Radioaktivität

Inhaltsverzeichnis

»Radioaktivität ist etwas ganz Schlimmes« – aber was? Strahlenverseuchung, Tschernobyl, Atombombe sind zu Recht Schreckensbegriffe der Menschheit. Die größte Angst hat aber jeder vor Dingen, die man nicht kennt. Als die radioaktive Wolke aus Tschernobyl sich ausbreitete, glaubten manche Kleingärtner, sie müssten aus ihrem Gemüsegarten alles rausreißen, denn »da ist überall Atom drin!«. Auf Geheiß der Behörden wurden radioaktiv (leicht) belastete Salatfelder zwischen Bonn und Köln abgeräumt – und die billig erworbene Ernte wurde dann von findigen Holländern weiterverkauft. Mit der Angst vor Unbekanntem versuchen manche Politiker (die in vieler Hinsicht selbst nicht genug wissen und auch Angst haben), Zutrauen ausgerechnet zu ihnen selbst zu wecken. Horrorfilme bewirken Angst, solange man die Masken und Spezialeffekte nicht als solche durchschaut – wenn man das tut, kann man über die Filmtechnik staunen und oft über die Filmhandlung und die Schauspieler lachen.

Radioaktivität, Kernstrahlung, Kernkraftwerke, Atommüll und Atomwaffen sind aber nicht nur Schlagworte und Filmkulissen, sie existieren wirklich, und sie sind mit schrecklichen Gefahren verbunden – letzthin, im Fall des Geheimdienstlers Litwinenko, diente radioaktives Material sogar als Mordwaffe. Dennoch ist aber nicht alles schrecklich an der Radioaktivität: Sie ist ein natürlicher Prozess, der Zerfall instabiler Atomkerne. Ohne Radioaktivität gäbe es die Welt, die wir kennen, nicht – und uns selbst damit

Wie in der Medizin, kommt es auch beim Umgang mit Radioaktivität auf die Dosis an. Bei vielen Medikamenten ist eine kleine Menge hilfreich und eine große Menge schädlich. Beim Essen ist eine kleine Menge vielleicht nicht ausreichend, um den Hunger zu stillen, aber viele von uns essen täglich eine kleine Menge zu viel, und das schadet der Gesundheit langfristig durchaus. Beim Umgang mit Radioaktivität hat noch niemand beweisen können, dass eine geringe Menge für ein lebendes Wesen von Vorteil wäre (auch wenn es Leute gibt, die so etwas behaupten); eine große Menge ist aber nachweislich schädlich. Unsere Körperzellen sind darauf eingerichtet, das Erbmaterial (DNS) in den wichtigen Zellen fortlaufend zu reparieren. Das ist offenbar nötig, weil eine Vielzahl von Strahlungen und von chemischen Einflüssen immer wieder zu Schädigungen führt. Die Evolution kommt also mit einem gewissen Maß an Strahlenschäden zurecht, sonst gäbe es unsere Vorfahren und uns selbst nicht. Diese natürliche Reparaturfähigkeit bietet uns Menschen die Möglichkeit, mit Radioaktivität technisch und medizinisch umzugehen und nützliche technische und medizinische Verfahren zu entwickeln und anzuwenden.

Gleichzeitig bestehen enorme Gefahren durch Kernwaffen und durch große Mengen radioaktiven Materials, insbesondere bei unsachgemäßem Umgang mit kerntechnischen Anlagen, Kernbrennstoffen und Atommüll. Das ist ein Gebiet starker politischer und wirtschaftlicher Interessen. US-Präsident Eisenhower schlug das internationale Programm »Atoms for Peace/Atome für den Frieden« 1953 in der Vollversammlung der Vereinten

Versuchen wir, die Tatsachen im Blick zu behalten. Dazu möchte ich in diesem Buch erläutern, was Radioaktivität und Kernstrahlung sind, wie wir dauernd damit zu tun haben, sie messen, sie nutzen, uns vor ihnen zu schützen suchen oder uns ihnen ungewollt oder gewollt aussetzen. Es wäre schön, wenn Sie als Leser dann erkennen könnten, wo im Alltag Sie mit Radioaktivität zu tun haben, wo sie Ihnen eher nützt oder eher schadet.

