Der Doktor richtete sich jäh auf. »Sind Sie des Teufels, Herr!« brach es von seinen Lippen. »Wie können Sie das wissen?«

»Ich weiß noch mehr, Herr Doktor. Ihr famoser Professor Melton« – während Slawter den Namen aussprach, spielte ein ironisches Lächeln um seine Lippen – »dürfte den neuen Autoklav, der auf Ihre Veranlassung beschafft wurde, in den nächsten Tagen in Grund und Boden verderben.«

Wieder wollte der Doktor etwas sagen, und wiederum verschlug es ihm die Stimme. Slawter fuhr unbewegt fort:

»Sie haben das vorausgesehen, Herr Doktor Wandel, aber Sie waren außerstande, diese Torheit zu verhindern. Deshalb haben Sie noch schnell in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch einen Versuch gemacht, der Ihnen einen großen Erfolg brachte . . .«

Dr. Wandel fand die Sprache wieder.

»Gestatten Sie, Mr. Slawter«, sagte er, »daß ich mich etwas wundere.« Er sprach mit gekünstelter Ruhe, aber je weiter er kam, um so mehr brach seine Erregung durch. Es hielt ihn nicht länger an seinem Platz, er sprang auf und lief im Raum hin und her, während er weitersprach.

»Was soll das alles? Wozu erzählen Sie mir diese Dinge, die Sie – der Himmel mag wissen, wie – erfahren haben?«

»Ich mußte sie Ihnen mitteilen, Herr Doktor, um Sie auf meinen Vorschlag vorzubereiten. Werfen Sie der United den ganzen Krempel vor die Füße und kommen Sie zu uns. Man wird Sie mit offenen Armen empfangen.«

Der Doktor blieb stehen und sah Slawter groß an.

»Zu uns? Sie reden plötzlich in der Mehrzahl . . . für wen sprechen Sie?«

»Oh, Verzeihung, Doktor Wandel! Gestatten Sie, daß ich das Versäumnis nachhole. Ich gehöre zum Stab der Dupont Company und spreche im Auftrage der Company zu Ihnen.«

Der Doktor pfiff durch die Zähne.

»Ach, so ist das, Mr. Slawter! Daher stammen Ihre fast unheimlichen Kenntnisse über Geheimvorgänge bei der United. Alle Achtung vor dem Nachrichtendienst der Company! Nach den Proben, die Sie mir gaben, muß er bewundernswert sein.«

»Besser jedenfalls als der der United, Herr Doktor. Auch sonst werden Sie bei der Company alles besser antreffen. Wie denken Sie über meinen Vorschlag?«

»Ich bedauere, ihn ablehnen zu müssen, Mr. Slawter. Ich habe mich der United für die Durchführung bestimmter Arbeiten verpflichtet und nicht die Absicht, vertragsbrüchig zu werden.«

Slawter wiegte den Kopf leicht hin und her.

»Das brauchen Sie auch nicht, Doktor Wandel. Die United wird Ihnen gegenüber vertragsbrüchig werden. Sie ist es, genau genommen, schon geworden.«

»Darüber müssen Sie mir die Entscheidung überlassen«, wehrte der Doktor ab. Slawter nickte.

»Deutsche Gewissenhaftigkeit. Ich konnte es mir fast denken. Aber trotz aller Gewissenhaftigkeit werden Sie doch sehr bald gezwungen sein, Ihre Entscheidung zu treffen. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, wie die Dinge weitergehen werden. Professor Melton – um diese Akquisition ist die United wirklich nicht zu beneiden – wird den Autoklav verderben, und Monate werden vergehen, bevor ein anderer beschafft wird – falls er überhaupt noch beschafft wird. Legen Sie inzwischen das, was Sie erreicht haben, der Leitung der United vor, so werden Sie auch wenig Freude davon haben. Auf jede mögliche Weise wird dieser von allen guten Geistern verlassene Professor dann versuchen, den verdorbenen Autoklav auf Ihr Konto zu bringen, und über Ihren Erfolg mit einem Achselzucken hinweggehen.«

Der Doktor ließ den Kopf sinken. Sosehr er sich auch zu sträuben versuchte, jeden Satz, den der andere sprach, mußte er als richtig anerkennen. Slawter beobachtete die Wirkung seiner Worte und stand auf.

»Ich will Sie heute zu keiner Entscheidung drängen, Herr Doktor«, beendete er die Unterredung; »was ich Ihnen sagen wollte, habe ich Ihnen gesagt. Wir sind bereit, jeden Tag mit Ihnen abzuschließen. Hier ist der Vertrag, den die Company Ihnen bietet.«

Er nahm ein Schriftstück aus seiner Aktentasche und legte es auf den Tisch. Dr. Wandel schob es beiseite.

»Ich kann nicht, Mr. Slawter. Ich bin der United verpflichtet.«

»Vielleicht noch heute und morgen, Herr Doktor. In einer Woche wohl kaum noch. Dann geben Sie mir Nachricht nach Salisbury.«

Robert Slawter verabschiedete sich, Dr. Wandel blieb allein mit seinen Gedanken, die immer quälender wurden. Jedem Wort, das der Abgesandte der Dupont Company gesprochen hatte, mußte er innerlich beipflichten. Bis in die letzten Einzelheiten war alles richtig, was Slawter gesagt hatte. Warum sollte er die Chance nicht ausnutzen, die das Schicksal ihm bot? Er griff nach dem Vertrag, blätterte darin und begann ihn zu lesen.

Die Bedingungen waren verlockend . . . Volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit bei seiner Tätigkeit garantiert . . . Zusicherung eines hohen Anteils an den wirtschaftlichen Erträgnissen seiner Arbeiten . . . Bereitstellung fast unbeschränkter Mittel für die erforderlichen Versuche . . .

Mit Unmut erinnerte er sich daran, wie er bei der United hatte kämpfen müssen, um den neuen Autoklav bewilligt zu bekommen . . . Wenn die Company wirklich hielt, was sie ihm anbot, durfte er sich die Möglichkeit nicht verscherzen . . . Aber würde sie es auch halten? Wie war es denn bei der United gewesen? Erst die bergehohen Versprechungen Claytons und dann eine Enttäuschung nach der anderen. Würde es bei der Company ebenso gehen, wenn er wirklich zugriff? . . .

Zergrübelt, von Zweifeln zermürbt, erhob er sich und verschloß den Vertrag in seinem Schreibtisch.

»In einer Woche wird die Sache spruchreif sein«, hatte Slawter beim Abschied gesagt. Warten wir ab, was die kommende Woche bringen wird, dachte Dr. Wandel, während er das Schloß zuschnappen ließ. – –

Die nächsten Tage brachten dem Doktor noch keine Entscheidung, aber Tom White brachten sie in gewisser Hinsicht eine Enttäuschung. Der findige Agent Mr. Spinners hatte den Unternehmungsgeist Meltons beträchtlich überschätzt. Auch nachdem der neue Autoklav sicher in die Dammgrube eingebaut war, ging der Professor nur ganz allmählich Schritt für Schritt mit den Versuchen weiter, und Wilkin bestärkte ihn in seiner Vorsicht.

