Mythos Bildung

Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

  1. Eine präzise Unterscheidung der Begriffe Lernen, Sozialisation, Erziehung und Bildung ist nicht ohne Weiteres möglich. Ein Bildungsprozess ist abhängig von Lernen (Neues erlernen), Sozialisation (ein Teil der Gesellschaft werden) und Erziehung (absichtsvolles Beeinflussen). Sie bilden die Grundlagen für Bildung.

  2. Erstaunlicherweise kam Meister Eckhart zu dem Schluss, dass sich Bildung durch das Erlernen von Gelassenheit, durch Passivität und das Von-sich-Ablassen kennzeichnen würde. In dieser Hinsicht handelt es sich um ein einzigartiges Bildungsverständnis, da alle späteren Bildungsbegriffe und -theorien nicht Passivität, sondern gerade die Aktivität in den Vordergrund stellten. Zu diesem und den folgenden Bildungsbegriffen ist jüngst eine sehr empfehlenswerte Einführung in die Bildungstheorien von Markus Rieger-Ladich (2019) erschienen.

  3. Vgl. Bourdieu 1983: Die folgende Beschreibung der Kapitalsorten nach Bourdieu basiert auf El-Mafaalani (2012, S. 69–72) und führt diese fort.

  4. Vgl. z.B. Münch 2018.

  5. Vgl. z.B. Stephan Lessenich (2008), der von einer »Neuerfindung des Sozialen« spricht. Interessant hierzu sind die Ausführungen von Heinz Bude, der die besondere Betonung des Einzelnen (auch durch Bildung) mit einem Verlust an Solidarität in Verbindung setzt. Diese Lücke wurde von Populisten besetzt, die den Solidaritätsbegriff (mit einer sehr exklusiven Stoßrichtung) politisch vereinnahmt haben (Bude 2019).

  6. Zusammenfassung des Humboldt’schen Bildungsverständnisses von Hartmut von Henting (1996).

  7. Zum Diskurs über das Problem der normativen Bestimmung von Bildung z.B. Rosenberg 2011.

  8. Besonders prominent ist derzeit der Ansatz von Marotzki 1990, aber auch etwa Koller 1999.

  9. Die folgenden Darstellungen zur Habitustheorie basieren auf mehreren bereits veröffentlichten Texten (insbesondere: El-Mafaalani 2012, aber auch: 2014a; 2015b; 2017a; 2018b). Eine lesenswerte Einführung in die Habitustheorie: Krais/Gebauer 2008.

  10. Das schichtspezifische Sich-unterscheiden-Müssen (Distinktion) wird insbesondere bei den Essgewohnheiten deutlich: Als der Preis einer Kalorie und speziell von Fleisch besonders hoch war, konnte Distinktion durch große und reichhaltige Portionen gewährleistet werden. Mit der Französischen Revolution sank der Preis für Nahrungsmittel, sodass kalorien- und fleischreiche Ernährung im Laufe der Zeit kein Unterscheidungskriterium mehr sein konnte. Portionsgrößen und Schönheitsideal haben sich gewandelt. Vegetarismus (und Veganismus) sind entsprechend auch sozialstrukturell ungleich verteilte Ernährungsweisen. Ähnliche Veränderungen ließen sich im Hinblick auf Urlaubsorte und -arten oder Sportarten zeigen.

  11. Hierzu u.a. Bourdieu 2001, S. 206. Ausführlich auch: El-Mafaalani 2012.

  12. Juhasz/Mey 2003, S. 70; Bourdieu 1987a, S. 190f.

  13. Hier ein Exkurs zu den Traditionslinien der Habitustheorie und habitusanalytischer Forschung (aus El-Mafaalani 2012, Fußnote 83): Während der historische Materialismus die rechtlichen, politischen und ökonomischen Vorstellungen als »Ideologie« identifizierte, konnte nicht erklärt werden, »wie der Weg von der Ökonomie zum menschlichen Kopf oder Herz geht« (Fromm 1932, S. 46). Die Frankfurter Schule hat durch die Bereicherung der Marx’schen Theorie durch die Freud’sche Psychoanalyse versucht, diese Lücke zu schließen (vgl. hierzu Fromm 1981). Fromms Konzeption einer Analytischen Sozialpsychologie war der Versuch, die Ideologien aus dem Zusammenwirken von seelischem Triebapparat und sozial-ökonomischen Bedingungen (Fromm 1932) ursächlich zu erklären. Fromms »Sozialcharakter« hat ebenso eine gewisse Nähe zur Kategorie des Habitus wie der Begriff ›Mentalität‹, wie ihn Geiger (1987) verwendet. Letzterer konstatiert, dass sich auch in der kapitalistischen Gesellschaft der 1930er ständische Sitten und Lebensauffassungen bewahrt hätten, die zu schichtspezifischen geistig-seelischen Haltungen (Mentalitäten) der Individuen führten (vgl. hierzu Vester u.a. 2001, S. 167). Bourdieu nennt dies klassenspezifischen Habitus. Der Habitusbegriff wurde in einer historisch weiter gefassten Betrachtung in ganz unterschiedlichen Kontexten verwandt bzw. umschrieben. Aristoteles hat mit dem Begriff ›Hexis‹ den Körper als dauerhafte und beständige Entität verstanden, während er unter Dispositionen wandelbare persönliche Eigenschaften verstand; Thomas von Aquin entwickelte darauf aufbauend eine für die katholische Moraltheologie bedeutsame Theorie des Handelns; Max Weber hat mit dem Begriff ›Ethos‹ (u.a. als ein System von Aspirationen, Erwartungen und Hoffnungen) seine Protestantismusstudien entwickelt; Panofsky (1951), auf den sich Bourdieu explizit bezieht, benutzte den Habitusbegriff in kunsthistorischen Zusammenhängen (für eine ausführlichere Darstellung vgl. Kalthoff 2004).