Nein, dies ist kein Lehrbuch der Kernphysik und Kerntechnik. Wenn Sie sich trauen, dann lesen Sie in der im Anhang angeführten Literatur weiter. Kollegen aus der Bochumer Kernphysik haben zum Beispiel nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl ein handliches Büchlein »Radioaktivität« zusammengestellt (H. von Buttlar und M. Roth, Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag, 1990, im Handel vergriffen), in dem Sie die wichtigsten Formeln, Diagramme und etliche technische Beispiele finden, aber Sie sollten dazu schon einiges an Vorkenntnissen aus der Physik und Mathematik mitbringen. Die hat nicht jeder, und deshalb

Ich selbst bin kein Kernphysiker, sondern Atomphysiker (die beschäftigen sich mit der Elektronenhülle des Atoms, mit Licht, Lampen, Lasern usw.; Kernphysiker kümmern sich um den viel kleineren Atomkern und seine vieltausendmal höheren Energien, um die Physik, die für Kernwaffen, Kernkraftwerke und Kernmedizin benutzt wird). Damit stehe ich schon etwas außerhalb der Kernphysik und somit dem unvorbelasteten Publikum näher. Ich hoffe, auf meine fachfremde und untechnische Weise mich auch für die Leser verständlich auszudrücken, die diese Vorkenntnisse nicht haben, möchte aber dabei nicht ungenau sein. Ich hoffe allerdings auch, dass Sie des Öfteren feststellen werden, dass die Dinge eigentlich gar nicht so kompliziert sind (es sei denn, man beschäftigt sich beruflich damit – dann braucht es höchste Genauigkeit und große Detailkenntnis).

Mein Wunsch beim Schreiben ist der, dass Sie als Leser so viel Einsicht in das Wesen der Radioaktivität gewinnen, dass Sie anschließend angemessene Vorsicht walten lassen, aber keine unnötige Angst davor haben; dass Sie weder den Scharlatanen, die Ihnen die Kerntechnik als Wundermittel anpreisen, noch Leuten, die den nahen Weltuntergang ausmalen und ihn mit derselben Technik verknüpfen, so leicht auf den Leim gehen. So merkwürdig es klingen mag, Radioaktivität ist ein natürlicher Prozess. Was man daraus macht, wie man damit umgeht – das betrifft uns allerdings alle.

 

Bochum, im Herbst 2006

Elmar Träbert

Fukushima hat uns 2011 neu aufgerüttelt. Diesmal gab es Fernsehbilder von den Erdbebenschäden in Japan und dem nachfolgenden Tsunami. Neben den unmittelbaren Verwüstungen an den japanischen Küstenorten nordöstlich von Tokio trat im Laufe von Tagen eine weitere, nukleare Katastrophe ins Blickfeld: die durch Erdbeben und Tsunami am Kernkraftwerk Fukushima I mit seinen mehreren Reaktoren entstandenen Schäden, die chaotische und verwirrende Informationspolitik der Betreiberfirma, die Schwierigkeit, überhaupt das wirkliche Ausmaß der Schäden festzustellen, die Evakuierung von Zigtausend Einwohnern einer allmählich ausgeweiteten Region, die Befürchtungen für die Wasserversorgung Tokios, Radioaktivität im Meer, Angst um Lebensmittel und Exporte, verkündete und zurückgezogene Messwerte für die Strahlenbelastung. Was bedeutet das für die japanische Bevölkerung, was für uns, die wir so fern von Japan leben, aber vielleicht schon dort waren und wieder hinreisen möchten?

War das »höhere Gewalt«, für deren Wirkungen man nicht genug vorsorgen konnte? Oder kann man in diesem Fall Parallelen zu Ereignissen und Vorgängen sehen, die in unserer Nachbarschaft geschehen sind und sich noch vollziehen? Hat die Diskussion um eine Energiewende, um die Abkehr von der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke, nur ein drastisches Beispiel erhalten, das die einen als »untypisch und in Deutschland unmöglich«

 

Bochum, im Frühjahr 2011

Elmar Träbert

Im Juli 2006 schrillten die Alarmglocken. Störfall im schwedischen Kernreaktor Forsmark-1. Im Umspannwerk (zur Einspeisung der dort erzeugten Elektrizität ins schwedische Stromnetz) gab es einen Kurzschluss. Da musste der Kernreaktor schleunigst abgeschaltet werden, um nicht weiter Hitze für die Dampfturbinen zu liefern. Das funktionierte auch, aber ein Kernreaktor hört nicht binnen Sekunden auf, Wärme zu liefern. Das Kühlwasser, das die Wärme vom Reaktor wegführt, muss weiterhin bewegt werden, frisches Kühlwasser muss zugeführt werden. Die Pumpen dafür werden mit elektrischem Strom betrieben – aber ohne Umspannwerk war das Kraftwerk auch vom Strom von draußen abgeschnitten. Ohne Kühlung kann der Reaktorkern schmelzen, das überhitzte Kühlwasser kann als Dampf das Reaktorgefäß und das Schutzgebäude sprengen, Radioaktivität in großen Mengen die Umwelt verseuchen.