Da gab es erst ein paar Heizversuche, aber Melton hütete sich wohlweislich, die Erwärmung so weit zu treiben, daß die stählerne Kugel in der Grube dadurch gefährdet werden konnte. Die Hoffnung Whites, daß der Autoklav schnell zum Teufel sein würde, erfüllte sich nicht. Dann kamen andere Versuche unter gleichzeitiger Anwendung von Hitze und Druck, aber auch dabei gingen Melton und sein Assistent so behutsam vor, daß Tom White als stiller Zuschauer nicht recht wußte, ob er sich ärgern oder ob er lachen sollte.

Aus einem stillen Winkel beobachtete er das Spiel der Pumpen, die das Heliumgas in den Autoklav preßten, und sah, wie Melton die Maschinen sofort wieder stillsetzen ließ, als der Druck in der Kugel dreitausend Atmosphären erreichte. Und mit dem Strom gingen die beiden so sparsam um, als ob sie die Rechnung dafür aus eigener Tasche bezahlen sollten.

Unwillkürlich mußte White jenes andere, nächtliche Experiment in Gedanken damit vergleichen. Was war der deutsche Doktor doch für ein anderer Kerl! Der hatte Druck und elektrische Energie bis an die Grenze der errechneten Möglichkeit in die Stahlkugel gejagt. Der hätte es unbekümmert gewagt, daß der Autoklav in die Luft flog und ihn bei seiner Himmelfahrt mitnahm. Aber der hatte auch einen Erfolg gehabt, der die Leute in Salisbury nicht mehr schlafen ließ. Dagegen die beiden hier . . .

Die konnten noch monatelang so weitermachen und würden doch nichts Brauchbares herausbekommen . . . Richtig! Da waren sie schon wieder mit ihrer Kunst zu Ende. Der Strom wurde abgestellt und das heiße Gas aus dem Autoklav abgeblasen. Und dann hörte White, wie Professor Melton zu Phil Wilkin sagte:

»Bis morgen früh wollen wir die Sache verkühlen lassen. Dann werden wir mal nachsehen, was der Versuch erbracht hat.«

Oh, was seid ihr beide für Idioten! dachte White bei sich und beschloß, noch am gleichen Abend über diese Komödie an Mr. Spinner zu berichten.

*

Taktmäßig fuhren die Werkleute mit ihren Schaufeln in den Boden der großen Halle, hoben das Erdreich aus und warfen es mit kräftigem Schwung beiseite. Es gab wieder viel Staub und Schmutz dabei, aber die Arbeit näherte sich schnell ihrem Ende. Handelte es sich diesmal doch nur darum, eine schmale Grube etwa fünf Meter tief bis zum Oberteil des Autoklavs auszuschachten. Lange bevor es Mittag schlug, trafen die Spaten der Arbeitenden bereits klirrend auf das stählerne Verschlußstück, und in kurzer Zeit war es vollständig freigelegt.

Tom White ließ es sich nicht nehmen, mit einem mächtigen Schraubenschlüssel bewaffnet, als erster hinunterzusteigen, und Wilkin überließ ihm neidlos den Vortritt, weil er dem Frieden noch nicht völlig traute. Dessen Vorsicht – bei sich nannte White es Feigheit – war nicht einmal ganz unberechtigt, denn der Autoklav war noch reichlich warm. So schnell, wie Professor Melton sich das gedacht hatte, gab die mächtige Stahlmasse von hundert Tonnen in der Tiefe der Dammgrube ihre Wärme doch nicht ab. Öfter als einmal mußte White sich den Schweiß von der Stirn wischen, während er die schweren Schrauben mit dem Schlüssel löste.

Doch endlich war auch das geschafft. Ein Kran rollte heran, faßte den schweren Deckel mit seinem Haken und hob ihn aus der Grube heraus. Schleunigst kletterte auch White wieder nach oben, denn um keinen Preis wollte er sich etwas von dem Schauspiel entgehen lassen, über das er sich im stillen köstlich amüsierte.

Da hing etwa in Augenhöhe der Heizwiderstand unter dem Deckel, jener Widerstand, der sein Dasein dem Erfindungsgeist Wilkins verdankte und über den sich Dr. Wandel so schwer geärgert hatte. Professor Melton und Wilkin standen dicht davor. Durch mächtige Lupen beäugten sie die Metalldrähte, aus denen der Widerstand zusammengebaut war, und suchten sie sorgsam Zoll um Zoll ab.

Ein unbeteiligter Beobachter hätte meinen können, daß es etwas ungeheuer Interessantes an diesem Drahtgewirr zu sehen gab, so sehr waren die beiden in ihre Untersuchung vertieft. Doch je weiter die Zeit verstrich, desto länger wurden ihre Gesichter; und dann ließ Melton seine Lupe sinken.

»Merkwürdig, Wilkin!« sagte er zu seinem Assistenten. »Ich hatte mit Bestimmtheit eine Kristallbildung auf den Drähten erwartet. Wir hatten eine Hitze von zweitausend Grad in dem Drahtmetall um die Drähte herum und das Heliumgas unter hohem Druck. Nach meiner Meinung waren eigentlich alle Vorbedingungen für die Entstehung einer neuen, schwereren Verbindung gegeben.«

Aber uneigentlich nicht, ihr Dummköpfe! dachte White, der die Worte hörte. Der Klang der Werksirenen, welche die Mittagspause anzeigten, machte seinen respektlosen Betrachtungen über Melton und Wilkin ein Ende. Zusammen mit den andern Angestellten verließ er die Halle. Nur der Professor und Wilkin blieben entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten zurück.

»So, wie wir's uns dachten, Herr Professor, ist es leider nicht gegangen«, sagte Wilkin, als sie unter sich waren. Melton machte eine unmutige Bewegung.

»Das habe ich schon selber gesehen, Mr. Wilkin. Wenn Sie nichts Besseres wissen, dann wollen wir den Autoklav wieder schließen und einen neuen Versuch ansetzen.«

Er wollte sich zum Gehen wenden, als Wilkin ihn zurückhielt.

»Noch einen Augenblick, Herr Professor. Es wäre vielleicht möglich, daß sich Verbindungen in der Nähe der Drähte gebildet haben und zu Boden gefallen sind. Man müßte die Autoklavkugel daraufhin einmal untersuchen.«

Melton schüttelte unwillig den Kopf.

»Wie haben Sie sich das gedacht, Wilkin? Dazu müßte man ja den ganzen Apparat wieder aus der Grube herausholen. Man müßte ihn mit dem Kran erst auf den Kopf stellen und sehen, ob etwas herausfällt. Das ist ausgeschlossen, das können wir nicht machen.«

Die Ungeduld des Professors war unverkennbar. Sein Magen meldete sich, und er dachte in diesem Augenblick mehr an ein saftiges Steak als an chemische Verbindungen, die sich vielleicht in der Stahlkugel gebildet haben könnten. Aber Wilkin ließ noch nicht locker.

