Vgl. hierzu: Konrad Beikircher: Andante Spumante. Der Beikircher. Ein Konzertführer. Bd. 1) Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001
Vgl. hierzu: Konrad Beikircher: Andante Spumante. Der Beikircher. Ein Konzertführer. Bd. 1) Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001
von Johannes Rau
Konrad Beikircher will uns mit seinem humoristisch-philosophischen Vademekum »Et kütt wie’t kütt – Das rheinische Grundgesetz« neue An- und Einsichten vermitteln, die uns die Feinheiten der rheinischen Sprache und die Pracht des rheinischen Lebens ein Stückchen näher bringen. Immer wieder ist zu hören, dass der Rheinländer in Sprache und Mentalität so wenig den anderen Deutschen gleiche, dass er letztlich nicht regierbar sei. Diese Auffassung teile ich nicht, denn schon in früheren Jahren, in denen ich Regierungsverantwortung für Nordrhein-Westfalen getragen habe, habe ich wiederholt meine Ansicht geäußert, dass die Stärke für dieses Land in der einmaligen Kombination der Eigenschaften seiner Menschen liegt: der Zuverlässigkeit des Rheinländers, der Leichtfüßigkeit des Westfalen und der Großzügigkeit des Lippers …
Der (von Geburt aus) Nicht-Rheinländer Konrad Beikircher will uns mit seinem Buch einmal mehr davon überzeugen, dass im Rheinland das Herz Europas pocht und Köln das Zentrum der Leichtigkeit des Seins ist. Dass Konrad Beikircher manchmal kabarettistisch übertreibt, macht Spaß; dass er die Menschen, die er beschreibt, nie bloßstellt, macht Freude! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen mit diesem »Reiseführer durch das rheinische Universum« ebenso vergnügliche wie erhellende Lesestunden.
Dieses Buch ist ein Reiseführer durch das spannendste Universum deutscher Zunge. Im Rheinland ist alles anders: die Physik, die Mentalität, der Glauben, die Sprache, der Alltag, die Natur, die Philosophie, die Freizeit, die »Züscholorie«, der Raum und die Zeit. Um ein kleines Beispiel zu nennen: »Jetzt« heißt hier allerfrühestens morgen früh, »sofort« heißt in ein paar Wochen, »gleich« heißt quasi nie – nur »direkt« heißt jetzt sofort. Hier spricht man deutsch, meint es aber mediterran, und damit prallen zwei Welten aufeinander, die noch nie miteinander kompatibel waren – außer im Rheinland. Köln ist eher Neapel als Düsseldorf, welches eher Mailand ist als München, und so sind auch die Menschen. Ohne Vademekum stünde der Reisende oder gar der »Immi«, der Zugereiste, hilflos da, und diese rheinische Wunderwelt bliebe ihm verschlossen. Das wäre doch wirklich zu schade!
Ist dieses Buch also für Auswärtige ein Leitfaden durch das, was sie als Labyrinth empfinden mögen, so ist es für den Einheimischen ein kleines vernügliches Repetitorium all dessen, was das Leben hier so schön macht.
Natürlich geht es dabei in erster Linie um Sprache. In ihr drückt sich eine Region aus, durch sie kann man eine Region verstehen. Mit ihr kann sich aber auch eine Region gegen einen übermächtigen Gegner schützen, so wie es das Rheinische gegen das Hochdeutsche getan hat – eine der meisterhaftesten Charaden, die dieser Region gelungen sind: so zu tun, als spreche man deutsch, es aber auf eine Weise zu tun, dass es kein Auswärtiger versteht. Dazu langen ein paar grammatikalische Fußangeln hier, ein paar Bedeutungsverschiebungen dort, und schon steht das Hochdeutsche mit langem Gesicht vor dem Rheinland, erklärt es zur hoffnungslosen Zone und unterstellt damit etwas, was nie gegeben war: dass es dem Rheinland wichtig wäre, vom Hochdeutschen verstanden, geschweige denn in es integriert zu werden. Auf diese Weise hat Schwejk seine Gegner besiegt, und so hat auch das Rheinland überlebt. Es folgte immer dem Prinzip der zwei Türen: Wenn der Gegner kommt: Vordertür aufmachen, Hintertür aufmachen, sich lächelnd in die Küche stellen und zugucken, wie der Preuße durchreitet …
Ich selber lebe seit dem 19. Oktober 1965 im Rheinland, es ist mir Südtiroler zur Wahlheimat geworden. Aber, ich bekenne es offen: Dat hätt sing Zick jebruch!
Denn: Im Rheinland ist nichts so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Man muss schon etwas Geduld mitbringen.
Dann aber …!
Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen zum »Dann aber …!«-Gefühl verhilft, das wäre wunderbar.
Zur Machart des Buches ist Folgendes zu sagen:
1. Damit Sie Spaß haben, gibt es Querverweise, Raum für eigene Notizen, Beispiele, Übungen, Hausaufgaben, alles schön graphisch abgesetzt, denn: Das Auge liest ja mit!
