Für meinen lieben Friedel!

BoD – Books on Demand GmbH

© Januar 2022 von Franziska König

Cover: Gemälde von Wolfram König. „Grebenstein“

Covergestaltung: Franziska König & Agentur Baumfalk Aurich

Herstellung und Verlag: BoD –Books on Demand GmbH Norderstedt

ISBN: 9783755731931

Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.

„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.

Drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.

Erzählt werden Geschichten aus dem wahren Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.

Die meisten Vorkömmlinge
finden sich im Personenverzeichnis
am Ende des Buches

Hier die Familie vorweg:

Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in Trossingen

Rehlein (Erika), unsere Mutter (*1939)

Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)

Ein Buch ohne Vorwort.
Sie können gleich anfangen zu lesen…

Februar 2003

Inhaltsverzeichnis

Samstag, 1. Februar

Aurich/Ostfriesland

Verschneit, ein wenig bleich,
wolkig und doch sehr angenehm

Erneut hatte mich ein nächtlicher Traum bis nach China katapultiert:

Ich befand mich wieder in unserem nach kaltem Tabak müffelnden, karg möblierten Hotelzimmer, und im Bad fiel mir eine Plombe aus dem Mund, klatschte mit einem feintönenden „Pling“ auf der Klobrille auf, und machte noch einen kleinen Hupfer in die Höh´, bevor sie auf dem Boden aufschlug und hinwegrollte.

Kaum hatte ich mich mit diesem Schlag auseinandergesetzt und mir eingestanden, daß dies nun wohl leider kein Traum sei, da fiel mir auch noch ein Frontzahn aus, der eine äußerst unschöne, nicht zu übersehende schwarze Lücke hinterließ, die ins Nichts zu führen schien.

Und dann war´s gottlob doch bloß ein Traum, über den der Realistische jedoch zu denken geneigt ist: „Heut´ nur ein Traum – und morgen schon ein saurer Apfel, in den hineinzubeißen es nun gilt?“

Bettschwer wuchtete ich mich in den Tag hinein, denn am Erhebungsvorgang - für einen jungen, lebensfrohen Menschen eine Selbstverständlichkeit - muß man in meinem Alter bereits richtig arbeiten.

Frühstück mit Eri:

(Ein Satz wie aus dem Tagebuch von Thomas Mann)

Der Schwarztee, der zum Frühstück serviert wurde, weckte überraschend einen ungeheuren Unternehmungsgeist in uns Damen. Wir fühlten uns direkt so, als seien wir vom Aurasauger besaugt worden, und die gereinigte Aura würde ganz automatisch eine Fülle an neuen Freunden und Freuden ansaugen.

Kaum hatte sich dies wundervolle Gefühl über der Teetafel ausgebreitet, da rief Buzens kleiner Schüler Henning an, um Rehlein und mich für den kommenden Dienstag zum Tee zu bitten.

So sehr mich die Einladung beim kleinen Henning auch freute – meine Bürozeiten wollte ich indes unbedingt einhalten, und so tat ich am Telefon so, als sei ich berufstätig. Ein aufregendes Gefühl, denn während ich es sagte, war ich es auch.

„Dienstags muß ich immer bis 17 Uhr arbeiten!“ sagte ich gewichtig.

Kurz darauf rief unsere neue Freundin Monika, die aus dem Saarland nach Ostfriesland herbeigezogene Schwester unserer alten Freundin Thekla an, und die Monika sprach eine Einladung zum Frühstück aus.

Alles in unserem Leben schien sich zum Guten wenden zu wollen, denn wenn man eingebettet in Behagen als Teegast herumsitzt, dann braucht man zumindest stündchenweise kein Gold und keine Reichtümer mehr.

Die Zeit scheint zum Stillstand gekommen – das Glück fest eingerastet.

Gestern, so berichtete Rehlein, habe der Onkel Hambum angerufen, und sei so warm und freundlich gewesen, wie Rehlein ihn noch kaum gekannt hatte. Ich aber wußte zu berichten, daß der Onkel immer so warm und freundlich sei, wenn er abends einen guten Tropfen getrunken habe – und dies müsse doch einmal ganz klar und deutlich zur Sprache gebracht werden: Daß nämlich ein edler Tropfen zur rechten Zeit am rechten Ort eine Wohltat ist!

