Stephan Knösel
Lukas Undercover –
Wie man alles verbockt und doch gewinnt
Band 1
Mit Illustrationen von Reto Klindt
FISCHER E-Books
Stephan Knösel, 1970 geboren, lebt mit Frau und zwei Kindern in München. Er arbeitet als freiberuflicher Drehbuchautor und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Für seinen Roman »Echte Cowboys« erhielt er das Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium 2011, die Auszeichnung Buch des Monats, Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, Volkach, Februar 2011 sowie den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur 2010. Sein zweiter Jugendbuchroman »Jackpot - wer träumt, verliert« war 2013 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Oh nein! Lukas und seine ganze Familie müssen ins Zeugenschutzprogramm, weil Lukas eine Bande von Kriminellen hat auffliegen lassen. Was das bedeutet? Ganz großer Mist! Neue Namen, Umzug in ein Kaff am Ende der Welt und vor allem die Ansage: BLOSS NICHT AUFFALLEN! Wie soll das denn bitte gehen?! Lukas ist schließlich berühmt für seine Streiche - und außerdem doch jetzt ein Held! Als er in der neuen Schule ausgerechnet neben die coole Elena gesetzt wird und die ihn für einen absoluten Strebertrottel hält, hat Lukas die Nase voll: Undercover hin oder her, das kann er nicht auf sich sitzen lassen. Und schon ist das Chaos vorprogrammiert ...
Eine rasante Krimikomödie um einen liebenswerten Helden undercover - actionreich, witzig und schräg, zum Mitfiebern und Schlapplachen!
Der zweite Band von Lukas Undercover erscheint im Herbst 2022
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2022 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstrasse 144, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Reto Klindt unter Mitarbeit von Dahlhaus & Blommel Design GmbH
Coverabbildung: Reto Klindt
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0406-6
Für Phil,
den wahrscheinlich immer noch
größten Rabauken der Welt
Angefangen hat alles an einem superlangweiligen Samstag. Warum der so langweilig war? Mein Vater hatte mal wieder eine »Idee« – und zwar so eine typische Erwachsenen-Idee. Wir saßen gerade beim Frühstück, ich schmierte mir ein Honigbrot, mein Vater griff nach der Butter – dann erstarrte er plötzlich mitten in der Bewegung. So als hätte man bei ihm auf die Pause-Taste gedrückt. Im nächsten Moment riss er die Augen auf und grinste so breit wie ein Lastwagen. Und dann kam der Hammer:
»Ab heute gibt’s am Wochenende kein Handy!«
Ich kann mir vorstellen, was ihr euch jetzt denkt. Aber zu seiner Verteidigung muss ich sagen: Mein Vater ist eigentlich ganz nett. Nur manchmal verliert er vorübergehend den Verstand.
»Was?!«, krächzte mein Bruder.
Ich konnte leider gar nichts sagen. Mein Honigbrot war quer in meinem Hals stecken geblieben.
»Bevor ihr jetzt gleich losmault, diese Regel gilt nicht nur für euch«, sagte Papa. »Sondern auch für Mama und mich.«
Als ob das ein Trost wäre! Ich trat meinem immer noch fassungslosen Bruder unter dem Tisch gegen das Schienbein. Wir brauchten jetzt dringend seine Superkraft. Mein Bruder konnte nämlich auf Kommando losheulen – so richtig mit Tränen und hochrotem Kopf. Damit hatte er neulich erst aus einer Drei im Deutschaufsatz noch eine Zwei minus gemacht.
Generell war das eine hervorragende Waffe gegen saublöde Erwachsenenideen. Aber dem Kleinen hatte es komplett die Sprache verschlagen. Er schaute Papa nur an, als hätte er gerade erfahren, dass er adoptiert worden war.
Dafür sagte Mama jetzt: »Das wird ganz toll, Kinder!« Und dabei lächelte sie wie ein Engel. Manchmal konnte man fast glauben, sie hätte ihren Beruf verfehlt. Henker im Mittelalter wäre bestimmt auch was für sie gewesen. »Dann haben wir nämlich wieder mehr Zeit füreinander! Und können gemeinsam etwas unternehmen, weil nicht jeder am Handy herumhängt.«
»Du wusstest das schon?!«, krächzte mein Bruder. Er war so entsetzt, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Auch meine Schienbeintritte halfen nicht. Er heulte einfach nicht los!
