Einfach unwiderstehlich

Inhaltsverzeichnis

Tim O’Brien
Going After Cacciato

und es ist ’ne Geschichte,

 

 

 

 

 

Sean

Das Ende der Party kündigt sich an. Ich komme ins Windham House, gerade, als das letzte Fass angezapft wird. Der Deal in der Stadt ging in Ordnung, und ich habe etwas Bares, also kaufe ich ein bisschen Gras von diesem Erstsemester, der im Spielzimmer im Booth wohnt, und werde high, bevor ich zur Durstigen-Donnerstag-Fete komme. Im Wohnzimmer ist ein Quarter-Spiel im Gange, und Tony füllt einen Krug mit Bier.

Ich frage ihn: »Was läuft denn so?«

»Hey, Sean. Hab meinen Ausweis verloren. Die Pub ist gestorben«, sagt er. »Brigid ist ganz scharf auf den Typ aus L.A. Willste mitmachen?«

»Ist okay«, sage ich. »Wo sind die Becher?«

Ich hole mir etwas Bier und merke, dass dieses heiß aussehende Mädchen aus dem ersten Semester mit den kurzen blonden Haaren, das ich vor ein paar Wochen gebumst habe, nahe beim Kamin steht. Ich will hingehen und mit ihr reden, aber Mitchell Allen gibt ihr schon Feuer, und ich will nichts damit zu tun haben. Also lehne ich mich gegen die Wand, höre mir REM an, trinke mein Bier aus, hole mir noch welches und behalte die aus dem ersten Semester im Auge. Dann kommt ein anderes Mädchen, ich glaube, Deidre heißt sie, schwarzer Irokesen-Schnitt, der schon antiquiert und modisch aussieht, schwarzer Lippenstift, schwarzer Nagellack, schwarze Kniestrümpfe, schwarze Schuhe, hübsche Titten, ganz guter Körper, siebtes Semester, und sie trägt ein schwarzes Top, obwohl es in dem Raum ungefähr vierzig Grad minus ist, und sie ist betrunken und hustet, als hätte sie TB und säuft Scotch. Ich hab sie mal im Buchladen einen Dante klauen sehen. »Kennen wir uns?«, fragt sie. Wenn das ein Witz sein soll, dann ist er einfach ganz blöd.

»Nein«, sage ich. »Hi.«

»Wie heißt du?«, fragt sie und versucht, die Balance zu halten.

»Peter«, sage ich zu ihr.

»Ach, wirklich?«, fragt sie und sieht verwirrt aus. »Peter? Peter? So heißt du nicht.«

»Heiß ich doch.« Ich habe immer noch das aufregende Erstsemester im Visier, aber sie will nicht hersehen. Mitchell reicht ihr noch ein Bier. Es ist zu spät. Ich schaue wieder Dede Dedire an oder wie sie heißt.

»Bist du nicht im siebten Semester?«, fragt sie mich.

»Nein«, sage ich zu ihr. »Im ersten.«

»Echt?« Plötzlich fängt sie an zu husten, dann trinkt sie von ihrem Scotch, schüttet ihn praktisch und sagt mit abgekrächzter Stimme: »Ich dachte, du wärst älter.«

»Peter. Peter, das Erstsemester.«

Mitchell flüstert ihr etwas ins Ohr. Sie lacht und wendet sich ab. Er flüstert weiter. Sie rührt sich nicht. Das war’s. Sie will mit ihm gehen.

»Also, irgendwie hätte ich schwören können, du heißt Brian«, sagt Deedum.

Ich wäge meine Möglichkeiten ab. Ich kann sofort abhauen, wieder auf mein Zimmer gehen, Gitarre spielen, einschlafen. Oder ich könnte mit Tony und Brigid und diesem blöden Typ aus L.A. Quarters spielen. Oder ich kann dieses Mädchen auf einen Drink ins Carousel außerhalb des Campus mitnehmen und sie dort lassen. Oder ich kann sie wieder mit auf mein Zimmer zurückbringen, hoffen, dass der Franzmann weg ist, mir einen antörnen und sie bumsen. Aber eigentlich will ich das nicht. So sehr stehe ich auch nicht auf sie, aber das heiß ausschauende Erstsemester ist schon mit Mitchell auf und davon, und ich habe morgen keine Seminare, und es ist spät, und es sieht so aus, als wäre das Fass bald leer. Und sie sieht mich an und fragt: »Was ist los?«, und ich denke warum nicht?

