Mein Leben, Teil zwei
Ehemalige DDR-Bürger in der Bundesrepublik
Herausgegeben von Martin Ahrends
Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Martin Ahrends wurde 1951 in Berlin-Zehlendorf geboren, 1957 siedelte er mit den Eltern nach Kleinmachnow über. Von 1970 bis 1974 studierte er Philosophie und Musik in Berlin, war Redakteur der Monatsschrift »Musik und Gesellschaft«, danach freier Musik- und Theaterkritiker. 1979 bis 1981 Studium der Schauspielregie in Berlin. Danach hatte er aus politischen Gründen Arbeitsverbot. 1982 Ausreiseantrag, 1984 Ausreise in die Bundesrepublik. 1986 bis 1994 Redakteur und Publizist bei der ZEIT, seitdem freier Schriftsteller.
Der Journalist Martin Ahrends hat mit einer Vielzahl von ehemaligen DDR-Bürgern aller Alters- und Berufsgruppen Gespräche über ihre Vergangenheit und ihr »zweites Leben« in der Bundesrepublik geführt, die sich spannend wie Romane lesen und nicht zuletzt für den bundesdeutschen Leser einen überraschend »fremden« Blick auf das eigene Land ergeben.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei KiWi Bibliothek
© 2017 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Impressum der Reprint Vorlage
ISBN (eBook) 978-3-462-41008-2
»Was soll denn so ein Buch überhaupt – ich sehe den Sinn nicht. Ich meine, daß es hier niemanden interessiert, ganz echt. Und daß es für die Betroffenen nur unangenehme Erinnerungen aufwühlt, sie sehr erregt und nur Belastungen bringt. Für die westdeutschen Bürger, die im allgemeinen völlig uninteressiert sind, und die bestimmt auch durch Ihr Buch nicht aufgeweckter werden – davon bin ich überzeugt – für die hat das doch wenig Sinn.« – So wurde ich zu einem Gespräch empfangen, das dann zwar sehr interessant war, aber nicht veröffentlicht werden soll: Meine Gesprächspartner befürchten Repressionen gegen ihre in der DDR lebenden Verwandten. Aversionen und Ängste dieser Art begegneten mir häufig und erschwerten das Unternehmen. Doch sind sie begreiflich, und es ist schwer, etwas dagegen einzuwenden. Was soll so ein Buch überhaupt?
Die meisten mir bekannten Übersiedlungen sind abgebrochene, unausgetragene Auseinandersetzungen mit Staat und Gesellschaft der DDR. Meist hat man diese Auseinandersetzung im Stillen über Jahre hin geführt, bevor man sich entschloß, Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen, das halbe Leben im Stich zu lassen. Seltener hat man sie öffentlich geführt und stand dann vor der Alternative, sich aburteilen oder abschieben zu lassen. Das Ausreisen ist nicht selten eine mißglückte oder vereitelte »produktive Desintegration«. Und spätestens in der »Wartezeit« nach der Antragstellung ist man genötigt, die Auseinandersetzung mit dem DDR-Staat offensiv zu betreiben.
Wenn man eine Tür hinter sich zuknallt, tut man es selten, um endgültig zu gehen; man will ein Zeichen geben. Unter DDR-Bedingungen ist mit diesem Zeichen schon alles zu Ende. Vater Staat ist so tief beleidigt, daß man fortan Hausverbot hat. Und das ist bitter. Die meisten meiner Gesprächspartner gaben zu erkennen, daß ihnen die Aussperrung sehr zu schaffen macht: Das Wiedereinreiseverbot für ehemalige DDR-Bürger, das von den DDR-Organen nicht begründet wird und in seiner Dauer deren Willkür überlassen bleibt. Dem Ausreisenden wird sein DDR-Leben aus ähnlich albernen Gründen abgeschnitten aus denen man bei Scheidungen ein Photo zerschneidet.
