Annette von Droste-Hülshoff
Werke
Ausgewählt von Sarah Kirsch
Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Annette von Droste-Hülshoff wurde 1797 auf Schloss Hülshoff bei Münster geboren. Die Schriftstellerin und Komponistin gilt noch immer als eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen. Sie starb 1848 in Meersburg am Bodensee.
Sarah Kirsch, geboren 1935 in Limlingerode im Harz, studierte Biologie. Diplom-Biologin. Studium am Leipziger Literatur-Institut. Schrieb neben Kurzprosa und Reportagen vor allem Lyrik. Zahlreiche Preise. Sarah Kirsch starb 2013 in Heide/Holstein.
Ein »Geschenk des Himmels« nennt Sarah Kirsch den glücklichen Zufall, daß sie im Jahre 1973 auf ein kleines Buch stieß: ›Ledwina‹, mit Prosastücken von Annette von Droste-Hülshoff. Die Erschütterung dieses Leseerlebnisses wirkt in der Auswahl des vorliegenden Bandes nach. Viel von der »teuflischen Schönheit« der Droste-Prosa hat Sarah Kirsch in der Zusammenstellung so verdichtet, daß sich die mitreißende Kraft dieser Dichtung fast schlackenlos mitteilt. Vertieft und ergänzt wird die Werkauswahl – rund 30 Gedichte, die Fragmente ›Ledwina‹, ›Bei uns zulande auf dem Lande‹, ›Joseph. Eine Kriminalgeschichte‹, ›Westfälische Schilderungen‹ und die Erzählung ›Die Judenbuche‹ – durch die Briefe der Droste, die nicht nur ein literarisches Zeugnis ersten Ranges sind, sondern auch ein Stück dokumentarischer Frauenliteratur, das es noch zu entdecken gilt.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei KiWi Bibliothek
© 2018 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Impressum der Reprint Vorlage
ISBN (eBook) 978-3-462-41187-4
Buprestis, ein in allen Farben schimmernder Prachtkäfer, der sich im Heidekraut aufhält.
Trifolium, Dreiblatt, Menianthes trifoliata L. Biberklee. Eine Wasserpflanze, die nur in sehr tiefem Wasser wächst, mit schöner, aber sehr vergänglicher Blüte.
Hier nicht das bekannte Gespenst, sondern die Nebelschicht, die sich zur Herbst- und Frühlingszeit abends über den Heidegrund legt.
Crategus pyracantha, auch sonst der »brennende Busch« genannt.
Dionaea muscipula, auch »die Fliegenfalle« genannt.
Sparrmannia.
Der schleichende Wolf ist das Wappen der Familie Asseburg
Dem Text liegt die Winkler-Ausgabe: Annette von Droste-Hülshoff, Sämtliche Werke, Bd. 1 und 2, hrsg. von Günther Weydt und Winfried Woesler, München 1973, zugrunde. Ledwina folgt der Textfassung des Bandes Ledwina und andere Erzählungen. Die nachgelassenen Prosadichtungen, hrsg. von Elmar Jansen, Gustav Kiepenheuer Verlag, Weimar, o.J.
Die Gedichte stammen überwiegend aus der von Annette von Droste-Hülshoff selbst zusammengestellten Gedichtausgabe letzter Hand: Gedichte von Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Stuttgart und Tübingen, Cotta 1844. Die Entstehungsdaten sind nicht eindeutig zu klären, da Annette von Droste-Hülshoff die Gedichte zyklisch ohne Datenangabe zusammengestellt hat. Im Grase, Durchwachte Nacht, Mondesaufgang, Blumentod sind Einzelveröffentlichungen. Der Text wurde der heutigen Rechtschreibung angeglichen, die historische Schreibweise jedoch im Zweifelsfall beibehalten. Auch die Grammatik wurde in ihrem ursprünglichen Gebrauch belassen. Die Interpunktion folgt der in dem zu Lebzeiten erschienenen Text. In Ledwina wurde der stärker der historischen Schreibweise folgende Text unverändert übernommen.
Es muß im Jahre 73 gewesen sein als ich mit meinem vierjährigen Knaben etwas verrütteter Herzensverhältnisse wegen um die Pfingstzeit nach Wiepersdorf kam in einen fürchterlich blasenschlagenden Regen. Ich arbeitete täglich am elegischen Stücke oder lief mit dem Kinde langsam erfreut meilenweit durch die Arnimsche Landmark oder wir sprachen zu den italjänischen Gnomen den kopflos gewordenen steinernen Göttern im Park. Nachts wenn das Kind die alten Kulturschaffenden schliefen gehörte mir dieses Landhaus allein. Lag dann im Gartensaale unter Bettinens Bild auf dem uralten Sofa schrieb trank und las. Fand ein zierliches Büchlein in volkeseigener Bibliothek als ich alles Mitgebrachte gelesen schon hatte Ledwine geheißen was ich sofort als Geschenk des Himmels annahm und bis heute behielt. War auch dermaßen geködert daß ich die Nacht nicht mehr wußte befand ich mich bei Bettinen oder viel mehr in Schloß Hülshoff hinter den Wassern gefangen.
Ich hatte diese Prosa niemals gelesen was mir nun zum Vorteil geriet weil alles zum besseren Zeitpunkt der aufgeschlossenen gerade weichgeklopften Seele an einem guten Orte sich auftuen konnte. Es bedeutet ja Glück und Stern haben wenn einem kein Kunstwerk zu falscher Zeit von ungeliebten Lehrmeistern aufgedrängt wird, wie es mit den sog. Schullesestoffen meistens geschieht daß man den Rest seines Lebens um erneute Unvoreingenommenheit sich schauerlich abquälen muß sie aber nur selten vorkehren kann.
