Inhaltsverzeichnis

1.

Die Fortpflanzung. Seit Urzeiten ist dieses Themenfeld mit Tabus und Tretminen durchtrieben, und so

Peter Paul Rubens, Samson und Delilah (1609) © Fine Art Images/ARTOTHEK

 

Der jüdische Held Samson schläft im Schoß der Delilah seinen Rausch aus. Zuvor verführte sie ihn, um hinter das Geheimnis seiner Kraft zu kommen. Die Methode verwendet seitdem jedes Bond-Girl. Beim Liebesspiel kann Delilah ihm die Geheiminformation entlocken: Es liegt an seinen langen Haaren. Delilah liefert ihn an die Philister aus und Samson werden daraufhin die Haare geschnitten und die Augen ausgestochen. Schon im Alten Testament hat das Begehren die Sprengkraft, die jeden Geheimagenten zu Fall bringen kann. Sex kann ins Auge gehen. Warum ist das so?

 

Die Themen Sex und Fortpflanzung bestimmen Kultur und Leben. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen denken zum Beispiel Männer 60 Prozent des Tages an Sex. 60 Prozent! Das überrascht viele. Denn das heißt: nur 40 Prozent an Fußball. Man sagt, Sex wäre der Ursprung der Kultur, der Motor der Evolution und wichtig für die Gesundheit. Deutschen Forschungsergebnissen zufolge verbraucht man zum Beispiel bei einem Mal Sex so viele Kalorien wie auf einer Radtour von Köln nach Bergheim. Wobei, wer beides kennt, weiß, dass es Unterschiede zwischen Sex

 

Fortpflanzung ist ein Thema, dem man kaum entgehen kann. Im Fernsehen, in Zeitungen, von jeder Werbung aus schauen einen heute sinnliche Nackte an und signalisieren Paarungsbereitschaft. Letztens war zum Beispiel Internationale Automobilausstellung. Da räkelten sich wieder knapp bekleidete Frauen auf Motorhauben.

Alles, um uns zu erregen. Dabei ist das Quatsch. Die meisten Männer, die so ein Bild sehen, sagen sich nicht: »Boah, ist das erregend.« Die sagen: »Nimm die Frauen da weg, die machen Kratzer in den Lack!«

 

Sex ist in unserer Gesellschaft ein dominantes Thema. Zum Teil so sehr, dass sich manche davon fast unter Druck gesetzt fühlen. Gerade wenn man wenig oder keinen Sex hat, was ja auch vorkommen kann. Denn besonders in langen Beziehungen nimmt der Sex ab.

 

Das ist einfach so und kein Grund zur Besorgnis. Freunde von mir zum Beispiel waren 30 Jahre total glücklich. Am Anfang waren die wild und leidenschaftlich.

 

Und dann ist das mit dem Sex immer weniger geworden. Das hat denen aber nie was ausgemacht. Die

 

Dabei ist wissenschaftlich erwiesen, dass häufiger Sex mit demselben Partner die Lust dämpft. Weil der Sex routiniert wird, einer immer gleichen Dramaturgie folgt und daher nicht mehr so interessant ist. Ich kenne Paare, die haben mir erzählt, die erotische Spannung sei bei ihnen so raus, sie würden inzwischen beim Sex an die Steuererklärung denken. Ich kenne andere, die machen sie sogar dabei. Denn der Alltag vernichtet auch die Leidenschaft. Deshalb enden Liebesfilme ja auch immer, wenn die Verliebten gerade glücklich zusammen sind. Da sagt Humphrey Bogart zu Ingrid Bergman am Flughafen: »Ich schau dir in die Augen, Kleines.« Und küsst sie. Keine Sau und sagt: »Mäh schon mal den Rasen. Ich fahr noch zum Baumarkt.« Richard Gere und Julia Roberts küssen sich am Ende von »Pretty Woman«. Niemand sieht, wie die vielleicht hinterher drei Kinder mit ADHS haben und seine nervige Mutter noch bei ihnen einzieht. Die zeigen auch die Paare immer jung und attraktiv. Und nicht wie die Frau älter wird und der Mann einen Bauch bekommt. Wobei ich die Männer schon höre: »Das ist kein Bauch, was ich da hab. Das ist runtergeschluckter Stolz.« Jedenfalls sagen alle Therapeuten: Auch wenn die Flammen der Leidenschaft nicht mehr so lodern, ist das nicht schlimm. Wichtig ist, dass man über die Unzulänglichkeiten gegenseitig lachen kann. Dass man auch Themen wie Liebe, Sexualität und Attraktivität mit Humor betrachtet. Mal einen Witz macht. Wenn der Partner fragt: »Findest du mich noch attraktiv, oder bin ich zu dick?« Dass man dann einfach sagt: »Nein, du bist wunderbar, Schatz. Aber warte, bevor du hoch in den ersten Stock kommst. Ich will noch kurz die Statik überprüfen lassen.« Dann lacht man. Und das entspannt die Situation enorm. Und daher wollen wir in diesem Buch das ganze Thema als Quell der Erheiterung betrachten. Aber auch die Kultur der Fortpflanzung beleuchten. Oder auch der ausgefallenen Fortpflanzung. Denn wenn der gemeinsame Sex abhandenkommt, gibt es immer noch die individuelle Variante, und auch die kann göttlich sein.

