Nicholson Baker

Eine Schachtel Streichhölzer

Roman

 

 

 

 

 

Für Margaret

1

Guten Morgen, es ist Januar und es ist 4.17 Uhr, und ich bleibe nun hier im Dunkeln sitzen. Ich bin im Wohnzimmer in meinem blauen Bademantel und habe einen Sessel vor den Kamin gezogen. Im Augenblick kann man noch nicht von einer offenen Flamme sprechen, weil die untere Schicht aus zerknüllten Zeitungen und Küchenkreppröhren heruntergebrannt und das Holz noch nicht richtig in Gang gekommen ist. Ich blicke daher in eine irgendwie orange Gluthöhle, vergleichbar dem Lottermaul eines Ungeheuers, voller halb zerkauter, glimmender Brocken Feuerfleisch. Wenn es sehr dunkel ist wie jetzt, kommen einem die Maßstäbe abhanden. Manchmal glaube ich, ich steuere ein Raumschiff in eine gigantische Spalte auf einem dunklen, fernen Planeten hinein. Die Planetenkruste bricht zusehends auf, daraus quillt ein unterirdischer Lavasee. Kontinente kippen und versinken wie schmelzende Eisberge, ich muss mit meiner äußerst wendigen Rakete hineinfliegen und die Kolonisten retten, die dort festsitzen.

Vergangene Nacht wurde mein Schlaf von einem Zehenloch in einer Socke gestört. Ich hatte von dem Loch gewusst, als ich morgens die Socke – es war eine weiße Röhrensocke – anzog, aber tagsüber stört mich ein Loch kaum. Ich kann Socken mit einer fürchterlichen Heckluke tragen und tue es auch, dann ragt die ganze Ferse wie ein Tafelbrötchen heraus. Nachts dagegen erwachen die Ränder des Lochs zum Leben. Gestern Abend begann gegen halb zehn Uhr, ich las gerade meinen Gedichtband von Robert Service, der Lochrand die beiden Zehen, die hindurchragten, zu kitzeln und zu plagen. Ich versuchte, die Zehen zurückzuziehen und mit ihnen etwas vom Rand der Socke zu erfassen, es über die Öffnung zu ziehen wie eine zu kleine Decke, die vom Bett gerutscht ist, aber es klappte nicht – das klappt fast nie. Da wusste ich schon, später, nach Mitternacht, würde ich aufwachen und die Kühle des Lakens auf jenen beiden nackten Zehen spüren, und das würde mich stören, wobei jene Kühle mich nicht stören würde, wäre der ganze Fuß entblößt. Als Folge des Zehenlochs würde ich nicht mehr schlafen können, und das wollte ich nicht, weil ich mir vorgenommen hatte, um vier Uhr morgens aufzustehen.

Zum Glück hatte ich gestern Abend eine Alternative. Ich hatte eine saubere Röhrensocke mit ins Bett genommen, als Maske über die Augen, falls Claire noch lesen wollte. Zum Einschlafen brauche ich Dunkelheit. Ich habe von meinem Großvater eine Augenmaske aus dicker schwarzer Seide, wahrscheinlich aus den dreißiger Jahren, aber die riecht nach meinem Großvater, jedenfalls nach dem Innern seines Nachttischs. Das Gute daran, sich eine Socke über die Augen zu ziehen, ist, dass sie ein Provisorium ist. Wenn man sich bewegt, rutscht die Socke vom Kopf, aber da ist man dann schon eingeschlafen, und sie hat ihren Zweck erfüllt.

Als das Loch in der Socke an meinem Fuß unerträglich wurde, langte ich hinunter, zog sie mit einem sauberen Ruck aus und schmiss sie in die Richtung des Abfalleimers durchs Zimmer – wenngleich ich sagen muss, dass der Anblick eines Stücks Unterwäsche, das man über viele Tage und Jahre mit dem eigenen Körper abgenutzt und gewärmt hat, zerknüllt im Abfall etwas beinahe schmerzlich Unangemessenes hat. Sodann zog ich über meinen nackten Fuß die frische Socke, die ich auf dem Gesicht gehabt hatte. Und das war so gut: O Mann, war das gut, richtig gut. Ich schob meinen frisch umhüllten Fuß wieder in die abgelegene Region der Laken, zog die dicken Wolldecken um mich und krümmte dann eine Hand und legte sie mir über die Augen, wo die Socke gewesen war, so wie eine Katze die Pfote. Schließlich kam Claire ins Bett. Ich hörte ihre Nachttischlampe anklicken und die Seiten ihres Buches rascheln, und dann drehte sie sich herum, damit wir uns einen Gutenachtkuss geben konnten. «Du hast die Hand über den Augen», sagte sie. Ich murmelte. Dann drehte sie sich wieder um und schob ihren warmen Pyjamahintern zu mir her, und ich steuerte, die Hand auf ihrer Hüfte, durch die Nacht, und ehe ich’s mich versah, war es vier Uhr und Zeit, aufzustehen und Feuer zu machen.