Ein abgebrochenes Leben, auch wenn man hier – was die Ausnahme ist –, rasch wieder in seinem Beruf Arbeit findet. Eine abgebrochene Auseinandersetzung, die nun fehlt, der DDR-Gesellschaft fehlt und den Ausgereisten. Abgebrochene Gespräche werden als Monologe weitergeführt: In der DDR beschimpft man die Ausreisenden als Konsumverblendete, als Fahnenflüchtige, und im Westen gehen die inneren Monologe weiter, oder die verhinderten Dispute werden einseitig (im doppelten Sinne) weitergeführt. – Man schimpft sich seine DDR-Wut heraus und seinen BRD-Frust: vergeblich, man ist außer Landes, und es hört niemand mehr, den es etwas anginge.
Einer meiner Gesprächspartner wünscht sich, daß dieses Buch viele von denen zu lesen bekommen, die drüben eine Ausreise planen – »damit sie sich den Schritt noch einmal gut überlegen«. Damit das feed-back dieser neuen Erfahrung nicht ausgesperrt bleibt von denen, die es vielleicht gebrauchen könnten.
Ach, und was es sonst für Entdeckungen gibt in dem anderen Deutschland, das man zuvor so hautnah nicht kennenlernen konnte. Einer meiner Gesprächspartner, ein Grafiker, witzelt über die »Product-Identification« seiner hiesigen Kollegen, und daß sie so »voll auf der Rolle« seien: »Furchtbar: Lauter so’ne lauten Menschen mit ›Hallo!‹ und ›Super‹ und ›Hey!‹ und ›Schönen Tag noch!‹ – die schwebten da so durch die Gänge, und ich hab mich in die Ecken verkrümelt.« Aber drucken lassen wollte er es dann doch nicht; man könnte ihn erkennen und ihm seine Mäkelei übelnehmen. »So tief sitzt noch die alte Angst«, sagt er. – Oder ist es schon eine neue?
Alle Gesprächspartner in diesem Buch haben ihre bundesrepublikanischen Wahrnehmungen so beschrieben, daß sie oft nicht nur den berühmten »fremden Blick«, sondern auch eine mitgebrachte Verbitterung offenbaren. Immerhin, mit dem Gedanken, zurückzugehen in die DDR spielt von dreißig Befragten nur ein einziger. Und die meisten waren über den bitteren, »ungerechten« Ton ihrer Protokolle erschrocken und versicherten nachträglich, daß es ihnen hier im Prinzip viel besser gehe und an nichts wesentlichem fehle. Man hat es endlich geschafft, wofür man drüben oft jahrelang gekämpft hat, man ist endlich draußen – woher nun dieser bittere Ton, der sich wohlmöglich als Undankbarkeit liest? Zwei Leben in je einem Deutschland – kann das eine so ganz das wahre, das andere so ganz das falsche sein, kann überhaupt noch eins von beiden Leben das »eigentliche« sein?
Vielleicht haben die meisten Ost-Deutschen und West-Deutschen nur ein hämisches Interesse an diesen Übersiedler-Geschichten: Wären sie doch geblieben, wo sie waren, sie hätten sich und uns viel Ärger erspart. Dieses hämische Interesse zu befriedigen, ist das Buch nicht geeignet; wer sich an den Schicksalen derer delektieren möchte, die nach ihrer Übersiedlung bei den Obdachlosenasylen anklopfen, der sei auf die hiesige Presse verwiesen, die sich mit besonderer Vorliebe den gescheiterten Exzonis widmet.
