Wilma Müller, geboren 2003, ist noch Schülerin an einem Gymnasium. Mit 13 Jahren begann sie ihre Ideen zu Papier zu bringen. „Mephisto und die Wette um mein Herz“ ist ihr dritter Fantasyroman. Außerdem stammt die Kinderbuchreihe „Bougoslavien“ – eine Katzenwelt aus ihrer Feder.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2022 Wilma Müller

Design: Noah Bach

Coverfoto: Melina Heib, Marvin Adams

Illustrator: Wanda Müller

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-9387-8

Für Frau Hauswirth

und meinen wundervollen Deutsch-LK.

Ohne euch wäre ich nie

auf diese Idee gekommen :-)

Inhaltsverzeichnis

Nacht

Alleine saß sie auf der Motorhaube des kirschroten Autos. Die Sonne ging gerade unter und überzog die dunklen Tannen im Tal mit einem goldenen Hauch. Nachdenklich drehte Selina den Autoschlüssel in ihrer Hand.

„Hallo, schönes Mädchen“, begrüßte Patrick sie mit seinem typisch unverschämten Grinsen. „Hi“, antwortete Selina ohne den Kopf zu ihm zu drehen.

„Ich kann mir vorstellen, worüber du nachdenkst“, bedrückt schaute auch er in Richtung Horizont, wo von der Sonne nur noch ein Band glühender Wolken übrig geblieben war: „Irgendwann muss alles enden.“

Wortlos lehnte Selina ihren Kopf an seine Schulter und er legte den Arm um sie. Für einen wundervollen Augenblick blieben sie genau so sitzen und sahen dabei zu, wie die langgezogenen Schatten mehr und mehr zu einer großen Dunkelheit verschmolzen.

Schließlich sprach die Ausreißerin die drei verhängnisvollen Worte aus: „Du bist tot.“ „Und du musst weiterleben“, sanft strich er ihr über die mit Sommersprossen betupfte Wange und schaute ihr tief in die Augen.

„Die letzte Woche war echt Wahnsinn, aber…“, verzweifelt erwiderte sie seinen Blick. „Schon klar. Wir hatten nie wirklich eine Chance. Du wirst mich loslassen müssen und ich… Wer weiß schon, was mit mir passiert“, melancholisch schaute Patrick zum Himmel auf.

Das war doch der Ort, an den man nach dem Tod ging, der Himmel. Oder nicht? Er hatte Angst vor diesem letzten Schritt, vor der Ungewissheit, die ihn erwartete. Aber er konnte nicht bis in alle Ewigkeit an der Schwelle stehen bleiben, er war doch kein Feigling.

„Vielleicht sehen wir uns ja wieder“, versuchte sie ihm mit einem traurigen Lächeln Mut zu machen. „Ja, vielleicht“, antwortete Patrick und dachte an all die glücklichen Momente zurück.

Es brachte nichts, länger zu zögern. Selina hatte das Leben verdient.

Ein letztes Mal beugte er sich zu ihr rüber, um sie zu küssen. Bittersüß berührten sich ihre Lippen. Doch sie konnten nichts spüren. „Was würde ich dafür geben, dich nur einmal fühlen zu können“, Tränen brannten in Patricks Augen, als sie sich wieder trennten.

„Nein! Ich kann das nicht!“, verzweifelt drückte Selina ihn an sich. Sie wusste, dass er nicht mehr wirklich da war, dass er nie wirklich da gewesen war. Aber trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, ohne ihn zu sein. Es ging einfach nicht.

„Wir finden einen Weg“, ihre Stimme zitterte und sie schmeckte salzig ihre eigenen Tränen. „Leb wohl“, flüsterte er und alles was von ihm blieb, war ein warmer Windhauch, der liebevoll ihre Haare umspielte.

Ausdruckslos starrte Selina für einen Herzschlag vor sich hin. Er war weg, endgültig. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Wie in Trance rutschte sie von der Motorhaube und stieg ins Auto. Einen Moment blieb die Ausreißerin einfach vor dem Steuer sitzen und wusste nicht wohin.

Die ganze Zeit war sie mit ihm durch die Weltgeschichte gefahren, frei und ohne Plan. Doch das war jetzt vorbei. Wie sollte es weiter gehen?

„Lass dich doch nicht wegen einem Kerl so hängen! Er war doch schon tot!“, wies sie sich stumm selbst zurecht. Tapfer wischte sie mit ihrer Hand die Tränen weg und startete den Motor.

Innerlich immer noch seltsam ausgehöhlt lenkte sie das Auto aus der Parkbucht zurück auf die rissige Straße. Am Himmel blinzelten schon die ersten Sterne zwischen den schweren Wolken hervor. Routinemäßig schaltete sie das Fernlicht an. Im Lichtkegel tummelten sich jede Menge kleiner Mücken.

Also dann, auf in ein neues Leben. Freudlos trat sie aufs Gas und folgte der kurvigen Straße immer abwärts. Durch das geöffnete Fenster strömte die kühle Nachtluft ins Auto und wühlte in ihren Haaren.

Plötzlich tauchte vor ihr auf der Straße ein Jogger auf. Erschrocken riss sie die Augen weit auf und trat volle Kanne auf die Bremse. Kurz quietschten die Reifen, dann griff das ABS. Unsanft kam sie schließlich zum Stehen.

„Das kann nicht sein“, hauchte Selina vollkommen überwältigt. Der Mann, den sie beinahe überfahren hätte, sah haargenau so aus wie Patrick.

Nach einem Moment des Schocks kam wieder Leben in den Fremden. Besorgt ging er ums Auto und schaute auf Selina herab: „Geht es Ihnen gut? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.“

„Ja, das hab ich wohl“, sagte sie mehr zu sich selbst und mit einem gedankenverlorenen Lächeln rollte eine letzte Träne über ihre Wange.

Endlich konnte ich das Buch zuschlagen. Na ja, was heißt hier endlich? Die Geschichte hatte mich wirklich gefesselt und am liebsten wäre ich noch ewig in dieser Welt zwischen den Buchdeckeln geblieben, aber ich musste morgen früh raus und da war es besser, wenn ich jetzt ein bisschen schlief.

Glücklich legte ich mein abgenutztes Lesezeichen und das Buch auf meinen Nachttisch und schaltete das Licht aus.

Gedankenverloren schaute ich in die Dunkelheit. Obwohl ich die Geschichte ja jetzt eigentlich beendet hatte, geisterte sie immer noch weiter in meinem Kopf rum. Ich war halt ein totaler Bücherwurm und von manchen Büchern ließ ich mich vielleicht auch ein bisschen zu sehr entführen. Nur ich liebte einfach diese Abenteuer und das Gefühl in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Manchmal wünschte ich, ich könnte auch eine Heldin sein oder so eine herzzerreißende Liebe erleben. Wer wünschte sich sowas denn nicht? Doch alles in allem war ich mit meinem hundsgewöhnlichen Leben durchaus zufrieden. Trotzdem konnte man ja vor sich hin träumen.

Müde drehte ich mich auf die Seite und wurde mir nur allzu deutlich der leeren Betthälfte bewusst. Selbst nach drei Jahren hatte ich mich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass er weg war.