2. Bei der »Übersetzung« der Dialektwörter in Schrift habe ich mich hauptsächlich an Prof. Dr. Adam Wredes »Neuer Kölnischer Sprachschatz« gehalten, bei manchen Wörtern an mein Ohr.
3. Wenn ich oft vom »Rheinländer« spreche, dann ist das nicht antifeministisch gemeint. Die Verallgemeinerung ist zwar sprachlich in männliches Gewand gekleidet, meint aber selbstverständlich die wunderbaren Rheinländerinnen mit!
4. Dieses Buch kommt aus sechs Sprachprogrammen und zwölf Jahren. Ich habe an vielen Stellen die Sprechsprache zugunsten einer Lesesprache verändert, an manchen aber nicht. Manchmal gefällt mir einfach der Fluss der Sprechsprache auch beim Lesen besser.
5. Ein Register am Ende des Buches ist einfach ein Muss, es erleichtert zusätzlich das Nachschlagen bestimmter Redewendungen oder Wörter.
6. Ach ja: Ich habe auch ein paar Fotografien ausgesucht. Sie sollen – leicht ironisch – darauf hinweisen, dass das Rheinische auch überregional wirksam sein kann …
So, genug der Einleitung. Ich wünsche Ihnen beim Lesen den Spaß, den ich beim Schreiben hatte. Auch für dieses Buch gilt: Wenn es Ihnen gefällt, schreiben Sie es mir unter www.beikircher.de. Sollte es Ihnen jedoch nicht gefallen: Schreiben Sie es dem Verlag!
Bis die Tare
Ihr
Konrad Beikircher
Das rheinische Grundgesetz
Ja, das gibt es: das rheinische Grundgesetz. Es regelt seit Anbeginn der Zeiten das Leben auf diesem von Gott bevorzugten Fleckchen Erde, macht es schwerelos und leicht und wäre überhaupt eine Anregung für alle Völker auf dem Globus. Es besteht aus fünf Artikeln. Sie lauten:
Artikel 1: Et es wie’t es
Artikel 2: Et kütt wie’t kütt
Artikel 3: Et hätt noch immer jot jejange
Artikel 4 (der rheinische Entsorgungsartikel): Wat fott es es fott
Hierzu gibt es den berühmten Unterartikel 4a, der insbesondere in rheinischen Operationssälen am Wirken ist. Ich meine: Hat man ja schon mal der Fall, dat man operiert werden muss. Da wird man dann einjepinselt, grünes Mäntelchen drum erum, man wird also quasi waidgerecht aufbereitet, dann wird man auf der Hochsitz jehoben und ereinjefahren in der OP-Saal, wo dat Jägerteam mit dem Hirschfänger schon am Warten es. Jot. Jetzt wird man dann von den Spezialisten waidmännisch aufjebrochen, ne, und dann kütt der Moment vom Artikel 4a. Der Chirurg guckt einem in der Körper erein, um dann zu sagen:
Kenne mr nit, bruche mr nit, fott domet!
Und schließlich noch
Artikel 5 (das rheinische Universalgesetz): Wat soll dä Quatsch!
Sowie der Trost für alles:
Artikel 5a: Wer weiß, wofür et jot es
Dirk Krüll/laif – Potsdam, Cecilienhof
Herzlich willkommen!
Wer das erste Mal als »Ausländer«, also z.B. als Schwabe, Westfale oder – wie ich – Südtiroler, das Rheinland betritt, wird – vor allem, wenn er eine dieser rituellen Versammlungsstätten des hiesigen Eingeborenen besichtigt, die sich durch ein Ausschließlichkeitsmerkmal auszeichnen: Jeder der dort Stehenden nämlich hält ein eigenartig schlank geformtes Glas in der Hand, gefüllt mit einer sonderbaren gelblichen Flüssigkeit, die eher an eine Versammlung von Urologen denn an eine heterogene Gruppe menschlicher Individuen denken lässt – von der Atmosphäre voller Leichtigkeit und anregender Gespräche beeindruckt sein.
Wer aber genauer hinhört, merkt, dass es sich bei den scheinbar angeregt miteinander Sprechenden beileibe nicht um Gesprächspartner in dem Sinne handelt: Du sagst etwas, ich höre dir geduldig zu, und wenn du zu Ende bist, sage ich etwas zu dem, was du gesagt hast. Nein. Stehen mehrere Rheinländer zusammen, so haben wir es immer mit einer Gruppe vor sich hin monologisierender Menschen zu tun.
Der Rheinländer ist – bitter, aber wahr – unfähig zum Dialog. Von Geburt an. Er steckt – um gleich einen Erklärungsansatz anzubieten – zeitlebens so voller Mitteilungsbedürfnis, dass er alles, was in ihm ist, jedem mitteilen möchte. Und ein Leben is kurz, ne. So kurz, dass immer noch was übrig bleibt: wert, erzählt zu werden. Und erst falls dieses Mitteilungsbedürfnis erschöpft sein sollte – um dem rheinischen Irrealis die Ehre zu geben, denn mit »falls … sein sollte« drückt der Rheinländer immer das aus, was nie sein wird –, wäre er in der Lage, zuzuhören.