Mama trank einen Schluck Kaffee. »Aber du weißt doch, Schatz: Papa und ich treffen unsere Entscheidungen immer gemeinsam.«
Es war also ein Komplott! Die zwei hatten sich mal wieder gegen mich und meinen Bruder verbündet. Kurz hoffte ich, dass er doch noch zu weinen anfing – aber dann sagte er nur: »Kein Handy …?« Was nun wirklich nicht besonders hilfreich war.
»Neeeein, Schnuppelchen – nur am Wochenende nicht«, erklärte Papa.
»Aber computern dürfen wir noch, oder?«
Da schüttelte Mama noch mal den Kopf. »Am Montag wieder! Versprochen.«
Mein Bruder räusperte sich schüchtern, obwohl er eigentlich gar nicht schüchtern war. »Und … fernsehen?«, fragte er mit zitternder Unterlippe.
»Das dürft ihr natürlich schon … doch erst am Abend.«
Mein Honigbrot steckte immer noch in meiner Speiseröhre fest – aber wenigstens schon mal ein Stockwerk tiefer, so ungefähr auf Brusthöhe, so dass ich wieder einigermaßen sprechen konnte: »Bis zum Abend sind es noch zehn Stunden!«
Papa nickte und strahlte wie ein Bär vor einem Topf Honig. Auch Mama strahlte. Sie drückte Papas Hand. »Ja!«, sagte sie. »Schaut doch mal nach draußen! Es ist so ein schöner Tag! Und wir müssten zum Beispiel mal wieder den Rasen mähen. Dann könnten wir auch gleich die Blumen einpflanzen, die ich gestern besorgt habe.«
»Genau, und der Holunderstrauch müsste mal wieder gestutzt werden«, meinte Papa.
»Äh, Moment mal!«, sagte ich. »Ich unterbrech euch ja nur ungern, aber – ich dachte, ihr wollt was mit uns unternehmen. Und nicht arbeiten!«
Jetzt kam mein Bruder langsam in Form: »Kinder dürfen gar nicht arbeiten!«, rief er.
»Da hast du natürlich recht, Schätzchen«, sagte Mama. »Aber da du von uns ja kein Geld bekommst fürs Rasenmähen, fällt das auch nicht unter Kinderarbeit.«
Mist!
Dann mischte sich Papa wieder ein: »Außerdem seid ihr dabei an der frischen Luft, das ist gesund. Als Eltern ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihr gesund aufwachst.«
Ich war richtig sprachlos. Jedenfalls fast. Ich sagte: »Das heißt, ihr versklavt uns – und kriegt dafür auch noch einen Orden?«
»Jetzt übertreibst du aber«, meinte Mama. »Wir versklaven euch doch nicht. Höchstens am Wochenende.«
Endlich fing mein Bruder doch noch an zu heulen. Aber leider war es da schon zu spät. Heulen funktioniert anscheinend nur, wenn die Tränen ganz schnell kommen – also sofort, nachdem Erwachsene ihre doofen Ideen verkündet haben.
Aber da unsere Eltern ihre Argumente alle schon vor uns ausgebreitet hatten – hatten wir das jetzt verkackt.
Jedenfalls – ohne dieses handyfreie Wochenende wäre der ganze Schlamassel, der danach kam, nicht passiert! Also eigentlich sind Mama und Papa an allem schuld.
Wobei natürlich auch mein Onkel nicht ganz unschuldig war. Aber wenn wir schon so weit zurückgehen, dann muss man fairerweise sagen, dass die Gangster, die hinter meinem Onkel her waren, noch mehr schuld an dem Schlamassel waren.
Jetzt fragt ihr euch womöglich: Gangster – meint der das ernst? Oder ihr fragt euch, warum ich immer nur von meinem Bruder spreche oder von meinem Vater oder ob mein Onkel auch noch einen normalen Namen hat außer Onkel.
Da kann ich euch beruhigen, wir haben alle einen Namen. Nur darf ich euch die leider nicht sagen, jedenfalls nicht unsere richtigen Namen. Aber unsere Decknamen kann ich euch sagen: Ich bin Lukas, mein Bruder heißt Bernhard, mein Vater Christian und meine Mutter seltsamerweise Christine.