Traurig fuhr ich mit der Hand kurz über den verlassenen Platz neben mir. Leise wehte mir der Wind durch mein offenes Fenster das Glockenläuten aus dem Nachbarort zu.

Oh Mann. Es war bestimmt schon ein Uhr oder später! Ich musste echt langsam mal versuchen zu schlafen. Morgen konnte ich ja schlecht als Zombie in die Schule kommen!

Mit einem leisen Seufzen drehte ich mich auf die andere Seite und ließ meine Gedanken treiben. Im Hintergrund hörte ich immer noch das feierliche „Ding Deng Dong“ der Glocken. Sanft läuteten sie meinen Traum ein.

Wie selbstverständlich fuhr ich mit dem kirschroten Auto durch die Gegend. Zu beiden Seiten des Weges lagen goldene Felder, die im hellen Licht der Sonne regelrecht leuchteten. Sanft fuhr der Wind über die Ähren und ließ sie dadurch wie ein ruheloses Meer wirken. Mit lautem Flügelschlagen flog ein kleiner Schwarm Spatzen aus dem Feld zu meiner Linken auf und flatterte eilig über die Straße. Im Radio lief ein völlig schräges Kirchenlied, in dem Glocken die Hauptmelodieträger waren. Unbeschwert trommelte ich mit meinen Fingern auf das Lenkrad und als der Chor einsetzte sang ich aus voller Brust mit:

„Mein Herz ist schwarz, mein Herz ist weiß

mein Kopf so laut, ein Mund so leis

will ihn besitzen, ihm gehör’n

werd‘ ihn retten, oder mich zerstör’n.

Denn in mir ist der Teufel los

es ist so falsch, was mach ich bloß?

Ich sollte geh’n, ich sollte flieh’n

Doch ich kann mich ihm nicht entzieh’n.

Seine Hand so warm, sein Lächeln kalt

schwarz die Seele, schön die Gestalt

ich spüre sein Herz, doch kein Gefühl

mein Herz zerspringt, mein Kopf bleibt kühl.

Denn in mir ist der Teufel los

es ist so falsch, was mach ich bloß?

Ich sollte geh’n, ich sollte flieh’n

doch ich kann mich ihm nicht entzieh’n.

Mein Tod ist nah, er hält mich fest

er lügt mich an, gibt mir den Rest

er liebt mich nicht, hat keinen Zweck

bin immer da und doch längst weg.“

Nach der letzten Zeile wurden die traurigen Glocken immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummten. Kurz darauf stand ich an einer Weggabelung. Das Auto hatte sich in Luft aufgelöst. Warum auch nicht?

„Nimm den linken Weg, der bringt dir mehr Gewinn!“, verlockend deutete ein kleiner, fetter, roter Teufel, der auf meiner Schulter saß, nach links.

Goldstücke lagen auf dem Trampelpfad und eine innere Gewissheit sagte mir, dass ich dort alles bekommen konnte, was ich wollte.

Verzaubert wollte ich mich schon in diese Richtung begeben, als sich ein Engelchen auf meiner anderen Schulter meldete: „Aber da geht es nicht mit rechten Dingen zu. Willst du etwa betrügen? Nimm den rechten Weg, der bringt dir wahres Glück.“

Unentschlossen schaute ich mir jetzt auch meine Alternative an. Dieser Pfad war deutlich schlichter. Am Wegrand wuchsen ein paar bläuliche Sternblümchen und strahlend weiße Margariten, ansonsten gab es da nicht das Geringste zu sagen.

„Hör nicht auf diesen Korinthenscheißer! Der weiß doch gar nicht, was Spaß heißt!“, wütend funkelte das Dickerchen seinen Kollegen an. „Göttliche Erkenntnis und Bescheidenheit ist die größte Freude“, selig faltete das Engelchen die Hände.

„Du hast sie ja nicht mehr alle!“, kochend vor Zorn zog mich der Teufel an den Haaren, um auf meinen Kopf zu kommen. „Au!“, beschwerte ich mich und versuchte den kleinen Unruhestifter aufzuhalten. Doch schon hing mir auf der anderen Seite auch der Moralapostel in den Haaren.

Vor dem Tor

Laut weckte mich mein Wecker auf. Irritiert schüttelte ich meinen Kopf. Das war ja mal ein seltsamer Traum gewesen. Was hatte mir mein Unterbewusstsein nur damit sagen wollen?

Für eine Schullektüre hatte ich mich einmal mit Traumdeutung beschäftigt, aber das war schon eine ganze Weile her und ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr an all die Feinheiten erinnern. Außerdem hatte ich es schon damals nicht wirklich beherrscht.

Im Grunde war es ja auch egal, welche unterdrückten Ängste oder Ahnungen mein Unterbewusstsein da auf kreative Art verarbeitet hatte. Es war jetzt wirklich an der Zeit aufzustehen.

Wie jeden Morgen streckte ich mich zuerst einmal eine Runde genüsslich. Damit war der Start in den Tag doch gleich viel lockerer. Auch wenn ich eigentlich noch gut zwei Stunden mehr Schlaf hätte vertragen können, schlug ich meine Decke elanvoll zurück und stand ohne Umschweife auf.

Gestern hätte ich echt weniger lesen sollen. Das rächte sich jetzt. Normalerweise war ich morgens immer voller frischer Energie, doch heute musste ich mich zusammenreißen, dass ich nicht wie ein Untoter durch den Flur schlurfte.

Zurechtgemacht hatte ich mich schnell. Ich gehörte nicht zu denen, die sich mit tonnenweise Make-up voll spachtelten. Mir reichten eine Haarbürste und ein nasser Waschlappen durchs Gesicht.

Ja, so langsam wurde ich richtig wach. Aber ich musste heute wirklich früher schlafen gehen. Es gab ja jetzt auch kein Buch mehr, das mich wachhielt. Obwohl, bestimmt würde ich bald wieder eine Geschichte finden, die mich so fesselte, dass ich bis tief in die Nacht lesen musste.

Ich ließ mich von Büchern einfach viel zu sehr einnehmen. Obwohl ich das meistens nicht unbedingt als schlecht empfand. Was gab es schöneres, als ein gutes Buch, in dem man versinken konnte?

Unschlüssig stand ich vor dem geöffneten Kühlschrank. Wir hatten keinen Joghurt mehr. Da hatte wohl jemand gestern Abend den letzten Becher leer gemacht.

Leider konnte ich mir keinen neuen Joghurt herbeizaubern, also nahm ich mir mit einem kleinen Schnauben einfach die Buttermilch. Es würde mich auch nicht umbringen, wenn ich mal einen Tag mit meiner Morgenroutine brach.

Mit ordentlich Schwung schlug ich den Kühlschrank wieder zu, schaltete das Radio ein und machte es mir dann auf meinem Stuhl bequem.

Normalerweise würde ich jetzt meinen Joghurt löffeln und danach noch eine Banane essen. Jetzt schüttelte ich zuerst die Buttermilch und eine Saftflasche wild zum Takt des rockigen Liedes im Radio und mischte mir dann eine schöne Fruchtbuttermilch zusammen.