Am Rheinländer haben sich bereits Generationen von katholischen Geistlichen – falls es da so etwas wie Generationen überhaupt gibt – auf dem Sterbebett die Finger wund geölt. Denn immer dann, wenn der Priester mal wieder seinen Daumen ins Ölfläschchen tauchte, rappelte sich der Moribunde auf und hub an: »Apropos Öl, da fällt mir ein: Tant Trautchen kunnt jo och nie Fett vertraren, ne, und wie sie domols …«
Wer also mit dem Rheinländer zu »tuen« hat, sollte immer daran denken, dass es diesem zunächst und in erster Linie darum geht, sich mitzuteilen.
Beispiel Diesem Mitteilungsbedürfnis begegnet der Fremde in seiner reinsten Form da, wo in anderen deutschen Regionen eher Anteilnahme, Einfühlung und Mitleid anzutreffen sind: im Wartezimmer des Arztes. Die den Neuankömmling zunächst wohltuend empfangende Frage: »Warum sin Sie dann hier?« dient aber keineswegs dem Austausch von Leidensgeschichten, sondern lediglich der Einleitung des Monologes. »Warum sin Sie dann hier?« ist der Tonarm, der sich langsam, aber unerbittlich auf die Platte senkt:
»Warum sin Sie dann hier? … Aha, Krampfadern … erausschneiden? Öhö. Öhö … also Krampfadern kenn ich bei mir jo jar net (schon ist man bedient), ich habbet ja mit dem Hätzwasser, ne, also dat is bei mir irjendswie, schon als Säugling, ne, wor dat, also do sin ich komisch drin … (eine häufig anzutreffende Redensart: »do sin ich komisch drin« – als lebte der Rheinländer in dem ständigen Gefühl, anderen zur Unterhaltung dienen zu müssen: »Einzelfahrschein, kenn ich bei mir jo jar net, ne, ich fahren jo nur auf Streifen, also Karte, ne, do sin ich komisch drin …«), do hätt jo domols dä Doktor für mich jesaat … (»für mich«: kein Wunder, wer kann denn schon mit einem Monat sprechen?) wenn dat net ophööt, ne, wor ewwer net, also ich kann die Kellertrepp jo net eravjon, habbichet at widder am Bein: esu dick, wat saren ich: esuuuuuuu dick, ne, also wenn net dä Doktor Hahn wör mit der Salbe us dem Schlangenfett, zweimol drupjeschmiert: wie ein Vörelchen … (150 Kilo, aber:) wie ein Vörelchen, also normal bräucht ich jar nicht hier jewesen zu sein, ne … (dies ist die klassische präsentische Vergangenheit im Rheinischen: So einen Satz kann nur sagen, wer noch hier ist. Die Gegenwart in der Gegenwart als vergangen auszudrücken ist somit eine Antizipation, die dem Wunschdenken entspringt: Er ist noch hier, wäre aber lieber schon weg; so herrscht der Rheinländer über Zeit und Raum → VII, 2. Die zukünftige Vergangenheit) ewwer hück morje och at widder: Ich wollt nur noh der Poss luure, dä! Hattichet at widder am Bein (und jetzt schürzt sie den Rock bis zum Nabel, denn auch das Wartezimmer eines Arztes fällt unter die Aufhebung der Schamschranken: Es ist ja immerhin das Wartezimmer eines Arztes!), alles Wasser, ne, ALLES WASSER! … Komisch, jetzt isser fott, also ich weiß et net: Hückzetare hätt jo keener mih Zick für richtig zozehüre, zick dem Fern, ne, ich weiß et net …«
So isser, der Rheinländer: Et muss all eraus, ejal wat et es, ne!
Begegnet ein Rheinländer einem anderen Menschen, so findet immer und in jedem Falle – vor dem eigentlichen Gespräch, also: dem Monolog – ein Eröffnungsritual statt, das nach ehernen und immer gleich bleibenden Gesetzen abläuft. Die Gesetzmäßigkeit, mit der dieses Ritual abgespult wird, ähnelt dem Instinktverhalten bei anderen Säugetieren: Auch dieses rollt ab, ohne dass dem Individuum eine Chance des Eingreifens bliebe. Hunde pflegen beispielsweise ein Erkennungsritual, das überall auf der Welt gleich abläuft:
Phase A: Erst mal Kopf an Kopf sich nebeneinander aufstellen und die Ohrenstellung kontrollieren, sprich: Is dat überhaupts eene Hungk, der do esu vierbeinig vör mir steht?, und gleichzeitiges Schielen nach der Schwanzbewegung: Wenn der wedelt oder nach unten hängt: Könnt sin, dat dat eene Hungk is, wenn pfeilsgrad nach oben gerichtet: Um Jottes willen, dat is en Katz, nüß wie fott!
Phase B: die Seitenkontrolle: Man schlendert scheinbar beiläufig aneinander vorbei, wobei gleichzeitig intensiv die Flanke des »Gegners« beschnuppert wird.