2

Guten Morgen, es ist 3.57 Uhr, und ich kaue einen Apfel. Ich heiße Emmett, ich bin vierundvierzig und verdiene meinen Lebensunterhalt als Lektor medizinischer Lehrbücher. Ich habe eine Frau, Claire, und zwei Kinder. Als ich gestern hier Feuer machte, knipste ich eine Tischlampe an, um zu sehen, was ich da tat. Das war ein Fehler. Man muss im Dunkeln Feuer machen: Es muss seine eigene Lichtquelle werden. Überhaupt muss man so viel wie möglich im Dunkeln machen, auch den Kaffee, denn wenn man Licht macht, wird das limbische System in die wache Welt gezerrt, und das will man ja nicht.

Heute Morgen machte ich das Feuer also nach Gefühl. Der Mond schien nicht, oder er war von Wolken verdeckt; ich konnte nicht einmal sehen, wo der Kamin war: Es war nur ein leeres Kälteloch in der Schwärze. Ich legte vier Knäuel aus Zeitungspapier hinein, zerriss eine Pizzaschachtel, legte die auseinander gerissenen Streifen darauf und darauf einige getrocknete Apfelzweige und obendrauf ein paar dickere Klötze – eigentlich ist es, als würde man ein Sandwich belegen, nur dass der Salat ganz unten ist. Ich zog ein Streichholz von dem Briefchen, das lag, wo es sein sollte, auf dem Ascheimer, spürte den negativen Knuff, als die Pappfasern sich ruckartig lösten, und wollte es schon anreißen, als ich mich entschied, noch zu warten. Ich wollte sehen, wie das Feuer anging und sich stabilisierte, aber ich wollte dabei zusehen, während ich meinen Kaffee schlürfte. Also legte ich das Streichholz neben das Briefchen und tastete mich zur Küche. Auf dem Fußboden im Esszimmer war ein sehr schwacher grüner Lichtkreis, den ich zunächst für eine abgelenkte Reflexion einer entfernteren Straßenlampe hielt, aber dann erkannte ich, dass er von dem winzigen grünen Birnchen im Rauchmelder an der Decke kam.

Ich öffnete den Wandschrank und tastete nach einer Becherrundung. Ich zog nicht gleich einen Becher vom Bord, da wir manchmal Becher auf Becher stapeln, wobei wir sie leicht schräg stellen, damit der oberste Halt findet, und wenn ich achtlos einen Becher herauszog, konnte einer der Becher aus der Oberschicht herunterfallen. Doch meine Krakenfinger entdeckten in der Umgebung nichts Instabiles, also zog ich den Becher vom Bord. Welcher war es? Ich hatte keine Ahnung, welche Farbe er hatte. Ich konnte mit den Fingern das eingebrannte Muster ertasten, aber nicht erkennen, welches es war. Wir haben einige Becher aus Eisenbahnmuseen; ich dachte, vielleicht ist es einer von denen.

Die Spüle war eine fahle Form, über der vermutlich die Mischbatterie war: Ich hielt den Becher an eine Stelle, die meinem Empfinden nach unter dem Hahn war, ließ Wasser hineinlaufen und trank. Man sollte den Tag immer mit einem Schluck Wasser beginnen. Dann machte ich Kaffee, ebenfalls nach Gefühl, und jäh heulte Licht auf, als ich den Kühlschrank öffnete, um Milch für meinen Kaffee herauszuholen; danach ging ich wieder hier herein und stellte den Kaffee auf den Ascheimer. Es war Zeit für das Feuer.

