[1]
Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Die lyrische Dichtung. Leipzig 1858, § 886.
[2]
Gespräch mit Paul Schallück, KA 24, S. 9. Zuerst in: Literair Paspoort (Amsterdam). 8. Jg. (1953), Nr. 69 (August), S. 187–189.
[3]
In einem Brief vom 29. Oktober 1979 an Fritz J. Raddatz schrieb Böll: »[M]eine ersten schüchternen Publikationsversuche fallen in die Jahre 1936:37:38 – damals schickte ich Gedichte an die ›Junge Front‹, eine eindeutig oppositionelle katholische Wochenzeitung – leider – oder vielleicht sogar Gott sei Dank – ohne Erfolg – denn es hätte ja sein können, daß mich da einer entdeckt hätte!« (Fritz J. Raddatz: Lieber Fritz. Briefe an Fritz J. Raddatz 1959–1990. Reinbek 1991, S. 126). Vermutlich handelte es sich dabei um das (in maschinenschriftlicher Form vorliegende) Gedicht »Traum im Wald«. Diese Annahme fußt auf dem Umstand, dass die von Böll erwähnte Junge Front (ab 1935 Michael) Ende Januar 1936 endgültig verboten worden war.
[4]
KB 1, S. 542.
[5]
Feldpostbrief vom 3.12.1940, KB 1, S. 137f.
[6]
Arnold van Gennep: Übergangsriten. Frankfurt am Main 1986. – Im Zuge seiner ethnologischen Forschungen entwickelte Gennep im Rahmen seiner Theorie des Rituals ein dreigliedriges Konzept von Grenz- und Übergangserfahrungen. Auf eine den Probanden aus dem Alltagsleben herauslösende Phase folgt eine Schwellenphase, die ihn in einen Bereich unendlich möglicher anderer Zustände versetzt; schließlich mündet der Prozess in die Neuaufnahme des Probanden in die Gesellschaft, die ihn in seinem neuen Status und mit veränderter Identität aufnimmt. Siehe Erika Fischer-Lichte: Einleitung, in: Victor Turner: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt/New York 2009, S. VI–VII. – Eine konzeptionelle Komponente im Werk Heinrich Bölls gewinnt das Motiv der Schwellenzone im 1. Kapitel des Irischen Tagebuchs.
[7]
Feldpostbrief vom 5.11.1940, KB 1, S. 125f.
[8]
Brief von Heinrich Böll an HAP Grieshaber: KA 14, S. 727.
[9]
»Manche Sachbücher sind erfundener als mancher Roman.« Ein Gespräch mit Heinrich Böll über seinen neuen Roman und seine nächsten Projekte. Peter W. Jansen. Frankfurter Rundschau. – 27. Jg., Nr. 171 (28.7.71), S. 8.
[10]
Heinrich Böll: Gedichte. (LCB-Edition 28) Berlin 1972; Ders./Klaus Staeck: Gedichte/Collagen. Zehn Gedichte und mehrfarbige Collagen. Köln 1975; Ders.: Wir kommen weit her. Gedichte. Mit Collagen von Klaus Staeck. Nachwort von Lew Kopelew. Göttingen 1986.
[11]
Ingeborg Bachmann: Ingeborg Bachmann: Werke. Hrsg. von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum u. Clemens Münster. Bd. 1. Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen. München/Zürich 1978, S. 44.
[12]
Heinrich Böll: Köln gibt’s schon, aber es ist ein Traum. Gespräch mit Werner Koch. In: KA 25, S. 602–628.
Mir träumte heut: ich läge
auf einem Hügelberg,
auf grünen Wiesenmatten
beseelt geschützt, doch Zwerg.
Ich blickte froh zur Sonne
sah gern hinab ins Tal …
doch leis, ganz still sich schleichend
stieg in mir eine Qual.
Die Sonne sauste abwärts
und schwüler Dämmer rings,
ich schrie wohl vor Entsetzen,
denn höhnend kalt und scharf
entstand im Rund ein Echo,
das hart sich auf mich warf.