Phase C: die Analkontrolle: Endlich hinten angelangt, erfolgt das Bemühen um Präzisierung: Jo, et is eene Hungk, und zwar – wedel, wedel, jaul – ein Weibchen, oder: Et is nur esu ene Einkaufsbüggel mit Rädchen unge dran, also gepflegt distanziert weiterlaufen.
So auch der Rheinländer. Mit dem einen Unterschied, dass er zur Nase, also dem rein olfaktorischen Erkennungsritual, auch Wörter und Sätze zu Hilfe nimmt. Ziel des Rituals ist herauszufinden, ob es sich bei dem Menschen, dem man da begegnet, um einen Rheinländer handelt oder nicht. Denn nur einem Rheinländer gegenüber lohnt es sich, das ständig vorhandene Mitteilungsbedürfnis dergestalt zu aktivieren, dass man ihm erzählt, wat sich all esu jedon hätt.
Beispiel Phase A: Der Rheinländer stellt sich Kopf neben Kopf vor seinen potenziellen Gesprächspartner (»Zuhörer« wäre sicher hier eher am Platze) und sagt: »Wie isset?« Lautet die Antwort: »Jot!«, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Rheinländer – die weitere Beschnüffelung kann losgehen. Lautet die Antwort: »Wie meinen Sie? Was soll wie sein?«, dann ist dat jrad esu, als wör der Schwanz nach oben: Opjepass! et is en Katz, also z.B. ein Westfale, grußlos brummeln und weitergehen …
Phase B: War die Antwort: »Jot!«, dann kann es weitergehen:
»Die Kinder?«
»Jot!«
»Die Frau?«
»Jot!«
»Prifat?«
»Jot!«
»Beruf?«
»Jot!«
»Et Auto?«
»Lööf!«
In der Zwischenzeit ist der Fragende – mental – an der Flanke entlanggestrichen und kommt nun zum Hauptteil des Erkennungsrituals: der Analkontrolle.
Phase C: Ist also alles abgehandelt – Kinder, Frau, Privat, Beruf und Auto –, kommt der definitive Test, ob es sich um einen Rheinländer handelt oder nicht: die allumfassende Frage: »Und sonst?« Lautet nun die Antwort »Och jot!«, dann handelt es sich um einen Rheinländer heimischer Provenienz, den sich der Frager, so er Lust hat – aber welcher Rheinländer hätte dazu keine? –, zum Opfer seiner Monologe küren kann. Lautet die Antwort aber: »Wie meinen Sie das denn jetzt? Sie haben doch schon alles abgefragt«, dann wäre dies die letzte Tankstelle vor der Autobahn: Luft holen, kurz angucken, Vollgas und ab. Stimmte aber alles, dann wird vollgetankt und – sozusagen beiderseitig wedelnd – genussvoll die Autobahn befahren: die Einbahn rheinischen Monologisierens.
Es soll Henker gegeben haben, die nach dem Schwertstreich ihrem Opfer noch jemütlich zuraunten: »Na, wie isset?« und als Antwort – halb aus dem Korb – ein »Jot« hörten.
Hausaufgabe Sie können einen Rheinländer aus dem Tiefschlaf wecken mit der Frage: »Und sonst?«; er wird »Och jot« antworten und auf der Stelle weiterschlafen.
Begegnen einander zwei Rheinländer und haben sie das Begrüßungs- oder Eröffnungsritual dergestalt erfolgreich hinter sich gebracht, dass beiden unzweifelhaft klar ist, dass es sich beim jeweils anderen um einen Rheinländer hiesiger Provenienz handelt, dann kann es losgehen: das Gespräch.
Sollte man annehmen. Aber doch nicht im Rheinland!
Weit entfernt davon, jedem x-Beliebigen einfach so sein Herz zu öffnen – wer diesen Eindruck hätte, gäbe sich einer bodenlosen Täuschung hin –, hat der Rheinländer auch für den Einstieg in das, was er ein Gespräch nennt, ein Ritual, das erfüllt werden muss, bevor es wirklich losgeht. Dieses Ritual wird immer und in jedem Fall eingehalten: ob es sich nun um eine leibhaftige Begegnung oder um ein Telefongespräch handelt. Niemals käme es ihm in den Sinn, mit der Tür dergestalt ins Haus zu fallen, dass er nun einfach drauflosplapperte. So unhöflich mögen sich andere benehmen, zum Beispiel der Bayer, der ohne jedes Zeremoniell medias in res springt: »Ja guat, dass i di triff, woaßt du eigentlich scho, was gestern passiert is …« Der Rheinländer mag auf den »Ausländer« deutscher Zunge proletenhaft und rüde wirken, dennoch hat er einen fast chinesischen Sinn für Zeremonien. »Et kann net jeder maache, wat er will he!« – beim Schachspiel kann man ja schließlich auch nicht einfach mit dem Turm eröffnen.
Bevor es also zum – jeweiligen – Monolog kommt, wird erst die Einleitung genossen. Sie besteht im Wesentlichen aus vier Variationsmöglichkeiten. Drei davon kommen aus dem Bereich der fünf Sinne, genauer: Sie entspringen dem Auge, dem Ohr und dem Mund, die vierte entstammt einem anderen Bereich.
