Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2017
Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Lektorat Uwe Naumann
Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt
Umschlagabbildung Natpant Prommanee/shutterstock.com
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.
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ISBN 978-3-644-05381-6
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-05381-6
Das gute Leben des Franc Šivic
Selten war ich so glücklich, auf jemanden warten zu müssen. «Nehmen S’ den Schweinsbraten mit Honigkruste, gnädige Frau.» Empfiehlt der Ober und holt den Block aus der langen schwarzen Schürze. «Mit Knödel!» Sein Deutsch klingt wienerisch. «Und was wünschen S’ zum Trinken?» Mit einem Seitenblick auf das tropfende Hörnchen in meiner Rechten rät er zu Wein. «Bier auf Eis, da kriegen S’ Leibschmerzen.» Ein Eis ins Restaurant mitzunehmen, das gehört sich nicht im alten Europa. An diesem Abend habe ich es einfach vergessen, so verzaubert bin ich von dieser Stadt, dem vergnügten Treiben um mich herum. Ein Tafeln und Flanieren, ungeniert küssende Paare, an den Ufern des Flüsschens Ljubljanica ist Hochbetrieb. Jeunesse dorée, leicht bekleidet, und alte Zausel, Händchen haltende junge Männer. Hier und da Frauen mit dunklen Kopftüchern, Bosnierinnen, auch sie scheinen sich wohl zu fühlen. Es ist südlich warm, geradezu schwül, und das Anfang September. Es ist mein erstes schwarzes Eis, grauschwarz von Mohn, eine von vielen Überraschungen in diesen Tagen des Wartens. Am Himmel über der Burg sind unbemerkt riesige Quellwolken aufgezogen. Ein letzter Sonnenstrahl lässt die rosafarbenen Türme der Franziskanerkirche erglühen.
Franc Šivic, der «Bienenkönig», wird erst am 8. September zurück sein. Schrieb er gestern. «Erst an Mariä Geburt bin ich wieder zu Hause, das ist Feiertag für uns Katholiker.» Seine SMS erreichte mich am Grenzübergang, im Niemandsland zwischen Österreich und Slowenien. Eigentlich waren wir fest verabredet. Auf meine englisch formulierte Bitte, mir seine Geschichte und die der slowenischen Bienenzucht zu erzählen, hatte er in feinstem Deutsch geantwortet: «Die Bienen haben mir zeitlebens Glück gebracht. Schon als ganz kleiner Junge …»
Kurzfristig ist ihm etwas dazwischengekommen. Womöglich hat es mit seinen Bienenvölkern zu tun, die irgendwo im Süden des Landes stehen, an der Grenze zu Italien. Imker müssen zuweilen schnell reagieren, es gibt Pflichten, die keinen Aufschub dulden. Ich weiß das inzwischen, denn seit ein paar Jahren bin ich auf den Spuren dieser eigensinnigen, manchmal eigenbrötlerischen Spezies. Im Schwarzwald hab ich sie getroffen, im Isergebirge, auf Gotland und an der Memel – eine Reise mit vielen Etappen, die mich nun nach Slowenien führt, dem Bienenland schlechthin.
Aus Slowenien stammt Anton Janša, der im 18. Jahrhundert eines der großen Geheimnisse des Bienenvolkes ergründet hat: Wozu sind die Drohnen nütze? Zum Wasserholen, war die seinerzeit gängige Theorie – irgendetwas müssen diese Faulpelze ja tun, während die Arbeitsbienen Pollen und Nektar sammeln! Falsch, sagte Janša, Drohnen sind die Männer im Stock und dazu bestimmt, die Königin zu begatten. Das Geschehen selbst konnte er zwar nicht beobachten, weil es hoch oben am Himmel stattfindet, aber es gab Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Geschlechtsakt handelt. Moralisch ein ziemlicher Skandal, noch dazu stirbt der Mann nach getaner Tat. Und noch anstößiger war: Janša erbrachte damit den endgültigen Beweis, dass an der Spitze des Bienenstaates eine Frau steht. Jahrtausende glaubte man, dass so ein großes und kompliziertes Gemeinwesen nur von einem König regiert werden könne. Dieser Anton Janša, Bauernsohn aus Breznica, ein Empiriker mit analytischem Verstand, den Maria Theresia 1770 zum Direktor der von ihr gegründeten Wiener Imker-Schule ernannte, revolutionierte damals die Bienenwissenschaft. Unser modernes Wissen ist zu großen Teilen slowenischen Ursprungs, ebenso das Erbgut, slowenische Bienenköniginnen sind Exportschlager. Schon zu Zeiten der Habsburger Monarchie wurden sie mitsamt Hofstaat per Post in alle fünf Kontinente verschickt, in speziellen luftigen Kisten. Die hiesige graue Biene, die Apis mellifera carnica, ist weltweit bekannt, Inbegriff von Fleiß, Sanftmut, Genügsamkeit.
Warum eigentlich bin ich nie in Ljubljana gewesen? Gleich am ersten Abend bin ich der Stadt verfallen. Dem langsamen grünen Flüsschen, dem Schweinsbraten, dem Beli Pinot und dem Bier, das ich im Überschwang doch noch trinke, ein Pale Ale slowenischer Herkunft, einfach köstlich. Auf der Suche nach dem Bienenland bin ich in eine der schönsten Städte Europas geraten.
Bis jetzt ist alles ganz einfach gewesen. Ich hatte von Deutschland aus in einem der Büros für Api-Tourismus angerufen, das mir ein Dutzend Reiserouten zu Imkereien, Museen, Shops anbot, es gibt ein dichtes Netzwerk zwischen Karawanken und Adria. Auf tausend Einwohner, heißt es, kommen vier Imker, so viele wie nirgends sonst in Europa. Und diese haben das Landwirtschaftsministerium im Rücken, das Bienen so wichtig nimmt wie Schweine und Kühe. Ein richtiges «Business» also, und Franc Šivic ist Teil davon, eine Art Star, wurde mir gesagt. Manche nennen ihn auch den «Bienenkönig». Auf einem Foto, das ich im Internet fand, sieht er tatsächlich so aus: Er trägt einen majestätischen Bart aus Bienen, von den Schläfen bis zur Brust, auf nackter Haut. Ein Selbstporträt in jüngeren Jahren, ein Fotograf ist Šivic auch, offenbar ein exzellenter. Von ihm stammt unter anderem die spektakuläre Nahaufnahme einer Bienenkönigin, in deren Hinterleib ein Drohn steckt. Innig vereint liegen sie auf einem grünen Blatt, sie waren wohl erschöpft vom Himmel gefallen, auch die Königin scheint dem Tode nahe. Beim Betrachten musste ich an Anton Janša denken. Vielleicht hat er im 18. Jahrhundert genau diesen seltenen Moment beobachtet. Ich werde Šivic fragen, wo und wie das Foto zustande kam. Einen besseren Kenner als ihn werde ich nicht finden: «Imker, Fotograf und Zeitzeuge, geboren 1940 in Ljubljana, römisch-katholisch», so die Beschreibung der Api-Agentur.
Erstaunlich, dass ich vom Land des Bienenkönigs bis vor kurzem kaum etwas gehört hatte. Peter Handkes Schwärmereien waren mir dunkel in Erinnerung, eine karge Landschaft, die ihn mehr als alles andere auf dieser Welt anzog und nie mehr losließ. Ich wusste, dass Slowenien zum sozialistischen Jugoslawien gehörte und 1991 Republik wurde und ohne großes Tamtam Mitglied der EUFrankfurter Allgemeine