Die Gespräche modulierten fort, und bald schon sprach Rehlein über die kleine Daaje, die schon jetzt auf professoraler Ebene grußlos durch Rehlein hindurchzuschauen pflegt, wenn man sich irgendwo begegnet. Bei einem Besuch in Mings Ashram in Ofenbach habe sie sich mit einem Buch auf´s Sofa gefläzt, und Rehlein als Gastgeberin überhaupt nicht beachtet, und dabei hatte Rehlein doch extra Köstlichkeiten für die Kinder gebacken.

Einmal auf die Entrüstungsschiene geraten, entrüstete sich Rehlein auch noch ein bißchen darüber, daß Kinder sich immer so viel herausnehmen dürfen, bloß weil´s halt Kinder sind.

Z.B. einfach auf Mings Marienkäfer, einem Gefährt für Kleinkinder auf vier Rädern herumzufahren und den Boden zu zerkratzen, oder Mings rotes Sofa, das Clintonsofa*, zu behopsen.

*Dieses selten zu lesende Wort hat seinen Ursprung darin, daß wir es zur Ära Bill Clintons gekauft haben. Nach den Mühen des Tages pflegten Ming & ich uns auf dem Sofa niederzulassen, und fühlten uns dabei augenblicklich, und ohne daß wir es vorhatten, wie Bill und Hillary Clinton, wenn sie sich abends zusammensetzen, und den Erlebnissen und Erkenntnissen des Tages hinterhersinnieren.

„Bill! Einen Penny für deine Gedanken!“

Rehlein gefiel meine Idee, in Zukunft mit Hilfe der Hundertstelsekunden auf der Stopuhr alles auszulosen, was man tun solle, und bevor ich mich anschickte, auf den Markt zu radeln, legten wir eine Ausloseliste für Rehlein an.

Ich freute mich sehr, daß meine liebe Mama so etwa neun bis zehn Hobbys hat, die man auf diese Liste setzen konnte.

„Du wirst sehen, durch die Stopuhrmethode wird dein Leben zu einem Hochgenuss!“ prophezeite ich bedeutsam. Man bekäme davon viel mehr Lebenslust, denn Fleiß gebiert immer neuen Fleiß, und das Nutztier „Mensch“ kann nur blühen und gedeihen, wenn es Nutzbringendes tut.

Ein Auslosepunkt auf Rehleins Liste lautete, ihrem Neffen Rifflein in Amerika einen langen aussagekräftigen Brief zu schreiben, und diese entlegene Tätigkeit, die man unter normalen Umständen wohl kaum in Angriff genommen hätte kam zum Zuge., und nun konnte es einem gar nicht schnell genug gehen, daß das Rifflein den prallen Brief freudig aus dem Postkasten fischt, sich eine Tasse Kaffee aufbrüht, die Füße auf den Tisch bettet und interessiert darauf herumzulesen beginnt.

Das Rifflein als Lesender schickt seine Gedanken in die Ferne nach Europa, während sich Rehleins Abenteuer in der Stube in Amerika ausbreiten.

Schmerzlich bewehte uns der Gedanke, daß wir viel zu wenig Genuss an unserem Vetter und Neffen haben. Wie schön wäre es jetzt gewesen, wenn wir bereits vor mehr als einer Woche ein Päckchen losgeschickt hätten, von dem man sich nun freudig hätte ausmalen können, daß es heute mit der Post geliefert würde.

Gespannt entschält das Rifflein das liebevoll ausgesuchte Geschenk dem Geschenkpapier. Solcherart, wie ein Bräutigam seine Braut dem Hochzeitskorselett.

Wieder fühlte ich eine leichte Säure gegenüber der zwitschrigen Tante Bea, warum sie damals - und nur um sich wichtig zu machen und vor der Verwandtschaft aufzuplustern - nach Amerika auswandern mußte? Bloß, daß sie jetzt in einem fernen Ort lebt, der nichts weiter ist als eine glanzlose Mischung unserer beiden Wohnorte Ofenbach in Niederösterreich und Aurich in Ostfriesland.

Ich radelte auf den Markt.

In der Nikolaistraße begegnete mir Frau Lüvers mit dem Rollator.