So sah ich während die Ranken Jelängerjelieber über die Scheiben schlurrten die Eulen zu fliegen begannen im ersten blendenden Satz gleich die ganze Gefahr das Lied vom Tod angeschlagen. Die Schönheit entfaltete sich und wäre ich nicht gottlob alleine gewesen von magischem Realismus hätte ich sprechen wollen wenn das Wunderbarste mit dem Gewöhnlichen sich verwischt. Stieß auf die fiebrigsten Träume, krachende Sargbretter Moder und Rosen zuhauf, so sinnenhaft schrieb man wohl nicht zu der Zeit und erst recht kein adliges Fräulein. Dann pochts an der Tür und ein Ackerknecht trat auf den Socken herein. Erlösung durch das Detail und die Mitteilung der geringsten Umstände noch. Aber der unfreiwillige sehr angegriffene hochstehende Gast aus der Erzählung wird mir ewig zu Bette liegen denn ich konnte niemals erfahren ob er Genesung fand oder dem Irrsinn anheimfiel weil der Droste Roman und das ist ein gewaltiges Unglück nur ein Fragment ist. Gerne gestehe ich daß ich später in den verschiedenen Ausgaben wie ich sie fand nachschlug ob nicht irgendeine weitere Nachricht enthielt.
In ihren Gedichten kannte ich mich aus. Die Mergelgrube zum Beispiel war uns Schreibern im Kleinen Ländchen bevor wir die hochmodernen ausländischen Schriften ans Gestade uns zogen immer ein Geheimtip gewesen. Später im Leipziger Literaturinstitut wo ich die Sklavensprache erlernte und wieder vergaß hatte Georg Maurer lange versucht ihre schönen kurzsichtigen Verse wie er sie des genauen Blicks wegen erkannte uns nahezubringen und zu verwundern.
Mein violett eingeschlagenes Büchlein (die Nacht war überaus schön, der Mond stand klar im tiefen Blau, die Wolken lagerten dunkel am Horizont in einer schweren getürmten Masse, und der Donner hallte leise und doch mächtig herüber wie das Gebrüll des Löwen) riß mich fort in die Schilderungen des Lausitzer Edelmannes hinein. Ein Lieblingsstück ist mir die Geschichte geworden. Sätze zum Küssen vom Klang der Vokale dem schweifenden Rhythmus her, Pausen elliptischer Schwung und der Knall einsilbiger Wörter wien plötzlicher Donner. Sprache wie das weite Westfalen gestaffelt.
In diesem Text ist sie frei bei sich selbst und viel anstandsloser als in den frühen Gedichten. Darunter gibts Exemplare in denen Modisches steckt die schlimmen flinken Fähigkeiten zu Improvisationen für Stammbücher oder in die Brieftasche geschrieben. Es hatte in den gebildeten Ständen sich eine nimmermüde Gebrauchspoesie ausgewuchert welche die Grenzen der Kunst ganz umhüllte. Glückwünsche in Verse eingewickelte Gaben Gedichte zu gestickten Pantoffeln so war die Kunst darunter gekommen und der Maßstab verlegt. Die falschen Vorstellungen produzierten verkehrten Rat den sie von Allen reichlich erhielt und ich frage mich ob sie den Hölderlin oftmals genug gelesen weil und obgleich es keinen Hinweis gibt in den gründlichen Konvoluten ihrer uns überkommenen Briefe. Danach sinds die zweit- und drittrangigen excellent berühmten Sterne gewesen mit denen sie sich verglich.
Aber zurück in den Gartensaal wo das fliederfarbene Büchlein lange nicht zugeklappt war. Vor einer Viertelstunde hörte ich die Zugbrücke aufknarren, ein Zeichen daß alles ab und tot ist und das Haus fortan unter dem Schutze Gottes und des breiten Schloßteiches steht, der nebenbei gesagt, an einigen Stellen nur knietiefe Furten hat. Das macht aber nichts, es ist doch blankes Wasser, was darüber steht und man könnte nicht durchwaten ohne bedeutend naß zu werden. In dieser lichten Erzählung verfährt sie so frei wie das Mannsbild in das sie sich eingeknöpft hat und niemand kann Bescheidenheit oder die Dienste eines ledigen Fräuleins in dieser angenehmen Rolle erwarten. Ein Bilderbogen zeigt wie das Leben hätte gelebt werden können mit gelöstem flatternden Haar. »Mit einem Spitzgespann von langhaarigen Bauernpferden habe ich mich durch den Sand gewühlt und mit einem Male den vorderen Renner in einer sogenannten Welle versinken sehen, einer tückischen, wandernden Rasse von Quellen, die ich sonst nirgends angetroffen und die hier manchen Fahrwegen Annex ist, sich das ganze Jahr stille hält, um im Frühling irgendeine gute münsterische Seele zu packen.«
Ein drive daß einem das Herz springt. Und darnach eine halbe Tagesreise weiter der einhaltende zärtliche Blick in den Garten Eden hinein. Im zweiten Kapitel das schöne Pferdeporträt wohl der eigenen Mutter und milde wies Mondlicht der liebenswürdigste bizarre Vater den eine Dichterin kurze Zeit haben kann zu ihrem Glück. Teuflische Schönheit allenthalben und eine feste lautere Schreiberei vor der ich den Hut hätte ich ihn sonderbar tief immer zöge.
Buchstabe um Buchstaben muß man jetzt lesen und über jeden folgenden Satz frohlocken denn bald sind wir nochmals am Ende alles erweist sich wiederholt als Fragment.
Welch eine Nacht. Das Licht im Gartensaale brennt trübe alle Sterne die milchigten Punkte von ehdem sind untergegangen. Was verlor sie den Mut bei diesem wackeren Stück obgleich sie Gefallen dran fand. Es steht getreulich im Briefe. Wenn alles so deutlich geriet daß man mit Fingern hätte draufhinzeigen können die Gestalten im wirklichen Leben erkennen, so war der Abbruch der Arbeit die einzige Folge. Ihr Stand stand im Weg und die beste Erziehung. Sie vermochte nicht Zeitgenossen womöglich Verwandte ganz zu verstimmen was immer zum Berufsbild des Künstlers gehört. Hinzu kommt daß sie von ihrem Clan völlig abhängig war des Vermögens der wahrhaft angeschlagenen Gesundheit wegen. Und die Furcht die Trivialliteratur selbst zu vermehren.
