[1]
Guardia Rural: kasernierte militärische Einheiten, im Landesinneren stationiert, um »Ruhe und Ordnung« unter Zuckerrohrarbeitern und Kleinbauern zu sichern. Die Guardia Rural war ein wichtiges Instrument der Batista-Diktatur zur Guerillabekämpfung.
[2]
Pichón de Haitiano: in Kuba geborener Abkömmling haitianischer Einwanderer
[3]
Caracas: Berg in der Sierra Maestra, 1294 m hoch
[4]
Galicier (nach der nordspanischen Region Galicien): in Kuba Bezeichnung für Einwanderer aus Spanien
[5]
Palma Mocha: Fluss in der Sierra Maestra
[6]
Cueva del Humo: »Rauchhöhle«
[7]
Casa de las Américas: kubanische Institution zur Förderung der lateinamerikanischen Kultur, Herausgeber der Zeitschrift gleichen Namens
[8]
Herbert Matthews, Journalist der Zeitung »New York Times«, besuchte am 15. Februar 1957 Fidel Castro in der Sierra Maestra.
[9]
Purgatorio: Flecken in der Sierra Maestra, wörtlich übersetzt »Fegefeuer«
[10]
Orthodoxer: Die »orthodoxe« Partei, Partido del Pueblo Cubano (Ortodoxo), 1947 von Eduardo Chibás gegründet, verfolgte bürgerlich-demokratische Zielstellungen und trat gegen die herrschende Korruption auf.
[11]
El Maestro: »Der Lehrer«
[12]
Nach dem Angriff auf den Präsidentenpalast gab sich diese Bewegung den Namen »Revolutionäres Direktorium des 13. März«.
[13]
Segundo Frente: Zweite Front, Gebiet in der Provinz Oriente, wo seit März 1958 Rebellenverbände unter dem Befehl von Raúl Castro operierten.
[14]
Gusanos: »Würmer«, in Kuba Spottname für Konterrevolutionäre
[15]
Verde Olivo: Zeitschrift der kubanischen Streitkräfte nach dem Sieg der Revolution
[16]
El Vaquerito: »der kleine Kuhhirte«
[17]
Barbudos: »Bärtige«, Bezeichnung für die kubanischen Guerilleros
[18]
Schweinebucht: Am 17. April 1961 landete in »Playa Girón« in der Schweinebucht eine von den USA finanzierte, ausgebildete und angeleitete Söldnertruppe mit dem Ziel, die revolutionäre kubanische Regierung zu stürzen. Innerhalb von 72 Stunden wurden die Eindringlinge besiegt.
[19]
Arroyo del Indio: »Bach des Indianers«
[20]
Cantinflas: Künstlername eines berühmten mexikanischen Komikers
[21]
Decimas Guajiras: Zehnzeilige Solistenstrophen der Guajira, eines meist improvisierten Liedes der kubanischen Bauern, wird oft in Form eines Wettstreites zwischen zwei Sängern vorgetragen.
[22]
Carlos Prío Socarrás, von 1948 bis 1952 Präsident Kubas, vertrat eine antikommunistische und offen proimperialistische Politik, wurde von Batista gestürzt.
[23]
»Bombe«
[24]
El Policía: »Der Polizist«
[25]
Radio Bemba: Damit wird in Kuba die Gerüchteküche bezeichnet.
[26]
El Vizcaíno: »Der Biskayer«
[27]
El Mexicano: »Der Mexikaner«
[28]
Diario de la Marina: Zeitung des reaktionären Großbürgertums Kubas
[29]
El Hombrito: »Das Männchen«
[30]
Sumner Welles: Während der Dreißigerjahre US-Botschafter in Kuba, berüchtigt wegen seiner Einmischungen in das politische Leben des Landes. Er »entdeckte« und förderte den späteren Diktator Batista.
[31]
Enmienda Platt: Nach einem US-Senator benannter Anhang der kubanischen Verfassung von 1901, womit den USA das Recht zur Intervention eingeräumt wurde, wann immer es die US-Regierung für angemessen hielt.
[32]
Narciso López: General, der in mehreren Feldzügen für den Anschluss Kubas an die USA kämpfte. Er wurde 1851 von den spanischen Kolonialherren gefangen genommen und hingerichtet.
[33]
John Quincy Adams: Von 1825 bis 1829 sechster Präsident der USA; wirkte an der Formulierung der Monroe-Doktrin (1823) mit, die Lateinamerika zur Interessensphäre der USA erklärte.
[34]
Jacobo Arbenz Guzmán: Von 1951 bis 1954 Präsident Guatemalas, führte zahlreiche bürgerlich-demokratische Reformen durch und wurde durch einen von den USA gelenkten Putsch gestürzt.
[35]
Spione Trujillos: Gemeint sind hier Héctor Bienvenido Trujillo und sein Bruder Rafael Leonidas Trujillo, von 1930 bis 1961 Diktatoren in der Dominikanischen Republik.
[36]
Alberto Bayo: Offizier der spanischen Armee, kämpfte auf der Seite der Republikaner und unterrichtete als Guerillaexperte Fidel Castro und seine Anhänger 1955 und 1956 in Mexiko.
[37]
Comandante: Major, in der Rebellenarmee der höchste Dienstgrad
[38]
Tuxpan: kleiner Hafen am Golf von Mexiko in dem mexikanischen Bundesstaat Vera Cruz
[39]
Inseln des Großen Cayman: drei Inseln (Gran Cayman, Little Cayman, Cayman Brac) südlich von Kuba
[40]
Frank País: Er leitete von Santiago de Cuba aus die Bewegung des 26. Juli in den Städten. Wurde am30. 7.1957 von Soldaten Batistas ermordet.
[41]
Alegría de Pío: »Píos Freude«
[42]
Diente de perro: »Hundezahn«, in Kuba Bezeichnung für poröses Gestein, das zahlreiche scharfe Kanten aufweist.
[43]
Ojo de Buey: »Ochsenauge«
[44]
La Cabaña: Festung in Havanna, erbaut von 1763 bis 1774, dient heute noch als Militärstützpunkt und Gefängnis.
[45]
Corinthia: Im Mai 1957 landete in Kuba mit der Jacht Corinthia eine Gruppe junger Revolutionäre mit dem Ziel, den Kampf der Bewegung des 26. Juli zu unterstützen. Die Batista-Armee vernichtete diese Gruppe fast vollständig.
[46]
B-26: zweimotoriger Bomber aus US-Produktion
[47]
El Bizco: »Der Schieler«
[48]
Mambí: Bezeichnung für den gegen die spanische Kolonialmacht kämpfenden kubanischen Rebellen (Plural Mambises)
[49]
El Cubano Libre: »Der freie Kubaner«
[50]
Casquito: »Kleiner Helm«, Spitzname für die Batista-Soldaten
[51]
Tibisí: Hochgras (Panicum arborescens), hat Ähnlichkeit mit niedrigem Bambusrohr.