Unverdrossen sprach sie augenblicklich eine Einladung aus, obwohl es eigentlich kaum etwas Komplizierteres zu geben scheint, als einen Termin zu einem gemütlichen Miteinander mit einem durch den Rest des Lebens hastenden Erwachsenen abzumachen, weil die Menschen, die sich laut Udo Jürgens der Ziellinie des Lebens entgegenbewegen, so sehr mit ihrem bißchen Zeit geizen müssen.

„Ja gerne! In vierzehn Tagen!“ pflegt unser seemannsartiger Freund Herr Berke zu diesem Ansinnen zu sagen.

„Ja gerne!“ sagte auch ich….

Ich besuchte den Biostand, wo zwei blonde junge Mädchen mit langem Haar aus purem Gold bedienten, und eine von ihnen trug ihren Ohrring gar auf der Stirn!

Nach dem Einkauf setzte ich mich ins Zentralcafé. Vor mir saß eine Familie mit zwei kleinen Buben, die beide graue Pullover trugen, die aus der gleichen Wolle gestrickt worden waren. Der Kleine war kaum dem Babyalter entwachsen, und schaute mich mit dem Schnuller im Munde hie und da ganz undefinierbar an.

Die blonde Mutti, die ich leider nur von hinten kennenlernen durfte, war sehr dick, so daß die Maschen ihrer Strickjacke nach Art eines Expanders empfindlich in die Länge gezogen wurden. Der breite Rücken ging nahtlos in den ausladenden Hüftspeck über, und ich hoffte und glaubte, daß es bei mir noch nicht so weit wäre, obwohl ich mich von hinten strenggenommen nicht sehen kann…

Ob in irgendeinem Tagebuch dieser Welt etwas über meine Rückansicht zu lesen steht?

Wieder daheim:

Rehlein saß, einen malerischen Anblick bietend, vor der Staffelei, und pinselte kunstvoll an einem Gemälde herum, und so schlich ich mich auf Zehenspitzen in meine Kammer hinauf, um Rehlein bei ihrem künstlerischen Treiben nicht zu molestieren. Es schneite leicht, und plötzlich fuhr die Stephanie, eine im gegenüberliegenden Haus ansässige „Tochter des Hauses“, zirka dreißig Jahre alt, in ihrem Auto vor. In ihrem warmen und leider nach kaltem Tabak müffelndem Auto, so bildete ich mir ein, breitete sich eine große Heimkehrungsfreude aus, die selbst ich oben am Fenster regelrecht mit Händen zu greifen glauben konnte. Man war nur ein paar Tage weg, und doch schien einem plötzlich alles so fremd und geheimnisvoll. Solcherart, als sei man in der Zwischenzeit alt geworden, und kehre nochmals an die Stätte seiner Kindheit zurück, wo nichts mehr so ist, wie es einmal war.

Wenig später konnte man die Stephanie im Schein der Lampe am Tisch in der Stube sitzen sehen.

Während ich noch den Teestisch deckte, war Rehlein so begeistert von ihrem Gemälde.

Rehlein wurde quirlig und fröhlich, wir nahmen den echten Otloff* von der Wand,

*Ein Gemälde von Mings unehelichem Exschwiegervater und hängten stattdessen Rehleins Gemälde an den Bilderhaken über dem Fernseher.

Beim Teetrinken besannen wir uns auf den Tagesjubilatoren: Mings anderen ehemaligen unehelichen Schwiegervater Opa Rudi, der heute 75 Jahre alt würde.

„Den rufen wir jetzt an!“ beschloss Rehlein….

Der Opa Rudi war so begeistert von unserem Anruf, daß er frug, ob er uns wohl laut stellen dürfe, damit die ganze Familie Freude an uns hat?

Rehlein zwitscherte ihre früchtebrötern üppigen Gratulationen in den Hörer hinein. Reich garnierte Worte, die sich der Opa Rudi dem Sinne nach heut schon den ganzen Tag anhören mußte, und so ist es eben mehr ein oberflächliches zweistimmiges Telefonat ohne rechten Tiefgang geworden.

Rehlein hatte ihren wunderschönen langen Brief an das Rifflein - verfasst auf ihrem allerbesten englisch - bereits fertiggestellt, schickte ihn jedoch dem Beätchen, weil wir nicht einmal die Email-Adresse vom Rifflein kennen, - derart porös ist der Kontakt!