Die nächste story in meinem Büchlein bricht noch eiliger ab als die andren. Eine pechschwarze Nacht. Erst wird man von den trefflichen Sätzen über das Reisen in vergangenen Zeiten und Leuten mit Fischschwänzen gar in die Höhe gebracht glaubt heftige Flügel zu haben, dann fallen die Mitteilungen bösartig aus und in der gnadenlosen Enttäuschung erscheint der ganze Planet wie ein Fragment. Ich kann nicht genügend Geschrei anheben daß die Prosa so liegen geblieben da sie ausreichend Sitzfleisch bewies über die Krankheiten hin bei den endlosen Versepen vorher. Hat ihr niemand genug Mut eingeblasen die Schrift hier fortzusetzen haben die frommen ängstlichen blinden Freunde sie höchstens für geistliche Lieder bestärkt? Wesen mit gestutzten Flügeln hat sie zur Genüge getroffen doch keine verbündete Seele in ihrem Klugheitsjahrhundert mit den beschränkten Postkutschen drin den ersten Dampfwagen schon.
Der Droste Behinderungen müssen ertragen werden, aber hätte nur eine davon gefehlt angenommen die Krankheit wäre es vielleicht möglich gewesen dem Gefängnis der eigenen Klasse zu entfliehn durch die ideologische Schranke davor. Ich hab gut reden einhundertfünfzig Jahre hintennach. Doch einmal in Tagen ihrer besten Dioskurität zu Lewin Schücking gibt es den frechen Einfall gemeinsam fern am Rheine mit Freiligrath und der Schopenhauer in einer Kommune sich zu etablieren. Ein Gedankenspiel und unausführbar. Meines hingegen wäre als gegensätzliche Entsprechung der beklagten Fragmente die langen ersten Entwürfe solcher Gedichte zu sehen, die auf dem Weg über verschiedene Stammbücher hin mehr oder weniger unangetastet bis in den Nachlaß gerieten. Ein derartiger Text also welcher mir stets einer der liebsten von frühan war ob der großartigen Kühnheit einiger Zeilen und weil die Arbeitsgänge die unterbliebenen noch, mir so vertraut sind und ich es immer als Härte empfand daß sie hier etwas verabsäumen mußte weil die Mitlebenden aus einer Herzensmücke einen intriganten Elefanten noch machten einen Mordanschlag auf die Seele was dazu geführt hat daß sie dieses Gedicht was darüber handelt oder sie an solchen Vorfall erinnert haben kann zu Lebzeiten weit von sich fortschob und es nicht kühl zu betrachten vermochte kurzum ich habe in diesem einzigen Fall wie sies mir auftrug den Versuch unternommen wie in der eigenen Arbeit nach lange verflogener Zeit zu reduzieren was stets noch ein guter Arbeitsgang ist.
Wir kehren als ob nichts gewesen in das beschworene Büchlein zurück. Die Schilderungen aus einer westfälischen Feder die ihr Ärger brachten als sie in den Historisch-Politischen Blättern erschienen, beenden mein Gottesgeschenk. Der geneigte Leser des Vorwortes hier sollte die Bilder aus gar keinem Grund grob überfliegen weil ihm nicht nur der schönste Farbfilm entginge sondern gleichfalls die Entdeckung einer künstlerischen Methode a priori. Die großartige die kräftige Intensität und Libellen zu Tausenden gleich wie bunte Stäbchen darüber – kein Wunder wenn ihre Zeitgenossen Einspruch erhoben und ihre Imaginationen nicht wahrhaben wollten. Die Bewohner Westfalens heißt sie die Eingeborenen und wo ein Wässerchen murmelt läßt sie es krachen wie den gesamten Niagara damit es sich einprägt. ›Wild‹ und ›glühend‹ sind oftgebrauchte Vokabeln und alles führt zu Darstellungen hin die für den Himalaya noch taugen. Spricht von Klippen auf denen schon verirrte Ziegen (am liebsten hätte sie Gemsen gesagt) tagelang umhergeschwankt wären und diszipliniert sich nichts von bleichenden Knochen am Fuße der Felsen zu schreiben. Trotzdem so etwas Verrücktes glaubten die Abonnenten und selber Westfalen niemals vorgelogen bekommen zu haben. Übertreiben ist stets noch die halbe Kunst eine Erkenntnis die auf den Knaben im Moore mich hinlenkt. Denn alles das mir seit seiner Lektüre als Moor vorgestellt ward kam mir in so hohem Grad erbärmlich und lächerlich vor daß meine Genugtuung endlich einen Landstrich mit dem längsten Schwingrasen drin zu bewohnen völlig verständlich erscheint zumal hier vor kurzem ein Panzer versank.
Bei meiner Auswahl soll die Judenbuche nicht fehlen der Schullesestoff aus zu frühen Tagen da ich auf dem besten Wege schon bin sie ohne Erinnerungen zu lesen. Und schließlich Briefe die Biographie durchschimmern zu lassen. Unberechnete Seiten die ihrerzeit Telephone und Television trefflich ersetzten und noch genaue Auskunft über viel Leben und Sterben uns geben.
Hörst du der Nacht gespornten Wächter nicht?
Sein Schrei verzittert mit dem Dämmerlicht,
Und schlummertrunken hebt aus Purpurdecken
Ihr Haupt die Sonne; in das Ätherbecken
Taucht sie die Stirn, man sieht es nicht genau,
Ob Licht sie zünde, oder trink’ im Blau.
Glührote Pfeile zucken auf und nieder,
Und wecken Taues Blitze, wenn im Flug
Sie streifen durch der Heide braunen Zug.
Da schüttelt auch die Lerche ihr Gefieder,
Des Tages Herold seine Liverei;
Ihr Köpfchen streckt sie aus dem Ginster scheu,
Blinzt nun mit diesem, nun mit jenem Aug’;
Dann leise schwankt, es spaltet sich der Strauch,
Und wirbelnd des Mandates erste Note
Schießt in das feuchte Blau des Tages Bote.