»Wenn Sie noch eine Minute Zeit hätten, Herr Professor. Ich möchte wenigstens einen Blick in das Innere des Autoklavs werfen. Es wäre doch vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, daß . . .«

»Meinetwegen«, unterbrach ihn Melton, »aber machen Sie bitte etwas schnell! Meine Zeit ist bemessen.«

Er zog seine Uhr und blickte wartend auf das Zifferblatt, während Wilkin zu der Grube eilte und die Leiter hinabstieg.

Einmal . . . zweimal schon hatte der Sekundenzeiger, von Meltons Blicken gefolgt, seinen Kreislauf beendet. Ungeduldig trat der Professor von einem Fuß auf den andern. Schließlich hielt es ihn nicht länger. Er ging zu der Grube hin, um Wilkin zu sagen, daß er keine Lust habe, länger zu warten.

Vom Rande des Schachtes aus sah er seinen Assistenten zusammengekauert über den Autoklav hocken, das Gesicht dicht gegen die Öffnung gepreßt.

»Unsinn«, brummte Melton verdrießlich vor sich hin, »wie kann er etwas sehen, wenn er keine Lampe in die Kugel hineinhängt.«

Eben wollte er seinem Unmut Luft machen, als Wilkin sich aufrichtete und ihm lebhaft zuwinkte.

»Ich habe etwas entdeckt, Herr Professor, kommen Sie bitte, sehen Sie selbst!«

Melton schickte sich an, die Leiter hinabzusteigen, doch auf halbem Wege machte er wieder halt und fragte: »Haben Sie sich auch nicht geirrt, Wilkin? In der Finsternis läßt sich doch nichts erkennen.«

»Doch, Herr Professor. An einer Stelle des Kugelbodens liegt etwas Leuchtendes. Man kann es gut unterscheiden, sobald die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben.«

Auf diese Mitteilung Wilkins hin kletterte Melton die letzten Leitersprossen hinab und bequemte sich dazu, sich ebenfalls in den Sand und Staub niederzukauern und sein Gesicht dicht an die Autoklavöffnung zu bringen.

»Schirmen Sie alles Seitenlicht mit den Händen ab, Herr Professor«, rief ihm Wilkin zu, »dann werden Sie es bald erkennen.«

Wieder verstrichen Minuten, dann richtete Melton sich auf, Sein Gesicht war gerötet. Vielleicht kam es von der unbequemen Stellung, in der er so lange verharrt hatte, vielleicht auch war es die Erregung, die ihm das Blut in die Wangen trieb.

»Sie haben recht, Wilkin«, sagte er, während er sich den Staub von der Kleidung klopfte. »Dort unten leuchtet etwas. Ein Stückchen irgendeiner stark strahlenden Substanz muß es sein, die sich bei dem letzten Versuch gebildet hat.«

»Ein vielversprechender Anfang. Gestatten Sie mir, Herr Professor, daß ich Ihnen als erster meinen Glückwunsch dazu ausspreche«, sagte Wilkin geschmeidig.

»Sehr schön, mein lieber Wilkin. Ich danke Ihnen«, erwiderte Melton herablassend. »Ich wußte es ja, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Aber . . . wie bekommen wir die Substanz aus der Kugel heraus?« Er blickte sich in der menschenleeren Halle um. »Es wäre mir lieb, Mr. Wilkin, wenn wir das jetzt gleich ohne unnötige Zuschauer bewerkstelligen könnten.«

Nach kurzer Überlegung sagte Wilkin: »Einen Augenblick, Herr Professor! Wenn der Stoff nicht an der Kugelwand festgebrannt ist, wird es sich schnell machen lassen.«

Er ging zu einem Regal und kramte zwischen Gläsern und Schachteln. Mit einer Blechbüchse und einer hölzernen Latte kam er zurück. Die Büchse enthielt einen klebrigen Kitt, der von den Laboranten bei ihren Versuchen benutzt wurde, um Rohrleitungen abzudichten.

Wilkin bestrich das eine Ende der Latte damit, dann hockte er sich wieder über die Autoklavöffnung nieder und begann mit dem so präparierten Stab in dem Inneren der Kugel zu tasten und zu suchen. Es dauerte nicht allzu lange, bis er ihn wieder herauszog. In der klebrigen Masse haftete ein dunkelgrauer Kristall von der Größe etwa einer Kirsche.

Mit enttäuschter Miene betrachtete Melton den unscheinbaren Fund. Er schien etwas anderes erwartet zu haben, doch Wilkin ließ sich nicht irremachen.

»Das ist der Stoff«, erwiderte er auf alle Einwände Meltons, »wir wollen damit in die Dunkelkammer gehen, und Sie werden sehen, Herr Professor, wie er leuchtet.«

Willig folgte Melton ihm in den Dunkelraum. Über den Ereignissen der letzten zehn Minuten waren ihm die Gedanken an seinen Lunch vergangen. In erregter Erwartung stand er neben Wilkin an dem Tisch, auf den der Assistent den Kristall gelegt hatte. Er brauchte nicht lange zu warten. In dem Maße, in dem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, begann der Kristall zu schimmern und zu leuchten, bis er schließlich in einem tiefgrünen, hin und her wallenden Licht erstrahlte.

Professor Melton konnte nicht länger an sich halten. Er streckte die Hand nach dem leuchtenden Gebilde aus, aber mit einem Aufschrei zog er sie zurück. Im Moment der Berührung hatte er einen elektrischen Schlag bekommen und einen Brandschmerz verspürt, vielmals stärker als Tom White in jener Nacht, da er einen Kristall Dr. Wandels an sich nehmen wollte.

»Machen Sie Licht, Wilkin«, rief Melton, während er die schmerzende Hand hin und her schlenkerte. Die Beleuchtung flammte auf, grau und unscheinbar lag der Kristall auf seinem Platz.

»Haben Sie sich verletzt, Herr Professor?« fragte der Assistent besorgt.

»Der Kristall, Wilkin. Das Zeug ist gefährlich . . . Vorsicht, Wilkin! Fassen Sie es nicht . . .«

Die Warnung kam zu spät. Auch Wilkin war dem strahlenden Stoff mit den Fingern zu nahe gekommen und hatte seinen Schlag weg.

»Verflucht! Das Ding ist geladen. Mit dem Zeug ist nicht zu spaßen.« Wilkin sprang von einem Fuß auf den andern und rieb sich seine Hand. Melton warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. Derartige Gefühlsausbrüche seiner Untergebenen waren nicht nach seinem Geschmack.

»Wenn Sie wieder zu sich gekommen sind, Mr. Wilkin«, meinte er ironisch, »haben Sie vielleicht die Güte, eine Bleibüchse zu holen . . . eine starkwandige, Mr. Wilkin!« rief er dem Assistenten nach, der bereits davoneilte, um den Auftrag auszuführen.

»So, lieber Wilkin. Die ist gut«, fuhr er besänftigt fort, als der Assistent ein Büchslein mit zollstarken Wänden auf den Tisch stellte. Vorsichtig faßte Melton den Kristall mit einer gläsernen Pinzette, ließ ihn in die Büchse fallen und setzte den Deckel darauf.

