Lasst uns den Menschen als Teil der Natur neu denken!

Alles hängt mit allem zusammen, und wir Menschen sind ein Teil des Ganzen der Natur. Diese Einsicht ist in unserer technologisch-ökonomisch geprägten Welt in Vergessenheit geraten, mit immer negativeren Folgen für unsere natürliche Mitwelt, unsere Lebensgrundlagen und letztlich uns selbst. Wie kommen wir da wieder raus?

Harald Lesch und Klaus Kamphausen entwerfen ein Welt- und Menschenbild, das den Menschen wieder als Teil der natürlichen Zusammenhänge begreift und ihn als Wesen zeigt, das erst im Für- und Miteinander sein volles, zukunftsfähiges Potential entfaltet – ein Welt- und Menschenbild, das sich von der Durchrationalisierung und -ökonomisierung des Lebens verabschiedet und dem Staunen und Mitfühlen wieder mehr Platz einräumt. Ein Leitstern ihrer Überlegungen ist der Naturforscher Alexander von Humboldt, der vor über 200 Jahren den südamerikanischen Fluss Orinoco bereiste.

Klaus Kamphausen lebt als Publizist und Dokumentarfilmer in München. Gemeinsam mit Harald Lesch veröffentlichte er die Bestseller »Die Menschheit schafft sich ab«, »Wenn nicht jetzt, wann dann?« und zuletzt »Denkt mit!«.

Harald Lesch ist Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München und einer der bekanntesten Naturwissenschaftler in Deutschland. Seit vielen Jahren vermittelt er einer breiten Öffentlichkeit spannendes populärwissenschaftliches Wissen. Durch die Sendereihe »alpha-Centauri« bekannt geworden, moderiert er heute u. a. »Leschs Kosmos« im ZDF. Er hat, allein oder mit Co-Autoren, eine Vielzahl erfolgreicher Bücher veröffentlicht, zuletzt »Was hat das Universum mit mir zu tun?«, »Wenn nicht jetzt, wann dann?« und »Denkt mit!«.

»Lesch und Kamphausen ist ein Buch gelungen, das sehr zum Nachdenken anregt.« Thorsten Naeser, »Spektrum der Wissenschaft«, zu »Wenn nicht jetzt, wann dann?«

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HARALD LESCH

KLAUS KAMPHAUSEN

Über dem

Orinoco scheint

der Mond

Warum wir die Natur

des Menschen

neu begreifen müssen,

um die Welt von morgen

zu gestalten

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Copyright © 2022 Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81 673 München

Lektorat: Anne Tucholski

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: © akg-images

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-27476-4
V001

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Inhalt

Vorwort

Über dem Orinoco scheint der Mond

»42« und andere Antworten

1  Warum?

2  Kursänderung

3  Dimensionswechsel

4  Das Wunder Natur

5  Mut

6  Raum und Zeit

7  … so wie du bist

8  Dasein

9  Die Natur des Menschen

10  Vorstellung

11  Erkenntnis im Miteinander

12  Energie

13  Keine Grenzen

14  Ein Teil des Teils, der zu Anfang alles war

Über dem Orinoco geht die Sonne auf

Anmerkungen

Vorwort

»Es gab schon genug Weckrufe und Appelle. Der heute vorgestellte IPCC-Bericht führt uns erneut vor Augen, dass die Zeit für die Rettung des Planeten, wie wir ihn kennen, abläuft. Der Bericht verdeutlicht auch, viele Klimawandelfolgen können wir schon heute nicht mehr vermeiden – wir können uns als internationale Staatengemeinschaft nur bestmöglich darauf vorbereiten und anpassen.«

Bundesumweltministerin Svenja Schulze am 9. August 2021 bei der Vorstellung des ersten Bands des sechsten Berichts des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC)

In unserem Buch »Die Menschheit schafft sich ab« haben wir das Anthropozän und seine Wirkung auf unseren Planeten beschrieben. Das zweite Buch »Wenn nicht jetzt, wann dann?« erzählt von weiteren Fakten und Handlungsoptionen für eine Gesellschaft und eine Welt, in der wir leben wollen. Jetzt, in diesem dritten Buch, geht es um die große Frage nach dem »Warum«. Warum sind wir nicht in der Lage, unser Handeln und Denken so zu ändern, dass das Leben von uns Menschen und der Erhalt unseres Lebensraums auf diesem Planeten nachhaltig gesichert sind? Warum können wir offensichtlich keine Schlüsse aus Fakten und Tatsachen ziehen?