Also gehe ich endlich mit ihr nach Hause – sie ist plump, aber scharf, aus L.A., ihr Vater ist in der Musikbranche, aber sie hat keine Ahnung, wer Lou Reed ist. Wir gehen auf ihr Zimmer. Ihre Zimmergenossin ist da, schläft aber schon.

»Ignorier sie«, sagt sie und knipst das Licht an. »Sie ist verrückt. Es ist okay.«

Ich ziehe gerade meine Kleider aus, als die Zimmergenossin aufwacht und beim Anblick meiner Nacktheit ausrastet. Ich gehe unter D’s Decken, aber ihre Zimmergenossin fängt an zu heulen und steigt aus dem Bett, und D schreit sie an: »Du bist verrückt, leg dich schlafen, du spinnst ja«, und die Zimmergenossin geht raus, knallt schluchzend die Tür zu. Wir fangen an rumzumachen, aber sie vergisst ihr Diaphragma, also versucht sie, es einzuführen, drückt den Schaum über ihre

Paul

Wir waren schon zugeknallt, als wir auf der ›Durstigen-Donnerstag-Fete‹ ankamen, und der Abend war noch jung, und das blonde schwedische Mädchen aus Connecticut, sehr groß und jungenhaft, kam zu mir rüber, und ich ließ sie machen. Betrunken, aber immer noch vollkommen bewusst, worauf ich mich da einließ, hatte sie freie Bahn. Ich hatte andauernd versucht, mit Mitchell zu reden, aber der interessierte sich viel mehr für dieses äußerst hässliche, nuttige Mädchen aus dem fünften Semester namens Candice. Kurz Candy. Ich war ziemlich entsetzt, aber was konnte ich schon tun? Ich fing an, mit Katrina zu reden, und sie sah in ihrem schwarzen Heilsarmee-Regenmantel sehr charmant aus und in der Matrosenmütze, unter der ein blondes Haarbüschel hervorlugte, und ihre Augen waren groß und blau, sogar in der Dunkelheit des Wohnzimmers im Windham House.

Jedenfalls waren wir betrunken, und Mitch redete immer noch mit Candie, und da war dieses Mädchen auf der Party, das ich wirklich nicht sehen wollte, und ich war jetzt betrunken genug, um mit Katrina zu gehen. Ich nehme an, ich hätte bleiben können, auf Mitch warten, oder auf diesen Jungen aus L.A. zugehen können, der, obwohl er zu sehr von der Sonne verbrannt war, schöne Muskeln (rotgebrannte Muskeln?) hatte und entrückt genug schien, alles zu versuchen. Aber er trug immer noch seine Sonnenbrille und spielte

Wir gingen immer noch über den Rasen des Commons, als sie das sagte, ihre Fäustlinge unter den Überzieher gesteckt, wir lachten, wirbelten umher, kickten Blätter hoch, und die Musik drang immer noch rüber vom Windham House. Ich wollte diesen Augenblick verlängern, deshalb schlug ich vor, uns nach etwas zu essen umzusehen. Wir hörten auf zu gehen und standen da, und obwohl sie mehr als nur ein bisschen enttäuscht klang, willigte sie ein, und wir gingen von Haus zu Haus und plünderten heimlich die Kühlschränke, wenn wir auch nur ein paar Pepperidge Farm Milanos, eine halbleere Tüte Bar-B-Que-Kartoffelchips und ein dunkles Heineken fanden.

Jedenfalls landeten wir in ihrem Zimmer, echt betrunken, und kamen zur Sache. Sie hielt eine Minute inne und machte sich auf den Weg zur Toilette am Ende des Flurs. Ich knipste eine Lampe an und sah mich in dem Zimmer um, besah mir das leere Bett ihrer Zimmergenossin und ein Poster mit einem Einhorn an der Wand; Exemplare von Town and Country und The Weekly World News (»Ich bekam Bigfoots Baby«, »Wissenschaftler behaupten, dass UFOs Aids verursachen«) lagen um einen riesigen ausgestopften Teddybär verstreut, der in der Ecke thronte, und ich dachte, dass dieses Mädchen zu jung sei. Sie kam wieder herein und zündete sich einen Joint an und drehte das Licht aus. Kurz davor, den Geist aufzugeben,

Sie hatte Paul Young auf ihrem Plattenspieler, und ich lehnte mich über sie, lächelte und sagte: »Nein, wahrscheinlich nicht.« Ich dachte an das Mädchen, das ich im September verlassen hatte.