»Tragen Sie es in mein Laboratorium, Wilkin, wir werden heut nachmittag an die Untersuchung gehen.« – –

Als Tom White nach der Mittagspause in die große Halle zurückkam, fand er alles unverändert. Der Autoklav stand noch ebenso da, wie er ihn verlassen hatte, und der schwere Deckel hing nach wie vor an dem Kranhaken. Er fand reichlich Zeit und Gelegenheit, sich den Heizwiderstand ganz genau anzusehen und eine Drahtprobe beiseitezuschaffen, denn Melton und Wilkin waren nirgends zu sehen.

Die beiden steckten in dem Laboratorium des Professors und waren eifrig an der Arbeit, das Atomgewicht des neuen Stoffes festzustellen. In unangenehmer Weise störte sie dabei die starke Wärmeentwicklung des merkwürdigen Kristalls. Ganz ähnlich wie Dr. Wandel und White mußten sie kräftige Kühlungsmittel anwenden, um zu verhindern, daß ihnen die Bleihülle zerschmolz. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es ihnen aber doch, Feststellungen zu machen. –

In der großen Halle steckte Tom White das erbeutete Drahtstückchen sorgsam in seine Brieftasche. Wer weiß, zu was es gut ist, dachte er sich dabei. Vielleicht kann es Slawter nützen. Bei Mr. Spinner wird's mir auf keinen Fall schaden.

Sein Tatendrang regte sich von neuem. Hier in der Halle war für ihn im Augenblick nichts mehr zu holen. Er verließ sie und begann in den Korridoren herumzuschnüffeln.

Geräuschlos näherte er sich der Tür von Meltons Laboratorium. Vorsichtig brachte er sein Auge an das Schlüsselloch. Der Schlüssel steckte von innen so, daß er hineinsehen konnte, und ein Blick ließ ihn erkennen, daß der Professor und sein Assistent sich eifrig mit chemischen Analysen beschäftigten.

Dabei schienen die beiden sich über das Ergebnis ihrer Arbeit nicht recht einig zu sein. Er sah, wie Melton Zahlen, die Wilkin ihm zurief, niederschrieb und dann ärgerlich den Bleistift hinwarf. Und dann vermochte er auch Worte zu verstehen, weil die Stimme des Professors in der Erregung laut aufklang.

»Sie müssen sich geirrt haben, Wilkin. Zweihundertfünfzig? . . . Ich halte das für ausgeschlossen.«

Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es White, als er die Zahl zweihundertfünfzig vernahm. Abwechselnd drückte er Ohr und Auge dicht an die Tür, um weiter zu hören und zu sehen. Er konnte beobachten, wie Wilkin seine eigenen Aufzeichnungen noch einmal mit den Zeigerstellungen verschiedener Meßinstrumente verglich, und hörte ihn danach sagen:

»Die Zahlen, die ich Ihnen angab, Herr Professor, stimmen genau mit unsern Messungen überein. Es liegt kein Grund vor, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln.«

»Aber . . . aber, mein lieber Wilkin . . .« Professor Melton überprüfte noch einmal seine eigenen Berechnungen ». . . das ist doch kaum denkbar . . . Atomgewicht zweihundertfünfzig . . . es wäre ja ein großartiger Erfolg für mich . . . auch für Sie, Wilkin, wenn es tatsächlich so ist.«

»Warum soll es nicht so sein, Herr Professor? Nach der Theorie müssen Druck und Hitze . . .« Wilkin stockte, lauschte einen Moment und stürzte auf die Tür zu.

In seiner Erregung hatte Tom White den Kopf immer stärker gegen die Tür gepreßt und dabei ein Geräusch verursacht, das den scharfen Ohren des Assistenten nicht entgangen war. Mit jähem Ruck wollte der die Tür aufreißen und stieß auf Widerstand. Er selbst hatte den Schlüssel ja vor dem Beginn ihrer Untersuchungen zweimal herumgeschlossen. Bis er ihn zurückdrehte, verging eine Sekunde, und Tom White verstand es, sie zu nützen.

Als Wilkin die Tür aufriß, kam White aus einiger Entfernung den Korridor entlanggeschlendert und blieb mit harmloser Miene stehen, als er den Assistenten plötzlich auftauchen sah.

»Was haben Sie hier zu tun, Mr. White?« herrschte Wilkin ihn in gereiztem Ton an.

»Verzeihung, wenn ich störe, Mr. Wilkin. Ich war auf der Suche nach Ihnen.«

»Warum denn? Können Sie ohne mich nicht fertig werden?«

White schien die schlechte Laune des andern nicht zu merken. »Ich wollte Sie um Anweisungen bitten«, sagte er in seiner gewohnten unterwürfigen Weise. »Soll ich den Autoklav schließen lassen? Der Deckel hängt noch am Kran . . .«

Professor Melton war inzwischen herangetreten. Er zog Wilkin zur Seite, sprach leise einige Worte mit ihm und wandte sich dann direkt an White.

»Jawohl, hängen Sie den Deckel ein und sorgen Sie dafür, daß die Dammgrube morgen vormittag wieder zugeschaufelt wird.«

»Sehr wohl, Herr Professor. Ich werde sofort alles veranlassen«, sagte White und empfahl sich.

Erst hinter der zweiten Biegung des Korridors machte er halt und ließ sich auf eine Bank fallen. Das Herz schlug ihm bis an den Hals, und er brauchte Zeit, sich zu beruhigen. Das hätte ja um ein Haar schiefgehen können. Nur der Zufall mit dem Schlüssel hatte ihn gerettet . . . aber was faselten die beiden in ihrem Laboratorium von einem Atomgewicht zweihundertfünfzig? . . . Wie sollten sie zu einem solchen Stoff gekommen sein? . . . Durch den lachhaften Versuch vom heutigen Vormittag ganz gewiß nicht . . .

Oder doch? . . . Während White sich noch einmal vergegenwärtigte, was er während der paar Sekunden in Meltons Laboratorium erblickt hatte, kam ihm auch eine Bleibüchse in die Erinnerung. Das Geräusch fließenden Wassers hatte seine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, und deutlich stand ihm das Bild jetzt wieder vor Augen. Der Professor oder sein Assistent hatte die Büchse auf zwei Glasstäbe unter einen Hydranten gestellt, der sie kräftig mit kaltem Wasser überbrauste.

Tom White versuchte seine Schlüsse aus dem Erschauten zu ziehen. Die Büchse wurde stark gekühlt, also mußte etwas darin sein, das sie ständig erhitzte. Nach seinem Wissen konnte das nur eine ungemein stark strahlende Substanz sein . . . er schloß die Augen, um schärfer nachdenken zu können . . . derselbe Stoff vielleicht, den Dr. Wandel bei seinem nächtlichen Experiment erzeugte, dann würde es mit dem hohen Atomgewicht seine Richtigkeit haben. Aber . . . White preßte beide Fäuste gegen die Stirn . . . das war ja vollständig ausgeschlossen, daß sie das erreicht hatten . . .