»Hier holen wir uns Beulen auf einem verstopften Arbeitsmarkt, drüben reißen wir Löcher auf – wozu das?« – Ja, wozu? Für die meisten Befragten war das Weggehen wichtiger als das Hierherkommen. Und wenn der Lebensbruch einen Sinn gehabt haben soll, dann muß es wohl das Zeichen sein, das er setzen sollte: Für eine unausgetragene, noch ausstehende Auseinandersetzung. Für die Gespräche, die oft mit unflätigen Beschimpfungen endeten, häufiger aber gar nicht stattfanden: Die albernen Zänkereien mit dem wechselnden Personal der – bezeichnenderweise für Ausreiseangelegenheiten zuständigen – Abteilungen Innere Angelegenheiten. Die melancholischen Gespräche mit Freunden, die die DDR nicht sehen konnten, wie wir sie sehen mußten, wollten wir unsere Wurzeln kappen. Die unbeantworteten, die abgefangenen Briefe. Lauter unmögliche Gespräche, die doch immerhin ein Anfang waren: Der Versuch, den abgebrochenen Dialog zwischen offizieller und inoffizieller DDR-Gesellschaft aufzunehmen. Der Versuch, mit denen zu reden, von denen man zu genau wußte, daß mit ihnen nicht zu reden ist: die seltenen, aber aufschlußreichen Gespräche mit höheren Funktionären. Und die unzähligen »Gespräche« mit denen, die in der DDR für Gespräche aller Art zuständig sind, mit den Beamten der Staatssicherheit.
Bis 1983 kamen zwischen elf- und fünfundzwanzigtausend aus der DDR, danach waren es zwischen zwanzig- und vierzigtausend Übersiedler pro Jahr.
Vor den letzten »Volkswahlen« im Mai dieses Jahres standen die DDR-Übersiedler wieder einmal im Auffanglager Gießen Schlange; man hatte sich der Negativ-Wähler entledigt, sein innenpolitisches Problem »entsorgt« über die innerdeutsche Grenze, wie in die Gegenrichtung der Problemmüll über diese Grenze entsorgt wird. So einfach macht sich Politik in Doppeldeutschland.
Daß Widersprüche ausgehalten werden müßten, um produktiv zu wirken, lehrte der »Vormarxist« Hegel. Vielleicht kann dieses Buch die unausgetragene Auseinandersetzung dadurch etwas weiter treiben, daß ein Teil der abgetriebenen und ausgerissenen »kritischen Masse« aus der DDR hier immerhin zum »Selbstgespräch«, zum Gespräch mit ihresgleichen Gelegenheit findet. Ich wünsche mir, daß man beim Lesen spürt, wie die Texte miteinander reden, dann hätten sie doch einen Sinn.
Die Auswahl ist in keiner Weise repräsentativ, ich mußte mich im Bekanntenkreis von einem zum anderen durchfragen. Dann galt es, eine mit Nostalgie gemischte Abwehr gegen das Thema aufzulösen, man empfing mich skeptisch, man faßte Vertrauen und redete sich vieles von der Seele. – Und war schockiert, als man es dann ein paar Wochen später wiederlesen und zum Druck freigeben sollte: Das soll ich gesagt haben?
Man muß vieles vergessen und verdrängen, um sich hier einzuleben. Die Schleusen der Erinnerung öffnen sich nur kurz. Dann lebt man wieder seinen bundesdeutschen Alltag, und der ganze Quark von gestern geht einen nichts mehr an. Darf einen nichts mehr angehen, sonst wird man wehleidig und unfähig, sich im Westen zu behaupten. Nach vorn sehen, ist die Devise.
Einige haben ihr Protokoll zurückgezogen, die meisten haben es nur widerwillig bestätigt. Die meisten Namen sind auf Wunsch der Befragten geändert. Man hat Federn gelassen, wenn man von dort nach hier gekommen ist, und man will nicht wie ein gerupftes Huhn dastehen.
Sommer 1989
Martin Ahrends
Bert Zubeil, 34 Jahre, Elektronikfacharbeiter
Materiell ging’s mir gut. Aber wie das so ist mit materiellen Dingen – wenn man sie hat, sind sie schon fast nichts mehr wert. Manche bauen sogar drüben noch ein Haus, und erst wenn sie damit fertig sind, stellen sie einen Antrag oder hauen ab. Erst wenn alle Ersatzbefriedigungen ausprobiert sind, fängt man an nachzudenken. Wenn man alles hat, und es geht nicht mehr weiter, dann kommt nicht die Zufriedenheit, sondern die große Unzufriedenheit, die eigentlich immer schon da war. Ich kenne viele Beispiele dafür.