Um diese Fragen zu beantworten, richten wir unseren Blick auf den Menschen und seine Natur. Denn wir meinen: Um überhaupt handlungsfähig zu sein und Veränderung zu bewirken, müssen wir die Natur des Menschen neu begreifen. Dabei werden wir die Welt der Fakten immer wieder verlassen und einen Blick in die Welt der Ideen wagen. Denn es geht uns im Kern darum, das Diktum der puren Ratio hinter uns zu lassen und dem Gefühl neuen Platz und Bedeutung einzuräumen.

Wenn wir im Folgenden von Gefühl reden, meinen wir die Möglichkeiten der Entfaltung aller Aspekte des Menschseins, den Zugang zur eigenen Natur und die Wiederentdeckung des immanent menschlichen Wesens.

Wir reden über die Bedeutung von Gefühlen für den Gewinn von Erkenntnissen, für die Transformation unserer Denkmodelle, unserer Vorstellungen und folglich auch unseres Tuns und Handelns. Das heißt, wir reden über die Bedeutung von Gefühlen für unser Denken, unser Entscheiden, unser Handeln.

Wir reden über die Bedeutung von Gefühlen, wenn es darum geht, uns in einer durch und durch ökonomisierten, zunehmend fragmentierten Gesellschaft von Angst und Apathie zu befreien und wieder Halt, Haltung, Selbstachtung und ein Zusammen zu finden.

Wir reden über Gefühle, durch die sich der Einzelne wieder als Individuation der Natur, als Teil des Ganzen erfährt und somit erlebt, dass er sich selbst verletzt, verwundet und zerstört, wenn er die Natur verletzt, verwundet und zerstört.

Wir reden über die Bedeutung von Gefühlen, ohne die wir unsere Verantwortung, unser Mitgefühl für unsere Mitwelt und unsere Mitmenschen nicht vollumfänglich wahrnehmen können.

Und damit reden wir von Gefühlen und deren Bedeutung für unsere Zukunft, für unser Morgen. Wir geben den Gefühlen wieder Inhalt, Raum, Zeit und Energie.

Wir reden in diesem Buch über Humboldt.

Wir reden in diesem Buch über die Mondlandung.

Und wir reden über Hannah Arendt.

Wir reden in diesem Buch darüber, dass wir Perspektivwechsel vornehmen müssen, um die Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit der Dinge zu erkennen, den Standpunkt anderer verstehen und nachvollziehen zu können, um unsere Vorstellung verändern und zusammen für ein zukünftiges Miteinander handeln zu können.

Wir reden in diesem Buch darüber, dass wir miteinander reden müssen, dass wir über geografische Grenzen, Vorstellungsgrenzen, Denkgrenzen hinweg miteinander reden müssen. Und noch mehr: dass wir einander zuhören müssen. Warum haben wir eine Zunge, aber zwei Ohren?

Harald Lesch und Klaus Kamphausen, Frühjahr 2022

Über dem Orinoco scheint der Mond

Nichts war dicht genug, den Regen abzuhalten, sie standen knöcheltief im Uferschlamm und blickten über die braunen, aufgeschäumten Fluten in die Dämmerung der langsam hereinbrechenden Nacht. Der Regen war den ganzen Tag über in dicken Tropfen niedergeprasselt. Im Zwielicht schienen Fluss und Land am weit entfernten Ufer ineinander überzugehen.

Wenn der Regen später aufhörte, der Himmel sternenlos über ihnen hängen würde, die Luft heiß, wattig und feucht, dann würden, wie an den Abenden zuvor, Millionen angriffslustiger, hungriger Moskitos aus ihren Verstecken kommen und sich auf sie stürzen. Ihr hochfrequentes Surren würde an den Nerven zerren wie jetzt das dumpfe Trommeln des Regens. Das eine folgte unausweichlich auf das andere, so wie die Nacht auf den Tag. Am nächsten Morgen würden die Moskitos das Licht der aufgehenden Sonne fliehen, sich in finstere Spalten und modrige Erde zurückziehen, sich an ihrer in der Nacht errungenen Beute laben. Regen würde sich wieder in schweren, schwarzen Wolken am Himmel sammeln. Und kaum, dass die Sonne eine Handbreit über den Horizont geklettert wäre, würden Sturmböen die Wolken mit ihrer nassen Fracht unter Blitz und Donner unerbittlich aufeinanderjagen, dicke Tropfen würden fallen, unermüdlich. Es würde sein, wie es heute war.