»Warum nicht?«, fragte sie, und sie sah wirklich nicht mehr besonders schön aus, wie sie im Halbdunkel ihres Zimmers dalag, das einzig echte Licht war die Spitze des Joints in ihrer Hand.

»Ich weiß nicht«, sagte ich, und dann in gespieltem Ernst: »Ich bin vergeben«, obwohl ich es nicht war: »Und du bist betrunken«, obwohl das eigentlich auch nichts damit zu tun hatte.

»Ich hab dich wirklich gern«, sagte sie, bevor bei ihr die Klappe fiel.

»Ich hab dich wirklich gern«, sagte ich, obwohl ich sie kaum kannte.

Ich rauchte den Joint zu Ende und trank das Heineken aus. Dann legte ich eine Decke über sie und stand da, die Hände in den Taschen meines Überziehers. Ich überlegte, ob ich die Decke abnehmen sollte. Ich nahm die Decke ab. Dann hob ich ihren Arm und sah ihre Brüste an, berührte sie. Vielleicht vernasch ich sie, grübelte ich. Aber es war schon fast vier Uhr, und ich hatte eine Vorlesung in sechs Stunden, obwohl die Wahrscheinlichkeit, sie zu besuchen, ziemlich gering schien. Auf dem Weg nach draußen klaute ich ihr Exemplar Hundert Jahre Einsamkeit und schaltete ihren Plattenspieler aus und ging, zufrieden und vielleicht ein bisschen verlegen. Ich war im vierten Jahr. Sie war ein nettes Mädchen. Sie würde sowieso allen erzählen, dass ich ihn erst gar nicht hochgekriegt hätte.

Ging zur Durstigen-Donnerstag-Fete in Windham. Die Geschichte, die ich ’n bisschen angeleiert hatte, gefiel mir nicht, und ich musste an Victor denken und fühlte mich einsam. Judy kam schon betrunken im Atelier vorbei und versuchte mich zu trösten. Wir wurden high, und ich wurde nur noch einsamer, wenn ich an Victor dachte. Dann war es schon spät, und wir sind auf der Party, und es läuft nicht viel: Fass in der Ecke, REM oder ich glaube jedenfalls, es ist REM, schöne, schwerfällige Tanzstudenten winden sich schamlos. Judy sagt: »Lass uns gehen«, und ich bin einverstanden. Wir bleiben. Wir kriegen Bier, das warm und schal ist, aber wir trinken es. Judy verschwindet mit einem Kerl aus dem Fels, obwohl sie, wie ich weiß, in diesen Kerl aus Los Angeles verknallt ist, der mit Tony Quarters spielt, den ich mag und mit dem ich in meinem zweiten Semester hier geschlafen habe, und dieses Mädchen Bernette, die sich mit dem Typ aus L.A. trifft, schätze ich, oder vielleicht mit Tony, und es ist nichts los, und ich überlege, ob ich gehen soll, aber die Vorstellung, wieder ins Atelier zu gehen …

Jemand kommt rein, den ich nicht sehen will, also fange ich an, mich mit diesem yuppieartigen Typ aus dem ersten Semester zu unterhalten. »Bierchen?«, fragt er. Ich schaue zu Tony rüber, frage mich, ob er Interesse anmeldet. Er schaut zu mir rüber, über das ganze Wohnzimmer hin, hält den Krug hoch und zieht die Augenbrauen in die Höhe, und ich kann nicht sagen, ob das eine Einladung zum Quarterspielen oder zum Bumsen ist. Aber wie kann ich diesen Typ abhängen? Aber hier ist jemand, den ich nicht sehen möchte, und wenn ich rübergehe, muss ich an ihm vorbei. Also rede ich weiter mit diesem Spießer. Dieser Typ, der nach jeder harmlosen Information, die er mir weitergibt, in einem Tonfall, der für ihn ganz subversiv cool klingt, zu mir sagt: »Hey, Laura«, und ich sage ihm immer wieder: »Hör mal, ich heiße nicht Laura,

In der Eingangshalle des Franklin House. Eingerissenes Poster von A Clockwork Orange an seiner Tür? Nein, das

»Du hast doch keinen Herpes oder so was, oder?«, fragt er, während wir uns ausziehen.

