Nur noch eine Folge!

Inhaltsverzeichnis

Michael M.

Manchmal denke ich mir, wenn ich als Kind schon gewusst hätte, was so alles auf mich zukommen wird, dann wäre ich lieber daheimgeblieben und hätte weiter ferngesehen …

Es ist viel passiert zwischen Lassie und dem Bachelor und zwischen den Drombuschs und Game of Thrones. Manche fragen sich jetzt, welches Königshaus ist denn Drombusch? Ein lang verschollenes. Als vor ewigen Zeiten Deutschland in Westeros und Osteros geteilt war und noch nicht über 16 Königslande verstreut, saßen auf dem Eisernen Thron der Fernsehunterhaltung Familien wie Diese Drombuschs. Nicht allein. Um die Pole Position kämpften in erbarmungslosen Quotenschlachten auch Königshäuser wie Die Schwarzwaldklinik oder ein wettsüchtiger Moderations-Rauschgoldengel.

Der Gap zwischen altem Fernsehen und neuem Fernsehen ist beachtlich. Beginnen wir das Game of Drombuschs und vergleichen die Sendungen mal: Die komplexe Handlung von Game of Thrones (acht Staffeln, 73 Folgen, aber eine – die letzte – müssen wir leider abziehen, weil sie unterirdisch war, Genre: Fantasy)

Die Handlung von Diese Drombuschs (sechs Staffeln, 39 Folgen, Genre: Family) zusammengefasst: Als sich Familie Drombusch beim Umzug in ein neues Haus finanziell übernimmt und Vater Siegfried stirbt, geht seine Frau Vera bis an den Rand ihrer Kräfte, um die Familie zusammenzuhalten. Plus Günter Strack. Ab und an brannte eine Glühbirne durch. Das klingt nicht übermäßig spannend. War es auch nicht. War auch nie eingeplant. Langsamkeit und Normalität waren das erklärte Ziel guter deutscher Serien. Okay, ein Drache hätte dem Ganzen gutgetan. Wie in der Lindenstraße: Else, die Mutter der Hausdrachen – Haus Kling. Seifenoper is coming.

Man sieht: Die Welt hat sich verändert. Und das Fernsehen auch. Ich war lange auf Entzug, hatte mich irgendwann selbst in die Zappy-fort-Klinik eingeliefert, aber jetzt bin ich zurück. Einmal TV-Junkie, immer TV-Junkie. Ich bin ein echter Fernseh-Native! Auch wenn sich die Droge Fernsehen verändert hat. Früher war das gutes altes Fernsehkiffen. Zum Beispiel echtes Waltons-Gras aus Waltons Mountain in Jefferson County.

Und dann kam: Das Jahr 2020 – Die überleben wollen … Fernsehen wurde als nationales Lagerfeuer wieder so wichtig wie früher. Wir hatten so Glück! Man stelle sich vor, die Pandemie und das dazugehörige Lockdown-Tetris hätten 1980 stattgefunden. Mit zwei Fernsehprogrammen! Wir wären jetzt alle tot! Uns würde es nicht mehr geben! Wir hätten uns alle gegenseitig umgebracht. Vielleicht hätten wir Deutschen auch mal wieder Österreich annektiert, nur so aus Spaß, weil uns langweilig gewesen wäre. Ich weiß nämlich noch sehr gut, wie das war – ich bin aufgewachsen mit zwei Fernsehsendern, dem ZDF und der ARD. Bei uns im Süden Deutschlands gab es noch illegale ausländische Substanzen wie ORF. Das war quasi LSD mit Dialekt.

Was macht die Faszination aus, mit der wir fernsehen oder streamen? Warum lieben wir die Geschichten so, die wir dort sehen? Als Kinder genauso wie als Erwachsene? Die Serien versetzen uns in eine andere Welt. Unsere Helden tun Dinge, die wir nie könnten oder dürften. Sie erleben für uns die Abenteuer und Geschichten, von denen wir nur zu träumen wagen. Für nur kurze Zeit weg

Dieses Buch ist mein persönliches Alphabet, meine Highlights, mein Eiserner Thron der Fernsehunterhaltung. Lasst euch entführen in meine wunderbare Welt des Fernsehens und genießt den Rausch der Kanäle …

+++

»Der Fernsehraum, unendliche Frequenzweiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Mittermeier, das mit seiner 001 Mann starken Besatzung 55 Jahre lang unterwegs ist, um neue Flimmerwelten zu erforschen, das Leben und neue Sender. Viele Lichttasten von der Fernbedienung entfernt, dringt Mittermeier in Detailgalaxien vor, die keine Sau zuvor gesehen hat!«