Jetzt aber taucht das leuchtende Kreisrund des Vollmonds langsam hinter einer Wolke auf, die, so scheint es, wie eine Theaterkulisse von einem langen, unsichtbaren Seil am Himmel entlanggezogen wird, um das Licht des Erdtrabanten freizugeben. Für ein paar Sekunden werden die Gesichter der am Ufer Versammelten so hell angestrahlt, dass wir ihr Staunen, ihr Lächeln und die Freude in ihren Augen deutlich erkennen können.

Harald kann den Astronomen, den Mondfahrer, das Kind in sich nicht halten und paraphrasiert, teils fantasiert, aus seinen Erinnerungen heraus los: »Ich weiß noch genau, wie ich als Neunjähriger bei meinem Opa in der Kneipe saß und in diesen kleinen Schwarzweiß-Fernseher in der linken Ecke im Regal über der Theke, in dem sich Gläser, Jägermeister-, Korn- und Eierlikörflaschen aneinanderreihten, starrte. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, staunte gebannt, als Neil in seinem klobigen Astronautenanzug die klapprige Leiter von der Ausstiegsluke der Landefähre, durch die er sich was weiß ich wie hindurchgequetscht hatte, in Richtung Mondoberfläche hinunterstakste, und dann … Ich meine, überlegt doch mal, die Zusammenarbeit, der Ehrgeiz, der Wille Hunderttausender Menschen über mehr als zehn Jahre, modernste Technologie, Milliarden von Dollar, der donnernde Feuerstrahl der gewaltigsten Rakete, die Ingenieure je erdacht hatten, Kühnheit und Mut und Angst, all das verdichtete sich und vermischte sich mit dem Jubel von Hunderten Millionen Menschen weltweit in der kleinen Staubwolke, die der erste Schritt eines Menschen auf dem Mond aufwirbelte. Das war am 21. Juli 1969, um 02:56:20 UTC. Ich war einfach außer mir, ich staunte, ohne Worte, wäre am liebsten durch die Mattscheibe direkt auf den Mond gestiegen. Gleich am nächsten Morgen habe ich mich mit einem Brief an die NASA als Astronaut beworben. Aber das ist eine andere Geschichte …«

Mit den letzten Worten war der Mond hinter der nächsten schwarzen Wolke verschwunden.

Während Harald an seiner Pfeife pafft, zieht Neil noch einmal an der Zigarette, bevor er sie ins feuchte Dunkel auf den Boden fallen lässt: »Freunde, der Countdown läuft, gehen wir ins Zelt, da ist es trocken, da sind weniger Moskitos, es gibt etwas zu trinken, etwas zu essen und Aimé wartet auf uns.«

»Ja, ja«, schmunzelt Alexander, »jeder Mann hat die Pflicht, in seinem Leben den Platz zu suchen, von dem aus er seiner Generation am besten dienen kann, warum also nicht in diesem Zelt?« Mit diesen Worten stapfen die drei, einer nach dem anderen, als dunkle Schattenrisse kenntlich Richtung Zelt.

Als Letzte kommt Hannah vom Flussufer hochgetrottet. Sie hat noch einmal nach dem Boot gesehen, die Leinen kontrolliert, die Knoten festgezurrt. Sie läuft zum Zelt, aus dem lebhafte Stimmen und Gläsergeklirr dringen, die sich mit dem Zirpen der Grillen und einem fernen Donnergrollen mischen. Sie schiebt den Vorhang zur Seite und der Lichtschein der Lampen im Inneren des Zelts taucht die Umgebung kurz in ein helles Licht. Es ist, als würde der Mond noch einmal für einen kurzen Moment hinter den Wolken hervorkommen, um zu schauen, was dort vor sich geht.

»42« und andere Antworten