Und glucksend, lüstern glucksend
entstand im Tal ein Brei …
er hebt sich langsam höher
und wieder hallt ein Schrei …
er nähert sich so zotig, so frech,
und ich schaudre, schaudre, jammre
und immerzu nickt er,
ich seh nicht Baum und Wiese,
nur Grau und schwülen Dunst,
ich sinke, schon klebt ziehend
mir dicker Schleim am Fuß
mir ekelt so zum Sterben,
und nirgendsher ein Gruß …
Da plötzlich gellt ein Donner,
ein Blitz erhellt das Grau …
und oben hoch am Himmel …
ich schau, schau, schau,
da blitzet groß und leuchtend
und siegend über Schmutz
ein Kreuz, ein Kreuz erleuchtet,
nun wußt’ ich, wo mein Schutz.
Ich wachte aus dem Träumen
und Alltag sah mich an
und ich neigte mich wachend dem Kreuze
und fing mein Tagwerk an.
Als das Mädchen unter den dunklen Bäumen herschritt,
da kam ihm ein seltsames Sehnen.
Der Juniduft war so zaubernd süß
und sie mußte sich zitternd lehnen
an einen der moosigen Stämme …
… sie träumte von einem Koboldreich,
von dämmrigen, schimmernden Tälern,
von Felsengewölben, bläulich-zart,
von plaudrigem, lockrem Erzählen …
und von heiteren Küssen
auf willigen Mund
und von wohligem, mildem Umarmen
und betörendem Singen aus Elfenmund
und verwirrendem Klingen von Geigen
und über den weichen Rasen schritt
ein nebliger Prinzenreigen …
… sie nickte allen so freundlich zu,
doch die andern lächeln so schwächlich,
und als sie ein wenig näher gerückt,
ist das Lächeln ein Grinsen, gebrechlich …
und die Augen der Prinzen sind geiles Glas
nicht brennende Punkte des Geistes …
da packt sie von hinten ein wüster Arm,
sie wendet sich schreiend,
erwacht aus dem Traum
und sie sieht, daß ein Ast von dem Erdenbaum
um ihren Leib sich gebogen.
Ihr Kopf ist schwer von nebligem Dunst,
ihre Zunge klebt von der Schwüle
und sie atmet begierig die Waldesluft,
die herrliche, süße Kühle.
Sie schreitet ernst aus dem dunklen Wald,
denkt prüfend zurück an das Träumen,
an der zarten, brüchigen Wesen Reich
an der Sinne betörendes Schäumen.
An den dumpfen, lächelnden, leidlosen Schein
weitab von jeglicher Freude,
an der Prinzenaugen zitternden Schleim
an das laue, verführende Treiben.
Sie kennt das wahre, ewige Sein
in des Kreuzes leidender Lehre,
die voll von göttlicher Freude ist
und voll von der Wahrheit Schwere.
Und in Demut ward ihre Seele bereit,
die Bürde Gottes zu tragen
und sie fleht um Kraft wegen Wahrheitsmord
gegen Schwäche, weiches Verzagen …
Wo das rauschende Korn den Wald berührt,
wo die Helle das Dunkel besiegt,
wo die staubige Straße ins Weite führt,
da stand das alte Kreuz …
Und das Mädchen zuckte jubelnd hin,
ihre Hände sich schlossen zum Beten
und Du Schöpfer, ewiges Wort, vernimm
von der Menschheit verzweifelt Erflehtem …
Was ist mir die Sonne, der Regen der Wind,
seh ich die Sterne? Wenn wir beieinander sind.
Ich sehe nichts als Dich und dein Gesicht
ich fühle mich als Gott und Satan hör ich nicht
Ich spüre meiner Adern junges Blut
und ohne Grenze wächst mir starker Mut.
Du bist das einzigste Geschöpf der Erde,
das mich noch hören lässt das: Werde, Werde.
Und mich nicht treibet zu dem Lass Dich, Stirb.
Das mich nicht fühlen lässt das Töte Dich, Verstirb.