Aktenzeichen XY … ungelöst war die einzige brutale Sendung, die ich als kleines Kind sehen durfte. Da wurde erschossen, erdrosselt, erschlagen, erstochen, ausgeraubt. Heute frage ich mich, ob mich meine Eltern mit gutem Grund vor die Glotze geschoben haben: »Vielleicht erkennt der Bub ja mal jemanden! Dann kriegen wir die Belohnung!«

Die Set-ups bei Aktenzeichen XY … ungelöst waren legendär. Eine bedeutungsschwangere Stimme ertönte und ließ keinen Funken Hoffnung aufkommen: »Sonntag, 4. Juni, 17 Uhr 56. In München verabschiedet sich Michael M. von seiner Ehefrau, um zur Arbeit zu fahren. Auch er bemerkt nichts …«

Man wusste sofort: Der wird nie ankommen. Wieder ein Komiker weniger. Aber warum eigentlich immer dieser Satz: »Er bemerkt nichts …«? Was wäre denn passiert, wenn er mal was bemerkt hätte? »Schatz, ich glaube, ich fahre heute nicht los, denn sonst bin ich nachher bei Aktenzeichen XY!«

Und über allem wachte Eduard Zimmermann, der dunkle Zeremonienmeister, der Dark Lord des

Mit Aktenzeichen ward das Genre True Crime 1967 in Deutschland geboren und ist heute weltweit beliebt auf hippen Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime Video. Es gibt natürlich auch Leute, die sagen, True Crime – das war doch so was wie ehedem Tine Wittler, wenn sie eine Wohnung renovierte. Oder Alfons Schuhbeck, wenn er ohne Ingwer kocht. Oder wenn Carsten Maschmeyer in der Höhle der Löwen von einem ehrlichen Geschäft spricht.

Seit Aktenzeichen XY galt der alte Spruch nicht mehr: »Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.« Nun hieß es: »Die Axt in der Hausfrau erfordert den Zimmermann.« Es ist bis heute niemandem außer ihm gelungen, mit einer ähnlichen Vehemenz minimalistisch-kriminalistisch in die Kamera zu sprechen. Besonders ins Gedächtnis gebrannt hat sich mir zum Beispiel: »Die Kripo Bergisch-Gladbach hat sich, wie man so sagt, seit einem halben Jahr die Zähne ausgebissen.« Ein

Irgendwann gelang es Zimmermann tatsächlich, seine Tochter als Co-Moderatorin in die Sendung einzuschleusen. Ede, der Pate des gepflegten Verbrechens, gab ihr seine Anweisungen, ohne emotional zu werden: »Bitte, Sabine …« Und Sabine gab uns dann – »Danke« – den jeweiligen Zwischenstand: »Über fünfzig Anrufer haben Angaben zur Herkunft des Seiles gemacht.«

Ganze Seilschaften haben sich telefonisch eingeschaltet, wenn die Herrin der Leitungen offenbarte: »Die Telefone sind, wie Sie wissen, bis 24 Uhr besetzt.« Dieser Satz hat mich immer etwas verwirrt: Was ist, wenn ich nachts um Viertel nach zwölf in einer Kneipe sitze und den brutalen Raubmörder aufgrund des Phantombilds erkenne – muss ich dann bis zur nächsten Sendung warten?

Das Schönste bei Aktenzeichen XY waren die Szenen, in denen die Leiche von ahnungslosen Passanten gefunden wurde. Dargeboten von Deutschlands Schauspielelite. Meistens in Klamotten, in denen sich selbst die Zeugen Jehovas geschämt hätten. Meine Vermutung war: Der Sponsor von Aktenzeichen XY ist die

Was mich bis heute wundert: Ist eigentlich jemandem mal aufgefallen, dass niemals ein Österreicher die Leiche finden durfte – obwohl es eine Eurovision-Sendung war? Das blieb Deutschen vorbehalten. Die Produzenten hatten wahrscheinlich Angst vor spontaner ungebremster Emotionalität, die die deutschen Fernsehzuschauer überfordern würde. Österreicher, speziell die Wiener, sind ja generell etwas morbider drauf. Leichen, Tod und Verwesung gehören dort zur Alltagsfolklore. Gut, Österreicher sind Menschen, die Mozartkugeln schnupfen … Lass da mal einen Wiener die Leiche XY finden: Der bleibt nicht unauffällig ruhig. Das gäbe pures Crystal-Method-Acting! Er würde die