[52]
Pata de la Mesa: »Tischbein«
[53]
Llano: Ebene, Flachland. In der Begrifflichkeit der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen steht »Llano« für das Primat des revolutionären bewaffneten Kampfes in den Städten, was auch die Leitung des bewaffneten Kampfes in den Bergen bzw. im Landesinneren von den Städten aus einschließt; und Sierra, d.h. Gebirge, steht für das Primat des Kampfes und der Leitung des gesamten revolutionären Kampfes durch Einheiten, die in den Bergen bzw. im Landesinneren operieren.
[54]
FEU (Federación de Estudiantes Universitarios): kubanischer Studentenverband
[55]
Guagüero: in Kuba Bezeichnung für Busfahrer
[56]
Gemeint ist das »Revolutionäre Direktorium des 13. März«.
[57]
»Sierra« und »Llano«, siehe Anmerkung 53.
[58]
Caudillo: Diktator
[59]
PURSC: Partido Unido de la Revolución Socialista de Cuba, in den Sechzigerjahren Vorstufe der Kommunistischen Partei Kubas
[60]
Manifest der Sierra: vgl. Kapitel »Ein Verrat wird vorbereitet«
[61]
Am 10. März 1952 kam Batista durch einen Putsch zum zweiten Mal an die Macht.
[62]
Anastasio Somoza, Begründer einer proimperialistischen Familiendynastie in Nicaragua. Von 1937 bis zu seiner Ermordung 1956 regierte er das Land persönlich oder über Marionetten. 1948 und 1955 organisierte er die bewaffnete Intervention in Costa Rica.
[63]
CTC (Confederación de Trabajadores de Cuba): Kubanischer Gewerkschaftsverband, 1940 gegründet. Von 1948 bis 1959 stand er unter dem Einfluss bürgerlich-reformistischer Kräfte.
[64]
Kampfbericht: vgl. den Frontbericht, der im Anschluss an diesen Abschnitt abgedruckt ist.
[65]
Loma del Cable: »Seil-Hügel«
[66]
siehe das Dokument am Ende dieses Kapitels
[67]
Resistencia Cívica: Formation der Bewegung des 26. Juli, in der alle unbewaffneten Aktivitäten gegen die Batista-Diktatur koordiniert und geplant wurden.
[68]
Gemeint ist die Hauptstadt Venezuelas.
[69]
1895: In diesem Jahr führte General Antonio Maceo die kubanische Revolutionsarmee von Oriente in den Westen der Insel, um den Kampf gegen die spanische Kolonialmacht zu verstärken.
[70]
Carretera Central: »Zentrale Fernverkehrsstraße«, die ganz Kuba durchquert; vor 1959 war sie die wichtigste Landstraße Kubas.
[71]
Mazamorra: Diese durch Parasitenbefall hervorgerufene Krankheit führt zu stark juckenden und eiternden Geschwüren; tritt insbesondere in Sumpfgebieten auf.
[72]
Unabhängigkeitskrieg von 1868 bis 1878
[73]
Die hier und bei nachfolgenden Personen fehlenden oder unvollständigen Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden.
Dieses Werk enthält Abbildungen in einem Bildteil.
~ zum Bildteil ~
Die vorliegende Ausgabe des Kubanischen Tagebuches, verfasst von Comandante Ernesto Che Guevara, umfasst den Zeitraum von der Landung der Jacht Granma am 2. Dezember 1956 bis zum Sieg der Revolution am 1. Januar 1959. Während dieser Zeit wurde der glorreiche Kampf in der Sierra Maestra geführt.
Die vorliegende Ausgabe besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil enthält die Episoden aus der ursprünglichen Buchveröffentlichung unter dem Titel »Paisajes de la Guerra Revolucionaria« aus dem Jahre 1963 im Verlag Unión. Die Episoden waren vorab einzeln in der Zeitschrift Verde Olivo erschienen und wurden dann, vom Autor durchgesehen und autorisiert, als Buch veröffentlicht. Der zweite Teil besteht aus Beiträgen, die danach als Artikel in der erwähnten Zeitschrift veröffentlicht wurden. Daher folgen die einzelnen Beiträge auch nicht der Chronologie des Geschehens.
Zu einem späteren Zeitpunkt hat Che Guevara ein Exemplar der Ausgabe aus dem Jahr 1963 handschriftlich überarbeitet und ergänzt »für den Fall einer erneuten Veröffentlichung«. Diese Korrekturen wurden in die vorliegende Ausgabe eingearbeitet.
Verehrte Leser: Wir laden Sie ein, einen mitreißenden Bericht zu genießen, verfasst von einem der wichtigsten Protagonisten des revolutionären Kampfes in der Sierra Maestra, der gleichzeitig einer ihrer sensibelsten, objektivsten und wahrheitsgetreuesten Chronisten war.
Centro de Estudios Che Guevara
Ocean Press
Aleida Guevara
Bei der Durchsicht der persönlichen Hinterlassenschaften Ches fand meine Mutter vor einiger Zeit bei der Suche nach einem Dokument zwischen den Papieren meines Vaters eine handschriftliche Notiz: »Das Buch mit den Episoden, überarbeitet und ergänzt für den Fall einer erneuten Veröffentlichung.«
Alles begann am 8. Mai 1963 mit der Auslieferung eines von Che verfassten Buches mit Episoden aus dem revolutionären Krieg. Dieses Buch wurde von ihm annotiert, korrigiert und erweitert für den Fall einer Neuausgabe. Seine Schilderungen beruhen auf seinen Tagebuchaufzeichnungen, ähnlich wie die »Notas de viaje«, sein erstes Buch, diesmal aber mit einem verfeinerten Stil und besser ausgearbeitet, aber ebenso frisch und dynamisch. Sein Buch ist von großer zeithistorischer Bedeutung als Zeugnis eines Beteiligten sowie von unschätzbarem historischem Wert.
Jahre später wurde das Buch erneut aufgelegt und mit anderen Aufsätzen über jene Zeit ergänzt, die Che verfasst und damals in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht hatte. Einige spätere Ausgaben berücksichtigten seine Überarbeitung, ohne jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, um es damit dem Leser zu ermöglichen, sich ein genaues Bild zu machen.
Das Centro de Estudios Che Guevara hat im Rahmen seiner Aktivitäten zur Pflege des Andenkens an Che Guevara und angesichts der Unzulänglichkeiten früherer Ausgaben sich das Ziel gesteckt, den Text neu herauszugeben, diesmal aber mit allen Veränderungen, um so dem ausdrücklichen Wunsch Ches zu entsprechen.