Und dann war ich zum ersten Mal zu Besuch bei meiner Oma im Westen; als ich bei ihr war, hab ich noch Gründe gefunden, wieder zurückzufahren und in der DDR weiterzuleben. Aber als ich dann zurückkam, war plötzlich die Klappe zu. Da wußte ich, daß ich raus will.
Die Tante, bei der ich hier zu Besuch war, die hatte zwar kein Geld, aber sie hat Zeit für mich gehabt. Wir haben uns viel unterhalten, haben im Kaffee gesessen, Leute beobachtet. Und als ich dann im Osten zurückwar, da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, sagt man doch. Ging schon los, als der Zug wieder über die Grenze kam, der fuhr bloß noch halb so schnell und fiel trotzdem fast aus den Gleisen. Und ich dachte, ich fahr über einen Müllplatz. Brandenburg, Magdeburg, nur noch Dreck. Und wenn du dann alles so überlegst …, daß das eben alles nicht normal geht in der Zone, daß da bloß die Leute verarscht werden. Man kann sich dafür einsetzen, daß alles besser wird, aber das System kann sich nicht viel verbessern.
Und als ich dann nochmal reisen durfte, hatte ich mehr Angst davor, in den Osten zurückzukehren und es einunddreißigmal pro Monat zu bereuen als vor den Problemen hier im Westen. Es gibt drei Sachen, die nicht wiederkommen: das gesprochene Wort, der verschossene Pfeil und die günstige Gelegenheit – ein altes chinesisches Sprichwort.
Die Ausreiseseuche, das ist wie Leukämie, da können sie Blut lassen, soviel sie wollen, sie kriegen die Seuche nicht raus. Der Osten ist nicht in der Lage, Arbeit entsprechend zu entlohnen; es kann doch nicht sein, daß ich als Facharbeiter dasselbe Geld verdiene wie ein Diplom-Ingenieur. Und hier sieht man es ja, daß es wichtig ist, was Ingenieure machen, also muß man die Leute auch richtig bezahlen. Daß ein hoher Bildungsstand entsprechend honoriert wird, finde ich gerechtfertigt, und so läuft das hier ab. Im Osten wird so vieles »um der Sache« willen gemacht, nicht um irgendeinen Effekt zu erzielen.
Zuletzt hab ich in drei Schichten gearbeitet, war zwar ein fauler Job, aber es hat mich nicht zufriedengestellt. Ich brauchte manchmal den halben Tag nichts zu machen, nur gegammelt. Die Leute – nett, ja. Aber diese ganzen Nützlichkeitsbeziehungen …, daß ich die abgebrochen hab, das mußte auch mal sein. Das Furchtbarste ist doch, jemandem in den Arsch zu kriechen, bloß weil der an was rankommt.
Das Hierbleiben war auch eine gute Gelegenheit, die Beziehungen zu meinem Alten abzubrechen, drüben ist mir das nie so gelungen, wie ich es eigentlich wollte.
Es ist noch mein Leben, aber Teil zwei.
Ich hab gemerkt, wie ich als Westonkel drüben Aufwertung kriege. Meine Kinderchen freuen sich, wenn sie ein Paket kriegen aus dem Land, wo die guten Kaugummis wachsen. Und ich hoffe, daß ich nach ’ner gewissen Warteschleife auch wieder zu ihnen darf. Meine Frau ist noch drüben, wir treffen uns immer in der Tschechoslowakei, sie ruft auch jeden Tag an. Morgen fahr’ ich wieder nach Franzensbad. Neulich war der Engholm drüben, da hab ich in den Nachrichten gehört, es hätten ihm welche Zettel übergeben mit ihrem Ausreiseanliegen. Hab meine Frau gleich gefragt, ob sie auch dabei war. Die hatte Angst, sie wird weggefangen. Klar sind einige weggefangen worden, bis sie da durchkamen, aber man hätte es doch versuchen müssen. Denn auf der Ebene läuft alles viel besser. Man muß mit Kanonen schießen, und wenn’s auf Spatzen ist. Das sag ich ihr auch am Telefon, klar, sollen sie doch mithören, daß wir unbedingt zusammenbleiben, daß sie keine Chance haben, uns zu trennen.