  14. Bourdieu 2001, S. 207; El-Mafaalani 2012.

  15. Vgl. Umweltbundesamt 2016; Metag u.a. 2015.

  16. Zahlungskräftige, aber nicht klimabewusste Personen neigen dazu, Effizienzgewinne direkt zu verbrauchen, etwa wenn aufgrund besserer Wärmedämmung alle Wohnräume, auch bisher unterkühlte, stärker beheizt werden. Zahlungskräftige und klimabewusste Personen verbrauchen solche Effizienzgewinne nicht direkt, aber häufig indirekt. Denn die (manchmal) kostensparenden Investitionen erhöhen die verfügbaren Finanzmittel, die in aller Regel wieder in den Konsum fließen, der wiederum CO2 verursacht. Dieser direkte bzw. indirekte Rebound-Effekt hat dazu geführt, dass trotz (oder wegen) erhöhter Energieeffizienz der Ressourcenverbrauch zunimmt.

  17. Michael Hartmann (2018) rekonstruiert, dass das Erstarken der Populisten mit zwei gegenläufigen Entwicklungen zu tun hat: Immer mehr Menschen wollen Teilhabe, und gleichzeitig verschließen sich die klassischen Eliten, um ihre Macht und Dominanz zu erhalten. Dieses Spannungsfeld wird von Populisten kanalisiert.

  18. Vgl. El-Mafaalani 2018a.

  19. Etwa: Reckwitz 2017; Fukuyama 2018; El-Mafaalani 2018a.

  20. Vgl. Kreckel 2004; Geißler 2008; Hradil 1993.

  1. Vgl. u.a. Geißler 2008.

  2. Die Idee der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen sowie die Meritokratie sind Kinder der Moderne. Soziale Ungleichheit ist der zentrale Begriff, um die unnatürlichen Unterschiede, also die durch Menschen formbaren und veränderbaren Unterschiede zwischen den Menschen, zu erfassen und die Ursachen und Mechanismen zu analysieren (vgl. u.a. Burzan 2011).

  3. Einschränkungen des Leistungsprinzips lassen sich dort erkennen, wo angezweifelt wird, dass das Leistungsprinzip wirklich angewandt wird, wo man also leistungsunabhängige Barrieren vermutet. Dies scheint nach sehr langem Abwarten im Hinblick auf die Frauenquote heute der Fall zu sein. Hierbei geht es nicht um einen Nachteilsausgleich durch geringere Leistungsanforderungen, sondern man geht davon aus, dass ungleiche Machtverhältnisse, geschlechterbezogene Vetternwirtschaft und Privilegienabsicherung diese Ungleichverteilung erzeugen und nicht Unterschiede in der Leistungsfähigkeit. Das heißt, Quotenregelung wird mit dem und durch das Leistungsprinzip legitimiert. Auch hier wird also das Leistungsprinzip vorrangig gesehen.

  4. Nordrhein-Westfalen hat 1989 als erstes Bundesland ein Gesetz zur Förderung der beruflichen Chancen von Frauen (Frauenförderungsgesetz) verabschiedet. Es enthält eine leistungsbezogene Zielquote von 50%. Das heißt, man hat das Ziel ausgegeben, dass 50% der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Frauen sein sollen, allerdings unter Wahrung des Leistungsniveaus.

  5. Vgl. etwa Meulemann 1979, S. 15.

  6. Vermögen sind am stärksten ungleich verteilt. Interessanterweise handelt es sich hierbei überwiegend um vererbtes Vermögen. Erbschaft ist eine Institution, die vom Prinzip her jeder Form gesellschaftlicher Legitimation von sozialer Ungleichheit widerspricht. Es handelt sich um ein historisch gewachsenes Überbleibsel aus vormoderner Zeit.

  7. Ausgeblendet wird hier, dass es noch ein weiteres Prinzip gibt, nämlich Erfolg. Dies wird insbesondere bei Unternehmensgründungen wirksam, also wenn im Rahmen einer unternehmerischen Selbstständigkeit ein Risiko eingegangen wird. Wer sich dann im Wettbewerb durchsetzt, »verdient« in doppelter Hinsicht mehr. Aber auch eine solche marktgetriebene Überholspur wird zunehmend abgebaut, beziehungsweise hängen erfolgreiche Unternehmensgründungen immer stärker mit einem höheren formalen Bildungsabschluss zusammen (vgl. Bude 2011).

  8. Ein Exkurs zur Komplexität der genannten Begriffe (a) »Klasse/Schicht« sowie (b) »ethnische Herkunft/Migrationshintergrund«: (a) Soziale Klassen und soziale Schichten sind keine Synonyme. An einem Beispiel lässt sich das vereinfacht darstellen: Wenn die Bundesligasaison beginnt, ist klar, dass es nach 34 Spieltagen eine Rangfolge der 18 Tabellenplätze gibt. Dabei gibt es verschiedene Schichten: Die ersten 4 Plätze sind Champions-League-Plätze (Oberschicht), darauf folgen Europa-League-Plätze (obere Mittelschicht), dann der große mittlere Bereich und unten die Abstiegsplätze (Unterschicht). Vor dem ersten Spieltag gibt es eine theoretische Wahrscheinlichkeit, dass jeder Meister oder Absteiger werden kann. Schicht meint also, dass es einen Unterschied zwischen oben und unten gibt – und nicht mehr. Sollten aber in jeder Saison die Gleichen oben bzw. unten stehen, dann spricht man von (sozialen) Klassen. Auf die Gesellschaft bezogen lässt sich also festhalten, dass kein Klassenbewusstsein (inklusive spezifischer Formen der Solidarität) vonnöten ist, um von Klassen zu sprechen. Karl Marx macht deshalb die Unterscheidung zwischen einer Klasse an sich (ohne Bewusstsein) und Klasse für sich (mit Bewusstsein). Im Unterschied zur Klassengesellschaft sind in der Standes- oder Kastengesellschaft Auf- und Abstiege gar nicht möglich. Man würde also gar nicht gegeneinander bzw. in einer Bundesliga spielen.

    (b) Der Begriff ethnische Herkunft wird zu Recht kritisch gesehen. Nationale und kulturelle Herkunft spielen eine Rolle, wobei sowohl äußerliche Merkmale betrachtet werden können (Hautfarbe, Haarstruktur, Augenform etc.) als auch etwa Muttersprache oder Religion. Aber auch der Begriff Migrationshintergrund wird zunehmend kritisch betrachtet, weil hier per Definition gar nicht nach äußeren oder kulturellen Merkmalen gefragt wird, sondern nach Geburtsort und Staatsangehörigkeit der Eltern. Entsprechend haben sich in der Jugendsprache entlarvende Begriffswendungen etabliert, etwa wenn von Biodeutschen gesprochen wird (Menschen ohne Migrationshintergrund) oder der Unterschied zwischen Migrationsvordergrund (für Menschen, deren nicht biodeutsche Herkunft man erkennt, etwa durch Hautfarbe oder Namen) und Migrationshintergrund (etwa bei weißen Menschen mit einem britischen oder dänischen Migrationshintergrund) betont werden soll. Hierzu ausführlich: El-Mafaalani 2019.