Die Klospülung wurde betätigt. Aha. Nummer zwei war aufgestanden. Der kleine Morgenmuffel.

Keine Minute später kam sie in die Küche getrottet. Ihre Haare sahen noch aus, als hätte sie mit der Hand in der Steckdose geschlafen, aber sie war zumindest schon ordentlich angezogen.

„Guten Morgen!“, begrüßte ich den blonden Lockenkopf glücklich und nahm einen guten Schluck Fruchtbuttermilch. „Moooooorgen“, mitten im Wort musste sie gähnen. „Hast du etwa wieder dein Handy ins Zimmer mitgeholt und noch nachts Videos geguckt?“, tadelnd schaute ich sie über den Rand meines Glases an.

„Nein, Mama“, genervt verdrehte die Schlafmütze die Augen:

„Ich hab Französisch gelernt. Heute schreib ich doch die Arbeit.“ „Braves Kind“, spaßhaft tätschelte ich ihr den zerzausten Kopf, als ich aufstand, um einen Apfel zu holen.

Ylvie war zwar schon 14, aber ich fand es in Ordnung ihr noch das Essen für in die Schule zu machen. So ein bisschen Luxus durfte ja auch sein.

Robotermäßig schmierte sie sich ein weißes Brötchen und kaute es mechanisch. Man konnte ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie gedanklich noch in ihrem Bett lag. Ja, da wäre ich jetzt auch gerne. Aber es brachte ja nichts.

Ohne mich weiter großartig selbst zu bemitleiden, trocknete ich den frisch gewaschenen Apfel ab und halbierte ihn entschieden.

Früher hatte ich meine Äpfel immer am Stück gegessen, aber seitdem ich selbst ein Kind hatte, musste ich regelmäßig Schulfrühstück schnippeln. Mittlerweile hatte ich darin echt Übung. Ich weiß noch genau, wie meine ersten selbstgeschnittenen Äpfel ausgesehen hatten. Brutal.

Weil heute Nachmittagsunterricht anstand, packte ich Ylvie und mir noch belegte Brötchen ein. Danach noch eine Wasserflasche dazu und fertig waren meine morgendlichen Vorbereitungen.

Meistens hatte ich nach dieser Morgenroutine noch ein paar Minuten Puffer und so war es auch heute.

Entspannt schaute ich noch einmal die Unterlagen für meinen Unterricht durch. Ich fand es immer unmöglich, unvorbereitet zu einer Stunde zu kommen und leider war mir das auch schon ein paar Mal passiert. Im Inneren war ich halt doch ein kleiner Schussel.

Schien alles da zu sein, aber wie ich mich kannte, hatte ich sicher wieder irgendeine Kleinigkeit vergessen. Egal, ich würde mich jetzt deswegen nicht verrückt machen.

Bis wir losfahren mussten, machte ich es mir ein wenig auf dem Sofa bequem und blätterte in einer sehr interessanten Wissenszeitschrift.

Währenddessen okkupierte Ylvie das Badezimmer. Sie wendete morgens immer jede Menge Zeit darauf auf, um einen hübschen Zopf zu machen, ihre Augenbrauen zu bürsten und was sonst noch. Wenn es ihr wichtig war, sollte es mir recht sein.

Immer mal wieder schielte ich zur Uhr rüber. Nicht dass ich über einen spannenden Artikel die Zeit vergaß und zu spät zum Unterricht kam. Schließlich war es so weit. „Ylvie? Kommst du?“, klopfte ich an den Türrahmen vom Badezimmer.

„Jap. Bin gleich da“, antwortete sie mir sofort und ich hörte, wie sie irgendetwas beim Waschbecken mit einem leisen Klackern ablegte. „Ich bin schon mal beim Auto. Beeil dich bitte“, mit diesen Worten ging ich weiter, um mir noch schnell die Schuhe und eine Jacke anzuziehen. „Ja, ja“, kam es gedämpft aus dem Badezimmer.

Weil der Morgenmuffel noch ein bisschen brauchte, entschied ich mich, schon einmal auszuparken.

In dem Moment, als ich den Motor startete, flogen zwei Krähen krächzend direkt an meiner Windschutzscheibe vorbei.

Erschrocken zuckte ich zusammen und umklammerte das Lenkrad. Woher waren die denn gekommen?!

Mit einem harten Geräusch wurde die Autotür auf der Beifahrerseite geöffnet. Wieder fuhr ich total zusammen. „Mama? Alles in Ordnung?“, fragte mich Ylvie verwirrt und sogar eine Spur besorgt. „Ja, alles gut. Ich war noch ein bisschen… am Träumen“, antwortete ich ihr und schüttelte kurz meinen Kopf, um wieder richtig im Hier und Jetzt anzukommen.

Trotzdem hing ich immer noch irgendwie in Gedanken, als ich ausparkte und losfuhr. Die Strecke zur Schule war ich schon so oft gefahren, dass ich sie regelrecht auswendig kannte. Vielleicht lag es ja auch mit daran, dass ich ziemlich schnell abschaltete.

Mit Kopfhörern saß Ylvie schweigend neben mir. Auf der Frontscheibe spiegelte sich das helle Display ihres Handys.

Links huschte etwas Schwarzes übers Feld. Ich bekam es gar nicht richtig mit. Doch dann lief dieses schwarze Etwas vor meinem Auto auf die Straße.

Sofort trat ich voll auf die Bremse. Für einen Augenblick quietschten die Reifen auf. In der nächsten Sekunde fing das ABS an, zu rattern. Fest wurde ich in meinen Anschnallgurt gedrückt. Vor Schreck fiel Ylvie das Handy aus der Hand. Es landete im Fußraum und riss ihr durch das Kabel beinahe die Kopfhörer vom Kopf.

Unbeeindruckt stand auf der Straße einfach ein schwarzer Hund und schaute uns aus seinen vor Intelligenz blitzenden Knopfaugen herausfordernd an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er würde mir direkt in die Abgründe meiner Seele starren.

Dieses Tier schien keinerlei Angst zu haben, nein, vielmehr musterte es uns interessiert und abwägend. Ein eisiger Schauer lief mir den Rücken runter.

Als wäre nichts gewesen, schlenderte der pechschwarze Hund über die Straße und verschwand in den Hecken am Straßenrand.

Was war denn heute mit den Tieren los?! Zuerst diese Krähen und dann so ein schwarzer Hund!

Für einen kurzen Moment ließ mich der Schreck noch ganz still ausharren, dann schaltete ich in den ersten Gang und fuhr weiter.

„Das war ja mal ein seltsamer Pudel“, meinte Ylvie, bückte sich nach ihrem Handy und setzte die Kopfhörer wieder richtig auf. „Ja, da hast du recht“, stimmte ich ihr zu und scannte mit meinen Augen aufmerksam den Straßenrand.

Ich konnte gut darauf verzichten, noch einmal von einem Tier so überrascht zu werden. Doch die restliche Fahrt verlief ziemlich ruhig. Einmal musste ich einen dicken Traktor überholen, aber das war es dann auch schon.

Vor dem Schuleingang verabschiedete ich mich mit einem „Bis heute Mittag“, von meiner Tochter und unsere Wege trennten sich. Auf meinen Absatzschuhen klackerte ich durch den Schulflur.