Die Variationen, die den Sinnesorganen entspringen, sind Zeitwörter in Befehlsform, erweitert um das tückische Suffix-chen »… ens«. Dieses Suffix hat es in sich: Es deutet eine überschaubare Zeiteinheit an, ohne sie allerdings zu präzisieren. »Waad-ens« zum Beispiel bedeutet: Warte mal einen Augenblick, es können aber auch zwei oder drei sein.
Beispiel Das Badezimmer steht unter Wasser: Rohrbruch. Ich rufe den Handwerker an und der sagt: »Jo, also: sch-luurens.« Da weiß ich schon Bescheid: Taucherbrille, Flossen und Schnorchel kaufen, denn: Es kann länger dauern.
Es gibt allerdings auch die Verdoppelung. »Waad-ens-ens« bedeutet: Warte mal einen Augenblick, aber bitte jetzt sofort.
Der Monolog wird also eingeleitet mit: »Luur-ens«, »hür-ens« oder »sar-ens«. So weit, so gut. Nur: Es sind Befehle, denen man als höflicher Mensch nachzukommen versucht ist, was aber nur beim Befehl »hür-ens« geht, denn in jedem Fall spricht der Befehlende weiter. Er sagt »Sarens …«, schon holt man Luft um dieser Aufforderung nachzukommen, er fährt aber direkt fort: »Ding Frau, die hätt sie jo och at nit mih all, ne, jestern hätt die mir jesteck …« In der Regel verdoppelt er diese Befehle auch noch. Er sagt: »Sach sarens …«, »sach hürens …« oder »sach luurens …« – ja bitte, wie soll ich das denn machen?! Nur: »Hüür luurens …« oder »luur sarens …«, dat jitt et natürlich net, wör jo och Quatsch, ne!
Die vierte Möglichkeit, einen Monolog einzuleiten, besteht in der imperativen Bestimmung des Ortes. Hierbei handelt es sich um das imperativ gebrauchte, mit Rufzeichen und Doppelpunkt zu versehende Wort »Hier!:«. »Hier!: jestern hab ich dich jesehen, du wors ewwer net do!« oder »Hier!: tus’se mir noch zwei Kölsch!«
Bei diesen vier Einleitungen gibt es obendrein noch eine Höflichkeitsabstufung. Wir sind ja im Rheinland, ne! Ohne Weiteres kann der Rheinländer zum Bundespräsidenten sagen: »Sarens, Herr Präsident, dat mit der früheren DDR, also ich weiß et jo net …« Der Bundespräsident wird daran merken, dass es sich um einen Rheinländer handelt und sich gedanklich schon mal auf dessen Stufe begeben. Ähem. Keinesfalls aber kann man sagen: »Hier!: Herr Präsident, dat mit der Täterää, jo häss du sie noch all?!«, denn »Hier!:« ist dem familiären Bereich vorbehalten. Andererseits: Was wäre dem Rheinländer nicht familiär?
Der Rheinländer ist ein Meister der Rhetorik. Wenn er mal dran ist, zieht er wie ein Schlittschuhläufer seine Runden, macht hier eine elegante Kurve, dort eine Pirouette, und mit einem dreifachen Toeloop und einer schwungvoll gelaufenen Acht kurvt er aus der Sackgasse, falls er in eine geraten sein sollte. Und immer wieder – was er auch macht – landet er sicher auf den Kufen.
Er weiß: Ein gutes Gespräch ist wie Liebe machen: Erst der Wechsel der Positionen gibt die Würze, derer beide bedürfen. So gesehen müsste der Rheinländer der Lover schlechthin sein. Keiner beherrscht so wie er das Wechselspiel zwischen Behauptung und Aufgabe eines Standpunktes, zwischen vehementer Ablehnung und heftigster Zustimmung. Und das alles oft genug in einem Atemzug. Ein solches Gespräch gehört zu den Genüssen, »deren selten ein Sterblicher habhaft werden kann« (Homer, dat nur mal nebenbei) – sofern er nicht im Rheinland lebt. Hier allerdings ist es »normal«.
Beispiel A: -»Also wat sich die Rejierung mit dem Berlin do jelapp hätt, dat pass jo op kei Kohhaut mih.«
B: »Jenau! Die hätten die Mauer am besten ston jelosse, weil: Dat kann jo kei Minsch mih bezahle, sch-meine: wat dat koss!!«
A: »Andererseits: es doch schön: ein Deutschland, ne …«
B: »Jot, klar, ne, es schön, so jesehen, un do hätt jo och jeder andere Kanzler nüß anders maache künne, sch-meine: wor klar, in dem Moment wies die Mauer jefallen es, dat dat Geld koss, normal, ne, sch-meine: willse maache …«
Und schon hat er nahezu im gleichen Atemzug zwei gegenteilige Standpunkte eingenommen. Das ist Tempo! Das ist rasant! Da wird, sozusagen, die Frau zweimal umgebettet und weiter geht’s im Galopp, denn jetzt geht es in die berühmte »Ja-Sicher!«-Schleife. Sie wird eingesetzt zur Bestätigung des Gesagten und zur Einleitung des Gegenteils.
