Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Dani

Über die Autorin

Kapitel 1

 

Weihnachtsballrascheln

 

Das blaue Kleid rauschte bei jeder Bewegung. Aber es war nicht so ein unangenehmes, störendes Rascheln, nein, es klang wie ein Flüstern, wenn der Stoff sanft aneinander strich. Ob das ein eigener Berufsstand war – Kleidergeräuschemacher? Für Essen gab es das ja auch. Deshalb knusperte es, wenn man Chips aß.

Jedenfalls hatte das Kleiderrauschen bei Hanna seine Wirkung nicht verfehlt. Allein dieses Geräusch wertete das ausladende Kleid noch einmal auf, sozusagen der Soundtrack zu ihrem großen Auftritt.

Magnus schritt neben ihr und warf ihr immer wieder bewundernde Blicke zu. Er hatte das Kleid bezahlt, natürlich, sie hätte es sich nicht leisten können, zwei Monatsgehälter dafür auszugeben, noch dazu für nur einen Abend.

»Du siehst wundervoll aus«, sagte er jetzt zum zigsten Mal, was aber auch diesmal Hanna zum Strahlen brachte.

Sie konnte nicht aufhören zu lächeln, während sie neben Magnus die großen Steintreppen emporschritt, die über drei Ebenen von einer kleinen Privatstraße durch ein Parkgelände zum Haupteingang des Schlosses führten.

Hanna hatte eine Stola über die Schultern gelegt, aber die wäre wohl gar nicht nötig gewesen, da links und rechts Heizpilze aufgestellt waren, damit die ankommenden Gäste nicht froren.

Sie hatten nun die vorletzte Ebene erreicht und endlich war das Schloss in seiner ganzen Pracht zu sehen.

Hanna ließ ihren Blick von links nach rechts schweifen. Es war nicht Versailles, aber immerhin dreigeschossig, mit verschnörkelten Ornamenten an der Fassade und Rundbogenfenstern, die im Erdgeschoss so hoch waren wie zwei Etagen auf einmal. Aus allen schien Licht, sodass man die vielen Gäste dahinter erkennen konnte, die bereits vor ihnen angekommen waren. Fast hätte man es für einen Ball im Mittelalter halten können, denn die Frauen trugen prächtige und aufwändig ausstaffierte Roben und klassische Musik drang herüber.

Als sie einige Stufen höher stiegen, war sogar der riesige Weihnachtsbaum durch eines der Fenster zu erkennen, von dem Magnus ihr erzählt hatte. Seine Geschenke befanden sich sonst jedes Jahr unter diesem Baum, im Ballsaal im Schloss seiner Großeltern.

Aber nicht dieses Jahr, denn Hanna hatte darauf bestanden, Heiligabend bei ihren Eltern zu verbringen, weil Magnus unmissverständlich erklärt hatte, dass sie zum Weihnachtsball am ersten Feiertag gehen mussten, wenn sie seine Familie nicht verprellen wollten.

»Den Heiligabend woanders zu verbringen, verzeihen sie mir vielleicht noch«, hatte er gesagt. »Aber wenn ich mich nicht auf dem Weihnachtsball blicken lasse, werde ich vermutlich aus den Stammbüchern gestrichen.« Er lachte dabei, doch Hanna verstand trotzdem, dass es ihm selbst auch wichtig war. Außerdem wurde es Zeit, seine Familie kennenzulernen.

Dass dabei ein Ballkleid herausspringen würde, wusste sie da noch nicht. Magnus hatte allerdings vorsichtig versucht, sie darauf vorzubereiten, was sie erwarten würde, und ihr die Notwendigkeit »angemessener Kleidung« aufgezeigt.

Sie mochte es immer noch nicht, wenn er für sie zahlen wollte. Aber zum einen verdiente er sein eigenes Geld und lebte nicht von dem seiner Familie, zum anderen war er es, der unbedingt auf diesen Ball wollte.

Und ganz tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie dieses Kleid auch gar nicht mehr missen wollte. Von wegen »nur einmal«! Sie würde es bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit wieder anziehen.