Die hiermit vorgelegte Ausgabe ist präziser und umfassender als frühere Ausgaben, denn zusätzlich zu den Anmerkungen wurden faksimilierte Seiten mit den handschriftlichen Anmerkungen aufgenommen.
Erneut legt das Centro de Estudios Che Guevara einen Text vor, der als ein Klassiker unter Ches Werken gilt. Dieser Text gestattet einen Einblick in ganz besondere Etappen seines Lebens. Mit seiner klaren und direkten Ausdrucksweise, einer ganz besonderen stilistischen Eigenheit seines Prosawerkes, berichtet er über besondere Momente des Guerillakampfes, der von kubanischen Frauen und Männern durchgeführt wurde im Rahmen des Kampfes für eine bessere Zukunft.
Wenn es Che mithilfe dieser einzigartigen Kriegserzählung gelingen sollte, mit dem Leser einen Dialog zu eröffnen, und insbesondere mit jungen Lesern, die die früheren Ausgaben nicht kennen, dann werden am Ende der Lektüre diese Leser sicherlich mehr über unser Volk wissen. Sie werden dann auch eine der wichtigsten Facetten unseres revolutionären Kampfes verstehen, und insbesondere werden sie mehr wissen über Personen, die gekämpft haben, aber auch über ihre Ängste, ihre Beschränkungen und damit auch über ihre Größe.
Bei der Lektüre jeder Episode können wir das Handeln der Protagonisten nachvollziehen, ihre Sorgen fühlen und uns mit ihnen über die Erfolge freuen. Aus erster Hand werden wir darüber informiert, wie sich der Kampf entwickelte und auf welche Weise erzieherisch vorgegangen wurde, wenn die Notwendigkeit einer kritischen und selbstkritischen Analyse gesehen wurde. Dies ist zweifellos eine Lektion für alle, die den revolutionären Kampf zu ihrer Sache machen und begangene Fehler nicht wiederholen wollen.
Als ich das Buch zum ersten Mal las, blieb mir der Bericht »Das ermordete Hündchen« tief im Bewusstsein verankert. Nie konnte ich ihn vergessen, ich höre das Bellen des Hundes und kann das Schuldgefühl nachvollziehen. Unbestreitbar müssen in einem Gefecht Entscheidungen innerhalb von Sekunden getroffen werden, und oft hängt von der Schnelligkeit der Entscheidungen das Leben von vielen Compañeros ab. Ein Mensch kann noch so überzeugt davon sein, richtig gehandelt zu haben, und dennoch kann der Schmerz über bestimmte Entscheidungen dadurch nicht einfach ignoriert werden. Das alles vollzieht sich in den Menschen, die kämpfen. Ja, denn es sind Menschen wie du und ich, jeder mit einzigartigen Gefühlen und Empfindungen, die uns zu Individuen machen.
Ich hoffe, dass Sie diese Lektüre genießen und viele Lehren daraus ziehen werden. Der Text wurde verfasst von einem Chronisten der letzten Etappe des Befreiungskampfes meines Volkes. Beteiligen Sie sich an Hinterhalten und an Entscheidungsfindungen, kämpfen Sie mit auf der Grundlage der Erinnerungen eines der kampferprobtesten und beliebtesten Anführer des Befreiungskampfes. Aber lassen Sie am Ende der Lektüre nicht die Waffen des Wissens und des Verstehens fallen, die heute nützlicher denn je sind bei dem Kampf für eine viel bessere Welt.
¡Hasta la Victoria siempre!
Immer vorwärts bis zum Sieg!
Aleida Guevara March
2005
Seit langer Zeit wollten wir die Geschichte unserer Revolution schreiben, die alle ihre vielfältigen Erscheinungsformen und Details umfasst. Oftmals haben die Führer der Revolution – privat oder öffentlich – ihren Wunsch geäußert, eine derartige Geschichte niederzuschreiben. Aber es gibt so viel zu tun, die Jahre gehen vorbei, und die Erinnerungen an den Aufstand verlieren sich in der Vergangenheit. Diese Ereignisse sind noch nicht richtig beschrieben worden, Ereignisse, die bereits zur Geschichte Amerikas gehören. Deshalb beginnen wir mit der Veröffentlichung einer Reihe persönlicher Erinnerungen über die Angriffe, Gefechte, Scharmützel und Schlachten, an denen wir teilgenommen haben. Unsere Absicht besteht nicht allein darin, diese fragmentarische Geschichte zu verfassen, die auf der Wiedergabe eigener Erlebnisse und einiger schriftlicher Aufzeichnungen beruht; ganz im Gegenteil möchten wir erreichen, dass dieses Thema von allen, die die Ereignisse miterlebt haben, aufgegriffen wird.
Da wir während der gesamten Kriegshandlungen ausschließlich in einem genau umgrenzten Sektor des kubanischen Territoriums gekämpft haben, war es uns selbst unmöglich, an anderen Orten stattfindende Kämpfe und Aktionen mitzuerleben. Um allen an dem revolutionären Kampf Beteiligten die Aufgabe zu erleichtern, darüber zu berichten, und um diesen Bericht gleichzeitig in eine übersichtliche Form zu bringen, können wir, so meine ich, mit dem ersten Gefecht beginnen, das heißt mit dem einzigen, an dem Fidel teilgenommen hatte und bei dem uns doch das Kriegsglück nicht günstig war: mit dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío.
Es gibt heute noch viele Überlebende dieses Gefechts, und jeder einzelne von ihnen ist aufgerufen, auch seine Erinnerungen niederzuschreiben, damit sie in die Geschichte eingehen und sich so ein besseres und vollständigeres Bild ergibt. Wir bitten einzig darum, dass der Erzähler streng bei der Wahrheit bleibt; dass er niemals irgendetwas Unrichtiges sagt, nur um eine persönliche Stellungnahme zu verdeutlichen oder in ein günstiges Licht zu rücken – oder um den Anschein zu erwecken, er wäre an einem bestimmten Ort dabei gewesen. Wir bitten, dass jeder, nachdem er ein paar Seiten in der ihm angemessenen, seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Form geschrieben hat, sich einer möglichst strengen Selbstkritik unterzieht, um jedes Wort zu streichen, das sich nicht auf eine ganz zuverlässig gesicherte Tatsache bezieht oder dessen Wahrheitsgehalt der Autor nicht voll vertraut. Im Übrigen beginnen auch wir in diesem Sinne mit unseren Erinnerungen.
Alegría de Pío ist ein Ort in der Provinz Oriente, im Gemeindebezirk Niquero, nahe bei Cabo Cruz, wo wir am 5. Dezember 1956 von den Truppen der Diktatur überraschend angegriffen wurden.