Für solche Fälle ist ein Notkühlsystem vorgesehen, für das der Strom von Dieselmotoren und angeschlossenen Generatoren geliefert wird – aber von den vier Notstromgeneratoren sprangen nur zwei an, und das reichte nicht. Die Betriebsmannschaft schaffte es, nach 20 Minuten die beiden anderen Notstromaggregate von Hand anzuwerfen; damit war die drohende Katastrophe abgewendet.

20 Minuten zum Anwerfen von zwei Dieselmotoren? Wieso dauerte das so lange? Weil auch ein großer Teil der Überwachungselektronik des Kernkraftwerks bei dem ersten Kurzschluss ausgefallen war; die Operateure wussten

Der Kernkraftwerksunfall von Tschernobyl (1986) wurde zunächst von den Betreibern und der sowjetischen Regierung verheimlicht. Die Strahlenmessgeräte am Kraftwerk Forsmark (ebenjenes, das 2006 an einer Katastrophe vorbeischrammte), über tausend Kilometer entfernt, schlugen damals ein paar Tage später Alarm – sie waren für das Aufspüren von aus dem Haus geschleppter Radioaktivität eingebaut worden, aber damals war die Radioaktivität der Luft draußen höher als die drinnen im Kraftwerk!

Nach Forsmark 2006 wurden die üblichen Untersuchungen angestellt, wurde versucht herauszufinden, ob solch eine Panne auch anderswo hätte geschehen können. Ja, das Problem mit den Notstromaggregaten hätte auch anderswo auftreten können, sagten zum Beispiel Leute der AEG, die seinerzeit an Elektroinstallationen in Forsmark mitgebaut hatten. (Die AEG ist inzwischen aus diesem Geschäft ausgestiegen, sie muss also keine diesbezüglichen Geschäftsinteressen mehr wahren.) »Aber nicht an deutschen

Die Bevölkerung soll solchen Äußerungen glauben, soll Vertrauen haben. Als Wissenschaftler bin ich darauf trainiert, Wissen zu schaffen, Vermutungen durch Experimente zu überprüfen. Natürlich kenne ich mich nicht auf allen Gebieten aus, auch ich muss auf die Ehrlichkeit, Professionalität und Gewissenhaftigkeit meiner Fachkollegen vertrauen. Deren Arbeiten sind innerhalb des Wissenschaftsbetriebes aber im Prinzip überprüfbar, anders als die Äußerungen von Wirtschaftsverbänden, Firmen oder Behördenvertretern, die sich gegen manche Begehren nach Auskunft hinter Schutzwälle im Rahmen der nationalen Sicherheit zurückziehen.

Die schwedischen und finnischen Strahlenschutzbehörden (Forsmark liegt der finnischen Küste gegenüber) halten den Vorfall im Kernkraftwerk Forsmark im Nachherein für »sehr ernst«, aber eine Kernschmelze sei nicht zu erwarten gewesen. Wieso nicht? Weil nach vielen Mühen schließlich doch noch zwei (von vier) Notstromgeneratoren ansprangen und funktionierten? Das war während des Störfalls aber nicht einmal klar.

Forsmark erscheint (weil es gut ausging) wie ein Bagatellfall. Es gibt aber Leute, die meinen, nach nur weiteren drei Minuten ohne Elektrizität (und damit Betrieb der Kühlwasserpumpen) hätte eine Kernschmelze beginnen können. Es ist genau so ein Szenario, das – abgesehen von äußerer Gewalteinwirkung durch Naturkatastrophen oder Flugzeugabsturz – den Experten die größte Sorge bereitet: Die Verbindung zum Stromnetz draußen versagt ebenso

Was hätte denn in Forsmark oder Fukushima noch passieren können? Hätte der Reaktorkern schmelzen, das Kraftwerk explodieren und große Teile Schwedens bzw. Japans radioaktiv verseuchen können? Was ist überhaupt »Radioaktivität«? Woher stammt sie, ist sie nur schädlich, kann man sie sinnvoll nutzen – und wenn, wie? Kann man das auch ohne technisch-wissenschaftliches Kauderwelsch erklären? Das versuche ich in diesem Buch.

