Inhaltsübersicht

Impressum

Die drei Erzählungen «Der Mann mit dem Regenschirm» («The Umbrella Man»), «Mister Botibol» («Mr. Botibol»), «Mein-ist-die-Rache-GmbH» («Vengeance Is Mine, Inc.») wurden dem Band «More Tales of the Unexpected» entnommen, der zuerst 1980 bei Michael Joseph Ltd., London, erschien.

Die vier Märchen «Die wahre Geschichte von Aschenbrödel» («Cinderella»), «Schneewittchen und die sieben Jockeys» («Snow-White and the Seven Dwarfs»), «Rotkäppchen im Pelz» («Little Red Riding Hood and the Wolf»), «Rotkäppchen und die drei kleinen Schweinchen» («The three little Pigs») wurden dem Band «Revolting Rhymes» entnommen, der 1982 bei Jonathan Cape, London, erschien.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Februar 2015

Copyright © 1983 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Two Fables» Copyright © 1986 by Roald Dahl Nominée Ltd.

«More Tales of the Unexpected» Copyright © 1980 by Roald Dahl Nominée Ltd.

«Revolting Rhymes» Copyright © 1982 by Roald Dahl Nominée Ltd.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Hans Hillmann

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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ISBN Printausgabe 978-3-499-15847-6 (12. Auflage 2009)

ISBN E-Book 978-3-644-04111-0

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-04111-0

Die wahre Geschichte von Aschenbrödel

Wie man sie Euch erzählte immer,

War die Geschichte nicht, nein schlimmer,

Viel grauslicher, als Ihr sie kennt,

Und was man halt so Märchen nennt.

Das meiste war da lieb und brav

Und störte keinen Kinderschlaf.

Zu Anfang schien’s zwar gut erdacht,

Da, wo im Schutz der dunklen Nacht

Die schiechen Schwestern, reich geschmückt,

Zum Ball im Schloss sind abgerückt,

Nachdem im Keller voller Ratten

Sie Aschi eingeriegelt hatten.

Die Ratten hatten nichts zu schnappen,

Und Aschi war ein flotter Happen.

Sie brüllte: «Hilfe! Au, mein Zeh!»

Das hörte wohl die Zauberfee.

Und so erschien sie blitzgeschwind

Und fragte: «Fehlt dir was, mein Kind?»

«Du machst mir Spaß!», schrie Aschi laut,

«Versetz dich mal in meine Haut.»

Schlug mit der Faust wild an die Wände:

«Oh, hilf, bevor der Ball zu Ende.

Ich will hier raus aus diesem Knast,

Da ist ’ne Disko im Palast.

Ich will ein Glitzer-Festgewand,

Ich will ’ne Kutsche, viergespannt,

Zwei Silberpumps und auch Geschmeide

Und Nylons von rasanter Seide.

Komm ich zum Ball so rausgeputzt,

Was wetten, dass der Prinz da stutzt.»

Die Fee, die sprach: «Wart es nur ab»

Und schwang geschwind den Zauberstab.

Da gab es einen kleinen Knall,

Und schon war Aschi auf dem Ball.

Als sie dann tanzte mit dem Prinzen,

Wie da die schiechen Schwestern linsten.

Sie hielt ihn fest an sich gepresst,

So fest, wie sich nur pressen lässt.

Sie brach ihm fast die Rippen,

Schon blau war’n seine Lippen.

’S schlug Mitternacht, da schrie sie: «Mann!

Ich muss nach Haus, so schnell ich kann.»

Der Prinz schrie auf: «Wieso, nein, nein!

Du bleibst mir hier, denn du bist mein!»

Als Aschi schrie: «Lass los, s’is Zeit!»

Riss er in Fetzen ihr das Kleid.

Im Unterzeug rannt’ sie ihm fort,

Ein Pumps blieb auf der Treppe dort.

Der Prinz, der stürzt sich drauf im Nu

Und presst ans Herz den kleinen Schuh.

«Die, der der passt», so rief er laut,

«Wird morgen früh schon meine Braut!

’Ne Razzia von Haus zu Haus!

Die kommt mir ganz bestimmt nicht aus!»

Dann legte er den Pumps von ihr

Recht achtlos auf ein Fass mit Bier.

Doch von den beiden Schwestern stahl

Die schiechste ihn, verließ den Saal,

Schmiss dann den süßen Schuh ins Klo

Und lachte dabei auch noch roh.

Auf jenes Bierfass legte sie

Den eignen Schuh, als hätt es nie

’Nen anderen gegeben. –

So geht’s manchmal im Leben!

Der Prinz, kaum, dass der Morgen graut,

Sucht Haus um Haus nach seiner Braut;

Und jedermann wird streng verhört,

Wem dieser Schuh denn bloß gehört.

Der aber ist so groß und breit,

Dass er halt jedem Fuß zu weit.

Ein Rüchlein stand auch noch darin

Vom Schweißfuß der Besitzerin.

Doch wer sich auch an ihm versucht,

Nie passte er. Der Prinz, der flucht.