Sie hatten die Haupttreppe erreicht und schritten an zwei Dienern – ein anderer Ausdruck fiel Hanna auf die Schnelle nicht ein, weil sie sich wirklich deutlich gegenüber den Gästen absetzten mit ihren schlichten schwarzen Anzügen – vorbei in das Foyer.

Hier wimmelte es auch bereits von Gästen, die miteinander schwatzten, sich begrüßten und aus Kristallgläsern tranken. Links und rechts führten breite Treppen zu einer Empore, doch Absperrbänder machten deutlich, dass die oberen Stockwerke tabu waren.

Magnus führte Hanna zu einer doppelflügeligen Tür, an der tatsächlich ein Zeremonienmeister stand und sich die Namen der Gäste sagen ließ, die er dann bei ihrem Eintreten in den Saal laut wiederholte.

Als er Magnus erblickte, winkte er ihn heran.

»Ihre Großeltern erwarten Sie bereits«, sagte er und verbeugte sich leicht. Dann warf er einen kurzen Blick auf Hanna.

»Hanna Meinecker«, beantwortete Magnus die ungestellte Frage. Er führte Hanna am Zeremonienmeister vorbei und in den Ballsaal.

»Magnus Graf von Ahrens und Hanna Meinecker.« Die Worte des Zeremonienmeisters hallten erstaunlich deutlich von den Wänden wider. Jeder im Saal musste ihn gehört haben.

Das erklärte, warum sich sämtliche Köpfe der Anwesenden ihnen zuzuwenden schienen.

Hanna bemerkte das Tuscheln und die abschätzenden Blicke, aber Magnus führte sie unbeirrt weiter, auf ein Podest zu, auf dem zwei goldverzierte Stühle standen. Auf denen saßen eine betagte Frau und ein noch älterer Herr. Sie trug ein goldenes langes Kleid, er einen schwarzen Smoking und eine Schärpe mit Orden.

Hanna hatte eine Königs-Audienz. Ja, das musste es sein. Hatte sie je gefragt, welche Titel Magnus‘ Großeltern führten? Dunkel erinnerte sie sich an ein Gespräch, in dem Magnus versucht hatte, die schwierigen Verflechtungen seiner Familie zu erläutern. Seine Mutter gehörte zum Hochadel, hatte aber hinuntergeheiratet? Also unter ihrem Stand? Irgend so etwas? Seine Mutter war jetzt eine Gräfin, was war sie dann vorher gewesen? Was gab es denn über einem Grafen? Obwohl es eigentlich keine Adelstitel mehr gab, schien das alles noch eine große Rolle in Magnus‘ Familie zu spielen.

Hach, warum hatte Hanna nicht besser aufgepasst?

Musste sie jetzt einen Knicks machen?

Magnus verbeugte sich jedenfalls, also deutete Hanna wenigstens auch so etwas an.

»Großmutter«, sagte Magnus förmlich. »Großvater, darf ich euch Hanna Meinecker vorstellen, meine Verlobte.«

Das letzte Wort brachte Hannas Herz zum Klopfen. Ja, sie war seine Verlobte. Schon seit mehr als drei Wochen. Er hatte sie am ersten Adventswochenende gefragt und sie musste einfach Ja sagen. Er war der Eine, ob nun Graf oder nicht. Mit Magnus wollte sie den Rest ihres Lebens verbringen. Trotz seiner Familie, mit der er in den letzten sechs Monaten wenig Kontakt hatte. Aber die war weit weg und einige Treffen im Jahr würde Hanna überstehen. Erst recht, wenn die Treffen ein Ballkleid und ein riesiges Weihnachtsfest beinhalteten.

»Fürst und Fürstin Gerenburg«, wisperte Magnus in ihr Ohr.

Ach, das war es gewesen. Anscheinend wurde von ihr erwartet, dass sie die beiden sofort richtig ansprach.

Herrje, war das förmlich!

»Fürst und Fürstin Gerenburg«, wiederholte Hanna laut und knickste wieder leicht.

Der Blick von Magnus‘ Oma war nicht zu deuten. Sie musterte Hanna von oben bis unten, während sein Opa rief: »Was hat sie gesagt?«

Er war offensichtlich schwerhörig.