Warst Du schon mal zu Silvester in Karlsbad? Da stehen sie in Dreierreihen am Bahnhof. Und die Stadt, so runtergekommen; war ja alles mal hochfein, und wenn man in die richtigen Hotels kommt, merkt man’s noch. Und als man noch drüben wohnte, fand man das ja auch alles ganz toll – aber jetzt …
Mit Autos hatte ich eine glückliche Hand, da ist auch ’ne Menge rausgekommen. Ist aber auch pseudomäßig, die Schacherei, ist ja nichts, wofür du was geleistet hast, mußt ja nur bißchen pfiffig sein. Wenn man das ’ne Weile gemacht hat, ist der Spaß auch weg. Da kommt dann nur noch mehr Geld rein, und du weißt genau, du kannst damit nichts anfangen. Da ist keine Steigerung mehr drin. Klar kann man immer mehr Geld machen, aber das ist dann schon eher eine Sucht oder sowas.
Klar, im Osten ist es einfacher, schon, weil man jahrzehntelang das System studiert hat und die Lücken, die man nutzen kann. Drüben ist auch die Nachfrage ganz anders.
Das mit den Autos war ganz einfach. Es gibt in der Zone ein Preisgefälle. In Berlin, Erich Honeckers Vorzeigezentrum, laufen die besten Autos, da wird auch das meiste Geld verdient. Und da wartet man auf ein neues Auto nicht so lange wie in der Provinz. Lange Rede – kein Sinn: Das Gefälle kann man ausnutzen. Man kann ja mit dem Auto noch ein Jahr fahren und dann immer noch einen Reibach machen. Also: Das Auto nach einem halben Jahr mit Null Gewinn wieder zu verkaufen, das ist für einen Pfiffikus beinahe peinlich. Das passiert einem dann nicht noch mal. Ich hab mich so allmählich hochgetauscht, bis ich einen neuen Lada hatte. Aber da hat nichts funktioniert, das Gebläse ging nur manchmal, die Türen gingen nicht zu, die Kardanwelle hat geklackert vom ersten Tag an: eine Krücke. Als ich den Ofen endlich verkaufen wollte, lief unten Öl raus, und das Geschäft war Essig. Das war ’ne Karre! Bist hundertzwanzig gefahren, da war drin ein Krach, daß einem die Ohren abgefallen sind. Und plötzlich macht der Außenspiegel bip und kippt um. Nur so ’ne Dinger. Ein Wenderadius wie’n Bus. Die Leute sind eingestiegen und mußten wieder aussteigen, weil die Türen geklemmt haben. Nach fünf Versuchen bin ich auch wieder ausgestiegen – ich hab das Auto gehaßt, das war auch noch rot –, da hab ich die Tür genommen und: so! müßt ihr das machen, da war sie zu. Da haben die gekiekt, wie man mit so’m Wagen so umgehen kann. Den hab ich dann gegen einen Peugeot getauscht, der war fünf Jahre alt, aber hundertmal besser als der neue Lada. Hab viel Freude an dem Wagen gehabt. Dann war noch ein Unfall, hab alles neu lackieren lassen auf Rechnung der Versicherung, und dann mußte er weg. Was ich dafür gekriegt hab? Achtundvierzig waren es. Nicht so viel. Golf war der Teuerste. Du kommst doch am Wechselkurs vom Bahnhof Zoo auch drüben nicht vorbei. Die billigste Golf-Variante wird drüben so um die hundertdreißig gehandelt; nagelneu allerdings.
