen begann.
Blickt man auf die europäische Geschichte der letzten 200 Jahre zurück, so war die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg an der Oberfläche durch ein hohes Maß an Stabilität und einen lang anhaltenden Frieden bestimmt, unter der Oberfläche aber hatten die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten immer mehr zugenommen, bedingt durch die neuen Fähigkeiten und Interessen, welche die Industrialisierung der großen europäischen Staaten mit sich gebracht hatte, auch durch die Ambitionen eines neuen Akteurs im Zentrum Europas, durch Deutschland. Nach einer unruhigen Zwischenkriegszeit kam der noch sehr viel furchtbarere Zweite Weltkrieg, an dessen Ende die alte europäische Staatenordnung definitiv unterging und durch die bipolare Ordnung des Kalten Krieges abgelöst wurde.
Diese wiederum verschwand mit dem Ende der Sowjetunion und wird gerade durch eine neue Weltordnung ersetzt, deren Konturen zwar für uns Zeitgenossen bereits ahnbar sind, aber deren konkrete Form noch im Dunkel der Zukunft liegt.
Der Zeitgeist reagiert auf solche spürbaren Veränderungen mit Nervosität und Ambivalenz. Dem Westen geht es nach wie vor gut, verglichen mit anderen Teilen der Welt. Nur – wird es so bleiben? Aus dieser Ambivalenz zwischen Gegenwart und Zukunft und der Ahnung, dass die neu entstehende Weltordnung des 21. Jahrhunderts zu seinen Lasten gehen wird, entsteht im Westen vielfach das Bedürfnis nach Rückversicherung in einer »besseren« Vergangenheit, die unwiederbringlich dahin ist. Der Boden, auf dem der Westen stand – Eliten wie die Bevölkerungen gleichermaßen –, ist schwankend geworden und die Fragen nach der Zukunft des Westens und Europas, die noch vor wenigen Jahren als absurd erschienen wären, sind heute in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Was also wird diese absehbare Veränderung der globalen Ordnung für den Westen und für dessen ältesten Teil, für Europa, bringen? Wie wird sie aussehen, diese neue Ordnung? Wer werden die Gewinner und wer die Verlierer sein?
Das Jahr, von dem hier die Rede sein soll, begann nicht an einem ersten Januar um Mitternacht, sondern irgendwann in den Morgenstunden eines frühsommerlichen Junimorgens, und es sollte sich im Rückblick als ein Schicksalsjahr zumindest für den Westen erweisen. An jenem Morgen des 24. Juni 2016, als klar wurde, dass bei dem EU-Referendum im Vereinigten Königreich die Austrittsbefürworter zwar eine knappe, gleichwohl aber eindeutige Mehrheit für das Verlassen der Europäischen Union erzielt hatten, begannen die Grundlagen einer Weltordnung, die meine Generation und auch meine Arbeit als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland über sieben Jahre hinweg geprägt hatten, in Bewegung zu geraten. Langsam zuerst und fast unmerklich, zunächst anscheinend auf Europa beschränkt, ging diese Bewegung einher mit der Wiederkehr von Gedanken und Glaubenssätzen einer untergegangen geglaubten Epoche Europas.