»Auf! auf! die junge Fürstin ist erwacht!
Schlaftrunkne Kämmrer, habt des Amtes acht;
Du mit dem Saphirbecken Genziane,
Zwergweide du mit deiner Seidenfahne,
Das Amt, das Amt, ihr Blumen allzumal,
Die Fürstin wacht, bald tritt sie in den Saal!«
Da regen tausend Wimper sich zugleich,
Maßliebchen hält das klare Auge offen,
Die Wasserlilie sieht ein wenig bleich,
Erschrocken, daß im Bade sie betroffen;
Wie steht der Zitterhalm verschämt und zage!
Die kleine Weide pudert sich geschwind
Und reicht dem West ihr Seidentüchlein lind,
Daß zu der Hoheit Händen er es trage.
Ehrfürchtig beut den tauigen Pokal
Das Genzian, und nieder langt der Strahl;
Prinz von Geblüte hat die erste Stätte
Er immer dienend an der Fürstin Bette.
Der Purpur lischt gemach im Rosenlicht,
Am Horizont ein zuckend Leuchten bricht
Des Vorhangs Falten, und aufs neue singt
Die Lerche, daß es durch den Äther klingt:
»Die Fürstin kömmt, die Fürstin steht am Tor!
Frischauf ihr Musikanten in den Hallen,
Laßt euer zartes Saitenspiel erschallen,
Und, florbeflügelt Volk, heb an den Chor,
Die Fürstin kömmt, die Fürstin steht am Tor!«
Da krimmelt, wimmelt es im Heidgezweige,
Die Grille dreht geschwind das Beinchen um,
Streicht an des Taues Kolophonium,
Und spielt so schäferlich die Liebesgeige.
Ein tüchtiger Hornist, der Käfer, schnurrt,
Die Mücke schleift behend die Silberschwingen,
Daß heller der Triangel möge klingen;
Diskant und auch Tenor die Fliege surrt;
Und, immer mehrend ihren werten Gurt,
Die reiche Katze um des Leibes Mitten,
Ist als Bassist die Biene eingeschritten:
Schwerfällig hockend in der Blüte rummeln
Das Kontraviolon die trägen Hummeln.
So tausendarmig ward noch nie gebaut
Des Münsters Halle, wie im Heidekraut
Gewölbe an Gewölben sich erschließen,
Gleich Labyrinthen in einander schießen;
So tausendstimmig stieg noch nie ein Chor,
Wie’s musiziert aus grünem Heid hervor.
Jetzt sitzt die Königin auf ihrem Throne,
Die Silberwolke Teppich ihrem Fuß,
Am Haupte flammt und quillt die Strahlenkrone,
Und lauter, lauter schallt des Herolds Gruß:
»Bergleute auf, herauf aus eurem Schacht,
Bringt eure Schätze, und du Fabrikant,
Breit vor der Fürstin des Gewandes Pracht,
Kaufherrn, enthüllt den Saphir, den Demant.«
Schau, wie es wimmelt aus der Erde Schoß,
Wie sich die schwarzen Knappen drängen, streifen,
Und mühsam stemmend aus den Stollen schleifen
Gewalt’ge Stufen, wie der Träger groß;
Ameisenvolk, du machst es dir zu schwer!
Dein roh Gestein lockt keiner Fürstin Gnaden.
Doch sieh die Spinne rutschend hin und her,
Schon zieht sie des Gewebes letzten Faden,
Wie Perlen klar, ein duftig Elfenkleid;
Viel edle Funken sind darin entglommen;
Da kömmt der Wind und häkelt es vom Heid,
Es steigt, es flattert, und es ist verschwommen. –
Die Wolke dehnte sich, scharf strich der Hauch,
Die Lerche schwieg, und sank zum Ginsterstrauch.
Die Luft hat schlafen sich gelegt,
Behaglich in das Moos gestreckt,
Kein Rispeln, das die Kräuter regt,
Kein Seufzer, der die Halme weckt.
Nur eine Wolke träumt mitunter
Am blassen Horizont hinunter,
Dort, wo das Tannicht überm Wall
Die dunkeln Kandelabern streckt.
Da horch, ein Ruf, ein ferner Schall:
»Hallo! hoho!« so lang gezogen,
Man meint, die Klänge schlagen Wogen
Im Ginsterfeld, und wieder dort:
»Hallo! hoho!« – am Dickicht fort
Ein zögernd Echo, – alles still!
Man hört der Fliege Angstgeschrill
Im Mettennetz, den Fall der Beere,
Man hört im Kraut des Käfers Gang,
Und dann wie ziehnder Kranichheere
Kling klang! von ihrer luft’gen Fähre,
Wie ferner Unkenruf: Kling! klang!
Ein Läuten das Gewäld entlang,
Hui schlüpft der Fuchs den Wall hinab –
Er gleitet durch die Binsenspeere,
Und zuckelt fürder seinen Trab:
Und aus dem Dickicht, weiß wie Flocken,
Nach stäuben die lebend’gen Glocken,
Radschlagend an des Dammes Hang;
Wie Aale schnellen sie vom Grund,
Und weiter, weiter, Fuchs und Hund.
Der schwankende Wacholder flüstert,
Die Binse rauscht, die Heide knistert,
Und stäubt Phalänen um die Meute.
Sie jappen, klaffen nach der Beute,
Schaumflocken sprühn aus Nas’ und Mund;
Noch hat der Fuchs die rechte Weite,
Gelassen trabt er, schleppt den Schweif,
Zieht in dem Taue dunklen Streif,
Und zeigt verächtlich seine Socken.
Doch bald hebt er die Lunte frisch,
Und, wie im Weiher schnellt der Fisch,
Fort setzt er über Kraut und Schmelen,
Wirft mit den Läufen Kies und Staub;
Die Meute mit geschwollnen Kehlen
Ihm nach wie rasselnd Winterlaub.
Man höret ihre Kiefern knacken,
Wenn fletschend in die Luft sie hacken;
In weitem Kreise so zum Tann,
Und wieder aus dem Dickicht dann
Ertönt das Glockenspiel der Bracken.