Dazu müssen wir aber zunächst einen (scheinbar) langen Umweg gehen, durch Milliarden von Jahren, in die Frühzeit unseres Universums. Keine Bange, ich begleite Sie auch wieder zurück. Und danach sehen wir uns gemeinsam an, welche Rolle Radioaktivität in unserem heutigen Leben spielt.

Strahlen von oben und von unten: Sonnenenergie und Erdwärme

Das Weltall ist kalt, sehr kalt. Wo wir leben, auf der Erde, ist es etwa hundert Mal wärmer, als es für das Weltall typisch ist. Hier zeigt das Thermometer ungefähr 300 Kelvin, die  kosmische Hintergrundstrahlung (nicht erschrecken, das erkläre ich gleich noch!) weist eine Temperatur von knapp 3  Kelvin auf. Das ist der Rest eines einst sehr, sehr heißen Feuers, einer Explosion (»Big Bang« oder Urknall), in der unser Universum vor so etwa 14 Milliarden Jahren entstand.

Woher wissen wir das – da war doch niemand dabei und hat es aufgeschrieben? Und wenn, könnten wir die Aufzeichnungen lesen, würden wir ihnen glauben? Wohl kaum. Wir beobachten unsere Umwelt und stellen fest, wie eine heiße Kaffeetasse abkühlt. Wenn uns der Kaffee lauwarm serviert wird, gehen wir dennoch davon aus, dass er zunächst heiß aufgebrüht wurde, weil nur dann das Aroma aus den gemahlenen Kaffeebohnen in das Wasser übergeht. Wenn der heiße Kaffee in eine vorgewärmte Kanne oder Tasse gegossen wird, bleibt er länger warm als mit anfangs kaltem Geschirr, aber früher oder später kühlt er doch ab, gibt Wärme an die Umgebung ab, sei es durch die Berührung mit dem Geschirr oder der Luft. Selbst wenn wir eine Thermosflasche verwenden, die

Unser Planet Erde hat eine mittlere Oberflächentemperatur von etwa 15 Grad Celsius – oder 288 Kelvin. Unsere Celsius-Temperaturskala richtet sich nach dem Temperaturbereich, in dem Wasser flüssig ist (und weder Eis noch Dampf); die Kelvin-Skala beginnt bei der tiefsten möglichen Temperatur, dem »absoluten Nullpunkt«, die Grade auf beiden Skalen sind gleich groß. 15 Grad, das ist ein Mittelwert zwischen Polargebieten und Tropen, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Wir Menschen suchen uns gerne aus, in welcher Gegend wir uns zu welcher Zeit aufhalten, damit wir angenehme Temperaturen erleben. Wenn es zu kalt ist, brauchen wir entsprechende Kleidung und Heizung, wenn es zu warm ist, suchen wir nach klimatisierten Räumen. (Das Reisen in die angenehmste Gegend, Heizung und Kühlung erfordern Energie, und die ist bei Weitem nicht von jedem zu bezahlen, aber das ist nicht Stoff dieses Buches.) Das Leben auf der Erde hat sich den Bedingungen entsprechend entwickelt und verteilt. Wo es nur 15 Grad kälter ist als der genannte Mittelwert, friert das Wasser zu Eis; Lebewesen, die auf flüssiges Wasser angewiesen sind, können dort nicht überleben. Wo das Wasser zu warm ist, kann es nicht genug Sauerstoff aufnehmen, den die Fische daraus atmen. Warmes Wasser (in den Tropen) ist nährstoffarm (und deshalb gut durchsichtig, zur Freude der Sporttaucher); kaltes Wasser (in den Polargebieten) kann mehr Nährstoffe enthalten (deshalb ziehen die Wale dorthin und fressen sich satt). Aus dem gleichen Grund müssen zum Beispiel große Kraftwerke, die Flusswasser zur

Unsere Erde ist warm, unser Leben ist daran angepasst. Was passiert, wenn die Erde kälter oder wärmer wird, was war, als sie früher wärmer war? Kühlt unsere Erde denn nicht auch ab wie der Kaffee in der Tasse (und auch die Tasse)? Ja, sie tut es, und wenn sie allein im Weltall wäre, wäre sie schon lange so kalt, dass auf ihr kein Leben überleben könnte. Zu unserem Glück – sonst gäbe es uns nicht – wird sie aber geheizt, unter anderem von der Sonne.