A: »Et Kättchen vum Kabänes-Karl, dat es jo vielleicht en Knaller!«
B: »Dat kann ich dir saren: Dat es dat schärfste Teil vum janze Veedel!«
A: »Ewwe dä Lippenstiff! Wie kann et nur esu ene Lippenstiff sich op et Muul klätsche?!«
B: »Ja sicher! Dä Lippenstiff! Ich sare jo: et Kättchen? Bäh! Sch-kann et net anluure, ohne dat mir et Essen ussem Jesäch fällt.«
Zong! Und dennoch ist alles in Ordnung, weil: Die Wahrheit, liebe Freunde, liegt immer zwischen den Standpunkten, jetzt mal so jesehen. Oder?
Übung Hören Sie sich mal heute zu, wenn Sie in der Kneipe am Erzählen sind; für jeden gekonnten Standpunktwechsel (sprich: für jede neue Position) innerhalb eines Gesprächs gibt es ein Kölsch (auf den Deckel des Gesprächspartners). Sie werden staunen!
Sollte aber wider Erwarten dat Jespräch dennoch ins Stocken geraten, hat der Rheinländer eine Überraschung parat, die sich gewaschen hat.
Beispiel Jeder kennt folgende Situation: Da steht man mit ein paar Freunden in einer Kneipe oder auf einem Empfang herum, die Stimmung ist locker und heiter. Lachen erfüllt die Luft. All sin sie am verzälle: Dä hät ene Verzäll und dä do och. Und man selbst hätte da auch eine Geschichte auf Lager. Nun möchte man aber nicht mit dieser Geschichte plump in die Gesprächsrunde einfallen, sondern man möchte ganz locker nach dem Motto »apropos« anjeflore kumme. Das heißt: Man wartet auf ein Stichwort. Nun kütt un kütt ewwer kei Stichwort. Un die sin do am schwaade un am schwaade un du bes do am waade un am waade. Mit einem Wort: Die Spannung in einem steigt ins Unerträgliche.
Nehmen wir mal an, dass jetzt schon zehn Minuten bangen Wartens vorbei sind – nach zehn Minuten Schweigens kommt es beim Rheinländer zu dramatischen Veränderungen: Pupillenerweiterung, Schweißausbruch, Atemstillstand, Tod. Spätestens jetzt scheiden sich die deutschen Zungen. Der Schwabe z.B. ist froh, dass er sich »wieder ebbes spaare kann, und wenns nur a kloins Gschichtle isch«, weil er ja alles spart, was nicht niet- und nagelfest ist. Der Bayer hat seinerseits diesen Spannungszustand gar nicht mitbekommen. Der Rheinländer aber, der gibt nicht auf. Un wenn kei Stichwort kütt, dann schafft er sich eines! Und fällt mitten in die Runde ein, indem er sagt: »Wo Sie jrad sare Akupunktur! Ich hatt do dieser Daach …« un es am verzälle. Und ich schwöre Ihnen: Kein Schwein hatte von Akupunktur gesprochen!
Und schwupp! liegt die Dame wieder richtig, und die Liebe beziehungsweise das Gespräch kann wiggerjon!
Der Rheinländer ist der Meister der Gegenfrage. Diese ist ein subtiles sprachliches Aggressionsmittel, auf das selbst er nicht immer verzichten kann. Ist er doch ein Mensch, der mit allen und allem in Frieden leben möchte: »Sellevs der Herrjott is im Jrunde ene jode Mann, obwohl – man weiß et net esu jenau …« Allein: Auch er muss ab und an einem Gegner schon mal »eene överdäue«, mit Worten, versteht sich, denn kloppen kann man sich danach ja immer noch.
Hier hilft die Gegenfrage. In ihrer einfachen Form besteht sie darin, dass man seinen Gesprächspartner, nein, hier sollte man doch lieber von Gesprächsgegner reden, wiederholt – erweitert um das Fragepronomen: »Wie«. Darin drückt sich aus, dass man den Gesprächsgegner ins Unrecht setzt, weil ihm mit diesem Wörtchen »wie« die Berechtigung zu dem, was er gerade gesagt hat, abgesprochen wird.
Nehmen wir an, zwei Rheinländer waren miteinander um halb zehn Uhr verabredet. Der eine der beiden ist pünktlich, der andere kommt erst um viertel vor zehn.
Beispiel Er wird vom Wartenden etwas ungehalten mit den Worten: »Mein Jott, jetzt hammer at viertel vor zehn!« empfangen. Wetten, dass jeder Rheinländer darauf mit der Gegenfrage reagiert: »Wie?: viertel vor zehn?«
Was eine gelinde Unverschämtheit darstellt, denn in diesem »Wie?: viertel vor zehn?« drückt sich aus: Der andere hat gar keine Uhr; hat er aber doch, dann läuft sie falsch; läuft sie aber richtig, kann der sie nicht lesen und »überhaupts« …
Die schärfere Form ist die des erzählenden Futurs. Das erzählende Futur ist die Stecknadel, die jeder Mensch im Rheinland im Revers seines Jacketts oder in der Steppnaht des Blüschens mit sich herumträgt. Mit dieser Stecknadel werden Wortblasen angepiekst und zum Platzen gebracht. Wortblasen, die den zuhörenden Rheinländer zu ersticken drohen (was ziemlich leicht passieren kann, weil – wie wir inzwischen wissen – den Rheinländer nichts so hart ankommt, wie zuhören zu müssen).