Was bricht dort im Gestrippe am Revier?
Im holprichten Galopp stampft es den Grund;
Ha! brüllend Herdenvieh! voran der Stier,
Und ihnen nach klafft ein versprengter Hund.
Schwerfällig poltern sie das Feld entlang,
Das Horn gesenkt, waagrecht des Schweifes Strang,
Und taumeln noch ein paarmal in die Runde,
Eh Posto wird gefaßt im Heidegrunde.
Nun endlich stehn sie, murren noch zurück,
Das Dickicht messend mit verglastem Blick,
Dann sinkt das Haupt und unter ihrem Zahne
Ein leises Rupfen knirrt im Thimiane;
Unwillig schnauben sie den gelben Rauch,
Das Euter streifend am Wacholderstrauch,
Und peitschen mit dem Schweife in die Wolke
Von summendem Gewürm und Fliegenvolke.
So langsam schüttelnd den gefüllten Bauch
Fort grasen sie bis zu dem Heidekolke.
Ein Schuß: »Hallo!« ein zweiter Schuß: »Hoho!«
Die Herde stutzt, des Kolkes Spiegel kraust
Ihr Blasen, dann die Hälse streckend, so
Wie in des Dammes Mönch der Strudel saust,
Ziehn sie das Wasser in den Schlund, sie pusten,
Die kranke Sterke schaukelt träg herbei,
Sie schaudert, schüttelt sich in hohlem Husten,
Und dann – ein Schuß, und dann – ein Jubelschrei!
Das grüne Käppchen auf dem Ohr,
Den halben Mond am Lederband,
Trabt aus der Lichtung rasch hervor
Bis mitten in das Heideland
Ein Waidmann ohne Tasch’ und Büchse;
Er schwenkt das Horn, er ballt die Hand,
Dann setzt er an, und tausend Füchse
Sind nicht so kräftig totgeblasen,
Als heut es schmettert übern Rasen.
»Der Schelm ist tot, der Schelm ist tot!
Laßt uns den Schelm begraben!
Kriegen ihn die Hunde nicht,
Dann fressen ihn die Raben,
Hoho hallo!«
Da stürmt von allen Seiten es heran,
Die Bracken brechen aus Genist und Tann;
Durch das Gelände sieht in wüsten Reifen
Man johlend sie um den Hornisten schweifen.
Sie ziehen ihr Geheul so hohl und lang,
Daß es verdunkelt der Fanfare Klang,
Doch lauter, lauter schallt die Gloria,
Braust durch den Ginster die Viktoria:
»Hängt den Schelm, hängt den Schelm!
Hängt ihn an die Weide,
Mir den Balg und dir den Talg,
Dann lachen wir alle beide;
Hängt ihn! Hängt ihn
Den Schelm, den Schelm! – –«
Regen, Regen, immer Regen! will nicht das Geplätscher enden,
Daß ich aus dem Sarge brechen kann, aus diesen Bretterwänden?
Sieben Schuhe ins Gevierte, das ist doch ein ärmlich Räumchen
Für ein Menschenkind, und wär’ es schlank auch wie ein Rosenbäumchen!
O was ließ ich mich gelüsten, in den Vogelherd zu flüchten,
Als nur schwach die Wolke tropfte, als noch flüsterten die Fichten:
Und muß nun bestehn das Ganze, wie wenn zögernd man dem Schwätzer
Raum gegeben, dem langweilig Seile drehnden Phrasensetzer;
Und am Knopfe nun gehalten, oder schlimmer an den Händen,
Zappelnd wie der Halbgehängte langet nach des Strickes Enden!
Meine Unglücksstrick’ sind dieser Wasserstriemen Läng’ und Breite,
Die verkörperten Hyperbeln, denn Bindfäden regnet’s heute.
Denk’ ich an die heitre Stube, an das weiche Kanapee,
Und wie mein Gedicht, das meine, dort zerlesen wird beim Tee:
Denk’ ich an die schwere Zunge, die statt meiner es zerdrischt,
Bohrend wie ein Schwertfisch möcht’ ich schießen in den Wassergischt.
Pah! was kümmern mich die Tropfen, ob ich naß ob säuberlich!
Aber besser stramm und trocken, als durchnäßt und lächerlich.
Da – ein Fleck, ein Loch am Himmel; bist du endlich doch gebrochen,
Alte Wassertonne, hab’ ich endlich dich entzwei gesprochen?
Aber wehe! wie’s vom Fasse brodelt, wenn gesprengt der Zapfen,
Hör’ ich’s auf dem Dache rasseln, förmlich wie mit Füßen stapfen.
Regen! unbarmherz’ger Regen! mögst du braten oder sieden!
Wehe, diese alte Kufe ist das Faß der Danaiden!
Ich habe mich gesetzt in Gottes Namen;
Es hilft doch alles nicht, und mein Gedicht
Ist längst gelesen und im Schloß die Damen,
Sie saßen lange zu Gericht.
Statt einen neuen Lorbeerkranz zu drücken
In meine Phöboslocken, hat man sacht
Den alten losgezupft und hinterm Rücken
Wohl Eselsohren mir gemacht.
Verkannte Seele, fasse dich im Leiden,
Sei stark, sei nobel, denk, der Ruhm ist leer,
Das Leben kurz, es wechseln Schmerz und Freuden,
Und was dergleichen Neugedachtes mehr!
Ich schau mich um in meiner kleinen Zelle:
Für einen Klausner wär’s ein hübscher Ort;
Die Bank, der Tisch, das hölzerne Gestelle,
Und an der Wand die Tasche dort;
Ein Netz im Winkelchen, ein Rechen, Spaten –
Und Betten? nun, das macht sich einfach hier;
Der Thimian ist heuer gut geraten,
Und blüht mir grade vor der Tür.