  9. Vgl. Kracke u.a. 2018.

  10. Entsprechend zeigen einige Studien, dass das Haushaltseinkommen genauso wichtig ist wie das Bildungsniveau der Eltern. Sehr häufig hängt das miteinander zusammen. Allerdings können Eltern mit einem deutlich überdurchschnittlichen Einkommen ein unterdurchschnittliches Bildungsniveau »ausgleichen« – zugunsten der Bildungschancen ihrer Kinder. Genauso können Eltern mit einem hohen formalen Bildungsniveau ein geringes Einkommen ausgleichen. Sehr klar werden die Bildungschancen von Kindern, wenn der Regelfall eintritt, dass ihre Eltern nämlich über viel kulturelles und ökonomisches Kapital verfügen – oder eben umgekehrt, dass beides in geringem Maße vorliegt. Würde man also die Kinder der Oberschicht mit Kindern in SGB II-Bezug (also in relativer Armut) miteinander vergleichen, das Ergebnis wäre entrüstend eindeutig.

  11. Zur Information: Von allen Jugendlichen stammen die meisten aus Facharbeiterhaushalten (53%), 13% aus Familien von Facharbeitern mit Abitur, nur 6% haben Eltern ohne jegliche formale berufliche Qualifikation. Akademikerhaushalte stellen die Bildungsherkunft von 28% dar (vgl. Kracke u.a. 2018).

  12. Hochschulreport 2020.

  13. Zur frühen Kindheit (u.a. Becker/Lauterbach 2008/2016); zur Schulzeit (u.a. Maaz u.a. 2010); zur Studienzeit (u.a. Schmitt 2011). Ähnliches ließe sich auch im Detail, u.a. in Bezug auf Klassenwiederholung (u.a. Krohne u.a. 2004), Schulformwechsel (u.a. Bellenberg u.a. 2004), Studienabbruch (Heublein u.a. 2010) sowie Weiterbildungsteilnahme (u.a. Bremer 2007), darstellen. Zum Ausbildungsmarkt (u.a. Protsch 2014); zum Arbeitsmarkt (u.a. Pollak 2010). Zum Karriereverlauf: Hartmann 2002; Hartmann 2018; Möller 2015; Graf 2015. Hartmann (2007) hat zudem die soziale Rekrutierung der Eliten in Europa vergleichend untersucht. Dabei unterscheidet er verschiedene gesellschaftliche Bereiche. Es zeigt sich, dass in Deutschland in allen Bereichen die Herkunft eine nachweisbare Rolle spielt, wobei die Wirtschaft besonders selektiv und die Bereiche Politik und Wissenschaft etwas offener sind. Im Gegensatz zu Deutschland zeichnet sich insbesondere der schwedische Arbeitsmarkt durch einen vergleichsweise geringen Zusammenhang zwischen Herkunft und Spitzenposition aus. Hier lässt sich bereits vermuten, dass es strukturelle Zusammenhänge geben muss, die bspw. die schwedische Gesellschaft deutlich egalitärer als die deutsche erscheinen lassen – dies gilt sowohl im Bildungssystem als auch am Arbeitsmarkt.

  14. Die Wahrscheinlichkeit, trotz einer Hochschulzugangsberechtigung kein Studium aufzunehmen, steigt mit sinkendem Bildungsniveau der Eltern. Über den dritten Bildungsweg ein Studium aufzunehmen (Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur), wird politisch zunehmend erleichtert, jedoch stieg der Anteil dieser Studierenden an allen Studienanfängerinnen und Studienanfängern in den letzten 10 Jahren von rund 1% auf 3%. Ebenso zeigen verschiedene Studien, dass die Studienfachwahl und der Studienerfolg mit der sozialen Herkunft korrelieren (ausführlich hierzu Schmitt 2010, S. 70ff.; Kracke u.a. 2018; BMBF 2007). Insbesondere der Zusammenhang von Studienabbruch und sozialer Herkunft hat sich mehrfach bestätigt (u.a. Heublein u.a. 2003; Lange-Vester/Teiwes-Kügler 2004). Auch beim Übergang vom Studium zur Promotion schließen sich Akademiker und Akademikerinnen aus benachteiligten Elternhäusern selbst aus: sowohl im Hinblick auf den Anteil derer, die eine Promotion anstreben, als auch bezüglich jener, die eine Promotion abschließen (Hochschulreport 2020; Bargel 2007; BMBF 2007). Zudem sei erwähnt, dass die Notwendigkeit, neben dem Studium zu arbeiten, bei Arbeiterkindern deutlich stärker ausgeprägt ist als bei Vergleichsgruppen, was zu größerem »Stress« führt (Bargel 2007, S. 9). Auslandsaufenthalte während der Studienzeit sind bei Arbeiterkindern ebenso deutlich seltener (Schmitt 2010).

  15. Bei Nicht-Akademikerkindern ist die Wahrscheinlichkeit unabhängig von einem Migrationshintergrund fast identisch. Interessant ist der Befund, dass Akademikerkinder mit Migrationshintergrund an Hochschulen noch stärker überrepräsentiert sind als Akademikerkinder ohne Migrationshintergrund (DZHW 2018).

  16. Diese Diskussion zur Bedeutung eines Migrationshintergrunds für die Bildungsungleichheit wurde bereits formuliert bei: El-Mafaalani/Kemper 2017; El-Mafaalani/Massumi 2019.