Ich seufze und sage: »Nein, habe ich nicht.« Wünschte, ich wäre betrunken.

Er sagt, er hätte gehört, dass ich vielleicht so was hätte.

Ich will nicht wissen, von wem er das gehört hat. Wünschte, ich wäre sehr betrunken.

Es ist gut, aber ich bin nicht angetörnt. Ich liege einfach da und denke über Victor nach.

Victor.

Nahm einen Charterflug mit einer DC-10 nach London, landete in Gatwick, nahm den Bus ins Zentrum, rief eine Freundin aus dem College an, die Hasch verkaufte, aber sie war nicht da. Also ging ich spazieren, bis es anfing zu regnen, dann fuhr ich mit der U-Bahn wieder zum Haus der Freundin, wo ich mich vier oder fünf Tage aufhielt. Sah den Wachwechsel im Buckingham Palace. Aß eine Grapefruit an der Themse, die mich stark an das Cover dieses Pink-Floyd-Albums erinnerte. Schrieb meiner Mom eine Postkarte, die ich nie abschickte. Suchte Heroin, konnte aber keines finden. Kaufte etwas Speed von einem Italiener, den ich zufällig in einem Plattenladen in Liverpool traf. Rauchte eine Menge Hasch, das zu viel Tabak enthielt. Auch wenn sie alle dieselbe Sprache sprachen wie ich, waren es alles Arschlöcher. Es regnete viel, es war teuer, also haute ich nach Amsterdam ab. Am Hauptbahnhof spielte einer Saxophon, was ganz hübsch klang. Wohnte mit ein paar Freunden in irgendeiner Souterrainwohnung. Rauchte auch in Amsterdam eine Menge Hasch, verlor aber fast meinen ganzen Vorrat in irgendeinem Museum. Die Museen waren cool, schätze ich. Viele Van Goghs und die Vermeers waren stark. Spazierte herum, kaufte eine Menge süßes Gebäck, viele Matjesheringe. Die Holländer können alle Englisch, daher musste ich gar nicht holländisch sprechen, was eine Erleichterung war. Wollte einen Wagen mieten, konnte aber nicht. Die Leute, bei denen ich wohnte, hatten jedoch Fahrräder, also machte ich eines Tages eine Radtour und sah eine Menge Kühe und Gänse und Kanäle. Ich hielt am Straßenrand an, dröhnte mich ab und schlief ein, wachte auf, schrieb ein bisschen, nahm ein wenig Acid, machte ein paar Zeichnungen, und dann fing es an zu regnen, also radelte ich nach Danoever in eine Jugendherberge, wo ein paar coole Jungs aus Deutschland waren, die etwas Englisch sprachen, und dann fuhr ich zurück nach Amsterdam und verbrachte die

Paul

Das letzte Mal, dass ich Mitchell sah, bevor die Vorlesungen begannen, war im September. Wir lagen wie gewöhnlich auf meinem Bett, und es war früh, vielleicht zwölf. Ich langte über ihn hinweg und zündete mir eine Zigarette an. Die Leute nebenan prügelten sich. Auf der Jane Street war viel zu viel Verkehr, das war es oder irgendwas anderes, was Mitchell so angespannt machte, ihn sich am Weinglas festkrallen ließ. So sehr aufgepasst, so viele Details studiert, so genau überarbeitet, dass ihm alles entgleitet. Was hatte ich hier zu suchen, fragte ich mich dauernd. Mein Vater arbeitete mit seinem Vater in Chicago zusammen, und obwohl ihre Beziehung mehr davon abhing, was in der Wall Street passierte, und über welchen Tisch der andere im Le Français oder im Ritz-Carlton verfügen konnte, gab sie uns dennoch die Gelegenheit, uns zu treffen. In New York trafen wir uns dann in dem Apartment, in dem ich letzten Sommer gewohnt hatte. Wir konnten uns nie in seiner Wohnung treffen, wegen dem »Zimmergenossen-Problem«, wie er mir mit ernster Miene sagte. Meistens trafen wir uns