Die Waldung drüben – und das Quellgewässer –
Hier möcht’ ich Heidebilder schreiben, zum Exempel:
»Die Vogelhütte«, nein – »der Herd«, nein besser:
»Der Knieende in Gottes weitem Tempel.«
’s ist doch romantisch, wenn ein zart Geriesel
Durch Immortellen und Wacholderstrauch
Umzieht und gleitet, wie ein schlüpfend Wiesel,
Und drüber flirrt der Stöberrauch;
Wenn Schimmer wechseln, weiß und seladonen;
Die weite Ebne schaukelt wie ein Schiff,
Hindurch der Kiebitz schrillt, wie Halkyonen
Wehklagend ziehen um das Riff.
Am Horizont die kolossalen Brücken –
Sind’s Wolken oder ist’s ein ferner Wald?
Ich will den Schemel an die Luke rücken,
Da liegt mein Hut, mein Hammer, – halt:
Ein Teller am Gestell! – was mag er bieten?
Fundus! bei Gott, ein Fund die Brezel drin!
Für einen armen Hund von Eremiten,
Wie ich es leider heute bin!
Ein seidner Beutel noch – am Bort zerrissen;
Ich greife, greife Rundes mit der Hand;
Weh! in die dürre Erbs’ hab’ ich gebissen –
Ich dacht’, es seie Zuckerkand.
Und nun die Tasche! he, wir müssen klopfen –
Vielleicht liegt ein Gefangner hier in Haft;
Da – eine Flasche! schnell herab den Pfropfen –
Ist’s Wasser? Wasser? – edler Rebensaft!
Und Edlerer, der ihn dem Sack vertraute,
Splendid barmherziger Wildhüter du,
Für einen armen Schelm, der Erbsen kaute,
Den frommen Bruder Tuck im Ivanhoe!
Mit dem Gekörn will ich den Kiebitz letzen,
Es aus der Lücke streun, wenn er im Flug
Herschwirrt, mir auf die Schulter sich zu setzen,
Wie man es liest in manchem Buch.
Mir ist ganz wohl in meiner armen Zelle;
Wie mir das Klausnerleben so gefällt!
Ich bleibe hier, ich geh nicht von der Stelle,
Bevor der letzte Tropfen fällt.
Es verrieselt, es verraucht,
Mählich aus der Wolke taucht
Neu hervor der Sonnenadel.
In den feinen Dunst die Fichte
Ihre grünen Dornen streckt,
Wie ein schönes Weib die Nadel
In den Spitzenschleier steckt;
Und die Heide steht im Lichte
Zahllos blanker Tropfen, die
Am Wacholder zittern, wie
Glasgehänge an dem Lüster.
Überm Grund geht ein Geflüster,
Jedes Kräutchen reckt sich auf,
Und in langgestrecktem Lauf,
Durch den Sand des Pfades eilend,
Blitzt das goldne Panzerhemd
Des Kuriers;[1] am Halme weilend
Streicht die Grille sich das Naß
Von der Flügel grünem Glas.
Grashalm glänzt wie eine Klinge,
Und die kleinen Schmetterlinge,
Blau, orange, gelb und weiß,
Jagen tummelnd sich im Kreis.
Alles Schimmer, alles Licht,
Bergwald mag und Welle nicht
Solche Farbentöne hegen,
Wie die Heide nach dem Regen.
Ein Schall – und wieder – wieder – was ist das? –
Bei Gott, das Schloß! Da schlägt es acht im Turme –
Weh mein Gedicht! o weh mir armem Wurme,
Nun fällt mir alles ein, was ich vergaß!
Mein Hut, mein Hammer, hurtig fortgetrabt –
Vielleicht, vielleicht ist man diskret gewesen,
Und harrte meiner, der sein Federlesen
Indes mit Kraut und Würmern hat gehabt. –
Nun kömmt der Steg und nun des Teiches Ried,
Nun steigen der Alleen schlanke Streifen;
Ich weiß es nicht, ich kann es nicht begreifen,
Wie ich so gänzlich mich vom Leben schied –
Doch freilich – damals war ich Eremit!
Er liegt so still im Morgenlicht,
So friedlich, wie ein fromm Gewissen;
Wenn Weste seinen Spiegel küssen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und auf des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer steht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede;
Ein lindes Säuseln kommt und geht,
Als flüstr’ es: Friede! Friede! Friede! –
Stille, er schläft, stille! stille!
Libelle, reg die Schwingen sacht,
Daß nicht das Goldgewebe schrille,
Und, Ufergrün, halt gute Wacht,
Kein Kieselchen laß niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum,
Und über ihn läßt säuselnd wallen
Das Laubgewölb’ der alte Baum;
Hoch oben, wo die Sonne glüht,
Wieget der Vogel seine Flügel,
Und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
Ein fallend Reis hat ihn bewegt,
Das grad zum Nest der Hänfling trug;
Su, Su! breit, Ast, dein grünes Tuch –
Su, Su! nun schläft er fest genug.
Ich breite über ihn mein Blätterdach
So weit ich es vom Ufer strecken mag.
Schau her, wie langaus meine Arme reichen,
Ihm mit den Fächern das Gewürm zu scheuchen,
Das hundertfarbig zittert in der Luft.
Ich hauch’ ihm meines Odems besten Duft,
Und auf sein Lager laß ich niederfallen
Die lieblichste von meinen Blüten allen;
Und eine Bank lehnt sich an meinen Stamm,
Da schaut ein Dichter von dem Uferdamm,
Den hör’ ich flüstern wunderliche Weise,
Von mir und dir und der Libell’ so leise,
Daß er den frommen Schläfer nicht geweckt;
Sonst wahrlich hätt’ die Raupe ihn erschreckt,
Die ich geschleudert aus dem Blätterhag.
Wie grell die Sonne blitzt; schwül wird der Tag.
O könnt’ ich! könnt’ ich meine Wurzeln strecken
Recht mitten in das tief kristallne Becken,
Den Fäden gleich, die, grünlicher Asbest,
Schaun so behaglich aus dem Wassernest,
Wie mir zum Hohne, der im Sonnenbrande
Hier einsam niederlechzt vom Uferrande.