  17. Zur genannten Hypothese: vgl. Werfhorst/Tubergen 2007; Diehl/Fick 2016. Zu den Bildungsaspirationen vgl. u.a. Becker 2010/Kapitel IV in diesem Buch. Bildungsaspirationen wird in der Ungleichheitsforschung ein hoher Stellenwert zugesprochen, und allgemein wird ein deutlicher positiver Zusammenhang zwischen Bildungsaspiration und Bildungserfolg angenommen – weshalb das Konstrukt der Bildungsaspirationen auch zur Prognose von Bildungserfolg angewendet wird. Von daher müssten die Bildungschancen von Migrantenkindern deutlich besser sein (vgl. El-Mafaalani 2017b). Dieser belastbare Befund verstärkt sich sogar, wenn die sozialen Rahmenbedingungen kontrolliert werden (vgl. Becker 2010). Die Differenz zwischen den Bildungsaspirationen von Migranten und Einheimischen steigt deutlich an, wenn nur Personen beziehungsweise Haushalte mit der gleichen Schichtzugehörigkeit beziehungsweise mit dem gleichen formalen Bildungsniveau verglichen werden.

  18. Einen wesentlichen Einfluss soll zudem das Einreisealter des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen haben (vgl. u.a. Esser 2006; in Bezug auf Geflüchtete Müller u.a. 2014). Inwieweit Flucht eine andere Bedeutung für die Bildungschancen hat als andere Formen der Migration, ist noch weitgehend ungeklärt. Vieles spricht allerdings dafür, dass es keinen Unterschied macht. Ausführlich hierzu: El-Mafaalani/Massumi 2019a.

  19. Vgl. u.a. Helbig 2012a. Die positive Entwicklung der Bildungschancen von Mädchen und Frauen lässt sich in nahezu allen Ländern der Welt nachweisen, wobei natürlich Ausgangsniveau und Geschwindigkeit – zum Teil deutlich – variieren (UNESCO 2009; McDaniel 2010).

  20. Vgl. u.a. Helbig 2012 sowie Becker/Müller 2011. Dass Mädchen schon immer bessere Noten und höhere Kompetenzen aufwiesen, kann zum Teil mit biologischen Unterschieden zusammenhängen, wesentlich erscheinen jedoch Leistungsbereitschaft und Engagement (vgl. OECD 2015). »Schon immer« ist etwas salopp formuliert. Gemeint ist, seitdem man dazu Daten hat. Eine internationale Studie kann dies für mehr als 100 Jahre zeigen (Voyer/Voyer 2014).

  1. Im Übrigen ist auch dies sehr schichtspezifisch zu sehen: Als Erstes hat sich das Frauenbild – und haben sich damit auch die Bildungschancen von Mädchen – in den oberen Schichten gewandelt, weshalb diese Mädchen bereits vor Jahrzehnten enorm wachsende Bildungschancen hatten. Nach und nach wandelte sich das Frauenbild dann auch in unteren Schichten, was in diesen sozialen Sphären die Bildungschancen von Mädchen ebenfalls verbesserte.

  2. Blossfeld u.a. 2009. Verschiedene Studien kommen bei diesem Zusammenhang allerdings zu zum Teil abweichenden Ergebnissen.

  3. In der Gesamtbetrachtung sind Mädchen nicht nur kompetenter, sondern werden auch etwas besser bewertet. Dieser Effekt lässt sich sogar noch in der gymnasialen Oberstufe zeigen (u.a. Deißner 2013).

  4. Vgl. Bos/Wendt/Köller u.a. 2016; Bos u. a. 2003.

  5. Erstmals im Übrigen bereits durch Preuß 1970. Darüber hinaus zeigen diese Studien deutlich, dass gemessene Kompetenz kaum mit der Schulnote korreliert. Selbst im Fach Mathematik kann ein in den standardisierten Tests erzieltes durchschnittliches Kompetenzniveau durch die Lehrkräfte mit jeder Note beurteilt werden (bei TIMSS Note 1 bis Note 4), vgl. Stubbe u.a. 2016.

  6. Einige markante Befunde im Einzelnen: Bereits in der ersten PISA-Studie wurden die ungleichen Bildungschancen folgendermaßen beziffert: Selbst bei Kontrolle der kognitiven Grundfähigkeiten und der Lesekompetenz haben Kinder der oberen Dienstklasse im Vergleich zu Arbeiterkindern eine dreifach so große Chance, das Gymnasium zu besuchen (Baumert/Schümer 2001, S. 357; Wenzel 2010, S. 60). Daran hat sich seither nichts Nennenswertes geändert. Vgl. auch Bos u.a. 2004; Arnold u.a. 2007; Stubbe/Bos 2008; Maaz/Nagy 2009; Dumont u.a. 2013. In einer anderen Studie heißt es: »Betrachtet man z.B. die Durchschnittsnote 2,0, dann variiert die Wahrscheinlichkeit einer Gymnasialempfehlung zwischen 75,5 Prozent in der niedrigsten Bildungs- und Einkommensgruppe und 96,5 Prozent in der höchsten. Bei schlechteren Noten werden die sozialen Unterschiede noch größer: So divergieren die Wahrscheinlichkeiten einer Gymnasialempfehlung bei Durchschnittsnote 2,5 zwischen 19,5 Prozent und 70 Prozent, je nachdem, ob das Kind der niedrigsten oder der höchsten Sozialschicht zugehört« (Schulze/Unger/Hradil 2008, S. 85). Eine andere Untersuchung zeigt: Lehrkräfte geben nach eigener Auskunft etwa 5% der Schüler eine Gymnasialempfehlung, obwohl sie selbst diese nicht für gerechtfertigt halten. Auch hier liegt ein leichter Herkunftseffekt vor (u.a. Deißner 2013).

  7. Müller/Ehmke 2013; Stubbe u.a. 2012; Wendt/Stubbe/Schwippert 2012, im Hinblick auf soziale Mobilität: Pollak 2010.

  8. Zur Vergabe von Stipendien vgl. Middendorff/Isserstedt/Kandulla 2009, S. 21ff.; Stipendienstudie 2016. Zu den Karriereverläufen vgl. u.a. Hartmann/Kopp 2001; Hartmann 1993/1995, 2007, 2002.