Gott

In der Bibel spielte er nur eine Nebenrolle, ist aber in der abendländischen Kultur- und Sittengeschichte zu einer Hauptfigur avanciert: Onan. Eine Figur des Alten Testaments, die nach jüdischem Gesetz die Witwe seines Bruders heiraten sollte, um dem auf diesem Wege quasi zu Nachkommen zu verhelfen. Onan hatte aber überhaupt keine Lust, wobei die Bibel die genauen Gründe verschweigt: War’s die Witwe oder scheute er die Verantwortung, vielleicht war er schwul? Jedenfalls – jetzt wörtlich – »ließ er seinen Samen auf die Erde fallen und verdarb ihn«. Seine Weigerung verstieß gegen das Gesetz der Schwagerehe, und er wurde für den Frevel getötet, ist aber immerhin als Namenspatron fürs Onanieren bis heute in lebendiger Erinnerung.

 

In der Bibel geht es um einen Mann – in der Natur um alle Menschen. Gustav Klimt, Nackte (1919) © bpk/The Metropolitan Museum of Art

 

Für

 

Die Selbstbefriedigung wird bis heute mit einem Schleier der Scham oder des Tabus bedeckt. Auch da gab es ganz andere Umgangsweisen in der Antike. Von Diogenes, dem radikalsten unter den griechischen Philosophen, der bekanntlich in einer Tonne lebte, um seine Unabhängigkeit zu betonen, wird erzählt, er habe bisweilen auf dem Markt onaniert und, darauf angesprochen, erwidert: »Wie schön wäre es doch, durch das Reiben des Bauches den Hunger vertreiben zu können.«

 

2.

Eigentlich liegt die größte Kulturleistung des Menschen darin, keinen oder wenig Sex zu haben. Denn die meisten Religionen, Philosophien, Künste und Bücher sind entstanden, weil die Menschen was Sinnvolles gemacht haben, statt im Schlafzimmer die Zeit zu verplempern. Man kann ja nicht nur Kinder erschaffen, sondern auch große Werke. Nehmen Sie nur Sokrates.

 

Seine Frau hieß Xanthippe. »Xanthippe« ist griechisch und heißt übersetzt: »Ich habe Kopfschmerzen.« Die wollte nämlich in Liebesdingen nichts mehr von ihm wissen, und deshalb hat er angefangen nachzudenken und die ganze abendländische Philosophie begründet.

 

Oder Platon. Der sagte, dass Sex nicht wichtig sei. Das Wichtigste wären die Gedanken. Oder Pythagoras. Den kennen Sie noch von dem nach ihm benannten Satz: a²+b²=c². Dabei ist ein anderer Satz von ihm viel wichtiger. Er sagte nämlich: »Die beste Zeit für fleischliche Beziehungen ist der Winter.« Dem Mann reichte zum Schnackseln der Winter. Das heißt, im Frühjahr, Sommer und Herbst hatte der keine

 

Die größten Kulturleistungen sind entstanden, weil die Menschen den Trieb abgeschaltet haben. Und ohne Sex ist das Leben auch einfach ruhiger und gemütlicher. Denn wenn man ehrlich ist: Fortpflanzung ist mühsam. Was für ein Stress! Was für ein Zeitaufwand! Vor allem, weil man sich einen Partner zum Fortpflanzen suchen muss. Und den muss man überzeugen. Die Weibchen müssen die Männchen anlocken und die Männchen müssen hinter den Weibchen herlaufen, balzen und Dinge tun, die das Weibchen gut findet. Ich sehe die Qual oft in den Gesichtern von Männern im Kabarettpublikum. Die sind nur da, weil die Frau die Karten besorgt hat. Das hängt alles mit der Vermehrung zusammen.

 

Dabei ist das in der Natur nicht überall so. Denn für die Vermehrung braucht man nicht immer einen Partner. Ganz am Anfang der Zeit war ja auf der Welt alles öde und leer. Es gab kein Leben und keinen Ort, wo man existieren konnte. Wer mal in der Eifel war, kennt den Zustand. Aber dann entstand aus Kohlenstoff

 

Wenn der Blattlaus nach Fortpflanzung zumute ist, gebären die Lausemädels ohne irgendwelches Zutun eines Lausbuben einfach so bis zu zehn Töchter am Tag. Der Lausbub ist völlig außen vor. Keiner paart sich mit ihm.