Ich war halt ziemlich klein und die Absatzschuhe glichen das ein wenig aus. Außerdem fand ich, dass solches Schuhwerk etwas Elegantes an sich hatte und als Lehrerin durfte man durchaus ein bisschen schick aussehen. Allerdings übertrieben es ein paar meiner werten Kolleginnen etwas mit ihren Outfits.

Wie sollte ein Schüler jemanden ernstnehmen, der ein wahllos gemustertes Kleid, mit einer grünen Schlaghose darunter trug, eine Kette aus unförmigen Klötzen um den Hals hängen hatte und sich den lila Lippenstift dazu noch halb auf die Zähne schmierte? Unsere neue, verpeilte Lateinlehrerin sah wirklich albern aus. Aber eigentlich war sie eine ganz Liebe. Nur hatte sie die Schüler einfach nicht im Griff.

Nach einer kurzen Verschnaufpause im Lehrerzimmer läutete es schon zum Unterrichtsbeginn. Als Erstes hatte ich eine Doppelstunde Sport mit meinen Fünfern. Die Kleinen waren echt goldig.

Danach hatte ich eine siebte Klasse, auch wieder in Sport. Mit denen hatte ich schon mehr zu tun. Da waren echt ein paar Chaoten in der Klasse, die mich mit den Zähnen knirschen ließen.

Meine freie Zeit in der fünften und sechsten Stunde nutzte ich dafür, um die Deutscharbeiten meines Deutschleistungskurses weiter zu korrigieren. Manche von denen hatten fast schon einen halben Roman geschrieben!

Im Nachmittagsunterricht hatte ich dann auch besagten Deutschleistungskurs. Es herrschte die typische Ich-will-nach-Hause-Stimmung. Besonders weil es heute keine Snacks zwischendurch gab. Eigentlich hatte eine Schülerin, die echt genial backen konnte, vorgehabt Nussecken mitzubringen, doch ausgerechnet heute war sie krank.

Trotzdem schlugen sich meine Schüler wacker und machten ordentlich mit.

Als Thema hatten wir gerade mit Faust 1 angefangen. Ja, ziemlich schwere Kost, wenn man es zum ersten Mal liest. Aber ich fand es einfach klasse. Vielleicht lag das auch daran, dass ich Deutschlehrerin war, da musste man ja ein Faible für Literatur haben.

Allerdings erinnerte ich mich nur allzu gut daran, dass ich damals in der Oberstufe mit Faust auch so meine Schwierigkeiten gehabt hatte. An mir war voll vorbei gegangen, dass Faust Gretchen geschwängert hatte und sie danach ihr Kind umgebracht hatte. Aber zu meiner Verteidigung: Sowohl die Sexszene als auch der Kindsmord fanden zwischen den Zeilen statt und als das gute Gretchen davon sprach, wie sie das Kind ertränkt hatte, war sie schon ziemlich dem Wahnsinn verfallen. Außerdem war Faust so vollgepackt mit Themen und Handlungen, dass man da ziemlich schnell den Überblick verlor.

Gemeinsam räumten wir im Kurs die Geschichte ein bisschen auf und dann war auch schon Schulschluss. Wie immer ließ ich meine Schüler ein paar Minuten früher raus. Manche mussten sich sonst tierisch abhetzen, um den Bus noch zu bekommen und auch für die anderen war es angenehm, ein bisschen früher Schluss zu haben.

Natürlich legten meine Schüler beim Einpacken den Turbogang ein. Ich hatte es da nicht ganz so eilig. Immerhin musste ich sowieso warten, bis alle draußen waren, um die Tür noch abzuschließen.

Am Schuleingang begegnete mir dann der Hausmeister. Er hatte einen schäumenden Eimer dabei. „Hallo!“, begrüßte ich ihn höflich. „Hallo“, echote er und stellte den Eimer direkt neben der Mauer ab.

Jetzt sah ich auch, wofür er das Putzzeug dabei hatte: Jemand hatte vor dem Tor einen schwarzen Wolf, Fuchs oder Hund (so genau konnte man das nicht feststellen) an die Mauer gesprayt.

Das war aber ungewöhnlich. Bis jetzt hatten wir noch keinerlei Probleme mit Graffiti gehabt. Hier war schließlich eine sehr ländliche, ruhige Gegend. Aber es gibt ja für alles ein erstes Mal.

„Tschüss!“, verabschiedete ich mich noch und ging dann zum Auto.

Wie sonst auch musste ich kurz auf Ylvie warten. Heute hatte sie Informatik in der achten und neunten Stunde und ihr Lehrer nahm es sehr genau, was die Unterrichtszeiten anging. Nichts gegen meine Kollegen, aber der Typ hatte echt einen Stock verschluckt, wenn ihr mich fragt.

Auf der Autofahrt kotzte sich Ylvie erst einmal über den Berg an Hausaufgaben aus, den ihr meine werten Kollegen aufs Auge gedrückt hatten. Danach bekam ich noch eine sehr leidenschaftliche und aufgebrachte Rede über die Französischarbeit zu hören und wurde auf den neusten Stand gebracht, was das Thema HÜs betraf.

Auch wenn ich mir Mühe gab, meiner Tochter zuzuhören, kam nur die Hälfte bei mir an. Es war eben doch immer die gleiche Leier. Böse, böse Lehrer und arme, geknechtete Schüler.

Zwischendurch gab ich auch ein paar Sachen aus meinem Schultag zum Besten. Alles in allem nichts Besonderes.

Zu Hause wärmte ich dann eine gute Portion Suppe vom Wochenende auf. Mir blieb heute nicht noch die Zeit, großartig zu kochen. Gleich mussten wir nämlich noch in eine Messe.

Nein, ich war eigentlich kein treuer Kirchengänger, ehrlich gesagt, war ich sogar aus der Kirche ausgetreten. An sich fand ich ja die christlichen Glaubensgrundsätze wie Nächstenliebe ganz gut, aber die Institution hatte einige entscheidende Macken.

Auf jeden Fall wollte Ylvie gefirmt werden und der Eröffnungsgottesdienst war heute. Da kam doch Freude auf…

Nach einem ziemlich eiligen Essen konnten wir uns gleich wieder auf den Weg machen. Fast auf die Minute genau waren wir da und der Großteil der Bänke war schon belegt. Ziemlich weit hinten war noch Platz. Mir war das nur Recht, ich hatte nicht vorgehabt mich nach vorne zu setzen, wo alles nach Weihrauch stank.

Der Gottesdienst zog sich ordentlich in die Länge und meine Gedanken schweiften mehr als nur einmal ab. Irgendwann redete der beleibte Pfarrer etwas von einem unstillbaren Durst, der nach mehr als nur gewöhnlichem Wasser verlangte. Später in einem Gleichnis schwätzte er dann von lebendigem Wasser, dass Jesus uns allen versprach.

Unpassenderweise musste ich zuerst ständig an Alkoholiker denken, die ja auch einen unbändigen Durst hatten und bei lebendigem Wasser kamen in mir Erinnerungen an einen Horrorfilm mit einem Monster aus dem See hoch. Wahrscheinlich nicht gerade das, was der Gläubige bei seinen Zuhörern erreichen wollte.