Nach einem zwar nicht langen, aber beschwerlichen Fußmarsch hatten uns die Kräfte verlassen. Am 2. Dezember waren wir an der als Strand von Las Coloradas bekannten Stelle an Land gegangen, wir hatten dabei fast unsere ganze Ausrüstung verloren und waren während endloser Stunden in neuen Stiefeln durch Salzwassersümpfe gelaufen – dadurch hatte fast die gesamte Truppe Schwären an den Füßen. Doch das Schuhwerk oder die Pilzkrankheiten waren nicht unser einziger Feind. Wir hatten Kuba nach sieben Tagen Überfahrt durch den Golf von Mexiko und das Karibische Meer erreicht, ohne Nahrung, das Schiff in schlechtem Zustand, aus fehlender Gewöhnung an Seereisen fast alle seekrank, nachdem wir am 25. November, einem Tag mit Nordwind, an dem das Auslaufen von Schiffen verboten war, den Hafen von Tuxpan verlassen hatten. Das alles hatte in dieser Truppe von Neulingen, die niemals im Kampf gewesen waren, seine Spuren hinterlassen.
Von unserer Kriegsausrüstung war nichts mehr geblieben als die Gewehre, die Patronengurte und ein bisschen nasse Munition. Unser Vorrat an Medikamenten war verschwunden, unsere Tornister waren zum großen Teil in den Sümpfen geblieben. Einen Tag zuvor waren wir nachts auf kleinen Pfaden durch die Zuckerrohrfelder der Zuckerfabrik von Niquero marschiert, die damals Julio Lobo gehörte. Infolge unserer Unerfahrenheit stillten wir unseren Hunger und unseren Durst damit, dass wir Zuckerrohr am Wegesrand aßen und die Reste dort liegen ließen; aber abgesehen davon hatten die Soldaten keine indirekten Nachforschungen nötig, denn wie wir Jahre später erfuhren, war unser Wegführer der Hauptschuldige an dem Verrat und hatte sie zu uns gebracht. Den Führer hatten wir in der Nacht zuvor laufen lassen, womit wir einen Fehler begingen, den wir noch einige Male während des Kampfes wiederholen sollten, bis wir gelernt hatten, dass Leute aus der Zivilbevölkerung, deren Vorleben uns unbekannt war, in Gefahrenzonen immer überwacht werden müssen. Niemals hätten wir unserem verräterischen Führer die Möglichkeit geben dürfen, sich zu entfernen.
Im Morgengrauen des 5. waren es nur wenige, die noch einen Schritt weiterkonnten; die erschöpften Männer legten kleine Entfernungen zurück und baten dann um längere Pausen. Deshalb wurde am Rande einer Zuckerrohrpflanzung in einem lichten Wäldchen, ziemlich nahe an einem dichten Hochwald, eine Rast angeordnet. Die meisten von uns schliefen an jenem Morgen.
Mittags wurden erste ungewöhnliche Anzeichen festgestellt: Flugzeuge des Typs »Biber« und andere Arten von Armee-eigenen und privaten Kleinflugzeugen begannen in der Nähe zu kreisen. Während die Flugzeuge vorbeiflogen, schnitten einige aus unserer Gruppe in aller Ruhe Zuckerrohr, ohne daran zu denken, wie gut sie infolge der niedrigen Höhe und der geringen Geschwindigkeit, mit der sich die feindlichen Maschinen bewegten, zu erkennen waren. Meine damalige Aufgabe als Arzt der Truppe war, die Fußverletzungen zu behandeln. Ich glaube, ich erinnere mich an die letzte Behandlung, die ich an jenem Tag vornahm. Der Compañero hieß Humberto Lamotte, und das war sein letzter Tag. In meinem Gedächtnis bleibt sein erschöpftes und verängstigtes Gesicht, in der Hand trug er die Schuhe, die er sich nicht anziehen konnte, während er von der Feldapotheke auf seinen Posten zurückging.
Compañero Montané und ich hatten uns gegen einen Baumstamm gelehnt und sprachen von unseren Kindern; wir aßen die magere Ration – eine halbe Knackwurst und zwei Zwiebäcke –, als ein Schuss ertönte; eine nur sekundenlange Pause, und ein Orkan von Kugeln – oder zumindest schien es unserem verängstigten Geist während dieser Feuertaufe so – schwirrte auf unsere Gruppe von zweiundachtzig Mann nieder. Mein Gewehr gehörte nicht zu den besten; absichtlich hatte ich darum gebeten, denn meine körperliche Verfassung war erbärmlich nach einem langen Asthmaanfall, unter dem ich während der ganzen Überfahrt gelitten hatte, und ich wollte nicht, dass eine gute Waffe in meinen Händen zu nichts nütze sein würde. Ich weiß nicht, in welchem Augenblick und wie die Dinge sich abspielten; die Erinnerungen sind schon verblasst. Ich weiß nur, dass inmitten der Schießerei Almeida – damals Hauptmann – zu mir kam und nach den ausgegebenen Befehlen fragte, aber es war niemand mehr da, welche zu erteilen. Soweit ich später erfuhr, versuchte Fidel vergebens, die Leute im nahen Zuckerrohrfeld zu gruppieren, wohin man gelangen musste, wenn man nur den Fußpfad überquerte. Die Überraschung war zu groß gewesen, der Kugelregen zu dicht. Almeida übernahm wieder seine Gruppe; in diesem Augenblick ließ ein Compañero eine Munitionskiste fast zu meinen Füßen stehen; ich zeigte darauf, und der Mann antwortete mir mit einem Gesichtsausdruck, an den ich mich wegen der Angst, die er widerspiegelte, ganz genau erinnere, irgend so etwas wie »Jetzt ist keine Zeit für Munitionskisten«, und sofort lief er auf dem Weg zur Zuckerrohrpflanzung weiter (dann fiel er, von einem Häscher Batistas ermordet). Vielleicht war dies das erste Mal, dass ich praktisch vor das Dilemma gestellt wurde, mich meinen medizinischen Aufgaben oder meiner Pflicht als Soldat der Revolution zu widmen. Vor mir hatte ich einen Tornister voller Medikamente und eine Kiste Munition, beide zusammen waren zu schwer, um sie gleichzeitig zu tragen; ich nahm die Munitionskiste und ließ den Tornister zurück, um die Lichtung zu überqueren, die mich vom Zuckerrohrfeld trennte. Ich erinnere mich genau an Faustino Pérez, der auf dem Fußpfad kniete und mit seiner Maschinenpistole schoss. Neben mir lief ein Compañero namens Arbentosa zur Zuckerrohrpflanzung. Eine Salve, die sich wie alle anderen anhörte, erreichte uns beide. Ich spürte einen harten Schlag gegen die Brust und eine Wunde am Hals; ich hielt mich selbst für tödlich getroffen. Arbentosa, dem das Blut aus Nase, Mund und einer ungeheuren, von einer fünfundvierziger Kugel geschlagenen Wunde strömte, schrie so etwas wie: »Sie haben mich umgelegt«, und begann wie wahnsinnig zu schießen, wo doch in diesem Augenblick niemand zu sehen war. Ich lag auf der Erde und sagte zu Faustino: »Mich haben sie erwischt« (allerdings gebrauchte ich einen kräftigeren Ausdruck), Faustino warf mir, ohne das Schießen zu unterbrechen, einen Blick zu und sagte, es sei weiter nichts, doch in seinen Augen las ich das Urteil, das meine Verwundung bedeutete.