Der schiechen Schwester endlich passt er!

Na, unser Prinz, was meint Ihr, rast der?

Doch die schreit: «Ho! Jetzt wird gefreit,

Ich hab auch schon das Hochzeitskleid!»

Der Prinz wird grün wie eine Wiese,

Nichts wie hier raus, ist die Devise.

«Oh, nein, du hast’s nun mal geschwor’n,

Und ich hab diesen Schuh verlor’n!»

«Den Kopf ab!», rief der Prinz da munter.

Mit einem Schlag war er herunter.

Und hocherfreut der Prinz da rief:

«Der Kopf saß ohnehin zu schief.»

Gleich trat die zweite Schwester an,

Ob ihr der Schuh wohl passen kann.

Da schrie der Prinz: «Passt das vielleicht?»

Und zwischsch sein Schwert die Luft durchstreicht.

Rot spritzt’s, und plumps, am Boden rollte

Der Kopf, der hoch hinaus schon wollte.

Uns Aschi bei den Küchentöpfen,

Die hört das Bumsen von den Köpfen.

Den eigenen hinausgereckt

Fragt sie, was wohl dahintersteckt:

«Was soll denn bloß der Krach im Haus?»

Darauf der Prinz: «Halt dich da raus!»

Wie’s Aschi da im Herzen graut,

Ein Prinz, der Köpfe runterhaut!

Wer so was bloß zum Spaße treibt,

Der bleibt wohl besser unbeweibt!

Der Prinz rief: «Wer ist diese Schlumpfe?

Ab mit der Nuss! Den Kopf vom Rumpfe!»

Doch da erschien im Lichterstrahl

Die gute Fee nun noch einmal.

Sie schwang den Zauberstab mit Macht

Und rief: «Sei auf ’nen Wunsch bedacht!

Sei er auch noch so sonderbar,

Mein Aschenbrödel, er wird wahr!»

«Oh, liebe Fee!», rief Aschi munter,

«Diesmal wünsch ich mir gar kein Wunder.

Wozu denn Prinz und Pomp und Pracht?

Nun sei ein kluger Wunsch gemacht.

Ich bin auf einen Mann nur scharf,

Wenn ich den Kopf behalten darf.»

Und schneller noch als wie es blitzt

Kam da ein Prachtskerl angeflitzt;

Der war bekannt im ganzen Lande

Für seine Schokonusskrokante.

Sie kriegten honigsüße Kinder

Und liebten sich danach nicht minder.

Der Mann mit dem Regenschirm

Ich will Ihnen eine komische Sache erzählen, die meiner Mutter und mir gestern Abend passiert ist. Ich bin zwölf Jahre alt, und ich bin ein Mädchen. Meine Mutter ist vierunddreißig, aber ich bin schon fast so groß wie sie.

Gestern Nachmittag fuhr meine Mutter mit mir zum Zahnarzt nach London. Er fand ein Loch in einem Backenzahn, und er füllte es, ohne mir allzu weh zu tun. Danach gingen wir in ein Café. Ich aß ein Banana split, meine Mutter trank eine Tasse Kaffee. Als wir aufbrachen, war es fast sechs Uhr.

Als wir aus dem Café kamen, hatte es angefangen zu regnen. «Wir nehmen besser ein Taxi», sagte meine Mutter. Wir hatten beide keine Regenmäntel an, und es goss in Strömen.

«Warum gehen wir nicht wieder ins Café und warten, bis es aufhört?», fragte ich. Ich hätte gern noch ein Banana split verspeist. Es schmeckte wunderbar.

«Der Regen wird nicht so bald aufhören», sagte meine Mutter. «Wir müssen nach Hause.»

Wir standen auf dem Gehsteig im Regen und hielten Ausschau nach einem Taxi. Es kamen viele vorüber, aber sie waren alle besetzt. «Ich wünschte, wir hätten einen Wagen mit Chauffeur», sagte meine Mutter.

In diesem Augenblick kam ein Mann auf uns zu. Es war ein kleiner Mann, und er war ziemlich alt, vielleicht siebzig oder noch älter. Er lüftete höflich den Hut und sagte zu meiner Mutter: «Entschuldigen Sie. Ich hoffe, ich belästige Sie nicht …» Er hatte einen schönen weißen Schnurrbart und buschige weiße Augenbrauen und ein rosiges Gesicht mit lauter lustigen kleinen Falten. Er stand geschützt unter einem Regenschirm, den er hoch über seinen Kopf hielt.

«Ja?», fragte meine Mutter kühl und distanziert.

«Würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?», fragte er. «Wirklich nur eine Kleinigkeit.»