Diese Frage ist austrianischer Krimistandard. Ich schau sehr gerne den Österreich-Tatort, weil er lässiger ist als die deutsche Version, und warte immer auf diese eine Szene: Die beiden Ösi-Ermittler Neuhauser und Krassnitzer erscheinen in der Wohnung des Ermordeten. Aus dem Zimmer, in dem die Leiche liegt, kommt ein Typ in Testzentrum-Kleidung, der Leichen-Checker. Dann folgt stets der Standarddialog. Der Kommissar fragt: »Und?«

»Die Leiche ist seit ungefähr zwanzig Stunden tot, so wie es aussieht, wurde er mit einer gusseisernen Mozartkugel erschlagen, aber Näheres wird dann erst die Obduktion ergeben.«

»Mogst an Kaffee?«

»Jo!«

Beide gehen ab. I love it!

Für mich ist Eduard Zimmermann der unangefochtene König des Genres, er würde auch heute noch auf dem hohen Thron von True Crime sitzen. Bestes Beispiel sind die Hit-Doku-True-Crime-Serien von Netflix: die ungeklärten Morde an den Rappern Tupac Shakur und Notorious B. I. G. – Freunde, ich bin sicher, Ede hätte den Fall gelöst! Yo, Zimmer the man! »Crime

Dann hätten die Leitungen geglüht zwischen Las Vegas und Passau.

»Grüß Gott, Helmut Ganghuber mein Name. Folgendes: Ich war zur besagten Zeit im Auto vor dem MGM Hotel Dingolfing, mit meiner Frau, der Hilde, und ich bin sicher, einen von den South Side Crips erkannt zu haben. So ein Hunds-Crippy.«

Eduard Zimmermann: »Ja, und in diesem Zusammenhang wird nach zwei verdächtigen Personen gefahndet: einem Herrn Pumpgun CK und seinem Arbeitskollegen Icefucker TJ. Auch bekannt als Fürst Pückler ICE-T. Dazu schalten wir nun zu Konrad Toenz in die Schweiz. Konrad Toenz …«

Konrad Toenz: »DanKche! Grüezi! Wir haben soeben aus dem Emmental erfahren, dass sich der Notorious BiKchie Smalls und der TupaKch ShaKchur tatsächlich getroffen haben bei einem Fondue – mit Beef! Wortspiel, ha! Wir haben dann sofort unseren Spezialschnüffelhund darauf angesetzt, den Snoop Dog. Es wurden wohl große Mengen Marihuana und Ricola konsumiert.«

Peter Nidetzky: »Wuascht! Hauptsach a Leich! Es gibt immer wos Neis. Nice! Mögts an Kaffee?«

Vor Kurzem hätte ich übrigens fast die Hoffnungen meiner Eltern erfüllt. Ich habe tatsächlich jemanden erkannt bei Aktenzeichen XY … ungelöst. Ich war ganz aufgeregt und habe laut gerufen: »Ich kenn die! Ich kenn die!« Leider wurde nichts aus der Belohnung, ich hab ich nur die Leiche erkannt. Es war eine befreundete Schauspielerin, die so unauffällig überzeugend die Leiche spielte, dass sie dafür eine Nominierung beim Deutschen Fernsehpreis verdient gehabt hätte. Wäre eine schöne neue Kategorie: »Beste XY-Leichendarstellerin«.

Hätte eh nichts genutzt: Es war nämlich schon nach 24 Uhr!

In meiner Kindheit engagierte man keinen Babysitter, sondern kaufte sich einen Fernseher. Meine Ur-TV-Erinnerung ist, dass ich im Wohnzimmer meiner Großeltern auf einem Töpfchen vor dem Fernseher sitze, gebannt auf die Mattscheibe blicke und quasi nebenbei meine Geschäfte erledige. Da sag noch einer, Männer könnten kein Multitasking! Ich weiß nicht, ob meine Eltern spezielle Gründe hatten, mich als Topfkindpflanze vor den Fernseher zu setzen. Sollten die bewegten Bilder mir helfen? Oder sollte ich einfach nur meine schon damals große Klappe halten?

»Der Michl schreit!«

»Hol den Topf und mach die Glotze an!«

Aber eines hätte ich mir damals auf dem Töpfchen nicht gedacht: dass ich Menschen, die im Fernseher leben, mal auch in echt treffen würde. Der erste Komiker, der mich als kleines Kind zum Lachen gebracht hat, war Jerry Lewis. Noch bevor ich überhaupt Worte verstanden habe. Er hatte eine eigene universelle Humorsprache. Sein Gesicht und sein Körper waren wie gelebte Sprechblasen. Er hat mich auf eine