Ich tastete nach dem einzelnen Streichholz, das ich bereitgelegt hatte. Es war nicht da. Ich hatte es wohl weggewischt, als ich den Becher abstellte. Kein Problem – rasch fand ich das Streichholzbriefchen und öffnete es. Ah, aber dann ertasteten meine Finger nichts als Pappstümpfe, wie eine Reihe Kinderzähne, die gerade herauskamen. Es war das letzte Streichholz im Streichholzbriefchen gewesen

Aber um Feuer zu machen, brauchte ich ein Streichholz. Ich ging wieder ins Esszimmer. Auf dem Kaminsims im Esszimmer steht normalerweise eine kleine japanische Schale mit ein paar Streichholzbriefchen drin, weil wir dort Feuer machen, wenn Leute zum Essen kommen. Ich begann an der rechten Seite des Simses und machte kleine Finger-Bündel-Bewegungen – Streichholzschale, Streichholzschale? Ich kam an einen kleinen Glasgegenstand, in dem eine kurze, gedrungene Kerze steckte. Da die Kerze schon einmal gebrannt hatte, war der Docht sehr gerade und hart, und sein Ende bröselte ein wenig, als mein Finger drankam. Ein Stückchen weiter war eine Schale, die ich für die richtige hielt, aber darin war etwas Getrocknetes, vermutlich Rosenblütenblätter – es fühlte sich an wie eine Schale Special K. Ich war auf dem Sims zu weit vorgedrungen, also tastete ich wieder zurück, ganz vorsichtig, falls da ein Nippesteil stand, das ich herunterstoßen konnte. Ich kam an eine halb vertikale Kurvenform und erinnerte mich, dass dort ein alter Teller lehnte. Ich konnte mir das Muster auf dem Teller nicht vorstellen. Claire liebt Porzellan, aber ich kann mir nur das Porzellan merken, das wir täglich benutzen.

Nein, auf dem Kaminsims im Esszimmer konnte ich keine Streichhölzer finden, und das bedeutete, dass ich wieder in die Küche gehen und nachsehen musste, ob welche hinten auf dem Herd lagen. Das hätte mir gleich einfallen sollen. Behutsam tastete ich mich die Oberfläche entlang über die Herdknöpfe, vorbei an den kühlen Facetten der Salz- und Pfefferstreuer, und schließlich gelangte ich an eine Form, die sich bewegte, als ich sie berührte: die rote Streichholzschachtel, die da auf der Seite stand.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer und setzte mich in den Feuersessel, dann schob ich die Schublade der Schachtel auf, wobei ich beide Seiten der inneren Gleitschachtel befühlte, als sie herauskam, um sicherzugehen, dass ich sie nicht verkehrt herum aufmachte, wodurch die Streichhölzer dann plingend herausfallen würden, und holte ein Streichholz heraus und rollte seinen kantigen Stiel zwischen den Fingern. Als ich es in der Tiefe des Dunkels anriss, konnte ich den Löwenzahnkopf kleiner Funken sehen, die von dem Streichholzkopf abschossen, und die eifrig winkenden Arme der neuen Flamme, bis sie sich wieder beruhigte. Das Streichholz flammte mehr auf der dem Anreißen abgewandten Seite auf. Oder stimmt das gar nicht – ist die Flamme auf der Seite größer, die Kontakt mit der Reibfläche gehabt hat? Ich hielt die kleine Flamme die ganze Front entlang an die festonierten Säume der geknüllten Zeitungsklumpen, worauf das Feuer unter die drei Scheite kroch, und bald konnte ich seine Wärme an den Schienbeinen spüren.

3

Guten Morgen, es ist 4.45 Uhr, und heute saß ich, nachdem ich Feuer gemacht hatte, zehn Minuten einfach so da, ohne etwas zu tun. Immer wieder gähnte ich, wobei ich mich in meinem Sessel vorbeugte, die Ellbogen auf den Knien und die Hände gefaltet. Manchmal gewinnt ein Gähner ein Eigenleben, wird größer und ausgedehnter, als ich es hätte vorhersagen können, zwingt mich, den Kopf zu neigen, bis mehrere Tropfen Speichel, von Strömen auf den Innenseiten meiner Wangen gespeist, sich an den Mundwinkeln sammeln und auf den Boden fallen. Nach einigen derartigen großen Tiefgähnern sind meine Augen geschmiert, und ich kann klarer denken. Ich weiß nicht, ob wissenschaftliche Untersuchungen über das menschliche Gähnen die Art und Weise berücksichtigt haben, wie es die Schmierung der Augäpfel unterstützt.

Ich mache mir große Sorgen um die Ente in der Kälte. Wahrscheinlich ist sie wach. Wir haben eine Ente, die draußen in der Hundehütte lebt. Nachts legen wir eine Decke über die Hundehütte und stellen ein tragbares Fliegengitter vor den Eingang. Das Gitter soll Füchse und Coyoten abhalten. Auf dem Berg lebt ein Fuchs mit einem buschigen, horizontalen Schwanz, der beinahe genauso groß ist wie das Tier selbst, und nachts hört man manchmal die Coyoten von den Feldern jenseits des Flusses heulen.