Beispiel A erzählt begeistert von einem Film. In allen Details. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Elf Minuten. Die Sprechblase über seinem Kopf wächst sich zu einem nimmersatten Monstrum aus – höchste Gefahr für den rheinischen Zuhörer, jetzt muss er handeln. Er holt ganz souverän die Stecknadel des erzählenden Futurs aus seinem Revers und sticht mit einem einzigen Satz in die wabernde Blase: »Na ja, wat wird dat schon jewesen sein – ne Film, ph!« Und aus isses.
anderes Beispiel A erzählt von einem Streit mit X. B fragt: »Un? Wat hässe demm dann jesaat?« »Wie?: Wat hab ich demm jesaat? Wat werd ich demm jesaat han? Dat der mich am Arsch lecken kann, dat han ich demm jesaat.« Und schon fühlt er sich wieder mit sich und seiner Umgebung wohl.
Wer in eher proletarischen rheinischen Wohnvierteln aufgewachsen ist, etwa in den Kölner Veedeln Nippes oder Ihrefeld oder in einer der zahlreichen halbländlichen Nachkriegs-»Siedlungen«, der kennt sicher noch eine weitere, höchst aggressive Variante dieser rhetorischen Gemeinheit: die fiktive Gegenfrage. Hier wiegelt keiner ab, hier wird angegriffen.
weiteres Beispiel Die Situation: Aufeinanderprall sozialer Gegensätze in Gestalt eines wohlfrisierten Schlipsträgers (B) und eines Goldkettchenliebhabers (A) und Vokuhila (Haare: vorne kurz, hinten lang). Man mustert sich, unverhohlen der eine (A), verstohlen der andere (B). Dann geht alles ganz schnell.
A: »Häs du irjenswat für misch jesaat?«
B: »Äh, nee, also, nicht dass ich jetzt wüsste …«
A: »Wie, du sähs isch lüje?«
Zack, und schon kann die herrlichste Schlägerei beginnen.
Tja, auch so isser …
Morgens. Elf Uhr. Ich sitze grad am Schreibtisch, da klingelt das Telefon:
»Tach Herr Beikircher, Schmitz hier, ich wollte nur mal anjerufen haben, weil mir em Verein wie jesacht nächst Woch et Vereinsfest …«
Fällt Ihnen was auf? Nee? Also noch mal:
»Tach Herr Beikircher, Schmitz hier, ich wollte nur mal anjerufen haben, weil mir em Verein wie jesacht nächst Woch et Vereinsfest …«
Peng! Da war es wieder, das »wie jesacht«. Eine der »meistest-jebrauchtesten« Floskeln im Rheinland. Er hat noch nichts gesagt, aber er sagt schon mal »wie jesacht«, damit er das, was er gleich sagen wird, als bekannt voraussetzen kann. Dat es, wie jesacht, für dä Eindruck ze erwecke, als wies wenns er schon die janze Zick am verzälle jewäß wör.
Wartezimmer. Alle schweigen. Plötzlich sagt einer:
»Dat es vielleicht en Warterei. Letzt Woch och, ne, do wor jo, wie jesacht, ming Frau hie, nur für Blut, ne, weil, wie jesacht, zick dem Unfall müssen die do jetzt immer nohm Blut gucken …«
Ein anderer:
»Minge Broder och, dä es jo, wie jesacht, Kranführer …«
Wie jesacht, dat es e Dingen met dem »wie jesacht«. Un wenn man net oppass, es man schon dabei, met dem Kopp ze nicke, als wies wenns man schon jenau wüsst, wat dä do jetzt am verzälle sin weed. Un schon hät dich dä Rheinländer am Krage: weil et sich, wie jesacht, dodrum drieht, dat dä Rheinländer en enem ständijen Redefluss lev. Un do weiß hä nit mieh esu jenau, wat hä schon jesaat hät un wat net. Un domet hä do immer op Nummer sicher es, sät hä flügg dat »wie jesacht« dabei. Un weil keene Rheinländer dem anderen en de Parad fährt, jitt et do nur eins: bei »wie jesacht« nicke, als wies wenns … un dä Fall hät sich. Nur dä Wessfale, natürlich, dä schüttelt mem Kopp! Ewwer dat es jo dann mih en Fall vun jeistijer Schüttellähmung, quasi!
Übung Bei jedem »Wie gesagt« nachfragen. So à la: »Hab ich nicht gehört. Was haben Sie gesagt?« – Sie werden staunen, was das für Folgen haben kann!