Bevor Hanna entscheiden konnte, ob sie antworten sollte oder nicht, hatte seine Frau ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt und er schwieg. Dann nickte sie huldvoll.

»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte sie zurückhaltend.

Magnus deutete wieder eine Verbeugung an und schob Hanna weiter.

Als sie keinen direkten Blick mehr auf die beiden Stühle hatten, atmete Magnus sichtbar auf.

»Geschafft?«, fragte Hanna. »Mir war gar nicht bewusst, dass das so hochoffiziell wird.«

»Das machen sie auch nicht immer. Nur zum Weihnachtsball. Meine Großmutter liebt es, auf diese Weise ihre Gäste zu begrüßen.«

»Na ja, jetzt haben wir es hinter uns.« Hanna schaute sich um, auf der Suche nach etwas Alkoholischem.

»Das Schlimmste kommt noch«, sagte Magnus.

Hanna lachte. »Müssen wir den Ball eröffnen?«

Magnus lächelte gequält. »Das wäre nicht so schlimm. Aber ich muss dich ja auch noch meinen Eltern vorstellen.«

»Eltern mögen mich«, sagte Hanna selbstbewusst. »Ich bin eine Traumschwiegertochter, gebildet, Lehrerin, verdiene mein eigenes Geld. So wie du der Traumschwiegersohn bist, gebildet, mit einem tollen, klangvollen Nachnamen, finanziell unabhängig.« Hanna lachte über ihren eigenen Witz. »Meine Eltern fanden dich jedenfalls toll. Ich soll dich nicht mehr loslassen, hat meine Mutter heute früh zum Abschied gesagt.«

Magnus‘ Gesicht entspannte sich etwas. »Es war so schön gestern an Heiligabend, ruhig und gemütlich. Schade, dass wir nicht länger bleiben konnten.«

»Das hier ist doch auch toll.« Hanna blickte sich im Saal um. Die Wände waren mit Gemälden verziert, die von Stuck umrahmt waren. Gold-, Grün- und Rottöne dominierten. Der Saal wirkte bestimmt das ganze Jahr über weihnachtlich. »Lass uns den Baum anschauen.« Hanna fasste Magnus‘ Hand und zog ihn in den hinteren Teil des Saales, in dem der etwa sieben Meter hohe Weihnachtsbaum stand. Er sah anders aus als die Bäume, die Hanna sonst kannte, schien mehr Zweige zu haben, die sich fast berührten, und an jedem Zweig hingen gleich mehrere Kugeln.

Doch er verströmte einen unverkennbaren Tannenduft, war also nicht künstlich. Unauffällig rieb Hanna an einem kleinen Ästchen und roch dann an ihren Fingern. Ja, eindeutig ein echter Baum.

»Meine Großmutter lässt diese Sorte extra anbauen, damit jedes Jahr so ein Baum hier steht«, erklärte Magnus.

»Sag ihr, ich nehme gern einen in ein paar Nummern kleiner.« Hanna lachte wieder über ihren Scherz und Magnus lockerte auch endlich etwas auf.

Nicht zuletzt, weil er Leo entdeckt hatte.

Kapitel 2

 

Drei Schwestern

 

Leo nickte ihnen zu, kam aber erst, als Hanna ihm ebenfalls zunickte.

»Frohes Fest!«, sagte er und verbeugte sich fast, doch das verschmitzte Lächeln in seinem Gesicht war unübersehbar.

Hanna war ihm in den letzten Monaten hin und wieder kurz begegnet, wenn er Magnus besuchte. Allerdings hatte sie sich dann in ihre Wohnung zurückgezogen, aus Solidarität zu Dani, wobei Hanna immer noch nicht genau wusste, wie das mit den beiden geendet hatte. Ihre Freundin antwortete stets ausweichend damit, dass ja auch nie etwas Richtiges zwischen ihnen gelaufen wäre, was über das Körperliche hinausging. Doch Hanna hatte so ihre Zweifel, denn normalerweise nahm ihre Freundin kein Blatt vor den Mund, was Männerbekanntschaften anging. Das war vor Andreas, ihrem Fast-Ehemann, so gewesen, währenddessen sowieso – Hanna wusste unfreiwillig viel zu viel über Andreas‘ Bettgewohnheiten – und nach Leo war es auch so weitergegangen, auch wenn es nur einmal vorgekommen war. Nur aus der Sache mit Leo selbst machte sie seit ihrem Luxustrip im Sommer ein Geheimnis.