Mit der Brexit-Entscheidung wurde eine Entwicklung auch für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar, die sich seit Längerem schon in verschiedenen Staaten Europas in Gestalt einer historischen Regression angedeutet hatte, nämlich eine mentale Abkehr von der Gegenwart und einer für die Europäer nur trübe Aussichten versprechenden Zukunft, verpackt in eine aggressive Ablehnung bis hin zur offenen Feindschaft gegenüber dem europäischen Einigungsprozess und eine Rückkehr zur Nation, ja zum Nationalismus, unter dem Banner der nationalen Selbstbestimmung. Es zeigte sich, dass dieser neue Nationalismus keineswegs nur auf Osteuropa beschränkt war, wo er im Widerstand gegen die Sowjetherrschaft eine gleichermaßen revolutionäre wie zentrale Rolle gespielt hatte, sondern er gewann auch unter den alten Mitgliedstaaten in Westeuropa zunehmend an Kraft. In den Niederlanden, Belgien, Frankreich, in Skandinavien, in Österreich, nicht nur in Ungarn und Polen, erhielten nationalistische, offen europafeindliche Parteien bei Wahlen großen Zulauf, und in diesen den gesamten Kontinent betreffenden neonationalistischen Trend platzte nun die britische Entscheidung mit ihrem Ja zum Brexit. Diese warf sofort die Frage auf, welche anderen Mitgliedstaaten den Briten folgen würden und ob die Brexit-Entscheidung am Ende nicht gar der Beginn der Auflösung der EU sein würde.
Damit war zugleich das Thema für das Jahr 2016/17 gesetzt: Hat die EU als transnationales Gebilde überhaupt noch eine Zukunft? Oder ist die Idee eines vereinigten Europas gemeinsam mit dem Kalten Krieg im Orkus der Geschichte verschwunden? Wird das Jahr 2016/17 den Anfang vom Ende der EU markieren? Wohin waren all der Optimismus, all die Aufbruchsstimmung der Jahre zwischen dem Fall der Mauer in Berlin und der großen EU-Osterweiterung verschwunden? Das Jahr war mit dem Brexit und seinen möglichen Folgen für Europa aber noch keineswegs zu Ende, es sollte noch schlimmer kommen.
Für die EU, und dies wird sich mehr noch für Großbritannien erweisen, war diese Brexit-Entscheidung ein heftiger Schlag. Auf dem Hintergrund der britischen Geschichte ist das Rätsel dieses Vorgangs weniger die Brexit-Entscheidung als solche als vielmehr die Frage: Warum jetzt? Vier Jahrzehnte nach dem Ende des Empires und dem EU-Beitritt des Landes. Warum erlebt das Vereinigte Königreich, das Mutterland des politischen Pragmatismus, erst jetzt, in unseren Tagen, diese völlig unerwartete Transformation vom Realismus hin zur Fantasie, ja Halluzination unter Führung des englischen Nationalismus?
Für die EU bedeutet der Brexit, dass zum ersten Mal (wenn man von dem Austritt des eher randständigen Grönlands in den 80er-Jahren einmal absieht) die Europäische Union nicht mehr weiterwachsen, sondern schrumpfen wird. 65 Mio. Briten würden fortan nicht mehr der EU und ihrem gemeinsamen Markt angehören. Die nach Deutschland zweitgrößte nationale Volkswirtschaft Europas und gemeinsam mit Frankreich stärkste Militär- und Nuklearmacht, neben Frankreich zudem mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten, würde fortan wieder ihre eigenen Wege gehen und sich von jenem Prinzip »Integration«, das die europäische Nachkriegsgeschichte so überaus erfolgreich geprägt und die EU mit ihrem gemeinsamen Markt überhaupt erst möglich gemacht hatte, definitiv verabschieden.
Gewiss, die Briten waren erst 1973 zur EU gestoßen (damals noch EWG) und mental eigentlich nie wirklich ganz dabei. Sie sahen in Europa immer nur eine Art verbesserter Freihandelszone und erhandelten sich im Laufe ihrer Mitgliedschaft zahlreiche Ausnahmeregelungen, mittels derer sie sich eher am Rand des europäischen Spiels aufhielten als in dessen spielgestaltender Mitte, waren dadurch mehr Bremser als Motor des europäischen Einigungsprozesses gewesen, und vielleicht würde es ja sogar ohne diesen Bremser in der Union einfacher vorangehen. In den Fragen aber, in denen das britische nationale Interesse mit den Interessen der EU übereinstimmte, wie in manchen Sicherheits- und Handelsfragen oder bei der Osterweiterung der EUEU