  9. Vgl. Boudon 1974. In Boudons Modell wird der Herkunftseffekt systematisch unterteilt in primäre und sekundäre Herkunftseffekte. Der primäre meint die allgemeinen Rahmenbedingungen und bezieht sich auf die schlechtere Lernentwicklung. Der sekundäre auf das Entscheidungsverhalten in Bezug auf die Laufbahn. Das Bildungssystem selbst wird – aus meiner Perspektive – zu wenig gewürdigt, weshalb hier nicht stringent Boudons Systematik gefolgt wird. Das Entscheidungsverhalten der Lehrkräfte kann auch als indirekter sekundärer Herkunftseffekt verstanden werden, Entscheidungen von Kindern und Eltern als direkter sekundärer Herkunftseffekt (z.B. Baumert/Maaz/Jonkmann 2010). Damit hätte man auch Lehrkräfte im Modell, allerdings nicht das Schulsystem selbst.

  10. Dieser Herkunftseffekt bezieht sich sowohl auf den Bereich der Entwicklungsstörung und der Kindesgesundheit (vgl. Strohmeier 2006; El-Mafaalani/Strohmeier 2015) als auch auf die Kompetenzen, etwa den Wortschatz (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014). Ein Blick auf die Beteiligung im vorschulischen Elementarbereich zeigt, dass sowohl das Haushaltseinkommen als auch der Bildungsstand der Eltern mit der Nutzung von Kindertageseinrichtungen korrelieren, u.a. Kreyenfeld 2008. Zum positiven Effekt vorschulischer Bildung: vgl. Kratzmann/Schneider 2009; Becker 2010a.

  11. Am stärksten sind sie im Bereich Musik ausgeprägt (frühkindliche Musikerziehung und Musikschulen). Kinder aus einem Haushalt mit hohem formalem Bildungsniveau nehmen solche Angebote mehr als fünfmal häufiger wahr als Kinder aus bildungsbenachteiligten Milieus (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014). Dabei ist das Erlernen eines Musikinstruments nicht nur wichtig, sondern kann im Jugend- oder Erwachsenenalter kaum mehr in gleicher Intensität erfolgen. Dies ist im Übrigen auch ein Grund, weshalb die soziale Selektivität in Musikhochschulen und in den großen Orchestern noch stärker ist als in den meisten anderen Bereichen. Die Fähigkeiten der Eltern, die Kinder beim Lernen zu unterstützen, Hausaufgaben zu kontrollieren oder frühzeitig Lernprobleme zu erkennen, sind sozial genauso ungleich verteilt wie die Möglichkeiten, sich die Unterstützung zu erkaufen, etwa mit professioneller Nachhilfe. Durch das Bildungs- und Teilhabepaket wird dieser Effekt erstmals abgeschwächt. Ob diese Kompensation optimal organisiert ist, kann zwar angezweifelt werden, nicht aber die Notwendigkeit einer solchen Kompensation.

  12. Vom Beginn eines Schuljahres bis zu den Sommerferien werden die Unterschiede etwas kleiner, am Anfang des neuen Schuljahres (also unmittelbar nach den Sommerferien) sind sie größer als vor den Sommerferien, vgl. Becker u.a. 2008; Ditton 2008; Maaz u.a. 2010; Alexander/Entwisle/Olson 1997. Zum sozialen Umfeld zeigen Nast/Blockland (2013) im Rahmen einer Studie in einer Berliner Grundschule, dass die Kontaktwahl innerhalb einer Institution trotz sozialer Mischung an der Schule nicht zur Mischung der gelebten sozialen Beziehungen führt. Schon die Kinder »sortieren« sich – nicht nur, aber auch, weil Eltern Einfluss auf den »Umgang« ihrer Kinder nehmen. Zudem entstehen die engsten Freundschaften (zumindest in der Grundschule) zwischen Kindern, die sowohl in dieselbe Schule gehen als auch in unmittelbarer Nähe wohnen.

  13. Vgl. Maaz u.a. 2010; Ditton 2008; Lehmann u.a. 1997; Gomolla/Radtke 2002). Auch die Notenvergabe bei gleicher Kompetenz ist sozial selektiv (Angelone u.a. 2013; Maaz/Nagy 2009; Maaz u.a. 2013; Neumann u.a. 2010; Schauenberg 2007).

  14. Etwa: Ditton/Krüsken 2006; Stahl 2007; Stubbe/Bos 2008.

  15. KMK 2006, 5, meine Hervorhebung.

  16. Hier scheinen Lehrkräfte direkt und indirekt durch die Eltern beeinflusst zu werden. Indirekt, weil die Lehrkräfte bei der Übergangsempfehlung auch die Ambitionen und die Unterstützungsmöglichkeiten mitberücksichtigen (vgl. Nölle u.a. 2009). Direkt, indem die Eltern sich aktiv einschalten (Klinge 2016; Pohlmann-Rother 2010). Welchen Hintergrund Eltern haben, die sich mit der Grundschullehrkraft auseinandersetzen und sich zutrauen, sie zu beeinflussen – und dies auch schaffen –, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

  17. Vgl. Klinge 2016; Pohlmann-Rother 2010; Nölle u.a. 2009; Solga/Wagner 2008; El-Mafaalani 2014c.

  18. Es gibt bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, ob eine Prognose über die Lern- und Bildungsentwicklung eines Kindes überhaupt solide möglich ist. Maximal zwei Jahre kann man einigermaßen verlässlich prognostizieren – der Bildungsweg ist aber viele Jahre länger.

  19. Das sagte mir eine Lehrkraft, als ich sie fragte, warum sie viel weniger Empfehlungen für die Hauptschule ausspricht als früher. 2 der 4 Hauptschulen am Ort wurden geschlossen. Da dadurch weniger Plätze an Hauptschulen vorhanden sind, vergibt sie entsprechend auch weniger Empfehlungen.

  20. Vgl. Gomolla/Radtke 2002, S. 126.

  1. Nicht zu unterschätzen ist auch, inwiefern Schule und Familie »zusammenpassen«. Lehrer haben eine Idealvorstellung von Familie, Eltern haben eine Idealvorstellung von Schule, ein Kind erlebt nicht Ideale, sondern sehr unterschiedliche Realitäten daheim und auf der Schulbank und muss dies irgendwie vereinen. Solche Passungsverhältnisse zwischen Bildungsinstitutionen und Familie werden im folgenden Kapitel noch eine größere Rolle spielen.

  2. In diesem Zusammenhang wird auch erkennbar, dass sich die Entwicklungschancen der Kinder (insbesondere die Lernentwicklung) je nach Schulform, aber auch je nach Einzelschule unterscheiden (Baumert u.a. 2003, S. 286; Ackeren/Klemm 2009).