Oben in der 92sten saßen wir in einem Café und beschimpften eine Kellnerin. Dann nahmen wir ein Taxi downtown und fingen einen Streit mit dem Fahrer an, und er ließ uns aussteigen. 29ste Straße, von Prostituierten angemacht, Mitchell gefällt es irgendwie, oder vielleicht tut er nur so. Er sah in letzter Zeit irgendwie verzweifelt aus. Ich dachte immer, es würde vorübergehen, aber ich gelangte an den Punkt, wo ich wusste, dass das nie geschehen würde. Nur eine große Nacht an der West Side, und er wäre außen vor. Dann so was Lächerliches wie Benedikteier um drei Uhr morgens bei P.J. Clarke’s. … Drei Uhr morgens. P.J. Clarke’s. Er beschwert sich, die Eier seien zu flüssig. Ich zupfe an einem Cheeseburger herum, den ich bestellt habe, aber nicht will, eigentlich nicht. Ich bin erstaunt, dass noch drei oder vier Geschäftsleute von auswärts an der Bar sind. Mitchell isst seine Eier irgendwie auf, dann schaut er mich an. Ich schaue ihn an, dann gebe ich ihm Feuer. Ich berühre sein Knie, seinen Schenkel mit der Hand. »Nicht«, sagt er. Ich sehe verlegen weg. Dann sagt er leise, »Nicht hier.«

»Lass uns heimgehen«, sage ich.

»Zu wem?«, sagt er.

»Mir egal. Gehen wir zu mir. Zu dir? Ich weiß nicht. Mir ist nicht danach, Geld für ein Taxi auszugeben.«

Es wird jetzt deprimierend und spät. Keiner von uns beiden rührt sich. Ich zünde mir noch eine Zigarette an, dann drücke ich sie aus. Mitchell fasst sich immer wieder leicht ans Kinn,

»Möchtest du dich volldröhnen?«, fragt er.

»Mitch«, seufze ich.

»Hmmm?«, fragt er und beugt sich vor.

»Es ist vier Uhr morgens«, sage ich.

»Aha«, sagt er verwirrt, immer noch vorgebeugt.

»Wir sind bei P.J.«, erinnere ich ihn.

»Das stimmt«, sagt er.

»Möchtest du dich … volldröhnen?«, frage ich.

»Also«, stottert er, »ich glaub schon.«

»Warum machen wir …« Ich halte inne, schaue hinüber zu den Geschäftsleuten und schaue weg, aber nicht Mitchell an.

»Warum machen wir …«

Er starrt immer noch und wartet. Das ist blöd.

Ich sage nichts.

»Warum machen wir … warum machen wir was?«, fragt er, grinst, beugt sich weiter vor, die Lippen gekräuselt, das Weiß der Zähne, dieses hässliche Grübchen.

»Es geht das Gerücht, dass du geistig zurückgeblieben bist«, sage ich zu ihm.

In einem Taxi auf dem Weg in mein Apartment, spät, beinah fünf, und ich kann mich nicht einmal erinnern, was wir heute Abend gemacht haben. Ich bezahle den Fahrer und gebe ihm zu viel Trinkgeld. Mitchell hält die Aufzugtür auf, ungeduldig. Wir kommen in meine Wohnung, und er zieht seine Kleider aus und dröhnt sich im Badezimmer voll, und dann sehen wir fern, ein bisschen HBO, eine kurze Weile … und dann legten wir uns schlafen, sobald die Sonne anfing aufzugehen, und mir fiel eine Party ein, auf der wir seinerzeit im College waren, als Mitchell betrunken und wütend versuchte, am frühen Morgen das Booth House anzuzünden … Wir sehen uns jetzt direkt an, atmen beide gleichmäßig. Es ist Morgen jetzt, und wir schlafen nicht, und