Er ließ die Hände sinken und riß die Augen weit auf. Ein anderer Gedanke zuckte durch sein Hirn. Er entsann sich, wie Dr. Wandel in jener Nacht die Kristallkugel durch einen Schlag in viele Einzelteile auseinandergesprengt hatte. Er selber war ja dadurch in den Besitz eines Kristalls gelangt . . . War es nicht denkbar, daß ein anderes Stück der wunderbaren Substanz bei der Zertrümmerung in den Autoklav gefallen und später Melton und seinem Assistenten in die Hände geraten war?

White sprang auf und atmete tief. Nicht anders konnte es sein. Jetzt glaubte er, die einzig mögliche Lösung dieses auf andere Weise nicht lösbaren Rätsels gefunden zu haben. Wenn es aber so war, wenn er wirklich recht mit seiner Vermutung hatte, dann mußte der alte Widerstreit zwischen Professor Melton und dem deutschen Doktor jetzt in ein neues Stadium treten. Dann würden die nächsten Tage und Wochen sicherlich wichtige Entscheidungen bringen.

Während er gemächlich nach der Halle zurückkehrte, um den Auftrag Meltons zu erledigen, überkam ihn ein übermütiges Gefühl. Wie stand er, der kleine, unbedeutende Angestellte, jetzt da! Dinge von größter Tragweite wußte er von den beiden widerstreitenden Parteien, zwischen denen es nun bald zum Entscheidungskampf kommen mußte, und – der Gedanke bereitete ihm das größte Vergnügen – keine der beiden Gruppen hatte die leiseste Ahnung davon, daß ihm das alles bekannt war.

Unwillkürlich spitzte er die Lippen und schnalzte mit der Zunge. Wie ein Feinschmecker wollte er die spannenden Situationen genießen, welche die kommenden Tage bringen mußten.

*

Auch Wilkin war in rosiger Laune, als er am Abend das Werk verließ. War doch der Erfolg, den sie gleich bei dem ersten Druckversuch gehabt hatten, über alles Erwarten günstig. Schon morgen, spätestens übermorgen, würde Melton zu Direktor Clayton gehen, um ihm die Ergebnisse vorzulegen, und dann gab's sicher auch für ihn eine Belobigung, eine Gehaltsaufbesserung und vielleicht noch manches andere Erfreuliche.

In dieser Stimmung empfand Phil Wilkin, sonst verschlossen und eingefleischter Egoist, das Bedürfnis, seinem Herzen irgendwie Luft zu machen. Am Werkportal wartete White auf ihn, um ihm zu melden, daß er den Wünschen Professor Meltons entsprechend alles angeordnet habe. Der kam ihm jetzt gerade gelegen; dem gegenüber durfte er es wohl wagen, das eine oder andere Wort fallen zu lassen, ohne Indiskretionen fürchten zu müssen.

»Recht so, mein lieber White«, beantwortete er dessen Mitteilung. »Sehr gut, daß Sie alles Nötige veranlaßt haben; wir werden wahrscheinlich schon morgen nachmittag den nächsten Versuch machen.«

»Ich wünsche Ihnen von Herzen guten Erfolg«, beeilte sich Tom White zu erwidern. »Gestatten Sie mir eine Frage, Mr. Wilkin: Mit dem Ergebnis des heutigen Experiments schienen Sie nicht ganz zufrieden zu sein?«

Wilkin biß sich auf die Lippen, um seine Worte zurückzuhalten.

Mensch, wenn du wüßtest . . .! schoß es ihm durch den Sinn, während sein Drang, dem andern ein paar Brocken hinzuwerfen, immer stärker wurde, und dann fragte er unvermittelt:

»Hätten Sie Lust, White, mal wieder ein Glas Bier mit mir zu trinken?«

White wußte die Ehre der Einladung nach Gebühr zu schätzen, und bald danach saßen sie in dem gleichen Ausschank, in dem sie schon einmal zusammen Pläne geschmiedet hatten.

White verfügte über genügend Menschenkenntnis, um Wilkins augenblickliche Gemütsverfassung zu durchschauen. Er möchte das Ei legen und weiß doch nicht recht, wie er es loswerden soll, dachte er mit einem schnellen Blick auf den Assistenten; ich will ihm ein wenig auf die Sprünge helfen.

Vorsichtig begann er. »Ich bin neugierig, wie sich Doktor Wandel zu Ihren Arbeiten stellen wird.«

Der Anstoß genügte, um Wilkin die Zunge zu lösen. »Der deutsche Doktor«, sprudelte er los, »dürfte wohl ein für allemal kaltgestellt sein. Was der kann, können wir auch . . . mein lieber White.«

White markierte den Erstaunten. »Oh, Mr. Wilkin, das freut mich aufrichtig für Sie. Aber gestatten Sie mir eine Frage . . . verzeihen Sie, wenn sie vielleicht ungehörig ist . . . heut mittag . . . ich erwähnte es bereits . . . schienen Sie mir etwas enttäuscht zu sein.«

»Das war doch Diplomatie, mein lieber White. Nehmen Sie einmal an, wir hätten einen kleinen Erfolg gehabt. Selbstverständlich durften wir in der großen Halle in Gegenwart von einem Dutzend Angestellter doch davon nichts merken lassen.«

White nickte verständnisvoll. »Mein Kompliment, Mr. Wilkin, Sie und auch Professor Melton haben Ihre Rolle großartig gespielt. Die Enttäuschung in Ihren Gesichtern heute mittag wirkte unbedingt echt. Kein Mensch in der Halle konnte auf den Gedanken kommen, daß Sie Erfolg hatten. Ist es Ihnen denn wirklich gelungen, die widerwilligen Atome zusammenzuzwingen?«

Wilkin nahm einen Schluck aus dem Glas, bevor er antwortete. »Sie werden es begreifen, Mr. White, daß ich über Einzelheiten nicht sprechen darf. Aber das eine kann ich Ihnen wohl verraten, das natürliche Radium ist überflüssig geworden. Man braucht sich in Zukunft nicht mehr die Mühe zu machen, es mit riesigen Unkosten aus der Pechblende herauszuziehen. Wir sind jetzt in der Lage, mit unsern Laboratoriumsmitteln einen Stoff herzustellen, der unendlich viel wirksamer und tausendmal billiger als das Radium ist. Die Welt wird staunen, wenn wir mit unsern Entdeckungen vor die Öffentlichkeit treten . . .«

Phil Wilkin begann sich warm zu reden. Mit immer stärkeren Worten malte er White allerlei Zukunftsmöglichkeiten aus und achtete dabei nicht mehr auf seine Umgebung, sonst wäre es ihm aufgefallen, daß ein einzelner Gast, der am übernächsten Tisch saß, dem Gespräch mit steigender Aufmerksamkeit zuhörte und jetzt sogar in fliegender Hast Wort für Wort mitstenographierte. Er bemerkte es nicht, und Tom White konnte es nicht sehen, weil er mit dem Rücken gegen diesen Zuhörer saß.