Fast hätte ich bei der Vorstellung losgelacht. Aber das wäre noch unpassender gewesen.

Immer mal wieder wurde gesungen. Hinter uns saß eine alte Frau, deren Enkelkind wahrscheinlich gefirmt werden sollte und die trällerte alles mindestens eine Oktave zu hoch und nicht gerade richtig. Noch so eine Sache, bei der ich in mich reingrinsen musste. Insgesamt sang die Kirchengemeinde heute wieder allerliebst.

Gegen Ende schwafelte der Pfarrer noch etwas von Vertrauen und bot fünf Euro an. Selbst nach seiner Erklärung blieb mir immer noch schleierhaft, was genau er uns damit hatte mitteilen wollen.

Anschließend gab es noch eine Besprechung zur Firmung. In den Bänken hatten schon Infozettel gelegen (unsere hatte ich mir am Anfang der Messe durchgelesen und mir damit ein bisschen die Zeit vertrieben) und viele Fragen kamen nicht mehr auf.

Hin und wieder erntete ich von meiner Tochter dafür einen Blick nach dem Motto: „Man bist du peinlich!“ Ich hatte wirklich keine Ahnung, was sie daran so schlimm fand. Versteh einer mal die Teenager…

Endlich waren wir durch. Weil wir so weit hinten saßen, waren wir schon durch die wuchtige Eingangstür geschlüpft, bevor drinnen das Gedränge wirklich losging.

Draußen vor dem Tor stand ein Mann. Es schien, als würde er auf jemanden warten.

Auf dem Kopf trug er einen Filzhut mit einem roten Federschmuck am Bund. Ansonsten war seine Kleidung ziemlich durchschnittlich: Massives, schwarzes Schuhwerk, Jeans, rotschwarz kariertes Hemd und eine hellbraune Lederjacke. Die Hände hatte er locker in seinen Hosentaschen und seine dunklen Augen ruhten auf mir und meiner Tochter.

Ich konnte nicht sagen warum, aber dieser Mann verpasste mir eine Gänsehaut. Bei ihm hatte ich wirklich kein gutes Gefühl. Und dann zwinkerte er uns auch noch zu!

Misstrauisch beäugte ich ihn und wollte einen weiten Bogen um ihn machen, doch er kam uns entschieden entgegen. Sollte ich ihn vielleicht irgendwoher kennen? War er womöglich in einer meiner Parallelklassen gewesen? Oder sogar der Vater einer meiner Schüler?

„Guten Abend“, begrüßte er uns mit einem falschen Lächeln. „Guten Abend“, wünschte ich ihm, immer noch auf der Hut. „Hallo!“, fröhlich grinste Ylvie ihn an. Kannte sie ihn etwa? Wer war er?!

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Mephisto“, sagte er mit einer kleinen, irgendwie spöttischen Verbeugung. „Mephisto? So wie in Faust?“, bohrte ich skeptisch nach. Das klang mir ganz nach einem dummen Scherz. „Was soll ich sagen, man kann sich seinen Namen schlecht aussuchen“, antwortete er fast schon entschuldigend.

„Schön Sie kennengelernt zu haben, aber wir müssen jetzt los“, schützend legte ich einen Arm um Ylvie und ging bestimmt mit ihr weiter.

„Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und mein Geleit Ihr anzutragen?“, mit einem frechen Grinsen zitierte der Fremde die Worte, die ich schon mit so vielen Kursen durchgenommen hatte. Es war die erste Begegnung zwischen Gretchen und Faust.

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was sollte das denn bitte werden?

„Kein Wunder, dass die liebe Margarete da diesen Stümper Faust abblitzen gelassen hat. Finden Sie nicht auch, dass diese Worte viel zu plump sind, um das Herz einer schönen Frau zu erobern?“, tief schaute er mich aus seinen dunklen, seltsam kalten Augen an.

Im ersten Moment wusste ich nicht so ganz, was ich darauf sagen sollte. Klar, ich hatte schon etliche Male über Faust debattiert und sicher könnte ich auch mit diesem Herrn eine ordentliche Diskussion führen, aber war es nicht genau das, was er wollte? Mich in ein Gespräch verwickeln? Warum?

Er war attraktiv und irgendwie auch charmant, doch etwas tief im Inneren riet mir zur Wachsamkeit.

Außerdem warteten zu Hause noch jede Menge Kursarbeiten auf mich und Ylvie hatte ihre Hausaufgaben noch nicht fertig. Wir hatten noch einiges zu tun und keine Zeit für eine ausgedehnte Unterhaltung.

Ja, alles sprach dafür, sich jetzt auf den Heimweg zu machen und von diesem merkwürdigen Fremden weg zu kommen.

„Mag schon sein, dass Faust zu diesem Zeitpunkt noch sehr unerfahren war im Umgang mit sozialen Kontakten, aber da gibt es viele Sachen, die man mit einbeziehen muss und es wird für mich wirklich Zeit nach Hause zu fahren. Auf Wiedersehen“, antwortete ich ihm höflich und wandte mich endgültig ab.

Ylvie drehte sich noch einmal kurz zu ihm um. Überrascht warf ich ihr einen Seitenblick zu. Sie streckte ihm die Zunge raus und winkte ihm triumphierend. Als wir außer Hörweite waren, fragte ich sie: „Kennst du diesen Mann?“

„Na, ja… Also... Ähm. Nur aus Videos im Internet“, erklärte mir meine Tochter ziemlich ausweichend. Bohrend schaute ich sie an: „Und dann zwinkert er uns zu und du streckst ihm die Zunge raus?“ „Öh… Es könnte vielleicht sein, dass ähm… ein paar Freundinnen und ich äh…ihn… sozusagen angeschrieben haben, nur zum Spaß“, druckste sie immer noch herum.

Zweifelnd zog ich die Augenbrauen hoch. Unwohl starrte Ylvie auf ihre Schuhe.

Resigniert holte ich den Autoschlüssel raus und öffnete unseren Wagen. Ich hatte gerade keine Lust auf einen Streit und Ylvie schien ja auch zu wissen, dass ihr Verhalten nicht korrekt gewesen war. Sie sollte im Internet nicht einfach mit irgendwelchen Fremden schreiben, man wusste nie, wer am anderen Ende saß und wer alles noch mitlas.

In frostiges Schweigen gehüllt stiegen wir beide ein und ich fuhr los.

Studierzimmer

Während der Autofahrt musste ich ständig an „Mephisto“ denken. Ich kaufte ihm immer noch nicht ab, dass das sein richtiger Name sein sollte. Irgendetwas war an dem Typ faul und es gefiel mir so gar nicht, dass Ylvie mit ihm zu tun hatte. Plötzlich schoss mir die Erinnerung an den schwarzen Pudel von heute Morgen wieder durch den Kopf.

Was für ein schräger Zufall. In Faust trat Mephisto ja auch zuerst in der Gestalt eines schwarzen Pudels auf. Und als er sich dann offenbarte, sagte Faust das zu gering geschätzte Sprichwort: „Das also war des Pudels Kern!“ Na ja, das finden wahrscheinlich auch nur Deutschlehrer witzig.