Hier geht so was nicht. Vielleicht doch? Jedenfalls ist das bloß Hobby. Ich muß in meinem Beruf weiterkommen. Bilde mich autodidaktisch weiter, lese Elektronik-Lehrbücher. Aber ich mach noch einen richtigen Lehrgang, den bezahlt das Arbeitsamt. Ein Kumpel von mir hat jetzt einen Meisterlehrgang gemacht, zahlt auch das Arbeitsamt. Ich hab an diesem Staat schon viele soziale Komponenten entdeckt. Das hätt’ ich auch nicht vermutet. Mein Bekannter hat eine Tante im Rollstuhl – was die alles noch machen kann! Die Tele-Bus-Fahrten sind umsonst. Die zahlen alles. Auch wenn der Fernseher kaputt geht. Was die für Kaffee-Fahrten macht …
Hier ist genau das eingetreten, was ich erwartet habe, ich bin nicht enttäuscht. Obwohl ich auf meiner ersten Arbeitsstelle ziemlich ausgenommen worden bin. Aber man lernt ja dazu. Ich hab mir jetzt nach einem Jahr wieder ein vernünftiges Auto gekauft, hab keine Schulden. Bloß, was ich unterschätzt hab, ist die Trennung von meiner Frau, daß man daran so knabbert … Aber dafür kann ja der Westen nicht. Beruflich ist es interessanter geworden, weil ich mich elektronikmäßig richtig reinknien muß, hab mir gestern wieder Bücher geholt. Ist zwar schwieriger hier, sein Geld zu verdienen, aber: Im Osten wär ja nichts mehr passiert. Jut, zu den Russen hätt ich noch fahren können, da war ich noch nicht gewesen, aber das hat mich nicht gereizt; ich konnte noch nie so mit den Russen.
Hier ist alles wieder interessant, ich mach wieder neue Erfahrungen. Das hätte mir doch keiner erzählen können, wie es ist, wenn man hier in meinem Job arbeiten will. Auch die Probleme auf meiner ersten Arbeitsstelle, die Überheblichkeit und so: das hatte ich alles life.
Man kriegt hier ein ganz anderes Selbstbewußtsein, obwohl ich allem äußeren Anschein nach einen Abstieg gemacht hab. Wenn man mit Polizisten redet oder mit den Behörden, wird man plötzlich ernst genommen.
Mein neuer Boß ist richtig menschlich, der winkt nicht, wenn er was von mir will, der sagt: Herr Zubeil, kommen Sie bitte mal. Der ist eigentlich gar kein richtiger Chef, hat immer denselben Pullover an; und eigentlich viel zu lieb für einen Chef im Kapitalismus.
Bei der ersten Firma hab ich gesagt, daß ich aus dem Osten komme. Aber ich weiß noch nicht, wie ich mich nun bei der neuen Firma dazu stelle. Dem Chef hab ich’s gesagt, aber die andern wissen’s nicht. Wenn die mich fragen: Wo warst du vorher, sag ich: In so’ner großen Bude. Ich denk, das geht die gar nichts an, bin einfach cooler. Einer hat gefragt, ob ich aus Berlin bin, hab ich gesagt: Ja.
Ich bin seit einem Dreivierteljahr hier. Von der westlichen Welt hab ich noch nichts gesehen, ich will erstmal beruflich zurechtkommen. Ich hätte schon Lust, zu reisen, aber alleine macht mir’s keinen Spaß. Das ist jetzt so ein Warteabschnitt. Überhaupt: Diese ganze Integration hier, das wird Jahre dauern.
Mich interessiert alles, ich nehm auch oft Tramper mit, wenn ich weite Touren mache, die erzählen mir was Neues. Und ich ihnen vielleicht auch; wenn wir an der ersten Raststätte im Osten sind, wollen sie raus und im Intershop einkaufen. Da frag ich sie: Wollt ihr an ’ner Tüte Kaffee sechzig Pfennig sparen? Das ist hier ein Ritual: Billig einkaufen. Ich sag denen: Habt ihr schon man darüber nachgedacht, daß die Leute, die hier leben, in diesen Läden nicht einkaufen können? Und daß Ihr das System mit euren Einkäufen unterstützt? Dann kommen sie ins Grübeln. Die denken, DDR ist so was wie ein Rummel, bloß, daß sie nicht Achterbahn fahren, sondern Autobahn.
Als ich mir in Hamburg einen BMW