Hanna vermied es auch, Magnus danach zu fragen, was er wusste. Das hätte nur zu Verwicklungen geführt und von denen hatte sie nach den Wirrungen im Sommer erst einmal genug.

Jetzt war es, als hätte es die letzten Monate nie gegeben. Leo machte einen unanständigen Witz über einen der Tannenzapfen am Weihnachtsbaum und plauderte dann über die vergangenen Tage bei seiner Familie.

»Apropos«, sagte er unvermittelt. »Wurdest du schon in die Gesellschaft eingeführt?« Er grinste Hanna an.

»Meine Großeltern haben sie bereits kennengelernt«, erwiderte Magnus an Hannas Stelle.

»Und was ist mit Mutter Mahlzahn?«, fragte Leo.

War das eine Drachenanspielung?

Magnus seufzte. »Noch nicht.«

Die Art, wie er das sagte, ließ Hanna alarmiert aufhorchen.

»Erwartest du Probleme?«, fragte sie.

»Nein, nicht direkt. Aber Mutter war wenig begeistert, dass wir den gestrigen Tag nicht bei ihnen verbracht haben.« Er blickte zu Leo. »Wir waren bei Hannas Eltern.«

»Heiligabend bei meiner Familie, heute bei deiner«, erinnerte ihn Hanna.

Magnus nickte. »Ich verstehe das, aber meine Mutter …«

Na toll! Das war Hanna bisher nicht bewusst gewesen. Wahrscheinlich sprach Magnus es jetzt nur an, weil Leo danach gefragt hatte.

»Nun schau nicht so!« Leo lachte und drückte Hanna ohne Vorwarnung einen Kuss auf die Wange. »Du bist klug und siehst umwerfend aus. Die meisten von Magnus‘ Familie werden dich lieben.«

»Die meisten?«

»Lass dich nicht ärgern.« Magnus warf Leo einen bösen Blick zu.

»Das war nett gemeint«, verteidigte sich Leo. »Ach, da kommt ja schon die Vorhut.« Er schaute auf jemanden hinter Hanna und sie folgte seinem Blick.

Zwei Pärchen, mit einer weiteren Frau in ihrer Mitte, schlenderten auf sie zu. Die Frauen hatten lange dunkelblonde Haare, die zu kunstvollen Hochsteckfrisuren aufgetürmt waren. Sie sahen sich alle drei sehr ähnlich.

Die männlichen Begleiter hingegen hätten nicht gegensätzlicher sein können. Der eine war klein und etwas untersetzt, aber sein Gesicht war freundlich und offen. Die dunkelbraunen Locken hatte er ordentlich zurückgegelt. Er hatte was.

Der andere war groß und dünn – und etwas steif.

»Magnus«, rief eine der Frauen – die mit dem kleineren Begleiter – und warf sich Magnus in die Arme.

Die anderen vier blieben in gebührendem Abstand stehen.

»Das sind meine Schwestern«, sagte Magnus, als er sich wieder aus der Umarmung gelöst hatte.

Hanna dachte sich das schon und suchte nun nach Ähnlichkeiten mit Magnus. Ja, die Augen zeigten bei allen dasselbe Blau. Von wem sie das hatten?

»Hanna«, sagte Magnus. »Das sind Margarete, Franziska und Amalia.« Nacheinander zeigte er erst auf die Schwester, die offensichtlich allein hier war, dann die, die ihn stürmisch begrüßt hatte, und schließlich auf die, die ihm jetzt einen Kuss auf die Wange hauchte. Letztere schien zurückhaltender, warf Hanna aber einen warmen Blick zu, während Margarete nur Augen für Leo zu haben schien.

Der verbeugte sich vor ihr und lächelte sie auf eine Weise an, die Hanna nicht deuten konnte. Aber es ging sie ja auch nichts an.