 

Gut, das kann am Aussehen liegen. So eine Blattlaus sieht nicht aus wie Robert Redford. Und wer will sich mit jemandem paaren, der grün ist und lästig. Andererseits: Bei Joschka Fischer hat das auch immer geklappt. Aber bei der Blattlaus nicht. Die vermehren sich ganz allein. Die müssen vor dem Vermehren auch nicht fragen: »Zu dir oder zu mir?« Die fragen: »Zu mir oder zu mir?« Die müssen auch niemanden anmachen. Die müssen nicht flirten. Es gibt nur eins, was menschliche und tierische Lausmädels gemeinsam haben: Sie stehen auf Blumen. Aber sonst: nichts. Doch die Laus kriegt trotzdem Kinder. Und die brauchen auch keinen Personalausweis mit Passbild, denn die sehen der Mutter ähnlich wie aus dem Gesicht geschnitten. Das sind nämlich lauter kleine süße genetische Kopien. In nur wenigen Tagen hat die Blattlaus 100 Kinder hergestellt. Unehelich. Das schafft sonst

No

Blattläuse machen es, ebenso die Schwarze Wespe, Schnecken, Fadenwürmer und sogar einige Haiarten. Bei allen sind Männchen für die Fortpflanzung überflüssig. Sie vermehren sich aus sich selber. Die Parthenogenese, auch Jungfernzeugung oder Jungfrauengeburt genannt, kommt vor allem bei niederen Arten vor. Im Unterschied zur sexuellen Fortpflanzung wird der Eizelle durch Hormone eine Befruchtungssituation vorgespielt. Und schon legt sie los, teilt sich und ein neues Lebewesen wächst heran. Bei dieser Art der Zeugung fehlt jedoch die Durchmischung des genetischen Materials, das ist ihr Nachteil. So erklärt sich auch, dass gerade mal 0,1 Prozent aller Wirbeltiere sich für die ungeschlechtliche Variante entschieden haben. Die Mehrheit hat Sex.

 

Nun gibt es auch immer wieder Diskussion darüber, ob die Parthenogenese auch bei Primaten wie beim Menschen möglich sei. Bisher liegen keine schlüssigen Ergebnisse vor. Die Natur spricht dagegen.

 

Aber der Papst ist anderer Meinung. Und nicht nur der Papst. Es gehört zum Glaubenskern der christlichen Kirche, dass Jesus das Produkt einer asexuellen Fortpflanzung ist. Das entspricht übrigens auch dem muslimischen Verständnis wie auch dem Hinduismus, wo die Jungfrauengeburt ebenfalls überliefert wird. Das Ganze ist mit dem gesunden Menschenverstand kaum zu verstehen, deswegen hat der Papst aus dieser Geschichte für die Katholiken ein Dogma gemacht: Sie sollen es glauben und nicht ergründen.

 

Nun mag man nachsinnen, warum gerade Religionen auf solche Ideen kommen. Das Selbstverständnis von Religion und Götterglaube hängt – bis auf ein paar Naturreligionen– eng mit den Ideen von Ursprung und Schöpfung zusammen, mit Allmacht und Anfang. Zu Ende gedacht heißt das: Ein Gott kann schlecht das Ergebnis von Zeugung sein, denn dann wäre ja schon etwas da gewesen.

 

Josef hat Sachverständige bestellt, um die Vaterschaft prüfen zu lassen. Bonifazio Veronese, Anbetung der Hirten (1620–1640) © mauritius images/Peter Barritt/Alamy

 

Inzwischen beschäftigen sich neben Parawissenschaftlern und Feministinnen auch einige Theologen mit der natürlichen Parthenogenese, entlang der These, dass auch »Wunder« in der Regel anhand natürlicher Vorgänge erklärt werden können. Allerdings sind sie dabei auf ein kleineres Problem gestoßen. Bisher sind fast alle Nachkommen spontaner Jungfernzeugung weiblichen Geschlechts. Die wenigen Männchen sind in der Regel deformiert. Aber an der Erklärung dafür arbeitet man noch in Rom.

 

Also

 

Das Symbol für die göttliche Vermehrung ist die Taube, die angeflogen kommt und dann auf Mariens Kopf sitzt.

 

Nach dem B-Test: Maria kann’s nicht glauben. Jan van Eyck, Maria, (1432) © akg-images

 

Biologisch korrekt müsste das Symbol eigentlich die Blattlaus sein. Die sieht auf den Bildern aber nicht so gut aus.

 

Die Zeugung des Herrn Jesus geschah ohne Sex. So steht es auch in der Bibel bei Matthäus: »Josef nahm seine Frau zu sich. Aber er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar.« Josef erkannte Maria nicht. Das hat übrigens nichts mit schlechten Kontaktlinsen zu tun. Im Hebräischen, in dem die Bibel ja ursprünglich verfasst ist, ist das Wort für »erkennen« und »Sex« das gleiche. Wenn in der Bibel »erkennen« steht, ist immer Schnedderedeng gemeint. Da muss man aufpassen. Auch im Alltag, wenn mal jemand sagt: »Darf ich mich erkenntlich zeigen?«

 

Parthenogenese beim Menschen aber gilt als ausgeschlossen. Außer in Hessen. Denn da gab es im Jahr 2000 den Fall, dass eine Frau schwanger war und ihr Ehemann die Vaterschaft angezweifelt hat, weil seine Frau mit einem anderen Mann eine Nacht in einem