Ausgestreckt blieb ich liegen; ich gab einen Schuss in Richtung des Waldes ab und folgte damit ebenfalls dem dunklen Impuls, der einen Verwundeten so handeln lässt. Plötzlich dachte ich in dieser Minute, in der alles verloren schien, an die beste Art zu sterben. Ich erinnerte mich an eine alte Erzählung Jack Londons, in der sich der Held, an einen Baumstamm gelehnt, vornimmt, sein Leben mit Würde zu beschließen, da er sich in den Eisgebieten Alaskas zum Tode durch Erfrieren verurteilt sieht. Das ist das einzige Bild, an das ich mich erinnere. Jemand schrie auf den Knien, dass man sich ergeben müsste, und man hörte hinten eine Stimme, von der ich später erfuhr, dass es die von Camilo Cienfuegos war, laut schreien: »Hier ergibt sich niemand …«, und darauf einen heftigen Fluch ausstoßen. Ponce schwankte heran und atmete keuchend, während er auf einen Einschuss zeigte; die Kugel hatte ihm anscheinend die Lunge durchschlagen. Er sagte mir, dass er verwundet sei, und ich erwiderte ihm gänzlich gleichgültig, dass ich es auch sei. Ponce schleppte sich weiter bis zur Zuckerrohrpflanzung, wie auch andere Compañeros, die unverletzt geblieben waren. Für einen Augenblick war ich allein, dort ausgestreckt und auf den Tod wartend. Almeida kam zu mir und ermutigte mich zum Weiterlaufen; trotz der Schmerzen raffte ich mich auf, und wir gelangten ins Zuckerrohr. Dort sah ich den hervorragenden Compañero Raúl Suárez, dessen Daumen eine Kugel zerfetzt hatte, und Faustino Pérez, der ihm an einem Baumstamm den Finger verband; dann kam es zu einem allgemeinen Durcheinander, als uns die tief fliegenden Flugzeuge umkreisten, die ein paar Garben aus Maschinengewehren abgaben und noch schlimmere Verwirrung anrichteten, wobei es zu Szenen kam, die manchmal dantesk und manchmal grotesk wirkten, so etwa das Bemühen eines beleibten Kämpfers, sich hinter einem Zuckerrohrstängel zu verstecken, und das Auftreten eines anderen, der inmitten des fürchterlichen Kugelhagels nach Ruhe verlangte, ohne dass man recht wusste, wozu.
Wir bildeten eine Gruppe, die Almeida führte und zu der außer dem heutigen Comandante Ramiro Valdés, der damals Leutnant war, auch die Compañeros Chao und Benítez gehörten. Mit Almeida an der Spitze überquerten wir den letzten Feldweg im Gebiet der Zuckerrohrpflanzung, um dann den rettenden Wald zu erreichen. In diesem Moment hörte man aus dem Zuckerrohr die ersten Schreie: »Feuer!«, und es erhoben sich Rauch- und Feuersäulen; jedoch kann ich mich für die Richtigkeit dieser Angabe nicht verbürgen, denn ich dachte mehr an die Bitterkeit der Niederlage und an meinen nahen Tod als an die Ereignisse des Kampfes. Wir liefen, bis die Nacht uns daran hinderte, weiter voranzukommen, und wir beschlossen, alle zusammen zu schlafen, auf einem Haufen, von den Moskitos belagert, von Durst und Hunger gepeinigt. Das war unsere Feuertaufe, am 5. Dezember 1956, in der Nähe von Niquero. So begann der Kampf, in dessen weiterem Verlauf die spätere Rebellenarmee geschmiedet werden sollte.
Der Angriff auf eine kleine Kaserne, die an der Mündung des La-Plata-Flusses in der Sierra Maestra lag, brachte unseren ersten Sieg und fand eine gewisse Resonanz, die über die felszerklüftete Gegend hinausreichte, in der sich jener Kampf abspielte. Es war ein Warnsignal für alle, der Beweis, dass die Rebellenarmee existierte und zu kämpfen bereit war, und für uns bedeutete er die erneute Bestätigung, dass unser Sieg möglich war.
Am 14. Januar 1957, etwas mehr als einen Monat nach dem Überraschungsangriff von Alegría de Pío, machten wir an dem Fluss Magdalena halt, der vom La Plata durch einen Bergrücken getrennt ist; dieser erstreckt sich von der Sierra Maestra bis zum Meer und trennt die beiden kleinen Flusstäler. Dort führten wir auf Fidels Befehl einige Schießübungen durch, um die Männer etwas zu trainieren; einige schossen zum ersten Mal in ihrem Leben. Dort badeten wir uns auch, nachdem wir viele Tage lang die Hygiene vernachlässigt hatten, und wer konnte, wechselte seine Wäsche. Damals hatten wir dreiundzwanzig einsatzfähige Waffen: neun Gewehre mit Zielfernrohr, fünf halb automatische, vier Hinterlader, zwei Thompson-Maschinengewehre, zwei Maschinenpistolen und ein Gewehr Kaliber 16. Am Nachmittag jenes Tages stiegen wir den letzten Bergkamm hinauf, bevor wir die Umgebung des La Plata erreichten. Wir folgten einem schmalen Waldpfad, der sehr wenig benutzt wurde und den Melquiades Elías, ein Bauer aus dieser Gegend, mit der Machete speziell für uns gekennzeichnet hatte. Seinen Namen erfuhren wir von unserem Führer Eutimio, der in jener Zeit für uns unentbehrlich war und sich als typischer Vertreter der aufständischen Bauern zeigte; wenig später aber wurde er von Casillas gefangen genommen, der ihn nicht tötete, sondern ihn stattdessen mit dem Angebot von zehntausend Pesos und einem Rang in der Armee kaufte, wenn er Fidel umbringen würde. Er war ganz nahe daran, sein Vorhaben zu verwirklichen, doch fehlte ihm der Mut, es auszuführen; trotzdem waren seine Aktionen von großer Bedeutung, weil er unsere Lagerplätze verriet.
In jener Zeit diente Eutimio uns ehrlich; er war einer der vielen Bauern, die für ihr Land gegen die Grundbesitzer des Gebietes kämpften, und wer gegen die Grundbesitzer kämpfte, kämpfte gleichzeitig gegen die Polizei, die im Dienst jener Klasse stand.