Ich meine, Christian und Christine …? Wer denkt sich denn so was aus, wenn man die Wahl hat? Aber gut, das ist deren Sache.
Und mein Onkel heißt jetzt Onkel Martin. Er ist übrigens mein Lieblingsonkel. Er ist zwar auch mein einziger Onkel – aber selbst wenn ich zwanzig Onkel hätte, wäre er garantiert immer noch mein Lieblingsonkel. Warum? Na, zum Beispiel an jenem superlangweiligen Samstag, an dem alles angefangen hat: Wer hat mich da gerettet? Mein Onkel Martin!
Er stand plötzlich bei uns im Garten, weil er sich das Auto meiner Mutter ausleihen wollte – und er hat die Lage sofort erfasst. Ich war gerade dabei, eine Primel einzupflanzen – und ich sag euch, Blumen sind ja schön, aber diese Primel hasste ich in dem Moment noch mehr als ein gewisses Mädchen aus meiner Klasse. Aber zu Onkel Martin musste ich gar nicht erst sagen, dass wir gerade versklavt wurden. So was sieht der selber.
Er ist nämlich einer dieser ganz seltenen Erwachsenen, die den totalen Peil haben und auch sonst supernett sind. Wenn der zum Beispiel auf Bernhard und mich aufpasst, dann müssen wir nicht um zehn Uhr ins Bett – nein, um zehn fängt die Party gerade erst an. Was jetzt nicht heißt, dass Onkel Martin uns Bier gibt oder so was. Echt nicht, nur Cola. Doch mit ihm dürfen wir manchmal sogar Filme »ab 16« anschauen. Das geht bei Mama und Papa überhaupt nicht. Wenn die beiden Bundeskanzler wären, dann müssten wir wahrscheinlich immer noch Teletubbies schauen.
Jedenfalls sagte Onkel Martin, als er uns Kinder bei der Sklavenarbeit sah, zu meiner Mutter: »Schwesterchen, ihr habt die falsche Erde! Dass ausgerechnet dir das nicht auffällt? Damit gehen euch die Blumen doch sofort ein.« Er seufzte etwas übertrieben. »Na, ich muss sowieso zum Baumarkt. Wenn ihr mir einen von euren Zwergen ausleiht, bring ich euch ein paar Säcke Spezial-Erde mit.«
Mama stemmte die Hände in die Hüften und musterte Onkel Martin. »Lass mich raten! Du brauchst wieder mein Auto?«
»Aber nur, um Gutes zu tun«, sagte Onkel Martin. »Zum Beispiel für dich und meinen Lieblingsschwager Blumenerde zu besorgen.«
»Ich komm mit!«, rief ich.
Falls ihr euch jetzt fragt: Und was ist mit seinem Bruder? Lässt er den einfach weiterschuften, während er sich selber aus dem Staub macht?
Da kann ich euch beruhigen: Mein Bruder war gerade zum siebten Mal innerhalb einer Stunde auf dem Klo, weil er angeblich Durchfall hatte. Der konnte prima auf sich selber aufpassen. Außerdem machte er noch etwas sehr Nützliches. Papa hatte unsere Handys nämlich in dem abschließbaren Medizinschrank im Badezimmer eingesperrt. Mein Bruder war gerade dabei, mit einer Büroklammer und Mamas Stricknadel den Schrank aufzubrechen. Das war gar nicht ohne – unsere Eltern sollten das ja nicht bemerken. Deswegen konnte mein Bruder das Schloss nicht einfach kaputt hauen.
Na ja, das war jedenfalls der Grund, warum ich dann mit Onkel Martin in Mamas Kombi saß, anstatt in unserem Garten zu schuften.
Zehn Minuten später passierte dann das mit den Gangstern. Ich fragte Onkel Martin gerade: »Was brauchst du eigentlich im Baumarkt?«
»Farbe«, antwortete er. »Ich hab endlich eine Wohnung gefunden. Die muss aber erst gestrichen werden. Du kannst mir helfen, wenn du willst.«
»Klaro!«, sagte ich.