Ich stellte mir vor, wie das Beätchen ihren eigenen Sohn einfach vergessen hat. Erst beim Lesen von Rehleins Brief fällt er ihr wieder ein. Dann schreibt sie womöglich: „Von diesem Menschen haben wir seit Jahren nichts mehr gehört. Wo wohnt er überhaupt?“

Man denkt immer, man hätte alles im Kopf, und dann vergisst man etwas derart Zentrales.

Sonntag, 2. Februar

Feucht und schmuddelweiß bewölkt.
Hier und dort Schneekrusten

Heute träumte ich wieder so überaus üppig: Z.B., daß die Nachrichtensprecherin der ARD die Nerven verlor, weil der Irakkrieg ausgebrochen war.

Jetzt mußte man damit rechnen, daß beständig Geschosse auf einen herab fallen, und tatsächlich sah ich beim Blick aus dem Fenster, wie eine riesige funkensprühende Brennschere bei Dunkelheit beinahe in eine entsetzte Menschenmenge hineingefallen wäre.

Dann wiederum träumte ich, daß die Gerswind schöpferisch tätig werden wollte, und dabei an etwas ganz Großes und Weltbewegendes dachte: Einen JESUS-Film zu drehen, um einen Jahrtausende alten Irrglauben zurechtzurücken. Sogar einer ganz unpersönlichen Kontrollöse in der Eisenbahn - einer Dame mit einem schmückenden kleinen Hütchen auf dem Kopf - hatte sie eine Rolle zugedacht.

In warmem Sonnenschein mußte ich nochmals zu meinem Auto am Busbahnhof zurücklaufen, weil ich dort meine Geige vergessen, und es hinzu im absoluten Halteverbot hingeparkt hatte. Hierzu galt es, eine große breite Trappe zu besteigen, und mitten auf dieser Treppe begegnete mir eine Dame, die ein Kuchentablett vor sich her balancierte, und mir ein Stück Kuchen anbot. Freudig griff ich nach einem Hummerförmigen Gebäckstück, und aß zwei frackschoßartige Gebilde davon hinweg. Soweit mein Traum.

Frage an die Leserschaft: Würde man den gerne weiterträumen – oder sollte man – wie empfohlen – den Blick nach Vorne gerichtet dem Alltag die Stirn bieten?

Manchmal bin ich mir nicht so ganz sicher, ob man sich im Traum oder im wahren Leben befindet, und somit erhob ich mich in eine gewisse Ungewissheit darüber hinein, ob ich mich jetzt wohl in der Realität befinde oder nicht?

Soeben war ich doch noch durch Sonnenschein gelaufen. Jetzt aber schippte Rehlein Schnee, und ich deckte den Tisch.

Alsbald setzten wir uns zum Frühstück nieder.

Wir schauten einen Film mit Robert Atzorn, der einen knallharten Typen spielte, der sehr viel Geld gescheffelt hatte, nun aber von einer seltenen Krankheit heimgesucht wurde. Einem Nervenleiden, an welchem wegen dem hohen Seltenheitsgrad noch kaum herumgeforscht worden war.

Mittags schauten wir eine russische Knastdoku an. Porträtiert wurden einige lebenslängliche Knastinsassen, die auf einer Knastinsel, umtost und umspült von eiskaltem Gewässer, ein trostloses Leben fristeten, so daß man deutlich sehen konnte, daß es Leute gibt, die nicht zu beneiden sind – auch wenn sie russisch sprechen - und wie gerne spräche ich fließend russisch!

Ein armer Knastbruder sprach davon, daß es das Schlimmste sei, den Rest des Lebens mit irgendeinem Zellengenossen zu verbringen, der einem von irgendwelchen grobklotzigen Beamten bar jeglichem Feingefühl zugeteilt wird.

Auf der anderen Pritsche saß eine stumme Gestalt unter einer enganliegenden Haube, die sich diese demütigenden Worte mit anhören mußte.

Das was man sich erzählen konnte, sei bereits gesagt, fuhr der arme Knastbruder in seiner Rede fort.