An jenem Tag nahmen wir unterwegs zwei Bauern gefangen, die, wie sich herausstellte, Verwandte unseres Führers waren: Einen von ihnen ließen wir frei, doch den anderen hielten wir aus Vorsicht fest. Am nächsten Tag, dem 15. Januar, entdeckten wir in der Ferne die noch im Bau befindliche La-Plata-Kaserne mit ihren Zinkdächern, und wir sahen eine Gruppe halb nackter Männer, an denen man trotzdem die feindliche Uniform erriet. Wir konnten beobachten, wie um sechs Uhr nachmittags, bevor die Sonne unterging, ein Boot mit Soldaten kam, von denen einige ausstiegen und dafür andere zustiegen. Da wir das Manöver nicht recht einschätzen konnten, entschlossen wir uns, den Angriff auf den folgenden Tag zu verschieben.
Vom Morgengrauen des 16. an begannen wir, die Kaserne zu beobachten. Das Küstenwachtschiff hatte sich in der Nacht zurückgezogen; wir begannen mit Erkundungsarbeiten, aber nirgends waren Soldaten zu sehen. Um drei Uhr nachmittags entschlossen wir uns, uns dem Weg zu nähern, der von der Kaserne am Fluss aufsteigt, um zu versuchen, etwas zu beobachten; als es Abend wurde, überquerten wir den La-Plata-Fluss, der ganz flach ist, und wir gingen am Weg in Stellung; nach fünf Minuten nahmen wir zwei Bauern gefangen. Einer der Männer war früher einige Male als Denunziant aufgetreten; als sie erfuhren, wer wir waren, und als wir ihnen klarmachten, dass wir ihnen gegenüber keine guten Absichten hätten, wenn sie nicht offen redeten, gaben sie wertvolle Informationen. In der Kaserne befanden sich einige Soldaten, ungefähr fünfzehn, und außerdem sollte kurz darauf einer der drei berüchtigten Aufseher des Gebietes vorbeikommen: Chicho Osorio. Diese Aufseher gehörten zum Gut der Familie Laviti, die sich einen riesigen Grundbesitz geschaffen hatte und ihn durch Terror mithilfe solcher Individuen wie Chicho Osorio zusammenhielt. Nach kurzer Zeit erschien der genannte Chicho; er war betrunken und saß auf einem Maulesel; hinter sich hatte er rittlings einen kleinen Schwarzen sitzen. Universo Sánchez hielt ihn im Namen der Guardia Rural[1] an, und dieser antwortete rasch: »Moskito« – das war das Losungswort.
Trotz unseres Spitzbubenaussehens, vielleicht dank der hochgradigen Trunkenheit dieses Subjektes, konnten wir Chicho Osorio täuschen. Fidel sagte ihm mit entrüsteter Miene, er wäre ein Oberst der Armee, der gekommen sei, um zu untersuchen, aus welchem Grund man die Aufständischen noch nicht liquidiert hätte, er selbst würde in die Wälder gehen, und deshalb sei er unrasiert, es wäre ein »Mist«, was die Armee gegenwärtig zuwege brächte; schließlich sprach er ziemlich abfällig über die Aktionsfähigkeit der gegnerischen Kräfte. Mit großer Unterwürfigkeit erzählte Chicho Osorio, dass die Posten tatsächlich ihre Zeit in der Kaserne totschlügen, dass sie nur essen und nicht handeln würden, dass sie unwichtige Patrouillen machten. Er verkündete hochtrabend, dass man alle Aufständischen liquidieren müsse. Diskret wurde damit begonnen, eine Bestandsaufnahme der Freunde und Feinde in dieser Gegend vorzunehmen, indem man Chicho Osorio über die Leute ausfragte, und das natürlich mit umgekehrten Vorzeichen: Wenn Chicho sagte, dass jemand schlecht sei, hatten wir schon einen Grund, ihn für gut zu halten. So sammelten wir etwas über zwanzig Namen, und der Denunziant redete weiter; er erzählte uns, wie er zwei Männer an jenem Ort getötet hatte, »aber mein General Batista ließ mich sofort frei«. Er berichtete uns, wie er gerade ein paar Bauern, die sich »ein bisschen ungezogen« aufgeführt hätten, geohrfeigt hatte und dass außerdem, entsprechend seinen eigenen Worten, die Soldaten unfähig wären, so etwas zu tun; sie ließen die Leute reden, ohne sie zu bestrafen. Fidel fragte ihn, was er mit Fidel Castro in dem Fall machen würde, dass er ihn zu fassen bekäme, und darauf antwortete er mit erläuternder Geste, dass man ihm die … zerquetschen müsste … Die gleiche Meinung äußerte er über Crescencio. »Schauen Sie«, sagte er und zeigte auf die Schuhe unserer Truppe, die mexikanisches Fabrikat waren, »von einem dieser Hurensöhne, die wir umgelegt haben.« Da hatte Chicho Osorio, ohne es zu wissen, sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Schließlich zeigte er sich infolge der geschickten Anspielungen Fidels bereit, uns zu führen, um alle Soldaten zu überraschen und ihnen zu beweisen, dass sie sehr schlecht vorbereitet waren und ihre Pflicht nicht erfüllten.
Wir näherten uns der Kaserne und hatten als Führer Chicho Osorio, obwohl ich persönlich nicht sehr sicher war, ob dieser Mann uns nicht schon durchschaut hatte. Trotzdem lief er ganz unbefangen weiter, denn er hatte so viel getrunken, dass er nicht zurechnungsfähig war. Als wir wieder den Fluss überquerten, um an die Kaserne heranzukommen, sagte Fidel ihm, die militärischen Vorschriften verlangten, dass ein Gefangener gefesselt sein müsse. Der Mann leistete keinen Widerstand, er ging als Gefangener weiter, ohne es zu wissen. Er erklärte, dass der einzige existierende Wachposten sich in einem Eingang der im Bau befindlichen Kaserne oder im Haus eines anderen Aufsehers befände, der Honorio heiße, und er führte uns bis an eine der Kaserne nahen Stelle, wo der Weg nach Macío kreuzte. Compañero Luis Crespo, heute Comandante, wurde zur Erkundung ausgeschickt und kehrte mit der Nachricht zurück, dass die Informationen des Aufsehers richtig wären, denn man sähe die beiden Bauten und zwischen ihnen die roten Punkte der Zigaretten der Wachposten.
Als wir uns schon zum Vorrücken bereit gemacht hatten, mussten wir uns verstecken und drei berittene Polizisten vorüberlassen, die einen Gefangenen zu Fuß wie einen Maulesel hinter sich herzogen. Er ging an mir vorbei, und ich erinnere mich der Worte des armen Bauern: »Ich bin wie ihr«, und an die Antwort eines Mannes, den wir später als den Gefreiten Basol identifizierten: »Halt den Mund und geh weiter, bevor ich dich mit Peitschenhieben vorwärtstreibe.« Wir glaubten, dass dieser Bauer außer Gefahr bliebe, wenn er nicht in der Kaserne und unseren Kugeln im Augenblick des Angriffs ausgesetzt wäre; trotzdem wurde er am nächsten Tag, als sie von dem Kampf und seinem Ausgang erfuhren, niederträchtig in Macío ermordet.