Kühlt sich denn die Sonne nicht ab? Die Sonne verbrennt Wasserstoff zu Helium, schon seit etwa 4,7 Milliarden Jahren, und hält so etwa ihre Temperatur. Dieser  Fusionsreaktor wird auch noch etwa 4 Milliarden Jahre so weiterarbeiten, bevor in seinem Inneren der Brennstoffverbrauch zu Umschichtungen führt, die Sonne sich bis über die Erdbahn hinaus aufbläht und die Erde verschluckt. Grund zur Sorge? Nicht für uns und die nächsten paar Hundert Millionen Generationen – da machen wir Menschen uns untereinander ganz andere Probleme!

Woher wissen wir denn, dass die Sonne weiterhin scheinen wird? Die Sonne ist ein Stern wie viele andere. Astronomen und Astrophysiker beobachten die Sterne, messen ihre Eigenschaften, sortieren und klassifizieren, überlegen, welche physikalischen Prozesse im Licht der Sterne Spuren hinterlassen. Was sie daraus schließen, entspricht dem Kenntnisstand der Zeit. Bis vor hundert Jahren kannte man nur chemische Verbrennungsprozesse. Da rechnete man zum Beispiel aus, wie lange die Sonne so leuchten könne, wenn sie aus Kohle bestünde,

Zu dieser Zeit hatten die Geologen aber schon begonnen, das Alter der Erde aus Gesteinsablagerungen abzuschätzen, und »die Erde wurde zunehmend älter« – der Erde war das egal, aber die Menschen erkannten endlich (in vielen Schritten), dass die Erde und das Leben darauf nicht Tausende von Jahren, nicht Millionen, sondern schon Milliarden Jahre bestanden. Das passte aber nicht mit einer chemischen Energiequelle zusammen, die reicht dafür einfach nicht aus. Was lässt aber dann die Sonne so lange und so hell leuchten? Es sind kernphysikalische Prozesse, die ich im nächsten Kapitel erläutern möchte. Diese Erkenntnis stammt aus den 1930er-Jahren, mit der Entdeckung der Kernkräfte und der Struktur der Atomkerne.

Wenn die Sonnenstrahlen einen dicken Brocken Gestein aufwärmen, dann muss die Temperatur dieses Brockens an der Oberfläche am höchsten sein. Von dort aus dringt die Wärme in die Tiefe, aber die Temperatur kann nicht höher sein als an der Oberfläche, sonst würde sich der Wärmefluss umkehren. In jedem Bergwerk zeigt sich, dass es in der Tiefe wärmer wird, und zwar erheblich. Mittlerweile haben die Geologen herausgefunden, dass im Erdinneren die Temperatur so hoch ist, dass Steine schmelzen – der Erdkern ist heiß und flüssig. Vielleicht hat die Erde heiß und flüssig angefangen und kühlt sich seitdem ab? Dann wäre sie längst kalt wie der Kaffee in der

Übrigens trägt nicht nur die »Fußbodenheizung« Radioaktivität zur ausreichenden Wärme an der Erdoberfläche bei. Unsere Erdatmosphäre, mit Sauerstoff und Ozon (ein besonderes Sauerstoffmolekül), mit Wasserdampf und Kohlendioxid, vor allem mit Wolken (aus Wasserdampf), hilft, die Sonnenstrahlung wie in einem Treibhaus zur Erwärmung zu nutzen. Ohne Wolken (und Treibhausgase) ginge ein Großteil der Sonnenenergie durch die nachfolgende Wärmestrahlung der Erde gleich wieder verloren. Dann wäre die Erdoberfläche vielleicht 30 oder 35 Grad kälter als jetzt – saukalt – und für unser Leben ziemlich ungeeignet.

