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Ein kleines Glossar Ruhrdeutsch – Deutsch finden Sie hinten im Buch.
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Logo kann ich lesen. Und anders als viele, die schreiben, lese ich sogar viel und gern. Allerdings stickum. Als Welpe habbichma ein Exemplar von Susanne Fröhlichs »Moppel-Ich« und eins von Eckart von Hirschhausen sein »Glück kommt selten allein …« angeknibbelt. Bloß son Fitzelken vom Umschlag, echt. Herrchen hat daraufhin aber schwer am Rad gedreht, denn er war sich am ausrechnen, datter, wenner nu alle Bücher ausse untersten beiden Regalreihen von seine Bibliothek vor meine Beißerkes retten will, rund tausend Bände weniger in seine Kabache unterbringen kann. Dabei wolltich dem Döskopp doch bloß verklamüsern, wie richtig er mit seinem vernichtenden Urteil über diese beiden Bücher liegt. Aber der ösige Zwischenfall hat mich gelernt, mit meinen literaturkritischen Ansichten seither fein hintern Berg zu halten. Soll der Mäkelpott doch sehen, wo er ohne mich bleibt. Umso mehr freu ich mich getz, endlich mal aus meine Perspektive aussem literarischen Nähkästken plaudern und über all die Bücher schreiben zu dürfen, die mir wirklich am Herz gewachsen sind.
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Übersetzt: »Auf Action begierige Leserinnen und Leser seien gewarnt! In diesem Buch passiert absolut und rein gar nichts – außer, dass einer einen Spaziergang mit seinem Hund unternimmt, einem Hühnerhund, der irgendwann ein bisschen krank und nach vierzehn Tagen dann wieder gesund wird.« Dem Verlag und mir erschien dieser hier im Vernakular wiedergegebene Absatz ein gutes Beispiel dafür, warum wir in einem in der Verlagsgeschichte einmaligen bell-e-tristischen Lektorat gemeinsam die Entscheidung getroffen haben, der besseren Lesbarkeit im Süden und Norden und jenseits des deutschen Sprachgebiets halber ab hier behutsam aus meinem angestammten Ruhrpott-Deutsch ins Hochdeutsche zu übersetzen und nur noch einige wenige spezifische dialektale Idiome quasi des Aromas halber im Original stehen zu lassen. Wie der Kölner sagt: Usse Pisspott kannze eben ken Mokkatässchen maake. Sprachpuristen mögen einwenden, dass der spezifische Reiz meiner Sprechweise dadurch verschütt gehe. Mag sein. Ich sage dazu: Hasse Scheiße am Schuh, hasse Scheiße am Schuh. Eine alle Interessen berücksichtigende Lösung gibt es nicht. Selbstverständlich habe ich mich daher für den Weg entschieden, der am meisten Penunsen einzubringen verspricht.
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Getz kuckense nich so kariert, selbstverständlich benutze ich das Internet. Oder denkense etwa, ich wetz für sowwat am zehnbändigen großen Duden? Der steht inzwischen im Keller.
Man sollte immer wissen, an welchen Baum man pisst. Kiepenheuer & Witsch gehört zu der in der Gänsheide in Stuttgart residierenden Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH (sieht von außen aus wie eine Zahnarztpraxis im Rheinland, aber wenn Sie mal da sind, lassen Sie sich unbedingt den NATO-Saal zeigen!), der in Deutschland neben S. Fischer, Rowohlt, Droemer Knaur auch die Mehrheit an SpringerNature gehört, in Großbritannien Pan Macmillan, in den USA Macmillan, Farrar Straus & Giroux, St. Martin’s Press sowie viele andere Verlage nebst signifikanten Teilen der bewohnten Milchstraße. Außerdem gehören anderen Familienmitgliedern der von Holtzbrincks die »Zeit« und das »Handelsblatt«, aber um das alles genau zu recherchieren, war der Vorschuss echt zu mau. Um die KiWi-Autorin Katja Lange-Müller zu zitieren: Wir sitzen so oder so alle im Portemonnaie eines der großen Konzerne.