»Herr von Schwalbenfeld und Herr von Schenck zu Kalbsberg«, stellte Magnus nacheinander den Begleiter von Franziska, den kleinen untersetzten, und den von Amalia, den schlanken, vor, und Hanna versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie fieberhaft darüber nachdachte, warum Schenk zu Kalbsberg besser klingen sollte als Müller oder Meyer.

»Gustav«, sagte Franziskas Begleiter. »Und das ist Friedrich.« Er zeigte auf Amalias Begleiter, der nickte.

Franziska lachte. »So hochtrabend, Bruder?«

»Ja, ich bin schon ganz wirr von den ganzen Förmlichkeiten«, entschuldigte sich Magnus und legte seine Hand auf Hannas. »Das ist Hanna Meinecker.«

»Meinegger?« Amalia horchte auf. »Wie die Marzipanfirma?«

»Nein«, sagte Hanna schnell. »Mit C K.«

Amalia nickte und Hanna atmete auf. So leicht war es, gleich die Wahrheit zu sagen. Mit Dani an ihrer Seite wäre es vermutlich anders ausgegangen. Wobei es schön gewesen wäre, ihre beste Freundin dabei zu haben.

»Mit C K, das sind die Meineckers mit den Bonbons, oder?« Leo grinste, wobei sein Gesichtsausdruck nicht ganz aufrichtig wirkte. Eher gequält. Das war eindeutig eine Anspielung auf Dani.

»Wie bitte?«, fragte Amalia.

»Er beliebt zu scherzen«, erwiderte Magnus und warf seinem Freund erneut einen bösen Blick zu.

Margarete lachte und gesellte sich nun endgültig zu Leo, der sofort seinen Arm anbot.

»Hast du unsere Eltern schon kennengelernt?«, fragte Franziska an Hanna gewandt.

Hanna schüttelte den Kopf. Die Schwestern tauschten vielsagende Blicke und so langsam wurde sie nervös.

»Muss ich mir etwa Sorgen machen?«, fragte sie und lachte unsicher.

»Ach, das hältst du schon aus.« Franziska lächelte, doch Hannas Unruhe stieg.

»Franzi!«, tadelte Magnus.

Franziska blicke ihn schuldbewusst an und hakte sich dann bei Hanna unter.

»Wir stehen dir bei«, sagte sie.

Hanna hoffte, dass sie sie nur foppen wollte, aber irgendetwas in ihr flüsterte ihr zu, dass sie tatsächlich Grund hatte, nervös zu sein. Magnus war Hals über Kopf zu ihr gezogen und seitdem nur einmal zu seinen Eltern gefahren, ohne Hanna.

Vielleicht hatte es Ärger gegeben, von dem Hanna nichts wusste.

»Mutter ist schrecklich sauer auf dich, Magnus, weil du einfach abgehauen bist«, sagte Margarete wie zur Bestätigung und schmiegte sich regelrecht an Leo, den das nicht zu stören schien.

»Einfach wegzugehen, von heute auf morgen«, tadelte Amalia. »Vater hat Wochen gebraucht, bis er einen Ersatz für dich hatte.«

»Mali!« Franziska warf ihrer Schwester einen bösen Blick zu.

Amalia zuckte mit den Schultern. »Ich meine ja nur.«

Hanna musste die ganzen Informationen erst einmal verarbeiten. Dass Magnus in die Firma seiner Eltern, ein Verlagshaus für Zeitschriften und Sachbücher, involviert gewesen war, wusste sie. Aber er hatte sich immer mit näheren Ausführungen zurückgehalten, sodass sie eigentlich annahm, dass sich seine Tätigkeit auf die gelegentliche Teilnahme an irgendwelchen Sitzungen beschränkte. Andererseits arbeitete er jetzt auch viel. Warum sollte es vorher anders gewesen sein?

Sie musste Magnus später genauer danach fragen.

»Es geht los«, wisperte Franziska.