Rehlein, mit bald 64 Jahren nun an der Schwelle zur Rückblicksphase stehend und sich auf der Suche nach alten Freunden und Verwandten befindend, hatte heut schon rund telefoniert, und den Rainer aus Künzelsau* erreicht, der als rechtschaffener Schwob in einem großen Haus mit 14 Zimmern lebt, und Rehlein wie unter Schwaben üblich, ganz normal behandelte.

*Ein extrem weit entfernter Verwandter: Seine Stiefomi war in zweiter Ehe mit Omi Mobblns Onkel Paul verehelicht

Um 16 Uhr führte auch ich einige unaufschiebbare Telefonate, indem ich den Jubilatoren Heiko anrief, der nicht nur Sohn und Erstling seines frisch betagten Vaters Rudi, sondern auch noch dessen Geburtstagsnachbar ist.

Gottlob verkniff sich der Heiko jene Worte, denen die Veronika in mir bereits entgegengebangt hatte:

„Das geht jetzt aber nicht, daß du jeden Tag anrufst. Es gibt nämlich durchaus auch noch einen arbeitenden Teil in der Bevölkerung. Das vergesst ihr Musiker zuweilen!“

„Ich habe mir für den noch so frischen Monat Februar vorgenommen, ab jetzt jeden Tag anzurufen!“ scherzte ich fröhlich.

Der Heiko entschuldigte sich dafür, daß er neulich so schlecht gelaunt gewesen sei. Etwas, das ich eigentlich nicht gemerkt, so jedoch geahnt hatte.

Ich fand es ganz toll, daß sich der Heiko für etwas entschuldigte, das man gar nicht gemerkt hat, und von den dadurch ausgelösten Verbundenheitsgefühlen getragen, wurde ich sehr plauderfreudig, und erzählte von Frau Kettler, deren Computerlehrer sie einmal aus einem üblen Launentief heraus vor der ganzen Klasse zur Schnecke gemacht hatte, als sie ihm eine höfliche Frage stellte, aus der jedoch hervorging, daß sie soeben nicht zugehört hatte.

Doch am nächsten Tag rief er an und entschuldigte sich wortreich und höflich. Dies fand Frau Kettler ganz toll. Seither mögen sie sich wieder, und Frau Kettler geht nochmal so gern in die Computerschule.

Heiko und Moni sind heute schon ihrer Bürgerpflicht nachgegangen und waren beim Wählen. Die Wahl fand in der Musikschule statt.

Sogar Heikos kleines Töchterlein Isabella politisierte mich am Telefon an. Sie sagte, daß man die SPD eigentlich nicht mehr wählen dürfe, und so habe man mit sich gerungen, ob man der SPD wohl noch eine Gnadenstimme geben solle, oder lieber doch nicht?

Doch wenn alle so dächten?

Die Plauderfreudigkeit nahm Fahrt auf, und ging so weit, daß sie in einen spontanen Besuch mündete.

Kurzerhand radelte ich in die Graf-Ulrich-Straße. Doch die etwa zwei Kilometer lange Radelei strengte mich derart an, als wolle ein normaler Mensch eine Reise bis hinter den Ural in Angriff nehmen.

Ich setzte diffuse Erwartungen in diese Einladung zum Tee, und stellte mir vor, ich sei eine einsame alte Frau, die nach vielen Jahren plötzlich und unerwartet zum Tee geladen wird, und sich nun freudig im Sauseschritt dorthin begibt, um Kälte und Einsamkeit für ein paar Stunden zu vergessen.

Die kleine Isabella in ihrer lustig gemusterten Kinderstrumpfhose öffnete mir die Tür, und Vati Heiko war sehr erfreut über mich als Gast. Ich erzählte, daß Rehlein aus jenem Grunde nicht mitgekommen sei, weil sie gemeint hatte, es wären nur junge Leute da. Es waren aber fast nur Alte und sogar Uralte zu Gast, und der Heiko versicherte mir glaubhaft, daß man bislang hauptsächlich über Zipperlein gesprochen habe.

Ich setzte mich bergend neben die verschmuste Omi Ingeborg, auf deren Zügen stets ein liebes und wärmendes Lächeln für einen eventuellen Sitznachbarn bereitsteht. An diesem schönen Platz auf Erden wurde ich gleich so rührend verwöhnt:

Mit einem roten Begrüßungscocktail und einem köstlichen Whiskytörtchen.