Als Wilkin mit seiner Schilderung zu Ende war, trank der Fremde sein Bier aus und verließ den Salon. Auf der Straße stieg er in seinen Wagen und fuhr in scharfem Tempo zum Gebäude der »Detroit Post«.

»Hallo, Jones. Bringen Sie uns noch etwas Besonderes?« empfing ihn der Redakteur vom Dienst.

»Großartige Sache, Teale. Muß unbedingt auf die erste Seite der Morgennummer . . .«

Der Redakteur schüttelte den Kopf. »Wird sich schlecht machen lassen, Jones. Die erste Seite soll in zehn Minuten in die Maschine gehen.«

»Muß 'rein, Mr. Teale! Muß unter allen Umständen mit dicken Schlagzeilen auf die erste Seite. Eine phänomenale Sache, sage ich Ihnen. Künstliches Radium, Teale! Entdeckung eines amerikanischen Gelehrten. Professor Melton von der United Chemical hat es entdeckt. Hunderttausendmal kräftiger, tausendmal billiger als natürliches Radium. Das gibt Schlagzeilen, sage ich Ihnen. Die Konkurrenz wird platzen, wenn wir morgen als die ersten damit herauskommen . . .«

Der Redakteur griff zum Telephon und gab Anweisung, den Satz der ersten Seite noch nicht in die Maschine zu heben. Jones hatte sich inzwischen bereits an eine Schreibmaschine gesetzt und ließ die Tasten knattern. Seite um Seite, wie sie eben fertig wurde, zog ihm Teale fort und schickte sie in die Setzerei. Als Jones eine Stunde später die Redaktion verließ, waren die Rotationspressen der »Detroit Post« bereits in vollem Lauf. Zu hohen Stapeln häuften sich neben ihnen Exemplare der Morgenausgabe, die auf der ersten Seite sein Machwerk enthielt. – –

Am nächsten Morgen war Professor Melton mit Wilkin in seinem Laboratorium zusammen. Sie wollten weitere Untersuchungen mit der strahlenden Substanz anstellen, als das Telephon sich meldete.

»Ich will ungestört bleiben«, sagte Melton mit einem ärgerlichen Blick auf den Apparat. Wilkin nahm den Hörer ab, lauschte und bedeckte dann das Mikrophon mit der Hand.

»Herr Direktor Clayton ist am Apparat, Herr Professor. Er läßt Sie bitten, zu ihm zu kommen.«

Verdrießlich streifte Melton seinen weißen Kittel ab. »Sagen Sie, daß ich komme!« rief er dem Assistenten zu und eilte aus dem Raum.

Die Aufforderung Claytons kam ihm ungelegen, denn er wollte erst am nächsten Tage zu ihm gehen und ihm dann von seiner Entdeckung Kenntnis geben. Während er jetzt zum Verwaltungsgebäude ging, überlegte er sich, ob er heute schon davon sprechen sollte. Triftige Gründe, es noch zu verschweigen, ließen sich kaum finden. Die hauptsächlichsten Untersuchungen waren ja gemacht, und das Atomgewicht des neuen Stoffes war zuverlässig festgestellt. Als er das Zimmer Claytons erreichte, war sein Entschluß gefaßt. Er wollte sofort mit seiner Entdeckung herauskommen, doch die Unterredung mit Clayton nahm zunächst einen andern Verlauf.

»Ich muß mich außerordentlich wundern, Herr Professor«, empfing ihn der Direktor. Der Tonfall, in dem er es sagte, klang gereizt, und seine Züge zeigten unverhüllten Unmut.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Mr. Clayton«, sagte Melton unsicher.

»Das hier meine ich, Herr Professor!« Clayton hielt ihm die Morgennummer der »Detroit Post« hin. In mächtigen Lettern blinkten dem Professor die Schlagzeilen der ersten Seite entgegen. Seinen eigenen Namen las er, dann andere Worte . . . »United Chemical« . . . »Epochemachende Entdeckung« . . . »Künstliches Radium« . . .

Wie ist das möglich? dachte Melton entsetzt. Im gleichen Moment sagte Clayton dieselben Worte zu ihm.

»Wie ist das möglich? Wie konnte so etwas geschehen?«

Bis jetzt hatte der Direktor gegen seine sonstige Gewohnheit Melton noch keinen Stuhl angeboten. Der Professor fühlte seine Knie schwach werden und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. »Ich habe keine Ahnung, Mr. Clayton«, brachte er stockend hervor. »Es ist mir völlig unerklärlich, wie die Zeitung davon erfuhr.«

Clayton riß das Blatt wieder an sich und schlug mit der Hand darauf.

»Ja, stimmt denn das? Das Ganze ist doch Schwindel? . . . Eine fette Ente?« fragte er ärgerlich.

Melton raffte sich zusammen. »Es stimmt, Herr Direktor. Das ist ja das Rätselhafte dabei. Ich habe diese Entdeckung tatsächlich gemacht. Gestern vormittag gelang es mir, einen Stoff herzustellen, von dem die Zeitung da ziemlich zutreffend berichtet. Ich wollte heute noch einige Analysen machen, um Ihnen dann morgen Kenntnis von der Entdeckung zu geben.«

In den Zügen Claytons ging eine Veränderung vor. Seine Stirn glättete sich, und der verbissene Zug um sein Kinn verschwand. »Sie haben die Entdeckung wirklich gemacht, Herr Professor?« fragte er in umgänglicherem Ton.

»Ich habe sie gemacht, Herr Direktor. Bei dem gestrigen Versuch bildeten sich einige Gramm einer ungemein stark strahlenden Substanz mit einem außergewöhnlich hohen Atomgewicht. Der Erfolg steht außer Zweifel, aber wie konnte die Zeitung davon erfahren? Vor allen Dingen so schnell davon erfahren? Das will mir nicht in den Kopf.«

Direktor Clay hatte einen Teil seiner guten Laune wiedergefunden.

»Das ist eine andere Frage, Herr Professor, der wir natürlich mit allen Mitteln unseres Werkdienstes nachgehen werden. Jetzt interessiert mich nur Ihre Entdeckung. Wollen Sie mir bitte darüber berichten.«

Und nun kam Melton doch dazu, seinen Vortrag zu halten, so wie er es sich vorgenommen hatte. Mit Aufmerksamkeit hörte Clayton ihn an und fand des öfteren anerkennende Bemerkungen dazu.

»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem schönen Erfolg«, sagte er, als Melton mit seinen Ausführungen fertig war. »Bei dieser Sachlage ist der Artikel der ›Detroit Post‹ kein großes Unglück. Trotzdem müssen wir die Angelegenheit untersuchen. Ich bitte Sie, zunächst genau festzustellen, wer von den Leuten Ihrer Abteilung um die Erfindung gewußt hat, denn einer von ihnen muß ja geplaudert haben. Im übrigen halte ich es für wichtig, mein lieber Herr Professor, daß Sie möglichst bald weitere Versuche machen und mehr von der neuen Substanz herstellen. Ich möchte unserm Aufsichtsrat nicht nur ein paar Gramm, sondern ein paar Kilogramm davon vorlegen.«

»Gewiß, Herr Direktor«, erwiderte Melton, »ich hatte diese Absicht ohnehin. Es steht schon alles für den nächsten Versuch bereit.«

»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück dazu und guten Erfolg, Herr Professor«, rief ihm Clayton noch nach, als er das Zimmer verließ.