Wenn ihr euch jetzt fragt: Wohnung streichen – ist doch eigentlich auch Sklavenarbeit, oder? Nein, nicht ganz. Das fällt jetzt eher unter Kinderarbeit, weil Onkel Martin mir immer Geld gibt, wenn ich ihm bei irgendwas helfe. Nicht viel, zwei, drei Euro oder so, aber immerhin. Dabei ist er selber meistens pleite, oder kurz davor.
Noch ein Vorteil war: Wenn man Onkel Martin bei irgendwas half und man zwischendurch Hunger hatte, dann gab es bei ihm keine Karottensticks mit Kräuterquark oder so was, wie bei Mama. Nee, bei ihm gab es – wie es sich gehört – Burger oder Pizza. Und wenn man eine Pizza mit Nutella wollte, dann schaute Onkel Martin nicht komisch, nein. Dann machte er einem einfach eine Pizza mit Nutella. Und dazu gab es Cola. Man konnte es also schlimmer erwischen, als für Onkel Martin Kinderarbeit zu verrichten.
Im Baumarkt war gar nicht viel los. Normalerweise geht es da am Wochenende ab wie im Autoscooter: Alle schieben ihre viel zu voll gepackten, riesigen Einkaufswagen durch die Gänge, und wenn sie dann vor der Kasse abbiegen müssen, kriegen sie die Kurve nicht und bumsen einen an. Diesmal war das seltsamerweise gar nicht so. Ob das an den drei Männern lag, die auf einmal vor uns standen? Keine Ahnung.
Bei dem Typen links mit dem Vollbart hab ich erst mal gedacht: Moment, mit dem stimmt doch was nicht – hat der seine Oberschenkel an den Schultern hängen? Erst dann hab ich gesehen, dass das tatsächlich seine Arme waren – die waren nur extrem muskulös. Deswegen hatte er vermutlich auch – anders als seine Mitgangster – keine Waffe in der Hand. Was ich irgendwie ganz fair fand von ihm.
Allerdings hatten die beiden anderen auch keine richtigen Waffen. Der in der Mitte mit den kurzen grauen Haaren und dem Bierbauch hatte sich anscheinend aus einem Regal einen Hammer genommen, das Ding hatte noch sein Preisschild dran. Und der große Typ rechts mit der krummen Nase war mit zwei Kurzsägen bewaffnet, in jeder Hand eine, auch die sahen noch ganz neu aus.
Das fand ich jetzt wiederum ein bisschen doof. Erstens waren die zu dritt und wir nur zweit. Wobei man fairerweise sagen muss, mein Onkel war nicht gerade Mitglied im Kirchenchor – der hat schon als Grundschüler wahnsinnig gern Fieslinge vermöbelt. Als Jugendlicher hat ihm das sogar noch mehr Spaß gemacht, und als Erwachsener war das dann sogar mal sein Beruf gewesen.
Er war also nicht gerade hilflos. Deswegen machte ich mir auch erst mal keine Sorgen.
Bis ich merkte, dass Onkel Martin ziemlich besorgt aussah! Das konnte eigentlich nur eins bedeuten: dass die Typen vor uns wahrscheinlich doch gefährlich waren. Und da wurde ich natürlich sauer.
Ich meine, der eine hat Oberschenkelarme, der andere einen Hammer und der dritte zwei Sägen! Und die einzigen Waffen, die ich hier in der Farbenabteilung entdeckte, waren ein paar Pinsel und diese Malerrollen zum Weißeln!
Gut, im Gang gegenüber gab es gerade Klobürsten im Angebot. Doch damit hätte ich dem einen höchstens in der Nase rumbohren können, groß genug war sie ja. Zum Glück hatte Onkel Martin da aber schon eine bessere Idee.
Er hatte plötzlich zwei Farbtuben in der Hand, die eine blutrot, die andere kackbraun. Es waren diese Farbtuben zum Mischen. Man gab einen Klacks Rot in einen Eimer mit weißer Farbe, dann hatte man Rosa, und damit konnte man dann seine Wand streichen, wenn man Rosa mochte oder ein Mädchen war. Und aus einem Spritzer Kackbraun wurde – vermischt mit Weiß – so ein Milchkaffee-Beige, das gefiel Onkel Martin ganz gut.