Dass der Rheinländer gerne spricht, wer wüsste es besser als er selber. Nur: Haben Sie mal genauer hingehört, mit welchen Tricks er arbeitet, damit er immer weitersprechen kann? Ohne dass ihn jemand unterbricht? Das beliebteste Mittel, den eigenen Redefluss zu speisen, ist die rhetorische Frage. Das ist eine Frage, die eigentlich der andere stellen sollte, weil man aber nicht genau weiß, ob er überhaupt eine Frage stellen würde, stellt man sie selbst, was einem die Möglichkeit gibt, sie auch gleich selbst zu beantworten.
Beispiel Drei Damen standen vor der Metzgerei und unterhielten sich. Das heißt: Eine erzählte, die anderen mussten zuhören. Das Thema war eine Schlägerei in ihrer Stammkneipe:
»Ich meine: Amfürsich es mir dat ejal, ob sich die zwei kloppe oder net. Warum? Weil ich do nix met am Hot han. Ewwer wat die zwei sich do jelapp han, wor mir zevill. Warum? Weil dä een ming Kölsch usjeschütt hätt. Warum? Weil ihn dä een esu jedäut hätt. Warum? Weil en dr Weetschaff ze winnig Platz es. Warum? Weil dat Inge ze kniestig es, och nur eene Tisch winnije hinzestelle, dat do jet mih Platz wör. Warum? Wejen der Schulden, die et am Balg hätt. Warum? Weil dat net mit Jeld umjon kann, dat es et nämlich. Un warum kann dat dat net? Ich weiß et net!!«
Sicher ging das noch länger so, aber ich musste weg. Warum? Weil ich noh der Bank musst. Warum? Weil ich ens luure wollt, ob noch jet om Konto es oder net. Warum? Wejen minger Frau ihrem Jebootsdaach. Un do will man jo jet schenke. Warum? Weil wenn net …!
Für jede rhetorische Frage im Laufe eines Gesprächs ein Kölsch. Sie werden staunen, wie schnell Sie hinüber sein können. Warum? Weil man do mit dem Suffe jar net nohkumme kann, dodrum!
Es gibt viele Möglichkeiten, ein Gespräch wiederzugeben. Welche davon ich aber auch immer wähle, stets muss ich entscheiden, ob ich in eigener Rede wiedergebe, was gesagt wurde, oder ob ich die Beteiligten mit ihren eigenen Worten zitiere. Dies ist die hohe Schule der direkten und indirekten Rede.
Beispiel Zwei Mann sind sich am Begegnen. Der eine sagt: »Tach!« Der andere antwortet: »Tach!« Das ist sozusagen direkte Rede.
Die indirekte Rede ist da schon erheblich personalintensiver, denn sie setzt voraus, dass ein Dritter beobachtet hat, dass zwei Mann einander am Begegnen waren, wobei der eine »Tach!« gesagt und der andere »Tach!« geantwortet habe und dass dieser Dritte es einem Vierten weitergeben will, wobei die Frage, ob dieser kleine Dialog den Vierten tatsächlich interessiert oder nicht, hier nicht von Belang ist. Und schon sind wir mitten im Schlamassel der indirekten Rede.
Wenn einer im Hochdeutschen die indirekte Rede beherrschen möchte, muss er zwei Voraussetzungen erfüllen: Er muss extrem konjunktivsicher sein, und er muss zu diesen Rittern der Zeitenfolge gehören, denen immer klar ist, was ist, was war, was gewesen ist und was gewesen sein wird. Nun gut, was wird schon gewesen sein!
Die rheinische Grammatik hat schon vor Jahrmillionen erkannt, welchen Weg die hochdeutsche Grammatik einschlagen wird, hat damals schon gesagt: »Nicht mit mir« (gem. Art. 5 → rhein. Grundgesetz: Wat soll dä Quatsch!) und hat einen eigenen Weg gefunden: die »dreck-indirekte Rede«.
Bevor wir uns aber die Schönheiten dieses rheinischen Weges bei der Wiedergabe von Fremdgesprächen anschauen, sollten wir einen Blick auf die Verwirrungen werfen, welche die hochdeutsche Grammatik im Kopf desjenigen anzustiften in der Lage ist, der ein Gespräch korrekt durch alle Zeiten in indirekter oder direkter Rede wiedergeben möchte.
Nehmen wir doch als »Ausgangslage« einen stinknormalen kleinen Alltagsdialog zwischen zwei jungen Menschen.
Generalbeispiel Sie: Willst du mich heiraten?
Er: Oh! Da bitte ich aber um ein paar Tage Bedenkzeit.
Sie: Schade! Damit hast du bewiesen, dass du doch nicht der Richtige für mich bist!
Ein ganz einfacher Dialog, ein ganz einfaches Beispiel aus dem Alltag.
Fangen wir also auch ganz einfach an.
Wenn wir den ersten Satz durch die Zeiten jagen, muss das in der direkten Rede erst mal in jedem Fall durch einen Doppelpunkt, dann Gänsefüßchen unten, Ton hochziehen und Gänsefüßchen oben gekennzeichnet sein, und egal, was vor dem Doppelpunkt für eine Zeit ist, hat die direkte Rede in der Gegenwart zu erfolgen.
Also:
Sie fragt: »Willst du mich heiraten?«