Zu Hause wechselten meine Tochter und ich nicht gerade viele Worte. Ylvie setzte sich noch eine Weile an ihre Hausaufgaben, dann hörte ich, wie der Fernseher angeschaltet wurde.

Ich hielt zwar wenig davon, dass sie ihre Hausaufgaben immer auf den letzten Drücker machte, aber solange sie sie überhaupt machte, würde ich nicht die große, böse Spaßverderberin spielen. Und besonders nach einem so langen Tag konnte ich durchaus verstehen, dass sie ein bisschen Pause brauchte. Außerdem hatte sie ja jetzt noch das Wochenende für ihre Schulaufgaben.

Mit einem kleinen Seufzen setzte ich mir Kopfhörer auf und machte einen epischen Soundtrack an. Ja, das klang albern, aber ich fühlte mich dann immer so kämpferisch, wenn ich die Fehler mit meinem roten Stift aus ihrem Versteck trieb und festnagelte. Der Hauptgrund für die Musik war allerdings, dass ich mich schlecht konzentrieren konnte, wenn im Hintergrund irgendeine Fernsehserie oder etwas in der Art lief.

Eine Arbeit nach der anderen durchkämmte ich mit meiner kriegerischen Entschlossenheit, doch es kam mir so vor, als würde der Wald der Wörter immer dichter werden und oft gähnte ich vor mich hin.

Jemand hielt mir plötzlich die Hände vor die Augen. Vor Schreck zuckte ich total zusammen und zog einen roten Strich quer über das Heft oder meinen Schreibtisch, irgendetwas malte ich auf jeden Fall an.

„Wer bin ich?“, hauchte eine tiefe Stimme ganz nah an meinem Ohr. „Ich weiß es nicht“, ich merkte selbst wie unsicher und eingeschüchtert ich klang. „Du kennst die Antwort“, widersprach er mir und ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren.

In meinem Kopf drehte sich alles. Irgendwie war alles ganz schwammig.

Von einer Art inneren Eingebung geleitet antwortete ich: „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

„Gut“, flüsterte er irgendwie bedrohlich und nahm seine Hände von meinen Augen. Auf einmal saß ich wieder in der Kirche. Es war kalt und verlassen. All die erloschenen Kerzen qualmten extrem und unter der Decke hatte sich schon eine dicke Schicht Rauch gebildet.

Sanft berührte er mit seiner Hand meine Wange und ließ sie langsam über meinen Hals wandern: „Und wer bist du?“

„Wer bist du? Wer bist du?“, echote es von den Statuen der Heiligen. „Ich…“, setzte ich an, doch was sollte ich sagen? Wer war ich überhaupt? Eigentlich war ich ein Niemand. Diese Erkenntnis ließ mich total zusammensacken. Ich glitt durch die Kirchenbank und nichts hielt mich mehr.

Mit einem schrecklich betäubten Gefühl schaute ich aus dem Rauch in die Kirche runter. „Gretchen“, stand in brennenden Buchstaben quer durch den ganzen Raum.

Mir fiel ein kleiner Riss in einem der gemusterten Fenster auf. Etwa dort, wo das Herz sitzen musste, war in der Brust eines Engels ein kleiner Glassplitter verloren gegangen. Immer noch gestaltlos schlüpfte ich hindurch.

Schwerelos zog ich über die Landschaft. Über mir erstreckte sich dunkel und endlos der Himmel und unter mir wich ein Feld dem nächsten. Manchmal war auch ein Waldgebiet dazwischen.

Auf einmal klingelte mein Handy und ich wurde unsanft in die Realität zurückgerissen. Einen Moment blieb ich noch wie betäubt liegen, dann kam wieder Leben in meinen Körper.

Langsam setzte ich mich auf. Meine Kopfhörer hingen ganz seltsam auf meinem Kopf und ich hatte mit meinem Gesicht eine der Arbeiten ein wenig zerknittert.

Gedanklich noch halb in diesem seltsamen Traum griff ich nach meinem Handy. Annabell rief mich an. Kurz warf ich einen Blick auf die Uhr. Oh! Erst halb zehn! Es kam mir viel später vor.

„Hallo“, nahm ich das Telefonat an. „Hallo! Du klingst ja gar nicht gut. Ist alles in Ordnung?“, fragte Annabell sofort besorgt. „Alles gut. Ich hab nur gestern wenig geschlafen und bin ein bisschen müde“, antwortete ich ihr und unterdrückte dabei ein Gähnen.

Gut eine Viertelstunde plauderten wir noch und entschieden dann spontan, uns morgen zum Frühstücken zu treffen. Wir hatten uns schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr richtig gesehen. Wie das nun mal so ist, Arbeit, Familie, Haushalt. Ist nicht so als hätten wir nicht genug zu tun.

Bevor ich am Ende noch einmal beim Korrigieren einschlief, ließ ich es lieber sein. Schnell legte ich alles noch auf einigermaßen ordentliche Stapel, damit ich morgen noch in etwa wusste, wo ich dran gewesen war und ging dann in mein irgendwie leeres Bett.

Wie so oft fragte ich mich wie es wohl wäre, wenn Heinz noch am Leben wäre. Ich hielt nicht viel davon, mich selbst zu bemitleiden, aber ich stellte es mir so schön vor, ihn bei diesen ganzen Alltagsmomenten dabei zu haben. Einen Partner an seiner Seite zu wissen, war eben doch anders, als immer alles alleine zu machen.

Gedankenverloren rollte ich mich hin und her auf der Suche nach einer bequemen Schlafposition. Alles fühlte sich nicht richtig an und in meinem Kopf spukte die ganze Zeit dieser Traum rum. Er ließ mich einfach nicht los. Diese Stimme, die Berührungen. Etwas tief in mir war ganz durcheinander.

Und dann auch noch Gretchen. Eigentlich hatte mich noch nie jemand ernsthaft so genannt, es war nur ein Scherz gewesen von ein paar meiner Lehrerkollegen, als ich geheiratet hatte. Heinz hieß mit Nachnamen nämlich Faustus, also fast wie der Protagonist in Goethes Lebenswerk. Die anderen Deutschlehrer hatten da natürlich rumgealbert, dass statt Heinrich Faust und Gretchen, jetzt Heinz Faustus und Greta zusammengekommen waren.

Bis gerade eben hatte ich das auch lustig gefunden, doch jetzt lief mir bei dem Gedanken daran ein kalter Schauer den Rücken runter. Dabei wusste ich nicht einmal genau warum. Ich hatte nur dieses wage Gefühl, dass mir die Geschehnisse langsam entglitten.

Eine Weile hielt mich diese dumpfe Vorahnung auf heraufkommendes Unheil noch wach, doch dann siegte schließlich meine Müdigkeit und ich fiel in einen pechschwarzen Schlaf.