Sean

»Das waren die Kennedys, Mann …« Marc erzählt es mir, während er in seinem Zimmer im Noyes abdrückt. »Die Kennedys, Mann, haben es … verbockt … eigentlich war es J… F… K… John F. Kennedy hat es verbockt …Alles verbockt, sieh mal …« Jetzt leckt er sich die Lippen, fährt fort: »Also, da war … unsere Mütter waren schwanger mit uns, als wir … ich meine, er … wurde weggepustet ’64 und diese ganze Geschichte … hat alles verbockt …« Er hält inne, fährt dann fort. »… Auf ’ne bärenstarke Art …« Besondere Betonung auf »bärenstark«. »Und … im Gegenzug … sieh mal, es hat uns in einer bärenstarken Weise aufgerüttelt, als wir … in …« Er hält wieder inne, sieht auf seinen Arm und dann mich an. »Wie soll ich’s nennen …« Sieht wieder auf seinen Arm und dann mich an, dann wieder auf seinen Arm, konzentriert sich, als er die Nadel rauszieht, sieht mich an, immer noch verwirrt. »Ihre … ähm, primordialen Gebärmütter, und, also, deswegen sind wir … ich, du, der Drogenbulle dort gegenüber, die Schwester im Booth, alle sind wir so … ver…stehst … du? … Ist das klar?« Er blinzelt zu mir hoch. »Jesus … denk bloß, du hättest einen Bruder, der ’69 geboren wurde oder so was … die würden … gottverdammt durchdrehen.«

Er sagt das alles echt langsam (das meiste kann ich nicht einmal hören), während er die Pipette neben seinen summenden neuen Computer legt, sein Freund Resin, der aus Ann Arbor zu Besuch ist, sitzt auf dem Boden, gegen den Tisch

Nachdem ich Didi gebumst hatte, kam ich in mein Zimmer zurück, wo Susan war und weinte, alleine. Ich schätze, der Franzmann war in New York. Ich konnte mich nicht mit ihr abgeben, also sagte ich ihr, sie solle gehen, dann fuhr ich zum Burger King in die Stadt und aß auf dem Weg zu Roxanne und musste mich mit ihrem neuen Freund abgeben, diesem großen, üblen Pusher aus der Stadt, namens Rupert. Diese ganze Szene war ein totaler Witz. Sie war so stoned, dass sie mir tatsächlich vierzig Taler lieh und mir sagte, dass The Carousel (wo Rupert auf Barkeeper macht) wegen beschissener Geschäfte schließt, und das deprimierte mich. Ich holte mir das Zeug von Rupert, der gerade sein Knarrenfutteral reinigte und so vollgekokst war, dass er tatsächlich lächelte und mich eine Linie ziehen ließ, und nahm es auf den Campus mit. Die Fahrt nach Hause war eine kalte, lange Pein, mein Rad gab in der Nähe der Collegtore beinahe den Geist auf, und ich schaffte es gerade eben über den zwei Meilen langen College Drive. Ich war einfach zu stoned, und der Burger-King-Fraß

Marc zündet sich eine Mentholzigarette an und sagt, »Ich sag’s dir, Sam, es waren die Kennedys!« Sein Arm ist hochgebeugt, ruht zusammengeklappt auf seiner Schulter. Er leckt sich die Lippen. »Dieses Zeug …«

»Ich hör dich, Bruder«, seufze ich und reibe mir die Augen. »Dieses Zeug ist …«

»Ist?«

»Ist gut.«

Marc saß an seiner Hausarbeit über die Grateful Dead. Am Anfang hatte er versucht, Abstände zwischen den Schüssen zu lassen, damit er nicht abhängig würde, aber dafür war es jetzt irgendwie zu spät. Ich hatte ihm seit September das Zeug besorgt, und er war mit den Zahlungen ins Stottern geraten. Andauernd hatte er mir gesagt, dass er nach dem »Garcia-Interview« etwas Bargeld haben würde. Aber Garcia war schon lange nicht mehr in New Hampshire gewesen, und ich verlor jetzt die Geduld.

»Marc, du schuldest mir fünfhundert Taler«, sage ich zu ihm. »Ich möchte es haben, bevor du abfährst.«

»Mein Gott, was waren das früher … für wilde Zeiten hier …« (An dieser Stelle stehe ich immer auf.) »Jetzt ist alles … anders …« (Blah, blah) »Diese Zeiten sind vorbei … Diese Orte gibt’s nicht mehr …«, sagt er.