  3. Vgl. El-Mafaalani 2014c.

  4. Zaborowski/Breidenstein 2010; El-Mafaalani 2014c. Auch unterschiedliche Lehrpläne und Anspruchsniveaus (insbesondere im fremdsprachlichen Unterricht) können einen verspäteten Übergang zu einem Risiko werden lassen.

  5. Vgl. u.a. Wößmann 2007; Maaz u.a. 2010. »Folglich weisen die PISA-Ergebnisse darauf hin, dass die im internationalen Vergleich ungewöhnlich große Leistungsstreuung am Ende der Vollzeitschulpflicht zu einem nicht unerheblichen Teil in der Sekundarstufe I institutionell erzeugt oder zumindest verstärkt wird« (Wenzel 2010, S. 61).

  6. Vgl. Maaz/Nagy 2009.

  7. Esser/Hoenig 2018. Interessant ist, dass Eltern mit Migrationshintergrund nicht von der Empfehlung abweichen, auch nicht nach unten – unabhängig vom Bildungsniveau. In diesem Befund drücken sich die hohen Bildungsambitionen, die mit Migration einhergehen, aus. Dazu später mehr.

  8. Der sogenannte »sekundäre Herkunftseffekt« nach Boudon.

  9. Es geht um den sogenannten Nettonutzen. Dieser wird in dem Modell nach folgender Formel errechnet: Nettonutzen = Erfolgswahrscheinlichkeit der Kinder multipliziert mit der Bildungsrendite (Nutzen) minus Kosten. Sehr mathematisch, aber dennoch plausibel, dass hier unterschiedliche Eltern ganz unterschiedlich kalkulieren. Jede dieser Variablen wird subjektiv eingeschätzt. Insgesamt geht es also um eine herkunftsgeprägte Einschätzung von Kosten, Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. Eriksson/Jonsson 1996).

  10. Die Kosten werden von unteren Schichten regelmäßig überschätzt, der Nutzen unterschätzt. In oberen Schichten ist es anders, die Kosten spielen keine Rolle, die Nutzeneinschätzung ist enorm. Hinzu kommt, dass selbst die gleichen Kosten je nach Schicht zu unterschiedlichen Belastungen führen.

  11. Zum Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Scham: vgl. Neckel 1991a; 1991b.

  12. Vgl. Eriksson/Jonsson 1996; ähnlich auch Gambetta 1987.

  13. Das ausdifferenzierte und professionalisierte Berufsbildungssystem steht – bei allen Vorteilen – sozialer Mobilität, also sozialen Aufstiegen, eher im Wege (Pollak 2010, S. 40f.). Denn: In den beiden Staaten, in denen das Berufsbildungssystem am stärksten ausgeprägt ist, Deutschland und Japan, ist auch der Einfluss des Berufs des Vaters auf die eigene Platzierung am Arbeitsmarkt am stärksten (Jonsson u.a. 2009). Die insgesamt niedrige Hochschulquote und die hohe soziale Selektivität beim Universitätszugang werden daher teilweise als Effekte der Ausweitung von Fachhochschulen und der Berufsbildung gesehen (Müller/Pollak 2008).

  14. Nimmt man noch diejenigen hinzu, die ihr Abitur an beruflichen Schulen machen, steigen die Werte. Dann haben derzeit etwas mehr als die Hälfte eines Jahrgangs die Hochschulreife (bundesweit), in manchen Bundesländern liegt dieser Wert bei 60%, in manchen bei 40%. Vgl. Chancenspiegel 2017; ähnlich auch Statistisches Bundesamt 2018.

  15. Ähnliches gilt auch für die durchschnittlichen Kompetenzen oder für die Häufigkeit von Klassenwiederholungen oder die Durchlässigkeit innerhalb der Sekundarstufe I. Im Bundesländervergleich gibt es enorme Unterschiede (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).

  16. Vgl. Allmendinger/Helbig 2008; El-Mafaalani 2012; Chancenspiegel; PISA-E und viele mehr.

  17. In den ostdeutschen Ländern ist der Herkunftseffekt beispielsweise schwächer ausgeprägt als in den westdeutschen. Dieser Effekt hat nichts mit dem höheren Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund zu tun. Denn: Wenn man nur die Kinder ohne Migrationshintergrund untersucht, fällt der Unterschied zwischen Ost und West in Bezug auf den Herkunftseffekt stärker aus.

  18. Zu den Unterschieden auf Regional- bzw. Kreisebene vgl. u.a. Kemper 2015; El-Mafaalani/Kemper 2017. Zu innerstädtischen Differenzen vgl. u.a. El-Mafaalani/Kurtenbach/Strohmeier 2015; Bogumil u.a. 2010.

  19. Vgl. Helbig/Jähnen 2018. Hier wird gezeigt, dass allgemeine und spezielle sozialpolitische Maßnahmen die soziale Segregation tendenziell verstärken.

  20. Exkurs zu Bewertung, Entstehung und Folgen von Segregation: Segregation ist nicht per se problematisch. Nur die unfreiwillige, erzwungene Segregation, von der arme und einkommensschwache Personen betroffen sind, stellt ein Problem dar. Unbestritten ist: Je wohlhabender eine Person oder ein Haushalt ist, desto freier ist die Wohnortwahl. Und interessanterweise führt diese Freiheit dazu, dass die Wohlhabendsten sich sehr einheitlich verhalten: Sie suchen ihresgleichen. Den ärmsten Menschen bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als dort zu wohnen, wo es die günstigsten Mietpreise gibt – und die sind dort günstig, wo die meisten nicht wohnen wollen. Sie finden notgedrungen ihresgleichen, es handelt sich nicht um eine wirkliche Wahlfreiheit. So entsteht eine räumliche Konzentration von Ober- und Unterschicht, wobei die Oberschicht deutlich konzentrierter unter sich bleibt. Am wenigsten voraussehbar sind Entscheidungen der sozialstrukturellen Mitte (El-Mafaalani/Strohmeier 2015). Zudem sind benachteiligte Familien weniger flexibel im Hinblick auf die Schulwahl. Sie nehmen die am wenigsten weit entfernte Schule. Beispielsweise thematisiert dies Terpoorten (2014) in einer bildungsgeografischen Untersuchung der Schulwahl im Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe. Dazu arbeitet er am Beispiel der Stadt Duisburg das sozialstrukturelle und räumliche Muster der Schulwahl heraus und weist nach, dass mit dem Wegfall der Schulbezirke die Schülerschaft sozial selektiver wird, wodurch die ohnehin festzustellende Polarisierung der Ruhrgebietskommune noch weiter verfestigt wird.