Nach Meltons Fortgang griff er wieder nach dem Zeitungsblatt, und seine Miene wurde nachdenklich, während er den Aufsatz auf der ersten Seite ansah.

Für bare Erfindung und blanken Schwindel hatte er das Ganze gehalten, als er es heute morgen las. Und nun war es doch nicht gelogen. Diesem Professor Melton, dem er es kaum zugetraut hatte, war eine epochemachende Entdeckung geglückt, eine Sache, die für die United eine Goldgrube werden mußte.

Hatte es noch einen Zweck, daß er sich weiter für Dr. Wandel einsetzte? Waren die Klagen und Beschwerden über Melton, mit denen der Deutsche ihn öfter als einmal behelligt hatte, überhaupt berechtigt? Wie sollte er sich künftig zu ihm stellen?

Während Clayton sich mit diesen Fragen beschäftigte, wurde ihm Dr. Wandel gemeldet. Was mochte der jetzt wieder auf dem Herzen haben?

Wohl oder übel mußte er den Doktor empfangen. In scharfen Worten verwahrte sich Dr. Wandel dagegen, daß ihm der neue, auf seine Veranlassung beschaffte Apparat durch Melton entzogen werde. Mit einem Achselzucken begleite er die Schilderung der Versuche, die Melton und sein Assistent damit anstellten. Nach seiner Meinung seien sie nicht nur zwecklos, sondern müßten den teuren Apparat auch in kürzester Zeit verderben.

»Ich kann Ihrer Ansicht nicht ohne weiteres beipflichten«, unterbrach ihn Clayton kühl. Seine reservierte Haltung brachte den Doktor noch mehr in Harnisch.

»Ansicht hin, Ansicht her!« rief er in hellem Ärger. »Bei seiner Art zu arbeiten wird Professor Melton niemals einen Erfolg haben.«

»Auch darin kann ich Ihnen nicht beistimmen«, unterbrach ihn Clayton, und offene Abweisung klang jetzt aus seinen Worten.

»Ich sehe, daß mein Besuch keinen Zweck hat. Ich werde die Konsequenzen daraus ziehen, Mr. Clayton.«

Dr. Wandel erhob sich und wollte das Zimmer verlassen, als der Direktor ihn mit einer Frage zurückhielt.

»Lesen Sie keine Zeitung?«

Dr. Wandel machte eine verneinende Bewegung. »Ich habe Besseres zu tun, Mr. Clayton.«

»Merkwürdig, merkwürdig«, Clayton wiegte den Kopf hin und her, »meine Herren Chemiker scheinen grundsätzlich keine Zeitungen zu lesen. Das ist aber verkehrt, Herr Doktor. Es entgeht Ihnen dadurch doch manches Wichtige.«

Während Dr. Wandel ihn zweifelnd ansah, griff Direktor Clayton nach der Nummer der »Detroit Post« und reichte sie ihm hin.

»Lesen Sie das, Herr Doktor. Bitte nehmen Sie wieder Platz und lesen Sie es sorgfältig durch. Sie werden Ihre Meinung über Professor Melton danach wesentlich ändern müssen.«

Minuten verstrichen. Das Zeitungsblatt in der Hand Dr. Wandels zitterte, während er den Aufsatz Zeile um Zeile las. Jetzt faltete er es wieder sorgfältig zusammen, erhob sich und gab es Clayton zurück.

»Nun?« fragte der. »Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?«

»Ich sage, daß es unmöglich ist, Mr. Clayton.«

»Sie sind im Irrtum, Doktor. Der Professor war eben bei mir und hat mir über seine großartige Entdeckung Bericht erstattet. Bei seinem letzten Versuch hat sich radioaktive Substanz mit dem Atomgewicht zweihundertfünfzig gebildet . . .«

»Wieviel, Herr Direktor?« Knapp und scharf fuhr die Stimme Dr. Wandels dazwischen.

»Professor Melton hat einen Kristall im Gewicht von einigen Gramm hergestellt.«

»In dem neuen Autoklav?«

»Allerdings, Herr Doktor.«

»Bei seinem letzten Versuch am gestrigen Vormittag?«

»Ich sagte es Ihnen bereits, Doktor Wandel.«

Ein eigenartiger Zug spielte um den Mund des Doktors. Er öffnete die Lippen, als ob er sprechen wollte, und preßte sie dann wieder fest zusammen.

Clayton sah die Bewegung. »Ich kann es verstehen, daß der Erfolg Meltons Ihnen nahegeht«, sagte er. »Er hat Ihnen durch seine Entdeckung den Wind aus den Segeln genommen. Daran ist nichts mehr zu ändern, das ist Erfinderschicksal, Herr Doktor. Jeder, der wissenschaftlich arbeitet, muß schließlich damit rechnen, daß ein anderer glücklicher ist und den Erfolg vor ihm einheimst.«

Der Ausdruck in den Mienen des Doktors wurde unergründlich, während er antwortete.

»Rechnen Sie nicht zu fest damit, Mr. Clayton. Sie werden eine schwere Enttäuschung erleben. Denken Sie an mich, wenn es so weit ist. Für den Augenblick darf ich wohl annehmen, daß die United meine Dienste nicht mehr benötigt.«

Clayton machte eine unschlüssige Bewegung, die ebenso gut ja wie nein bedeuten konnte. Ein inneres Gefühl warnte ihn, den Doktor jetzt einfach gehen zu lassen, aber sein Verstand lehnte sich dagegen auf. Melton hatte die große Entdeckung gemacht. Das war für ihn außer Zweifel, und wenn Dr. Wandel es nicht wahrhaben wollte, so war das eine Querköpfigkeit, die er sich nicht länger bieten zu lassen brauchte.

»Mit Ihrem Einverständnis scheide ich am heutigen Tage aus dem Betrieb der United aus, Herr Direktor Clayton«, sagte Dr. Wandel und machte eine kurze Verbeugung. Clayton wollte ihn noch einmal zurückrufen, ihn bitten, wenigstens den nächsten Versuch des Professors abzuwarten, doch bevor er die Worte dafür finden konnte, war die Tür hinter dem Doktor bereits ins Schloß gefallen.

Dr. Wandel kehrte in sein Büro zurück und war für die nächste Stunde damit beschäftigt, seine Papiere zu ordnen. Zu Stapeln häuften sich auf dem Schreibtisch die Hefte mit den endlosen Berechnungen, die er dem Wandtresor entnahm. Nur einen kleinen Teil davon, der die Endergebnisse enthielt, legte er in die Aktentasche. Das Übrige trug er in sein Laboratorium hinüber, warf es in ein Becken aus feuerfester Schamotte und ließ die zischende Flamme eines Knallgasbrenners darüber hinspielen. Es währte nicht lange, und nur noch ein wenig leichte Asche war von dem übrig, was er in monatelanger Arbeit errechnet und zu Papier gebracht hatte.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Die Zeiger wiesen auf ein Viertel vor elf. Noch lange Zeit bis zur Mittagspause. Er beschloß, seine Aufzeichnungen sofort in einen Banksafe zu bringen.