Die blaue Schale der Ente friert über Nacht ein. Jeden Morgen, bevor ich zur Arbeit fahre (und Phoebe unterwegs an der Schule absetze), kippe ich die Schale an einem Schneehaufen, worauf eine Eisscheibe herausfällt: Bei diesem Wetter ist die Schale selbst reinigend. Im Schnee liegen weitere Eisscheiben herum, tagsüber picken Krähen daran. Die Scheiben sehen aus wie UFOs oder vielleicht eher wie Hornhäute – die Schicht halb aufgelöstes Entenfutter, die am jetzt oben liegenden Boden fest gefroren ist, wäre dann die Iris. Die Ente kommt heraus mit ihren winzigen schnellen Piepsern, erregt von der Aussicht auf das warme Wasser, das dampft, wenn ich es in die Schale gieße. Mit dem Unterschnabel schöpft sie lange Wasserzüge und reckt sodann den Hals, damit die Wärme hinabrinnen kann. Ich halte ihr eine Hand voll Futter hin, und sie stürzt sich mit dem Schnabel darauf, sehr schnell, mit viel schnelleren Bewegungen, als ein Mensch sie machen kann, das geht wie der Kugelkopf einer alten IBM Selectric. Etwas von dem Futter fällt ins Wasser, und das macht sie wahnsinnig: Sie wühlt in der sumpfigen Wärme, pocht auf den Boden und findet alle Nuggets, die darin treiben, und der Ausfluss aus ihrer Kehle macht das Wasser trübe. Nach einem letzten Fressanfall blickt sie auf und wird ruhig; ihr Hals ruckt noch zweimal, damit ihr Frühstück sich setzen kann, dann läuft sie mit mir die Einfahrt hinab. Manchmal schlägt sie, auf der Stelle trabend, kräftig mit den Flügeln, ohne sich in die Luft zu erheben, wie ein Jogger an einer roten Ampel, manchmal hebt sie auch ab, wenngleich ihre Landungen noch nicht die besten sind. Ihre Augen sitzen seitlich am Kopf: Sie muss sich von mir abwenden, um zu mir hochzublicken, dann auf die Welt, dann wieder zu mir hoch.

Letzte Nacht, ich lag im Bett, hörte ich ein furchtbar trauriges Geräusch, wie von einer Katze in einer Notlage oder einem Säugling, der in der Kälte jammert: lange, langsame, herzzerreißende Rufe. Ich richtete mich halb auf und horchte angespannt – war es die Ente? –, doch das Geräusch hatte aufgehört. Fast hätte ich Claire geweckt, um sie zu fragen, was ich tun sollte. Und dann, als ich wieder atmete, erkannte ich, dass ich ein Pfeifen hörte, das von einer kleineren Blockierung in meiner eigenen Nase beim Atmen herrührte.

Manchmal, wenn ich hier sitze, zieht eine lange Reihe Tagesgedanken durch mich hindurch – Gedanken im Zusammenhang mit der Arbeit oder beispielsweise mit der Gemeindepolitik. Ist ja auch in Ordnung – sollen die Gedanken nur durchziehen. Man hört sie kommen wie einen Güterzug mit Sirenen und Gebimmel; es dauert einige Minuten, bis sie vorbei sind, dann sind sie weg. Bedenken Sie, es ist sehr früh am Morgen – früh, früh, früh, früh. Manchmal, wenn ich nach dem Aufstehen auf dem Treppenabsatz am Fenster stehe, sind die Sterne überwältigend scharf: persönliche Nadellöcher der Genauigkeit im stygischen Diorama. Die drei Gürtelsterne des Orion sind die einzige Konstellation, die ich gleich erkenne. Die Aufteilung der Sterne in Konstellationen ist unnötig: Ihre Anonymität verstärkt das Gefühl von Unendlichkeit. Heute Morgen habe ich ein langes, blasses Mal gleich einer Narbe am Himmel gesehen. Es war der Schweif eines hoch fliegenden Düsenflugzeugs, ein Nachtflug von Irgendwo nach Irgendwo, von unten beleuchtet vom untergehenden Mond. «Ein mondbeschienener Kondensstreifen», flüsterte ich bei mir, dann ging ich runter und tastete nach der Kaffeemaschine.