Wir hatten den Angriff mit zweiundzwanzig einsatzfähigen Waffen vorbereitet. Es war ein wichtiger Augenblick, denn wir hatten sehr wenig Munition; wir mussten die Kaserne auf jeden Fall einnehmen; sie nicht einzunehmen würde bedeuten, die gesamte Munition zu verbrauchen und praktisch wehrlos zu bleiben. Compañero Leutnant Julito Díaz, der später ruhmreich in El Uvero fiel, sowie Camilo Cienfuegos, Benítez und Calixto Morales sollten mit halb automatischen Gewehren das Palmenhaus an der äußersten Rechten umzingeln. Fidel, Universo Sánchez, Luis Crespo, Calixto García, Fajardo – heute ist er Comandante, er trägt den gleichen Familiennamen wie unser Arzt, Piti Fajardo, der im Escambray-Gebirge fiel – und ich sollten im Zentrum angreifen, Rául mit seiner Gruppe und Almeida mit der seinen von links.
So näherten wir uns den feindlichen Stellungen, bis wir auf ungefähr vierzig Meter herangekommen waren. Der Mond schien hell. Fidel eröffnete das Feuer mit zwei Maschinengewehrsalven, und darauf setzten alle verfügbaren Gewehre ein. Man forderte die Soldaten sofort zur Kapitulation auf, doch das blieb ohne Ergebnis. In dem Augenblick, als die Schießerei begann, wurde der Denunziant und Mörder Chicho Osorio hingerichtet.
Der Angriff hatte um zwei Uhr vierzig morgens begonnen, und die Soldaten leisteten mehr Widerstand, als wir erwartet hatten. Ein Sergeant hatte eine M-1, und er antwortete mit einer Salve, sooft wir ihn zur Kapitulation aufforderten. Es wurde Befehl gegeben, unsere alten Granaten brasilianischen Typs abzufeuern; Luis Crespo verschoss seine, ich die, die ich bei mir hatte. Sie explodierten jedoch nicht. Raúl Castro warf Dynamit ohne Zünder, und das hatte keinerlei Wirkung. Also mussten wir weiter herankommen und die Häuser in Brand stecken, selbst wenn wir dabei unser eigenes Leben aufs Spiel setzten. In jenem Augenblick versuchte es Universo Sánchez als Erster und scheiterte, danach Camilo Cienfuegos, er schaffte es auch nicht, und schließlich näherten Luis Crespo und ich uns einer Hütte, die dieser Compañero anzündete. Im Feuerschein konnten wir erkennen, dass dies nur ein einfacher Aufbewahrungsort für die Früchte der nahe gelegenen Kokospalmenwälder war, aber wir schüchterten die Soldaten so ein, dass sie den Kampf aufgaben. Einer der Fliehenden stieß fast gegen Luis Crespos Gewehr, dieser verwundete ihn an der Brust und nahm ihm seine Waffe ab, und wir beschossen das Haus weiter. Camilo Cienfuegos, der hinter einem Baum in Deckung gegangen war, schoss auf den fliehenden Sergeanten und verbrauchte restlos die wenigen Patronen, die er besaß.
Die Soldaten, die fast ohne Deckung waren, wurden erbarmungslos von unseren Kugeln getroffen. Camilo Cienfuegos stürmte als Erster von unserer Seite in das Haus, aus dem Kapitulationsrufe drangen. Wir machten schnell die Bilanz, was der Kampf an Waffen eingebracht hatte: acht Springfields, ein Thompson-Maschinengewehr und etwa tausend Schuss Munition. Wir hatten ungefähr fünfhundert Schuss verbraucht. Außerdem hatten wir Patronengurte, Treibstoff, Messer, Kleidung und einige Nahrungsmittel erbeutet. Die Verluste: Sie hatten zwei Tote, fünf Verwundete und außerdem drei Gefangene verloren. Ein paar waren gemeinsam mit dem Denunzianten Honorio geflohen. Auf unserer Seite: nicht eine Kratzwunde. Wir steckten die Häuser der Soldaten in Brand und zogen uns zurück, nachdem wir die Verwundeten so gut wie möglich ärztlich versorgt hatten; drei von ihnen waren schwer verletzt und starben später, wie uns nach dem endgültigen Sieg bekannt wurde; wir ließen die Verwundeten in der Obhut der gefangenen Soldaten. Einer dieser Soldaten trat später in die Truppe von Comandante Raúl Castro ein und erlangte den Grad eines Leutnants; er kam bei einem Flugzeugunglück ums Leben, nachdem der Krieg bereits gewonnen war.
Immer stand unser Verhalten zu den Verwundeten im Gegensatz zum Auftreten der Armee, die nicht nur unsere Verwundeten ermordete, sondern sogar die eigenen im Stich ließ. Diese gegensätzliche Haltung tat mit der Zeit ihre Wirkung und bildete einen der Faktoren, die zum Sieg führten. Damals befahl Fidel, dass wir den Gefangenen alle verfügbaren Medikamente für die Pflege der verwundeten Soldaten überlassen sollten, und so geschah es auch, was ich, der ich als Arzt die Notwendigkeit sah, Reserven für unsere Truppe zurückzubehalten, sehr bedauerte. Wir ließen auch die Zivilisten frei, und am 17. morgens um vier Uhr dreißig brachen wir nach Palma Mocha auf, wo wir bei Tagesanbruch ankamen und uns dann rasch ins Innere des Gebirges zurückzogen, auf der Suche nach den steilsten Felsgebieten der Sierra Maestra.
Ein beklagenswertes Schauspiel bot sich unseren Augen: Ein Gefreiter und ein Aufseher hatten am Vorabend allen ortsansässigen Familien mitgeteilt, dass die Luftwaffe alles bombardieren würde, und darauf hatte eine Massenflucht zur Küste begonnen. Da niemand wusste, dass wir uns dort aufhielten, war es offenkundig ein zwischen den Aufsehern und der Guardia Rural abgesprochenes Manöver, um die Bauern ihres Landes und ihres Eigentums zu berauben. Doch die Lüge jener Leute war gleichzeitig mit unserem Angriff erfolgt, und jetzt verwandelte sie sich in Wahrheit, sodass sich in jenem Moment der Schrecken ausbreitete und es unmöglich war, die Massenflucht der Landbewohner aufzuhalten.