  1. Entsprechend wird die Sozialraumorientierung in der Bildungsforschung immer stärker fokussiert. Hierzu u.a.: Ackeren u.a. 2016; Bonsen u.a. 2010. Auch in der Bildungsberichterstattung und im Bildungsmonitoring wird die soziale Lage von Schulen immer stärker berücksichtigt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).

  2. Für das Ruhrgebiet steht der »Sozialäquator« (die Autobahn 40) beispielhaft für soziale Disparitäten (Kersting u.a. 2009; Terpoorten 2014). Sowohl Bildungsbeteiligung als auch andere Indikatoren wie die Gesundheit der dort lebenden Kinder unterscheiden sich zwischen dem Norden und dem Süden des Ruhrgebiets enorm. Das nördliche Ruhrgebiet kann dabei als großflächigste Armutskonzentration in Deutschland verstanden werden, da über die Stadtgrenzen von mehreren benachbarten Großstädten die segregierten Zonen zusammenhängen – was für den reichen Süden aber genauso gilt. Schulen sind unmittelbar in einen sozialen Raum integriert, der die Rahmenbedingungen der Schulen und die Chancen der Kinder wesentlich beeinflusst (El-Mafaalani/Strohmeier 2015; Bogumil u.a. 2010; Strohmeier 2006).

  3. Aus dieser Perspektive ist es eher ungünstig, dass Schulpolitik in die Hoheit der Länder fällt, da die zentralen Herausforderungen eher auf Bundesebene (einheitlichere Standards und Rahmenbedingungen in allen Regionen) sowie insbesondere durch Kommunalpolitik (Rahmenbedingungen vor Ort) bewältigt werden können.

  4. Bereits Preuß 1970.

  5. Vgl. etwa Hradil 2013; Lippl/Wegener 2004.

  6. Eine zunehmende Ungleichheit lässt sich im Hinblick auf Vermögen und Einkommen zeigen, nicht aber bezüglich der Bildungschancen. Diese sind relativ stabil.

  7. Wenn Menschen nicht mehr die Wahrnehmung haben, dass dieses Bemühen vorliegt, dann werden Konflikte, u.U. sogar abweichendes Verhalten, wahrscheinlicher.

  8. Beide Ansätze können hier nicht angemessen gewürdigt werden. Bei allen Unterschieden kann man zusammenfassend aber sagen, dass beide umfassende (qualitative) Reformen und (quantitative) Bildungsexpansion forderten. Ob Ersteres in ihrem Sinne gelungen ist, mag bezweifelt werden. Vgl. Picht 1964; Dahrendorf 1965.

  9. Natürlich gelten als Ursachen für die politisch forcierte Ausdehnung des Bildungssystems neben den normativen Motiven auch der wachsende wissenschaftlich-technische Fortschritt und die damit zusammenhängende zunehmende Spezialisierung und Differenzierung in der Gesellschaft. Von Beginn an wurde also die Expansion mit Gerechtigkeit (normativ) und Wettbewerbsfähigkeit (ökonomisch) begründet.

  10. Anders ist es in den neuen Bundesländern. Ab 1990 wurden dort Gymnasien eröffnet und haben zu einer erheblichen Expansion in den 1990ern geführt. Denn in den letzten 20 Jahren der DDR gab es keine Expansion. Diese wurde unmittelbar nach der Wiedervereinigung nachgeholt.

  11. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gingen noch 82% der Jugendlichen auf eine »Volksschule« (später umbenannt in Hauptschule), vgl. Geißler 1996, S. 254.

  12. Vgl. Statistisches Bundesamt 2018. Interessant ist diese Steigerung auch vor dem Hintergrund des enormen Anstiegs der Schülerzahlen aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge (1960–1970). Während sich die Schülerzahlen deutlich erhöht haben, ist der Anteil der Realschüler und Gymnasiasten kontinuierlich gestiegen. Es handelt sich also um absolute und relative Steigerungen. Hierzu kommt ab Ende der 1960er die zunehmende Gründung von weiteren Schulformen, die zu höheren Abschlüssen führen, insbesondere Gesamtschulen.

  13. Es gibt zudem noch eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, seine Hochschulreife nachzuholen (u.a. Berufs- und Weiterbildungskollegs). Dies gilt auch für die Mittlere Reife.

  14. Etwa eine Verdoppelung des Anteils von 6% auf 11% von 1960 bis 1970, eine weitere Verdoppelung von 11% auf 22% von 1970 bis 1980. Und von 1980 bis heute nochmals mehr als eine Verdoppelung auf über 50%. Vgl. Bode 2016.

  15. Für das Jahr 2017: Anzahl der Studienanfänger 511000 Personen; Neuzugänge in die duale Berufsausbildung 490000 Personen, im Schulberufssystem (schulische Berufsausbildung ohne betrieblichen Teil, etwa Erzieher) 214000 Personen. Also rund 700000 junge Menschen starten eine Berufsausbildung, allerdings ein Drittel keine duale. Daneben gibt es den Übergangssektor für Personen, die nach dem allgemeinbildenden Schulsystem weder eine Ausbildung noch ein Studium absolvieren. Hier liegt die Zahl der Neuzugänge bei rund 292000 Personen.

  16. Bode 2016.

  17. Nida-Rümelin 2014.

  18. Ein anderes Beispiel verdeutlicht die Dynamik einer solchen Entwicklung: Würde sich das Budget aller Bundesligavereine verdoppeln, wären nicht nur die Unterschiede verdoppelt, sondern es hätte den Effekt, dass die Wahrscheinlichkeit für die »kleinsten« Vereine, Bayern München oder Borussia Dortmund zu besiegen, wesentlich geringer wird.