Sehet auf die Hunde.
Philipper, 3:2.
Wir müssen immer wählen, uns entscheiden.
Die Tiere müssen nur sein und handeln.
Wir sind angejocht, und sie sind frei.
Mit einem Tier zusammen zu sein bedeutet daher,
ein wenig Freiheit zu erfahren.
Ursula K. Le Guin, »Der andere Wind«
Intelligenz lähmt, schwächt, hindert?
Ihr werd’t Euch wundern! Scharf wie’n Terrier macht se!
Arno Schmidt, »Das steinerne Herz«
xxxxx@kiwi-verlag.de
Liebe Kerstin,
allerverbindlichsten Dank für Deine Mail. Ein Buch über Stubbs? Werte Verlegerin, wie denkst Du Dir das? Ein Hundebuch in Tagen wie diesen? Ist das Dein Ernst? Das Klima heizt sich auf. Die Welt hungert. Rassismus und schreiendes Unrecht, wohin man schaut. Ausbeutung und Unterdrückung, so schlimm und perfide wie im alten Rom. Das Böse triumphiert. Die Dummheit feixt. Niedertracht und Stumpfsinn tanzen Tango auf den Tischen, während wir auf der Suche nach dem letzten Krumen Grips unter den Bierbänken mit unseren Birnen aneinanderstoßen. Und da sollen wir – ein Hundebuch schreiben? In diesen Zeiten?
Fragen besorgt,
Deine
Christina, Denis & Stubbs
xxxxx@kiwi-verlag.de
Liebe Kerstin,
Du hast recht: unser Leben mit Stubbs ist etwas Besonderes und als solches durchaus erzählenswert. Aber: dürfen wir das überhaupt? Stubbs schlägt zwar bei jedem Klingeln an, als stünden die AfD im Verein mit den Zeugen Jehovas und der Steuerfahndung vor der Tür, und zudem ist er durchaus ein Poser und kann an keinem Baum, keinem Laternenpfahl und keinem Grasbüschel vorbei, ohne sein Bein zu heben. Aber auf seine Weise ist Stubbs doch auch diskret und knurrend auf den Schutz seiner Intimsphäre bedacht. Wir haben in den letzten Jahrzehnten durch die sozialen Medien eine bis dahin unvorstellbare Zurschaustellung des Privaten erlebt. Wer über den Ursprung der Redensart nachdenkt, dass man schlafende Hunde nicht wecken sollte, kommt zumindest ins Zögern, das Leben seines Hundes literarisch auszuschlachten. Ist aus der Perspektive eines Tiers zu schreiben nicht ein Paradebeispiel für kulturelle Aneignung? Gar literarischen Vampirismus? Wir wollen doch nicht die literarischen Zuhälter unseres Hundes werden.
Kussi & Gruß aus dem medialen Rotlichtmilieu!
Deine
Christina, Denis & Stubbs
xxxxx@kiwi-verlag.de
Liebe Kerstin,
wir haben ein wenig nachgedacht. Alle Autoren, so John Updike, beuten im Steinbruch ihrer Erinnerungen die Goldadern der eigenen Biografie aus. Die einen verbrämen das besser, die anderen schlechter. Falsche Fährten zu legen und Spuren zu verwischen gehört seit je zum Repertoire guter Schriftsteller, die ja nach Joseph Conrad immer auch zugleich Geheimagenten sind. Zu unseren Leben zählt seit zehn Jahren das Zusammensein mit Stubbs, und das hat uns existenziell verändert, emotional bereichert und unsere Augen und Ohren geöffnet für so einiges, was bislang in unserem Dasein eher brach lag. Unseren Bezug zur Natur zum Beispiel. Unsere Art, miteinander und mit unserer Umwelt umzugehen. Nicht zuletzt unser Wertesystem – wir haben zum Beispiel das breite Themenfeld »Fressen!« lange unglaublich unterschätzt! – und unsere Sicht auf die Welt. Es hat uns in vielerlei Hinsicht zugänglicher gemacht.