Auerbachs Keller in Leipzig

Früh morgens wurde ich wieder von meinem Wecker rausgeschmissen. Müde tastete ich nach dem nervigen Ding und stellte es aus. Obwohl ich zum Frühstück verabredet war, würde ich definitiv nicht um diese Uhrzeit aufstehen. Grummelnd rollte ich mich wieder in die viel zu große Decke ein und genoss die Freiheit länger liegen zu bleiben. Nur mit dem wieder einschlafen klappte es nicht wirklich. Und irgendwie hatte ich total den Ohrwurm von dem Kinderlied „Kommt ein Vöglein angeflogen“.

Keine Ahnung warum ausgerechnet dieses Lied. Als Kind hatte ich das oft gesungen, das schon, aber das war Jahre her! Doch ich bekam es einfach nicht aus meinem Kopf. Während ich aufstand und mich anzog, musste ich es die ganze Zeit summen, auch wenn ich, glaube ich, die Hälfte der Töne nicht richtig traf.

Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, streckte ich noch kurz den Kopf in Ylvies Zimmer. Gestern hatte ich ganz vergessen ihr noch zu sagen, dass ich heute mit meiner Freundin frühstücken würde. Meinem kleinen Morgenmuffel war das ziemlich egal. Wie ich sie kannte, würde sie sowieso nicht vor Mittag aufstehen.

Gut gelaunt und immer noch mit dem Lied als Endlosschleife im Kopf setzte ich mich ins Auto. Es gab zwar auch eine richtig schöne Wanderstrecke, um zu meiner Verabredung zu kommen, aber dafür hätte ich früher aufstehen müssen.

Mit einem Ohr hörte ich den Liedern im Radio zu, doch keines konnte meinen hartnäckigen Ohrwurm vertreiben.

Zwischendurch sah ich von einem Feld eine ganze Heerschar Krähen auffliegen und sofort musste ich wieder an die beiden von gestern denken. Dabei war es ja eigentlich nichts besonders Ungewöhnliches. Trotzdem hatte sich diese Begegnung in meinem Gedächtnis verankert.

Vielleicht hatte ich einfach zu viele Bücher gelesen, in denen Krähen immer Vorboten des Unheils waren und man in Träumen sein Schicksal sehen konnte. Langsam fing ich ja schon an, selbst dran zu glauben und in meinem Alltag Gespenster zu sehen!

Wie von selbst war ich zum Café gefahren und erst als ich auf den Parkplatz einbog, wachte ich wieder aus meinen Gedanken auf. Oh man! Das hätte auch schiefgehen können! Was, wenn mir ein Kind vors Auto gelaufen wäre?! Ich musste echt besser aufpassen, wo ich mit meinem Kopf war! Gerade als ich aussteigen wollte, schiss mir irgendein Vogel auf die Frontscheibe. Na super!

Nicht mehr ganz so gut gelaunt betrat ich Auerbachs Keller in Leipzig. So hieß das Café und niemand verstand genau, warum. Wir waren hier nämlich nicht in Leipzig und es war auch kein Keller. Die einzige plausible Vermutung, die wir für den Namen hatten, war, dass es eine Anspielung auf Faust war, der ja auf seinem ersten Ausflug mit Mephisto in so einem Schuppen mehr oder weniger gefeiert hatte. Aber Fehlanzeige. Hier drin hatte absolut nichts auch nur die geringste Verbindung zu diesem historischen Theaterstück.

Bis auf den seltsamen Namen, gab es jedoch nichts zu meckern. Das Essen war immer gut, nur ein paar Sachen trafen nicht so ganz meinen Geschmack und der Preis war vollkommen in Ordnung. Wochentags war hier immer ordentlich Betrieb, viele Schüler und auch Lehrer holten sich regelmäßig etwas für die Mittagspause. Am Wochenende war es eher ruhiger, dafür nahmen sich mehr Leute Zeit, sich zu setzen und dort zu essen.

Drei Tische waren schon belegt, von den noch freien entschied ich mich für einen hinten in der Ecke. Dort hatte man einen schönen Überblick über die gesamte Bäckerei. Bis meine Freundin kam, machte ich mir schon einmal Gedanken, was ich mir bestellen wollte.

Neben der Theke stand eine Tafel auf der in geschnörkelter Schrift stand:

Samstagsschmaus:

Mohnbrötchen (belegt)

Erdbeerschnittchen

Puddingstreusel

Himbeertörtchen

Italienische Apfeltarte

Schokobrötchen

Tee (verschiedene Sorten)

Obstkuchen

Auf Puddingstreusel hätte ich wieder so richtig Lust. Ich hatte schon viel zu lange keinen mehr gegessen. Allerdings klang der Rest auch nicht schlecht. Am liebsten hätte ich ja alles gegessen, aber das wäre doch ein bisschen übertrieben gewesen.

Also las ich die Liste wieder und wieder durch und versuchte mich zu entscheiden, welcher Samstagsschmaus heute mir gehören würde.

Erst beim gefühlt hundertsten Mal fiel mir das Akrostichon auf, also das Wort, dass durch die Anfangsbuchstaben gebildet wurde: Mephisto. Meine Vorfreude auf das Frühstück mit meiner Freundin verwandelte sich augenblicklich in einen Eisklotz in meinem Magen.

Warum ließ mich der Kerl vor der Kirche nicht mehr los?! Und wieso hatte ich bei ihm dieses extrem schlechte Gefühl?!

„Hallo Greta! Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen“, mit ihrer typisch fröhlichen Ausstrahlung setzte sich Annabell zu mir an den Tisch. „Ähm… Hallo“, tauchte ich langsam wieder aus meinen düsteren Gedanken auf: „Da war nur gerade ein komischer Zufall und dann musste ich an einen Alptraum gestern denken.“

Normalerweise hätte ich ihr auch ohne zu zögern von meiner Begegnung mit diesem unheimlichen Mann erzählt, aber irgendetwas hielt mich davon ab.

Einen Wimpernschlag lang musterte mich meine Freundin noch skeptisch, dann ließ sie das Thema auf sich beruhen und wir suchten uns was zu essen aus. Am Ende war es für mich dann doch der Puddingstreusel geworden.

Während wir unser Frühstück genossen, redeten wir zuerst darüber, wie es in unseren Leben momentan so lief. Annabell hatte drei Söhne, vom jüngsten war ich die Patentante und beruflich arbeitete sie in einer Bäckerei. Sie konnte wirklich geniale Torten backen!

Irgendwann fingen wir an, in Erinnerungen zu schwelgen. Vielleicht lag das ja an diesem Ort, hierhin waren wir so oft in den Mittagspausen gemeinsam gepilgert.

Kichernd musste ich an Frau Schulze denken, bei der immer alle nur darauf gewartet hatten, dass sie anschrieb. Dann fing sie nämlich immer an, unbewusst mit dem Hintern zu wackeln. Jetzt war sie eine meiner Kolleginnen (auch wenn sie bald in Rente gehen würde) und obwohl ich mir Mühe gab, konnte ich sie einfach nicht richtig ernst nehmen, weil ich immer ihren wackelnden Hintern vor Augen hatte.

Frau Schulze brachte Annabell auch gleich zum nächsten Thema. „Weißt du noch, unsere Klassenfahrt?“, bei dem Gedanken musste die ziemlich runde Kuchenbäckerin so loslachen, dass sie ihren Kaffee nicht trinken konnte. „Oh ja! Da ist Frau Schulze total an die Decke gegangen!“, auch ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.