Kapitel 3

 

Cinderella-Abgang

 

Ein älteres Ehepaar hielt direkt auf sie zu. Sie trug ein dunkelrotes langes Kleid, das an den Seiten gerafft war und so ihre Kurven geschickt kaschierte. Die grauen Haare waren zu einer Art Turm aufgesteckt worden, der am unteren Rand von einem Diadem umrahmt wurde. Sie sah aus wie eine Königin. Die blauen Augen verrieten sofort, dass sie Magnus‘ Mutter war.

Der Mann neben ihr zog ein so verkniffenes Gesicht, dass Hanna befürchtete, es würde ihm auseinanderfallen, wenn er locker ließe.

»Mama«, rief Magnus, wobei er die letzte Silbe unnatürlich betonte, als seien sie in einem Sissi-Film. Er gab ihr auf jede Wange einen dezenten Kuss und drückte dann seinem Vater die Hand.

Dann wandten sich alle Blicke Hanna zu.

»Darf ich vorstellen? Hanna Meinecker.« Magnus deutete auf Hanna. Er hatte ihr erklärt, man ginge davon aus, sie wüsste, wie seine Eltern hießen, Elisabeth und Maximilian, Gräfin und Graf von Ahrens, sodass man ihr die beiden nicht mehr vorstellen würde. Nur ihr Name wurde genannt.

Jetzt war doch ein Knicks angebracht, oder?

Hanna entschied sich für einen halben.

Das Gesicht des alten Grafen entspannte sich etwas. Aber das von Magnus‘ Mutter verhärtete sich.

Wortlos blickte sie sie an und Hanna starrte zurück.

»Meine Verlobte«, ergänzte Magnus, nahm Hannas Hand mit dem Verlobungsring und hob sie hoch, als hätte er eben in diesem Moment seinen Antrag gemacht.

»Magnus!« Franziska klatschte in die Hände und umarmte ihren Bruder von der Seite noch einmal. Dann umarmte sie ohne Vorwarnung auch Hanna, während Leo Magnus dezent auf die Schulter klopfte.

Amalia lächelte und drückte Magnus ein Küsschen auf die Wange und dann Hanna. Die beiden Herren schüttelten nacheinander ihre Hände.

Nur Magnus‘ Eltern standen regungslos da.

Hanna vermochte nicht, den Blick von Magnus‘ Mutter zu deuten. Etwas blitzte in ihren Augen, etwas Gefährliches.

Inzwischen hatten sich die anderen etwas beruhigt und schauten gespannt zwischen den Eltern und Magnus hin und her. Genau genommen konzentrierte sich die Hauptaufmerksamkeit auf Magnus‘ Mutter.

Schließlich öffnete sie den Mund und lächelte, was nicht so recht zu dem passen wollte, was sie sagte: »Hättest du nicht vorher darüber mit uns reden können?«

Hanna musste das Gesprochene erst einmal verarbeiten. Darüber reden? Die Verlobung mit ihr war ein Darüber? Sie selbst vielleicht sogar auch?

War Hanna etwa nicht gut genug?

Was bildete diese Kuh sich ein?

Amalias und Franziskas Aufmerksamkeit konzentrierte sich nun auf Hanna. Offenbar stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, was sie gerade dachte.

Magnus neben ihr blieb erstaunlich ruhig. Warum sagte er nichts?

Tatsächlich blieb er weiter stumm, deutete aber eine Verbeugung an, griff wieder nach Hannas Hand und »empfahl« sich bei den anderen, bevor er Hanna sanft mit sich wegzog.

Er beschleunigte seine Schritte und führte sie eine der Haupttreppen hinauf – unter einem Absperrband hindurch –, bog in einen Flur ab, in einen weiteren, bis er eine der vielen Türen öffnete und Hanna in das Zimmer dahinter zog.

Magnus schloss die Tür und umarmte Hanna so heftig, dass sie sich trotz ihrer Wut Gedanken um den Halt ihrer Frisur machte.

»Es tut mir leid!«, sagte er. »Ich hatte so etwas befürchtet, aber gehofft, dass sie mich unter vier Augen maßregeln würde.«

Hanna machte sich los, die Frisur war einfach zu schade, um sie sich wegen der schlechten Laune einer Gräfin zerstören zu lassen. Stattdessen griff sie nach Magnus‘ beiden Händen.