Neid uns! neid uns! laß die Zweige hangen,
Nicht weil flüssigen Kristall wir trinken,
Neben uns des Himmels Sterne blinken,
Sonne sich in unserm Netz gefangen –
Nein, des Teiches Blutsverwandte, fest
Hält er all uns an die Brust gepreßt,
Und wir bohren unsre feinen Ranken
In das Herz ihm, wie ein liebend Weib,
Dringen Adern gleich durch seinen Leib,
Dämmern auf wie seines Traums Gedanken;
Wer uns kennt, der nennt uns lieb und treu,
Und die Schmerle birgt in unsrer Hut
Und die Karpfenmutter ihre Brut;
Welle mag in unserm Schleier kosen;
Uns nur traut die holde Wasserfei,
Sie, die Schöne, lieblicher als Rosen.
Schleuß, Trifolium,[2] die Glocken auf,
Kurz dein Tag, doch königlich sein Lauf!
O sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke
Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke?
O! das ist schön! hätt’ ich nur einen Stecken,
Schmalzweiße Kelch’ mit dunkelroten Flecken,
Und jede Glocke ist frisiert so fein
Wie unser wächsern Engelchen im Schrein.
Was meinst du, schneid’ ich einen Haselstab,
Und wat’ ein wenig in die Furt hinab?
Pah! Frösch’ und Hechte können mich nicht schrecken –
Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann
Dort in den langen Kräutern hocken kann?
Ich geh, ich gehe schon – ich gehe nicht –
Mich dünkt, ich sah am Grunde ein Gesicht –
Komm laß uns lieber heim, die Sonne sticht!
Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag,
Als wie ein siecher Greis die Heide lag
Und ihr Gestöhn des Mooses Teppich regte,
Krankhafte Funken im verwirrten Haar
Elektrisch blitzten, und, ein dunkler Mahr,
Sich über sie die Wolkenschichte legte;
Zu dieser Dämmerstunde war’s, als ich
Einsam hinaus mit meinen Sorgen schlich,
Und wenig dachte, was es draußen treibe.
Nachdenklich schritt ich, und bemerkte nicht
Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,
Ich sah auch nicht, als stieg die Mondesscheibe.
Grad war der Weg, ganz sonder Steg und Bruch;
So träumt’ ich fort und, wie ein schlechtes Buch,
Ein Pfennigsmagazin uns auf der Reise
Von Station zu Stationen plagt,
Hab’ zehnmal Weggeworfnes ich benagt,
Und fortgeleiert überdrüß’ge Weise.
Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,
Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,
Fand ich mich immer auf derselben Stelle;
Da plötzlich fuhr ein plumper Schröter jach
Ans Auge mir, ich schreckte auf und lag
Am Grund, um mich des Heidekrautes Welle.
Seltsames Lager, das ich mir erkor!
Zur Rechten, Linken schwoll Gestein empor,
Gewalt’ge Blöcke, rohe Porphirbrode;
Mir überm Haupte reckte sich der Bau,
Langhaar’ge Flechten rührten meine Brau,
Und mir zu Füßen schwankt’ die Ginsterlode.
Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,
Und fester drückt’ ich meine Stirn hinab,
Wollüstig saugend an des Grauens Süße,
Bis es mit eis’gen Krallen mich gepackt,
Bis wie ein Gletscherbronn des Blutes Takt
Aufquoll und hämmert’ unterm Mantelvließe.
Die Decke über mir, gesunken, schief,
An der so blaß gehärmt das Mondlicht schlief,
Wie eine Witwe an des Gatten Grabe;
Vom Hirtenfeuer Kohlenscheite sahn
So leichenbrandig durch den Thimian,
Daß ich sie abwärts schnellte mit dem Stabe.
Husch fuhr ein Kiebitz schreiend aus dem Moos;
Ich lachte auf; doch trug wie bügellos
Mich Phantasie weit über Spalt und Barren.
Dem Wind hab’ ich gelauscht so scharf gespannt,
Als bring’ er Kunde aus dem Geisterland,
Und immer mußt’ ich an die Decke starren.
Ha! welche Sehnen wälzten diesen Stein?
Wer senkte diese wüsten Blöcke ein,
Als durch das Heid die Totenklage schallte?
Wer war die Drude, die im Abendstrahl
Mit Run’ und Spruch umwandelte das Tal,
Indes ihr goldnes Haar im Winde wallte?
Dort ist der Osten, dort, drei Schuh im Grund,
Dort steht die Urne und in ihrem Rund
Ein wildes Herz zerstäubt zu Aschenflocken;
Hier lagert sich der Traum vom Opferhain,
Und finster schütteln über diesen Stein
Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, sprach ich Zauberformel? Dort am Damm –
Es steigt, es breitet sich wie Wellenkamm,
Ein Riesenleib, gewalt’ger, höher immer;
Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt –
Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,
Durch seine Glieder zittern Mondenschimmer.
Komm her, komm nieder – um ist deine Zeit!
Ich harre dein, im heil’gen Bad geweiht;
Noch ist der Kirchenduft in meinem Kleide! –
Da fährt es auf, da ballt es sich ergrimmt,
Und langsam, eine dunkle Wolke, schwimmt
Es über meinem Haupt entlang die Heide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht – es schwankt herbei –
Und – »Herr, es regnet« – sagte mein Lakai,
Der ruhig übers Haupt den Schirm mir streckte.
Noch einmal sah ich zum Gestein hinab:
Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,
Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! –
Standest du je am Strande,
Wenn Tag und Nacht sich gleichen,
Und sahst aus Lehm und Sande
Die Regenrinnen schleichen –
Zahllose Schmugglerquellen,
Und dann, so weit das Auge
Nur reicht, des Meeres Wellen
Gefärbt mit gelber Lauge? –
Hier ist die Dün’ und drunten
Das Meer; Kanonen gleichend
Stehn Schäferkarrn, die Lunten
Verlöscht am Boden streichend.
Gilt’s etwa dem Korsaren
Im flatternden Kaftane,
Den dort ich kann gewahren
Im gelben Ozeane?