Das war der erste siegreiche Kampf des Rebellenheeres; in diesem und dem folgenden Gefecht war es das einzige Mal, solange es unsere Truppe gab, dass wir mehr Waffen als Männer hatten … Die Bauern waren nicht vorbereitet, sich dem Kampf anzuschließen, und eine Verbindung mit den Basisgruppen in der Stadt existierte praktisch nicht.
Der Arroyo del Infierno ist ein schmales Bächlein von geringer Länge, das in den Fluss Palma Mocha mündet. An seinem Ufer entlang kamen wir, wobei wir uns vom Palma Mocha entfernten und an den ihn umgebenden Berghängen emporstiegen, bis zu einer kleinen kreisförmigen Waldlichtung; dort standen zwei kleine Hütten; und in diesem Gelände schlugen wir unser Lager auf, die Häuser der Bauern ließen wir natürlich unbenutzt.
Fidel rechnete damit, dass das Heer uns suchen und unseren Aufenthaltsort mehr oder weniger genau ermitteln würde; er beschloss, in dieser Gegend einen Hinterhalt vorzubereiten, mit dem ein paar feindliche Soldaten gefangen werden sollten. Dementsprechend verteilte er die Männer.
Fidel überwachte ständig die Stellung und unternahm Patrouillengänge, um sich von der Wirksamkeit der Verteidigungsmaßnahmen zu überzeugen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden dort Höhenmessungen durchgeführt, diese geben sehr ungenau die Höhenunterschiede im Abstand von jeweils fünf Metern an. Am Morgen des 19. Januar nahmen wir eine Truppeninspektion vor, als sich ein Zwischenfall ereignete, der zu ernsten Folgen hätte führen können. Als Trophäe aus dem Kampf am La Plata hatte ich den Helm eines Gefreiten aus dem Batista-Heer mitgebracht, und ich trug ihn voll Stolz; die Truppeninspektion aber wollten wir im Waldesinneren durchführen, und die Vorhut hörte uns aus der Ferne kommen und sah die Gruppe von einem Mann mit einem Helm angeführt. Glücklicherweise wurden in diesem Moment die Waffen gereinigt, und nur das Gewehr von Camilo Cienfuegos war schussbereit; er feuerte auf uns, obwohl er gleich darauf seinen Irrtum erkannte. Der erste Schuss traf nicht, und das automatische Gewehr bekam Ladehemmung und machte ihm das Weiterschießen unmöglich. Dieses Ereignis zeigt die hochgradige Spannung, in der wir uns alle befanden, denn wie auf eine Befreiung warteten wir auf den Kampf. Das sind jene Augenblicke, da selbst die Nervenstärksten ein leichtes Zittern in den Knien verspüren, und alle sehnen dann entschieden jene Sternstunde des Krieges herbei, die das Gefecht ist. Andererseits wünschten wir den Kampf nicht im Entferntesten, wir stellten uns ihm, weil er notwendig war.
Am Morgen des 22. waren einige vereinzelte Schüsse aus der Gegend des Flusses Palma Mocha zu hören, und das veranlasste uns, unsere Stellung in noch besseren Zustand zu bringen, uns noch vorsichtiger zu verhalten und das nahe bevorstehende Erscheinen der feindlichen Truppe zu erwarten.
Infolge der Vermutung, dass die Soldaten nahe waren, gab es weder Frühstück noch Mittagessen. Mit der Hilfe des Bauern Crespo hatten wir ein Hühnernest entdeckt, und wir rationierten unseren Eierverbrauch, indem wir immer eins im Nest zurückließen, wie es üblich ist, damit das Huhn weiter legte. An jenem Tag entschied Crespo wegen der in der Nacht gehörten Schüsse, dass wir das letzte Ei essen sollten, und so taten wir es. Es war Mittag, als wir eine menschliche Gestalt in einer der Hütten beobachteten. Im ersten Moment dachten wir, dass einer der Compañeros den Befehl, sich den Häusern nicht zu nähern, missachtet hätte. Es war jedoch nicht so; einer der Soldaten der Diktatur untersuchte die Hütte. Dann tauchten sogar sechs Mann auf, und später entfernten sie sich, wobei drei in Sichtweite verblieben. Wir konnten beobachten, wie der wachhabende Soldat, nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen hatte, einige Grasbüschel ausriss, sie sich als Tarnung hinter die Ohren steckte und sich ruhig in den Schatten setzte, ohne Besorgnis in seinem Gesicht, das deutlich im Zielfernrohr zu erkennen war. Fidels Schuss, der das Feuer eröffnete, schmetterte ihn nieder, denn er konnte nur noch einen Schrei ausstoßen, so etwa wie »Ach, Mutter!«, er fiel und stand nicht wieder auf. Die Schießerei wurde allgemein, und die beiden Kameraden des glücklosen Soldaten fielen. Plötzlich entdeckte ich, dass in der Hütte in der Nähe meiner Stellung ein anderer Soldat war, der sich vor unserem Feuer zu verstecken suchte. Man sah nur seine Beine, denn meine höher liegende Position hatte zur Folge, dass das Dach der Hütte ihn verdeckte. Ich schoss zum ersten Mal in diese Richtung und verfehlte das Ziel; der zweite Schuss durchbohrte die Brust des Mannes, der hinstürzte, während sein Gewehr mit dem Bajonett in der Erde stecken blieb. Von dem Bauern Crespo gedeckt, gelangte ich zu dem Haus und konnte den Leichnam untersuchen; ich nahm ihm die Munition, das Gewehr und einige andere persönliche Gegenstände ab. Der Mann hatte die Kugel mitten in die Brust bekommen, sie musste das Herz durchbohrt haben, und sein Tod war augenblicklich eingetreten; er zeigte schon die ersten Anzeichen der Leichenstarre, vielleicht infolge der ermüdenden Strapazen des letzten Kampftages, die er durchlitten hatte.
Der Kampf war von außergewöhnlicher Grausamkeit, und bald zogen wir uns alle fliehend zurück, nachdem wir die von uns selbst gesteckten Ziele erreicht hatten.
[2]
Wieder war unser Gepäck übermäßig schwer, denn viele von uns trugen zwei Gewehre; unter diesen Umständen war der Weg nicht gerade leicht zu bewältigen, aber offenkundig waren wir von einer anderen Kampfmoral beseelt, die sich von der Stimmung unterschied, von der wir nach der unheilvollen Niederlage in Alegría de Pío beherrscht wurden. Wenige Tage vorher hatten wir eine zahlenmäßig kleinere Gruppe geschlagen, die sich in einer Kaserne verschanzt hatte; jetzt schlugen wir eine Marschkolonne, die zahlenmäßig unseren Kräften überlegen war, und wir konnten die Erfahrung machen, wie wichtig es in dieser Art Krieg ist, die Vorhut zu vernichten, denn ohne Vorhut kann sich eine Armee nicht bewegen.