Das Leben auf der Erde passt sich an das veränderliche Gleichgewicht der Bedingungen an, und es hat im Laufe der Zeit auch die Erde und ihre Atmosphäre stark beeinflusst. Derzeit scheinen wir eine Änderung in den atmosphärischen Bedingungen zu erleben, die innerhalb weniger Generationen tief greifende Änderungen für unsere Lebensbedingungen mit sich ziehen mag. Aber das ist

Winzlinge

Alles, was wir als Materie um uns herum wahrnehmen, besteht aus Atomen und Molekülen. Das Wassermolekül, H2O, besteht aus zwei Wasserstoffatomen (H) und einem Sauerstoffatom (O). Jeweils zwei freie Wasserstoffatome schließen sich gern zu einem Wasserstoffmolekül (H2) zusammen, je zwei freie Sauerstoffatome zum Sauerstoffmolekül O2. Freie Atome gibt es eigentlich auf Dauer nur bei den »Edelgasen« (Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon). Diese Atome gehen ungern Bindungen ein, weder mit gleichartigen Atomen noch mit denen anderer Elemente.

Die Bindungen zwischen den Atomen werden durch die Elektronen der Elektronenhülle jedes Atoms vermittelt. Diese Elektronen im Atom sind in unterschiedliche Energiestufen einsortiert; solch eine Stufe oder Schale ist voll, wenn sie zwei oder acht Elektronen enthält. Kommen noch mehr dazu, müssen sie in Schalen höherer Anregungsenergie einsortiert werden. Das ist gleichzeitig eine Schale geringerer Bindungsenergie, das heißt, es ist auch einfacher, dem Atom solche Elektronen zu entreißen. Atome, in deren äußerer Schale keine acht

Der langen Rede kurzer Sinn: Wir sprechen von 92 verschiedenen, natürlich auftretenden Elementen (Atomsorten), die eine Vielzahl (Millionen und Abermillionen) verschiedener Moleküle bilden können, indem sich zwei, drei oder mehr Atome meist verschiedener Elemente durch teilweisen Elektronenaustausch miteinander verbinden. Die Struktur (räumliche Anordnung und Bindungsenergie) der Elektronen in der äußersten Elektronenschale bestimmt, welche Atome wie zusammenpassen – das macht die Chemie aus, die Lehre von der Umwandlung der Stoffe. Sortiert man die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften, so zeigen sich bestimmte Ähnlichkeiten; die Elemente lassen sich nach diesen Ähnlichkeiten in ein periodisches System der Elemente einordnen – wie zum Beispiel die bereits angeführten Edelgase.

Worin unterscheiden die sich eigentlich voneinander? Ihre Atome sind unterschiedlich schwer. 6·1023 Atome des Gases  Helium (eine Zahl mit 23 Nullen!) wiegen zusammen 4g, die von Neon etwa 20g, von Argon etwa 40g, von Krypton etwa 86g, von Xenon etwa 127g und von  Radon etwa 222g. Sie kennen Heliumballons, Neonröhren als Leuchtreklamen, Argon als Schutzgas beim Schweißen (Argon ist von allen diesen Edelgasen das auf der Erde häufigste und billigste), Krypton in Glühlampen, Xenon in modernen Autoscheinwerfern.

Wir wollen nicht ausrechnen, wie viel jeweils ein Atom wiegt, sondern wir wollen Prinzipien erkennen und

Die Neutronen wiegen fast genauso viel wie die Protonen und sind auch praktisch gleich groß. Zwar stoßen die positiv geladenen Protonen einander elektrisch ab, aber die anziehenden Kernkräfte zwischen den Nukleonen (Protonen und Neutronen) sind noch stärker und halten die Nukleonen zusammen, sodass sie einander berühren. Wie groß sind die Dinger denn überhaupt? Zehn Millionen Atome nebeneinandergelegt machen einen Millimeter aus, von den Nukleonen braucht man für die gleiche Strecke tausend Milliarden. Winzlinge!

Von den Neutronen kann es in einem Atomkern unterschiedliche Anzahlen geben, das wirkt sich in kleinen Effekten aufgrund des Gewichtsunterschiedes der Atome aus. Ich werde darauf noch eingehen. Im Helium-Atomkern finden wir zwei Protonen und zwei Neutronen, also 4 Nukleonen. Neon hat 10 Protonen und meist 10 Neutronen, also 20 Nukleonen; Argon 18 Protonen und meist

Schön und gut, das sind die Elemente, die wir kennen. Wo stammen die her? Gab es die schon immer? Bleiben die für immer?