Er scheint das Tau zu schlagen,
Sein Schiff verdeckt die Düne,
Doch sieht den Mast man ragen, –
Ein dürrer Fichtenhüne;
Von seines Toppes Kunkel
Die Seile stramm wie Äste,
Der Mastkorb, rauh und dunkel,
Gleicht einem Weihenneste! –
Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,
Gesteine siehst du aus dem Schnitte ragen,
Blau, gelb, zinnoberrot, als ob zur Gant
Natur die Trödelbude aufgeschlagen.
Kein Pardelfell war je so bunt gefleckt,
Kein Rebhuhn, keine Wachtel so gescheckt,
Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff
Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff
Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.
Wie zürnend sturt dich an der schwarze Gneus,
Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,
Und um den Glimmer fahren Silberblitze;
Gesprenkelte Porphire, groß und klein,
Die Ockerdruse und der Feuerstein –
Nur wenige hat dieser Grund gezeugt,
Der sah den Strand, und der des Berges Kuppe;
Die zorn’ge Welle hat sie hergescheucht,
Leviathan mit seiner Riesenschuppe,
Als schäumend übern Sinai er fuhr,
Des Himmels Schleusen dreißig Tage offen,
Gebirge schmolzen ein wie Zuckerkand,
Als dann am Ararat die Arche stand,
Und, eine fremde, üppige Natur,
Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. –
Findlinge nennt man sie, weil von der Brust,
Der mütterlichen sie gerissen sind,
In fremde Wiege schlummernd unbewußt,
Die fremde Hand sie legt’ wie’s Findelkind.
O welch ein Waisenhaus ist diese Heide,
Die Mohren, Blaßgesicht, und rote Haut
Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!
Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!
Tief ins Gebröckel, in die Mergelgrube
War ich gestiegen, denn der Wind zog scharf;
Dort saß ich seitwärts in der Höhlenstube,
Und horchte träumend auf der Luft Geharf.
Es waren Klänge, wie wenn Geisterhall
Melodisch schwinde im zerstörten All;
Und dann ein Zischen, wie von Moores Klaffen,
Wenn brodelnd es in sich zusamm’gesunken;
Mir überm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,
Als scharre in der Asche man den Funken.
Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor,
Und lauschte, lauschte mit berauschtem Ohr.
Vor mir, um mich der graue Mergel nur,
Was drüber sah ich nicht; doch die Natur
Schien mir verödet, und ein Bild erstand
Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;
Ich selber schien ein Funken mir, der doch
Erzittert in der toten Asche noch,
Ein Findling im zerfallnen Weltenbau.
Die Wolke teilte sich, der Wind ward lau;
Mein Haupt nicht wagt’ ich aus dem Hohl zu strecken,
Um nicht zu schauen der Verödung Schrecken,
Wie Neues quoll und Altes sich zersetzte –
War ich der erste Mensch oder der letzte?
Ha, auf der Schieferplatte hier Medusen –
Noch schienen ihre Strahlen sie zu zücken,
Als sie geschleudert von des Meeres Busen,
Und das Gebirge sank, sie zu zerdrücken.
Es ist gewiß, die alte Welt ist hin,
Ich Petrefakt, ein Mammutsknochen drin!
Und müde, müde sank ich an den Rand
Der staub’gen Gruft; da rieselte der Grand
Auf Haar und Kleider mir, ich ward so grau
Wie eine Leich’ im Katakombenbau,
Und mir zu Füßen hört’ ich leises Knirren,
Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.
Es war der Totenkäfer, der im Sarg
So eben eine frische Leiche barg;
Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor gestellt
Zeigt eine Wespe mir von dieser Welt.
Und anders ward mein Träumen nun gewandet,
Zu einer Mumie ward ich versandet,
Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angesicht,
Und auch der Skarabäus fehlte nicht.
Wie, Leichen über mir? – so eben gar
Rollt mir ein Byssusknäuel in den Schoß;
Nein, das ist Wolle, ehrlich Lämmerhaar –
Und plötzlich ließen mich die Träume los.
Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,
Am Himmel stand der rote Sonnenball
Getrübt von Dunst, ein glüher Karniol,
Und Schafe weideten am Heidewall.
Dicht über mir sah ich den Hirten sitzen,
Er schlingt den Faden und die Nadeln blitzen,
Wie er bedächtig seinen Socken strickt.
Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.
»Ave Maria« hebt er an zu pfeifen,
So sacht und schläfrig, wie die Lüfte streifen,
Er schaut so seelengleich die Herde an,
Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.
Ein Räuspern dann, und langsam aus der Kehle
Schiebt den Gesang er in das Garngestrehle:
Es stehet ein Fischlein in einem tiefen See,
Danach tu ich wohl schauen, ob es kommt in die Höh;
Wandl’ ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,
Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen sein.
Gleich wie der Mond ins Wasser schaut hinein,
Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,
Also sich verborgen bei mir die Liebe findt,
Alle meine Gedanken, sie sind bei dir, mein Kind.
Wer da hat gesagt, ich wollte wandern fort,
Der hat sein Feinsliebchen an einem andern Ort;
Trau nicht den falschen Zungen, was sie dir blasen ein,
Alle meine Gedanken, sie sind bei dir allein.
Ich war hinaufgeklommen, stand am Bord,
Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;
Er steckt’ ihn an den Hut, und strickte fort,
Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.
Im Moose lag ein Buch; ich hob es auf –
»›Bertuchs Naturgeschichte‹; lest ihr das?« –
Da zog ein Lächeln seine Lippen auf:
»Der lügt mal, Herr! doch das ist just der Spaß!
Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,
Als, wie Genesis sagt, die Schleusen offen;
Wär’s nicht zur Kurzweil, wär’ es schlecht gehandelt:
Man weiß ja doch, daß alles Vieh versoffen.«
Ich reichte ihm die Schieferplatte: »Schau,
Das war ein Tier.« Da zwinkert’ er die Brau’,
Und hat mir lange pfiffig nachgelacht –
Daß ich verrückt sei, hätt’ er nicht gedacht! –