„Wie sie den Schaffner nachgemacht hat!“, Annabell setzte ein möglichst ernstes Gesicht auf und motzte mit saukomisch verstellter Stimme: „Das ist nicht meine Aufgabe. Gehen Sie wieder zurück. Machen Sie doch was sie wollen. Ist nicht mein Problem.“

Vor Lachen wäre ich fast vom Stuhl gefallen. Annabell klang genau wie Frau Schulze! Ich konnte nicht mehr! Auch meine Freundin lachte grunzend los. Diese Zugfahrt war einfach zu geil gewesen!

Mit Tränen in den Augen und ein klein wenig außer Atem kriegten wir uns schließlich wieder ein. „Die Fahrt war fast schon das Beste an der ganzen Klassenfahrt!“, sagte ich und nahm einen Schluck Brennnesseltee, bevor er noch kalt wurde. „Außer natürlich die Sache mit der Security!“, erinnerte sich meine Freundin, im Gesicht noch ganz rot vor Lachen.

Prompt spuckte ich meinen Tee zurück in die Tasse. Fast hätte ich mich daran verschluckt.

Oh Gott! Die Security! Das hatte ich ja ganz vergessen!

An einem warmen Tag hatten ein paar Jungs aus unserem Kurs am Fenster überm Eingang gelungert und Gummibärchen auf die Security geworfen. Unser Zimmer hatte im gleichen Flur gelegen, wie auch das von Frau Schulze und als sich die Security dann bei ihr beschwert hatte, hatte sie ein zum Schreien komisches Gesicht geschnitten im Versuch nicht loszulachen.

Einfach klasse!

Nachdem wir noch einmal einen kleinen Lachanfall gehabt hatten, fragte Annabell: „Ist auf der Schule die Technik eigentlich immer noch so mau?“

Ihre beiden großen Jungs, beides Vollblutinformatiker, hatten vor zwei Jahren ihren Abschluss gemacht und mein Patenkind ging nicht aufs Gymnasium, deshalb bekam sie die Ohren wohl nicht mehr damit vollgejammert, wie bescheiden unsere technische Ausstattung für eine Schule mit Informatikschwerpunkt war.

In den letzten Jahren hatten wir zwar ein paar neue Sachen bekommen, aber die funktionierten nur selten und deswegen waren Overheads immer noch das Vortragsmedium der Wahl. Und dabei waren wir im 21. Jahrhundert!

Außerdem gab es bei Overheads ständig dieses Problem, dass sie von irgendwelchen Schülern oder Lehrern verschleppt wurden, die versprachen sie am Ende der Stunde wieder zu bringen, aber es nie taten. Manche Sachen änderten sich wohl nie.

„Nein, wir sind über Nacht ins Roboterzeitalter gebeamt worden“, antwortete ich ironisch. „War ja auch klar. Eher friert die Hölle zu, als dass sich da was ändert“, meinte Annabell und leerte ihre Kaffeetasse. „Gar nicht wahr! Wir haben die Bibliothek renoviert!“, verteidigte ich mit einem kleinen Lachen meinen Arbeitsplatz. „Was für eine immense Veränderung“, entgegnete meine Freundin spaßhaft.

Auf einmal trat ein Mann an unseren Tisch und schaute mich direkt an: „Entschuldigung. Bist du nicht Greta?“

Überrascht blickte ich zu ihm auf. Weiche Gesichtszüge, blonde Haare mit ein bisschen zu viel Haargel, ein leicht fusseliger Bart, der mal eine Rasur vertragen könnte, eine schlichte Brille mit Brillengläsern, die die haselnussbraunen Augen fast wie die einer Eule erschienen ließen.

Eigentlich sah er gar nicht mal schlecht aus und irgendwie kam er mir so bekannt vor…

Fieberhaft ratterte es in meinem Kopf und ich glich sämtliche Leute mit ihm ab, die ich noch von irgendwann früher kannte. Er müsste etwa in meinem Alter sein, also kein ehemaliger Schüler. Vielleicht war er ja der Vater eines Schülers? Oder ich kannte ihn aus dem Studium, oder sogar aus meiner eigenen Schulzeit davor? Ja, das könnte es sein.

„Linus?“, wollte ich unsicher wissen. Ohne den Bart, kleiner und pummliger würde er ihm wirklich ein bisschen ähneln. Allerdings war das mehr so ins Blaue geraten, ich hatte ihn schon über fünfzehn Jahre lang nicht mehr gesehen!

„Du erinnerst dich also noch an mich“, stellte er mit seinem typisch breiten, freundlichen Lächeln fest.

„Na klar, wir hatten doch diesen albernen Vertrag gemacht, dass du deinen Tisch an den von Tobi und Emil stellen darfst, wenn gerade kein Lehrer da ist. Ich glaube das Blatt hab ich immer noch irgendwo in einem alten Heft rumfliegen“, schweifte ich wieder in meine Zeit als Schüler zurück.

„Ja! Genau! Wir haben dann doch immer so einen Pfand von dir bekommen. Deinen Geldbeutel oder sowas!“, lachte auch Annabell bei dem Gedanken an diese grandios verrückte Zeit.

„Ich hab gehört, du bist jetzt Deutsch- und Sportlehrerin an unserer guten alten Schule“, kam Linus wieder zu einem etwas aktuelleren Thema zurück: „Passt zu dir.“ „Danke. Und was machst du so? Bist du etwa Priester geworden, so wie alle immer gesagt haben?“, fragte ich ihn unbeschwert.

„Nein, ich bin Informatiker“, antwortete er mir immer noch lächelnd und beinahe schon nervös. Jetzt erst fiel mir auf, dass er Annabell kaum eines Blickes würdigte. Bildete ich mir das nur ein, oder war hier irgendetwas seltsam?

Meine Freundin und ich schielten vielsagend zueinander rüber. Wir dachten das Gleiche. Aber vielleicht steigerten wir uns da ja auch nur in etwas rein. Immerhin hatten wir Linus eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen, da war es doch natürlich, dass man nicht mehr so locker flockig wie früher miteinander umging.

„Ähm…“, setzte er an und schluckte unruhig, wobei sein Adamsapfel lustig auf und ab sprang: „Greta, ich wollte dich fragen, ob wir vielleicht bald mal einen Kaffee trinken gehen… Also natürlich nicht jetzt. Du trinkst ja schon einen. Nein, du trinkst einen Tee! Ähm… Wir können auch einen Tee trinken. Kaffeetrinken heißt ja nicht, dass wir dabei auch Kaffee trinken müssen. Ähm… ja… Du weißt ja selbst, was… das… ist.“

Überrumpelt von seinem Gestammel starrte ich ihn einen Moment lang an. Ich hätte echt nicht damit gerechnet, dass er sich mit mir verabreden wollte! Allerdings erklärte das sein seltsames Verhalten…

„Du siehst wunderschön aus“, ergänzte er mit einem aufgewühlten Lächeln. Jetzt war es an mir zu stottern: „Öh… danke… aber… na ja… Ich habe viel zu tun… und eine Tochter!... Ich halte das für keine gute Idee.“