4

Guten Morgen, es ist 4.52 Uhr, und ich freue mich sehr, bei Bewusstsein zu sein, wenn sonst niemand bei Bewusstsein ist. Um zu diesem Punkt zu gelangen, an dem ich der einzige Knoten Wachsamkeit im Herzen der schlafenden Welt bin, bedarf es beachtlicher Vorarbeiten. Ich muss vorsichtig aus dem Bett steigen, um Claire nicht zu wecken, und ich muss den Morgenmantel anziehen; ich muss die Flanellschärpe gut zumachen und über die vordere Treppe nach unten gehen, um meinen Sohn nicht zu wecken, dessen Zimmer oben an der hinteren Treppe liegt, und ich muss Kaffee machen.

Kaffee zu machen, zumal wenn der Mond untergegangen ist oder gar nicht scheint, ist eine Fertigkeit, die mit Übung besser wird. Als Erstes zieht man die alte Filtertüte mit ihrer Schicht Kaffeeschlamm heraus und klemmt die Seiten wie einen weichen Taco zusammen, damit man sie sicher in den Mülleimer befördern kann, ohne dass etwas herausfällt, und dann spült man den Filter und die Glaskanne aus, wobei man besonders darauf achtet, das Löchlein im Plastikdeckel der Kanne zu säubern, das wie das Loch oben im Kopf eines Säuglings ist, wo der Kaffee aus dem Filter in das Gehirn des Säuglings tröpfelt. Und man spreizt die geriffelten Papierfilter, sodass die Finger einen ertasten und greifen können – eine Empfindung, die dem Umblättern von Seiten eines Buchs aus dem achtzehnten Jahrhundert ähnelt –, und man setzt die Filtertüte so in den Filter, dass keine Seite kippanfällig ist, wodurch das Wasser in dem Kaffee herumfließen kann, ohne dass dessen Brühe herausschwappt. Wenn man im Dunkeln frischen Kaffee in die frische Filtertüte tut, läuft man Gefahr, dass der Kaffee, ohne dass man es merkt, in dem Dosierlöffel stecken bleibt und dass man meint, man tue Löffel um Löffel hinein, während in Wirklichkeit gar nichts hineingeht. Heute habe ich zur Sicherheit den Finger in den Schlund der Filtertüte gesteckt, bis er knirschend den Boden erreichte: Ich spürte, wie das Kaffeepulver das erste Knöchelgelenk passierte und fast auch noch das zweite – aber zur Sicherheit gab ich noch einen weiteren Löffel dazu.

Die Kanne mit Wasser zu füllen ist nicht so schwierig, wie den Kaffee abzumessen, weil die Spüle direkt unter dem Fenster ist und ich das Gewicht des Wassers spüren kann; aber wenn ich das Wasser oben in die Kaffeemaschine gieße, fließt manchmal etwas daneben, die Seiten hinunter und auf die Arbeitsplatte. Und wenn schon. Ist ja bloß Wasser. Bis es hell wird, ist sie trocken.

Dann, wieder hier im Wohnzimmer, rücke ich den Sessel zurecht und überzeuge mich, dass der Computer eingestöpselt ist, da der Akku sich nicht mehr laden lässt. Ich habe ihn vor mehreren Wochen in einem Gebrauchtcomputergeschäft erstanden. Früher war es einmal der eleganteste und begehrteste aller schwarzen Laptops, jetzt ist er praktisch Schrott. Jemand, ich war’s nicht, hat die Tüpfelung auf der Leertaste unterhalb der Ruhestellung für den rechten Daumen abgewetzt, und der senkrechte Balken des T ist weg; ich habe die Bildschirmfarben geändert, sodass sie nun dunkelblaue Buchstaben vor einem schwarzen Hintergrund zeigen, selbst im Dunkeln fast unlesbar, und wenn ich tippbereit bin, neige ich den Schirm zu mir her, sodass er beinahe meine tänzelnden Finger oben streift. Das Wort Blindschreiben hat mir schon immer gefallen: Ich tippe blind, während ich auf das Feuer starre oder es wenigstens unverwandt anblicke.

Als ich heute Morgen das Feuer anmachte, kam eine Flamme wie hochtoupierte Haare von unten hervor und schoss um ein halb abgelöstes Stück Rinde zurück. Im Augenblick ist vorn eine purpurrot grundierte Flamme mit kräftigen Gelb-, Orange- und Weißtönen: sie flattert wie einer jener Wimpel, die früher einmal um Gebrauchtwagenhöfe herumhingen. Man sieht sie nicht mehr so häufig: bunte dreieckige Vinylflaggen an Schnüren, die hoffnungsfrohe Verkaufsleiter von Stange zu Stange aufhängten, um eine Rummelplatzstimmung entstehen zu lassen.