Du warst die einzige, die ich nicht aus dem Herzen strich.
Doch, Gott, was red ich viel herum, Du warst katholisch.
Man sieht sie immer langsam durch die Gassen gehen
oder da und dort an alten Gebäuden stehn.
Sie reden immer wenig, denken sicher viel
ihr einziges Festes, ist ein unbestimmtes Ziel.
Sie sprechen kaum von Gott, sie glauben ihn nur
und überall finden sie leise seine Spur
Und ob sie alt und ob sie jung,
immer sind sie scheinbar schlaff und doch voller Schwung,
immer ist ihr Auge kühn und voller Mut
und tief im Herzen sind sie alle gut.
Und werden sie alt, dann sterben sie jung irgendwo
Warum? Warum dies alles? Ich glaube, Gott liebt es so.
Du alte stille Gasse
in unsrer lauten Stadt
du weißt, wie oft ein Jüngling
in dir gestanden hat.
Du weißt, wie oft ihm wurde
das Herz so leidvoll schwer
du weißt, des Lebens Bürde
sie quälte ihn so sehr.
In dir, du stille Gasse,
aus schöner, alter Zeit
da ging ich manche Stunde
die Liebste war so weit.
Ich stand vor ihrem Hause
und wußte nichts zu tun
als ihrer zu gedenken
in ihrem Geist zu ruhn.
Ihr vielen Unbekannten,
Du leidbeladene Schar
Ich lieb Euch, nie Genannte,
Auch mir ist Leid so nah.
Ihr tausende, Ungezählte
Du schmerzenstaubes Heer
vom Leid so schwer Gequälte
ich liebe Euch so sehr.
Ihr leidet um die Wahrheit,
um Eurer Keuschheit Hort,
Ihr leidet um die Klarheit
um Gottes wahres Wort.
Ich freue mich, Ihr Lieben.
Ich freue mich auf den Tod
nur er kann uns befreien,
zerreissen all’ die Not.
O, selig, die da leiden,
die leiden um das Wort
O, selig, die Befreiten
befreit vom Wahrheitsmord.
Ich schenk Euch meine Tränen
ganz Euer ist mein Sinn,
ich schenk Euch mein Sehnen,
bei Euch ist nur Gewinn.
Und lasst uns weiter glauben,
O, lasst uns bleiben rein,
uns immer soll im Herzen,
nur Gottes Klarheit sein.
Ich rufe Euch, Ihr Brüder,
Gequälte aller Welt
Ihr Schwestern, zitternde Blumen,
in Gottes weitem Feld.
Ihr mir geehrten Kämpfer
um eine andre Zeit,
die ohne jede Grenze,
die Gottes-Ewigkeit.
Ich lieb Euch mit der Seele,
mit Leib und Herz und Blut,
und wenn die anderen quälen,
ich weiß, Ihr seid mir gut.
O Tod, Du anmutiger Mörder
ich lade Dich jubelnd ein
mir zum herrlichen Himmelreich
ein sanfter Mittler zu sein
O trenne das Wahre vom Fleisch,
ersticke des Blutes Lauf
und ich schwinge die brennende Seele
zu Gottes Höhen hinauf.
Wenn mir des Lebens Mut gebrach
wenn zitternd ich nach Satan rief,
daß er mir helfe, diesen quälenden Funken,
der sich Leben nennt, zu löschen,
wenn ich in Wahn verrannt
und hilfesuchend schrie,
Du warst mir Freund und lehrtest mich
so klar wie nie ein Mensch,
daß Gott da sei und jenes andere Leben,
das Tausende gequälte Erdenjahre wert.
Du lehrtest mich, daß Kreuz die Hilfe sei.
Du lehrtest mich, wenn Bürgergeist mich
wie ein feiger Dieb beschleichen wollte,
daß Gott um Lohn zu lieben
größte Lauheit sei.
So hilf mir fernerhin, so heiß zu sein wie Du,
nicht lau, nicht kalt:
nicht schwülig-schleimig-wagnerisch
nicht phrasig-halb.