  19. Entsprechend ist dies auch ein Hinweis darauf, dass die Hauptstrategie von Gewerkschaften nicht zu einer Verringerung von Ungleichheit führt. Prozentuale Erhöhungen erhöhen die absoluten Einkommensunterschiede und stabilisieren die relativen Unterschiede. Anders wäre es, wenn alle 300 Euro mehr bekämen. Das würde den absoluten Unterschied gleich halten, aber der relative würde kleiner werden. Auch diese Form der Erhöhungen wird von Gewerkschaften manchmal verfolgt, bildet aber nicht den Schwerpunkt.

  20. Geißler 1996, S. 263. Selbstständige Akademiker sind insbesondere Rechtsanwälte und Ärzte.

  1. Einerseits konnten alle Gruppen ihre Studienchancen zwischen 1969 und 2000 in etwa verdoppeln. Andererseits ist dadurch die Schere weiter auseinandergegangen. Insbesondere Kinder von Beamten und Selbstständigen haben vom Ausbau der Universitäten profitiert, während der Anteil der Arbeiterkinder, die eine Universität besuchen, nach wie vor gering ist.

  2. Geißler 1996, S. 260.

  3. Beck 1986. Eine andere Metapher ist die des »Rolltreppeneffekts«, Castel 2005.

  4. Zum Begriff »Gastarbeiter« und zur Unterschichtung der Sozialstruktur: Hoffmann-Nowotny 1987; Geißler 2011; El-Mafaalani 2020.

  5. Hierzu auch El-Mafaalani 2018a.

  6. Seit den 1990ern haben Einwanderer ein höheres Bildungsniveau als zu Zeiten der Gastarbeitermigration.

  7. Vester 2008.

  8. Geißler 2011, S. 286.

  9. Im Vergleich zu anderen Studien zeigt sich, dass »die soziale Mobilität in Deutschland im internationalen Vergleich mit am geringsten ausgeprägt ist. Für Männer weist Deutschland den größten Einfluss der sozialen Herkunft auf« (Pollak 2010, S. 37). Auch im Zeitverlauf ändert sich an der Abhängigkeit der Mobilitätschancen vom Elternhaus kaum etwas.

  10. Das ist bei Inflation häufiger so. Zurück zum Beispiel mit der Professorin und ihrer Sekretärin: Durch die Verdoppelung der Einkommen wird es zu einer Inflation kommen. Allerdings ist die durchschnittliche Inflation wenig aussagekräftig. Es ist wichtig zu wissen, was besonders stark im Preis steigt und was weniger stark. Wenn sich Produkte und Dienstleistungen der Grundversorgung im Preis mehr als verdoppeln und etwa Luxusgüter nur geringer im Preis ansteigen, dann steigt der Lebensstandard der Sekretärin nicht, während sich die Professorin real mehr leisten kann. Die Inflation belastet unterschiedlich stark.

  11. Die Überholspur gibt es in unserer Gesellschaft kaum noch, wie es Heinz Bude formuliert. Ohne mühsame Bildungskarriere ist auch keine Berufskarriere mehr möglich. Dies hat Folgen für einen Teil der Benachteiligten. Früher konnte man daran glauben, dass man durch Findigkeit und Engagement auch ohne höhere Abschlüsse etwas aus seinem Leben machen konnte – zumindest war das etwas wahrscheinlicher als heute. Dadurch, dass daran niemand mehr glaubt, macht sich in bestimmten Milieus – sogar bei Jugendlichen – Resignation breit.

  12. Vergleichbar mit einer Inflation des Geldes, wo man ja auch zunehmend auf andere Zahlungsmittel (Gold oder Zigaretten) umsteigt.

  13. So erfreut sich der Lateinunterricht zunehmender Beliebtheit. Eine aktuelle Studie weist darauf hin, dass es sich um eine Distinktionsstrategie der oberen Klassen handelt, um sich von der Masse abzuheben. Offenbar mit Erfolg. Gleichzeitig weisen die Autoren darauf hin, dass ein positiver Effekt im Hinblick auf die sprachliche Kompetenz im Allgemeinen, insbesondere zum Erlernen anderer Fremdsprachen, nicht gegeben ist (Gerhards u.a. 2019).

  14. Das sind Durchschnittswerte. Im Detail und in bestimmten Bereichen kann dies anders sein.

  15. Ob diese Erhöhung in gleicher Weise stattgefunden hat wie die Erhöhung des Bildungsniveaus, ist umstritten. Geißler 2011, S. 282, diskutiert neuere Daten, die darauf hinweisen, dass sich höhere und mittlere Berufspositionen in ähnlichem Umfang vermehrt haben wie höhere und mittlere Bildungsabschlüsse. Daher könne nicht (mehr) von einer allgemeinen Bildungsinflation die Rede sein. Anders als er es noch 1996 analysiert hatte.

  16. Die Bildungserträge in Deutschland sind im internationalen Vergleich sehr hoch, was insbesondere daran liegt, dass für fast alle Berufe ein ganz bestimmter Berufs- bzw. Bildungsabschluss vorausgesetzt wird (Pollak 2009). Der Zugang zu vielen Berufen wird also über ein vergleichsweise rigides Berechtigungswesen geregelt, wodurch Berufseintritt und -wechsel schwieriger zu realisieren sind als in anderen Ländern. Und ohne »anständige« Qualifikation geht im Prinzip nichts mehr.

  17. U.a. Geißler 1996; Vester 2008; Krah/Wahl 2006.

  18. Das Beispiel in Anlehnung an Fred Hirsch 1977.

  19. Dies lässt sich nicht ewig fortführen. Wahrscheinlich ist es wie mit der Körpergröße. Bessere Rahmenbedingungen haben diese permanent steigen lassen. Irgendwann ist ein Maximum erreicht. Mit dem IQ scheint es in den Industriestaaten auch langsam, aber sicher zu einem Sättigungs- bzw. Deckeneffekt zu kommen. Aber dennoch: Wer heute einen durchschnittlichen IQ hat, wäre vor 50 Jahren weit überdurchschnittlich gewesen und vor 100 Jahren hochbegabt.

  20. Selbst in diesem Jahrtausend scheint der IQ-Anstieg sich leicht fortzusetzen, auch für Deutschland (Flynn 2012) – insbesondere im visuellen und logischen Denken, während sich der Wortschatz nicht verschlechtert.