Die Aktentasche unter dem Arm verließ er das Werk und fuhr zu seiner Bank im Innern der Stadt. –

Zu der gleichen Zeit war Professor Melton wieder bei Clayton. Von einer inneren Unruhe getrieben, hatte der Direktor ihn noch einmal gerufen und gebeten, mit möglichst vielen Unterlagen zu ihm zu kommen.

Der Professor leistete dem Wunsch Claytons umgehend Folge. Er erschien in dessen Zimmer mit allerlei Instrumenten in den Taschen und einem Protokollbuch in den Händen, auf dem er eine kleine Bleibüchse trug.

»Die Strahlung ist ungemein stark, Herr Direktor. Das Blei erhitzt sich sofort, wenn wir nicht dauernd stark kühlen«, sagte er, während er die Büchse auf einen Tisch stellte und ihren Deckel abhob. Mit einer gläsernen Pinzette nahm er den strahlenden Kristall heraus.

»Das ist die Substanz, Mr. Clayton«, fuhr er erklärend fort. »Fühlen Sie nur, wie warm das Blei schon wieder auf dem Wege bis hierher geworden ist. Hüten Sie sich, den Kristall zu berühren. Er teilt empfindliche elektrische Schläge aus . . .«

»Also eine Sorte Zitteraal«, versuchte Clayton zu scherzen.

»Wesentlich stärker, Herr Direktor. Es ist nicht gut, dem Stoff zu nahe zu kommen. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir damit hinter den Vorhang gehen. In der Dunkelheit können Sie ihn leuchten sehen.«

Als Melton den Kristall nach geraumer Zeit wieder in die Büchse tat, war Clayton von dem Erfolg des Professors restlos überzeugt.

»Ganz vorzüglich, mein lieber Professor. Einfach verblüffend«, sagte er beim Abschied zu ihm. »Übrigens ist Ihre Entdeckung Doktor Wandel schwer auf die Nerven gefallen. In seinem Ärger über Ihren Erfolg hat er uns die Freundschaft gekündigt. Er wird uns verlassen.«

Professor Melton quittierte diese Nachricht mit einem schiefen Lächeln und konnte es sich nicht versagen, sie nach der Rückkehr in sein Laboratorium Phil Wilkin mitzuteilen. Auch der war außerstande, die Neuigkeit lange für sich zu behalten, und benutzte die nächste Gelegenheit, sie seinem Schützling White zuzuflüstern.

»Oh, Doktor Wandel will die United Chemical verlassen?« Tom White sagte es in gleichmütigem Tonfall, während er bei sich die Folgen überschlug, die sich für seine eigene Stellung daraus ergeben könnten. Wohin würde der Doktor gehen, wenn er Detroit verließ? White wußte von den früheren vergeblichen Bemühungen der Dupont Company um den Doktor. Natürlich würde man es jetzt erneut versuchen, ihn für den Konzern zu gewinnen, und nach menschlichem Ermessen blieb Dr. Wandel auch kaum etwas anderes übrig, als nach Salisbury zu gehen.

Hatte es dann noch Zweck, daß er selber hier in Detroit blieb? Die Entscheidung darüber lag bei Mr. Spinner. Vielleicht rief ihn der schon in den nächsten Tagen zurück. Unter irgendeinem Vorwand würde er dann kündigen und aus Detroit verschwinden. Jedenfalls aber war es gut, wenn er dann nicht mit leeren Händen nach Salisbury zurückkehrte. Fast zwangsläufig kam Tom White zu dem Entschluß, in den seine Überlegungen so oft ausliefen: vor dem Verschwinden hier noch auskundschaften und mitnehmen, was sich irgendwie lohnte. Und kaum war der Entschluß gefaßt, als er auch schon zu handeln begann.

Wo steckte der Doktor augenblicklich? Für einen Mann von Whites Qualitäten war es eine Kleinigkeit, das sehr schnell herauszubekommen. Schon fünf Minuten später wußte er, daß Dr. Wandel vor kurzem das Werk verlassen hatte und mit einem Auto in die Stadt gefahren war. Nach abermals fünf Minuten stand er in dessen Räumen. Sorgfältig durchsuchte er sie und mußte dabei zu seinem Leidwesen feststellen, daß er um weniges zu spät gekommen war.

In dem Wandtresor steckte der Schlüssel. White konnte den Safe mit Leichtigkeit öffnen, aber er war leer. Die Aschenreste in dem Laboratorium nebenan sagten ihm, wo die Papiere geblieben waren, nach denen er suchte. Leer und sauber ausgewaschen waren auch die Mensuren, in denen bei seinem neulichen Versuch noch die chemischen Verbindungen des neuen Stoffes in den mannigfachsten Farben schimmerten. Dr. Wandel hatte vor seinem Fortgang gründlich aufgeräumt. Ein einziges Stück nur noch zeugte von seiner früheren Tätigkeit hier. Der schwere Bleibehälter mit der radioaktiven Substanz. Der stand in einem Spülbecken und wurde von einem ständig laufenden Wasserstrahl überbraust.

Nachdenklich blieb Tom White vor dem Becken stehen. Er erinnerte sich der Schwierigkeiten, die ihm selbst schon der Transport eines kleinen Kristalles dieser strahlenden Materie bereitet hatte. Ein Vielfaches davon mußte ja in diesem großen Bleibehälter hier vorhanden sein. Wie wollte der Doktor das fortbringen . . . wenn er überhaupt die Absicht hatte, es mitzunehmen.

White sah keine Möglichkeit dafür, aber eine andere Idee kam ihm, während er vor dem Becken stand. Er erschaute für sich eine Gelegenheit, noch einmal handelnd in die Komödie Melton-Wilkin einzugreifen und sie zur Groteske zu machen. Der Gedanke belustigte ihn so, daß er laut auflachen mußte. Wenn das so glückte, wie er's sich jetzt ausmalte, dann standen ihm in Detroit noch einige vergnügte Tage bevor.

Tom White verließ den Raum, aber er kehrte noch einmal für kurze Zeit zurück, und als er die Tür zum zweiten Male hinter sich verschloß, trug er ein schweres Päckchen unter dem Arm. Als die Mittagspause kam, verstand er es, unauffällig im Werk zu bleiben, und machte sich in der großen Halle zu schaffen. Es traf sich günstig für ihn, daß die Erdarbeiter welche die Dammgrube wieder zuschaufeln sollten, erst für den Nachmittag verfügbar waren. Vollständig in der Ordnung war es auch, daß er als gewissenhaftes Mitglied der Abteilung Melton den Verschluß des Autoklavs noch einmal gründlich überprüfte und dabei geraume Zeit in der Grube verweilte. Selbst wenn über Mittag eine Werkkontrolle gekommen wäre, hätte sie dabei nichts Verdächtiges finden können. – –