Stubbs ist unter anderem das, was man in der Chemie einen Katalysator nennt: Er provoziert Reaktionen. Wer unter Einsamkeit leidet, sollte sich unbedingt einen Hund anschaffen. Allerdings nicht, weil der Hund selbst die Einsamkeit vertreibt. Sondern weil ein Hund einen in Kontakt mit Menschen bringt. Wir haben beide zum Glück keinerlei Grund zur Klage, was mangelnde öffentliche Beachtung anlangt. Aber nur einmal in unserem Leben durften wir uns fühlen wie Greta Thunberg oder George Clooney, Barack und Michelle Obama, der Papst oder Leonardo DiCaprio. Nämlich als wir mit dem zwölf Wochen alten Welpen Stubbs durch die Kölner Südstadt spazierten. Jeder Mensch sollte einmal im Leben erleben, wie die Gesichtszüge entgegenkommender Passanten vor Verzückung entgleisen. So müssen Marilyn Monroe, Elvis oder die Beatles durchs Leben gegangen sein. Ja, es gibt den Zustand der Ekstase. Und ja, es gibt noch einen Zustand darüber hinaus. Noch viel besser ist es, Ekstase in anderen auszulösen. Unvergessen allerdings auch Stubbs’ Zusammentreffen mit Henryk M. Broder, dem beim Anblick unseres Hundes spontan der Satz entfuhr: »Kann er denn schon Heil Hitler?« Stubbs verrät einem recht schnell, wie ein Mensch tickt.
Von alldem möchten wir erzählen. Aber, liebe Kerstin, will das auch jemand lesen? Ist es nicht in Wahrheit vielmehr so, dass Hundebücher keinen hinterm Ofen hervorlocken, weil der Markt nun mal Katzenbücher liebt? Allein, auf Katzenbüchern scheint ein besonderer literarischer Fluch zu lasten. Hape Kerkeling ist zur »Katzenreligion« konvertiert. Elke Heidenreich hat sich mit ihrem Büchlein über den schwarzen Kater Nero Corleone ein schönes Heim in Marienburg erschrieben; was von ihrer katzenverrückten Leserschaft aber kaum jemand weiß: In Wahrheit besitzt sie einen charakterstarken schwarzen Mops namens Vito, den wir öfters im Park treffen. Das Frankfurter Verlegerpaar Klaus und Ida Schöffling subventioniert mit Katzenkalendern seit Jahrzehnten sein literarisches Programm. Akif Pirinçci hat sich mit seinen »Felidae«-Katzenkrimis um sein letztes Quäntchen Verstand geschrieben und ist in die Wahnsinnszone des Völkischen abgedriftet, während Rita Mae Brown mit dem gehorteten Zaster für ihre angeblich mit Sneaky Pie Brown verfassten Katzen-Schmöker bestimmt schon mehrere Geldspeicher von Dagobert Duck’schem Format gefüllt hat. Wahrscheinlich haben Katzenliebhaber einfach mehr Zeit zum Lesen. Hundefreunde müssen schließlich Gassi gehen.
Apropos: Was habt Ihr solventen Auflagenmilliardäre von Kiepenheuer & Witsch Euch denn als Vorschuss für so ein Hundebuch vorgestellt?
Es grüßen Deine ebenso neugierigen wie auf Eure XXXL-Spendierhosen setzenden
Christina, Denis & Stubbs
xxxxxx@kiwi-verlag.de
Liebe Kerstin,
hossa! Niemand soll uns nachsagen, gute Argumente stießen bei uns auf taube Ohren. Und Ihr Auflagenhexer vom Riesenrubel-Verlag habt wirklich ganz ausgezeichnete Argumente. Hammer!