Ich starre auf ein Stück zerbrochenen Spiegelglases neben dem Computer und der Pipette, und jetzt redet Marc davon, alles hinzuschmeißen und nach Europa abzuhauen. Ich sehe auf ihn hinunter, sein Atem stinkt, er hat seit Tagen nicht geduscht, seine Haare sind fettig und hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, das Hemd ist fleckig,

»Ich hab morgen ein Seminar«, sage ich zu ihm. »Was ist mit dem Geld?«

»Europa … Was? Seminar? Wer liest da?«, fragt er.

»David Lee Roth. Hör mal, krieg ich jetzt das Geld oder was?«

»Alles klar, alles klar, sshhh, du weckst Resin auf«, flüstert er.

»Ist mir egal. Resin hat einen Porsche. Resin kann zahlen«, sage ich ihm.

»Resin ist pleite«, sagt er. »Ich bin gut für das Geld, ich bin gut dafür.«

»Marc, du schuldest mir fünfhundert Taler. Fünfhundert«, sage ich zu dem trostlosen Junkie.

»Resin denkt, Indira Ghandi wohnt im Welling House«, lächelt Marc. »Sagt, er sei ihr vom Esssaal ins Welling gefolgt.« Er macht eine Pause. »Checkst du … das?«

Er steht auf, schafft es kaum bis zum Bett und fällt darauf, dann rollt er seine Ärmel runter. Er sieht sich im Zimmer um und raucht jetzt den Filter. »Hm«, sagt er und lässt seinen Kopf nach hinten kreisen.

»Du hast doch Geld, komm schon«, sage ich. »Kannst du mir nicht ein paar Dollar leihen?«

Er sieht sich im Zimmer um, klappt eine leere Pizzaschachtel auf, dann blinzelt er mich an. »Nein.«

»Ich bin ein Financial-Aid-Student, Mann, ich brauche etwas Geld«, bitte ich. »Nur fünf Dollar.«

Er schließt die Augen und lacht. »Ich bin gut dafür«, ist alles, was er sagt.

Resin wacht auf und fängt an, sich mit dem Aschenbecher zu unterhalten. Marc warnt mich, ich würde sein Karma runterziehen. Ich gehe. Junkies sind trostlos genug, aber reiche Junkies sind noch schlimmer. Noch schlimmer als Mädchen.

Mein verdammter Radiowecker ging versehentlich um sieben Uhr morgens los, und ich konnte nicht wieder einschlafen, also stolperte ich aus dem Bett, zündete mir umgehend ’ne Kippe an und schloss die Fenster, da es im Zimmer eiskalt war. Obwohl ich kaum meine Augen aufbekam (falls doch, war ich sicher, dass mein Schädel aufplatzen würde), erkannte ich, dass ich immer noch meine Krawatte, meine Unterwäsche und meine Socken anhatte. Mir war nicht klar, warum ich nur diese drei Bekleidungsgegenstände anhatte, also stand ich lange da und starrte in den Spiegel, versuchte, mich an die letzte Nacht zu erinnern, konnte es aber nicht. Ich stolperte ins Badezimmer und duschte, dankbar, dass noch etwas warmes Wasser übrig war. Ich zog mich eilig an und raffte mich zum Frühstück auf.

Eigentlich war es draußen ganz schön. Es war diese Zeit im Oktober, als die Bäume sich gerade anschickten, ihr Herbstlaub zu verlieren, und der Morgen war kalt und knackig, und die Luft roch sauber, und die Sonne schien von sich grau färbenden Wolken verdunkelt und stand noch nicht allzu hoch. Ich fühlte mich aber immer noch furchtbar, und die fünf Aspirin, die ich eingeworfen hatte, bewirkten noch immer nichts. Beinahe hätte ich dank meinem getrübten Blick einen Zwanziger in den Geldwechsler geschoben. Ich ging an der Poststelle vorbei, aber es lag nichts in meinem Fach, da es noch zu früh für die Post war. Ich holte mir Zigaretten und ging in den Speisesaal.

Niemand stand Schlange. Der süße blonde Junge aus dem ersten Semester war hinter der Theke und sagte kein Wort, er trug nur die größte schwarze Sonnenbrille, die ich je gesehen habe, und gab das flüssigste Rührei aus und diese kleinen, braunen Zahnstocher, von denen ich annahm, dass es Würstchen waren. An Essen zu denken, bereitete mir unendliche Übelkeit, und ich sah den Jungen an, der nur