Ich sah, wie meine Mutter ihn misstrauisch anblickte. Sie ist ein misstrauischer Mensch, meine Mutter. Und besonders misstrauisch ist sie, wenn es um fremde Männer und um gekochte Eier geht. Wenn sie ein Ei aufschlägt, stochert sie mit ihrem Löffel darin herum, als erwartete sie, eine Maus oder etwas Ähnliches darin zu finden. Fremden Männern gegenüber hält sie sich an eine goldene Regel, die lautet: «Je netter der Mann, desto misstrauischer musst du sein.» Dieser kleine alte Mann war besonders nett. Er war höflich. Er drückte sich gewählt aus. Er war gut angezogen. Er war ein richtiger Gentleman. Seine Schuhe zeigten mir, dass er ein Gentleman war. «Einen Gentleman erkennt man an seinen Schuhen», pflegte meine Mutter zu sagen. Dieser Mann trug wunderschöne braune Schuhe.

«Um die Wahrheit zu sagen», erklärte der kleine Mann, «ich bin in Verlegenheit geraten. Ich brauche Hilfe. Keine große Sache, versichere ich Ihnen. Tatsächlich kaum der Rede wert, aber ich bin darauf angewiesen. Sehen Sie, Madame, alte Leute wie ich sind oft schrecklich vergesslich …»

Meine Mutter hob das Kinn und sah an ihrer Nase entlang zu ihm herab. Sie waren zum Fürchten, diese frostigen Nasenblicke meiner Mutter. Die meisten Leute würden am liebsten im Boden versinken, wenn sie sie mit einem solchen Blick bedenkt. Ich habe einmal miterlebt, wie die Leiterin meiner Schule anfing zu stammeln und zu stottern wie ein zurückgebliebenes Kind, als meine Mutter sie mit so einem frostigen Nasenblick ansah. Aber der kleine Mann auf dem Gehsteig mit dem Regenschirm über dem Kopf zuckte nicht mit der Wimper. Er lächelte freundlich und sagte: «Glauben Sie mir bitte, Madame, es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, Damen auf der Straße anzusprechen und ihnen von meinen Problemen zu erzählen.»

«Das will ich hoffen», sagte meine Mutter.

Mutters Schärfe machte mich sehr verlegen. Ich hätte gern zu ihr gesagt: «Oh, Mummy, um Himmels willen! Er ist doch ein sehr, sehr alter Mann, und er ist nett und höflich, und er hat irgendwelche Schwierigkeiten – sei doch nicht so hässlich zu ihm!» Aber ich sagte nichts.

Der kleine Mann nahm den Regenschirm von der einen Hand in die andere. «Ich habe sie noch nie vergessen», sagte er.

«Was haben Sie noch nie vergessen?», fragte meine Mutter trocken.

«Meine Brieftasche», sagte er. «Ich muss sie in meiner anderen Jacke gelassen haben. Kann man sich so etwas Dummes vorstellen?»

«Heißt das, dass Sie mich um Geld angehen wollen?», fragte meine Mutter.

«Oh, um Himmels willen, nein!», rief er. «Nie im Leben würde ich so etwas tun!»

«Was wollen Sie dann?», fragte meine Mutter. «Sagen Sie es bitte schnell. Wenn wir noch länger hier stehen, werden wir nass bis auf die Haut.»

«Ich weiß», sagte er. «Und das ist auch der Grund, weshalb ich Ihnen meinen Regenschirm anbieten möchte. Er soll Sie schützen, und Sie können ihn behalten, wenn … wenn Sie nur …»

«Wenn ich nur was?», fragte meine Mutter.

«Wenn Sie mir mit zwei Pfund für ein Taxi aushelfen können, damit ich nach Hause fahren kann.»

Meine Mutter sah ihn immer noch misstrauisch an. «Wenn Sie gar kein Geld bei sich haben, wie sind Sie dann überhaupt hierhergekommen?»

«Zu Fuß», antwortete er. «Ich mache jeden Tag einen schönen langen Spaziergang, und danach nehme ich mir ein Taxi und fahre nach Hause. Das tue ich Tag für Tag.»

«Und warum gehen Sie dann nicht zu Fuß nach Hause?», fragte meine Mutter.

«Oh, ich wünschte, ich könnte es», sagte er. «Ich wünschte es wirklich. Aber ich glaube nicht, dass ich es auf meinen albernen alten Beinen schaffen würde. Ich bin schon zu lange unterwegs.»

Meine Mutter stand da und nagte mit den Zähnen an ihrer Unterlippe. Allmählich schmolz das Eis bei ihr – ich sah es ihr an. Und der Gedanke, sich unter einen Regenschirm retten zu können, war bestimmt eine große Versuchung für sie.

«Es ist ein schöner Regenschirm», sagte der kleine Mann.

«Das habe ich bemerkt», sagte meine Mutter.

«Reine Seide», sagte er.

«Das sehe ich.»

«Warum nehmen Sie ihn dann nicht, Madame», sagte er. «Er hat über zwanzig Pfund gekostet, glauben Sie mir. Aber das spielt jetzt keine Rolle – wenn ich nur nach Hause komme und meine alten Beine ausruhen kann.»

Ich sah, wie Mutter nach dem Bügel ihrer Handtasche tastete. Sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. Diesmal warf ich ihr einen frostigen Nasenblick zu, und sie wusste genau, was ich damit sagen wollte, nämlich: Jetzt hör aber zu, Mummy, du darfst