Ein Hundebuch also. Aber es ist ja nicht so, als ob es das in der Weltliteratur nicht schon das eine oder andere Mal gegeben hätte. Im Gegenteil! Seit Argos vor Freude über das Wiedersehen mit seinem seit zwanzig Jahren vermissten Herrchen Odysseus tot umfiel, wimmelt es in der Literaturgeschichte von Hunden. Zum Glück auch von Hundegeschichten mit einem befriedigenderen Ausgang als die »Odyssee«. Denn was immer man vom Schicksal Odysseus’ hält, das Schicksal von Argos erscheint uns nicht sonderlich beneidenswert: Wer wartet schon gern 20 Jahre auf sein Herrchen?
Den schönsten Beleg dafür, dass nicht die Kunst das Leben imitiert, sondern genau andersherum oftmals das Leben die Kunst, und die Wirklichkeit bloß eine schwache Kopie unserer großen Erzählungen ist, haben wir ausgerechnet in einer Kölner Hundeschule mit eigenen Ohren gehört. Dort trafen wir auf ein bildungsbeflissenes Boxer-Herrchen, das offenbar aus Begeisterung für Thomas Manns Novelle »Herr und Hund« seinen Hund Bauschan nannte – was ihm auf dem Übungsplatz statt des erhofften Reputationsgewinns allerdings lediglich die trockene Nachfrage eintrug, wie um Himmels willen er denn bloß auf die sagenhafte Schnapsidee verfallen sei, sein armes Tier »Bauschaum« zu nennen? Hundenamen sind ein Kapitel für sich und uns folglich auch eingehenderer Betrachtung wert.
In der Antike haben die Hunde sogar einer eigenen Denkschule in der Philosophie ihren Namen geliehen: den Kynikern. Mit unserem heutigen Verständnis des Worts Zynismus haben die Kyniker allerdings nichts zu tun. Ihnen ging es vielmehr um die Maximierung unseres Glücks durch die Minimierung unserer Ansprüche. Der Urvater der Kyniker, der Sokrates-Schüler Antisthenes, lehrte: »Armut und Reichtum wohnen nicht im Hause, sondern im Herzen der Menschen. Man darf wohl die Lust erstreben, die hinter der Anstrengung liegt, aber nicht die, welche davor liegt. Ich besitze nichts, damit ich nicht besessen werde.« Ihren Namen bekamen die Kyniker dank eines Schülers von Antisthenes, Diogenes von Sinope, der seine Bedürfnisreduzierung nun wirklich ins Extrem trieb und sich selbst »ó κύων«, Kynos, »den Hund« genannt hat. Diogenes trennte sich von jeglichem Besitz, der ihm bloßer Ballast schien, und schlief gelegentlich in einem Vorratsgefäß, was ihm den Spitznamen eintrug, unter dem er später populär wurde: »Diogenes in der Tonne«. Es war eben jener Diogenes, der bei einer kurzen Begegnung mit Alexander dem Großen, als dieser ihm großmütig einen Wunsch gewährte, gesagt haben soll: »Geh mir aus der Sonne.«
Auf solche Geschichten möchten wir nicht verzichten. Wir wollen deshalb nicht nur unsere Geschichte mit Stubbs erzählen, sondern auch ein wenig von der Geschichte des Hundes und dessen Spuren in der Literatur. Nabelschau ist nämlich so gar nicht die Sache von Stubbs. Was uns zum ersten Mal auf die Idee gebracht hat, Stubbs zu fragen, wo eigentlich sein Nabel ist. Ohne Recherche, dämmert uns dabei, wird dieses Buch nicht geschrieben werden können. Aber gut so: Neugier ist schließlich das, was uns vielleicht am meisten mit Stubbs verbindet. Zugegeben – Faulheit auch. Wir haben uns also belehrt: Natürlich haben Hunde als Säugetiere einen Nabel. Nur beißt die Hundemutter bei der Geburt der Welpen die Nabelschnur in der Regel so säuberlich ab, dass der Hundenabel unter dem Bauchfell kaum zu erkennen ist. Wahrscheinlich kommen deshalb Hunde viel seltener als Menschen auf die Idee, dass sie der Nabel der Welt sind.
Nun also frisch ans Werk. Wie hieß es früher in der DDR so schön: »Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden!«
Wat macht de Maloche?
Deine
Christina, Denis & Stubbs